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Wulf Raeck/Dirk Steuernagel (Hrsg.) · Das Gebaute und das Gedachte

J. Lüning, Zwei Gründergräber in der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Unterfranken. In: W. Raeck/D. Steuernagel (Hrsg.), Das Gebaute und Gedachte

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Wulf Raeck/Dirk Steuernagel (Hrsg.) · Das Gebaute und das Gedachte

Frankfurter Archäologische Schriften

herausgegeben vonHans-Markus von Kaenel, Rüdiger Krause, Jan-Waalke Meyer und Wulf Raeck

Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH · Bonn 2012

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Siedlungsform, Architektur und Gesellschaft inprähistorischen und antiken Kulturen

herausgegeben von

Wulf Raeck und Dirk Steuernagel

Das Gebaute und das Gedachte

Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH · Bonn 2012

© 2012 by Dr. Rudolf Habelt GmbH, BonnDas Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung,

Mikroverfilmung und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Satz: Susanne Biegert (Bonn)Druck: Beltz Bad Langensalza GmbH

ISBN 978-3-7749-3816-8

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Umschlag nach: W. Sackur, Vituv – Technik und Literatur (Berlin 1925) Titelbild.

Vorwort der Herausgeber

Dieser Band enthält die unterschiedlich ausführlich bearbeiteten Fassungen von zwölf Vorträgen, die am 11. und 12. Dezember 2009 im Rahmen einer Tagung des Instituts für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt a. M. gehalten wurden. Zwei weitere Vorträge (von Barbara Borg, Räumliche Indikatoren sozialer Distinktion in römischen Gräbern, und Jens-Arne Dickmann, Das römische Wohnhaus als sozialer Raum) werden an anderer Stelle publiziert.

Der Anstoß zu diesem Vorhaben ergab sich aus dem Mikrokosmos des genannten Instituts. Dieses hatte sich fünf Jahre zuvor durch die Vereinigung dreier bislang getrennt existierender Betriebseinheiten bzw. Teilbetriebseinheiten konstituiert, die im „neuen“ Institut als Abteilungen fortbestehen: Die Abteilung I Vorderasiatische und Klassische Archäologie, die Abteilung II Archäologie und Geschichte der römischen Pro-vinzen sowie Hilfswissenschaften der Altertumskunde, schließlich die Abteilung III Vor- und Frühgeschichte. Sie befassen sich jeweils mit eigenen Themenbereichen, und im Alltag des Universitätsbetriebes könnte es manchmal scheinen, als seien sie wissenschaftlich durch kaum mehr als das Wort „Archäologie“ miteinan-der verbunden. Dass dies nicht zutrifft, zeigen gemeinsame Veranstaltungen und Projekte ebenso wie der kontinuierliche persönliche Austausch. Alle Beteiligten sind sich aber darüber einig, dass dieser intensiviert werden muss, wenn das wissenschaftliche Potential des Miteinanders der Disziplinen wirklich genutzt werden soll. Das Verbindende liegt – neben zeitlichen oder regionalen Berührungspunkten und Überschneidungen der Forschungsgebiete – vor allem in den Methoden, die zur Lösung gleichartiger oder ähnlicher Fragen angewendet werden (oder eben auch nicht). Hierüber sich nicht nur gegenseitig zu informieren, sondern darüber hinaus ins Gespräch zu kommen sowie dadurch nach Möglichkeit einen Zugewinn an Reflexion über die jeweils eigene Forschungsarbeit zu erreichen, war das Hauptziel der Veranstaltung. Ein thematischer Rahmen, in dem alle Abteilungen sich mit Teilen ihrer Forschungsarbeit wiederfinden konnten, war schnell gefunden. Die Veranstalter sahen ihn in der ständig neuen Herausforderung der Verbindung von materiellem archäologischen Befund – hier vor allem ergrabene Architekturreste –, und immateriellem „Gedachten“. Das Gedachte kann dabei im Zeithorizont der jeweiligen archäologischen Befunde liegen, als auch in den Gedan-kengebäuden der Ausgräber und Bearbeiter, die diese Befunde zu interpretieren versuchen. Dies schien allen Beteiligten nicht nur lokales Interesse zu verdienen, weshalb sie es – nicht zuletzt durch den erfolgreichen Verlauf der anregenden Tagung beflügelt – gewagt haben, eine Sammelpublikation aller Beiträge vorzulegen.

Um die in Frankfurt bearbeiteten Projekte in ihrem jeweiligen Kontext besser verständlich machen zu können, wurden externe Kolleginnen und Kollegen eingeladen, die über verwandte Themen und Arbei-ten berichten. Das Programm folgt dabei bewusst nicht oder nicht ausschließlich den Fächer- oder Abtei-lungsgrenzen, sondern versucht, Vorträge aus verschiedenen archäologischen Teilgebieten unter gemeinsamen Gesichtspunkten zu gruppieren.

Die insgesamt fünfzehn Vorträge deckten einen geographisch wie chronologisch denkbar weiten Rahmen ab. Das Spektrum reichte von bandkeramischen Dörfern Mitteleuropas über frühe Stadtanlagen Syriens, Siedlungsstrukturen im Tschadbecken, antike Poleis Kleinasiens bis hin zu spät- und nachantiken Baudenkmälern an Rhein und Main. Stärker auf bestimmte Architekturformen oder einzelne Baudenkmäler fokussierte Beiträge und solche, die Strukturen von Siedlungen und Siedlungsräumen behandelten, hielten sich in etwa die Waage.

Zum Auftakt fragte Peter Breunig, ob das „Gebaute“ und das von uns „Gedachte“ in der Vorgeschichte Afrikas tatsächlich übereinstimmen. Er spricht damit sogleich grundsätzliche Probleme an, wie sie aus Ana-logie- und Modellbildungen resultieren können. So teilt man die Vorgeschichte Afrikas gemäß dem Drei-periodensystem der Stein- und Metallzeiten ein, das nach dem Muster der vorderasiatisch-europäischen Entwicklung konstruiert ist. Dort zeitlich zusammen fallende Entwicklungsschritte differieren jedoch im Falle Afrikas manchmal um Jahrtausende.

Ebenfalls mit übergreifenden Theorien zur geschichtlichen Entwicklung, namentlich mit Urbanisie-rungskonzepten bei Karl Marx und Max Weber, setzt sich Roberto Risch in seinem Beitrag zur sog. El Argar-Kultur im frühbronzezeitlichen Südostspanien auseinander. Höhensiedlungen, in denen neben kom-plexer Architektur eine Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeitskräften nachweisbar ist, heben sich ab von Flachlandsiedlungen, die vorwiegend als Lieferanten für Subsistenzgüter gedient zu haben schei-nen. Zusätzlich scheint es räumlich-funktionale Differenzierung, beispielsweise separierte Zonen für Han-dwerk oder Bestattung, auch innerhalb der Höhensiedlungen gegeben zu haben. Sind dies Indikatoren für Machtstrukturen, die einer Elite die Verfügungsgewalt über natürliche Ressourcen und Technologien sicherten?

Das Verhältnis unterschiedlicher Siedlungsformen zueinander – und daran möglicherweise ablesbare Hie-rarchien – behandelt Rüdiger Krause mit Blick auf das Nördlinger Ries während der der älteren Eisenzeit. Drei Typen von Siedlungen sind im archäologischen Befund greifbar: offene Flachlandsiedlungen, umwehrte Rechteckhöfe und befestigte Höhensiedlungen. In den beiden letzten haben, nach Ausweis von monumenta-len Bauten, Großgräbern und mediterranen Importen, Angehörige der sozialen Elite gelebt. In der Gesamtheit der Siedlungen konstituiert sich jedoch, nach Krause, das Kernterritorium für den „Fürstensitz“ bzw. das „komplexe Zentrum“ (E. Gringmuth-Dallmer).

Mit den Formen und Binnenstrukturen städtischer Zentren im Syrien des 4. und 3. Jts. v. Chr. befassen sich Jan-Waalke Meyer und Michel al-Maqdissi. Meyer betont dabei, dass die Urbanisierung in Nordwest-syrien sich als unabhängige, nicht durch südmesopotamische Einflüsse initiierte Entwicklung darstelle. Die Ausgrabungen von Mari und Tell Chuera zeigen, dass die Stadtentwicklung dort wesentlich früher als bisher angenommen, nämlich bereits vor der Wende zum 3. Jt., einsetzte und sich durch die charakteristische sog. Kranzhügelstruktur, mit einem Platz im Zentrum eines radialen Straßensystems, auszeichnete. Um die Mitte des 3. Jts. kommen ähnliche Siedlungsstrukturen auch in Zentralsyrien vor, wie Michel al-Maqdissi erläutert. Allerdings ist hier im Laufe der Bronzezeit ein bemerkenswerter Wandel zu verzeichnen: So wurden die run-den Anlagen von Tell Mishrifeh (Qatna) und Tell Rawda später durch rechteckige Befestigungen eingefasst. Man könnte von einer „refoundation“ Qatnas zu Beginn des 2. Jts. sprechen, deren historischer Hintergrund (Einwanderung der Ammoriter?) freilich unklar bleibt. Endogener oder von außen angestoßener Prozess? Die Frage stellt sich an diesem Punkte erneut.

Geschichte und interne Gliederung von Siedlungen auf ihre Aussagekraft für soziale Ordnungen zu befra-gen, nehmen sich in unterschiedlicher Weise Jens Lüning und Svend Hansen vor. Hansen widmet sich dabei der Frage, ob Siedlungsstruktur und Beigabendifferenzierung in den südrumänischen Gräbern für das 5. Jt. v. Chr. eher eine hierarchisch organisierte oder egalitär-segmentierte Gesellschaft erschließen ließen. Damit verbunden ist die Frage, ob Ortskonstanz und Baufolge im Bereich des kupferzeitlichen Tell bei Pietrele an der unteren Donau als Traditionsbewusstsein gedeutet werden kann, das Kontinuität der sozialen Organisation gewährleisten sollte. Lüning hebt bei seiner Rekonstruktion der Chronologie von Bauten an drei benachbar-ten Hofplätzen der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld in Unterfranken auf die Bedeutung der Ahnen ab. So zeige die Nachnutzung eines längst aufgelassenen Hauses aus der Frühzeit des Siedlungsplatzes (mittleres 6. Jt. v. Chr.) als Bestattungsplatz, Jahrhunderte später, dass die soziale Gruppe an die Gründerge-neration anzuknüpfen suchte, im Sinne einer „Mythisierung“ nicht unähnlich der griechischer Heroenkulte.

Ob und wie politische oder religiöse Vorstellungen planmäßig in gebaute Strukturen übersetzt wurden, fragen Wulf Raeck und Susanne Sievers an Hand griechischer Stadtanlagen „hippodamischen“ Typs bzw. des spätkeltischen Oppidums von Manching. Sievers macht deutlich, dass es innerhalb des Oppidums von Man-ching vielfältige Hinweise auf exakt bemessene Baustrukturen gebe. Bislang nicht zu ergründen ist allerdings, welche Motive dazu führten, dass Tore nicht nur in identischem Abstand von einem zentralen Heiligtum angelegt worden seien, sondern zudem in einer Verteilung, die auf abstrakten geometrischen Mustern zu beruhen scheint. Abstrakte Ordnungsprinzipien unterliegen auch der Urbanistik der sog. hippodamischen Städte der griechisch-hellenistischen Welt. Derartige, auf einem orthogonalen Straßenraster basierte An-lagen hat man in Teilen der archäologischen Forschung als Ausdruck und praktische Umsetzung von de-mokratischen Gleichheitsidealen gedeutet (W. Hoepfner). Raeck kritisiert dies als unreflektierte Übertragung moderner Vorstellungen. Politische Aussagekraft habe ein solches System freilich in dem Sinne, dass es die Existenz einer durchsetzungsfähigen Institution voraussetze, die in der Lage war, den Stadtbewohnern und ihren im Einzelnen sicher divergierenden Interessen ein allumfassendes (ästhetisches) Konzept zu verordnen.

Eine Auseinandersetzung zwischen Bürgergemeinschaft und zentraler Autorität erkennt Dirk Steuernagel in der Baugeschichte des Athenaheiligtums von Pergamon zwischen dem 4. und 1. Jh. v. Chr. Den Tempel ließ noch vor der Errichtung monarchischer Herrschaft die Polis bauen. Mit Erweiterung und neuer Orientierung des umgebenden Heiligtumsbezirks vereinnahmten jedoch in der Folgezeit die attalidischen Herrscher den Kultplatz und wiesen der Stadtgöttin Athena, z. B. durch Verleihung zusätzlicher Kultnamen (Nikephoros), die Rolle einer Schutzpatronin des pergamenischen Reiches und seiner Könige zu.

Funktionalen Wandel in Zeiten historischer Umbrüche exemplifiziert Alexander Heising am spätantiken Schiffslände-Burgus von Trebur-Astheim im hessischen Ried. Die Diskussion bezieht sich dabei auf drei ver-schiedene Zeitebenen: auf die Intentionen der römischen Bauherren, auf die Umfunktionierung durch ein merowingisches Fürstengeschlecht, schließlich auf die Erforschung durch die moderne Archäologie. Heising zeigt eindrucksvoll, wie die drei Ebenen ineinander verwoben sind, insofern literarische Beschreibungen, also spätantike Interpretationen, die archäologische Rekonstruktion leiten, die sich aber ebenso auf den durch die nachantiken Phasen entscheidend geprägten Grabungsbefund stützt. Interpretatorische Überformung und sogar handgreifliche Umformung der gebauten historischen Substanz thematisiert Hans-Markus von Kaenel an Hand einer aktuellen Debatte, deren Gegenstand ein turmähnlicher Bau auf dem Campus Westend der Frankfurter Universität ist: Eiskeller des 19. Jhs. oder Wartturm aus der Zeit um 1400? Ob und wie die Antwort auf diese Frage den denkmalpflegerischen Umgang bestimmt, ist ein letztes treffendes Beispiel für den unauflösbaren Zusammenhang von „Gedachtem“ und „Gebautem“.

Die Reihenfolge der Beiträge in dieser kurzen Übersicht entspricht übrigens nicht der zeitlichen Abfolge beim Kolloquium, sondern einer Ordnung, die als mögliche erst in der Rückschau sich herausgestellt hat. Das ist ein weiterer Beleg für den Facettenreichtum des Themas. So kann Gebautes eine modellhafte Selbst-beschreibung der Gesellschaft enthalten; es kann aber auch, ohne eine solche Intention bewusst zu verfolgen, soziale Strukturen und Ideologien reflektieren, und da wiederum vergangene ebenso wie heutige. Nun ist es in jedem Fall der moderne Betrachter, der sich „etwas denkt“ und die gebauten auf andere Strukturen abbildet. Man macht sich ein Bild: dass dies hilfreich, aber auch problematisch sein kann, wurde während der Tagung immer wieder mit Blick auf suggestive Bilder des digitalen Zeitalters diskutiert. Es ergab sich daraus gewissermaßen ein unterschwelliges Thema, das vielleicht auch einmal Gegenstand eines zukünftigen Kolloquiums sein könnte.

Dieser Band wäre nicht zustande gekommen ohne das beharrliche Engagement sowie die Umsicht, Er-fahrung und die fachliche ebenso wie die redaktionelle Kompetenz von Frau Dr. Heike Richter. Ihr gilt unser herzlicher Dank ebenso wie Frau Dr. Susanne Biegert vom Habelt Verlag für ihr gewohnt effizientes und kooperatives Wirken.

Den Autoren danken wir für die bereitwillige Fertigstellung und Lieferung ihrer Manuskripte trotz al-lenthalben hoher Arbeitsbelastung sowie allen, die zum Gelingen des Kolloquiums beigetragen und so eine Atmosphäre leichtsinniger Heiterkeit erzeugt haben, in der den Vortragenden die Zusagen für ihre Beiträge leicht zu entlocken waren.

Frankfurt a. M. und Regensburg im Oktober 2012

Wulf Raeck Dirk Steuernagel

Vorwort

Peter Breunig (Frankfurt a. M) Bedeutsam oder peripher? Gedanken zur Periodisierung der Vorgeschichte Afrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Roberto Risch (Barcelona)Die Architektur der Arbeits- und Gesellschaftsteilung in den Höhensiedlungen der frühen Bronzezeit Südostspaniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rüdiger Krause (Frankfurt a. M.)Landsiedlungen, Rechteckhöfe und Höhenburgen. Siedlungsstrukturen und Siedlungshierarchien der älteren Eisenzeit im Nördlinger Ries (Baden-Württemberg, Bayern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jan-Waalke Meyer (Frankfurt a. M.)Zur Frage der Entstehung der „Runden Städte“ und der Anfang der geplanten Siedlungsweisein Nordostsyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michel al-Maqdissi (Damaskus)Materialen für die Stadtentwicklung in Syrien (zweiter Teil). Stadtplanung während der Zweiten Urbanen Revolution in Westsyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Svend Hansen, Meda Toderaş, Jürgen Wunderlich (Berlin/Bukarest/Frankfurt a. M.)Pietrele, Măgura Gorgana: Eine kupferzeitliche Siedlung an der Unteren Donau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jens Lüning (Köln)Zwei Gründergräber in der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Unterfranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Susanne Sievers (Frankfurt a. M.)Manching – ein Oppidum nach Plan? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wulf Raeck (Frankfurt a. M.)Plan und Überbau. Griechische Planstädte und ihre politische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dirk Steuernagel (Regensburg)Das Athenaheiligtum von Pergamon und das Verhältnis von Königtum und Polis im Hellenismus . . . . . . . . .

Alexander Heising (Freiburg i. Br.)Der Schiffslände-Burgus von Trebur-Astheim: Schicksal einer Kleinfestung in Spätantike und frühem Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Markus von Kaenel, Thomas Maurer, Albrecht Schlierer (Frankfurt a. M.)Wie das Gedachte das Gebaute verändert. Zur Umdeutung des Eiskellers der ehemaligen „Anstalt für Irre und Epileptische“ auf dem Areal des Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt a. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Vorgeschichtsforschung kann immer wieder mit erstaunlicher Genauigkeit die Geschichte von Gebäuden oder auch ganzen Siedlungen aufdecken. Nur selten aber gelingt es ihr, die einst dort lebenden Personen zu identifizieren und wenigstens einige ihrer Handlungen namhaft zu machen, obwohl diese Menschen in den oft vorhandenen, benachbarten Friedhöfen begraben sein müssen. Dank moderner biometrischer Verfahren kann man heute zwar tiefer in die persönliche Biographie der Bestatteten eindringen, über ihre historische Rolle und ihre Leistungen im ehemaligen „Gehäuse“ ihres Lebens aber meist nur Mutmaßungen anstellen. Für eine derar-tige „Personalisierung“ der Bau- und Siedlungsgeschichte liefert die ältestbandkeramische Siedlung Schwanfeld in Unterfranken einige schlaglichtartige Einblicke, denn zwei dort begrabene Personen markieren entscheidende historische Momente in der Dorfgeschichte: ein Mann um 5500 v. Chr. die Erstgründung mit Hinweisen auf das Gründungritual und, etwa 450 Jahre später, ein Junge eine Neugründung, einen kurzlebigen Versuch, sich dem Untergang der bandkeramischen Kultur entgegen zu stemmen.

Die ältestbandkeramische Siedlung liegt oberhalb des heutigen Dorfes Schwanfeld etwa mittig auf einem nach Osten auslaufenden Geländerücken (Taf. 11, 1)1. An seinem Fuß fließt im Norden in einem tief einge-schnittenen Tal von West nach Ost der Kembach, entlang dessen sich das moderne Dorf erstreckt, während im Süden des Rückens die seichtere Trockenrinne des Diemenstals ebenfalls nach Osten zum Kembach hin abfällt. Die steinzeitliche Siedlung wurde im Jahre 1970 beim Bau der Verbandsschule entdeckt und, soweit erhalten, in den Jahren 1979-1985 größtenteils ausgegraben. Die Grabung erfasste gut erhaltene Grundrisse von zehn ältest-bandkeramischen Häusern, die, nord-südlich ausgerichtet und parallel nebeneinander stehend, in zwei Reihen organisiert waren, den Hofplätzen 2 und 3 (Abb. 1). Nördlich davon lag ein weiterer Hausgrundriss (Nr. 3), der, anhand von bei der Entdeckung registrierten Gruben, als Rest einer weiteren Reihe aus ehemals fünf Häusern rekonstruiert werden kann (Hofplatz 1). Bei einer geomagnetischen Untersuchung des Umfeldes im Jahre 2002 kamen am Südrand der Gebäudegruppe drei Hausgrundrisse einer vierten, ehemals kürzeren Reihe zutage (Nr. 20-22), die noch im Boden ruhen (Hofplatz 4) (Lüning 2005a, 49-54).

Eine bei dieser Gelegenheit ebenfalls geomagnetisch entdeckte, dicht östlich benachbarte Kreispalisade er-wies sich bei kleinflächigen Nachgrabungen im Jahre 2003 als mittelneolithisch (Abb. 2). Zugleich fand man in diesem durch urnenfelder- und hallstattzeitliche Befunde stark überprägten Gelände Scherben der späten Bandkeramik und des Mittelneolithikums, die eine entsprechende Besiedlung bezeugen, die aber noch genauer ergraben werden muss (Lüning 2011, 57-59 Taf. 13-14). Die dortige spätbandkeramische „LBK-Siedlung B“ (Abb. 2) gehört ganz an das Ende der bandkeramischen Kultur (Lüning 2011, 58 f.).

Die ältestbandkeramische Siedlung bestand aus vier Hofplätzen mit 18 Häusern (Abb. 1). Die Keramika-nalyse ergab, dass die Hofplätze 2 und 3 gleichzeitig existierten und dass auf beiden Plätzen die dortigen je fünf Häuser nacheinander gebaut wurden; auf Platz 2 im „Wechselschrittschema“ und auf Platz 3 im „Wanderschritt“ (Abb. 3). Beim Wanderschritt baut der Sohn sein Haus jeweils neben das Haus des Vaters („Vaterprinzip“), beim Wechselschritt neben das Haus des Großvaters („Großvaterprinzip“). Diese beiden Typen der Hausabfol-ge existierten in der Bandkeramik großräumig und über lange Zeit nebeneinander und waren offenbar ein

1 Zusammenfassung eines Vortrages, der am 11.12.2009 im Institut für Archäologische Wissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt a. M. gehalten wurde. Der Vortrag beruhte auf der jetzt vorliegenden, ausführlichen Darstellung bei Lüning 2011.

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grundlegendes Ordnungsprinzip. Hinter dieser Ordnung und ihren später hinzutretenden Varianten muss eine entsprechende Sozialordnung gestanden haben, die als genealogisch bedingt und damit als Familienzusammen-hang gedeutet wird (Lüning 2005a, 54-61. 67). Sie weist damit, wie ethnologische Vergleiche lehren, typische Merkmale „frühagrarischer Dorfgesellschaften“ auf, die überregional in Klans und Lineages organisiert sind, die in den einzelnen Siedlungen durch die ihnen angehörenden „Familien“ vertreten werden (Müller 2010, 37 ff. 89. 96 f.). Allgemein war die familienrechtliche Struktur in bandkeramischer Zeit, wie physisch-anthropologische und ethnologische Argumente zeigen (Eisenhauer 2003a; dies. 2003b, 328) sowie archäologische Beobachtungen untermauern (Cladders 2001, 113 f.; Pavlů 2000, 283; Krahn 2003, 526 f.), patrilokal, patrilinear und mo-nogam (Lüning 2005a, 60 f.). Die Männer blieben entsprechend den patrilokalen Residenzregeln am Ort und waren damit Träger und Garanten der Familienkontinuität. Die Frauen kamen von außen (Exogamiegebot), heirateten in die Höfe hinein und wurden in die Familie des Mannes aufgenommen (Virilokalität)2. Aufgrund der Patrilinearität, also der Abstammungsordnung nach der väterlichen Linie, waren die Männer im Besitz der Erbrechte (Lüning 2012).

Eine Radiokarbon-Gruppendatierung ergab, dass die ältestbandkeramische Siedlung Schwanfeld rd. 150 Jahre lang existierte (5500-5350 calBC), jede Hausgeneration also 25-30 Jahre währte (Lüning 2005a, 61-63. 71 Abb. 13. 22). Die älteste Datierung (5484 calBC; Hd-14219: 6580±20 BP) lieferte das Skelett des mit 23-25 Jahren verstorbenen Mannes, der in rituell korrekter Haltung, Position und Ausstattung auf Hofplatz 3 unmit-telbar westlich von Haus 16 bestattet war (Abb. 1. 4. 5; Taf. 11, 2-3). Entgegen dem ersten Anschein gehörte er aber nicht zu Haus 16, sondern sein Grab war stratigraphisch älter als dessen westliche Längsgrube 704, also älter als die Errichtung dieses Hauses (siehe unten). Dieser komplizierte Befund und die weitere Geschichte der Siedlung seien hier in ihrem zeitlichen Ablauf zusammenfassend dargestellt.

2 Die Ursachen für die beschriebene Hausabfolge nach dem “Vaterprinzip” und dem “Großvaterprinzip” müssen noch genauer untersucht werden. Ethnologisch sind “Allianzen” zwischen Großeltern- und Enkelgeneration gegen die “Zwischengeneration” bekannt, und beide Gruppen wohnen sogar getrennt in verschiedenen Dorfhälften. Allerdings herrscht hier Matrilinearität und Virilokalität (Turner 1957, 76-81), und erstere hat es nach den obigen Untersuchungen in der Bandkeramik nicht gegeben.

Abb. 1. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Rekonstruierter Gesamtplan der Siedlung mit vier Hofplätzen, 18 Hausgrundrissen und den beiden Gräbern bei Haus 16 und 19 (Nach Lüning 2005a, 52 Abb. 4; ders. 2011, 13 Abb. 1). M. 1: 2000.

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Abb. 2. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Die ältestbandkeramische Siedlung A mit den ergrabenen Häusern 8-19 (Hofplätze 2 und 3), den geomagnetisch nachgewiesenen Häusern 20-22 (Hofplatz 4) und den beiden Gräbern eines Mannes und eines Kindes (Junge). Außerdem der ergänzte Hofplatz 1 mit dem ergrabenen Haus 3 und den 1970 geborgenen Gruben I-XI. Östlich daneben die durch Lese- und Grabungsfunde im Jahre 2003 entdeckte spätbandkeramische Siedlung B (gestrichelt)

und die geomagnetisch und durch Grabungen erschlossene mittelneolithische Kreispalisade. M. 1: 2000.

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Abb. 3. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Schematische Darstellung der Haus- und Hofabfolge auf den Hofplätzen 2 und 3. – Große Zahlen: Zeitliche Reihenfolge der Häuser (Baukörper schwarz, Längsgruben weiß) und ihrer Höfe (schraffiert). Kleine Zahlen: Nummern der Häuser. Beim Wanderschritt baute jeder Sohn sein Haus neben das Haus des Vaters (Vater-

prinzip), beim Wechselschritt, außer in der ersten Generation, neben das Haus des Großvaters (Großvaterprinzip).

Abb. 4. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Haus 16. Im Westen der Grubenkomplex 704, darin die Position des oberflächlich nicht sichtbaren, tiefer liegenden Männergrabes.

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1. Das „Jahr 1“ der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld (5500 v. Chr. ).

Im Jahre 1 (5484 v. Chr.3: „um 5500“ v. Chr.) wanderten drei oder vier Familien nach Schwanfeld ein4. Als früheste Baumaßnahme in der gesamten Siedlung hob man eine erstaunlich große und sonderbar „doppelbau-chig“ geformte Grube – bestehend aus einer „großen“ und einer „kleinen“ Grube – aus; sie maß 13 m Länge, bis 6 m Breite und im Mittel 2 m Tiefe (Abb. 5) 5. Ihre Datierung verdankt sie dem darin etwa 10 Jahre später angelegten Männergrab (s. u.), das seinerseits, wie erwähnt, das früheste Datum der Siedlung lieferte. Was mit dem Aushub der Grube geschah, ist unklar.

Es dürfte sich um die aus ethnologischen Beobachtungen in „frühagrarischen Dorfsiedlungen“ bekannte „Gründungsgrube“ des Dorfes handeln. Den Gründungsritus an der Grube vollzog der „Gearch“ („Erdherr“) – oder bei Auswanderern einer seiner Söhne –, ein Angehöriger des angesehensten, weil ältesten und für die Durchführung von Ritualien zuständigen Klans, der „Gründersippe“. Er war deren lokaler „Patriarch“ und legte in der Grube „zur Stärkung und Beständigkeit des künftigen Gemeinwesens fruchtbarkeits- beziehungsweise keimkrafthaltige Substanzen“ nieder. Die Gründungsgrube lag im Zentrum des zukünftigen Dorfes, auf dem Dorfplatz, der Agora, dem zentralen Versammlungs- und Festplatz; von dieser Grube aus wurde die äußere Grenze des Dorfes vermessen. An der Agora wohnten die Angehörigen der Gründersippe, und auf diesem Platz fand der Gründer später vielfach sein Grab (Müller 2008, 16 f. 25; ders. 2010, 86. 101 ff. 130 f. 195 f. 422 f.; Lüning 2011, 11 [Texte]).

In Schwanfeld kann man am Boden der doppelbauchigen Grube keine dinglichen Überreste eines „Grün-dungsopfers“ ausmachen und braucht sie angesichts der nach ethnologischem Vorbild nur flüchtigen Substanzen auch nicht zu erwarten. Nach dem Gründungsopfer müssen die vier Häuser der eingewanderten Familien gebaut worden sein. Auf Hofplatz 3 war es das Haus 19, das nach der Keramikseriation dort älteste Gebäude (Abb. 1. 6). Es liegt drei „Hausbreiten“ östlich der Gründungsgrube, und diese Positionierung setzt eine Vermessung voraus, denn nur so konnte es gelingen, dass die Westwand des späteren Hauses 16 so genau mit der Ostwand der Grün-dungsgrube zusammen fiel. Von dieser Ostwand aus muss also Hofplatz 3 als ost-westlich gerichteter Geländestrei-fen aufgemessen worden sein – er war in N-S-Richtung etwa 40 m breit –, und ebenso sollte die Gründungsgrube als Ausgangspunkt für die Einmessung der drei anderen Hofplätze gedient haben.

2. Das „Jahr 10“ und die „Jahre 10 – 75“

Schon nach einem ersten, nur 10-20 cm starken Kolluvium am Boden und an den Hängen der Gründungsgrube, für dessen Bildung etwa 10 Jahre veranschlagt werden können (Lüning 2011, 22), wurde darin der Mann be-stattet, und zwar in zwei Stufen (Abb. 5): Zunächst wurde am Boden der „Großen Grube“ – und das Kolluvium durchschneidend – die quadratische, 1 m tiefe „Nördliche Schachtgrube“ ausgehoben (Seitenlänge 1,60-1,80 m) und wohl sofort wieder verfüllt. Mitsamt der Erdverfüllung wurden vier große und fünf kleinere Fragmente von Mahlsteinen und einem Schleif-/Farbstein beigegeben, ebenso sieben Scherben, eine Silexklinge und ein Tierknochen sowie geringe Spuren von Holzkohle und Rotlehm (Lüning 2011, 22 f.). Dieses Inventar verweist auf ein „Totenopfer“, wie man es auch beim Kindergrab nachweisen, und dort, weil es ungestört blieb, in allen Einzelheiten gut verfolgen kann (siehe unten). Nur kurze Zeit später, einige Tage oder Wochen, wurde die nördliche Hälfte der Schachtgrube größtenteils abgegraben, als man dort die langovale, 1,40 m × 0,80 m große

3 Die korrekte Bezeichnung 5484 “calBC” wird hier und im Folgenden durch das anschaulichere “v. Chr.” ersetzt.4 Der noch nicht ausgegrabene Hofplatz 4 mit nur drei Häusern kann rechnerisch gleich zu Anfang in der ersten Hausgeneration oder

erst in der zweiten oder dritten gegründet worden sein. Im Folgenden wird eine Gründung gleich zu Siedlungsbeginn angenommen. Dafür spricht vielleicht, dass die drei Häuser in der östlichen Hälfte der Siedlung liegen, wo auch die Hofplätze 2 und 3 ihren Anfang nahmen, doch bleibt das spekulativ. Willkürlich ist auch die Annahme, dass es sich hier, im Unterschied zum „Wanderschritt“ von Hofplatz 3, wieder um einen „Wechselschritt“ gehandelt habe.

5 Vgl. Lüning 2011, 14. 28 f. – Länge und Breite sind rekonstruierte Maße an der neolithischen Oberfläche für die “Große” (760) und die “Kleine Grube” (762) gemeinsam. Auf die neolithische Oberfläche bezieht sich auch die Tiefenangabe, ein Mittelwert; maximal wurden an einer Stelle 3 m Tiefe erreicht.

104 Jens Lüning

Abb. 5. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Haus 16. Grubenkomplex 704. Gesamtplan mit Position der gezeichneten Profile und Benennung der Einzelbefunde. Dick umrandet die Gründungsgrube (Große Grube 760 und Kleine Grube 762).

M. 1: 100.

105Zwei Gründergräber in der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Unterfranken

und 80-90 cm tiefe Grabgrube für die Hockerbestattung des Mannes aushob. Dabei blieb die Bodenpartie der Schachtgrube unterhalb des Grabes vollständig erhalten (Abb. 5. 7; Taf. 12, 1).

Dem Mann waren eine Dechselklinge und sechs unbenutzte, querschneidige Pfeilspitzen beigegeben, letztere in einer Position, die einen ehemals umhüllenden Köcher sehr wahrscheinlich macht; auch ein Bogen dürfte nicht gefehlt haben (Taf. 11, 2-3). Hinter dem Nacken war rotes Pulver gestreut (5 × 5 cm), und als weitere „magische Beigaben“ können drei Scherben und ein kleiner Stein gedeutet werden. Auch in der Grabfüllung oberhalb des Skelettes lag eine Deponierung von drei Scherben und zwei Tierknochen (Lüning 2011, 23 ff.). Diese Ausstattung und die linke Hocklage bezeugen, dass hier eine reguläre und rituell korrekte Bestattung vorgenommen worden ist. Über dem Grab hat es wahrscheinlich einen kleinen Grabhügel gegeben, der zwar bei den Planierungen anläßlich des Baues von Hauses 16 weitgehend eingeebnet wurde, den man aber danach wieder hergestellt hat, wie die Grabungsprofile zeigen (Lüning 2011, 23 f. 25 Taf. 3. Farbtaf. 2d).

Gründungsgrube und Grab befinden sich auf Hofplatz 3, der dadurch eine Sonderstellung in der Siedlung einnimmt. Ethnologisch gesehen wohnte hier die Gründersippe und wurde hier der Dorfgründer begraben, der am Grab kultisch verehrt und dem dort Opfer dargebracht wurden, ein Ort, den man wohl am besten als „Gründer- und Heroengrab“ bezeichnet. Tatsächlich zeigt genau das der archäologische Befund. Denn nach der Bestattung fanden während der nächsten 40 Jahre bis zum Bau von Haus 16 in der Gründungsgrube immer wie-der Deponierungen von schweren Mahlsteinbruchstücken und von überdurchschnittlich vielen Tierknochen und größeren Keramikfragmenten statt. Die Mahlsteinniederlegungen erfolgten nur in mehrjährigem Abstand und waren offenbar besonders bedeutungsvolle Akte. Als mit dem Bau von Haus 16 auch profaner Siedlungsabfall hinzukam, gingen die Mahlsteindeponierungen weiter, beginnend mit einem entsprechenden Bauopfer anläßlich der Errichtung dieses Gebäudes und dann fortgesetzt mit sechs Fragmenten in den nächsten 25 Jahren seiner Nutzung (Lüning 2011, 16-21). Der erneuerte Grabhügel war sicherlich der Kristallisationspunkt des Kultes.

Der auf Hofplatz 3 bestattete Mann sollte, da an ihm das älteste Radiokarbondatum der Siedlung gemessen wurde, im frühesten Haus dieses Hofplatzes gewohnt haben, also in Haus 19, und er sollte nicht nur dieses ge-baut und damit den Hofplatz 3 begründet, sondern überhaupt das ganze Dorf gegründet haben; sein exklusiver Bestattungsplatz erlaubt, ethnologisch gesehen, keine andere Deutung. Beim Bau von Haus 19 lag die Grün-

Abb. 6. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Die allmähliche Überbauung der Gründungsgrube und des Männergrabes. Die Grube lag zunächst 30 m westlich von Haus 19, also abseits der unmittelbaren Siedlungsaktivitäten (rechtes Bild). In der nächsten Hausgeneration geriet sie bereits auf den Westhof von Haus 18 (mittleres Bild), und 25 Jahre später bildete sie einen Annex der westlichen Längsgrube von Haus 16 (linkes Bild). Die Hausruinen bestanden aus dem wallartig auf dem Estrich aufgehäuften Bauschutt des Hausstandortes und den etwa 1 m tiefen Restmulden der Längsgruben (vgl. Lüning

2011, 45 f. Taf. 17 b. c; Farbtaf. 2 f.).

106 Jens Lüning

dungsgrube noch 30 m westlich davon in freiem Gelände und bot mit ihrer Umgebung genügend Raum für die „Agora“, den „zentralen Versammlungs- und Festplatz“ (Abb. 6). Danach aber rückte die Bebauung näher. Dabei hatte die auf Hofplatz 3 lebende Familie offenbar einen unangefochtenen „Besitzanspruch“ auf Gründungsgrube und Grab, denn mit Haus 18 gerieten beide Gedenkorte schon auf den Westhof dieses Gebäudes. Und vollends integriert wurde der Kultort in der nächsten Generation, als man die westliche Palisadenwand von Haus 16 ent-lang der ehemals geraden Ostkante der Gründergrube errichtete und diese sicherlich schon verfallene Ostkante damit massiv erneuerte (Abb. 4. 5. 8). Der ganze Hausgrundriss wurde auf die Gründungsgrube ausgerichtet und dadurch das Haus demonstrativ in die ältere Verehrungsstätte integriert (Lüning 2011, 25-27. 29).

Der Mann war, wie D. Gronenborn (2003) wohl sehr richtig feststellte, mit Axt und Bogenwaffe als den Kennzeichen eines „Jäger/Kriegers“ bestattet worden, und hatte zu einem entsprechenden Männerbund gehört, wie es ähnliche Gräber andernorts nahelegen. Jäger sind, wie ethnologische Quellen lehren, wegen ihrer Mobilität und daraus resultierenden Landeskenntnisse vielfach Entdecker von günstigen Standorten für neue Siedlungen und gelten oftmals als deren Gründer (Gronenborn 2003, 45).

Auch in dieser Hinsicht passen die ethnologischen Beobachtungen zu den archäologischen, in diesem Falle den „biographischen“ Daten des Mannes. Aus Strontiumanalysen in Kombination mit archäologischen Fern-verbindungen (Jistebsko-Amphibolit, Baltischer Flint) geht hervor, dass der Mann in Nordostböhmen östlich von Prag geboren wurde, d. h. 400 km von Schwanfeld entfernt. Er kam dann in der späten Kindheit oder als Jugendlicher (7.-18. Jahr) nach Schwanfeld, lebte dort und starb ebenfalls dort mit 23-25 Jahren (Knipper/Price 2011). Den Gründungsakt hatte er, wie das erste Kolluvium in der Gründungsgrube zeigt, etwa 10 Jahre vorher vollzogen, also im Alter von etwa 15 Jahren. Das ist glaubhaft, denn einerseits war er als Angehöriger eines Ritualklans ohnehin zu den entsprechenden Ritualien berechtigt und verpflichtet, und andererseits hatte er in diesem Alter auch bereits die Initiation zum Erwachsenen erhalten (Müller 2010, 120 ff.). Daher dürfte er

Abb. 7. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Haus 16, Grubenkomplex 704, Längsprofil 7-8, Blick von Süd. Die Grabgrube schneidet von Norden in die „Nördliche Schachtgrube“ ein. Darüber ein Grabhügel (Schicht 7a) und darüber die schwarze

Verfüllung der Längsgrube 704 (Schicht 1). M. 1:20.

107Zwei Gründergräber in der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Unterfranken

auch die Siedler aus weiter Entfernung hierher geführt haben, wenn auch, wegen seiner Jugend, vielleicht nicht de facto, so doch wegen seiner Abkunft „de jure“. Möglicherweise hatten ältere Jäger schon mehrere Jahre vor der eigentlichen Siedlungsgründung den günstigen Schwanfelder Standort entdeckt. Bis das zur Kenntnis der weit entfernten ostböhmischen Muttersiedlung gelangte und es dort zum Auswanderungsentschluss kam und bis die nötigen „diplomatischen“ Abmachungen mit den Einheimischen am Main getroffen waren, muss einige Zeit vergangen sein, in der der Sohn des fernen Gearchen heranwuchs. Als er dann aber mit etwa 15 Jahren die Schwanfelder Siedlung begründete und dort zehn Jahre später verstarb, war es im Lichte der ethnologischen Quellen nur konsequent, dass er in der Gründungsgrube bestattet wurde. Dem Jäger-/Kriegerbund hatte er vermutlich schon bei seiner Ankunft angehört, jedenfalls aber unterstrich man beim Begräbnis mittels der entsprechenden „Bundesinsignien“ nachdrücklich seine Rolle als Dorfgründer.

Der besondere kultische Einfluss des verstorbenen Mannes auf das zukünftige Wohlergehen der Siedlung kommt auch im beschriebenen Totenopfer in der „nördlichen Schachtgrube“ zum Ausdruck, einer auffälligen Befundkategorie, die in Siedlungen bisher nur sehr selten registriert wurde. Die besten Vergleiche stammen vom Schwanfelder Kindergrab (siehe unten) und aus der bandkeramischen Siedlung Eilsleben, Bördekreis bei Magde-burg, dort im Erdwerksgraben der jüngstbandkeramischen Siedlungsphase (Kaufmann 2003, 195 ff. Abb. 1, 1. 2; Meller 2008, 114 f. [mit Rekonstruktion]; Lüning 2011, 36 [Beschreibung]). Auf Friedhöfen fehlen derartige Opfergruben anscheinend überhaupt (Nieszery 1995, 23 f. 87 f. 161 f.; Kahlke 2004, 68).

3. Die „Jahre 75 – 450“ (5425 – 5050 v. Chr.).

Die ältestbandkeramische Siedlung „Schwanfeld-Schule“ („SF 1“) bestand noch zwei weitere Hausgenerationen – auf Hofplatz 3 waren es die Häuser 15 und 14 (Abb. 1) – und wurde dann um 5350 v. Chr. verlassen. Nur 800 m entfernt, auf dem anderen Ufer des Kembachs, entstand eine neue, flombornzeitliche Siedlung, die, groß ausgedehnt, bis ans Ende der Bandkeramik fortdauerte („Schwanfeld-Wipfelder Straße“, „SF 2“) (Taf. 12, 2). Da es sich um einen Oberflächenfundplatz handelt, auf dem noch keine Grabungen stattgefunden haben, kann man über Art und Nähe des zeitlichen Anschlusses nichts sagen. Derartige Auflassungen ältestbandkeramischer Siedlun-gen zugunsten „anschließender“ Flomborn Siedlungen sind keine Seltenheit. Sie hängen wohl mit schon lange bekannten, aber bisher zu wenig beachteten, markanten Änderungen am Beginn der Flombornzeit zusammen, die in mehreren Kulturbereichen stattfanden, beispielsweise bei der Keramik (Magerung, bei den Gefäßformen und in

Abb. 8. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Die Rekonstruktion von Haus 11 zeigt, wie die im Außengraben zu ergänzende Palisadenwand am Innenrand der offenen Längsgrube steht. Sie dient im mittleren Hausbereich als Traufabstützung für das

tief herabgezogene Dach und beschert dem Haus als „Abseite“ innen einen zusätzlichen lang-schmalen Raum.

108 Jens Lüning

der Ornamentsymbolik), beim Hausbau (Auslaufen des ältestbandkeramischen Haustypus), bei den Silexgeräten und der Silexversorgung (Ende der spätmesolithischen Formen- und Techniktradition, im Westen Beginn des Rijkholtfeuersteins) sowie bei der Idolatrie (starke Abnahme bis Aufgabe der Figuralplastik, stattdessen geritzte und reliefierte Gesichtsornamentik auf Flaschenhälsen). Alle diese Änderungen gemeinsam sind wohl Ausdruck einer innerbandkeramischen „Revolution“ und Erneuerung6. Die Ursache könnte in der Auflösung der ältestbandkera-mischen Lineages und Klans liegen, die ihre „maximale Größe“ erreicht hatten, ein in der Ethnologie bekanntes Phänomen, das nach fünf bis sieben Generationen aufzutreten pflegt (Frirdich 2005, 106). Mit Flomborn organi-sierte sich die bandkeramische Gesellschaft in neuen Siedlungen neu. Allerdings behielt sie viele alte Traditionen bei, so in der Landwirtschaft und bei den Felsgesteingeräten. Nicht zuletzt blieb es bei der Siedlungsorganisation nach Hofplätzen, ein Ausdruck der grundsätzlich fortdauernden Sozialordnung nach Lineages und Klans. Neu gegründet wurden „nur“ neue Klans mit neuen Gründungsahnen, zweifellos vor dem Hintergrund gewandelter ide-ologischer Vorstellungen, wie die veränderte Idolatrie und Keramikornamentik nahelegen (Lüning 2005a, 63 ff.). Es ist daher gut vorstellbar, dass es die ältestbandkeramischen Bewohner von „Schwanfeld-Schule“ selbst waren, die auf die andere Kembachseite zogen und dort als „neue Menschen“ weiterlebten.

6 In der ältestbandkeramischen Siedlung Bruchenbrücken, Stadt Friedberg/Hessen (Wetterau), die schon in die Flombornzeit gehört, ist der plötzliche “Einbruch” der jüngeren Elemente in das altbandkeramische Milieu anschaulich abzulesen, vgl. Lüning 2009, 149 Abb. 12.

Abb. 9. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Haus 19. Grundrissrekonstruktion mit den Befunden im westlichen Grubenkom-plex 796/797/871 (vgl. Abb. 10). Ergänzt nach Stäuble 2005, Taf. 150. M. 1:200.

109Zwei Gründergräber in der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Unterfranken

Abb. 10. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Haus 19. Rekonstruktion des Gebäudequerschnittes in drei Phasen. – a: Aufbau. – b: Verfall nach der Auflassung. – c: Zustand bei der Bestattung des Kindes. M. 1: 100.

Dafür spricht, dass die Verehrung des ältestbandkeramischen Dorfgründers an seinem Grabe auch vom neuen Dorf aus fortgesetzt worden sein muss. Zwar fehlen im alten Dorf direkte Beweise für spätere Opferga-ben, weil sie mitsamt den oberen Verfüllungsschichten der Längsgruben durch die spätere Bodenerosion zerstört wurden (s. u.). In überraschender Weise enthüllt jedoch ein direkter Beweis ganz anderer Art, dass man über Jahrhunderte sogar genau im Gedächtnis behielt, an welcher Stelle im Ruinengelände das Haus des Dorfgründers gestanden hatte, so dass nicht zu bezweifeln ist, dass man seiner zu gedenken auch am Grabe nie vergaß. Denn in der westlichen Längsgrube von Haus 19, in dem der Dorfgründer gelebt hatte, wurde kurz vor dem Ende der Bandkeramik um 5050 v. Chr. ein etwa sechsjähriger Junge bestattet (Abb. 9). Sein Grab durchschnitt die Verfüllung des Außengrabens und ist damit stratigraphisch jünger als das Haus (Taf. 13a)7. Dem entspricht auch die Radiokarbondatierung des Skelettes, die es erlaubt, die Bestattung mit einer kleinen, nur 80 m entfernten, spätestbandkeramischen Neubesiedlung des Geländes in Verbindung zu bringen, der „Spät-LBK-Siedlung B“ (Abb. 2) (Lüning 2011, 30 ff.). Auf der Fläche dieser neuen Siedlung, die bisher nur durch Lesefunde und durch in bronze- und eisenzeitlichen Gruben eingelagerte Scherben bekannt ist, kann man zwei Hofplätze rekonstruie-ren, die zwei bis drei Hausgenerationen andauerten. Sie dürften von den Bewohnern der Großsiedlung auf der anderen Seite des Kembachs („Schwanfeld-Wipfelder Straße“) gegründet worden sein (Taf. 12, 2), weil aufgrund der Keramikverzierung auch diese Großsiedlung bis ans Ende der Spätzeit existierte. Zu den Motiven für die „Rückkehr zu den Ahnen“ gibt das Kindergrab eine Antwort.

Was war nach über 300 Jahren von der verlassenen ältestbandkeramischen Siedlung „Schwanfeld-Schule“ um 5050 v. Chr. noch zu sehen? Wie eine Rekonstruktion der Verfüllungs- und Abtragungsgeschichte von Haus 19 ergibt (Abb. 10), erstreckten sich dort, vermutlich unter Waldbedeckung, die 18 Hausreste als 20-30 m lange, 8 m breite und etwa 1 m hohe Erddämme, die aus ehemaligen Aufschüttungen und Fußbodenestrichen sowie dem Lehmmaterial der Wände bestanden. Sie wurden von den etwa 1 m tiefen Restmulden der ehemaligen Längsgru-

7 Ausführliche Darstellung dieser Überschneidung bei Lüning 2011, 37 Taf. 10.

110 Jens Lüning

ben begleitet, was einen Höhenunterschied von 2 m ausmacht (Abb. 11) (Lüning 2011, 32 f. 38 ff. 45 f. Abb. 7-8 Taf. 17. Farbtaf. 2). Diese Überreste wären wohl heute noch sichtbar, hätte nicht die seitherige Bodenerosion das Gelände bis 1,50 m unter der damaligen Oberfläche abgetragen. Die Spätbandkeramiker konnten also ohne Schwierigkeiten in dem durch die Tradition offenbar stets bekannten Haus des Dorfgründers die rituell erfor-derliche Position für den verstorbenen Jungen in der ehemaligen westlichen Längsgrube ausmachen (Abb. 10c).

Das Kind war in rituell korrekter Hocklage auf seiner linken Seite mit dem Kopf im Osten niedergelegt und mit Beigaben ausgestattet worden. Letztere sind eine steinerne und zwei knöcherne Perlen als Reste einer ehemaligen Kette. Als „magische Beigabe“ lag ein kleines Mahlsteinfragment auf seinem Hals (Taf. 13) (Lüning 2011, 30 ff.). Laut Strontiumuntersuchung ist das Kind in Schwanfeld geboren worden und gestorben (Knipper/Price 2011).

In Haltung und Orientierung gleicht die Bestattung des Jungen in allen Einzelheiten derjenigen des Mannes, doch braucht das nicht zu verwundern, handelt es sich doch um Kennzeichen des üblichen bandkeramischen Bestat-tungsrituals auf den Gräberfeldern. Es ist jedoch wichtig, dass man dieses Ritual für beide Toten überhaupt prakti-zierte, ihre Bestattung also ausdrücklich dem normalen Begräbnis gleichstellte, gab es doch auch viele andere Arten des Umgangs mit menschlichen Skeletten in „Siedlungsbestattungen“ (Veit 1996). Was dieses Grab jedoch über alle anderen Kinderbestattungen heraushebt, ist – abgesehen von der Position im ehemaligen Haus des Dorfgründers – die Ausstattung mit einem eigenen Totenopfer. Dieses liegt dicht beim Grab in derselben verfallenen Längsgrube von Haus 19, hier als „Opfergrube 871“ bezeichnet (Abb. 9). Totenopfer sind, mit Ausnahme des erwähnten Befundes in Eilsleben, bisher nur in Schwanfeld nachweisbar, wahrscheinlich eine Forschungslücke, weil Siedlungsbestattun-gen nur sehr selten gründlich untersucht werden konnten (Veit 1996, 173. 176. 357; Lüning 2011, 13). Für eine Deutung des Kindergrabes bleibt also einstweilen nur das Vorbild des Männergrabes mit seinem Totenopfer in der „Nördlichen Schachtgrube (Abb. 5. 7; Taf. 12, 1)8. Da nun der Mann ein Dorfgründer war, könnte das Totenopfer wegen seiner relativen Seltenheit mit genau dieser – ebenfalls ja nur selten aktivierten – Funktion der Dorfgründung verbunden gewesen sein, gewissermaßen als „Grundstein“ für eine lange, zukünftige Opfertätigkeit an seinem Grabe. Auf den Schwanfelder Jungen übertragen, hätte daher dieser die „Spät-LBK-Siedlung B“ gegründet, im Auftrage und als Abgesandter des Gearchen in der Großsiedlung „Schwanfeld-Wipfelder Straße“.

Die westliche Längsgrube von Haus 19, die einstmals entlang dem gesamten Gebäude verlief (vgl. Abb. 8), ist nur noch in ihrem mittleren Abschnitt erhalten und hier durch eine Unebenheit ihrer Unterkante in die beiden Teilgruben 796/797 und 871 aufgelöst; in letztere war die Opfergrube eingetieft (Abb. 9)9. Kindergrab und Opfer-grube wurden – 1,20 m voneinander entfernt – in der damals im Planum wohl noch kaum erodierten, aber bereits von den Wänden her verfallenen und nur noch etwa 1 m tiefen Längsgrube ausgehoben10. Das Grab durchschnitt die Unterkante der Längsgrube und des Außengrabens (Taf. 13a), dagegen endete die in Teilgrube 871 eingegrabene Opfergrube bereits 25 cm über deren Sohle. Sie fiel den Ausgräbern im obersten Planum durch eine etwa 70 cm lange, unregelmäßig-rechteckige Steinsetzung aus Mahlsteinbruchstücken auf (Taf. 14, 1) und wurde routinemäßig in 10 cm starken Straten und in Viertelquadranten ausgegraben (Lüning 2011, 35 f. 50 f. Farbtaf. 10).

Aus der Opfergrube stammen 83 Objekte, insbesondere 29 Scherben von 8 Gefäßen und 33 Bruchstücke von 5 Mahlsteinen, die sich auf die Oberfläche von Stratum a (Kellenplanum/Planum Null) und auf die darunter folgenden Straten a und b verteilen, also auf 25 cm Tiefe11. Danach lässt sich der Opfervorgang folgendermaßen rekonstruieren (Taf. 14, 2):

1. Aushebung der 75 cm tiefen Opfergrube in der Restmulde der verfallenen westlichen Längsgrube von Haus 19, in deren noch etwa 1 m tiefen Abschnitt 871.

8 Es gibt Unterschiede: Im Schwanfelder Männergrab liegen die Opfergaben in einer Grube unterhalb des Grabes, in Eilsleben innerhalb der Grabgrube oberhalb des Skelettes und beim Kindergrab in einer separaten Grube neben dem Grab.

9 Maße von Grube 871 im Grabungsplanum: Länge 1,80 m, Breite 0,90 m, Tiefe 0,54 m. Maße der Opfergrube: Länge 1,20 m, Breite 45 cm, Tiefe bis 25 cm.

10 Die bei Lüning 2011, Farbtaf. 2f mit 1,50 m rekonstruierte Tiefe der Längsgrube 704 von Haus 16 “im Jahre 75-100” (in Farbtaf. 2f = „Jahr 100“) dürfte bis zum Ende der Bandkeramik noch um einige Dezimeter abgenommen haben, die bei Haus 19 im Jahre 5050 v. Chr. mit 50 cm geschätzt werden (Abb. 10c) (a. O. 42, Taf. 17c). Das Grabungsplanum befindet sich allgemein 1,50 m unter der bandkeramischen Oberfläche (a. O. Farbtaf. 2f ), so dass zu den ab Grabungsplanum gemessen Befundtiefen noch 0,50 m hinzugerechnet werden müssen, um auf den Zustand um 5050 v. Chr. zu kommen. Das noch 0,60 m tief erhaltene Kindergrab war also ursprünglich 1,10 m tief (vgl. a. O. Taf. 11 und Farbtaf. 8a), Grube 871 maß 1,04 m und die Opfergrube 0,75 m Tiefe. Diese rekonstruierten Maßangaben unterscheiden sich nur geringfügig von den bei Lüning 2011, 51 angegebenen Werten.

11 Genaue Aufzählung bei Lüning 2011, 52 Tabelle 2. – Auf Taf. 14, 2 wird – von unten nach oben – Stratum b als „Stratum 1“ bezeichnet, Stratum a als „Stratum 2“ und das Kellenplanum als „Stratum 3“.

111Zwei Gründergräber in der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Unterfranken

2. Trank- und Speiseopfer mit einer mindestens 300 Jahre alten, ältestbandkeramischen Opferschale (Taf. 15, 1, 1. 2)12. Sie ist mit Getreidespelzen gemagert, eine Technik, die um 5300 v. Chr. endete. Schalen sind in vielen Kulturen typische Geräte für diese Form des Totenopfers.Aus ethnologischer Sicht könnte die bei der Opferung bereits „uralte“ Schale aus dem „Thesaurus der Gruppe“ stammen, der in „Männerhäusern“ oder „Heiligtümern“ oder auch im Hause („Residenz“) des Gearchen aufbewahrt wurde und „Reliquien wie Knochen, Unterkiefer und Schädel des Gründers und anderer großer Ahnen, Trachtstücke und Gebrauchsgüter aus ihrem Besitz, Trophäen und Beutestücke, Idole, Masken, Opfermesser, Musikinstrumente (Schwirrhölzer, Flöten, Trommeln) und sonstiges Kultgerät ...“ enthielt. Zu den altüberlieferten Kulturgütern gehörten „Mythen und liturgische Texte, Trinkschalen, Feuerzeuge, Waffen und Musikinstrumente ...“ (Müller 2010, 131. 306).3. Zerbrechen dieser Schale und Niedersetzen einer Hälfte (in aufrechter Stellung) und anpassender Scher-ben auf dem Boden der Opfergrube („Schale 1“ in Taf. 14, 2)13. Zugleich Zerschlagung von 5 Unterliegern

12 Von der Schale wurden ¾ ihrer Wandung in der Grube gefunden wurden: 13 Scherben, die zu einer unzerbrochenen Gefäßhälfte und zu zwei je 1/6-Gefäßteilen gehören; alle drei Großfragmente passen am Gefäßboden aneinander.

13 In der musealen Rekonstruktion Abb. 19 wird der Grabungsbefund in der Grubenhöhlung mit den drei ergrabenen Straten dargestellt: Zuunterst das 10 cm starke Stratum 1 (z. B. „Schale 1“), darüber das ebenfalls 10 cm starke Stratum 2 (z. B. „Schale 2“), darüber das „Kellenplanum“, in dem die obersten Funde auftauchten (vgl. Taf. 14, 1) = „Planum Null“, hier als „Stratum 3“ bezeichnet (z. B. „Schale 3“). Da die Funde nur nach Straten und Grubenquadranten registriert, also nicht einzeln eingemessen wurden, ist ihre punktgenaue Position nicht bekannt. In der Rekonstruktion sind sie, mit didaktischer Absicht, nach Objekten bzw. Fundgattungen angeordnet und zur besseren Übersicht auch nur in Auswahl ausgestellt worden.

Abb. 11. Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Die aufgelassene ältestbandkeramische Siedlung um 4800 v. Chr. mit dem Männer-grab, dem gegen Ende der Bandkeramik bestatteten Kind und der Neubesiedlung durch die Großgartacher Kultur. M. 1: 1000.

112 Jens Lüning

von Getreidemahlsteinen und Niederlegung von dabei entstandenen, kleinen Bruchstücken/Trümmern („Trü. 1“). Außerdem 1 Dechselbruchstück und 1 verbrannter Tierknochen.4. Bedeckung mit 10 cm Erde (Stratum 1) und – bei andauerndem Einstreuen von Erde (Stratum 2) – Nieder-legung von 6 weiteren Scherben der Opferschale („Schale 2“); 3 davon passen zu einem 1/6-Gefäßteil zusammen.Außerdem wurden niedergelegt: 3 Scherben von 3 weiteren ältestbandkeramischen Gefäßen („ÄGef. 2“), 8 Trümmer der 5 Mahlsteine („Trü. 2“), 8 Feuersteinabschläge („Feu 2“), 4 kleine Dechselbruchstücke aus Jistebsko-Amphibolit („Dech. 2“). Dazu 1 kleiner Farbstein (Rötel) und 3 kleine, verbrannte Knochen.Die 3 Einzelscherben „ÄGef. 2“ (und 2 weitere von „ÄGef. 3“, siehe unten) sowie vielleicht auch einige andere Gegenstände könnten beim Ausheben der Grabgrube angetroffen und als „Altertümer“ wieder „begraben“ worden sein. Sie können nur aus der fundreichen Längsgrube 796 stammen, denn der Längsgrubenabschnitt 871 enthielt keine Funde (Lüning 2011, 35. 37 f. 50 f. Farbtaf. 7).5. Unter fortwährendem Einstreuen von Erde (Stratum 3) Niederlegung eines weiteren Sechstels der Opfer-schale („Schale 3“), womit sich ¾ des Gefäßes in der Grube befanden. Außerdem wurden deponiert: 2 Scher-ben zweier weiterer ältestbandkeramischer Gefäße („ÄGef. 3“), 2 Scherben von 2 unverzierten Gefäßen der mittleren bis späten Bandkeramik („JüGef. 3“): die größere, dünnwandige ist eine weitere Schale, die wohl zu einem zweiten, abschließenden Opfer diente (s. Taf. 15, 1. 3-4), die kleinere stammt von einem mittel-starken, anorganisch gemagerten Gefäß, 2 Feuersteinklingen („Feu. 3“), 1 Dechselbruchstück („Dech. 3“) sowie zuletzt am Grubenrand 5 große Endbruchstücke von Mahlsteinunterliegern (4 × Arbeitsfläche nach unten, 1 × nach oben)14 („Mahl. 3“) und 11 zugehörige Trümmer („Trü. 3“).6. Die 5 großen Mahlsteinbruchstücke wirken wie ein abschließender „Deckel“, der das Ende des Opfers symbolisiert (Taf. 14, 1); in gleicher Weise geschieht das in Eilsleben (siehe oben). Danach Zufüllung des noch offenen, noch 0,50 m tiefen Schachtes der Opfergrube und vermutlich Errichtung einer Markierung in der Längsgrube. Es handelt sich um einen durchgehenden Deponierungsakt in nur kurzer Zeit, wie die schrittweise und kon-

tinuierliche Niederlegung von Bruchstücken der ältestbandkeramischen Schale und der fünf Mahlsteinfragmente zeigt, die sicherlich von „liturgischen Texten“ und Riten begleitet wurde. Im archäologischen Sinne ist es ein „ge-schlossener Fund“. Bei diesem sind die jüngsten Stücke datierend, d. h. die Reste der beiden jüngerbandkerami-schen Gefäße „JüGef. 3“, die in die späteste Bandkeramik passen, und von denen eines von einer Schale stammt, die vermutlich zur abschließenden Libation gedient hat (Taf. 15, 1. 3-4). Das ethnographisch weithin bekannte Zerstören von Gegenständen anläßlich von Todesfällen und Bestattungen geschieht hier eindrucksvoll durch das Zerbrechen der ersten und letzten Schale und das Zertrümmern der Mahlsteine. Von letzteren fehlt der größere Teil ihrer Bruchstücke, der vermutlich anderswo in der Siedlung aufbewahrt und bei anderen Gelegenheiten geopfert wurden, wie die Geschichte von Haus 16 zeigt (Lüning 2011, 16 ff. 22 f. 26 ff. Farbtaf. 2-4). Der kultische Aspekt von Mahlsteindeponierungen gerät zunehmend in den Blick der Forschung (Lüning 2011, 35 f.)15, und es gehört ohne Zweifel in diesen Zusammenhang, dass dem Kind ein kleines Mahlsteinfragment auf den Hals gelegt wur-de, symbolträchtig mit der Arbeitsfläche nach unten (Taf. 13a)16. In Gräberfeldern sind den Toten nicht selten Mahlsteinbruchstücke beigegeben worden, oft im Kopfbereich und unter dem Kopf, aber anscheinend fehlt ein direkter Vergleich für die Position beim Kind (Wilhelm-Schramm 2009, 45. 108 f.).

Die Verwendung der „altertümliche[n]“ ältestbandkeramischen Schale beim Totenopfer für das Kind, die als „archaische“ Form „höchste Anciennität“ und „in der Regel sakrale Bedeutung“ besitzt (Müller 2010, 141), unterstreicht erneut, dass hier eine außergewöhnliche Persönlichkeit bestattet wurde. Das Begräbnis dieses „jün-geren Dorfgründers“ ist aber auch insofern erstaunlich, als er eigentlich in seiner eigenen Siedlung hätte bestattet werden müssen, in der „Spät-LBK-Siedlung B“ (Abb. 2). Dass dieses nicht geschah, verweist auf außerordentliche Umstände. Eigentlich kann nur eine Notsituation die Bestattungsgemeinschaft veranlaßt haben, einen derarti-gen Traditionsbruch zu begehen und den „amtierenden“ Dorfgründer in einen so unmittelbaren Kontakt mit seinem sagenhaften, eher schon mythischen und jedenfalls mächtigen Urahnen treten zu lassen. Der jüngere

14 Korrektur von Lüning 2011,51.15 Sehr früh schon hat sich Janos Makkay mit Mahlsteinen und ihrer Rolle beim „rituale(n) Mahlen in den prähistorischen Opferzeremonien“

beschäftigt und vermutet, dass die zunächst profanen Geräte nach der Zeremonie „aus ritualen Gründen zerbrochen, oder auch unversehrt, zusammen mit der Opferspeise und mit dem Opfertrank in die Grube geworfen“ wurden. Makkay meint mit letzterer die „Opfergrube“ und insgesamt liefert er einen bedenkenswerten Beitrag zu Opfervorgängen, vgl. Makkay 1978, 19. 21 ff. 31 f.

16 Leider ist das Stück z. Zt. nicht zugänglich. Es wäre wichtig zu wissen, ob es auch zu den 5 Mahlsteinen der Opfergrube gehörte.

113Zwei Gründergräber in der ältestbandkeramischen Siedlung Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt, Unterfranken

Dorfgründer ließ sich gleichsam auf Dauer an dessen Haus nieder, um ihn zu beschwören, auf Dauer für das Wohlergehen der neuen Gemeinschaft zu sorgen. Die Bestattungsgemeinschaft erwartete für diese Gabe eine Gegengabe, so dass man die Grablegung des Jungen durchaus auch als ein „Opfer“ bezeichnen darf, eine Opfer-gabe in der krisenhaften Endzeit der bandkeramischen Kultur (Lüning 2011, 47).

Das Totenopfer und die Bestattung des Jungen wurden sicherlich von einem seiner Verwandten, also ebenfalls einem Angehörigen des für Ritualien zuständigen Gründerklans („Gründersippe“), durchgeführt. Unter dessen „sakralen Diensten“ ragten „Fruchtbarkeitsförderungs- und agrarische Initialriten, wie die Eröffnung der Feld-bau- und Erntesaison, die Erd- und Ahnenverehrung“ hervor. Vor allem den Gearchen „oblag die Durchführung der zentralen Rituale und des kommunalen Ahnen- und Erddienstes“, sie waren die „obersten Priester[s] der Erde“ (Müller 2010, 101 f. 309). Daher ist es gerechtfertigt, den Schwanfelder Dorfgründern auch die Funktion von „Ahnenpriestern“ zuschreiben, eine Funktion, die mit den bandkeramischen Tonfiguren („Idolen“) in Ver-bindung gebracht werden kann, was an anderer Stelle ausführlicher dargestellt ist, jedenfalls aber eine Rekon-struktion ihrer rituellen Haltung und Kleidung ermöglicht (Taf. 15, 2) (Lüning 2005b, 206-284; ders. 2006).

4. Ein Nachleben nach 700 Jahren, um 4800 v. Chr.?

Die ältestbandkeramischen Hausruinen waren auch nach weiteren 250 Jahren noch sichtbar, wie die Disposition der Großgartacher Häuser zeigt, die um 4800 v. Chr. genau zwischen die bandkeramischen „Grundrisse“ gestellt wurden (Abb. 11)17. Das geschah offensichtlich mit der Absicht, sie auf ungestörtem Boden zu errichten und daher in voller Kenntnis der Tatsache, dass man hier mitten in einer Ortswüstung baute. Vielleicht steckte hinter dieser Wiederverwendung des wegen seiner Unebenheiten sicherlich unzweckmäßigen und hinderlichen Baugeländes aber auch mehr, beispielsweise eine demonstrative „politisch-historische“ Anknüpfung an das „schlafende Dorf“18 oder die Vorstellung, man könne sich auf diese Weise des Schutzes der ehemals hier wirkenden, sagenhaften Ahnen oder ihrer „Hilfs- und Schutzgenien“ versichern (Müller 2010, 314 ff.). Insgesamt aber ist es angesichts des starken kulturellen Umbruchs, der mit dem beginnenden Mittelneolithikum einherging, eher unwahrscheinlich, dass in der (Spät-)Großgartacher Siedlung noch wesentliche Anknüpfungspunkte an die bandkeramische Kulttradition bestanden haben. Das Großgartacher Kultzentrum jedenfalls, die Kreispalisadenanlage, wurde außerhalb des äl-testbandkeramischen Siedlungsgrundes errichtet, auf der seinerzeitigen Feldflur (Abb. 2). Andererseits überschnitt es sich dort teilweise mit der „Spätbandkeramischen Siedlung B“, alles in einem großen, noch nicht ausgegrabenen Bereich (Taf. 16, 1-2)19. Die Frage, ob hier eine profane oder eine „ideologische“ Überbauung der beiden bandkera-mischen Wüstungen geschah, kann daher erst nach weiteren archäologischen Untersuchungen beantwortet werden.

17 Datierung nach Eisenhauer 2002, 96 Abb. 3.3 (Chronologietabelle). Entgegen Lüning 2011, 33. 46 kann die Datierung in Schwanfeld auf “Spät-Großgartach” eingeengt werden, also nach Eisenhauer “um 4800 BC”; vgl. dazu die Keramikdatierung bei Lüning a. O. 59 Anm. 160.

18 So die aufschlussreiche Bezeichnung von “Wüstungen” am Kongo, vgl. Eggert 1980, 408 Anm. 61. 19 Dieser müsste Siedlungs- bzw. Hausreste der späten Bandkeramik und wohl des gesamten Mittelneolithikums enthalten, aus

dem Scherben folgender Perioden vorliegen: Stichbandkeramik, Hinkelstein, Großgartach, Planig-Friedberg, Rössen, Bíschheim, Münchshöfen, vgl. Lüning 2011, 59.

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Tafel 11Beitrag Lüning

1

2 3

Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. 1 Blick von Südosten auf den Geländerücken mit der ältestbandkeramischen Siedlung. Ihr Nordrand wurde von den Flachbauten der 1970 errichteten Verbandsschule zerstört. Nördlich davon entlang des Kembachs das heutige Dorf. – 2 Haus 16. Grubenkomplex 704. Der „Jäger/Krieger“ von Schwanfeld. Links Grabungsbefund, rechts eine Rekonstruktion von D. Gronenborn 1997, 42 Abb. 2. 21 (korrigiert nach Lüning 2011, 24 Anm. 53). – 3 Haus 16. Grubenkomplex 704. Der „Jäger/Krieger“ von Schwanfeld. Rekonstruktion im „Bandkeramik-Museum Schwanfeld.

Steinzeitbauern vor 7.500 Jahren in Franken“.

Tafel 12 Beitrag Lüning

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Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. 1 Haus 16, Grubenkomplex 704, Längsprofil 7-8, Blick von Süd. Das Grab (helle Verfül-lung) überschneidet im Profil und im Planum die Schachtgrube (dunkle Verfüllung). Vgl. Abb. 10. – 2 Das bandkeramische Siedlungsgelände „Schwanfeld-Schule“ (SF 1) mit dem ältestbandkeramischen Dorf SF 1A und dem spätestbandkera-mischen Dörfchen SF 1B. Auf dem anderen Kembachufer die 800 m von SF 1A entfernte, durch Lesefunde bekannte Siedlungsfläche „Schwanfeld-Wipfelder Straße“, die in die mittlere und späte Bandkeramik gehört (Stufe Flomborn bis

jüngste Bandkeramik).

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Tafel 13Beitrag Lüning

Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. Haus 19. Im Bereich von Schädel und Schultern durchschneidet das Kindergrab den Außengraben. a Lage der Beigaben (Mahlsteinbruchstück und Steinperle), die übrigen Funde gehören nicht zu den Grab-beigaben; b Steinperle (nach Gronenborn 1997, 44. 218 Taf. 10, 1. 5), Rohmaterial nicht feststellbar; c Endglied eines Fingers des Kindes (vorher irrtümlich als Bruchstück eines Knochenpfriems gedeutet); d-e Zwei Knochenperlen, Lage im

Grab unbekannt. M. von b-d 2: 1.

Tafel 14 Beitrag Lüning

Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. 1 Haus 19, westlicher Längsgrubenabschnitt 871 mit darin eingetiefter Opfergrube (s. Abb. 9). Oberstes Planum (Kellenplanum, Planum Null) mit fünf großen Mahlsteinbruchstücken und weiteren Funden.– 2 Rekonstruktion des Totenopfers für das Kind von Schwanfeld in Längsgrubenabschnitt 871 von Haus 19 (s. Abb. 9). Die Rekonstruktion ist im „Bandkeramik-Museum Schwanfeld. Steinzeitbauern vor 7500 Jahren in Franken“ ausgestellt. Beschreibung s. Text. Die Nummerierung bedeutet beispielsweise bei „Schale 1“ (oder 2 oder 3): Bruchstücke der ältest-

bandkeramischen Schale in den drei Straten 1 oder 2 oder 3 (v. u. n. o.) (s. Taf. 15, 1).

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Tafel 15Beitrag Lüning

Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. 1 Zwei Schalen aus der Opfergrube 871 (s. Taf. 14, 2). – 1. 2 Ältestbandkeramische Scha-le (Durchmesser 17 cm). Im Foto sind die Schalenhälfte, die aufrecht auf dem Boden der Opfergrube stand (Taf. 14, 2 „Schale 1“), und ein „1/6-Fragment“ zusammengefügt, das 20 cm darüber zwischen den fünf großen Mahlsteinfragmenten im Kellenplanum (Planum Null) lag (Taf. 14, 2 „Schale 3“). – 3. 4 Mittel- bis spätbandkeramische Schale (Durchmesser 13-26 cm) aus Planum Null („JüGef. 3“, Taf. 14, 2 rechts oben). – 2 Lebensgroße Rekonstruktion von drei thronenden, bandkeramischen Ahnenpriestern im „Bandkeramik-Museum Schwanfeld. Steinzeitbauern vor 7500 Jahren in Franken“. Dargestellt sind der Mann und der Junge von Schwanfeld und eine reich ausgestattete, mehr als 60jährige Frau aus Grab

32 im Gräberfeld von Aiterhofen, Ldkr. Straubing-Bogen (Nieszery 1995).

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Tafel 16 Beitrag Lüning

Schwanfeld, Ldkr. Schweinfurt. 1 Luftaufnahme einer Nachgrabung im Jahre 2003. Blick von Süden auf den schmalen Graben der Kreispalisade in den Flächen 1-3 (vgl. Abb. 3 und Lüning 2011, 57 ff.). – 2 Luftaufnahme einer Nachgrabung im Jahre 2003. Blick von Osten über Kirche und Schule auf die Grabung. Dicht südöstlich der Kirche befindet sich in einer umgebauten Scheune das „Bandkeramik-Museum Schwanfeld. Steinzeitbauern vor 7500 Jahren in Franken“ (rotes

Dach mit Pfeil).