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Milka Car (Zagreb)
Brderlichkeitsdiskurse im Spiegel der Rezeptionsgeschichteim kroatischen Nationaltheater in Zagreb um 1918
Unter den Vertretern der sterreichischen Moderne nimmt Arthur Schnitzler
einen hervorragenden Platz ein,1
konstatiert anlsslich der kroatischen Erst-auffhrung derLiebeleivon Arthur Schnitzler im November des Jahres 1898 der
Rezensent derAgramer Zeitung, einer von 1848 bis 1912 in Zagreb publizierten
deutschsprachigen Zeitung. An erster Stelle hebt der Rezensent den hohen
Status des Wiener Autors hervor, der als erster Reprsentant der Wiener Mo-
derne auf der damaligen Zagreber Bhne, dem einzigen Nationaltheater auf
kroatischem Boden aufgefhrt wird. Jedoch ist der Ton der Theaterrezension im
Weiteren nicht nur positiv: Die Novitt hat einen sehr schnen Succs da-
vongetragen, wir whlen das Fremdwort absichtlich, denn ein so ganz voller
Erfolg war es nicht, woran freilich weder der Verfasser noch die Darstellung oder
das Publicum die Schuld trgt.2 Der Rezensent versucht Erklrungen fr die
ambivalente Rezeption des bedeutenden modernistischen Dramas anzubieten.
Vor allem hebt er hervor, dass dieses Drama des besten jungen Bhnendichters
Wiens trotz seiner Modernitt doch viel zu sehr im heimatlichen Boden
verwurzelt sei es zeige ein Stck Wiener Leben, sodass trotz manchem
verwandtschaftlichen Zuge der Wiener und der Agramer Bevlkerung das
Publikum den geschilderten Wiener Typen doch kein volles Verstndnis
entgegenbringen k
nne. Offensichtlich weist gerade das fremde Wort Succs auf das Grundproblem hin, nmlich auf die kulturell und sozialgeschichtlich
vielfach belasteten Kontakte mit der deutschsprachigen Dramatik und damit
implizit auch auf Versuche, an die anderen, v.a. slawischen Theatermodelle
anzuknpfen, die dem Publikumsprofil mehr entsprchen. Das in der Rezension
des S-n., wahrscheinlich unter Pseudonym schreibenden Ivan Souvan, eines
damals einflussreichen Theaterkritikers, zum Ausdruck gebrachte Unbehagen
entstammt v.a. dem fremden Gewande und [] fremder Umgebung und ist
nicht in bhnensthetischen oder textimmanenten Verhltnissen zu suchen.
1 S-n.: ,Kunstchronik-Landestheater, in :AGRAMER ZEITUNG257, 09.11.1898, S. 4.2 Ebd.
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Vielmehr wird in seiner Rezension, wie es in damaligen Theaterrezensionen sehr
oft der Fall ist, eine mehr oder weniger explizite Opposition zwischen der ,un-
seren, ,nationalen, ,slawischen auf der einen und der ,fremden wienerischen
bzw. deutschsprachigen Kultur auf der anderen Seite hergestellt, die dann auch
die Rezeption mageblich steuert. In der hier angefhrten, fr die Zeit exem-
plarischen Rezension, ist die fr das kroatische Theater in der ersten Hlfte des
20. Jahrhunderts charakteristische ambivalente Einstellung gegenber der
deutschsprachigen Dramatik erkennbar. Die Ambivalenz geht aus der Tatsache
hervor, dass das Nationaltheater in Zagreb starken Einflssen der deutsch-
sprachigen Dramatik unterliegt, zugleich aber im Zuge der Artikulation natio-
naler Identitt groe gesellschaftliche Integrationskraft bekommt.
Dass solche langfristig existierenden und immer wieder aufbrechenden Op-
positionen allmhlich mit einer genuin mythopoetischen Struktur der Br-derlichkeit in Zusammenhang gerckt werden, ist insbesondere in der Zeit
unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg und nach der Grndung des Knigreich
SHS zu beobachten. Bereits zu Beginn des Jahrhunderts ist die Tendenz be-
merkbar, slawische Stcke wegen der zerrissenen Lage3 in der Heimat stark zu
bevorzugen, so dass z.B. das Drama Zimsko sunce(Winterliche Sonne)4, ein
Bild aus dem Leben in Istrien des modernistischen kroatischen Autors Viktor
Car Emin 1903 mit Begeisterung in allen Zeitungen als bedeutendes patrioti-
sches Drama angekndigt wurde. Aufgabe des Nationaltheaters, so hebt ein
Rezensent in der Zeitung Obzorangesichts der Urauffhrung dieses Dramas
hervor, sei es, den Geist der Liebe zu pflegen, und zwar nicht der ,platoni-
schen, ,tischrednerischen oder,humanen, sondern der lebendigen Liebe, die
das ganze Volk zu Brdern macht.5 Zur gleichen Zeit erfolgt die Auffhrung des
bekannten Schauspiels Das Vermchtnis von Arthur Schnitzler. Allerdings ist
der Auffhrung Schnitzlers unter Regie von Gavro Savickein allzugroer Er-
folg6 beschieden. In der Rezension derAgramer Zeitungwird bemngelt, dass
das eigentliche Animo fehle, wahrscheinlich infolge des schwachen Besuches
[], den die Vorstellung aufzuweisen hatte.
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Der Grund f
r den unerwartet
3 Da i nije nepreporne pjesnicke ciene, ono bi za cielo vec kao etnoloski prilog bilo odneprocjenjive vriednosti za medusobno zblizenje, pa drzim, da je stoga upravo duznostnasega Zagreba, koji se rado smatra ponosnim ,caput regni, da jednakom djelotvornomljubavi prati svako kulturno nastojanje diljem citave nam raztrgane domovine. Anonym:,Zimsko sunce od Emina Cara, in:OBZOR199, 30.08.1902, S. 5.
4 Wenn nicht anders angegeben, stammen alle bersetzungen aus dem Kroatischen insDeutsche von der Autorin.
5 Careva je drama jasno dokazala da nema ljubavi domovine bez ljubavi naroda, i to ne
,platonske, ,nazdravicarske ili ,humane ljubavi, nego one zive ljubavi, koja od citava narodacini bracu. ar.: ,U cem je snaga Careva ,Zimskog sunca?, in: OBZOR 7, 10.01.1903, S. 1.6 Anonym: ,Landestheater, in: AGRAMER ZEITUNG61, 16.03.1903, S. 56.7 Ebd.
Milka Car2
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sprlichen Besuch wird verschwiegen, die oppositionellen Zeitungen gehen je-
doch auf diesen Umstand ausfhrlich und kritisch ein. Es wird der Theaterlei-
tung vorgeworfen, diese interessante und attraktive Novitt ausgerechnet am
selben Abend des patriotischen Konzerts fr die patriotische Gesellschaft
Ciril und Metod8 angesetzt zu haben, so dass das Theaterhaus halb leer
gewesen sei, bzw. nur diejenigen anwesend waren, die ins Konzert nicht wollten
oder aus ,hheren Grnden nicht durften wie der Theaterleitung in der
ZeitungObzorvorgeworfen wurde.9 Aus dem um die ZeitschriftHrvatsko pravo
versammelten Lager der kroatischen Nationalisten erfolgen scharfe Attacken auf
die regimetreue Agramer Zeitung, die den alten fremden-schwbisch-magj-
arischen Geist10 nicht aufgeben kann und das patriotische Konzert,11 dieses
Fest der Vaterlandsliebe, einfach verschwiegen habe. So wird mit diesem
Konzert, das dem grundstzlichen nationalen Zweck der Anerkennung derunter italienischer Herrschaft in Istrien lebenden kroatischen Ethnie gewidmet
ist, die Rezeption Schnitzlers infolge der Leere und der Begrbnisatmosphre
im Theater12 einerseits als negativ markiert, andererseits werden gerade anhand
der Opposition gegenber dem fremden ,schwbisch-magjarischen Geist die
patriotisch aufgeladenen Brderlichkeitsdiskurse als sthetische Figurationen
des Politischen im Theater aktiviert.
Darin sind die gleichen Mechanismen erkennbar, die die Institution Theater
unmittelbar mit dem nationalbildenden Diskurs verknpfen und in ein Ho-
8 Kazalistna uprava htjela je preksinocstvoriti cudo: primamiti naime publiku na premieruSchnitzlerova ,Amaneta i odvratiti ju tim nacinom od koncerta u korist druzbe sv. Cirila iMetoda. Ali nije uspjela ni na pola, jer je kuca bila skoro prazna, a i ono malo obcinstva, koje
je predstavi prisustvovalo, sacinjavali su oni, koji na koncert nisu smjeli ili nisu htjeli iz,visih razloga, te novinari i stranci. Vrlo je sgodno neki dan primjetio jedan ovdasnjidnevnik, da bi bilo umjestno preksinocne davati nikakove predstave, a josmanje premieru ito iz obzira prama patriotskoj svrsi koncerta za istarsku druzbu, no kazalistna uprava kao da
je to previdila ili joj je stigao ferman s visoka. Anonym : ,Amanet, in:HRVATSKA 61, 16.03.1903, S. 3.
9 Kad se radi o takvim obcenarodnim svrhama, kojima se sluzi n. pr. nasa istarska druzba,onda bi nasem misljenju i hrvatsko kazaliste moralo prema ovakvoj svrsi imati duzni obzir.[] upravo zievalo prazninom. Neko sprovodno razpolozenje vladalo je u subotu u nasemkazalistu. Anonym: ,Amanet, in:OBZOR61, 16.03.1903, S. 154.
10 [] docim je duh lista, ostao onaj stari, mi cemo odmah dodati tudjinsko svabsko magjarski. To se najbolje vidjelo iz njezinog jucerasnjeg broja. Znade o svemu i svacem nadugo i siroko klafrati, ali o hrvatskom slavlju u kazalistu i na ulici prigodom predstaveZimskog sunca na dan sv. Tri kralja ni slovceta. Anonym: ,Agramericino izvjescivanje,in:HRVATSKO PRAVO, 2147, 08.01.1903, S. 2.
11 Die GesellschaftDruzba sv. Cirila i Metoda za Istruwurde im Jahre 1893 in Pula gegrndet,mit dem Ziel, das kroatische und slowenische Schulwesen in Istrien zu grnden und die
kroatische Allgemeinbildung voranzutreiben. Sie wird u. a. als ein Ausdruck der kroatischenWiederbelebungstendenzen in Istrien im Rahmen der kulturell-aufklrerischen Tendenzenverstanden.
12 Anonym 61, 16.03.1903, S. 154.
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mogenisierungsprojekt berfhren. So werden zehn Jahre vor Ausbruch des
Ersten Weltkriegs die Stcke je eines sterreichischen und eines kroatischen
Vertreters der Moderne vllig unterschiedlich in entscheidender Abhngigkeit
von exogenen, zeitpolitischen und ideologiegebundenen Faktoren rezipiert. In
seinem einflussreichen Aufsatz unter dem Titel Wer braucht Identitt?erinnert
Stuart Hall daran, dass Identitten vor allem auf der Grundlage von Differenz
konstruiert werden. Demzufolge brauchen sie das konstitutive Auen.13 Im
Falle der kroatischen Nationalidentitt ist diese Rolle fortwhrend doppelt be-
setzt: einerseits ist es eine berwiegend nicht-slawische Umgebung, innerhalb
derer die Genese der nationalen Identitt im 19. Jahrhundert erfolgt, anderer-
seits existiert ein ambivalentes Konkurrenzverhltnis zur nachbarlichen slawi-
schen Umgebung ineinander verschrnkter Peripherien14 in der ersten Hlfte
des 20. Jahrhunderts. Der Brderlichkeitsdiskurs wird eingesetzt, um dieseBrche im Projekt einer neuen slawischen Nation zu kitten.15
Dass gerade das Theater als Institution unmittelbar gesellschaftlichen und
politischen Erschtterungen ausgesetzt ist, ist hinreichend bekannt. Deshalb
sollen in dieser Arbeit die exogenen Bedingungen dargestellt werden, um die im
Rahmen der Monarchie wirkenden integrativen Mechanismen der damals neuen
jugoslawischen Ideologie im Theater verfolgen zu knnen. Rekonstruiert wird
ein historisch bedingter Erfahrungshorizont, in dem die ihm zugrunde liegen-
den Mechanismen der Integration und nationalen Mobilisierung im Diskurs der
Brderlichkeit aktualisiert werden, um das Theater als primres kulturelles
Medium im Sinne der Mobilisierung, Strkung und Betonung einer einheitli-
chen ideologischen Position zu funktionalisieren. Dies fhrt zur Frage nach dem
spezifischen Status des Nationaltheaters zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der im
ersten Teil der Arbeit historisch umrissen wird, um im zweiten Teil die expo-
nentielle Verbreitung von Brderlichkeitsdiskursen und die damit verbundene
Ablehnung der deutschsprachigen Dramatik zu analysieren. Darber hinaus soll
13 Die einmal unhinterfragt angenommenen Kategorien von Identitt, Nation und Kollektivsind deshalb als Effekte von sozialen Praktiken und Diskursen zu deuten: Die Gesellschafterscheint so [] nicht als eine dem Einzelnen gegenberstehende Gre, sondern alskonstituierendes Element seiner selbst. Identitt, auch Ich-Identitt, ist immer ein gesell-schaftliches Konstrukt und als solches immer kulturelle Identitt. Hall, Stuart: ,Wer brauchtIdentitt?, in: Ders.:Ideologie. Identitt. Reprsentation. Ausgewhlte Schriften 4.Hamburg2004, S. 167187, hier S. 171.
14 Osterhammel, Jrgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts.Mnchen 2007, S. 625.
15 Zu Brchen und Unstimmigkeiten im Projekt einer jugoslawischen Nation vor Vereinigungu.a.: Jovic, Dejan: ,Neki aspekti hrvatsko-srpskih odnosa u Slavoniji uoci i nakon stvaranjajugoslavenske drzave, in: Cubrilovic, Vasa (Hg.):Stvaranje jugoslavenske drzave 1918. go-dine.Beograd 1989, S. 263274.
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das Thema dieser Arbeit sein, wie kulturelle Narrative im Theater erzeugt und
imaginiert werden.
In der fr das 19. Jahrhundert in kroatischen Landen typischen Situation
politischer Unterdrckung und wirtschaftlicher Rckstndigkeit steht die Kul-
tur im Dienste der Herausbildung einer spezifischen nationalen Identitt in
diesem Modell ist die nationale Identitt immer auf die kulturelle angewiesen. So
sieht sich auch die Institution Theater dem romantisch-nationalen Mythos16 der
Einheit von Kultur und Politik verpflichtet. Das Ringen um die Etablierung
nationaler wissenschaftlicher und kultureller Institutionen ist nicht nur eine
Frage der Forderung der Nationalkultur, sondern steht in direktem Zusam-
menhang mit dem Ausbau der brgerlichen Gesellschaft. Insofern kam dem
Nationaltheater eine identittsstiftende Rolle zu. Die oft gebrauchte Wendung
vom Sendungsbewusstsein und von der privilegierten Rolle des Theaters re-flektiert das vom ersten Intendanten des neu erffneten kroatischen National-
theaters in Zagreb und bedeutendsten Theaterreformer Stjepan Miletic ber-
nommene und weitergefhrte Programm der patriotischen Pdagogik aus der
Mitte des 19. Jahrhunderts. Seine Definition des Publikumsprofils in Kroatien
liefert die Grnde dafr, da es von Beamten, Schlern und einigen Literaten17
gebildet werde, whrend das Brgertum vollstndig fehle. Zagreb hatte im Jahre
1895 etwa 60 000 Einwohner und das neue Theatergebude verfgte ber 900
Pltze, die oft nicht vollstndig besetzt werden konnten. Auch andere Angaben
knnen helfen, das Bild von der Aufnahmebereitschaft der ffentlichkeit ab-
zurunden in der Zeit um 1895 waren 84,53 % der kroatischen Bevlkerung
noch in der Landwirtschaft ttig, 66,9 % waren Analphabeten.18 Der Prozess der
Entstehung eines reprsentativen Repertoires geht Hand in Hand mit der Ent-
faltung und Konsolidierung des Bildungsbrgertums, das nicht nur im 19.,
sondern auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vorindustriellen Bevlke-
rungsverhltnissen19 lebte.
Die einheitsstiftende Rolle der Kultur einer im Entstehen begriffenen Nation
wird mit Hilfe der Arbeit am nationalen Kanon realisiert. Die Herausbildungeiner nationalen Theaterkultur brgerlichen Zuschnitts, in der die moralische
und nationale Identitt mittels ,sthetischer Erziehung gesichert werden soll,
steht im Mittelpunkt aller Bemhungen um das Nationaltheater. Das Theater
16 Zu diesem aus Frankreich importierten Modell der nationalen Homogenisierung vgl. Sup-pan, Arnold: ,Cuius regio eius natio, in: Ders.:Oblikovanje nacije u gradanskoj hrvatskoj(18351918.). Zagreb 1999, S. 2137.
17 Miletic, Stjepan: Iz raznih novina. Odabrani sastavci o kazalistu, umjetnosti i knjizevnosti.
Bd. 2. Zagreb 1909, S. 186.18 Sidak, Jaroslav / Gross, Mirjana / Karaman, Igor / Sepic, Dragovan: Povijest hrvatskognaroda 18601914. Zagreb 1968.
19 Gross, Mirjana: Poceci moderne Hrvatske. Zagreb 1985, S. 353.
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erweist sich in dieser Perspektive als Medium fr ideologische und nationale
Inhalte, wobei ausdrcklich gefordert wird, die gerade erst erworbene sdsla-
wische Identitt abzusichern. Die Sendung des kroatischen Nationaltheaters, die
aus dem Schwung der illyrischen Bewegung hervorgeht, wird fr die Besttigung
der nationalen Reprsentationsbedrfnisse mit nationalen und integrativen
Elementen aufgeladen, was ein langfristiger Prozess ist, der die ganze erste Hlfte
des 20. Jahrhunderts kennzeichnet. Die klaffenden Unterschiede zwischen dem
industrialisierten Zentrum und den unterentwickelten Randgebieten der
Habsburger Monarchie verschrfen die ungelsten nationalen Fragen. Die In-
nenpolitik erschpft sich in Versuchen, jegliche Form nationaler Emanzipation
zu verhindern. Dadurch aber werden gerade die Autonomiebestrebungen der
Vlker zustzlich verstrkt. Als Antwort auf die Machtpolitik Wiens und die
Durchsetzung imperialistischer Ziele nach dem 1879 geschlossenen Bndnis derMonarchie mit dem Wilhelminischen Deutschland als Drang nach Osten
bezeichnet und gefrchtet20 werden die pro-slawischen Tendenzen immer
strker. Die Idee der Zusammengehrigkeit wird dadurch virulent.
Zurckgegriffen wurde dabei auf bestimmte, in der ersten Hlfte des 19.
Jahrhunderts entstandene Ideen der illyrischen Bewegung, die sich in der Ent-
wicklung aller sdslawischen Vlker als kulturelle und nationalpolitisch-kon-
stitutive geschichtliche Kraft21 erwiesen hatten und auch nach dem Ende dieser
geschichtlichen Periode beharrlich weiterlebten. In Kreisen der gebildeten Eliten
formierten sich soziale Gruppen, die bestrebt waren, die Imagination der na-
tionalen Gemeinschaft voranzutreiben und zum historischen Trger des Na-
tionalbewusstseins zu werden.22 Die Illyristen, junge gebildete Nationalisten,
sahen im Nationalstaat die Voraussetzung jeglichen Fortschritts. Ihr Ziel war die
Konsolidierung einer einheitlichen slawischen Nation in einem eigenen Ver-
fassungsstaat, um sich der aus Wien kommenden Assimilierungstendenzen zu
erwehren. Die unter verschiedenen Fremdherrschaften lebenden Sdslawen
mussten sich als Kulturnationen erst formieren, wobei dem Konzept des ,inte-
gralen Nationalismus eine entscheidende Rolle zukam. Die illyrische Bewegungwird dabei als eine Ausprgung des so genannten integralen Nationalismus
(Charles Mauras) innerhalb der slawischen Renaissance23 gedeutet. In ihr wird
20 Als eine imperiale Gefahr wird es ausdrcklich von Ante Trumbicbezeichnet, in: Trumbic,Ante: ,Proglas Jugoslovenskoga odbora Britanskom narodu, in: Sisic, Ferdo:Dokumenti o
postanku Kraljevine Srba, Hrvata i Slovenaca 1914.1919.Zagreb 1920, S. 4647.21 Vgl. dazu eine klassische historiographische Studie zur illyrischen Frage: Sidak, Jaroslav :
Studije iz hrvatske povijesti 19. stoljeca. Zagreb 1973.
22 Zur illyrischen Ideologie vlg.: Coha, Suzana: ,Mitom stvorena i mitotovorbena ideologijahrvatskoga narodnog preporoda, ilirizma i romantizma, in: Uzarevic, Josip:Romantizam ipitanja modernoga subjekta.Zagreb 2008, S. 377426.
23 Kann, Robert A.: Geschichte des Habsburgerreiches 1526 1918. Wien-Graz 1977, S. 226.
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das Bild der Nation als einer Gemeinschaft mit gemeinsamer Kultur als Kern-
punkt entworfen, die Entwicklung dieser Nationalkultur ist die Voraussetzung
der ,Erweckung des Nationalbewusstseins. Die Kultur wird somit zum ent-
scheidenden Faktor der nationalen Integration die kulturelle Homogenisie-
rung soll auch die politische vorantreiben. In einer von der Mobilisierungs-
ideologie24 bestimmten Kultur haben sich smtliche Teilbereiche diesem fest-
stehenden Sinn unterzuordnen. So sieht man auf kroatischer Seite den Haupt-
feind der kulturellen Integration, die der nationalen Integration in der fremden
also deutschen Kultur vorangehen soll. Zwei Drittel des Zagreber Repertoires
entfallen auf romanische und germanische Dramen, zhlt Fran Hrcic in der
ZeitschriftSavremenik25 auf und fordert eine strkere gemeinsame Produktion
sdslawischer Autoren. Neo-illyrische Tendenzen kommen strker zum Tragen.
Den Unterschied zur Bewegung des Illyrismus im 19. Jahrhundert beschreibtMilan Marjanovicso: Es ist nicht eine Nation, die erwacht, sondern eine, die
erst im Entstehen begriffen ist.26 Die sdslawische Idee der Einheit wird zu
einer kulturellen und nationalpolitisch-konstitutiven geschichtlichen Kraft. Das
Konzept des integralen Nationalismus ist somit eng mit der organischen Na-
tionenvorstellung verbunden, wie sie im 20. Jahrhundert in der Sphre der Fa-
milie domestiziert wird, um ihr mythopoetisches Potential entfalten zu knnen.
In der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich aus den vagen illy-
rischen Ideen von slawischer Solidaritt unterschiedliche politische Strmun-
gen heraus, die das politische Leben in Kroatien in den nchsten Jahren be-
stimmen sollten. Das neue ideologische System des Jugoslawismus setzte sich
vom illyrischen Namen ab und sah im Slawentum die Bedingung fr die Existenz
auch der kroatischen Nation. Die Ziele der neuen Nationalideologien waren
nicht nur die Schaffung einer brgerlichen Hochkultur, sondern auch die Mo-
bilisierung der Bevlkerung zur beschleunigten Modernisierung der kroati-
schen postfeudalen Gesellschaft.27 Auf der einen Seite regte die jugoslawische
Idee liberales Brgertum und gebildete Priestereliten zu politischen und kul-
turellen Aktionen an, auf der anderen Seite vertraten die Ideologen des kroati-schen historischen Staatsrechts mit der Idee des exklusiven kroatischen Natio-
nalismus die Interessen noch nicht ausdifferenzierter kleinbrgerlicher
Schichten, die in den 80ern endgltig an Einfluss gewinnen sollten. Beide
Ideologien, die des Jugoslawentums und die des Kroatentums, beeinflussten alle
kulturellen Bemhungen dieser Zeit in wechselndem Ausma. Insbesondere der
24 Ebd., S. 267.25 Hrcic, Fran: ,O uzajamnosti proizvodnje juznoslovjenskih autora, in: SAVREMENIK1, 1906,
S. 419.26 Gross, Mirjana: ,Nacionalne ideje studentske omladine u Hrvatskoj uoci I. svjetskog rata, in:Historijski zbornik XXIII, Zagreb 1968/69, S. 132.
27 Gross, Mirjana: Die Anfnge des modernen Kroatiens. Wien 1993, S. 264.
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Jugoslawismus hatte eine komplizierte Struktur, weil er das Kroatentum und das
Slawentum im unterschiedlichen Ausma miteinander kombinierte. Im Jahre
1903 war die Krise des Dualismus schlielich voll entbrannt und der Natio-
nalismus wurde zum Phnomen des Alltags.28 In Kroatien hatte die Revision
des Finanzausgleichs mit Ungarn 1902 zu Massenkundgebungen gefhrt. Im
Jahre 1903 kam es nach der Ermordung eines Demonstranten in Zapresiczu fast
revolutionsartigen Ausschreitungen, in deren Folge Banus Khuen-Hdervry,
nach dem Fehlschlagen seines Auftrags in Kroatien, am 23. Juni 1903 nach Wien
abberufen wurde. Aus der Krise der Monarchie und dem daraus resultierenden
Erstarken der jugoslawischen Einigungsbestrebungen entstand die Politik des
Neuen Kurses. Die Vereinigung aller sdslawischen Gebiete in einen Staat
wurde von ihr zum Programm erhoben. Die Idee einer trialistischen Neukon-
struktion der Monarchie verlor an Kraft, da es kein durchfhrbares trialistischesProgramm gab. Die fhrenden kroatischen Politiker des ,Neuen Kurses, Frano
Supilo und Ante Trumbic, versuchten ein fderalistisches Konzept der jugo-
slawischen Vereinigung mit Erhaltung und Erstarkung der nationalen Identi-
tten durchzusetzen. In der Resolution von Fiume 1905 wurden zum ersten Mal
die gemeinsamen Interessen der Kroaten und Serben u.a. als Versprechen des
Friedens und der Brderlichkeit29 definiert. Mit der Bildung der serbisch-
kroatischen Koalition 1906 fiel eine Entscheidung der kroatischen Politik frdie
jugoslawische Idee und die neue jugoslawische Nation wurde als Brudernati-
on, in Anlehnung an die Ideale der franzsischen Revolution,30 entworfen.
Die Verbindung der jugoslawischen Ideologie mit Brderlichkeitsdiskursen geht
aus der Proklamation vom Dezember 1905 hervor, in der ausdrcklich betont
wird, dass die Koalition dieberzeugung vertreten muss, Serben und Kroaten
seien nicht zwei Vlker, sondern Teile eines Volkes.31
Von der raschen Verbreitung solcher Brderlichkeitsdiskurse zeugt die Tat-
sache, dass in der Genfer Deklaration des Jugoslawischen Komitees vom
9. November 1918 die neue Regierung als brderlich bezeichnet wird. Das
Kraftfeld der Politik breitete sich auch auf das Theater aus, wo nun eine starkepro-jugoslawische Kampagne einsetzte. Der bedeutende kroatische Theater-
28 Rumpler, Helmut: sterreichische Geschichte 1804 1914. Eine Chance fr Mitteleuropa brgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie. Wien 1997, S. 490.
29 Trumbic, Ante: ,Naknadni memoar Jugoslovenskog odbora, predan francuskoj vladi, in:Sisic, Ferdo:Dokumenti o postanku Kraljevine Srba, Hrvata i Slovenaca 1914.1919. Zagreb1920, S. 5058, hier S. 56.
30 Trumbic, Ante: ,Izjava Jugoslovenskog odbora prigodom krunisanja cara i kralja karlaHabsburskoga, in: Sisic, Ferdo:Dokumenti o postanku Kraljevine Srba, Hrvata i Slovenaca
1914.1919.Zagreb 1920, S. 8285, hier S. 83.31 Da je koalicija stala na glediste, da Srbi i Hrvati nisu dva naroda, vec dijelovi jednog istognaroda. Zit. nach: Budisavljevic, Srdan: Stvaranje Drzave Srba, Hrvata i Slovenaca. Povo-dom cetrdesetgodisnjice jugoslovenskog ujedinjenja. Zagreb 1958, S. 60.
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historiker Nikola Batusic formuliert die These von der untrennbaren Verbun-
denheit geschichtlicher und geopolitischer Faktoren in der Entwicklung des
kroatischen Theaterlebens.32 In diesem Sinne wird betont, dass Stcke mit
nationaler Tendenz33 weit relevanter fr die kroatische Bhne seien. So wird
1903 in der Zeitschrift Obzorvor Saisonbeginn die Rolle des Theaters rekapi-
tuliert, indem seine Aufgabe als kulturelle Institution errtert wird, als eine
in der ersten Linie kroatische und slawische Kulturinstitution. Damit ver-
bunden ist die Notwendigkeit, uns von der fremden Abhngigkeit zu emanzi-
pieren.34 Dem Dramaturgen des Zagreber Nationaltheaters Nikola Andric,
einem ausgezeichneten Kenner der deutschen literarischen Produktion, wird
von den damaligen Theaterkritikern vorgehalten, sein Repertoire zu offen-
sichtlich am Vorbild des Wiener Burgtheaters auszurichten. Er mache aus dem
Zagreber Theater eine Filiale des deutschen Theaters.35
Damit prgt die Genese des pro-jugoslawischen Gedankens die Theaterre-
zeption und ist insbesondere in der Ablehnung deutschsprachiger Stcke klar
ablesbar. Politisch wird sie als Opposition zum deutschen Imperialismus ge-
rechtfertigt, sodass gerade die Rezeption deutschsprachiger Dramatik eine
Projektionsflche fr die Entfaltung der neuen, heterogenen Idee der sdsla-
wischen Einheit bietet. In der der nationalintegrativen Ideologie entspringenden
ablehnenden Einstellung gegenber deutschsprachigen Stcken, kommen ty-
pische Mechanismen von Inklusion und Exklusion zum Tragen, gesttzt von der
Aufgabe, eine neue Identitt zu stiften, indem das Fremde mit negativem Vor-
zeichen versehen wird. Somit gewinnt der Brderlichkeitsdiskurs eine poli-
tisch-legitimative Funktion,36 die einerseits eine neue Politik der Identitt si-
gnalisiert, andererseits ihre Kraft aus einer archaischen Symbolebene schpft.
Die Verflechtung theatergeschichtlicher Normen mit einer durch Spannungen
zwischen sdslawischer Vision und kroatischem Inhalt gekennzeichneten
Ideologie bleibt charakteristisch fr diese Periode.
Die geschichtlich verankerte Rolle des Theaters wird in Hinblick auf dessen
zuk
nftige Mission im Projekt der einheitlichen s
dslawischen Nationenbil-dung37 umformuliert. Insbesondere in der Vorkriegs- und Kriegszeit kommt es
32 Batusic, Nikola: Povijest hrvatskoga kazalista, Zagreb 1978, S. 89.33 Grado, Artur: ,Mlada Hrvatska, in: MLADOST1, 15.02.1898, S. 178.34 A mi treba da se postavimo na samostalne noge, i da se od tudjinske ovisnosti eman-
cipujemo svuda, na svim poljima, a napose u kulturnom. Dezman-Ivanov, Milivoj: ,U ocinove kazalisne sezone, in:OBZOR267, 01.09.1903, S. 4.
35 Sadasnji g. dramaturg slavenskih literatura naprosto ne pozna [] te ce kazaliste ostat kao iza prof. Milera filijalka njemackog pozorista., Ebd.
36 Cipek, Tihomir: ,Politike povijesti u Republici Hrvatskoj. Od ,puska puce do Hristos serodi, in: Cipek, Tihomir / Milosavljevic, Olivera:Kultura sjecanja. 1918. Povijesni lomovi isvladavanje proslosti.Zagreb 2007, S. 1327, hier S. 14.
37 Zu verwickelten Antagonismen und Einheitlichkeitsdiskursen vgl. Kann, Robert A. : Das
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zu einer Verbindung mit den virulent gewordenen Brderlichkeitsdiskursen. So
wird der Krieg als ein Kampf fr die Befreiung und Vereinigung aller unserer
unfreien Brder Serben, Kroaten und Slowenen38 gedeutet.
Dabei wird deutlich, dass das Postulat einersthetischen Erneuerung auf die
Omniprsenz der Vergangenheit mit der traditionellen Forderung nach Wahr-
nehmung ihrer pdagogisch-aufklrerischen Rolle stt, die die Funktion des
Nationaltheaters in der ersten Hlfte des 20. Jahrhunderts in entscheidender
Weise definiert. Das Theater zollt dem patriotischen Utilitarismus den schul-
digen Respekt, seine Doppelgesichtigkeit zwischen dem Streben nach Autono-
mie einerseits und der nationalen Selbstverpflichtung anderseits prgt insbe-
sondere die Rezeption der Kriegszeit. Dieses Dilemma beschreibt der zeitge-
nssische Kritiker Zdenko Vernicwie folgt: Unser Landestheater ist schon an
undfr sich so fremdartig gebaut und im Inneren so sonderbar geschmckt, daes wohl billigsten Internationalismus darbietet. [] Und hier, auf der Bhne
selbst, vermissen wir unsere eigene nationale Note.39
In der ersten Hlfte des 20. Jahrhunderts verliert die alte Angst vor akuter
Gefhrdung der eigenen Kultur durch die deutsche Sprache nach und nach an
Bedeutung, zumal die deutsche Dramatik immer mehr von der als patriotisch
wichtiger eingestuften slawischen Dramatik verdrngt wird dem demokra-
tischen und slawischen Fundament40 des Theaters. So wird das Theater von
einem spezifischen Sendungsbewusstsein dominiert, dessen Wurzeln bis tief ins
19. Jahrhundert reichen. Wie dieses Sendungsbewusstsein mit der organizisti-
schen Vorstellung von Nation im Diskurs der Brderlichkeit verschrnkt wird,
soll im Weiteren anhand einiger exemplarischer Theaterrezensionen vor 1918
gezeigt werden. Der Diskurs der Brderlichkeit ist dabei als Element im na-
tionalen Mobilisierungsprogramm zu verstehen: einerseits stiftet er Gruppen-
kohsion in einer chronotopischen, langfristigen Dimension, andererseits un-
terstreicht er die Rolle des Einzelnen des Bruders im neuen ideologischen
Nationalittenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der natio-nalen Bestrebungen vom Vormrz bis zur Auflsung des Reiches im Jahre 1918. 2. Bnde.Graz/Kln 1964.
38 ,Program londonskog Odbora zasigurno je racunao s izjavom srbijanske vlade 1914, koju jeodobrila Narodna skupstina, da rat Srbije s Austro-Ugarskom Monarhijom ujedno znaciborbu za oslobodenje i ujedinjenje svenase neslobodne brace [Hervorhebung durch dieAutorin] Srba, Hrvata i Slovenaca, in: Kristo, Jure: ,Slusanje dobroga ili zlog andela. Svi-banjska deklaracija 1917. i propast srednjoeuropske Monarhije, in: Matijevic, Zlatko (Hg.):Godina 1918. Prethodnice, zbivanja, posljedice. Zbornik radova s medunarodnoga znanst-venog skupa odrzanog u Zagrebu 4. i 5. prosinca 2008. Zagreb 2010, S. 7389, hier S. 76.
39 Vernic, Zdenko: ,Ein kritischer Rckblick. Der erste Monat der Theatersaison, in:AGRAMER TAGBLATT228, 04.10.1913, S. 13.40 [] postavi na demokratski i slavenski temelj. To je izhodna tocka. Anonym: ,U oci nove
kazalistne sezone I, in:OBZOR196, 29.08.1903, S. 1.
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Gefge und mobilisiert die individuell verankerte Solidaritt mit dem kollekti-
ven Leiden der Nation.
Vor dem Ersten Weltkrieg gibt es in Zagreb kein deutschsprachiges Theater
mehr; trotzdem sind bis weit in die erste Hlfte des 20. Jahrhunderts Reminis-
zenzen bezglich der deutschenbermacht unter so stereotypen Formeln wie
,Germanisierungsgefahr, ,Zentralismus, ,Assimilierungstendenzen oder ,Un-
terdrckung der kroatischen Sprache zu beobachten. Weltanschauliche Dis-
positionen zur Rezeption der deutschsprachigen Dramatik werden auch als
Ausgangspunkt fr die Profilierung der neuen Ideologie im Theater benutzt.
Whrend Russland als brderliche Nation bezeichnet wird, sind die Deut-
schen, Ungarn und Trken die Ur-feinde der Familie, in der Slowene, Kroate,
Serbe, die Shne einer Mutter sind, wie es in der Proklamation der Adria-
Legion41
von 1915 heit. Im Manifest des Jugoslawischen Komitees vom Mai1915 wird der Erste Weltkrieg als der auferlegte Bruderkrieg42 bezeichnet. Der
kroatische Dramatiker bearbeitet das Thema vom brdermrderischen Krie-
ge in seinem Drama Osloboditelji(Die Befreier), das daraufhin im Jahre 1918
mehrmals aufgefhrt wird.
Bis zur Julikrise 1914 ist zu lesen, das Zagreber Theater sei das Zentrum des
geistigen Strebens aller Sdslawen und Vermittler zwischen den Slowenen und
Serben43 undmsse deshalb mit seinen knstlerischen Leistungen an der Spitze
seiner Zeit bleiben. Zagreb sei die kulturellste Stadt in den sdslawischen
Lndern und drfe seine integrative Fhrungsposition nicht hergeben, wird im
Feuilleton desAgramer Tagblattes fordernd behauptet. Diese hohe Einschtzung
der eigenen Position findet ihre Rechtfertigung in der geschichtlichen Rolle, die
es im Kampf um die kulturelle Emanzipation und Homogenisierung der Nation
gespielt hat.44 Anlsslich des 20jhrigen Jubilums der Erffnung des neuen
Theatergebudes im Jahre 1915 wird das Theater nicht nur als Tempel unserer
Bildung, sondern auch unseres nationalen und politischen Bewusstseins45 ge-
41 ,Upravni odbor ,Jadranske legije Jugoslovenima. London-Rim 1915, in : Sisic, Ferdo:Do-kumenti o postanku Kraljevine Srba, Hrvata i Slovenaca 1914.1919.Zagreb 1920, S. 1517.! wer ist Autor?
42 Trumbic, Ante: ,Manifest Jugoslavenskoga odbora Britanskom narodu i parlamentu, in:Sisic, Ferdo:Dokumenti o postanku Kraljevine Srba, Hrvata i Slovenaca 1914.1919. Zagreb1920, S. 36 37.
43 Z. R.: ,Literarische Revuen, in:AGRAMER TAGBLATT28, 05.02.1914, S. 12.44 Vgl. dazu: Suppan, Arnold: Oblikovanje nacije u gradanskoj Hrvatskoj. 1835 1918. Zagreb
1999.45 Hrvatsko nas je kazaliste probudilo, osvjestilo kulturno i nacijonalno, otreslo zauvijek
tudjinstine iza tezkog doba absolutizma i pokazalo nama i cielom svietu i onima, koji su nasbarbarima zvali, da je i hrvatski duh i hrvatski jezik dorastao za velika umjetnicka djela.Hrvatsko narodno kazaliste je dakle ne samo hram prosvjete nase, nego i sviesti nase nasenacijonalne i politicke. Miodragovic, Lj.: ,Proslava dvadesetogodisnjice nove kazalistne
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feiert. Zieht man zudem die in der ffentlichkeit gepflegten Brderlichkeits-
diskurse heran, so entsteht ein Deutungsmuster fr die Emotionalisierung und
Aktivierung der nationalen Solidaritt in krisengeschttelten Zeiten. Exem-
plarisch fr diese Tendenz ist ein Artikel der Zeitung Novosti zur neuen Bal-
kankrise 1913, in der der Sieg unserer Brder aller drei Konfessionen46 nach
der fnfhundertjhrigen Periode trkischer Versklavung gefeiert wird. Ein
anderes Beispiel fr die Mobilisierung der kulturellen Institution findet im Jahre
1914 mit dem Gastspiel des Zagreber Nationaltheaters in Sarajevo statt, um
dem Brudervolke47 Orientierung anzubieten und um kulturelle Entwick-
lungshilfe zu leisten. Fast gleichzeitig wird die bedeutendste Klassiker-Auffh-
rung der Kriegsjahre in Zagreb, das Regie-Debt Branko Gavellas, der als stu-
dierter Germanist und Wiener Philosophie-Doktorand im Jahre 1914 Schillers
Die Braut von Messina inszeniert, schlicht als kultur-historisches Dokumentder Deutschen48 abgeschrieben. hnlich verluft die Rezeption der im Herbst
1916 aufgefhrten sptnaturalistischen Tragikomdie Gerhard Hauptmanns Die
Ratten. Dass das Stck prgende tiefe Mitleid49 bringt dem Verfasser den
Ehrentitel eines deutschen Tschechows ein. In der Rezension wird auch eine
imaginre slawische Komponente bei Hauptmann erwhnt, die seine deutsche
Korrektheit und Trockenheit mildere. Als aus dem festlichen Anla des
25jhrigen Jubilums im Jahre 1916 der Einakter-Zyklus Anatol von Arthur
Schnitzler erstmals vollstndig inszeniert wird, attestiert man dem Zyklus eine
halbslawische literarische Sentimentalitt mit fr slawische Vlker typischen
zarten und feinfhligen Sichtweisen50. Damit werden mentalittsgeschichtlich
bedingte Stereotype bemht, um die Unterschiede zwischen dem Fremden und
dem Eigenen wettzumachen: uns stehen Bahr, Schnitzler und Altenberg weit-
zgrade, in: HRVATSKA. Glavno glasilo stranke prava za sve hrvatske zemlje 1187, 15.10.
1915, S. 1.46 Nasa braca svih triju vjeroispovijesti na Balkanu oslobodjena su iz turskog jarma poslije
robovanja od petstotina godina. Anonym: ,Nova kriza na Balkanu, in:NOVOSTI, 29. 05.1913/142, S. 1 f.
47 [] da se udomi medju nasom bracom na jugu spremi sto dostojniji dom Anonym:,Zagreb i Sarajevo, in :NARODNE NOVINE65, 20.03. 1914, S. 4.
48 [] da je Mesinska nevjesta samo kulturno-historijski dokument Nijemaca. J. D.:,Mesinska nevjesta od Schillera, in:SLOBODNA RIJEC65, 20. 03.1914, S. 3.
49 I sami njemacki kriticari cesto spominju neku slavensku natruhu u Hauptmannovimdjelima, no to mu ne spocitavaju, nego upravo isticu kao prednost, koja ublazava njemackukorektnost i suhoparnost., Vavra, Nina: ,Parcovi, in:NARODNE NOVINE245, 25.10.1916,
S. 1 2.50 Stari Bajovari, Markomani, Kvadi i Vindobonci zacijelo bijehu Slaveni, jer im potomcizadrzase iste one njezne i tankocutne poglede na zivot kao i mi Liburnijci, Panonjani iDalmate. Benesic, Julije: ,A. Schnitzler. Anatol, in: NARODNE NOVINE 24, 31. 01. 1916, S. 4.
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aus nher als der schwere, ferne und mystische Swedenborg51. Mit einem Hauch
von Verklrung wird Wien mit seiner literarischen Atmosphre beschworen:
Seit jeher hat uns diese Stadt angezogen, und wie!52 Aus dem Diagramm 1. ist
ein leichter Anstieg deutschsprachiger Stcke in Kriegszeiten abzulesen. Diese
Tatsache ist in vielerlei Hinsicht der politischen Kriegspropaganda zu verdan-
ken, was auch die Anwesenheit des regierenden Banus Skerlecz bei einer Lie-
belei-Reprise im Jahre 1916 belegt.
Auf diese Weise wird ein weiteres Mal die ideologische und identittsstiftende
Funktion des Theaters unterstrichen, die nach dem Muster der Abgrenzung vom
Fremden eingesetzt wird. Dass dazu die Brderlichkeitsdiskurse mit der ihnen
innewohnenden mythopoetischen Funktion aktiviert werden, um die archai-
sche Kraft der Solidaritt zu nutzen, ist Teil des Programms. Ein Beispiel dafr
liefert der einflussreiche kroatische Dramatiker der Moderne Ivo Vojnovic53
mitseiner Wiederbelebung des Kosovo-Mythos in seinen Dramen. Die Auffhrung
seiner Tragdie Smrt majke Jugovica (Der Tod der Jugovic-Mutter) wird em-
phatisch gefeiert: Wohl sind wir ins Theater gekommen, um mit dem Kunst-
erlebnis der Tragdie eine nationale Feier zu verbinden, um zu betonen, wie wir
uns hier in der Metropole Kroatiens mit unseren serbischen Brdern eins fhlen,
wie die Geschichte ihres Golgatha unsere Geschichte, ihr ethischer damaliger
und jetziger Triumph zugleich unser Triumph ist.54 Im gleichen Ton wird in der
ZeitungNovostider neue Volksgeist als eine Volksfeier und Fest der Ver-
shnung und Liebe55 deklariert. Im Agramer Tagblattwerden anlsslich der
wiederholten Auffhrung die mythopoetischen Elemente direkt angesprochen:
es handele sich im Drama um die alten Gttinen des Slaventums56, die die
Aufgabe haben, die Gre des Slaventums zu feiern, insbesondere die alten
Gttern der Freiheit und der Kraft.
Damit wird im Theater plakativ das Programm der Einheit propagiert, das
der politischen Idee eines gemeinsamen Nationalkrpers entspricht und ins-
51 Anonym: ,Bahr, Schnitzler i Alternberg, jer ova tri imena su nama bliza nego tezki, daleki imisticni Swedenborg, in: Ebd.
52 Kako nas je taj grad vazda privlacio! Anonym: ,Anatol, in:JUTARNJI LIST1386, 30.01.1916, S. 2.
53 Reprsentativ fr ihre Entstehungszeit folgende Studie: Prohaska, Dragutin: O pjesnikuslobode: studija o knjizevnom radu Ive Vojnovica povodom njegove sezdesetogodisnjice.Osijek 1918.
54 Vernic, Zdenko: ,Die gestrigen Manifestationen im Landestheater, in: AGRAMER TAG-BLATT285, 28.10.1918, S. 3.
55 Nikad nije nase kazaliste bilo kao sinoc. Nikad nije odisalo toliko novim narodnim duhom.[] To sinocnije bilo kazaliste, nego narodna slava! Bila je to vecer slave i ljubavi!, *:
,Narodna slava u kazalistu. Repriza Majke Jugovica od Iva kneza Vojnovica, in:NOVOSTI288, 28. 10.1918, S 2.56 M.T.: ,Smrt Majke Jugovica. Die Vorstellung des Nationaltheaters zu Ehren des Krsno Ime
des Knigs, in:AGRAMER TAGBLATT274, 14.12.1918, S. 3.
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besondere durch die von serbischer Seite vertretenen Idee des Vaterlandes
(otadzbina) dominiert wird. Sie wird von Serbien ausgehend zu Beginn des
Krieges imffentlichen Diskurs verbreitet und knpft an die These vom ,drei-
namigen Volk mit einer integralen ,Volksseele an. Anschaulich wird mit dem
Narrativ der Nation als Familie das Kollektiv individualisiert, was Identifikation
und damit auch Aktivierung erst mglich macht. In der meinungsbildenden
Zeitung Obzor57 wird die Proklamation des Nationalrats verffentlicht, in der das
ganze Volk mit einem Blute und einer Sprache, mit einem Geist und einer Seele
eingeladen wird, in ein brderliches Reigen zu treten. Damit knnen die po-
litisch definierten Prinzipien der Volkstmlichkeit der Einheit und der
nationalen Volkseintracht der Slowenen, Kroaten und Serben58 verinnerlicht
werden. So sprechen die Politiker in Kroatien im 1917 von einer dringenden
nationalen Konzentration, damit ein einheitliches Programm zur nationalenVereinigung59 durchgefhrt werden knne. Als der kroatische Politiker
Dragutin Hrvoj aus der kroatisch-nationalistischen Starcevic-Partei im kroati-
schen Sabor am 14. Mai 1918 die Unumgnglichkeit des gemeinschaftlichen
Handelns betont, um einen freien brderlichen Staat zu grnden, der als
brderliche fderative Union60 nach Schweizer Vorbild zu gestalten ist, wird
auch die geteilte kroatische ffentlichkeit von der Einheitsidee berzeugt. In
jedem Falle sind sich die fhrenden Politiker der Notwendigkeit der propa-
gandistischen Mobilisierung der Massen bewusst. Um nur ein Beispiel zu nen-
nen: so schreibt Boskovican Nikola Pasicin einer Depesche vom 12. Mai 1915,
dass die immer noch ungewisse Vereinigung sdslawischer Gebiete haupt-
schlich von der Stimmung und der Energie der Volksmassen61 abhnge.
Die Reflexe einer nationalen sdslawischen Kulturpolitik62 werden insbe-
sondere seit der Proklamation von Korfu, einem von der serbischen Regierung
und dem Jugoslawischen Komitee am 20. Juli 1917 in Korfu unterzeichneten
Manifest der zuknftigen sdslawischen Vereinigung, im kroatischen Natio-
naltheater in Zagreb manifest. Die integrative und identittsstiftende Rolle des
Theaters wird als die gro
e Mission der Volksbildung bei einem werdenden
57 Narodno vijece poziva cjelokupni nasnarod jedne krvi i jezika, jedne duse i srca [] ubratsko kolo, in: Anonym: ,Objava Narodnog vijeca Slovenaca, Hrvata i Srba, in :OBZOR238, 23.11.1918, S. 3.
58 Krizman, Bogdan: ,Hrvatski sabor i ujedinjenje 1918, in: Cubrilovic, Vasa (Hg.):Stvaranjejugoslavenske drzave 1918. godine.Beograd 1989, S. 5172, hier S. 62 f.
59 ber die Entwicklung der Krfte whrend des Krieges und Genese des jugoslawischenGedankens aus historiographischer Sicht noch immer mageblich: Krizman, Bogdan:Raspad Austro-Ugarske i stvaranje jugoslavenske drzave. Zagreb 1977, hier S. 20.
60 Ebd., S. 22.61 Sepic, Dragovan: Sudbinske dileme radanja Jugoslavije. Italija, Saveznici i jugoslavenskogpitanje 1914 1918. Pula/Rijeka 1989, S. 213.
62 Vernic, Zdenko: ,Theaterpolitik, in :AGRAMER TAGBLATT28, 16.03. 1920, S. 4.
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Kulturvolk beschrieben, wobei seine Ttigkeit einen integrierenden, hchst
wichtigen Bestandteil der Kulturarbeit am Volke63 bilde. Strker denn je wird
eine slawische Ausrichtung der Bhne gefordert. Gerade vor dem Theater finden
im Jahre 1918 projugoslawische Demonstrationen statt. Der Historiker Bogdan
Krizman berichtet, dass unter Jubelrufen der Solidaritt auch illyrische
Kampflieder gesungen werden. Besonders oft erklingt ein Refrain, in dem die
Brderlichkeitsdiskurse angesprochen werden: Slowene, Serbe und Kroate
fr immer Brder!64 (Slovenac, Srb, Hrvat za uvijek brat i brat!). Die pro-
jugoslawisch orientierte Zeitung Novosti berichtet mit Emphase von den
groartigen Manifestationen fr den jugoslawischen Staat in Zagreb65, in
deren Rahmen vor dem Theater der Politiker Dr. Grga Budislav Angjelinovic
dem Nationalrat des SHS Treue schwrt. hnlich notiert Srdan Budisavljevic,
einer der fhrenden projugoslawischen Politiker der Zeit, dass zum 50sten Ju-bilum des Zagreber Theaterhauses am 10. Juni 1918 ein Schreiben aus Prag An
die lieben jugoslawischen Brder!66 eingetroffen ist. Im Agramer Tagblatt ist
anlsslich des Jubilums zu lesen:
Die Zeit der hohen nationalen Hoffnungen und heien Kmpfe erweckt im
groen Brudervolke an der Vltava die stolze Erinnerung an eine hnliche nicht
allzu ferne Epoche [] Wir Sdslaven, das dreieinige Volk der Slovenen,
Kroaten und Serben, fhlen uns ein einig Volk von Brdern, mit dem gleichen
gemeinsamen Ziele.67
Nach der am 1. Dezember 1918 erfolgten Grndung des Knigreiches der Ser-
ben, Kroaten und Slowenen wird deklarativ die Befreiung von der Atmosphre
des Habsburger-Sdslavenhasses, der alles Sdslawische mit blindem Hasse
verfolgte68 proklamiert, worin emotionalisierende Propagandadiskurse zum
Tragen kommen. So verfasst der damalige Theaterintendant Guido Hreljanovic
inNovostiein Schreiben, in dem nicht nur die Loyalitt gegenber dem neuen
Machtinhaber ausgesprochen wird, sondern auch die Brderlichkeitsdiskurse in
ihrer legitimierenden Funktion aktiviert werden. Erinnert wird an die ge-
meinsamen illyrischen Gro
v
ter
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, die zusammen und br
derlich das
63 Ebd.64 Krizman 1977, S. 68.65 Anonym: ,Velicanstvena manifestacija za jugoslav. drzavu u Zagrebu, in :NOVOSTI282, 22.
11.1918, S. 4.66 Budisavljevic1958, S. 106.67 Anonym: ,Treue um Treue! 16.V.1868 16.V.1918, in: AGRAMER TAGBLATT240, 15.10.
1918, S. 6.68 Vernic, Zdenko: ,Zum Theaterjubilum, in: AGRAMER TAGBLATT255, 15.10.1920, S. 5.
69 Hrvatsko narodno kazaliste u Zagrebu stvoreno je u doba nasih ilirskih djedova za-jednickim i bratskim radom Srba i Hrvata. [] U radu Hrvatskog narodnog kazalistaozivotvoreno je bilo od prvih pocetaka pa sve do danasnjeg dana bratskim sudjelovanjemSrba, Hrvata i Slovenaca na kulturnom polju ideja ujedinjenja. Hreljanovic, Guido:
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Nationaltheater in Zagreb gegrndet haben. Daraufhin bedankt sich der Regent
Aleksandar in der gleichen Zeitung fr diese patriotische Gratulation70 und
betont die Idee der Gemeinsamkeit und Eintracht des dreinamigen Volkes. Im
27. April 1919 bekommt das Zagreber Theater den Namen Nationaltheater des
Knigreichs SHS in Zagreb und wird stolz zum ersten im Knigreiche71 erklrt.
Die programmatische Aktivierung der kulturellen und politischen Eini-
gungstendenzen spiegelt sich sogleich auch im Repertoire des Zagreber Theaters
wieder. Indikativ im Sinne der Exklusion des Fremden, um das neue Eigene zu
behaupten, ist die Tatsache, dass die Vereinigung von einem vlligen Ver-
schwinden deutschsprachiger Stcke begleitet wird. Die Zsur im Jahre 1918
veranschaulicht Diagramm 1.
Die quantitative Darstellung deutschsprachiger Stcke im Repertoire zeigt
eine Amplitude, die den politischen Wandlungen folgt und den rapidenSchwund der Stcke deutschsprachiger Autoren nach 1918 augenfllig macht.
Auf der horizontalen Achse ist das Jahr abzulesen, die vertikale Achse bezeichnet
die Anzahl der Auffhrungen. Der grte Rckgang erfolgte nach dem Jahr
1918, also unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs und parallel zur Auf-
lsung der Monarchie. Im Schwinden deutschsprachiger Stcke werden Ten-
denzen sichtbar, die sich einerseits als Emanzipation vom deutschsprachigen
Vorbild deuten lassen und andererseits deutlich das Bestreben zeigen, die neue
slawische Identitt einer imaginren Ethnogemeinschaft der Sdslawen72 zu
propagieren. Die slawische Zugehrigkeit wird betont, an die Stelle deutsch-
sprachiger Autoren treten slawische. Im Agramer Tagblattwird die Entschei-
dung fr die Entwicklung der sdslawischen Literatur betont, um eine ent-
scheidende Vertiefung in nationaler und knstlerischer Hinsicht73 zu erfahren.
Damit erlebe Zagreb die begeisterte groe nationale Zeit der Tage des Illyris-
mus74 wieder, hob der Rezensent hervor, um die identittsbildende Kontinuitt
abzusichern.
Man spricht sogar von einem Trend wahrer Russophilie.75 So gibt es in den
,Hrvatsko kazaliste Regentu. Njegovom kraljevskom Visocanstvu Regentu Aleksandru, in:NOVOSTI327, 06.12.1918, S. 2.
70 Anonym: ,Regent Aleksandar hrvatskom kazalistu, in :NOVOSTI333, 12.12.1918, S. 2.71 Anonym: ,Unser Theater am Schlu der Saison, in:AGRAMER TAGBLATT163, 19.06.1919,
S. 5.72 Matkovic, Stjepan: ,Prijelomna 1918. u hrvatskoj politici, in: Cipek, Tihomir / Milosavljevic,
Olivera (Hg.):Kultura sjecanja. 1918. Povijesni lomovi i svladavanje proslosti.Zagreb 2007,S. 77 91, hier S. 80.
73 Anonym: ,Smrt majke Jugovica. Zur gestrigen Auffhrung, in:AGRAMER TAGBLATT244,
28.10. 1918, S. 3.74 Ebd.75 Badalic, Josip: ,K nekrologu minule kazalisne sezone, in:JUTARNJI LIST3388, 06.07.1921,
S. 2.
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Jahren von 1919 bis 1921 keine einzige Premiere deutschsprachiger Stcke der
Grund ist in den genannten politischen und ideologischen Faktoren zu suchen.
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Diagramm 1: Das Repertoire der deutschsprachigen Stcke im Nationaltheater in Zagreb.
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In der nachfolgenden Periode fllt das deutschsprachige Repertoire76 quantitativ
auf den dritten Platz aller bersetzten Stcke77 zurck und wird seine ehemals
dominante Position von nun an nicht mehr behaupten knnen. Dass die sla-
wische Dramatik als ein Instrument der Integration angesehen wird, ist aus dem
Repertoirebild abzulesen. Dominiert wird es von Miroslav Krleza, Ivan Cankar
und dem populren serbischen Komdienautor Branislav Nusic, der am
17. Dezember 1918 in Zagreb die Urauffhrung seines DramasHadzi-Lojaaus
dem Anlass des Besuches des Regenten Alexander Karadordevicfeiert und mit
77 Wiederholungen seines Erfolgsstckes Gospodja ministarka der meistge-
spielte Autor der unmittelbaren Nachkriegszeit ist.
Die sdslawische dramatische Produktion wird im Diskurs der Brderlich-
keit hochstilisiert und dient dazu, die Vorstellung der organischen Einheit der
slawischen Nation zu inszenieren, whrend die deutschsprachige Dramatik, dieeine lange Zeit als Muster und Anregung der einheimischen Theaterproduktion
fungierte, nunmehr zum Feind deklariert wird. So wird der Theaterleitung
vorgeworfen, Shakespeare immer noch nach deutscher Vorlage zu spielen. Der
damalige Dramaturg Nikola Andricwird in der Presse wegen seiner kriegsbe-
dingten Anlehnung an das deutschsprachige Repertoire heftig angegriffen. Dass
die deutschsprachige Dramatik whrend des Krieges als Orientierung benutzt
wurde, wird jetzt als Negativum gesehen. Damit bezichtigt die jugoslawische
Propaganda das kroatische Theater, dem deutsch-sterreichischen Kulturpa-
radigma verpflichtet zu sein. Gerade das kann und darf kein Vorbild fr unsere
Bhne78 sein. Der zeitgenssische kroatische Diskurs steht somit unter dem
Eindruck einer starken sdslawischen Agitation, die jede Erinnerung an eine
gemeinsame Vergangenheit im monarchistischen Kulturraum als uner-
wnscht abtut. In der zeitgenssischen Presse hufen sich Forderungen, Stcke
slawischer Provenienz zu inszenieren. Strmisch wird 1922 auf den Titelseiten
der fhrenden Zeitungen das erste Gastspiel eines Ensembles des Moskauer
Knstlertheaters von Stanislawski mit Zdravstvujte!begrt, der neue sla-
wische Psychologisierungsstil wird der deutschen pathetischen Deklamati-onstradition entgegengesetzt und ihr vorgezogen. In der Jubilumsausgabe der
Zeitung Obzor schreibt Branko Livadic, dieses groe Gastspiel [habe] die
76 Zur bersicht des Repertoires: Hecimovic, Branko (Hg.): Repertoar hrvatskih kazalista1840 1860 1980. Bd. 1. Zagreb 1990.
77 Vgl. dazu: Kosutic-Brozovic, Nevenka: ,Hrvatsko dramsko prevoditeljstvo u meduratnom
razdoblju, in:Dani hvarskog kazalista. Meduratne godine. Grada i eseji o hrvatskoj drami iteatru.Split 1982, S. 272338.78 Njemacka nam ne moze i ne smije biti uzor u tom pogledu. Anonym: ,Repertoir nasega
kazalista, in:OBZOR195, 01.09.1918, S. 2.
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Schnheit der slawischen Kunst und die Ideale des szenischen Realismus auf die
Bhne gebracht,79 womit auch eine neue ra im Theater angekndigt wird.
Die hier angesprochenen Rezeptionsprozesse lassen erkennen, dass sowohl
der Modernisierungsprozess innerhalb der Gesellschaft als auch der Prozess der
Nationenwerdung von Brderlichkeitsdiskursen begleitet werden. Diese Pro-
zesse knnen mit Eric J. Hobsbawm als ,protonational bezeichnet werden, denn
Aufgabe des Theaters bleibe es, bestimmte Spielarten kollektiver Zugehrig-
keitsgefhle [zu] mobilisieren.80 Insbesondere Theaterinszenierungen sind es,
die als Artefakte unmittelbar auf die Mechanismen und Machtstrategien ver-
weisen, durch die kulturelle Identitten konstruiert und reifiziert werden. Die
damalige intellektuelle Elite, die Trgerin des Homogenisierungsprojektes, ist
sich der instabilen Lage einer polyglotten, von ungleichen Machtverhltnissen
geprgten Gemeinschaft bewusst. Das Theater ist den Erschtterungen in an-deren sozialen und kulturellen Bereichen unmittelbar ausgeliefert, sodass das
Postulat grerer knstlerischer Autonomie in dieser Periode keine Umsetzung
erfhrt. Aus politisch-ideologischen Grnden mssen mythopoetische Struk-
turen einer verklrten Familie die fehlende Gemeinschaft und Solidaritt im
neuen Staatsgebilde ersetzen. Alles in allem ist das Theaterleben um das Jahr
1918 vom Lavieren zwischen manifestem kulturpolitischem Druck und ideo-
logisch aufgeladenen Brderlichkeitsdiskursen geprgt.
Aus den Rezensionen lsst sich der Prozess der Identittsbildung in der In-
stitution Theater als polyphoner und dialogischer Austauschprozess ablesen, in
dem die Sedimente der Vergangenheit mit der Gegenwart verschmelzen und
zugleich die Aufgabe haben, zukunftsweisend zu wirken. Dabei erweist sich das
Narrativ der Brderlichkeit als eine in sich gespaltene-und-doppelte[n] Form
der Gruppenidentifikation.,81 wie es Homi K. Bhaba in seinem grundlegenden
Aufsatz Wie das Neue in die Welt kommt hervorhebt. Dass sich trotz pro-
klamiertem Ziel einer nationalen Homogenisierung die Nationen als identitre
Hybride82 erweisen, fhrt die Grenzen des essentialisierenden Brderlich-
keitsdiskurses einer nie vollst
ndig integrierenden Ethnogenese in aller Deut-lichkeit vor Augen. Mit Ruth Wodak kann er als Dissimilationsstrategie be-
schrieben werden, die eine bestimmte nationale Identitt aufzubauen und zu
79 Livadic, Branko: ,Hrvatsko kazaliste, in: Dezman, Milivoj / Maixner, Rudolf (Hg.):Obzorspomen-knjiga 18601935, Zagreb 1936, S. 139.
80 Hobsbawm, Eric J. : Nationen und Nationalismus. Mythos und Realitt seit 1780. Frankfurt/New York 2004, S. 59.
81 Bhabha, Homi K.: ,Wie das Neue in die Welt kommt, in: Ders.: Die Verortung von Kultur.
Tbingen 2000, S. 317353, hier S. 346.82 Wodak, Ruth: ,Zum Nationsverstndnis: Staatsnation Kulturnation nationale Identitt,in: Dies.:Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identitt.Frankfurt/M. 1998, S. 1978,hier S. 61.
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etablieren [versucht], indem sie sprachlich direkt oder indirekt zu Unifikation,
Identifikation, Solidaritt, aber auch zu Abgrenzung83 fhrt. Ist die Etablierung
der Nation im 19. Jahrhundert erst aus einem lang anhaltenden Prozess agonaler
Krfte zu verstehen, lassen sich die langfristigen Folgen solcher Antagonismen
von den oft stereotyp wiederholten Brderlichkeitsdiskursen doch nicht ver-
decken. So schreiben die Historiker von einem Blutbad in Zagreb am 5. De-
zember 1918, das von der damaligen Regierung rasch als Ausbruch von Mili-
trunruhen84 vertuscht und erst nachtrglich kontrovers diskutiert wird. In
Novosti85 wird trocken notiert Ruhe und Ordnung mssen und werden wohl
erhalten werden, womit zugleich die bisher feierlich proklamierten Brder-
lichkeitsdiskurse in ihrem propagandistischen Charakter enthllt werden, der
die immerfort prsenten unterschiedlichen nationalen Positionen zusammen
bringen sollte. Die in der letzten Sitzung des kroatischen Parlaments am29. November 1918 gebrachten Beschlsse von einer Vereinigung auf Basis der
absoluten Gleichheit86 aller Vlker, werden damit grundstzlich in Frage ge-
stellt, so dass es im Knigreich SHS nicht zu einer gehofften fderalistischen
Lsung kommt.
Dass die Unzufriedenheit mit dem monarchistischen und unitaristischen
Modell des neuen Staates zunimmt, bezeugt eine im Jahre 1928 erschienene
programmatische Schrift unter dem Titel Hrvatsko pitanje (Die kroatische
Frage), in der die bisher immer noch angenommenen Brderlichkeitsdiskurse
brsk abgelehnt werden. Im Theater signalisiert im gleichen Jahr ein Gastspiel
des Wiener Burgtheaters87 mit seiner Rezeption die tiefe Spaltung der ffent-
lichkeit und markiert das symbolische Ende einer Phase, in der die Brder-
lichkeitsdiskurse die Illusion von Solidaritt suggerierten. Somit kann in den
vermeintlich homogenen Brderlichkeitsdiskursen um 1918 eine gespaltene
und fast abgrndige da konfliktgeladene Position im Projekt der Einheit
innerhalb des Knigreichs der SHS detektiert werden.
83 Ebd., S. 76.84 Den Verlauf beschreibt der Historiker B. Krizman im letzten Kapitel seines Buches (Fn. 58).
Eine Innensicht anhand seiner Erinnerungen auf die Vorflle notiert siehe Budisavljevic(Vlg. Fn. 15). Zur neueren kroatischen Behandlung des Themas: Matijevic, Zlatko (Hg.):Godina 1918. Prethodnice, zbivanja, posljedice. Zbornik radova s medunarodnoga znanst-venog skupa odrzanog u Zagrebu 4. i 5. prosinca 2008. Zagreb 2010.
85 Nekoliko nahuskanih i neodgovornih elemenata pokusalo je jucer oruzanom silom pore-metiti red i mir. Anonym: ,Mir i red moraju biti i bit ce uzdrzani, in:NOVOSTI328, 07.12.1918, S.4.
86 Anonym:,Sjednica 29.11.1918, in: NARODNE NOVINE29.11.1918/248, S. 1.87 Car, Milka (2001): ,Das Burgtheater in Zagreb 1928. Gastspiele als Konzept kultureller Be-gegnungen, in: Bobinac, Marijan. (Hg.):Portrts und Konstellationen 1. Deutschsprachig-kroatische Literaturbeziehungen. Zagreber Germanistische Beitrge. Beiheft 6, S. 55 75.
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Literatur
Anonym: ,Unser Theater am Schlu der Saison, in: AGRAMER TAGBLATT163, 19.06.
1919, S. 5.
Anonym: ,Smrt majke Jugovica. Zur gestrigen Auffhrung, in: AGRAMER TAGBLATT244, 28. 10.1918, S. 3.
Anonym: ,Treue um Treue! 16.V.1868 16.V.1918, in:AGRAMER TAGBLATT240, 15.10.
1918, S. 6.
Anonym : ,Landestheater, in:AGRAMER ZEITUNG61, 16. 03.1903, S. 5 6.
Anonym: ,Amanet, in:HRVATSKA61, 16.03.1903, S. 3.
Anonym ,Agramericino izvjescivanje, in:HRVATSKO PRAVO2147, 08. 01.1903, S. 2.
Anonym: ,Anatol, in:JUTARNJI LIST1386, 30. 01.1916, S. 2.
Anonym: ,Sjednica 29. 11.1918, in:NARODNE NOVINE248, 29.11. 1918, S. 1.
Anonym: ,Zagreb i Sarajevo, in:NARODNE NOVINE65, 20.03.1914, S. 4.
Anonym: ,Regent Aleksandar hrvatskom kazalistu, in: NOVOSTI333, 12.12.1918, S. 2.
Anonym: ,Mir i red moraju biti i bit ce uzdrzani, in: NOVOSTI328, 07.12.1918, S. 4.
Anonym: ,Velicanstvena manifestacija za jugoslav. drzavu u Zagrebu, in: NOVOSTI282,
22.11.1918, S. 4.
Anonym: ,Nova kriza na Balkanu, in: NOVOSTI142, 29. 05.1913, S. 1 f.
Anonym: ,Objava Narodnog vijeca Slovenaca, Hrvata i Srba, in :OBZOR238, 23. 11.1918,
S. 3.
Anonym : ,Repertoir nasega kazalista, in:OBZOR195, 01. 09.1918, S. 2.
Anonym: ,U oci nove kazalistne sezone I, in: OBZOR196, 29.08. 1903, S. 1.
Anonym: ,Amanet, in:OBZOR61, 16.03.1903, S. 154.Anonym: ,Zimsko sunce od Emina Cara, in:OBZOR199, 30.08. 1902, S. 5.
ar.: ,U cem je snaga Careva ,Zimskog sunca?, in: OBZOR 7,10.01.1903, S. 1.
Badalic, Josip: ,K nekrologu minule kazalisne sezone, in: JUTARNJI LIST3388, 06.07.
1921, S. 2.
Batusic, Nikola: Povijest hrvatskoga kazalista, Zagreb 1978.
Benesic, Julije: ,A. Schnitzler. Anatol, in:NARODNE NOVINE24, 31.01.1916, S. 4.
Bhabha, Homi K.: Die Verortung der Kultur. Tbingen 2000.
Budisavljevic, Srdan: Stvaranje Drzave Srba, Hrvata i Slovenaca. Povodom cetrdesetg-
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