Wissenschaftliches Schreiben Dozentin: Ch. Eichenberg Referentin: Caroline Bödecker Seminar:...

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Wissenschaftliches Schreiben

Dozentin: Ch. Eichenberg Referentin: Caroline Bödecker

Seminar: Trainingselemente zum Psychologischen Fachberater, SoSe ‘03

A: Ergebnisse und Modelle der Schreibforschung

Schreiben = komplexer Prozess aus vielen Teilaufgaben:

Überforderung Schreibstörung

Deshalb: – einzelne Teilprozesse erkennen und zeitlich

trennen– auch emotionale Aspekte betrachten, um mit

Problemen (Ängsten) besser umgehen zu können

Die kognitive Dimension des Schreibprozesses Seit 70er Jahren Ziel der

Schreibforschung: kognitive Prozesse des Schreibens erfassen und analysieren

Hayes & Flower (1980): Methode des lauten Denkens Denkprotokolle– Modell mit drei Prozessen

„Planen/Vorbereiten“, „Übersetzen/Formulieren“ und „Bearbeiten/Überarbeiten“

Langzeit-gedächtnis

der schreibenden

Person

Überwachen

Organisieren

Ziele setzen

Über-setzen Lesen

Editieren

Schreibaufgabe•Thema•Leserkreis•Motivierende Hinweise

Bisher Produzierter

Text

Schreibsituation

Planen Über-prüfen

Generieren

Kritik am kognitiven Schreibmodell

Von Werder:

– Emotionale Prozesse beim Schreiben werden nicht beachtet

– Gibt Schreibenden keine Hinweise, wie man mit Emotionen umgehen kann

dadurch, dass diese Probleme nicht thematisiert werden Schreibkrisen

Die „innere Sprache“

Piaget: erforschte Selbstgespräche bei Kindern

„innere Sprache“= das schweigende mit sich selbst Sprechen, welches sich in der Kindheit entwickelt

„innere Sprache“ dient nicht der Kommunikation mit anderen ( „äußere Sprache“), ist hoch individuell und halbbewusst

Die Bedeutung der „inneren Sprache“ für das Schreiben

Schreiben: zu Anfang „innere Sprache“ stimulieren und anreichern

Schreibprozess = Versuch, die eigene „innere Sprache“ in die äußere Sprache zu transformieren

Übersetzung schwierig: Struktur von innerer und geschriebener Sprache verschieden

Beim wissenschaftlichen Schreiben noch größerer Transformationsschritt notwendig

Die emotionale Dimension

Gefühle, die sich auf die

– Erfahrung des Schreibens– stilistische Qualität eines Textes– Arbeitsbedingungen– biographische Bedeutung eines Textes– (potentiellen) Adressaten– einzelne Ideen oder Begriffe

beziehen

Die Bedeutung der Emotionen für den Schreibprozess

Emotionen können den Schreibprozess stören, vor allem wenn sie ignoriert werden

Emotionen beeinflussen den Assoziationsfluss, da das Gedächtnis auch gefühlsspezifisch arbeitet

Deshalb Ziel vieler Übungen: Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Gefühlen bewusst und nutzbar machen

Schreibanregung (aus Kruse) Schreiben Sie einen Text zum Thema

„Meine letzte Seminarstunde“. Schreiben Sie den Text dreimal:– als Tagebuchtext– als Zeitungsartikel– als wissenschaftlichen Text

Beobachten Sie dabei, a) wie schwer/leicht Ihnen das Schreiben fällt und b) wie sich Ihr Stil dabei verändert.

Schreibanregung (aus Kruse)

Schreiben Sie zum Thema „Meine erste Liebe“ – Eine Kurzgeschichte für eine

Literaturzeitschrift– Eine Selbstanalyse für ein

Psychologie-Seminar– Ein Märchen– Ein Kapitel für einen Arztroman

Beachten Sie dabei, mit welcher Freude Sie schreiben

Wissenschaftliches Schreiben vs. andere Schreibarten Wissenschaftliches Schreiben =

Schreiben mit höheren Ansprüchen als bei anderen Textarten– Längere zeitliche Dauer von

Schreibprojekten (Dissertation)– Differenzierte Wissensbasis notwendig

Wissenschaftliche Schriftsprache:– Abstrakter, komplexer– Spezifische Fachbegriffe– Strenge Anforderungen an Ausdruck und

Form (je nach Fach; implizit)

Zusammenfassung Um erfolgreich wissenschaftlich schreiben

zu können:kognitive und emotionale Prozesse

berücksichtigen und fördern

Ganzheitliche Modelle (basierend auf Rico):– Kruse– Von Werder

bilden den Schreibprozess besser ab

B: Schreibstörungen und ihre Erklärungsmodelle

Typische Ängste beim Schreiben:– „Das klingt blöd“– Die Angst vor dem leeren Blatt– „Ich bin faul und undiszipliniert“– Die Angst, etwas Falsches zu

schreiben oder zu sagen– „Wird sich an meinen Texten zeigen,

dass ich nicht intelligent bin?“

Schreibstörungen:Fallbeispiel Petra, Germanistikstudentin,

22. Semester

Indizien von Schreibstörungen

Im Selbstgespräch:– Die Arbeit wird nicht so gut, wie sie

werden sollte

Im Schreibprozess:– Das Geschriebene wird ständig

durchgestrichen– Die Ideen sind ganz klar, aber sie lassen

sich einfach nicht formulieren

Indizien von Schreibstörungen

In Verhaltensweisen– Der Schreiber springt ständig auf– Erst muss der Schreiber telefonieren,

essen, joggen etc. – Das Schreiben kann nicht beginnen,

weil ständig wichtige Bücher fehlen

Prävalenz von Schreibstörungen Schreibstörungen nicht selten:

– 20% der Studenten können wissenschaftlich schreiben

– 60% der Studenten haben Schreib-probleme, schlagen sich aber selbst durch

– 10% denken oft an professionelle Beratung, ohne aktiv zu werden

– 10% suchen professionelle Beratung auf

Schreibprobleme: Fallbeispiel Herr F.

Für sein Schreiben brauchte er spezielle Utensilien, sonst ging überhaupt nichts. Um die Scheu vor dem Schreiben zu überwinden, brauchte Herr F. folgende Organisation seines Arbeitsplatzes:

– Ungestört Zeit– Ein von der Familie gut abgetrennter Raum– Ein spezieller Schreibtischstuhl– Zigarrenrauch– Eine Doppelreihe antiker Kleinplastiken an der

Stirnseite seines Schreibtisches– Schwere Füllfederhalter und bunte Fettstifte– großflächiges Papier

„Schreibgeheimnisse“ großer Wissenschaftler I Neugierig, interessiert auch an

interdisziplinären bzw. fachfremden Inhalten

Viel lesen, auch Fachfremdes Konzentration (Arbeitsplatz) Kontakt zu vielen Kollegen, Diskussion

eigener Ideen (Kritik) Notizbuch immer dabei (kreative Einfälle,

neue Ideen festhalten) Durchhaltevermögen Fragen stellen

„Schreibgeheimnisse“ großer Wissenschaftler II Ideen immer wieder überarbeiten Wissenschaftliches Journal (Zitate,

Notizen, Gliederungen etc.) Briefwechsel mit Kollegen

(Kommentare, Erweiterung) Vorträge, Gespräche (innere

Sprache veräußerlichen) Entspannungstechniken Fester Schreibplan (4 h am Tag)

Erklärungsmodelle für Schreibstörungen Alltagstheoretische Erklärungen:

– Fehlendes Talent– Störung einer Hirnfunktion– Keine Ideen haben– Faulheit– Fehlende Konzentrationsfähigkeit– Alkohol- und Drogenmissbrauch– Keine Lust zum Schreiben überhaupt

Theorien vom Schreibprozess und seinen Störungen

Neurophysiologisches Erklärungsmodell: – Doppelhirntheorie nach Sperry Schreibmethode von Rico

Psychologische Erklärungsmodelle– Psychoanalytische Schreibtheorie– Kognitive Schreibtheorien– Flow-Modell

Doppelhirntheorie nach Sperry I Hemisphären arbeiten unterschiedlich:

– LH orientiert sich an gespeicherter, sequentiell organisierter Information logisches, begriffliches, analytisches Denken

– RH arbeitet simultan und besser mit komplexer Information, für die kein erlerntes Programm vorhanden nichtlineares, assoziatives, bildhaftes Denken

Doppelhirntheorie nach Sperry II Schreibstörungen = Ausblendung

der LH oder RH beim Schreiben

Rico: ganzheitliche Schreibmethode zur Nutzung der speziellen Funktionen von LH und RH– Anfangsphase eher RH aktivieren

(Clustering), später LH

Psychoanalytische Schreibtheorie Schreibprozess geprägt durch

Spannung zwischen Schreib-Über-Ich, Schreib-Ich und Schreib-Es

Schreibstörungen = Ich findet zwischen Über-Ich (Norm) und Es (kreativer Impuls) keinen Mittelweg der Umwandlung von GefühlenBilderSpracheSchrift

Unbewusste Faktoren bei Schreibstörungen Tiefenpsychologische Forschung:

– Orale Regression und Mutterbindung– Infantile Wünsche– Narzisstische Regression– Neurotisierung

Kognitive Schreibtheorien

Betonen kognitive Operationen beim Schreiben– Gedächtnisgespeichertes Vorwissen– Schreibsituation– Schreibprozess mit seinen Phasen

Schreibstörungen:– Defizite im LZG– Defizite in Schreibsituation– Defizite im Schreibprozess beim Planen,

Übersetzen, Überprüfen und Überwachen

Langzeit-gedächtnis

der schreibenden

Person

Überwachen

Organisieren

Ziele setzen

Über-setzen Lesen

Editieren

Schreibaufgabe•Thema•Leserkreis•Motivierende Hinweise

Bisher Produzierter

Text

Schreibsituation

PlanenGenerieren

Über-prüfen

Ursachen von Schreibstörungen Kognitionspsychologische

Forschung:– Phonem-Graphem-Umwandlung– Defizite in der Schreibsozialisation– Fehlende Vermittlung von Lesen und

Schreiben– Ungünstige Studien- und

Arbeitsbedingungen– Defizite im Selbstmanagement

Flow-Modell nach Csikszentmikalyi Basiert auf Emotionen: drei

typische Befindlichkeiten beeinflussen Schreibprozess

– Schreibangst Ursache für Blockaden– Schreibflow kreativer Zustand– Schreiblangeweile hemmt

Kreativität, evtl. Schreibblockade

Flow-Modell

Schlussfolgerung:

Schreibthemen weder zu nahe an persönlicher Motivation noch zu weit von ihr entfernt wählen

Schreibprozess-TheorienNeurophy-siologie

Kognition Emotion Psycho-analytisch

z.B. Sperry,Rico:

Synchroni-sation der Hirnhälften

z.B. Flower & Hayes:Vermittlung zw.VorwissenAktueller SituationPlanung d. Schreib-prozesses

z.B. Csikszent-mikalyi:

Von Angst und Langeweile zum Flow

Freud u.a.:

Schreib-Ich zw. Schreib-Über-Ich und Schreib-Es

Fazit Schreibprozess ist komplex Emotionen sind wichtig Innere Sprache entwickeln Nur wenn man die verschiedenen

Theorien kennt, kann man den Schreibprozess verstehen, bewusst selbst organisieren und mit Schreibblockaden adäquat umgehen

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