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Seminararbeit zur LV 210082 SE M3b: SpezialiserungsSE Politische Manifeste WiSe 2014 Wien, 28.02.2015 Seite 1 von 21 A storm in a tumbler ? 1 Lehrveranstaltungsleiter: Mag. Dr. Günther Sandner Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien Eingereicht von: Werner Schrittesser Matrikelnummer: 0802034 / Studienkennzahl: 066 824 1 © W. Schrittesser Collage mittels © Lizenzfreie Stockbilder. http://de.dreamstime.com/lizenzfreie-stockbilder- sturm-tornado-maskottchen-zeichen-image19378639 (16.01.2015).

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Seminararbeit zur LV 210082 SE M3b: SpezialiserungsSE Politische Manifeste WiSe 2014

Wien, 28.02.2015 Seite 1 von 21

A storm in a tumbler?

1

Lehrveranstaltungsleiter:

Mag. Dr. Günther Sandner

Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien

Eingereicht von: Werner Schrittesser

Matrikelnummer: 0802034 / Studienkennzahl: 066 824

1 © W. Schrittesser Collage mittels © Lizenzfreie Stockbilder. http://de.dreamstime.com/lizenzfreie-stockbilder-

sturm-tornado-maskottchen-zeichen-image19378639 (16.01.2015).

Seminararbeit zu WiSe 2104

© Werner Schrittesser Wien, 28.02.2015 Seite 2 von 21

Inhaltsverzeichnis

Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 3

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 3

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 5

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 6

Optik und Haptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 6

Die ManifestantInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7

Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11

Inhalt des Manifestos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12

Ein politisches Manifest? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 15

Wirksamkeit des Manifestos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 17

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 18

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 19

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20

Zur Einleitung

Der politisch historische Aspekt des 1967 NEW LEFT MAY DAY MANIFESTO (1967MDM)

lässt sich mit der spezifischen Situation des – im Sinne Bourdieus – politisch linken Feldes der

späten 1960er Jahre in Großbritannien skizzieren. Die als oppositionelle Kraft innerhalb des

linken Feldes positionierte New Left postulierte das 1967MDM aus einer Situation heraus, in

welcher sie die Labour Party als neoliberalen Büttel und revisionistischen Verräter

sozialistischer Ideologie sah. Zu den Akteuren des 1967MDM zählten fast

70 ManifestantInnen, überwiegend aus dem universitären Feld. Die intellektuellen Speer-

spitzen des 1967MDM waren die Herausgeber Stuart Hall, Raymond Williams und Edward P.

Thompson. Außergewöhnlich war, dass ein Designer, Anthony Ronald Hunnybun, das Layout

des Manifests unter Verwendung der Schriftart Futura gestaltete. In Würdigung des

1967MDM habe ich diese Seminararbeit daher in dieser Schriftart verfasst.

Seminararbeit zu WiSe 2104

© Werner Schrittesser Wien, 28.02.2015 Seite 3 von 21

1967 war in vielen Facetten auch jenes Jahr, in welchem sich die

Ereignisse des Jahres 1968, das einer Epoche und einer ganzen

Generationseinheit2 einen Namen geben sollte, ankündigten.

Diese Zeit ist im kulturellen Gedächtnis als eine Zeit der

progressiven Revolten zu Musik, Kleidung, Demonstrationen,

Gewalt und Sex geblieben.3 In den USA kam es mit dem „Summer of Love“ zum Höhepunkt

der Hippiebewegung und zum gesellschaftspolitischen Tiefpunkt mit landesweiten

Rassenunruhen. Dem US-amerikanischen Boxweltmeister im Schwergewicht, Muhammad Ali,

wurde sein Titel aberkannt, weil er wegen des Vietnamkrieges den Wehrdienst verweigerte

(„Kein Việt cộng nannte mich je Nigger“). Eine neue Dimension von Geschlechterkampf

eröffnete Valerie Solanas mit ihrem SCUM Manifest: „destroy the male sex“.4 In Bolivien fand

die linke Revolution ein jähes Ende, nachdem Che Guevara erschossen wurde. In Europa

stand der Kommunismus in der Tschechoslowakei mit dem „Prager Frühling“, begleitet von

Studentenprotesten, an der Kippe. Auf der Kippe stand die Souveränität Israels, die sich aber

im Sechstagekrieg gegen seine Nachbarn festigen konnte. Im geteilten Deutschland wurde

der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen das iranische Schah-Regime in

West-Berlin erschossen; ein Auslöser der westdeutschen Studentenbewegung und Radikali-

sierung der außerparlamentarischen Opposition.5 Auf der anderen Seite feierte die

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands die Einführung der Fünf-Tage-Woche und die

Abschaffung von fünf kirchlichen Feiertagen als sozialistische Errungenschaften. In Österreich

wurde Bruno Kreisky in einer Kampfabstimmung Parteivorsitzender der Sozialistischen Partei

Österreichs; mit seinem Reformprogramm „Für ein modernes Österreich“ stellte er die

Weichen in eine spätere sozialistische Regierung. In Großbritannien waren die kulturellen

Ereignisse die Veröffentlichung des Beatles – Albums Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band

und der Gewinn des Eurovision Song Contests durch Sandie Shaw mit Puppet on a String.

Kirchliche Feiertage, wie in der DDR, wurden zwar nicht abgeschafft, dafür aber das Verbot

des Fleischverzehrs am Freitag von den katholischen Bischöfen aufgehoben.

2 Im Sinne von Karl Mannheim. Vgl. Neckel et al, 2010: S. 139. 3 Vgl. Woodhams, 2010: S. 57. 4 Solanas, 1967: S. 1. 5 Vgl. Der Standard vom 18.02.2015. http://derstandard.at/2000011867499/Stasi-Agent-nimmt-Schuss-auf-

Ohnesorg-mit-ins-Grab (26.02.2015).

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Außenpolitisch gesehen zeichnete sich das Ende der britischen Kolonialherrschaft nun auch

unerbittlich im Südjemen durch Ausrufung der Republik Südjemen ab. Innenpolitisch kam es

zur Neuverstaatlichung der Stahlindustrie, um Arbeitsplätze zu sichern. Ein auch von Bruno

Kreisky favorisiertes „Arbeitsplatzsicherungsmodell“. Was macht nun das Jahr 1967 so

besonders, dass sich zivilgesellschaftliche6 Teile des politisch linken Feldes öffentlich in Form

eines Manifests äußern? Nun, seit 1966 war, nach langer Zeit konservativer Regierungen,

endlich die Labour Party mit einer komfortabelen Mehrheit im Parlament ausgestattet.7 Die

Erwartungen der New Left wurden aber in einem Ausmaß enttäuscht, dass fast siebzig

ManifestantInnen8 ein intellektuelles Bollwerk gegen eine als neoliberal und revisionistisch

empfundene politische Entwicklung Großbritanniens verfassten.

Die britische Neue Linke entstand aus einer tiefen Desillusionierung, Enttäuschung und

Frustration linksintellektueller Kreise über die Entwicklung des Labour-Sozialismus einerseits

und des Kommunismus sowjetischer Prägung, repräsentiert durch die Communist Party of

Great Britain (CPGB), andererseits. Äußere Ereignisse der 1950er Jahre wie die Suez-Krise,

der Ungarnaufstand oder die Demotage Stalins trieben viele Intellektuelle aus ihren

bisherigen Stammparteien Labour Party oder CPGB in die jenseits parteipolitischer Strukturen

organisierte New Left, die ihren Namen einer französischen Wortschöpfung verdankte.9 Zur

Enttäuschung über die Entwicklungen der Labour Party und der CPGB kam noch eine

besonders harte Nuss: nicht nur der westliche Kapitalismus, verkörpert durch die USA,

sondern auch das kommunistische und sozialistische Establishment forcierten, angeheizt durch

den kalten Krieg, die atomare Rüstung, welche beispielsweise in Deutschland durch die

„Göttinger Erklärung“10 von 1957 verhindert wurde. In Großbritannien formierte sich als

Gegenbewegung die Campaign for Nuclear Disarment (CND), welche eng mit der New Left

verschränkt war. Die New Left war aber keine Partei, sonden eine heterogene, stark von

Individuen geprägte Bewegung.11

6 Vgl. Klatt & Lorenz, 2011: S. 11ff. 7 Nach einer bereits seit 1964 bestehenden Minderheitsregierung. 8 1967MDM, S. 45. 9 Vgl. Hall, 1989: S. 14-15. In Chun, 1996: S. 12. 10 Lorenz, in Klatt & Lorenz, 2011, S. 199ff. 11 Vgl. Chun, 1996: S. 12.

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Mediale Diskussionsplattform der New Left war, seit 1960 bis heute, die New Left Review

(NLR), in welcher die politische Agenda der New Left, durchaus mit heftigen Meinungs-

verschiedenheiten innerhalb der New Left, verhandelt wurde. Diese Dissonanzen sind auf die

unterschiedlichen Hauptströmungen in der New Left zurückzuführen, welche einen dissidenten

Kommunismus, einen theoretischen Marxismus, einen unabhängigen Sozialismus, eine

revolutionäre christliche Philosophie oder eine sozialistisch-feministische Denkrichtung

umfasste.12

Der May Day ist über alle Gruppierungen im linken Feld so etwas wie ein gemeinsamer,

identitätsschaffender Code, ein Symbol. Daraus ist sowohl der Name im Manifest als auch

der Zeitpunkt der Veröffentlichung erklärbar. Der Begriff des May Day ist ein klassisches

Beispiel für das Encoding – Decoding Modell von Stuart Hall13: entweder man identifiziert

sich mit dem Code May Day (preferred reading) oder man identifiziert sich eben nicht

(oppositioning reading). Für die weiteren Ausführungen im 1967MDM gilt das nicht, denn der

Kodierungsvorgang kann nicht bestimmen, welche Art von Dekodierung zur Anwendung

kommt.14 Daher können sich auch die unterschiedlichen Strömungen in der New Left mit dem

1967MDM identifizieren. Aber zumindest sind die potentiellen AdressatInnen des 1967MDM

umrissen: all jene, für die der May Day positiv identifizierende Bedeutung (preferred

reading) hat. Am 1. Mai 1967 wurde das 1967MDM öffentlich in der Caxton Hall präsentiert,

wobei Raymond Williams vorsorglich schon einige Tage früher einen Artikel in der

„traditional left paper Tribune“15 geschrieben hatte, in dem er die Veranstaltung in der

Caxton Hall ankündigte, den Geist und die Agenda des 1967MDM der Öffentlichkeit

nahebrachte und die LeserInnen aufforderte, die Themen des Manifesto offen und öffentlich

zu diskutieren.16 Der ehemalige stellvertretende Herausgeber der Tribune, Mervyn Jones

(*1922 †2010), war ebenfalls Manifestant des 1967MDM17, zu diesem Zeitpunkt aber schon

stellvertretender Herausgeber des linksgerichteten New Statesman.18

12 Vgl. Chun, 1996: S. 12. 13 Vgl. Hall, 1999: S. 92ff. 14 Vgl. Hall, 1999: S. 106. 15 Woodhams, 2010: S. 59. 16 Vgl. Woodhams, 2010: S. 59. 17 1967MDM, S. 45. 18 NewStatesman. http://www.newstatesman.com (15.02.2015).

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© Werner Schrittesser Wien, 28.02.2015 Seite 6 von 21

Optik und Haptik

ist vermutlich selten eine Kategorie in der Analyse eines Manifests – auch

Klatt und Lorenz widmen in „Manifeste“19 der Optik und Haptik von

Manifesten keine Zeile. Beim 1967MDM ist sie jedoch auffällig. Der

eingangs schon erwähnte Designer A. R. Hunnybun hat zwei optische

Designelemente, welche auch im Bauhaus-Manifest von 191920 explizit

ausgewiesen sind, im 1967MDM verankert. Erstens die Schrifttype Steile

Futura, von Paul Renner 1927 kreiert. Die Futura, so der politische Anspruch, sollte Signet für

eine neue demokratische Zukunft sein21. In Anspielung an die New Left: Für eine neue linke

demokratische Zukunft? Zweitens findet sich eine monochrome Abbildung im Op Art Stil, der

sich aus den experimentiellen Traditionen des Bauhauses ableitet. Ob es nur ein grafisches

Statement für die Moderne sein soll oder eine spezifische Bedeutung hat, ist

nicht zu entschlüsseln. Op Art wurde in den 1960er Jahren vor allem durch

Victor Vasarely bekannt. Darstellungen wie auf dem fahlgelben 1967MDM

Cover, in der er ein regelmäßiges Gitter so verformt wird, dass es optisch

den zweidimensionalen Raum verlässt (auch eine Art „Dritter Weg“), sind

typische Op Art Repräsentationen.22 Viel symbolischer Interaktionismus am

Cover des 1967MDM also – und dies just in jenem Jahr 1967, in dem Herbert

Blumer an der University of California, Berkeley, emeritierte. Weiters fällt noch die solide,

pergamentartige Anmutung des Papiers auf, die eine besondere Haptik des 1967MDM

auszeichnet. Die fühlbare Wertigkeit suggeriert zeitlose Gültigkeit. Innen links (!) gibt es auf

jeder Seite einen außergewöhnlich breiten freien Raum von ca. einem Drittel der Seite,

vermutlich für Anmerkungen, Randnoten oder Vermerke freigehalten. Dies legt schon vor der

Rezeption den Schluss nahe, dass es sich um ein Diskussionspapier handelt, was

schlussendlich auch mehrfach mit „Discussion of the manifesto“23 angesprochen wird.

Auffallend ist der am Cover UND auf der Rückseite ausgewiesene Preis von 2 shillings

sixpence, welcher 1967 in etwa dem Preis von zwei Glas (pint) Bier entsprach. 19 Klatt & Lorenz, 2014. 20 Gropius, 1919: S. 3: Punkt f) Entwerfen von Ornamenten und g) Schriftzeichnen. 21 Vgl. Leinthaler, 2008: S. 75. Zitiert Newark, Quentin: Was ist Grafik-Design? Singapur 2006, S. 20. 22 Vgl. Abb. links © Visual Art Encyclopedia http://www.wikiart.org/en/victor-vasarely (09.11.2014). 23 1967MDM , S. 46.

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© Werner Schrittesser Wien, 28.02.2015 Seite 7 von 21

Die ManifestantInnen

„Engagierte Wissenschaft - damit werden für gewöhnlich politisch oder sozial ambionierte

Intellektuelle und deren Arbeit assoziiert, die sich für Ziele der gesellschaftlichen

Veränderung, die auch utopischen Charakter tragen können, einsetzen.“24 Das 1967MDM

wird durch eine Vielzahl solch engagierter Wissenschaftlerinnen repräsentiert, welche aus

ganz unterschiedlichen Strömungen innerhalb der New Left kommen. Auch wenn Männer als

Manifestanten beim 1967MDM bei weitem überwiegen, habe ich nachstehende Auswahl im

politisch immer beliebter werdenden Reißverschlussprinzip und einem überwiegenden

Frauenanteil konzipiert. Ladys first:

Peggy Duff25 (*1910 †1981) war Mitbegründerin und 1967 General-

sekretärin der CND, die sich auch als Aktivistin der Anti-Vietnam-

kriegbewegung engagierte. Die Vietnampolitik Harold Wilsons veranlasste

sie, die Labour Party 1967 zu verlassen.26 Noam Chomsky bezeichnete

Peggy Duff als “one of the people who really changed modern history" und

"one of those heroes who is completely unknown“27

Was beim Reißverschluss der Schieber, der die Krampen zusammenfügt, war

beim 1967MDM der 46jährige Waliser Raymond Williams28 (*1921 †1988).

Er gilt als „the mantel of speaker and organizer“29 des 1967MDM und

verfasste auch selbst den Großteil des Manifestos.30 Williams vertrat als

„one of the founding fathers of cultural studies“31 eine kulturalistische

Auffassung von Politik. Das bedeutet, dass Bedeutungen und Werte in bestimmten

Lebensweisen Kultur ist: „a whole way of life“32. Politik hat sich, nach Williams, mit den

ständigen kulturellen Veränderungen auseinanderzusetzen, wie sie sich gerade in den

1950/1960er Jahren mit neuen Jugendkulturen etablierten.

24 Sandner, 2006: S. 1. 25 Abb. © The Washington Nuclear Museum http://www.toxipedia.org/display/wanmec/Peggy+Duff

(11.11.2014). 26 Vgl. ebenda. 27 Chomsky, 1995. 28 Abb © Suplemento Cultura http://www.lanacion.com.ar/215907-lengua-historia-y-sociedad (09.11.2014). 29 Woodhams, 2010: S. 57. 30 Vgl. Woodhams, 2010: S. 59. 31 Horak & Seidl, 2010: S. 1. 32 Williams, 1958.

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© Werner Schrittesser Wien, 28.02.2015 Seite 8 von 21

Williams war zunächst Mitglied der CPGB und später der Labour Party, welche er aber aus

Protest gegen die britische Vietnampolitik verließ und fürderhin die New Left unterstützte.33

Catherine Hall34 (*1946) war Professorin of Modern British Social and

Cultural History at University College London. Als feministische Historikerin

interpretierte sie die britische Geschichte des 19. Jhdts., insbesonders die

Wechselbeziehung zwischen der Metropole und den Kolonien neu und

publizierte dies auch in der NLR.35 Über die Zusammenhänge von

Feminismus, race, Klasse und Geschichte publizierte Hall 1992 in White, Male And Middle-

Class: Explorations In Feminism And History. Verheiratet war sie mit Stuart Hall.

Der aus Jaimaika stammende Stuart Hall36 (*1932 †2014), ebenfalls

Proponent des britischen CS der zweiten Generation, lag auf einer Line mit

Williams, was den Kulturalismus betraf. Gemeinsam mit Williams war auch

seine Karriere als Scholarshipboy, womit Absolventen britischer

Eliteuniversitäten etikettiert werden, welche nicht über die Wege der

etablierten britischen Oberschicht, sondern über ein Stipendium Aufnahme

fanden. Halls politische Bekenntnisse reichen über mannigfaltige Äußerungen in der

Universities & Left Review und später in der NLR. Bei beiden Medien war er Mitbegründer

und Herausgeber. Die politische Programmatik der New Labour von Tony Blair, manifestiert

im Schröder-Blair-Papier von19993738, kritisierte er scharf.39 Seinen 1967MDM und 1968MDM

sollte 2014 noch das Kilburn Manifesto folgen, in welchem er die Auswirkungen des

Thatcherism, einem von ihm geprägten Begriff,40 geißelte und sich der Frage, was nach dem

Neoliberalismus kommen würde, zuwandte.41

33 Vgl. Woodhams, 2010: S. 59. 34 Abb. © University College London http://www.ucl.ac.uk/history/people/academic-staff (12.11.2014). 35 ZB „Rethinking Imperial Histories: The Reform Act of 1867“, New Left Review I/208, Nov-Dec 1994. 36 Abb. © Morley & Schwarz, 2014: S. 1. 37 Englische Fassung: Europe: The Third Way. http://web.archive.org/web/19990819090124/

http://www.labour.org.uk/views/items/00000053.html (12.01.2015). Deutsche Fassung: Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten. http://www.glasnost.de/pol/schroederblair.html (12.01.2015).

38 Das Schröder-Blair-Papier ist heute weder auf der Website der Labour Party noch der SPD zu finden. 39 Blackburn, 2014: S. 76. 40 Vgl. Morley & Schwarz, 2014: S. 4. 41 Vgl. Hall & Massey & Rustin, 2014. Cover.

Seminararbeit zu WiSe 2104

© Werner Schrittesser Wien, 28.02.2015 Seite 9 von 21

Dorothy Thompson42 (*1923 † 2011) war eine britische Historikerin. Seit

ihrem Studium ab 1942 in Cambridge war sie Aktivistin der am

Sowjetkommunismus orientierten CPGB und engagierte sich in der

Communist party historians' group, wie auch ihr späterer Ehemann Edward P.

Thompson.43 1956 war sie Teil einer DissidentInnengruppe in der CPGB und

Mitbegründerin des New Reasoner, Vorläufermedium der NLR, in dem sie auch von Anfang

an publizierte.44

Edward P. Thompson45 (*1924 †1993), Historiker und ehemals Mitglied,

Vordenker und Theoretiker der CPGB vertrat einen dissidenten Kommunismus.

Diesen begann er aus Anlass der Rede Nikita Chrustschows 1956 über die

Verbrechen Stalins, auch zu publizieren, vorwiegend im The Reasoner.46

Sowohl für Dorothy als auch Edward P. Thompson lautet der Befund der

Nachwelt, dass ihre Arbeit „always been informed by a passionate radicalism and a deep

sympathy for the underdog.“47

Dorothy Wedderburn48 (*1925 †2012) war Ökonomin und Soziologin, die

auch durch ihre signifikante Rolle bei der Reorganisation der University of

London bekannt wurde. Sie kämpfte in verschiedenen Interessensgruppen für

die Gleichstellung von Männern und Frauen, insbesondere für gerechte,

geschlechterunabhängige Entlohnung49 und publizierte auch in der NLR.50

42 Abb. © The Guardian http://www.theguardian.com/books/2011/feb/06/dorothy-thompson-obituary

(12.11.2014). 43 Vgl. ebenda. 44 ZB „Farewell to the welfare state“, New Left Review I/4, July-August 1960. 45 Abb. © Wermod and Wermod Publishing Group.

http://www.wermodandwermod.com/newsitems/news280820140001.html (08.11.2014). 46 Ebenda. 47 Ebenda. 48 Abb. © The Times. http://www.thetimes.co.uk/tto/opinion/obituaries/article3549274.ece (12.11.2014). 49 Vgl. The Times. http://www.thetimes.co.uk/tto/opinion/obituaries/article3549274.ece (12.11.2014). 50 ZB „Pensions, Equality and Socialism“, New Left Review I/24, March-April 1964.

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Michael Rustin51 (*1943), Secretary des May Day Manifesto Committee,

organisierte die Herausgabe des 1967MDM und auch dessen Nachfolger

1968MDM im Jahr darauf.52 In Lessons of the May Day Manifesto wird Rustin

55 Jahre später53 die Bedeutung des 1967MDM als holistische Analyse der

kapitalistisch- imperialistisch verfassten Gesellschaftsordnung betonen, welche

auch im Jahre 2013 noch Gültigkeit hat. Er war auch einer der Autoren des

Kilburn Manifesto. Mit seiner Frau Margaret54, Kinder-Psychotherapeutin und

ebenfalls Unterzeichnerin des 1967MDM, engagiert er sich bis heute in der

British Psychoanalytical Society und verfasste mehrere Bücher über Themen

der Psychoanalyse.

Terry Eagleton55 (*1943), „The Mother Of All Academic Bombs“56 ist

marxistischer Literaturtheoretiker und vertrat eine christliche Richtung in der

New Left. Er verfasste neben einer Reihe theologischer Artikel in der New Left

Review das Buch The New Left Church.57 Eagleton schrieb, wie Raymond

Williams auch, im linkskatholischen Magazin Slant (1964-1970).

Iris Murdoch58 (*1919 †1999), eine anglo-irische Schriftstellerin und

Philosophin, die in Oxford studiert hatte und von 1938 (ihrem ersten Jahr in

Oxford) bis 1942 Mitglied der CPGB war.59 Als irische Protestantin wandelte

sie sich von „a romantic, Marxist nationalist to a hardline Unionist“.60 Ihre

schriftstellerische Arbeit wurde häufig in der NLR diskutiert.

Ich wollte allen hier angeführten ManifestantInnen, entgegen üblicher Gepflogenheiten61, ein

Gesicht geben, bei Suzy Benghiat bin ich allerdings gescheitert, ein Bild war nicht zu

recherchieren und im nichts vergessenden Netz scheint sie fast vergessen zu sein.

51 Abb. © Brent & Kilburn Times http://www.kilburntimes.co.uk (11.11.2014). 52 Williams, 1968. 53 Vgl. Rustin, 2013a: S. 1ff. 54 Abb. © Institute of Psychoanalysis. http://couchandscreen.org (11.11.2014). 55 Abb. © Eamonn MacCabe in The Guardian.

http://www.theguardian.com/books/booksblog/2007/oct/04/eagletonvamisanacademicst (28.02.2015). 56 Ebenda. 57 Vgl. Eagleton, 1966. 58 © Mark Gerson. National Portrait Gallery. http://www.npg.org.uk/collections/search/portrait/mw12633/Iris-

Murdoch (11.11.2014). 59 Vgl. The Guardian. http://www.theguardian.com/books/2001/sep/08/irismurdoch (11.11.2014). 60 Ebenda. 61 Vgl. Klatt & Lorenz, keine Abbildungen.

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Was ich fand, war die Dissertation von Caroline Bamford über die Early

New Left. Bamford interviewte Suzy Benghiat, „who did a lot of

administrative work for the Universities and Left Review and the New Left

Review“.62 Diese administrative Arbeit war beispielsweise die Organisation

des „Universities and Left Review Club“ in London, in welchem sich die

UnterstützerInnen der New Left zu Diskussionsrunden trafen. Bei der ersten

Versammlung trafen sich an die 600 TeilnehmerInnen und „Suzy Benghiat [...] opened the

hall and collected entrance money for four weeks, without anyone speaking to her at all“.63

Motivation64

Die Motivationen der ManifestantInnen hier auszuführen, würde den Rahmen der Arbeit

sprengen. Exemplarisch sei Raymond Williams angeführt, zu dem ich bereits in einer anderen

Arbeit drei Motivationslagen für politisches Engagement beschrieben habe:

1. Sein Herkunftsmilieu als Sohn einer Eisenbahnerfamilie und als Angehöriger der Arbeiter-

klasse. Schon sein Vater war in der Labour Party engagiert.65 Seine Mitgliedschaft beim

lokalen Left Book Club hat möglicherweise schon früh seine spätere mannigfaltige

Autorenschaft in verschiedenen politischen Publikationen befeuert.

2. Seine Karriere als Scholarship Boy, die Williams die in England immer schon privilegierte

Welt des Geistes66 erschloss und ihn wohl auch zu seinem leidenschaftlichen Engagement

in der Erwachsenenbildung, der Workers´ Educational Association, motivierte. Für das

politische Engagement war es die in Culture and Society geprägte Erklärung von Kultur als

„umfassende Lebensweise“, in welche er sich selbst als Intellektueller einbrachte.

3. Nach Pierre Bourdieu stehen Intellektuelle in ihrem intellektuellen Kräftefeld in einer

Verbindung zum kulturellen Kräftefeld, das ein System von Problem- und Themen-

beziehungen ist.67 In ihrer Positionierung gegenüber den Instanzen, welche die Ordnung

des Feldes bestimmen, verweisen kulturelle Äußerungen implizit immer auf die

Orthodoxie.68 Mit anderen Worten: Die Ordnung des Feldes wird zum einen durch die

62 Bamford, 1983: S. 19. 63 Bamford, 1983: S. 171. 64 Der gesamte Abschnitt „Motivation“ stammt - gekürzt - aus meiner Seminararbeit über Raymond Williams. 65 Smith, 2008: 59-60. 66 Sandner, 2006: S. 48. 67 Bourdieu, 1997: S. 76. 68 Bourdieu, 1997: S. 110. In Sandner, 2006: S.57.

Seminararbeit zu WiSe 2104

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orthodoxen, monolithische Strukturblocks der Universitätsdisziplinen bestimmt; hier kontert

Raymond Williams mit dem Projekt der Cultural Studies als postdisziplinäres Feld. Die

Ordnung des Feldes wird zum anderen durch politische Macht und Ordnungsprozesse

bestimmt. Hier positioniert sich Raymond Williams durch politisches Engagement in der

New Left sowohl gegen eine revisionistische Labour Party als auch gegen eine orthodoxe

CPGB. Damit verbleibt er im Kräftefeld jener Instanzen (Labour, CPGB), welche die

Ordnung des „politisch linken“ Feldes bestimmen und verweist in seinen, vorzugsweise in

der New Left Review getätigten Äußerungen, auf die Orthodoxie. Wobei ich bei Ordnung

des „politisch linken“ Feldes noch präzisiere, dass nach Francis Mulhern, Mitherausgeber

der New Left Review, Williams kein linker Akademiker, sondern ein sozialistischer

Intellektueller sei.69

Inhalt des Manifestos

Schon ein erster Blick auf eine quantitative Analyse der ca. 25.000 Wörter im 1967MDM

zeigt drei Dimensionen70: Erstens der Hauptadressat: die Labour Party. Zweitens die

geografische Adresse: Neben Großbritannien ist das 1967MDM auch auf internationale

Themen ausgerichtet. Drittens lassen sich noch die Schwerpunkte Kapitalismus, Imperialismus,

Kononialismus und Militarismus erkennen. Dies sind beileibe nicht alle Themen im 1967MDM,

sie vermitteln aber doch einen Überblick über die Grundzüge des 1967MDM.

69 Horak, 2002: S. 31. 70 Abb. © W. Schrittesser.

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Der Einleitung eines Manifests kommt als Aufmerksamkeitswecker große Bedeutung zu. Das

Manifest der Kommunistischen Partei beginnt mit einem düsteren „Ein Gespenst geht um in

Europa [...]“71. 120 Jahre später beginnt das 1967MDM mit einem positiv anmutenden „For

nearly eighty years, the international labour movement has taken May Day as a festival: an

international celebration and commitment.“72 Dann allerdings, vergleichbar mit dem

Heidelberger Manifest „Mit großer Sorge [...]“73 oder der Enzyklika von Papst Pius XI. „Mit

brennender Sorge [...]“74 widmete sich das 1967MDM mit „deeply concerned and serious

recognition“75 dem Gefühl eines Versagens linker Politik, da es unter Labour paradoxerweise

Einschnitte im Sozialstaat und Beschneidung des Lebensstandards einfacher BürgerInnen in

Verbindung mit dem Schutz der kapitalisten Ökonomie und der Finanzwirtschaft gab.76 Auch

die Veränderung der politischen Sprache und der damit einhergehenden Verharmlosung

gesellschaftlicher Zustände wurde kritisiert, beispielsweise wurde die Umbenennung des

Begriffs „Arbeitslose“ in „Reservekapazitäten“ angeprangert.77 Dieser sprachliche Trend zu

bürokratischen Bezeichnungen sollte sich auch in anderen sozialdemokratischen Regierungen

wie beispielsweise jener von Gerhard Schröder fortsetzen, ein Blick in die Hartz IV-

Bestimmungswelt zeugt davon. Auch die VertreterInnen der CND formulierten ihr Befremden

über die unter Labour munter weiterlaufende, kostenintensive atomare Rüstung, welche auch

zum champagnergetränkten gesellschaftlichen Ereignis mutierte: „In an economic crisis. with

the wages of millions of workers frozen, the wife of a Labour minister launches a Polaris

nuclear submarine.“78 Nach der Einleitung gliedert sich das 1967MDM in fünf Hauptthemen

bzw. Schwerpunkte79, wie sie auch in obiger Wortwolke erkennbar sind. Ein detailliertes

Eingehen würde den Rahmen dieser Seminararbeit sprengen, daher habe ich die Themen

teilweise nur kurz angerissen.

1. Anklage der Labour Party und des Neuen Kapitalismus und wie sie einander stützen: A

Labour Government in Britain as an agent of the familiar priorities of money and power.80

71 Marx, 1848: S. 3. 72 1967MDM S.1. 73 Zeit Online. http://www.zeit.de/1982/06/heidelberger-manifest (12.11.2014). 74 Pius, 1937. 75 1967MDM S.1. 76 Vgl. Williams, 1968: S. 13. 77 Vgl. Williams, 1968: S. 13. 78 1967MDM, S.1. Es handelte sich um die 1996 wieder ausgemusterte HMS Renown. 79 Abb. © W. Schrittesser. 80 Vgl. 1967M: S. 1.

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2. Die sozialen Ungleichheiten und ihre Realitäten, wie Armut und Arbeitslosigkeit,

Verschlechterung des Gesundheitswesens, der Fürsorge und eine destaströse

Bildungspolitik (Atomwaffen vor Bildung), werden umfassend problematisiert.

3. Der Neue Imperialismus als verkappter Kolnonialismus im Kleid der Entwicklungshilfe. Am

Beispiel des Kongo wird ausgeführt, was der US-amerikanische Imperialismus unter

Demokratie versteht: Regime, die der kapitalistischen Verfasstheit der USA nützen.

Problematisiert wird die besonders schwierige Situation von SozialistInnen im Kampf

gegen den Kommunismus stalinistischer Prägung, da sie zwangsläufig in eine Allianz mit

jenen kommen, welche Sozialismus in jedweder Form ablehnen. Die alte Regel, dass der

Feind meines Feindes mein Freund ist, wird als untauglich gebrandmarkt.

4. Das Kapitel War and Peace widmet sich dem Militarismus im Angesicht des Kalten

Krieges und dem daraus abgeleiteten Geschäft in den Kolonien, welche nun Entwicklungs-

länder heißen. The „Cold War“81 befasst sich mit dem Ausstieg aus dem von der Labour

Party mit unterstützten Nuklearprogramm, wobei Vietnam „an international test case“82

sein sollte. In „The Ring of Bases“83 (gemeint ist Asien–Lateinamerika–Afrika) geht es

darum, dass der Westen für viele Länder definiert, was unter Demokratie zu verstehen sei,

wer sie repräsentiert, welche ökonomischen Reformen (!) diese Demokratie befördern und

welche zwischenstaatlichen Beziehungen dieser Demokratie zuträglich sind. Hinter allem

steht die weltweite kapitalistische Ökonomie. D. h. es ging nicht meht darum, mit eigenen

Truppen ein Land auszubeuten, sondern dies mit befreundeten und als demokratisch

anerkannten Kräften („the colonial brigade of the former days“84) zu bewerkstelligen,

und zwar über äußerst profitable „military contracts“85. In anderen Worten: Demokratie

als Deckblatt für das Schreckblatt des Kapitalismus.

5. Misserfolge und Erfolge sozialistischer Politik und der Gewerkschaften werden offen

angesprochen, durchaus auch mit kritischer Reflexion der New Left selbst.

81 1967MDM: S. 27. 82 1967MDM: S. 29. 83 1967MDM: S. 29. 84 1967MDM: S. 29. 85 1967MDM: S. 30.

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Die Komplexität der Themen und den holistischen Zugang der New Left zur Analyse der

britischen und internationalen Politik soll diese Abbildung86 zur inhaltliche Struktur zeigen:

Im Abschluss des 1967MDM sind zwar „The Next Stages“87 ausgeführt, die Zielperspektive

fehlt aber noch. Diese wird dann im May Day Manifesto 1968 (1968MDM), wenn auch nur

vage, formuliert: „This is our serious programme, but we shall only be satisfied when a Left

has been built that is at once contemporary in experience, educated in method, democratic in

organization, and strong in action“88 (Strong in action sollte sich aber nicht mehr einstellen.89)

Überdies liest sich der Text, wenn man „democratic in organization“ weglässt, wie ein Text

aus einem Emissionsprospekt aus dem Reich des imperialistischen Kapitalismus.

Ein politisches Manifest?

Die politisch-sprachliche Ausdrucksweise des 1967MDM lässt sich in drei Dimensionen

beschreiben:

1. Die journalistische Dimension, welche an den Sprachstil in der NLR erinnert.

2. Die analytische Dimension mit einer durchgängigen Argumentationsstruktur, welche

politisch-gesellschaftliche Problemlagen erläutert, ohne in polemische Ausritte zu verfallen.

3. Die wissenschaftliche Dimension, welche den Hauptautor Raymond Williams nicht

verleugnet und apodiktische oder suggestive Formulierungen vermeidet.

86 © Werner Schrittesser. 87 1967MDM: S. 46. 88 Williams, 1968: S. 189. 89 Sandner, 2006: S. 81.

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Der für Manifeste typische Appell kommt erst am Schluss, dafür aber mehrfach in Form eines

Aufrufes zu breiten Diskussionen des Manifests. Diese fanden, in von der New Left

organisierten Zusammenkünften in „Left Clubs“, im ganzen Land statt. So gesehen kann das

1967MDM also durchaus auch als Start einer Kampagne verstanden werden. Die Ergebnisse

der Diskussionen wurden schlussendlich im 1968MDM publiziert. Apelle in Form eines

Aufrufes zu konkreten gesellschaftlichen Veränderungen, Umstürzen oder Demonstrationen

finden sich NICHT im 1967MDM. Zutreffend finde ich die Zuordnung zur Textsorte politische

Manifeste, die „auch als Grundsatzerklärung und politische Programmatik verstanden werden

müssen“.90 Eines fällt im 1967MDM besonders auf: weder das britische Königshaus noch die

britische Aristokratie wurden thematisiert. Dies ist umso mehr erstaunlich, da an vielen Stellen

unterschiedliche Armutsverhältnisse kritisiert werden, die finanziellen Zuwendungen an das

Königshaus aber mit keinem Wort erwähnt werden. Von einem auch nur irgendwie

vergleichbaren „Aufruf der Intellektuellen zur Enteignung der Fürsten“91, wie in der Weimarer

Republik 1926, kann keine Rede sein.

In welcher Form treffen nun die vier Kriterien, nach welchen sich ein politisches Manifest von

anderen Manifesten oder öffentlichen Textformen unterscheidet,92 zu?

1. Die öffentliche Zugänglichkeit. Sie trifft zu, das 1967MDM konnte erworben werden.

2. Eine aus Sicht der Manifestanten unkonventionelle und nicht berufsmäßige

Ausdrucksform. Sie trifft teilweise zu, immerhin verfassten viele ManifestantInnen auch

Artikel in der NLR und anderen Medien, wenn auch nicht hauptberuflich.

3. Die Kritik an Gegenwartszuständen sowie der Aufforderung zu alternativem Handeln.

Sie trifft zu, wenn die Diskussionsrunden als alternatives Handeln verstanden werden.

4. Die namentliche Signatur einer Gruppe oder von einzelnen Personen. Sie trifft zu.

Für mich ist das 1967MDM zweifelsfrei ein politisches Manifest im Sinne von Klatt und Lorenz,

nicht nur nach o. a. vier Kriterien, sondern auch weil es sich bei der New Left um keine Partei,

sondern um eine zivilgesellschaftliche Bewegung handelt und das „Manifesto“ daher auch

nicht als Parteiprogramm klassifiziert werden kann.

90 Sandner, 2014: LV-Beschreibung. Suchfunktion. http://online.univie.ac.at (20.02.2015). 91 Lorenz, in Klatt & Lorenz, 2011, S. 135ff. 92 Vgl. Lorenz & Klatt, 2014: S. 253.

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Wirksamkeit des Manifestos

Klatt und Lorenz beschreiben drei Erfolgsfaktoren für politische Manifeste:93 1. Medialer

Erfolg, 2. Politisch-inhaltlicher Erfolg und 3. Geschichtlicher Erfolg.

1. Medialer Erfolg: Über das Ausmaß und den Umfang der Rezeption des 1967MDM in den

Medien ist wenig bekannt. Raymond Williams war überzeugt, dass das 1967MDM

„inspired progress around the world in the 1970s“94. Überdies wurde es in mehrere

Sprachen übersetzt und hat sich sehr gut verkauft: „The Manifesto [...] enjoyed large

international sales.“95 Bemerkenswert ist, dass sich in den Ausgaben der NLR aus 1967

kein einziger Artikel zum 1967MDM findet. Victor Paananen recherchierte einen Reprint:

„The first edition was reprinted and slightly reedited for American readers in The New Left

Reader, ed. Carl Oglesby. New York: Grove Press, 1969, pp. 11-43.“96 Eine

tiefergehende Rezeptionsanalyse würde eine Recherche britischer Tageszeitungen und bei

der BBC erfordern sowie Interviews der noch lebenden ManifestantInnen nahelegen. Eine

Emailanfrage an Michael Rustin vom 08.11.2014 blieb leider unbeantwortet.

2. Politisch-inhaltlicher Erfolg, d. h. dass die im Manifest postulierten Ziele erreicht werden,

kann dem 1967MDM wie auch dem 1968MDM nicht zugeschrieben werden.

3. Geschichtlicher Erfolg, d. h. zumindest Erwähnung in Lexika oder Fachbüchern und somit

historisch erfolgreich, ist dem 1967MDM abzusprechen. Relevante wissenschaftliche

Literatur zum 1967MDM lässt sich selbst von Tischlern, die bekanntlich einige Finger

weniger haben, an zwei Händen abzählen. Selbst Google findet nur 512 Einträge, wenn

der genaue Wortlaut "1967 New Left May Day Manifesto" gesucht wird. Das "Scum

Manifesto" verzeichnet da schon 85.500 Einträge und sogar das deutschsprachige

„Heidelberger Manifest“ verzeichnet 2.470 und die "Göttinger Erklärung" 8.240 Einträge.

93 Vgl. Klatt & Lorenz, 2011: S. 411. 94 Woodhams, 2010: S. 67. 95 Woodhams, 2010: S. 67. 96 Paananen, 2000: S. 217.

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Resümee

Die Wirksamkeit des 1967MDM, nach den Kriterien von Klatt und Lorenz, kann nur mit

„überaus gering“ klassifiziert werden. Ich bin mir aber sicher, dass diese Kriterien etwas zu

kurz greifen. Das 1967MDM hatte innerhalb der New Left große Bedeutung, meine ich, da es

Diskussionsprozesse anstieß bzw. am Laufen hielt. Hätte es die New Left zu einer parlamen-

tarisch verankerten Kraft geschafft, so mutmaße ich, wäre das 1968MDM als Nachfolger des

1967MDM zwar nicht zu einem Parteiprogramm, aber zu einem zentralen politischen

Dokument97 geworden. So aber verhallten die Debatten letztendlich ohne praktische Wirkung

und das 1967MDM blieb ein Wortgewitter am Horizont der Theorie.98 Auch für Günther

Sandner blieb das 1967MDM „ohne nennenswerten Einfluss auf die politischen Ereignisse“.99

Die turbulenten Ereignisse ab 1968 ließen das 1967MDM und 1968MDM ohnehin in

Vergessenheit geraten. Denn „es folgte eine Revolution, die das Vorstellungsvermögen dieses

Manifests überstieg.“100 Michael Rustin drückte dies ähnlich aus: „Indeed the Manifesto was

rather swept away by this tsunami.“101

Damit wäre eigentlich Schluss, aber Michael Rustin meinte 2012: „Some of the themes of the

Manifesto of 1967 remain current today.“102 Deshalb kommt noch ein kurzer Ausblick mit

dem Kilburn Manifesto.103

97 Sandner, 2006: S. 81. 98 Vgl. Chun, 1996. 99 Sandner, 2006: S. 81. 100 Chun, 1996: S. 157. 101 Rustin, 2012. http://www.independentlabour.org.uk/main/2012/07/23/lessons-of-the-may-day-manifesto/

(12.11.2014). 102 Ebenda. 103 Hall & Massey & Rustin, 2014.

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Ausblick

Das 1967MDM als Wortgewitter der New Left104 schein fast in Vergessenheit geraten zu sein.

Das eine oder andere Donnergrollen ist aber noch zu vernehmen. Beispielsweise 2008, als

Martin Bright im New Statesman in einem kurzen Artikel die Frage stellte, ob es Zeit für ein

„New New Left Manifesto“105 sei und dies in seinem Blog mit „We need a new Manifesto“

weiter begründete, indem er mehrere Passagen des 1967MDM zitierte, welche aus seiner

Sicht auch für 2008 zutrafen.106 Konkretisiert wurde dies aber erst sechs Jahre später:

Ein ideologischer Nachfolger zum 1967MDM findet sich im 2014

veröffentlichten Kilburn Manifesto107 wieder, herausgegeben von Doreen

Massey, seit 1990 Mitherausgeberin der NLR, und den beiden 1967MDM

Manifestanten Stuart Hall und Micheal Rustin108. In sprachlich ähnlichem

Stile wie das 1967MDM geht das Kilburn Manifesto analytisch an die

gesellschaftspolitischen Verhältnisse und an die ökonomische Krise der

Gegenwart heran. Dabei fragen die AutorInnen, was an dieser Phase des

Kapitalismus neu ist und welche Bedeutung neue Technologien, die globale

Vernetzung und und der neue Finanzkapitalismus haben. Dabei wird die

Rolle der Troika kritisch angesprochen: „They thus set peoples against

peoples, provoking dangerous nationalisms“109. Auch die neu aufstrebenden

Volkswirtschaften wie die BRICS-Staaten110 werden im Kontext zu einem

globalen Neoliberalismus und Kapitalismus hinterfragt. Die grundsätzliche

Frage lautet dabei: „What is ‘the economy’ and what is it for?“111 Ob das

Kilburn Manifesto politische Veränderungen anstoßen oder wie das

1967MDM „A Storm in a tumbler“ bleiben wird, bleibt abzuwarten.

104 Chun, 1996. 105 Bright, 2008a. 106 Bright, 2008b. 107 Video vom Kilburn Manifesto Launch: https://www.youtube.com/watch?v=mIVxeJX-3qU&feature=youtu.be

(22.02.2015). 108 Abb. Doreen Massey links oben, darunter Stuart Hall und darunter Micheal Rustin. © Soundings. A journal of

politics and culture. http://www.lwbooks.co.uk/journals/soundings/manifesto.html (11.11.2014). 109 Hall & Massey & Rustin, 2014: S. 7. Chapter: After neoliberalism: analysing the present. 110 Akrynom für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Wortschöpfung von Terence J. O’Neill,

Ökonom bei Goldman Sachs. In: Die Presse vom 13.04.2011. http://diepresse.com/ (26.02.2014). 111 Hall & Massey & Rustin, 2014: S. 4. Chapter: Whose economy? Reframing the debate.

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