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gefäh gerettet Archäologische Ausgrabungen in Sachsen-Anhalt von 1991 bis 1997 Begleit band zur Sonde rausstellung 1998 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale)

Ausgrabungen auf dem Buroer Feld bei Coswig. In: Fröhlich, S. (Hrsg.): Gefährdet-geborgen-gerettet - Archäologische Ausgrabungen in Sachsen-Anhalt von 1991-1997 (Halle 1998), 187-194

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gefäh

gerettet

Archäologische Ausgrabungen in Sachsen-Anhalt von 1991 bis 1997 Beg lei tband zur Sonderausstellung 1998 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale)

Ausgrabungen auf dem Buroer Feld bei Coswig

Torsten Schunke

Die geplante gewerbliche Bebauung des bis dahin landwirtschaftlich genutzten Buroer Feldes am westlichen Ortseingang von Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst, südlich der Bundesstraße 187, führte 1994 und 1995 zu einer teilweisen archäologischen Untersuchung der betroffenen Flächen 1. Die über­

schwemmungsgeschützte Lage auf dem Hochufer über der Elbniederung sowie einige von ehren­amtlichen Bodendenkmalpflegern aufgelesene Scherben der jüngeren und späten Bronzezeit ( ca.

1300-750 v. Chr.) ließen eine entsprechende prähistorische Besiedlung des Gebietes erwarten2. Zwei äußerst flache, auf einem in Auftrag gegebenen Höhenschichtenplan zu lokalisierende Geländeerhe­bungen in den betroffenen Flächen deuteten dabei auf ein kleines verschliffenes Hügelgräberfeld. Im

Stadtgebiet von Coswig waren außerdem schon mehrfach bronzezeitliche Gräber bei Bauarbeiten

angeschnitten worden. Obwohl in Vorbereitung der Ausgrabung Suchschnitte von insgesamt fast einem Kilometer Länge gelegt worden waren, konnten nur an einer Stelle prähistorische Scherben gefunden werden. Die bei der trotzdem eingeleiteten Ausgrabung dokumentierten Befunde übertra­fen dann aber bei weitem die Erwartungen. Die Ausgrabung umfaßte zwei größere Flächen im Bereich geplanter Straßen, die Fläche 1 im Osten

mit über 5 000 m2 und die westlich gelegene Fläche 2 mit über 1 000 m2. Auf Fläche 1 lagen zwei Grabhügel, 15 Flachgräber sowie zwei grabähnliche Anlagen der jungbronzezeitlichen Lausitzer Kultur3, außerdem ein Körpergrab unbestimmter Zeitstellung. Die Zentralbestattung des ersten Grabhügels, dessen Aufschüttung nur noch 15-20 cm hoch erhalten war, stellt das älteste Grab (ca. 1300-1200 v. Chr.) dar. Die verbrannten menschlichen Reste und die keramischen Beigefäße wurden hier vor der Überhügelung auf einer vorher geglätteten Fläche sepa­rat nebeneinander der Erde übergeben, wobei der Leichenbrand im Osten lag. Die Beigefäße weisen

teilweise noch die mittelbronzezeitlichen Hofbuckel auf, aber auch Reste eines jungbronzezeitlichen doppelkonischen Gefäßes waren enthalten. Um den Grabhügel herum sind Steine und die verkohlten

Reste einer größeren Feuerstelle, evtl. des Scheiterhaufens, verteilt worden (Abb. I). Am Rand des Hügels ist in späterer Zeit eine Körperbestattung in gestreckter Lage eingebracht worden, die auf­grund ihrer Beigabenlosigkeit nicht näher datiert werden kann.

Abb. 1: Coswig, Ldkr. Anhaii-Zerbst. Grab­hügel 1 mit Zentralbestat­tung (Mitte) und kreis­förmig angeordneten Befun­den, von Osten gesehen

Der zweite Grabhügel war ähnlich dem ersten aufgebaut, jedoch fehlten hier die Scheiterhaufenreste. Die

in Leichenbrand- und Keramikbereich unterteilte Zentralbestattung enthielt vor allem Gefäße mit Zonen­buckeln, von der Tracht des bestatteten Menschen fanden sich eine bronzene Nadel und ein Bronzeblech­röllchen. Dieser Grabhügel ist wahrscheinlich etwas später errichtet worden als der erste. Noch später wurden die Flachgräber auf Fläche 1 angelegt (ca. 1200-1000 v. Chr.), die sich in einem weiten Schweif

um den zweiten Grabhügel gruppieren. Sie deuten auf eine Vielzahl von Bestattungsvarianten in der Jungbronzezeit hin, wie sie schon vielerorts beobachtet werden konnte. Ihnen allen gemein ist nur die Brandbestattung. Ansonsten wurden die menschheben und auch tierischen Überreste entweder in Urnen mit Deckgefaß beigesetzt oder über die im Grab stehenden Beigefaße gestreut. Von der mit auf dem Scheiterhaufen verbrannten Tracht und der Ausrüstung der Toten zeugen die zwischen den verbrannten Knochen liegenden bronzenen Nadeln, Ringe und die knöchernen oder bronzenen Pfeilspitzen. Eine Besonderheit stellt dabei die in einem Grab erhaltene knöcherne Zwischenschäftung der ebenfalls vorhan­

denen bronzenen Pfeilspitze (Abb. 2) dar. Verkohltes Getreide und Ackerbohnen belegen Speisebeigaben, welche der oder dem Bestatteten mitgegeben und daher mit verbrannt worden sind.

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Abb. 2: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Bronzene Pfeilspitze mit Knochen­zwischenschäftung und knöcherne Pfeilspitzen der Lausitzer Kultur (o. M.)

Zum üblichen Inventar der Flachgräber gehö­ren doppelkonische Gefäße mit horizontalem Rillenband, eiförmige Töpfe, schräg geriefte Terrinen und Schalen mit doppelt geknicktem Profil. Einflüsse aus dem Gebiet westlich der Muldemündung, dem Verbreitungsgebiet der sogenannten Saalemündungsgruppe, einer der Lausitzer Kultur verwandten Kulturerschei­nung, verraten eine Zylinderhalsterrine mit Bogenriefen und ein sogenanntes Glocken­grab, bei dem die Urne vollständig von einem Großgefäß überdeckt wurde. Weitere Auffäl­ligkeiten stellten eine Kleinstkinderbestattung in einer Tasse dar, die auf dem absichtlich durchlochten Boden ("Seelenloch") eines grö­ßeren Gefäßes stand, und eine grabartige Anlage ("Scheingrab") mit Gefäßen, aber ohne Leichenbrand.

Auf Fläche 2 konnten 14 weitere Flachgräber der Jungbronzezeit ausgegraben werden. Die ältesten sind mit dem ersten Grabhügel der Fläche 1 etwa zeitgleich, auch hier kommt die Kombination von Hofbuckel- und frühen doppelkonischen Gefäßen in einem Grab vor. Die später angelegten Gräber sind etwa zeitgleich den Flachgräbern der Fläche 1. Sie wiesen auch hier große Unterschiede in ihrem Bau und ihrer Ausstattung auf. Neben den einfachen Urnengräbern, welche meist die später angelegten sind, zeichneten sich die älteren Gräber durch eine relativ große ovale Grabgrube aus, in der die verbrannten menschlichen Überreste ohne ein Behältnis verstreut lagen. Dazu kamen fast immer Reste des Scheiterhaufens, Scherben und größere Gefäßpartien, bis hin zu vollständigen Gefäßen; auch größere Steine lagen anscheinend regellos in den Gräbern. Das am reichsten mit Keramik ausgestattete Grab gehörte zu dieser Gruppe der großen ovalen Grä­ber, es besaß eine Ausdehnung von 1,4 m x 0,9 m. Während sich der Leichenbrand in der Mitte der Anlage konzentrierte, waren die Scheiterhaufenreste vor allem östlich davon nachzuweisen. In die­ser schwarzen Verfärbung standen sechs der acht vollständigen Gefäße auf- und ineinandergestapelt (Abb. 3), sie tragen teilweise Spuren des Scheiterhaufenfcuers. An Verzierungen dominiert der Hof-

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Abb. 3: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Inventar eines gefäßreichen Grabes der Lausitzer Kultur

und der umrillte Buckel, die sehr schöne Kanne trägt eine Zier aus feinen konzentrischen Bogenril­len. Diese auffallend gut gearbeiteten Gefäße zeigen noch deutlich die Traditionen der vorangegan­genen späten mittleren Bronzezeit, dagegen stellen zwei abseits dieser Beigabengruppe, im Süden des Grabes gelegene konische Gefäße (Doppelkonus und Tasse) die damals neu in Mode kommen­den Gefäßformen dar, die ein Zeichen der ausgebildeten jüngeren Bronzezeit sind. Unter den Gräbern von Fläche 2 waren auch solche, die ehemalige hölzerne Grabeinbauten vermuten lassen. In Anlehnung an die westlich der Muldemündung vorkommenden, aus Steinplatten gebauten Steinkisten hatte ein Grab in Coswig eine aus zwei Lagen eiszeitlicher Gerölle gebildete rechteckige Form, die Steine müssen von einem inneren Holzeinbau gestützt worden sein. Leider war das Grab beraubt. Weiterhin wurde ein Grab aufgedeckt, das ein ebenes Bodenpflaster aus plattigen Geröllen besaß und an den Längsseiten jeweils dicke Packungen aus Scherben aufwies, die wohl ebenfalls von hölzernen Wänden gehalten wurden (Abb. 4). Im Inneren des Grabes lag der Leichenbrand zusammen mit einem bandförmigen Bronzeblechring der oder des Bestatteten auf dem Steinpflaster ausgebreitet, an der östlichen Stirnseite des Grabes befand sich das vollständige schräggeriefte Bei-

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Abb. 4: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Grab der Lausitzer Kul­tur (rechts der Fototafel) mit Steinpflaster, Scherben­packungen, Beigefäß und Bronzeblechring

Abb. 5: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Inventar des Grabes mit Beigefäß und den rekonstruierten Großgefäßen

gefäß. Aus den seitlichen Scherbenpackungen ließen sich zwei große Siedlungsgefäße teilweise zusammensetzen (Abb. 5), die wohl im Verlauf der Bestattungszeremonie absichtlich zerschlagen und dann zum Grabbau verwendet worden sind. Während das gerauhte Gefäß mit Fingertupfenverzie­rung eine für Siedlungskeramik geläufige Form darstellt, ist das tonnenförmige Gefäß eine Groß­form sonst in kleinerer Dimension vorkommender Tonnengefäße. Neben den eindeutigen Grabanlagen fanden sich auch Gruben, die nur Scheiterhaufenreste und Scherben, teilweise sogar vollständige Kleingefäße und Bronzen enthielten. Zweimal kam die Kom­bination Kleingefäße und Bronzering vor, wie auf Abb. 6 und 7 beim Inventar einer dieser Gruben zu sehen ist. Diese Gruben sind wohl in der Nähe liegenden Gräbern zuzuordnen und zeugen von den für uns schwer zu erklärenden sehr komplexen Bestattungsriten bei den Trägern der jungbronzezeit­lichen Lausitzer Kultur. Überraschend kamen zwischen diesen bronzezeitlichen Gräbern auch drei germanische Brandgräber und ein Körpergrab zutage4

. Sie fallen durch ihre Beigaben aus dem Rahmen der sonst für dieses Gebiet üblichen Grabinventare. Hier vorgestellt werden sollen ein Urnengrab und das Körpergrab. Das Urnengrab (Abb. 8), dem als Urne ein mit Gebrauchsspuren behafteter Kumpf diente, enthielt neben den verbrannten menschlichen Überresten mehrere Beigaben, die allesamt auch dem Scheiter­haufenfeuer ausgesetzt waren: eine fast vollständige und eine verschmolzene Fibel (Gewandspange),

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Abb. 6: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Branderdegrube der Lausitzer Kultur mit intakten Beigefäßen

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Abb. 7: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Inventar der Branderdegrube

Abb. 8: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Spät­kaiser-/ frühvölkerwande­rungszeitliches Urnengrab mit Beigaben

einen Schlüssel und einen Nagel als Teile eines hölzernen Schmuckkästchens, eine artgeschmolzene Glasperle, Reste eines zerstörten Glasgefäßes und Scherben einer auf der Drehscheibe hergestellten Keramikschale. Nach diesen Beigaben handelt es sich wohl um die Bestattung einer Frau aus der Zeit kurz vor oder um 400 n. Chr. Das Nord-Süd ausgerichtete Körpergrab, in dem die Knochen leider nicht mehr erhalten waren, zeichnete sich durch folgende Beigaben und Trachtbestandteile aus (Abb. 9): Ein schönes Exemplar

Abb. 9: Coswig, Ldkr. Anhalt-Zerbst. Inventar des friihvölkerwanderungs­zcitlichen Körpergrabes

der seltenen sogenannten "Fenstergefäße", d. h. Gefäße, in deren durchbrochene Wandung Scherben eines Glasgefäßes eingesetzt worden sind; ein eisernes Messer, eine eiserne Gürtelschnalle, einen Spinnwirtel als Teil einer Spindel zum Wolle spinnen, zwölf eiserne Niete eines dreilagigen Kno­chenkammes und ein Stück "Urnenharz" - eine harzige Masse, die sonst vor allem in Urnengräbern gefunden wird und wohl im Grabritus eine Rolle spielte. Messer und Gürtelschnalle lagen im Bereich des Oberkörpers, Kamm und Spinnwirtel im Fußbereich. Auch hier handelte es sich um die Bestattung einer Frau, wie der mitgegebene Spinnwirtel nahelegt Das Fenstergefäß läßt sich anband

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der eingesetzten Glasscherben, die von einem kostbaren, wahrscheinlich aus dem Gebiet des heuti­gen Belgien importierten Glasbechers stammen, in die erste Hälfte des 5. Jh. n. Chr. datieren. Die Bedeutung dieser in ihrer Form sehr vielfältigen Fenstergefäße, die über einen Zeitraum von fünf Jahr­hunderten vereinzelt im freien Germanien vorkommen, ist heute schwer zu klären. Sie könnten religiö­sen, aber auch profanen Zwecken gedient haben, wie die Funde aus Siedlungen nahelegen. Da die Brandgräber und das Körpergrab auf der kilometerlangen gleichförmigen Elbterrasse, trotz des Nichtvorhandenseins erkennbarer auffälliger Geländemerkmale, sehr dicht beieinanderlagen und auch in nicht allzu großem zeitlichen Abstand voneinander angelegt worden sein dürften, liegt die Vermutung nahe, daß es sich hier um einen der bisher im Mittelelbe-Saale-Gebiet recht seltenen ger­manischen Friedhöfe handelt, bei denen der Übergang von der Brand- zur Körperbestattung bei den Germanen faßbar wird. Der nur äußerst kleine Ausschnitt dieser Gräbergruppe, der bei der Ausgra­bung erfaßt werden konnte, läßt hoffen, daß bei der geplanten Bebauung des Buroer Feldes die Mög­lichkeit zu weiteren Untersuchungen bestehen wird, um die kulturgescryichtlich interessante Situation weiter aufklären zu können. In diesem Licht sind auch die hier vorgestellten jungbronze­zeitlichen Gräbergruppen und weitere südlich in unmittelbarer Nähe erschlossene Siedlungsbefunde, beginnend mit dem Neolithikum, über Bronze- und Eisenzeit, bis hin zu spätkaiserzeitlichen und mittelslawischen Siedlungspuren, zu sehen. Ein Zusammenhang dieser regen menschlichen Sied­lungstätigkeitüber mehrere Jahrtausende mit der Elbe, die auch in prähistorischer Zeit ein wichtiger Transport- und Handelsweg und damit auch kulturverbindender Weg war, liegt auf der Hand. Die durch die Ausgrabungen erwiesene Intensität der prähistorischen Besiedlung auf dem Buroer Feld, die, trotz der landwirtschaftlichen Nutzung und der Tätigkeit der Bodendenkmalpfleger, vor den Grabungen in diesem Maße nicht im mindesten abzusehen war, zeigt die Notwendigkeit einer archäologischen Baubegleitung in vielen ähnlichen Fällen. Das Buroer Feld stellt nur einen kleinen Ausschnitt einer gleichartig geprägten Landschaft an der mittleren Eibe dar, und die Erschließung ähnlicher Befundsituationen an der mittleren Eibe dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

Anmerkungen 1 weitere Ausführungen siehe Schunke 1996 2 vgl. Hinze 1992 3 zur Lausitzer Kuh ur vgl. Coblenz 1952 4 detaillierte Fundvorlage siehe Schunke 1998

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