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- 1 - Krafft-Nr.651 Klaus Manger / Hans-Peter Klöcking (Hrsgg.): Symbiosen – Wissenschaftliche Wechselwir- kungen zu gegenseritigem Vorteil. Ferstschrift für Werner Köhler. (Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Band 39) Erfurt: Akademie gemeinnüt- ziger Wissenschaften 2009, S. 231–251: Fritz Krafft (Weimar, Lahn) Goethe zwischen Neptun und Vulkan Nachdem das ‚Goethe-Fieber‘ zum Jubiläumsjahr unseres großen Geistes-Heroen abgeklungen ist, kann man auch wieder mit seinem ja nicht immer konform gehenden naturwissenschaftlichen Denken Aufmerksamkeit erhoffen. Dieses soll hier in einem kleinen Ausschnitt vor dem Hintergrund der Wissenschaften seiner Zeit dargelegt wer- den. Anders als es heute oft geschieht, wird dabei nicht der unbestritten große Natur- wissenschaftler Goethe von dem ja noch größeren Dichter Goethe getrennt; vielmehr wird von der Verwendung eines zeitgenössischen wissenschaftlichen Problems in seiner Dichtung die Rede sein – eines Problems, das ihn seit seinem Auftreten in den 1780er Jahren über Jahrzehnte bis ins hohe Alter begleitete, bis ins Alter des Dichters von Faust II, und dies konnte, weil es immer noch nicht endgültig gelöst war. Es ist die Frage nach dem Entstehen der Formen der Erdoberfläche, der Gebirge und vor allem des Basalts: »Goethe zwischen Neptun und Vulkan«, zwischen den grie- chisch-römischen Göttern Neptunus und Vulcanus, also zwischen der neptunistischen Deutung der Gesteins- und Basalt-Bildung aus dem Wasser und der vulkanistischen Deutung ihrer Bildung aus dem Feuer. Ausgangspunkt bildet eine Passage aus der anderthalb tausend Verse umfassenden ‚Klassischen Walpurgisnacht‘ in Faust II, das heißt, im Gegensatz zur Walpurgisnacht auf dem deutschen Brocken in Faust I, der griechischen der thessalischen Hexen in klassischer Zeit. In dieses Alterswerk hat Goethe das gelehrte Wissen seiner Zeit in vielfältiger Form einfließen lassen; und zu dem gelehrten gehörte für ihn auch stets das naturhisto- rische und naturwissenschaftliche Wissen. Er ist naturwissenschaftlichen Fragestel- lungen ja auch selber nachgegangen, kannte sich in den Naturwissenschaften seiner Zeit aus und hat neben der Farbenlehre und Morphologie der Pflanzen insbesondere auch mineralogische und geologische Untersuchungen angestellt und angeregt, wie sie hier anklingen. Neben seinen schriftlichen Äußerungen sind auch zahlreiche eigene Zeichnungen geologisch bemerkenswerter Objekte erhalten; und danach und nach fremden Zeichnungen angefertigte Kupferstiche fanden Aufnahme in seine Werke –

Fritz Krafft: Goethe zwischen Neptun und Vulkan. In: Klaus Manger, Hans-Peter Klöcking (Hgg.): Symbiosen ... FS für Werner Köhler. Erfurt 2009, S. 231 - 251

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Krafft-Nr.651Klaus Manger / Hans-Peter Klöcking (Hrsgg.): Symbiosen – Wissenschaftliche Wechselwir-kungen zu gegenseritigem Vorteil. Ferstschrift für Werner Köhler. (Sonderschriften derAkademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Band 39) Erfurt: Akademie gemeinnüt-ziger Wissenschaften 2009, S. 231–251:

Fritz Krafft (Weimar, Lahn)

Goethe zwischen Neptun und Vulkan

Nachdem das ‚Goethe-Fieber‘ zum Jubiläumsjahr unseres großen Geistes-Heroenabgeklungen ist, kann man auch wieder mit seinem ja nicht immer konform gehendennaturwissenschaftlichen Denken Aufmerksamkeit erhoffen. Dieses soll hier in einemkleinen Ausschnitt vor dem Hintergrund der Wissenschaften seiner Zeit dargelegt wer-den. Anders als es heute oft geschieht, wird dabei nicht der unbestritten große Natur-wissenschaftler Goethe von dem ja noch größeren Dichter Goethe getrennt; vielmehrwird von der Verwendung eines zeitgenössischen wissenschaftlichen Problems inseiner Dichtung die Rede sein – eines Problems, das ihn seit seinem Auftreten in den1780er Jahren über Jahrzehnte bis ins hohe Alter begleitete, bis ins Alter des Dichtersvon Faust II, und dies konnte, weil es immer noch nicht endgültig gelöst war.

Es ist die Frage nach dem Entstehen der Formen der Erdoberfläche, der Gebirgeund vor allem des Basalts: »Goethe zwischen Neptun und Vulkan«, zwischen den grie-chisch-römischen Göttern Neptunus und Vulcanus, also zwischen der neptunistischenDeutung der Gesteins- und Basalt-Bildung aus dem Wasser und der vulkanistischenDeutung ihrer Bildung aus dem Feuer. Ausgangspunkt bildet eine Passage aus deranderthalb tausend Verse umfassenden ‚Klassischen Walpurgisnacht‘ in Faust II, dasheißt, im Gegensatz zur Walpurgisnacht auf dem deutschen Brocken in Faust I, dergriechischen der thessalischen Hexen in klassischer Zeit.

In dieses Alterswerk hat Goethe das gelehrte Wissen seiner Zeit in vielfältigerForm einfließen lassen; und zu dem gelehrten gehörte für ihn auch stets das naturhisto-rische und naturwissenschaftliche Wissen. Er ist naturwissenschaftlichen Fragestel-lungen ja auch selber nachgegangen, kannte sich in den Naturwissenschaften seinerZeit aus und hat neben der Farbenlehre und Morphologie der Pflanzen insbesondereauch mineralogische und geologische Untersuchungen angestellt und angeregt, wie siehier anklingen. Neben seinen schriftlichen Äußerungen sind auch zahlreiche eigeneZeichnungen geologisch bemerkenswerter Objekte erhalten; und danach und nachfremden Zeichnungen angefertigte Kupferstiche fanden Aufnahme in seine Werke –

1 Goethe ArtemisGA V, 564 ff. – Goethes Werke werden im Folgenden in der Regel zitiertnach (1) Johann Wolfgang Goethe: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche.Hrsg. von Ernst Beutler unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter. 24 Bände, Zürich1950–1952; zweite Auflage, 24 Bände und 3 Ergänzungsbände, Zürich 1961–1971; meh-rere Nachdrucke der Bände 1–17 als: Sämtliche Werke, ergänzt durch Band 18: Registerund Chronik. Zürich 1971 [im folgenden zitiert als ArtemisGA mit Band- und Seiten-angabe] und (2) Goethe: Die Schriften zur Naturwissenschaft. Vollständige mit Erläute-

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Bild 1: Basaltsteinbruch auf dem Rückersberg nahe Oberkassel bei Bonn (Kupferstich nacheiner Zeichnung von Bergrat Senff in: J. W. von Goethe [Hrsg.]: Zur Naturwissenschaftüberhaupt. Bd 2, Heft 2, Stuttgart/Tübingen 1824; Goethe NatSchriften II, Tafel V)

wie der hier wiedergegebene Kupferstich nach einer Zeichnung des Bergrats Senff(Bild 1), der 1824 einem Heft der goetheschen Sammlung von Aufsätzen und NotizenZur Naturwissenschaft überhaupt beigegeben wurde. Er stellt den Basaltsteinbruch auf demRückersberg nahe Oberkassel bei Bonn am Rhein im damaligen Zustand dar.

Diese Anklänge zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Wissens erschweren unsNachgeborenen natürlich die Lektüre von Faust II noch weiter; denn es {/232} ist nichtdas Wissen unserer Zeit. Aber schon die Absichten des Dichters kommen nicht klarheraus und waren lange umstritten, bis man sich besann, dazu die eigenen Aufzeich-nungen Goethes während der sich über Jahre erstreckenden Arbeit am Faust heran-zuziehen, die später sogenannten Paralipomena. In Nr. 73 skizziert Goethe den zweitenEntwurf der Ankündigung von „Helea, Zwischenspiel zu Faust“1:

rungen versehene Ausgabe, hrsg. im Auftrag der Deutschen Akademie der Naturforscherzu Halle. Erste Abteilung: Texte. 11 Bände, Weimar 1947–1970; Zweite Abteilung: Er-gänzungen und Erläuterungen. Band 1 ff., Weimar 1959 ff. [zitiert als NatSchriften mitBand- und Seitenangabe]. Gelegentlich ist es erforderlich, auf die Weimarer Ausgabezurückzugreifen: Goethes Werke. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sach-sen. 4 Abtheilungen, 133 Bände in 143. Weimar 1887–1919 [zitiert als: WeimarerA].

2 Johannes Praetorius: Anthropodemus Plutonicus. Das ist, Eine Neue Weltbeschreibungvon Allerley Wunderbahren Menschen: Als da seyn, Die [...] 3. Chymische Menschen,Wettermännlein [...]. Magdeburg 1666, S. 156 ff.

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Er schreibt hier, dass in der alten Faustlegende und im Puppenspiel „Faust inseinem herrischen Übermut durch Mephistopheles den Besitz der schönen Helena vonGriechenland verlangt und ihm dieser nach einigem Widerstreben willfahrt habe“ –und dessen könne er sich nicht entziehen. Das Widerstreben Mephistos, der ja im grie-chischen Hades keinen Einfluss hat, {/233} wird nun dadurch überwunden, dass Faustund Mephisto in das Laboratorium Wagners kommen, als es diesem gerade gelingt, denin der paracelsischen Tradition oder vielmehr in der Kritik an paracelsischen Ideendurch Johannes Praetorius2 entstandenen ‚homunculus‘, ein „chymisches Männlein“,in der Retorte zu erzeugen. Die astrologischen Aspekte bei allen alchemischen Prozes-sen kommen dann darin zum Ausdruck, dass im Homunculus „ein allgemeiner histori-scher Weltkalender enthalten sei; er wisse nämlich in jedem Augenblick anzugeben, wasseit Adams Bildung bei gleicher Sonn[en]-, Mond-, Erd- und Planetenstellung unterMenschen vorgegangen sei“. Und in einem gelehrten Streit zwischen Homunculus undMephistopheles über das Datum der Schlacht von Phársalos in Thessalien, in der Cae-sar im Jahre 48 v.Chr. über Pompeius siegte und damit den Übergang von der Republikzum Kaiserreich Rom markierte, der sich ins Endlose auszudehnen droht (Goethe mo-kiert sich darin über die Philologen und Historiker seiner Zeit), legt Homunculus „eineandere Probe seines tiefen historisch-mythischen Naturells“ ab und gibt zu bemerken,dass zu gerade dieser Zeit in ebenderselben Ebene Thessaliens auch das alljährlicheFest der klassischen Walpurgisnacht stattfinde; und es bedarf dann keiner großenÜberredung, um zu beschließen, dieser Gelegenheit beizuwohnen: Wagner hofft, „hieund da die zu einem chemischen Weiblein nötigen Elemente zusammenzufinden“ –ganz im Sinne des nach Ergänzung strebenden Homunculus, Faust dagegen erwarteteine Begegnung mit der schönen Helena, und den lüsternen Mephistopheles locken diethessalischen Hexen.

Sie gelangen flugs in die fahle Mondnacht der Thessalischen Ebene, in der dasSpektakel der Walpurgisnacht zuerst am oberen und sodann am unteren Peneios imscheinbar ungeordneten Chaos mythischer Gestalten und historischer Personen abläuft– fast unbemerkt von den vier Reisenden, die „an solchen Geisterspuk mehr oder we-niger gewöhnt“ sind und sich deshalb auch ungezwungen mit Greifen, Nymphen,Sphinxen, Sirenen usw. unterhalten. Der Tumult wird dann „gewissermaßen auf einen

3 Siehe dazu Fritz Krafft: Die Begründung einer Wissenschaft von der Natur durch dieGriechen. Freiburg i.Br. 1971, S. 78–91.

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Augenblick beschwichtigt, indem die Aufmerksamkeit zu der Mitte der breit[en] undweiten Ebene gerichtet wird. Dort bebt die Erde zuerst, bläht sich auf (Seismos, derGott des Bebens, brummt aus der Tiefe [Verse 7519–7522: »Einmal noch mit Kraftgeschoben, / Mit den Schultern brav gehoben! / So gelangen wir nach oben, / Wo unsalles weichen muß.«])“, und ein Gebirgszug bildet sich unter Beteiligung der durch ihreGottheiten verkörperten irdischen Urmächte über die gesamte Ebene, speit Feuer ausmehreren Klüften und droht den Fluss Peneios zu sperren, also über das Wasser zuobsiegen und alles umzuformen. Mephistopheles verirrt sich jedenfalls zwischen demneuen Gestein der Hexennacht und fragt (Verse 7801 ff.): {/234}

„Wo bin ich denn? wo wills hinaus? / Das war ein Pfad, nun ists ein Graus. / Ich kamdaher auf glatten Wegen, / Und jetzt steht mir Geröll entgegen. [...] / So toll hätt ich mirsnicht gedacht: / Ein solch Gebirg in Einer Nacht! / Das heiß ich frischen Hexenritt: /Die bringen ihren Blocksberg mit.“

Von einem Naturfels herab ruft ihm Oreas, die Personifizierung des uralten Urge-stein-Gebirges, entgegen:

„Herauf hier! Mein Gebirg ist alt, / Steht in ursprünglicher Gestalt. [...] / Schon stand ichunerschüttert so, / Als über mich Pompejus floh. / Daneben das Gebild des Wahns, /Verschwindet schon beim Krähn des Hahns. / Dergleichen Märchen seh ich oft entstehn/ Und plötzlich wieder untergehn.“

Mephistopheles und Homunculus trennen sich dann. Letzterer ist „zwei Philoso-phen auf der Spur“, die sich mit der Natur auskennten und ihm vielleicht helfenkönnten. „Das tu auf deine eigne Hand!“, meint Mephistopheles (Verse 7842–7845):

„Denn wo Gespenster Platz genommen, / Ist auch der Philosoph willkommen. / Damitman seiner Kunst und Gunst sich freue, / Erschafft er gleich ein Dutzend neue [nämlichGespenster].“

Und diesen Kampf der Urgewalten des Feuers und des Wassers vor Augen geratendann zwei klassische Naturphilosophen – „die bei dieser Gelegenheit auch nicht aus-bleiben konnten“ mokiert sich Goethe – in einen akademischen Disput über das, wasda geschieht. Es sind Thales, nach dessen Lehre gemäß der nacharistotelischen Überlie-ferung3 alles aus Wasser entstehen soll, und Anaxagoras, der „überall geschmolzene,schmelzende Massen erblickt“, ließ er doch einen Meteor aus dem Himmelsfeuerenstehen.

Anaxagoras meint zu Thales: „Dein starrer Sinn will sich nicht beugen; bedarf esweitres, dich zu überzeugen?“ Bezogen auf die scheinbare Bestätigung, die Anaxagorasdurch den neuen, vulkanischen Gebirgszug erhalten zu haben glaubte, für dessen Ent-stehungsweise Goethe und die Vulkanisten auf neuzeitliche Erfahrungen zurückgreifenkonnten, auf das Entstehen der jetzigen Insel Nea Kaméni im vom Meer umfluteten

4 Siehe hierzu generell Fritz Krafft: Alexander von Humboldts »Mineralogische Beobach-tungen über einige Basalte am Rhein« und die Neptunismus-Vulkanismus-Kontroverseum die Basalt-Genese. In: Studia Fribergensia. Vorträge des Alexander-von-Humboldt-Kolloquiums in Freiberg vom 8. bis 10. November 1991 aus Anlaß des 200. Jahrestagesvon A. v. Humboldts Studienbeginn an der Bergakademie Freiberg. (Beiträge zur Alexan-der-von-Humboldt-Forschung, Bd 18) Berlin 1994, S. 117–150; Bernhard Fritscher:Vulkanismusstreit und Geochemie. Die Bedeutung der Chemie und des Experiments inder Vulkanismus-Kontroverse. (Boethius, Bd. 25) Stuttgart 1991; Otfried Wagenbreth:Abraham Gottlob Werner und der Höhepunkt des Neptunismusstreites um 1790. In:

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Krater der Kykladeninsel Santorin in den Jahren 1570–1573 und 1707–1711 und des1538 innerhalb von zwei Tagen entstandenen Aschenkegels des Monte Nuovo beiNeapel, entgegnete Thales jedoch:

„Die Welle beugt sich jedem Winde gern; / doch hält sie sich vom schroffen Felsenfern.“ Anaxagoras hielt dem entgegen: „Hast du, o Thales, je in Einer Nacht / Solch einenBerg aus Schlamm [also durch Einwirkung des Wassers als Transportmittel] hervorge-bracht?“

Und Thales meinte:

„Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt [wie ist die weitere Entwicklung zu denken]?/ Er ist auch da [neben dem alten Urgebirge, das Anaxagoras auch durch vulkanischesFeuer entstanden wissen wollte], und das ist gut zuletzt. / Mit solchem Streit verliert manZeit und Weile / Und führt doch nur geduldig Volk am Seile.“

Auf wessen Seite Goethe zur Zeit der Abfassung dieser Szene letztlich stand, gehtdann aus der besonnenen Antwort von Thales hervor:

„Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen / Auf Tag und Nacht und Stunden angewie-sen. / Sie bildet regelnd jegliche Gestalt, / Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.“

Damit ist die Katastrophentheorie eines George Cuvier von Goethe verabschiedetworden zu Gunsten des gerade bei den zeitgenössischen Geologen Carl Ernst Adolfvon Hoff (1771–1837) und Charles Lyell (1797–1875) aufkommenden Aktualitäts-prinzips, das plötzliche, gewaltsame Veränderungen (neben den Sekundärerscheinun-gen des aktiven Vulkanismus) ablehnt, nur gegenwärtig wirkende Kräfte und folglichkleinste Schritte auch für die Vergangenheit zulässt und damit ein Denken in ‚geologi-schen Zeiträumen‘ ermöglichte. Aber Goethe bleibt Anhänger seines Thales, also Nep-tunist – obwohl beide Seiten sich inzwischen nach dem Tode Abraham GottlobWerners im Jahre 1817 einander angenähert hatten und die Geologie begann, durch dieUnterscheidung von endogenen (erdinneren) und exogenen (oberflächlichen) Kräftenbeide Ansätze zu einer einheitlichen Theorie zu vereinen. Nachdem ab 1798 JamesHall (1761–1832) dann auch das systematische Experiment in die Debatte eingebrachthatte, war mit dessen Hilfe nach und nach vor allem die ausschließlich vulkanischeHerkunft des Basalts begründet worden, der einen der empirischen Ausgangspunkte,wenn nicht den entscheidenden, für beide Seiten gebildet hatte.4

Bergbau und Bergleute. Neue Beiträge zur Geschichte des Bergbaus und der Geologie.(Freiberger Forschungshefte, D 11) Berlin 1955, S. 183–241.

5 Siehe dazu Fritz Krafft: Johann Christian Wiegleb und seine Rolle bei der Verwissen-schaftlichung der Pharmazie. In: Christoph Friedrich / Wolf-Dieter Müller-Jahncke(Hrsgg.): Apotheker und Universität. Die Vorträge der Pharmaziehistorischen Biennalein Leipzig vom 12.–14. Mai 2000 und der Gedenkveranstaltung ‚Wiegleb 2000‘ zum 200.Todestag von Johann Christian Wiegleb (1732–1800) am 15. und 16. März 2000 in BadLangensalza. (Veröffentlichungen zur Pharmaziegeschichte, Bd 2) Stuttgart 2002, S.151–195; hier S. 184 f. und 189.

6 Siehe auch in: Köhlers Bergmännisches Journal 1 (1788), Bd 1, S. 378.7 Horace Bénédict de Saussure: Beobachtungen über die vulkanischen Hügel des Breisgaus.

In: Carl Wilhelm Nose (Hrsg.): Sammlung einiger Schriften über [...] Basalt. Frankfurt amMain 1795, S. 3–84; hier S. 68.

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Der in der Walpurgisnacht anklingende akademische Streit um die Herkunft derErdformationen und des Basalts ist mit einer selbst für das so streitbare ausgehende 18.Jahrhundert ungewöhnlichen Heftigkeit geführt worden, die im Jahre 1790 in Unver-söhnlichkeit der Parteien mündete. Diese Eskalation war das Ergebnis des Abdrucksje einer Preisschrift der beiden Parteirichtungen in dem von dem Stadtapotheker imschweizerischen Biel und Naturforscher Johann Georg Albrecht Höpfner (1759–1813)begründeten und herausgegebenen Magazin für die Naturkunde Helvetiens. Höpfner, derbei Johann Christian Wiegleb in Langensalza in die moderne, chemische Pharmazieeingeführt5 und {/236} 1781 in Leipzig zum Doktor der Medizin promoviert wordenwar, hatte zwei Jahre zuvor, im Gründungsjahr seines Magazins, auch den Preis vonlächerlichen 25 Talern für die Beantwortung der Frage ausgelobt: „Was ist Basalt? Ister vulkanisch oder ist er nicht vulkanisch?“6 – in der dann fehlgeschlagenen Absicht,die Wogen zu glätten (das ‚Magazin‘ ist nach dem Abdruck der Preisschriften auchnicht weiter geführt worden).

Die Schweiz fühlte sich also zu so etwas wie einem außenstehenden, neutralenSchiedsrichter aufgerufen, und es war mit dem Alpenforscher und Geologen HoraceBénédict de Saussure (1740–1799) auch ein Schweizer gewesen, der als Nicht-Betroffe-ner den Streit positiv als Forschungsstimulanz und als Zeichen für ein breites Interessean wissenschaftlichen Fragestellungen in Deutschland deuten konnte, als er 1795 inseinen Beobachtungen über die vulkanischen Hügel des Breisgaus, den er 1791 besucht hatte,schrieb7:

„Glückliches Land, wo die Wissenschaften Interesse genug haben, um bei der Frage überdie Entstehungszeit eines Fossils zwei Parteien, die Neptunisten und die Vulkanisten,hervorzubringen.“

In der damaligen Terminologie umfassten die ‚fossilia‘, wörtlich: das ‚(Aus-) gegrabe-ne‘, noch alle bergmännisch gewonnenen Naturprodukte, insbesondere sowohl die mi-neralischen Gesteine als auch die zu Versteinerungen mineralisierten Organismen, auf

8 Siehe speziell zur Basalt-Kontroverse Fritz Krafft (a): Basalt – Die Folgen einer falschenLesung. In: Klaus Döring / Bernhard Herzhoff / Georg Wöhrle (Hrsgg.): AntikeNaturwissenschaft und ihre Rezeption. Bd 7, Trier 1997, S. 125–144; und (b): Basalt – amAnfang war es nur ein Wort. Zur Wissenschaftsgeschichte des Geistwortes „basaltes“. In:Der Anschnitt – Zeitschrift für Kunst und Kultur im Bergbau 51 (1999), S. 2–15.

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welch letztere sich der Begriff ‚Fossil‘ erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertsverengen sollte. Das „Fossil“, von dem de Saussure spricht, ist denn auch der stahlblaubis schwarze, säulenförmige Basalt, um den es hier allein geht. Alle anderen Basaltfor-men sind erst sehr viel später als solche erkannt und benannt worden.

De Saussure war der beste Kenner der Alpen und hat deren Geologie begründet.Goethe hat deshalb ihn nach der günstigsten Reiseroute befragt, bevor er 1779 mitdem jungen Herzog Karl August, nicht ohne ihn bei der Gelegenheit in Genf persön-lich aufzusuchen, eine Tour auf Maultieren in die spätherbstliche Alpenwelt Savoyensunternahm, von der er mit vielen Mineralien und Gesteinen im Gepäck zurückkam, dieden Grundstock seiner schließlich auf etwa 18000 Stücke angewachsenen Mineralien-sammlung bilden sollten; und sie hat ihn erst eigentlich zum aktiven Naturforschergemacht, auch zum Mineralogen und an der Geologie und den MontanwissenschaftenInteressierten. Schon 1777 hatte allerdings Karl August den jüngeren Bruder des Wei-ma{/237}rer Geheimen Rats und späteren Oberkammerpräsidenten Christian Gottlobvon Voigt, Johann Carl Wilhelm Voigt (1752–1821), für drei Jahre zum Studium derMineralogie bei Abraham Gottlob Werner nach Freiberg in Sachsen geschickt, bevorer ihn 1783 als Bergsekretär in Weimar und 1789 als Bergrat im 1784 wieder eröffnetenBergwerk zu Ilmenau in seine Dienste übernahm. Nach seiner Rückkehr aus Freibergwar dann 1780 das erste Jahr der Zusammenarbeit zwischen Goethe und Voigt gewe-sen.

Über diesen, gleichsam weisungsgebundenen Mitarbeiter wurde Goethe auchmitten in den Streit um die Basaltgenese hineingerissen, in dem er sich nun aber nicht,wie von diesem erhofft, auf die Seite seines Mitarbeiters, sondern auf die AbrahamGottlob Werners und dessen Schüler stellte.

Wie war es überhaupt zu dieser Kontroverse gekommen?

Mineralogie und Geognosie (für die de Saussure später den Begriff ‚Geologie‘prägte) waren ja überhaupt erst im Laufe des 18. Jahrhunderts und vor allem dessenzweiter Hälfte zu historisch orientierten Disziplinen geworden; und dabei hatte derBasalt8 über Jahrzehnte die zentrale Rolle in der Auseinandersetzung um die völlig neueFrage gespielt, wie und wann denn die Erdoberfläche während der Geschichte derErde ihre gegenwärtige Struktur und Zusammensetzung erfahren hätte.

Die eine Antwort war dabei ursprünglich von dem biblischen Bericht über die Sint-flut angeregt worden und ging davon aus, daß sämtliche Minerale und Gesteine und da-

9 Antonio Lazzaro Moro: Dei crostacei e degli altri marini corpi, che si trovano su monti,libri due. Venedig 1740; deutsch von Ehrhardt unter dem Titel: Neue Untersuchung derVeränderung des Erdbodens, nach Anleitung der Spuhren von Meer-Thieren und Mee-resgewächsen, die auf Bergen in trockener Erde gefunden werden. Leipzig 1751 (²1755).

10 Jean Etienne Guettard: Mémoire su quelques montagnes de la France qui ont été desVolcans. In: Mémoires de l’Académie Royale des Sciences à Paris pour 1752.

11 Nicolas Desmarest: Mémoire sur l’origine et la nature du basalte à grandes colonnes poly-gones, déterminées par l’histoire naturelle de cette pierre, observée en Auvergne. In: Mé-moires de l’Académie Royale des Sciences à Paris pour 1771 (und 1773).

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mit auch der Basalt (abgesehen von unmittelbar vulkanischen, aber als Sekundärbildun-gen eingestuften Produkten wie Laven und Aschen) aus wässrigen Lösungen in demvormals die gesamte Erde bedeckenden Urmeer kristallin ausgefällt wurden beziehungs-weise sich als Sediment abgesetzt haben, während für die spätere Strukturierung der Erd-oberfläche die jedermann bekannte gestaltende, sogenannte exogene Kraft des Oberflä-chenwassers der Niederschläge herangezogen wurde. Solche Theorien und ihre Anhängerwurden ‚neptunistisch‘ genannt, manchmal auch noch eher abschätzig wie die älteren,vorwissenschaftlichen Verfechter der biblischen Sintflut als ‚diluvianisch‘.

Die zweite Antwort schrieb sämtliche Gesteine und Minerale sowie die Bildung derFormationen der Erdoberfläche vulkanischem Ursprung zu; ihre Vertreter hießen des-halb nach dem römischen Gott des unterirdischen Feuers ‚Vulkanisten‘. War dabei fürden Italiener Antonio Lazzaro Moro (1687–1740) 1740 noch die unmittelbare An-schauung vulkanischer Tätigkeit in Italien der {/238} Ausgangspunkt gewesen9, so war1751 insofern eine neue Situation eingetreten, als Jean Étienne Guettard (1715–1786)bei seinen Arbeiten zur Fortsetzung der Carte minéralogique von Frankreich in der Auver-gne im nördlichen Zentralmassiv an den Lavaströmen bis dahin nicht als solche erkannteerloschene Vulkane entdeckte, deren äußere Kegelform daraufhin sofort als der tätigerVulkane gleichend erkannt wurde10. Hierdurch war nämlich dem Vulkanismus eine neue,weit in die Vergangenheit zurückreichende Quelle erschlossen worden.

Guettard hatte bei den Arbeiten am vulkanischen Mont Dore inmitten der Lava auchsäulenförmigen Basalt entdeckt, seine Entstehung allerdings wegen der Ähnlichkeit seinerForm mit dem Bergkristall noch in Übereinstimmung mit diluvianischen Vorstellungeneiner Kristallisation aus wässriger Lösung zugeschrieben. Nicolas Desmarest (1725–1815)hatte aber zwanzig Jahre später an denselben erloschenen Vulkanen festgestellt11, dassnach damaligen Vorstellungen echter Basalt dort häufig von vulkanischen Aschen be-deckt ist oder solche überlagert und nicht selten in echte Lava übergeht, insgesamt alsoden Charakter ursprünglich flüssiger und später erstarrter vulkanischer Materie äußert. Erhatte daraufhin gemeint, dass die Übergänge von Basalt in Porphyr und Granit dafürsprächen, dass sämtliche Gesteine auf feuerflüssigem Wege entstanden seien.

12 Barthelemy Faujas de St. Fond: Recherches sur les volcans étéints du Vivarais et du Velay,avec un discours sur les volcans brulans, sur les schorls, la zéolithe, le basalte, la bouzzola-ne, les laves et differentes substances, qui s'y trouvent engagées. Grenoble/Paris 1778.

13 Rudolf Erich Raspe: Von einigen Niederhessischen Basalten, besonders aber einemSaeulen-Basaltstein-Gebirge bei Felsberg, und den Spuren eines verloeschten brennendenBerges am Habichtswalde ueber Weissenstein nahe bei Cassel. Nebst Anhang. In: Deut-sche Schriften, hrsg von der Koenigl. Societaet der Wissenschaften zu Goettingen. Bd 1,Göttingen 1771, S. 72–83 und 84–89.

14 J. W. von Goethe: Der Kammerberg bei Eger [1808]. In: Goethe NatSchriften I, 357–369 [Nr. LXXIII], hier S. 367, aus: Zur Naturwissenschaft überhaupt. Band 1, Heft 2.

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Aber auch das war eine vorschnelle Verallgemeinerung; und durch chemische Un-tersuchungen wurde bald festgestellt, dass Basalt eine völlig andere Zusammensetzungaufweist als Porphyr und Granit, so dass die gesamte Theorie ins Wanken geriet,obgleich das Auftreten zwischen Aschen und Laven wenigstens für den Basalt einevulkanische Herkunft nahe legte.

Abgesichert wurde diese Vorstellung dann durch Barthelemy Faujas de St. Fond(1741–1819), den nachmaligen ersten Professor der Geologie in Frankreich, der 1778nach einer gründlichen mineralogischen und petrographischen Untersuchung voneindeutigen Produkten tätiger Vulkane (worunter er auch schon den Basalt zählte) dieseErkenntnisse an den erloschenen Vulkanen im Vivarais und Velay bestätigt fand.12

Damit war die Sachlage für die Geologie und Mineralogie in Frankreich mit seinenKegelbergen erloschener Vulkane als Erfahrungshintergrund geklärt – aber das musstedamit nicht auch für Deutschland gelten. Zwar hatte auch hier bereits 1771 RudolfErich Raspe (1736–1794) von „Spuren eines verloeschten brennenden Berges am Ha-bichtswalde ueber Weissenstein nahe bei Cassel“, einem kleinen tatsächlichen Basalt-gebirge, berichtet13; aber es fehlten hier beim Basalt Kegelberge und Krater, die damalsneben Aschen und Laven noch als die einzigen sicheren Hinweise auf vulkanischeHerkunft galten. Deshalb wurden einerseits von verschiedensten Seiten bergmännischeUntersuchungen in Basaltbergen empfohlen, um gegebenenfalls die in die Tiefe füh-renden vulkanischen Schlote nachzuweisen, und wurde andererseits eifrig nach Kraterngesucht und dazu aufgerufen.

Der einzige zu diesem Zweck tatsächlich in einen Berg getriebene Stollen wurdeübrigens erst 1837 vom Grafen Kaspar von Sternberg am Kammerbühl bei Franzens-bad in Nordwest-Böhmen ausgeführt, nach dem Tode Werners, aber auch Goethes.Die Anregung dazu stammte jedoch von keinem Geringeren als diesem selbst. Er hatte1808 eine ausführliche Beschreibung des Kammerbühls veröffentlicht, die er 1820nochmals in der Folge Zur Naturwissenschaft überhaupt abdruckte, zwischen vulkanischerund pseudovulkanischer Herkunft geschwankt und versucht, das Verschwinden deseigentlich nötigen Kraters zu erklären. Hierzu heißt es dann14:

15 Siehe hierzu Martin Schwarzbach: Europäische Stätten geologischer Forschung. Anre-gungen zu Reisebeobachtungen und zu Reisen. Stuttgart 1976, S. 126–129.

16 Johann Carl Wilhelm Voigt: Beantwortung der Frage: Was ist Basalt? Ist er vulkanisch

oder ist er nicht vulkanisch? (Preisschrift). In: Höpfners Magazin für die Naturkunde

Helvetiens 4 (1789), 213–232; hier S. 231.

17 J. C. W. Voigt (wie Anm. 16), 219.

18 Johann Friedrich Wilhelm Widenmann: Beantwortung der Frage: Was ist Basalt? Ist ervulkanisch oder ist er nicht vulkanisch? (Preisschrift). In: Höpfners Magazin für die Natur-kunde Helvetiens 4 (1789), 135–212.

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„Doch indem wir hier von erhitzenden Naturoperationen sprechen, so bemerken wir,daß wir uns auch an einer heißen theoretischen Stelle befinden, da nämlich, wo der Streitzwischen Vulkanisten und Neptunisten sich noch nicht ganz abgekühlt hat.“

Er wolle deshalb dem „Versuch, uns den Ursprung des Kammerbühls zu verge-genwärtigen, keinen dogmatischen Wert beilegen, sondern vielmehr jeden auffordern,seinen Scharfsinn gleichfalls an diesem Gegenstand zu üben.“ Als 14 Jahre später nochnichts in dieser Richtung geschehen war, regte er bei einem gemeinsamen Besuch vonseinem Kurort Karlsbad aus den Grafen dazu an.15

Die Kratersuche hatte in Deutschland verständlicherweise anfangs recht be-scheidene Erfolgsmeldungen aufzuweisen, die auch keine Bestätigung erfuhren, bevornicht Voigt 1789 die Maare der Eifel als offensichtliche Vulkankrater erklärte16 – wo-durch die ‚Kratersuche‘ eine regelrechte Modeerschei{/240}nung wurde, von der sichkein geognostisch halbwegs Gebildeter ausschließen wollte.

Voigt lehnte allerdings auch die Wernersche Vulkanismustheorie ab, wonach Lavageschmolzenes Oberflächen-Gestein ist, dessen Eruption durch darunter liegende, inBrand geratene Kohlenflöze verursacht wird. Voigt führte den Vulkanismus vielmehrauf durch Feuchtigkeit verursachte „Gärungen von metallischen Mischungen“ ingroßer Tiefe zurück17. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschte ansonstendie Auffassung, dass Vulkanismus auf der Entzündung großer unterirdischer Schwefel-kieslager beruhe, wogegen allerdings schon der Werner-Schüler Johann Friedrich Wil-helm Widenmann (1764–1798) angeführt hatte18, dass die chemische Zusammenset-zung von Sulfiden und vulkanischen Produkten nun wirklich keinerlei Ähnlichkeit auf-weise.

Die Theorie Werners war demgegenüber auch anschaulich begründet und schein-bar empirisch bestätigt, zudem gab sie eine Handhabe, die Ähnlichkeit des Basalts miteinigen Laven zu erklären, die von vulkanistischer Seite als Argument für die ebenfallsvulkanistische Herkunft des Basalts angeführt worden war. Flüssige Lava besteht nachWerner nämlich aus durch Flözbrände geschmolzenem Primärgestein, das dann durchAbkühlung zu Sekundärgestein erstarrte; und zu den Primärgesteinen zählten ebenauch Wacke und Basalt.

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Auch für Werners neptunistische Deutung des säulenförmigen Basalts, der alsAusfällung ebenso aus wässriger Lösung entstanden sei wie sämtliche Schichtungen derErdoberfläche als Sedimente und kristalline Fällungen aus einem Urmeer (ehemals derSintflut), war eine ganz bestimmte Erfahrung als Schlüsselerlebnis der Auslöser gewe-sen:

Werner hatte erstmals eine Theorie der historisch entstandenen petrografischenStratigrafie erstellt und schon mehrere Jahre gelehrt, bevor er sie in dem ersten Lehr-buch der Petrografie überhaupt 1787 veröffentlichte. Hierin war der Basalt ursprüng-lich aus petrografischen Gründen in das Urgebirge, die ersten Ablagerungen undAusfällungen des Urmeeres, eingeordnet, weil Werner in seinem sächsisch-erzgebirgi-schen Erfahrungsbereich nach damaliger Kenntnis nirgends Basalt in Verbindung mitehemaliger vulkanischer Tätigkeit vorfand. Nach dieser Stratigrafie liegen zu oberst dieals jüngste „aufgeschwemmten Gebirge“ (das sind Kies, Sand, Lehm, Moor usw.), dar-unter die „vulkanischen Gebirgsarten“ (Lava, Asche, Tuff, Traß; sowie pseudovulka-nische Erdschlacken und gebrannte Tone), sodann die durch Sedimentierung ent-standenen „Flözgebirge“ (Flözkalk, Sandstein, Steinkohle, Kreide, Salz, Gips, Eisen-ton) und schließlich zu unterst das als erstes aus dem Urmeer ausgefällte „Urgebirge“mit Granit, Gneis, verschiedenen Schiefern, Basalt, Porphyr usw. Später fügte er Grau-wacke, Tonschiefer und Übergangskalk zwischen Ur{/241}gebirge und Flözgebirge ein– und hatte damit die Grundzüge der Stratigrafie von Deutschland richtig getroffen,wenn natürlich auch nicht deren Entstehung.

Als er dann aber auf einer geologischen Reise mit seinem Schüler Widenmann amScheibenberg bei Annaberg im Erzgebirge und dann auch am nahen Pöhlberg 1788senkrecht stehenden säulenförmigen Basalt über Kies, Sand, Ton und ‚Wacke‘ fand, alsoüber den in seiner Stratigraphie jüngsten, „aufgeschwemmten Gebirgen“, mußte er diezeitliche Einordnung des Basalts korrigieren.

Beim Scheibenberg handelt es sich um die Reste einer auf Kiesen und Sandenfußenden Basaltkuppe (siehe die Ansicht mit dem Ort Scheibenberg sowie das geologi-sche Profil in Bild 2). Diese Basaltkuppe entstand aus einem sich im Tertiär auf voneinem Urstrom abgelagerte Kiese und Sande ergießenden Lavastrom, der bei derAbkühlung zu bis fast 3 m starken, meist sechsseitigen Säulen von 30 bis 40 m Höheerstarrte. Das Basaltvorkommen ist jahrhundertelang als Steinbruch genutzt worden,so dass die auf dem Sand aufliegenden, deshalb ‚wurzellos‘ genannten Säulen aus demInneren der Kuppe jetzt eine frei stehende Wand bilden, deren Eindruck nicht durchTrümmer unterhalb und im Vorfeld der Säulen beeinträchtigt wird. {/242}

Werner hat sich schon in etwa derselbe Anblick geboten, wie er sich heute darbietet;aber er kannte weder die erloschenen Vulkane des französischen Zentralmassivs mit ihremBasaltvorkommen aus eigener Anschauung, noch wusste man damals bereits, wie Basalt-säulen entstehen; dagegen hatte er eine aus der Anschauung in Sachsen und Thüringen

19 Abraham Gottlob Werner: Bekanntmachung einer am Scheibenberger Hügel über dieEntstehung des Basalts gemachten Entdeckung. In: Köhlers Bergmännisches Journal 1 (1789),Bd 2, S. 845–855, hier S. 848 [ursprünglich in: Intelligenzblatt der allgemeinen Litteratur-ZeitungNr. 57 vom 20.X.1788, S. 484 f.].

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Bild 2: Basaltkuppe Scheibenberg über dem Ort Scheibenberg bei Annaberg / Erzgebirge(Skizze nach einem Foto und geologisches Profil nach O. Wagenbreth)

vielfach bestätigte Vorstellung von dem im Laufe der Erdgeschichte entstandenenstratigrafischen Aufbau der Erdoberfläche und deren Herkunft. Er sah es also mit denvöllig anderen Augen seines ganz speziellen Erfahrungsraumes – und darüber be-richtete er im Intelligenzblatt der allgemeinen Litteratur-Zeitung vom 20. Oktober 1788 fol-gendermaßen19:

„[Zunächst] vermutete ich hier [am Scheibenberg] doch nur eine um den Fuß der Basalt-kuppe herumgelagerte Sandschicht, so wie man sich solches von dem an dem Pöhlberg

20 Johann Carl Wilhelm Voigt: Mineralogische und bergmännische Abhandlungen. 3 Teile,Leipzig 1789–1791; hier Bd. 2, S. 193 (siehe auch S. 198).

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bei Annaberg liegendem Sande und Ton bisher allgemein vorgestellt hat, zu finden. Wieerstaunte ich aber, als ich hinkam und gleich mit einem Blicke erst unten eine mächtigeQuarzsandschicht, dann darüber einige Tonschichten, endlich eine Wackenschicht und überdieser den Basalt aufliegen sahe, als ich sahe, daß die ersten drei Schichten sich fast horizon-tal unter dem Basalte hinzogen und also ein Unterlager ausmachten und daß der Sand nachoben zu feiner und endlich tonig wurde, also sich förmlich in Ton, sowie der Ton oben inWacke und alle Wacke zuletzt in Basalt verlief; kurz: daß hier der vollkommenste Übergangaus dem reinen Sande in tonigen Sand, aus diesem in sandigen Ton und aus diesem durchmehrere Gradationen in fetten Ton, Wacke und endlich Basalt stattfand. Hier drängten sich mir […] die Ideen schnell und unwiderstehlich auf: Dieser Basalt,Wacke, Ton und Sand sind alle von einer Formation, sind alle durch nassen Niederschlagaus einer und derselben ehemaligen Wasserbedeckung dieser Gegend entstanden; dasdiese Gegenden damals bedeckende Gewässer schwemmte erst Sand hin, setzte dann aufdiesen Ton ab, änderte nach und nach seinen Niederschlag in Wacke und endlich in wah-ren Basalt um.“Damit hatte die neptunistische Deutung des Basalts, die etwa von dem Iren Ri-

chard Kirwan (1733–1812), in Schweden von Carl von Linné (1707–1778) und seinemSchüler Torbern Olof Bergman (1735–1784) sowie in Deutschland von WernersFreiberger Kollegen Johann Friedrich Wilhelm Charpentier (1738–1805) vertreten wor-den war, in dem damals bedeutendsten Mineralogen und Geologen auch öffentlicheinen kundigen und kompetenten Mitstreiter gefunden; und dieser vermochte insofernzu überzeugen, als er den Basalt in sein damals als einziges in sich geschlossenes und(scheinbar) empirisch gesichertes geologisches System einordnen konnte.

Auf vulkanistischer Seite wurde dagegen nicht nur insgesamt keine einheitliche Vulkan-und Basalttheorie vertreten, sondern ihre prominentesten Vertreter {/243} hielten sichwährend der Kontroverse nicht einmal an dieselbe Theorie. Selbst die Erklärung der Säu-lenbildung des Basalts war uneinheitlich. Hatte beispielsweise der ‚Vulkanist‘ Voigt ur-sprünglich (richtig) die Säulenbildung als Abkühlungserscheinung erklärt, so neigte er spä-ter, auf der Höhe der Kontroverse, wieder der ursprünglichen Ansicht von Guettard zu,der sich auch andere (etwa Sir William Hamilton und August Ferdinand von Veltheim)angeschlossen hatten, dass Basalt nämlich als Kristallisationserscheinung aufzufassen sei20.Außerdem hatte die neptunistische Seite nicht nur die direkte (aber natürlich keinesfallsvorurteilsfreie) phänomenologisch-empirische Erfahrung auf ihrer Seite, die der Vulka-nismus meist durch aktualistische Überlegungen, die den Bereich der menschlichen Erfah-rung und Erfahrbarkeit weit überschritten, ersetzen musste. Sie hatte auch die Gewissheitder biblischen Offenbarung der Sintflut als von der Erfahrung unabhängige Stütze hinter sich– woraufhin im 18. Jahrhundert, als sich noch der Glaube an das geoffenbarte ‚Wort Got-tes‘ mit rationaler Naturerkenntnis vereinen ließ, überhaupt ‚diluviale‘ Spekulationen überdie Bildung der Erdoberfläche überwogen.

21 Johann Carl Wilhelm Voigt: Berichtigung über die neue Entdeckung von dem HerrnAkademie-Inspektor Werner. In: Intelligentblatt der allgemeinen Litteratur-Zeitung Nr. 60 (vom23.XI.1788), S. 510–512; wiederabgedruckt in: Köhlers Bergmännisches Journal 2 (1789), Bd.2, S. 856 ff.

22 J. C. W. Voigt (wie Anm. 16), Bd. 2, S. 171 / 188.

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Werners Bekanntmachung einer am Scheibenberger Hügel über die Entstehung des Basalts

gemachte Entdeckung ließ nun der am Weimarer Hof tätige ehemalige Werner-SchülerVoigt sogleich eine Berichtigung über die neue Entdeckung von dem Herrn Akademie-Inspektor

Werner nachfolgen. Darin brachte er aus Beobachtungen und aus der Literatur Argu-mente vor, die auch eine vulkanische Erklärung des am Scheibenberg beobachtetenSachverhaltes ermöglichen sollten – außer dem Übergang der Gesteine ineinander,wofür er eine spezielle vulkanistische Theorie entwickelte21.

Werner nahm mit Recht insbesondere an dem Ausdruck ‚Berichtigung‘ Anstoß,und Voigt entschuldigte sich dann auch damit, dass die Herausgeber des Intelligenzblattes

dieses Wort versehentlich in die Überschrift gesetzt hätten; denn an Werners Beob-achtungen selbst sei nichts zu „berichtigen“, nur gegen die daraus gezogenen Schluß-folgerungen seien seine Einwände gedacht. Der gegenseitig beleidigende Ton in denfolgenden Artikeln, in denen der Gegenpartei jeweils Unverstand und mutwilliges Ver-drehen vorgeworfen wurden, ließ dann die wissenschaftliche Kontroverse zu einem inder Öffentlichkeit ausgetragenen hässlichen persönlichen Streit ausarten, der vonSchülern Werners einerseits und von Voigt, der die Schärfe hineingetragen hatte, nebstAnhängern andererseits in ungemilderter Form bis 1794 fortgesetzt wurde. So heißt esetwa 1789 in Voigts Erklärung gegen Werners Antwort22:

„Auch hier hat es wieder den Anschein, daß er einen Nebel unterhalten wolle, hinter wel-chem er als hinter einer Decke vornehmen könnte, was er wollte, und bei welchem auchdie Hellsehendsten nicht wissen sollten, wie sie dran wären. [...] Schon ehe er der neueEntdecker einer ihm so wichtig scheinenden Sache wurde, belegte er seine zukünftigenGegner aus purer Unbefangenheit mit dem Partei-Namen: feuersüchtige Mineralogen.Mich wundert, daß er in seinem Eifer einen Brief von mir nicht auch hat mit abdruckenlassen, worin ich ihm versicherte, daß ich ein so feuersüchtiger Heide bliebe, daß ichglaubte, die Wassersucht könnte bei mir nicht fortkommen und wenn ich sie mir auchinoculieren ließe ...“

Beide Seiten fanden ihre Anhänger, beiden Seiten wurden neue regional-geologi-sche Beobachtungen an bestimmten Basaltbergen zugeführt, ergänzt durch eine vulka-nistische beziehungsweise neptunistische Deutung. Voigt druckte die bemerkenswer-testen der ihm zugegangenen Briefe in seinen 1789 bis 1791 erscheinenden drei Bän-den Mineralogische und bergmännische Abhandlungen ab, Werner solche mit eigenen Ergän-zungen 1788 und 1789 in Köhlers Bergmännischem Journal.

Der ganze Streit war dann insbesondere durch das Preisausschreiben angefachtworden, zu dem Höpfner 1787 ausgerufen hatte. Im ganzen waren sechs Arbeiten

23 J. F. W. Widenmann (wie Anm. 18).24 J. C. W. Voigt (wie Anm. 16).25 Schreiben eines unparteiischen Beobachters an den Herausgeber über die jetzige Streitig-

keit wegen der Entstehung des Basalts. In: J. C. W. Voigt (wie Anm. 20), Bd. 1, 99–140.26 Höpfners Magazin für die Naturkunde Helvetiens 4 (1789), V–XIV; siehe auch desselben:

Anhang zu den Preisfragen über den Basalt. Ebenda S. 233–238.

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eingereicht worden; den Sieg trug mit geringer Stimmenmehrheit die 80 Seiten umfas-sende Schrift des Werner-Schülers und überzeugten Neptunisten Widenmann davon23,während Voigts vulkanistische Preisschrift von nur 20 Seiten Umfang ihr knapp unter-lag24, obwohl die Schweizer Preisrichter selbst eher vulkanistisch eingestellt waren; dergeringe Umfang habe den Ausschlag für die Reihung gegeben. – Was ein anonymer„Unparteiischer Beobachter“ noch vor der Beurteilung der eingegangenen ArbeitenVoigt geschrieben hatte, hatte sich bewahrheitet25:

„Denn so wie hier, ein System dem andern schnurgerade gegenübergestellt und nun zumWettkampf unter die Anhänger auf beiden Seiten geblasen wird, so gibt das, wenn allesgut geht, höchstens einen Streit wie unter Advokaten. [...] Jeder Verfasser nimmt die be-reits vorhandenen Data, drehet sie und verdrehet sie so lange, als der bestimmte Terminder Einsendung verstattet, bis sie zu seiner Hypothese passen.“

Er schlug demgegenüber einen langfristigen, von gründlichen empirischen und expe-rimentellen Studien begleiteten Prozess vor, wie er sich letztlich in den folgenden 50bis 60 Jahren dann auch abspielte – und der vulkanistischen Theorie, nachdem dieWaage schon ab 1800 sich mehr und mehr zu ihrer Seite geneigt hatte, endgültig zumSieg verhalf.

Höpfner urteilte selbst in der Vorrede zum vierten und letzten Band seines ‚Maga-zins‘, in dem die beiden Preisschriften abgedruckt wurden, über das damalige Er-gebnis26:

„Es ist mir leid, sehr leid, daß ich auf die unschuldigste Weise Ursache bin und Gelegen-heit gegeben habe, daß durch meine Frage über den Basalt ein so unbeliebiger Streit zwi-schen verschiedenen berühmten Mineralogen entstanden ist, und daß solcher auf eine Artgeführt wird, die nicht anders als jedem unparteiischen Naturforscher sehr viel Mühe ma-chen muß. [... Seine Absicht sei] lauter, rein und gut gemeint [gewesen ...]. Diese Absichtund Zweck sind nun verloren, seitdem man Parteisache daraus gemacht, und ich ziehemich desto lieber zurück, da die Sache selbst [...] zur Quelle von vielfältigem Verdruß undunverschuldeter Feindschaft und heimlichen Groll wurde. [... Die Arbeiten hätten nichtdie erhofften, die Kontroverse entscheidenden Entdeckungen enthalten,] sondern beideVerfasser brachten bloß allein unter einem Gesichtspunkt, was sich aus den Mutmaßun-gen und Beobachtungen der Gelehrten für oder wider ihre Meinung sagen ließe“

– und das, wie gesagt, in äußerst scharfem, oft beleidigendem Ton.

Voigt hatte ursprünglich gedacht und gehofft, dass Goethe sich auf seine Seite stelle;dieser tat ihm aber nicht den Gefallen. Er hatte bereits 1785, also vor der ‚Entdeckung‘

27 J. W. von Goethe: Zur Theorie der Gesteinslagerung [1785]. In: Goethe NatSchriften I,94–98 [Nr. XVI]. – Fünf Jahre später, auf der Höhe des Streites, machte er auch Ver-gleichs-Vorschläge, die Vulkanier und Neptunier über die Entstehung des Basalts zu vereinigen(NatSchriften I, 189–191; Nr. XXXIII), in denen er die Basalte als „Ausgeburten einesallgemeinen vulkanischen Meeres“ betrachtete: „hier waren keine Krater nötig; hier keinAusfluß, sondern ein großer, heißer, ausgebrannter Niederschlag“; das Ganze stellt sichalso als eine Art modifizierter Neptunismus dar, insofern aus dem Urmeer ein ‚vulka-nisches Meer‘ wurde. Auch 1796 heißt es noch in nicht veröffentlichten Xenien (Nr.161–163) mit einer deutlichen Sympathieerklärung zum Neptunismus (NatSchriften I,249 f., Nr. XLVI; ArtemisGA II, 464):

„Schöpfung durch FeuerArme basaltische Säulen! Ihr solltet dem Feuer gehören,Und doch sah euch kein Mensch je aus dem Feuer entstehn.

Mineralogischer PatriotismusJedermann schürfte bei sich auch nach Basalten und Lava,Denn es klinget nicht schlecht: hier ist vulkanisch Gebirg!

Kurze FreudeEndlich zog man sie wieder ins alte Wasser herunter,Und es löscht sich nun bald dieser entzündete Streit.“

28 J. W. von Goethe: Über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in verschiedenen Erd-strichen von Alexander von Humboldt. 1. Fassung / 2. Fassung. In: Goethe NatSchriftenII, 257 f. / 295 f. [Nr. CLXXVI / CLXXXI].

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Werners am Scheibenberg, eine längere Skizze Zur Theorie der Gesteinslagerung verfasst27, diesich fast als rein neptunistische Theorie darstellt. Zudem war er nach der ersten persönli-chen Begegnung im Jahre 1789 wie dessen Schüler von der Menschlichkeit und derDenkweise des Mineralogen und Geologen Werner tief beeindruckt. Dessen Identifkatio-nen und Klassifikationen nach naturhistorischen Kriterien wie den äußeren Kennzeichenund der Morphologie der Mineralien sowie nach ihrer Entstehung aufgrund der bergbauli-chen Praxis der Aufschlüsse kam dem goetheschen Denken, Sammeln und Klassifizierenauch am nächsten.

Wie bereits aus der Sympathie für Thales in der Klassischen Walpurgisnacht her-vorging, neigte Goethe zeit seines Lebens mehr dem Neptunismus zu. Dem wider-spricht auch nicht, was er über seine Reaktion auf Alexander von Humboldts Akade-mievortrag von 1823, der den Vulkanismus von Teneriffa und Mittelamerika ins Feldzu führen hatte, niederschrieb28:

„Die Verlegenheit kann vielleicht nicht größer gedacht werden als die, in der sich gegen-wärtig ein fünfzigjähriger Schüler und treuer Anhänger der sowohl gegründet scheinen-den, als über die ganze Welt verbreiteten Wernerischen Lehre finden muß, wenn er, ausseiner ruhigen Überzeugung aufgeschreckt, von allen Seiten das Gegenteil derselben zuvernehmen hat. Der Granit war ihm bisher die feste unerschütterte Basis, auf welcher die ganze bekann-te Erdoberfläche ihren Ruhestand nahm; er suchte sich die Einlagerungen und Auswei-chungen dieses wichtigen Gesteins deutlich zu machen; er schritt über Schiefer und

29 Vgl. den Tagebuchvermerk zum 28. Juli 1810.

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Urkalk, unterwegs auch wohl Porphyr antreffend, zum Roten Sandstein und musterte vonda manches Flöz zeitgemäß, wie es die Erscheinungen andeuten wollten. Und so wandel-te er auf dem ehemals wasserbedeckten, nach und nach entwässerten Erdboden infolgerechter Beruhigung. Traf er auf die Gewalt der Vulkane, so erschienen ihm solchenur als noch immer fortdauernde, aber oberflächliche Spätlingswirkung der Natur. Nun aber scheint alles ganz anders herzugehen; er vernimmt: Schweden und Norwegenmöchten sich wohl gelegentlich aus dem Meere eine gute Strecke emporgehoben haben;die ungarischen Bergwerke sollten ihre Schätze von unten einströmenden Wirkungenverdanken, und der Porphyr Tirols sollte den Alpenkalk durchbrochen und den Dolomitmit sich in die Höhe genommen haben; Wirkungen freilich der tiefsten Vorzeit, die keinAuge jemals in Bewegung gesehen, noch weniger ein Ohr den Tumult, den sie erregten,vernommen hat. Was sieht denn hier also ein Mitglied der alten Schule? Übertragungen von einemPhänomen zum andern, sprungweis angewendete Induktionen und Analogien, Assertio-nen, die man auf Treu und Glauben annehmen soll. Wenn nun unser Naturfreund, hierdurch beinahe in Verzweiflung gesetzt, sich gern inein anderes Fach flüchten möchte, wenn er nur den vaterländischen Grund und Boden,dem er seine Betrachtungen hingegeben, überlassen und zu vermeiden wüßte, so mußihm eine geniale Hülfe höchst erwünscht und erfreulich sein, wie uns ein Heft erscheint,das den Titel führt: ‚Über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in verschiedenenErdstrichen von Alexander von Humboldt‘. [...] das, was uns bisher nur willkürlich angenommen erschien, zeigt sich hier schonbegründet; das desultorisch Angedeutete gewinnt Zusammenhang, und die Fülle derErfahrung läßt uns einen zirkelhaften Abschluß hoffen. Unverantwortlich wäre es daher,wenn wir nicht alle Kräfte anwendeten, diese so reichhaltigen wenigen Bogen zu studie-ren. [...] Haben wir dieses vollbracht, so wird es uns nicht beschämen, vielmehr zur Ehregereichen, wenn wir unsere Sinnesänderung öffentlich bekennen und unser neues Credoeinem so trefflichen und vieljährig geprüften Freunde zutraulich in die Hände legen.“

In der zweiten, gedruckten Fassung schrieb Goethe nach gründlicherem Studium desHumboldtschen Vortrages schon etwas zurückhaltender: Das genannte Heft

„nehme ich dankbarlichst auf, indem es zu keiner gelegeneren Zeit bei mir anlangen konnte.Ein weit umsichtiger, tiefblickender Mann, der auch seine Gegenständlichkeit, und zwar einegrenzenlose, vor Augen hat, gibt hier aus hohem Standpunkt eine Ansicht, wie man sichvon der neuern ausgedehnten vulkanistischen Lehre eigentlich [!] zu überzeugen habe. Das fleißige Studium dieser wenigen Blätter [...] soll mir eine wichtige Aufgabe lösenhelfen, soll mich fördern, wenn ich versuche, zu denken wie ein solcher Mann, welchesjedoch nur möglich ist, wenn sein Gegenständliches mir zum Gegenständlichen wird,worauf ich denn mit allen Kräften hinzuarbeiten habe ...“

Eine ähnliche Verwirrung findet sich aber bereits im zweiten Buch von Wilhelm

Meisters Wanderjahren von 1820/21 innerhalb der geologischen Gespräche auf demBergfest im neunten Kapitel, die vom Konzept her schon auf die zweite Jahreshälfte1810 zurückgehen29. Maßgeblich beteiligt an dem Gespräch ist die Gestalt des ‚Mon-

30 Siehe zuletzt Fritz Krafft: Georgius Agricola – Begründer neuzeitlicher Mineralogie. In:Georgius Agricola: Handbuch der Mineralogie De natura fossilium (1546). Übersetzt vonGeorg Fraustadt. Durchgesehen und ergänzt sowie mit Registern und einer Einleitungversehen von Fritz Krafft. (Bibliothek des verloren gegangenen Wissens [Naturwissen-schaften]) Wiesbaden: Marix Verlag 2006, S. VII–LXXI.

31 J. W. von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, II, 9. In: Goethe ArtemisGA VIII,284. Generell zu Wilhelm Meisters Wanderjahren siehe Ehrhard Bahr: Wilhelm MeistersWanderjahre oder die Entsagenden. In: Bernd Wille u. a. (Hrsg.): Goethe Handbuch. Bd.3: Prosaschriften. Stuttgart/Weimar 1997, S. 186–231.

32 ArtemisGA VIII, 282 f.33 ArtemisGA VIII, 284.34 ArtemisGA VIII, 285.

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tan‘, des Jarno aus Wilhelm Meisters ‚Lehrjahren‘, dem Wilhelm hier unverhofft be-gegnet. Mit dieser Gestalt will Goethe einerseits in Humanistenmanier den Begründerder Montanwissenschaften und der Mineralogie Georgius Agricola beziehungsweiseGeorg Bauer [Montanus = Bergbauer]30, andererseits mit autobiographischen Zügensich selbst verkörpert wissen, so dass seine abschließende Meinung wohl auch dieGoethes zu dieser Zeit ist.

Wilhelm hatte sich darüber gewundert, dass Montan keine eigene feste Stellung zuden behandelten Problemen der Erdentstehung einnahm (so dass er dessen Meinungnicht hätte erfahren können), sondern stets „die Meinung desjenigen, der da sprach, zuverstärken“ suchte31. Und es waren viele Meinungen gewesen. Das Gespräch handelteerst von

„Gebirgen, Gängen und Lagern, von Gangarten und Metallen der Gegend [...]. Sodann aberverlor [es] sich gar bald ins Allgemeine, und da war von nichts Geringerem die Rede als vonErschaffung und Erstehung der Welt. Hier aber blieb die Unterhaltung nicht lange friedlich,vielmehr verwickelte sich sogleich ein lebhafter Streit“32

– und es folgen unterschiedlichste, neptunistische, vulkanistische und andere Theorienseiner Zeit. Wohl auch autobiographisch schreibt Goethe weiter33:

„Ganz verwirrt und verdüstert ward es [daraufhin] unserm Freund zu Mute, welcher nochvon alters her den Geist, der über den Wassern schwebte, und die hohe Flut, welchefünfzehn Ellen über die höchsten Gebirge gestanden, im stillen Sinne hegte [also ins-geheim noch der neptunistischen Auffassung anhing], und dem unter diesen seltsamenReden die so wohl geordnete, bewachsene, belebte Welt vor seiner Einbildungskraft cha-otisch zusammenzustürzen schien.“Montan erwidert auf die Vorhaltungen, sich im Gespräch nicht für das, was er

vertrete, eingesetzt zu haben, mit den Worten34: „Wenn man einmal weiß, worauf allesankommt, hört man auf gesprächig zu sein.“ Und worauf komme alles an, fragt Wil-helm: „[Auf] Denken und Tun, Tun und Denken.“ – Goethe hält sich also bewusstheraus, mokiert sich aber gleichzeitig über die Theorienvielfalt. Wie hatte Mephisto-

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Bild 3: National Monument ‚Devil’s Postpile‘, Sierra Nevada, California (U.S.A.)(Foto: Fritz Krafft)

pheles in der klassischen Walpurgisnacht zur Einleitung des Philosophendisputszwischen dem Neptunisten Thales und dem Vulkanisten Anaxagoras gesagt?

„Denn wo Gespenster Platz genommen, / Ist auch der Philosoph willkommen. / Damitman seiner Kunst und Gunst sich freue, / Erschafft er [nämlich der Philosoph] gleich einDutzend neue [nämlich Gespenster].“

35 WeimarerA Abt. II, XIII, 314.36 Parker Cleaveland: An Elementary Treatise on Mineralogy and Geology. Boston 1816, S.

283 f.37 WeimarerA Abt. IV, XLII, 377 (I, LI, 137); siehe auch Goethe NatSchriften II, 359 [Nr.

CC].

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Schon 1818 war Goethe daraufhin der Stoßseufzer entfahren35: „Nord Amerikanerglücklich keine Basalte zu haben. Keine Ahnen und keinen klassischen Boden.“ Er wardarin allerdings einem Irrtum unterlegen, den ihm das 1816 erschienene amerikanischeLehrbuch der Mineralogie und Geologie von Parker Cleaveland (1780–1858) vermittelthatte. Hier heißt es nämlich36:

„It is extremely doubtfull, whether any Basalt, striktly speaking [soll heißen: säulenförmi-ger Basalt], has yet been observed in the United States; although it is said to exist in theStony Mountains.“

Der amerikanische Geologe Joseph Cogswell hatte Goethe das Werk Mitte 1818zugeschickt. Im damals noch ‚wilden‘ Westen kommt säulenförmiger Basalt denn auchtatsächlich vor; man denke nur etwa an die imposanten, bis zu 25 m hohen Basaltsäu-len des ‚Devil’s Postpile National Monument‘ westlich von Mammoth Lakes in derSierra Nevada (California) – das sich gegenüber europäischen Vorkommen dadurchauszeichnet, daß es nie als Steinbruch verwendet und abgebaut wurde (siehe Bild 3).

In dem Konzept eines Briefes an Karl Friedrich Zelter vom 21. Juli 1827, zu einerZeit also, als er an der Überarbeitung von Wilhelm Meisters Wanderjahren saß, vor allemsich aber Faust II widmete, nahm Goethe diesen Gedanken wieder auf und verdichteteihn zu einem Xenion, das später (meist in leicht veränderter Form) zu einem ‚geflügel-ten Wort‘ wurde37:

„Amerika, du hast es besserAls unser Continent, das alte, Hast keine verfallene Schlösserund keine Basalte.Dich stört nicht im Innern,zu lebendiger ZeitUnnützes ErinnernUnd vergeblicher Streit. Benutzt die Gegenwart mit Glück!Und wenn nun Eure Kinder dichten,Bewahre sie ein gut GeschickVor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten.“

Und eine dieser „Gespenstergeschichten“ der Alten Welt war der Streit um dieHerkunft und Entstehung des Basaltes. Goethe stellt die Verknüpfung der Lasten vonhistorischer und wissenschaftlicher Tradition in dem Briefe selbst her, indem erschreibt:

38 Siehe ausführlich F. Krafft (wie Anm. 8, a und b).

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„Weil nun das Menschengeschlecht sich durchaus heerdenmäßig bewegt, so ziehen siebald die Majorität hinter sich her und ein rein fortschreitender, das Problem ehrenderMenschenverstand steht allein eh er sich’s versieht. Da ich nicht mehr streiten mag, wasich nie gern that, so vergönn ich mir zu spotten und ihre schwache Seite anzugreifen, diesie wohl selbst kennen. [...] Ein Xenion berührt auch diese Eigenheit unserer Tage; leiderhabe ich manches dieser Art zurückbehalten. Vor einigen Tagen erging ich mich infolgenden Zeilen ...“

Die Ironie des Schicksals wollte es, dass die ganze Kontroverse um die Entstehungdes säulenförmigen Basalts überhaupt nur aus einer Namensübertragung durch ebenden Gelehrten des 16. Jahrhunderts und Begründers der Mineralogie als Wissenschaft,Georgius Agricola, resultieren konnte, in dem Goethe sich in der Gestalt des Montanautobiografisch verkörpert sah. Agricola hatte aus einer korrupten Stelle des seiner Zeitbekannten Textes der Naturalis historia von Plinius (XVI, 5, 6) das Wort ‚basaltes‘übernommen und aufgrund der Identität der bei Plinius genannten Eigenschaften(stahlfarben und eisenhart) auf die ihm bekannten Vorkommen säulenförmigen Basaltsam Burgberg des Bischofs von Stolpe in Meißen übertragen, obgleich bei Plinius andieser Stelle nicht von einem säulenförmigen ‚Marmor‘, unter dessen Sorten der Basalteingeordnet wurde, die Rede war. Schon 1810 hatte der Klassische Philologe PhilippButtmann aus dem Wortlaut erschlossen, dass an der fraglichen Stelle bei Plinius‚basanites‘ gestanden haben müsse, was ‚Probierstein‘ bedeutet und im Gegensatz zudem nur an dieser Stelle auftretenden ‚basaltes‘ in der antiken Literatur mehrfachvorkommt. Bei Plinius wäre eben von einer bestimmten (stahlfarbenen, eisenharten)Art des Probiersteins die Rede gewesen, nicht von einem eigentümlichen, ‚basaltes‘genannten Gestein, das Agricola dann wegen der übereinstimmenden Eigenschaftenmit dem säulenförmigen in Meißen identifizierte, das er danach benannte. 1830 istdann auch eine, gegenüber den bis dahin bekannten erstmals ältere Handschriftaufgefunden worden, die diese Lesart noch enthält und sie damit bestätigt.

Es hatte also in der Antike gar keine Unterscheidung von säulenförmigem undnicht-säulenförmigem eisenharten und stahlfarbenen Marmorgestein gegeben, siewurde erst von Agricola eingeführt – ebenso wie der Name für die säulenförmige Art;aber erst wegen der Säulenform ist die ganze Kontroverse um die neptunistische odervulkanistische Entstehung dieses ‚Basalts‘ Agricolas entstanden. – Aber darauf nähereinzugehen, wäre ein neues Thema38.

Halten wir fest, dass Goethe sich – trotz seiner Sympathien für den Neptunismusund trotz der Verwobenheit seines engsten mineralogisch-montanistischen Mitarbeitersin den Streit – vielleicht in weiser Voraussicht einer direkten Stellungnahme enthielt, sienur seinen erdichteten Gestalten überließ, aber selbst dort Spott und Ironie ob derStreitsüchtigkeit der Gelehrten überwiegen ließ. Über Werners Tod (30.06.1817) hinaus

39 Goethe ArtemisGA I, 666; NatSchriften II, 176 (Nr. CXLVIII). – Poseidon und Hephais-tos sind die griechischen Namen für Neptunus und Vulcanus.

40 Otto Krätz: Goethe und die Naturwissenschaften. München ²1998, S. 204–212.

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hat er ihm denn auch seine Achtung angedeihen lassen und war nicht, wie viele andereNeptunisten, umgehend in das andere Lager übergesiedelt. In den Zahmen Xenien

meinte er 1820 vielmehr39:„Kaum wendet der edle Werner den Rücken,Zerstört man das Poseidonische Reich;Wenn alle sich vor Hephaistos bücken, Ich kann es nicht sogleich;Ich weiß nur in der Folge zu schätzen.Schon hab ich manches Credo verpaßt;Mir sind sie alle gleich verhaßt,Neue Götter und Götzen.“

Und diese Einstellung hat seine naturwissenschaftlichen Ansichten, deren Grundhal-tung weitgehend dem 18. Jahrhundert verhaftet blieb, auch stets mitgeprägt40; neue,neumodische Götzen und Götter waren ihm offenbar noch verhasster als alte ‚Gespens-tergeschichten‘.