Übertragung und Poetik; Beweggründe zu einer Auseinandersetzung mit John Donne (1572-‐1631).
„To enter in these bonds, is to be free ...“1 Eine Freundin hatte mir eine Anthologie englischer Gedichte geschenkt, in der ich auf
John Donnes The Exstasie stieß.2 Durch eine akademische Pflichtübung in Philosophie dazu angehalten, las ich zu dieser Zeit Descartes’ und Humes Schriften. Ich kann nicht sagen, wieviel sich bei mir durch die Beschäftigung mit den beiden Antagonisten geklärt hat, was von der dem Denken wie dem Übersetzen abträglichen Angewohnheit abhängen kann, nicht von sich abzusehen, genauso jedoch von der Unlust, im Streit philosophischer Richtungen selbst Stellung zu beziehen. Als willkommene Abwechslung zu den Mühseligkeiten erkenntnistheoretischer Grundsatzüberlegungen und angesprochen von dem ihnen verwandten und in The Exstasie ausgespielten Gegensatz zwischen sinnlicher Erfahrung und idealer Vereinigung versuchte ich mich im Nach-‐ und Umdichten. Nun wird niemand behaupten, daß die listenreiche Art, wie Hume seine Sätze bildet und aneinanderreiht, nicht verführerisch ist und die Gedanken nicht auf den Fluß von Empfindungen zurückdrängt, die seine Schreibweise genießen lassen, ähnlich durch sie beschränkt wie Hume durch die Empfindungen, auf die er sich beim Versuch der Introspektion zurückgeworfen sieht (von den elisabethanischen Dichtern, den „metaphysical poets“ hat er nicht viel gehalten3); aber scheinbar bin ich noch immer empfänglich für übersinnliche, neuplatonische Versuchungen wie die, die im Sinne Humes sicher große Zumutung, sich einen vom Körper losgelösten Geist, sich außerhalb des Körpers vereinende Seelen vorzustellen -‐ und was wäre das anderes, als Worte in die flüchtigen Bilder des Unsichtbaren zu übersetzen -‐, durch die sinnlichen Verse John Donnes vertont zu bekommen. Seitdem haben mich die Auseinandersetzung mit den Gedichten John Donnes und die Versuche, ihnen mit meinem eigenen Dichten zu antworten, nicht mehr losgelassen; im Laufe dieser Auseinandersetzung hat sich mein Nachdichten in mancher Hinsicht zu einem Gegendichten entwickelt, das nicht nur nicht anders kann, als eigenen Einstellungen und Sehnsüchten nach Sinnlichkeit oder Einsicht zu folgen, sondern seine Antwort auch als ein Sichverweigern oder als Kommentar (nicht der Form nach) zu dem zu Übertragenden wie zum Übertragen selbst verstehen kann. Dieser Essay handelt von den Bezügen meines Nachdichtens zu John Donnes Gedichten und von allgemeinen Problemen, die so ein Nachdichten aufwirft, das in seinen Abweichungen wiederfinden will, was ihm sein Entsprechen versagt; Gedichte, die Gedichte in einer anderen Sprache, zu einer anderen Zeit und mit anderen Hintergründen (seien sie nun metaphysischer, wissenschaftlicher oder poetischer Natur) erneuern, sollen mir als Spur dienen, die im übertragenen Sinn womöglich jenes poetische Selbst ersetzt, das mir, wenn
1 To his Mistris Going to bed , v.31 (Helen Gardner 2000, p.15) 2 Der Titel der Anthologie ist: ‚Not to speak of the dog, 101 short stories in verse’, London 2000, die Freundin heisst Bibiane. 3 Hume lobt die Einfachheit früherer, z. B. der antiken, griechischen Autoren, und klagt über die falschen Ornamente, glänzenden Redefiguren, zugespitzten Antithesen, unnatürlichen Konzepte und Wortspiele der elisabethanischen Dichter; schon Petrarca sieht er von diesen Übeln befallen. Donnes Satiren gesteht er zwar Witz zu, findet aber den Ausdruck grob (uncouth). (Vgl. A.J.Smith (editor) John Donne, The critical Heritage, London 2000, S.212ff.)
ich es beim Übertragen beobachten, und mich zur Texttreue, also zum Beobachten der Differenz in Sprache und Denken anhalten will, entwischt.
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Vieles an den Gedichten John Donnes -‐ es waren zuerst einmal die Songs and Sonnets
-‐ hat mich gereizt, sie zur Matrix eigener poetischer Experimente zu machen: vor allem die musikalische Phrasierung, erzielt durch Aufeinanderfolge von unterschiedlich langen und im Metrum so vielseitigen Versen, durch die Sprachrhythmen der direkten Rede, die er kontrapunktisch zu den Metren setzt, durch Schemata, die dem Endreim großzügig Gelegenheit geben, seinen Gleichklang zu entfalten, oder das die Komposition prägende Wiederholen von Bildern und Figuren, das Permutieren, das sich über Wort-‐ wie Gedichtgrenzen hinwegsetzt und Variation zu einem tragenden Stilprinzip macht.
Einer der bestimmenden Umstände war, wie immer, wenn man sich auf die Schriften eines toten Autors einläßt, daß ich mich mit einem schon durch ein Subtrahieren der Zeitkomponente seines Entstehens idealisierbaren, abgeschlossenen Werk auseinandersetzen konnte.4 Beim Nachdichten wird nicht nur das früher Geschriebene das Spätere, sondern auch das später Geschriebene das in der Entstehungszeit vor ihm liegende beeinflußt haben; diese Tendenz zum Vereinheitlichen, mit der sich der geschichtliche Moment des poetischen Übertragens wie der biographische des Übertragenden zeigt, kann das Miteinbeziehen eines wie unvollständig auch immer erschlossenen, historischen Kontexts der Vorlage zwar durchkreuzen, aber nicht aufheben. Donne, der seine Gedichte nicht veröffentlichte, nur engsten Freunden oder Freundinnen, Frauen, die er verehrte oder die ihm nützen konnten, vorlegte, und die Bedeutung seiner Gedichte gegenüber anderen herunterspielte, um seinem gesellschaftlichen Fortkommen nicht zu schaden (berühmt wurde er zu seiner Zeit vor allem als Hofprediger von St.Pauls Cathedral; seine Predigten veröffentlichte er auch), verstand sein Dichten eher als zweifelhafte Praxis, um schneller in die Gunst anderer zu gelangen; er setzte zwar Gedichte für seine Ambitionen ein, hatte aber keine Ambitionen, seinen Ruf als Dichter zu befördern. Viele seiner Gedichte haben mehr noch, als es das kulturelle Umfeld seiner Zeit verlangte, Lebensart und Lebensnot zum Anlaß, bzw. Hochzeiten und Begräbnisse. Die Laufbahn als anglikanischer Priester war Donne erst spät, nach einer durch eine heimliche Heirat mit Ann More verpatzten Karriere als Höfling (das Wortspiel mit more – mehr gehört ebenso wie das auf seinen eigenen Namen anspielende mit done – getan zur Signatur seiner Gedichte; vgl. a hymne to god the father – hymne auf ihn, den autor) vom englischen König, der seiner Konversion vom Katholiken zum staatstreuen Anglikaner nicht getraut zu haben scheint, als einzige Möglichkeit, noch zu Würden zu gelangen, nahegelegt worden. Wie sehr Grausamkeit der Verfolgung aufgrund eines Religionsbekenntnisses, Apostasie und Günstlingswirtschaft Leben und Schreiben John Donnes bestimmten, läßt sich in John Careys ausgezeichneter Werkbiographie nachlesen.5
4 Neben den Gedichten und Predigten (die berühmteste ist seine letzte: Deaths Duell, or a Consolation to the Soule, Against the Dying Life, and Living Death of the Body) gehört dazu eine nicht unbeträchtliche Menge an essayistischer Prosa, wie z.B. die frühen Paradoxes and Problems, kurze Betrachtungen, in denen er die Unbeständigkeit der Frauen verteidigt, die Natur als den schlechtesten Führer darstellt oder die Gaben des Körpers für besser als die des Geistes hält, Biathanathos, ein Traktat, in dem er die Selbsttötung unter bestimmten Umständen (wenn es um mehr als persönliches Interesse geht) verteidigt, und dessen provokanteste These ist, daß Jesus Selbstmord begangen habe, oder Pseudo-‐Martyr, worin er sich vom Leidenswillen, der Sehnsucht nach Martyrium seiner ehemaligen Glaubensbrüder distanziert und sich seinem König als treuer Anhänger der englischen Kirche andienert. 5 John Carey, John Donne, Life, Mind and Art, London 1981.
Während die Songs and Sonnets von scheinbar schwierigen, philologischen Datierungsversuchen anhand Manuskriptvergleich, stilistischer Merkmale und thematischer Veränderungen in eine frühe (vor 1600), der tradtionellen Liebeslyrik (Ovid) nahen, und eine späte Gruppe eingeteilt werden, die stärker von philosophischen Konzepten des Neuplatonismus und der scholastischen Metaphysik und wissenschaftlichen Lehren inspiriert ist -‐ Donnes gesamtes Dichten erstreckt sich über einen Zeitraum von ca. 35 Jahren -‐, habe ich mich vor allem für das Zusammenspiel von Philosophie und Dichtung in den Texten Donnes interessiert, in meinen Nachdichtungen mich also nicht vorrangig um die entstehungsgeschichtliche Einordnung und Wiedergabe der sie begründenden Merkmale gekümmert. Das soll nicht heißen, daß mich die Donneforschung nicht interessiert hat; meine Reihenfolge der Songs and Sonnets folgt mit ein paar kleinen Umstellungen der Edition der Donnespezialistin Helen Gardner; jene Gedichte, für die sie John Donnes Autorenschaft anzweifelt, aus welchen mir nicht nachvollziehbaren Gründen auch immer, trenne ich allerdings nicht von den übrigen Gedichten.6 Ich wollte das den einzelnen Gedichten Gemeinsame in eine Poetik der Übertragung umsetzen; dazu gehört eine Art Besessenheit, ein Gast im denkenden Körper oder fühlenden Denken.7 Unter Poetik der Übertragung ist etwas zusammengesetztes, etwas konstruiertes zu verstehen, eine Mischform, die sich den Idiomatiken von zwei Sprachen, zwei Zeiten und zwei Schreibenden verdankt; wenn bestimmte Züge des Originals in der Übertragung stärker hervortreten, ohne zur Karikatur zu verkommen, kann dies unter glücklichen Umständen als Hinweis auf generatives (statt sich entlangtastendes) Übertragen gedeutet werden: in meinen Gedichten kommen hier, nicht zuletzt als Gegengewicht zu den üppigen Schemata der Endreime, die vielen Wiederholungen innerhalb der Verse oder ein weiter vorangetriebenes Emergieren wie Auflösen von Sinn im Spiel der Zeichen durch Permutieren, Minimalverschieben, teilweises Weglassen etc. in Frage.
Es geht beim poetischen Übertragen und Erneuern, das mir vor Augen schwebte, abgesehen von allen Problemen, die die zwischensprachlichen Unterschiede machen, nicht um ein vordergründig bedeutendes, metaphorisches Regietheater, das Bühnenbild und Kostüme wechselt, um Gedichte irgendeiner Vorstellung, was zeitgemäß sei, anzupassen, sondern um sprachimmanente Veränderungen, die wenn nötig tiefer, nämlich in die Handlung, die Gedankengänge, in die den Gedichten zugrundeliegende poetische Axiomatik eingreifen und zu neuen Assoziationen führen oder Beziehungsebenen auflösen können,
6 Helen Gardner (editor), John Donne, The Elegies and The Songs and Sonnets. Oxford 2000. Eines der Gedichte, deren Authentizität Gardner anzweifelt, ist (neben The Token (das zeichen) und Self Love (selbstlieb) aus den Songs and Sonnets) Sapho to Philaenis (sappho an philaenis), in dem Sappho ein Lob auf die lesbische Liebe singt. Nachdem es in wichtigen Manuskripten und der ersten Ausgabe von Donnes Gedichten enthalten ist, begründet Gardner ihre Zweifel u.a. mit vagen stilistischen Argumenten (Wortwiederholungen, ein typisches Donne-‐Merkmal, findet sie in diesem Gedicht zu oft angewendet), die einen zu ganz anderen Vorurteilen verleiten; sie schliesst mit dem persönlichen Statement: „I find it difficult to imagine him wishing to assume the love-‐sickness of Lesbian Sappho...“ (p.xlvi) [Ich finde es schwer vorstellbar, er wolle die Liebeskrankheit Sapphos in Betracht ziehen.] Da Donnes Liebesgedichte wie Untersuchungen der unterschiedlichsten Spielarten von Liebesbeziehungen angelegt sind, fällt es mir gar nicht schwer, mir auch sein Interesse für die lesbische Liebe vorzustellen. 7 vgl. T.S. Eliot in seiner Rezension The Metaphysical Poets, die zur Wiederentdeckung John Donnes im englischen Sprachraum beigetragen hat: „... a recreation of thought into feeling, which is exactly what we find in Donne.” [Eine Rückverwandeln von Denken in Fühlen, was genau das ist, was wir bei Donne finden] (In Arthur L.Clements (editor), John Donnes Poetry, New York, London 1992, S.161) oder die Stelle in Donnes The second Anniversary: „ ... her pure, and eloquent blood / Spoke in her cheekes, and so distinctly wrought, / That one might almost say, her body thought.” [ihr reines und ausdrucksvolles Blut / sprach in ihren Wangen, und schrieb so deutlich / dass man fast sagen kann, ihr Körper dachte.]
genauso und vielleicht in dem Maße, wie sich die Lösungen freispielen können, die die strukturbildenden Eigenheiten der Sprache, in die übertragen wird, durch die Reflexion der anderen Sprache ermöglichen. Alles, was den Veränderungen in Sprache und Zeit gerecht wird, muß beim poetischen Übertragen natürlich nicht intendiert sein, nicht bewußt geschehen; wirkliches Dichten zeichnet sich sowieso dadurch aus, daß es mit den eigenen Bedingtheiten spielt und ihnen in diesem Sinn nicht zwanghaft unterworfen ist, sehr wohl jedoch in dem Sinn, daß ihm keine anderen zur Verfügung stehen.
Das Sprechen von Poetik, versteht man unter diesem Begriff nicht einfach eine Theorie der Poesie, die wie die des Aristoteles von definierten Kunstgattungen ausgeht, sondern Poiesis, ein Agglomerat aus produktiven Prinzipien, das die Schreibweise bestimmt (in Anlehnung an eine philosophische Grammatik, wie sie die Denker von Port Royal im Sinn hatten, oder wie sie den linguistischen Modellen Noam Chomskys zugrundeliegt), bedarf selbst einer prinzipiellen Vorentscheidung: es setzt eine rationale Perspektive voraus. Wenn schon die Annahme einer Universalgrammatik umstritten ist8, so ist die Annahme einer generierenden Poetik aus den Stil differenzierenden Zusatzbedingungen noch fraglicher, vor allem, wenn diese nicht im Zusammenhang mit einer grundlegenderen Ordnung gedacht wird, d.h. wenn nicht die strukturalen Eigenschaften, alle durch die Poetik hervorgebrachten Qualitäten des Textes, auch wenn diese nicht lexikalischer oder grammatikalischer Natur sind, bedeutsam sind, und sei es durch ein Exemplifizieren oder Bezugnehmen auf die angewandten Methoden; doch welche und woraus wären die verknüpften Grundannahmen, sind sie nicht die Festlegung dessen, was sie syntaktisch ermöglichen? Bedeutet Struktur nicht gerade, daß die Gegenstände sich durch die Beziehungen konstituieren, die die einzelnen Elemente des Systems untereinander eingehen können? Welche das sind, bestimmen dann eben die Prinzipien oder Grundannahmen. Es ist kein Wunder, daß man sich während des Lösens einer formalen Aufgabe auf symbolischer Ebene, eines mathematischen Problems oder einer Ableitung in formaler Logik zum Beispiel, als reiner Rechner vorkommt, wenn alle nicht zum Formalismus passenden Umstände, alle Fragen der Bedeutung oder Konvention ausgeklammert werden.9
8 das berühmteste Argument gegen die philosophische Grammatik: wenn es sie gäbe, wenn also ein Kategorienfehler auch einen Grammatikfehler produzierte, könnten wir nichts mehr dazulernen (vom Sanskrit wird gesagt, es sei am unbeweglichsten, habe die dogmatischste Grammatik mit den meisten „inhaltlichen“, kategorischen Festlegungen). Zu welchen Problemen die Anwendung der Ideen Chomskys in der Übersetzungstheorie führen können, siehe zB. bei E.A..Nida in Übersetzungswissenschaft, Wills Wolfram (Hrsg.) 1981, S. 123 ff., oder die Kritik Edwin Gentzlers in Contemporary Translation Theories, 2001, The „Science“ of Translation, S.44 ff. 9 vgl. Derrida in Übersetzung und Dekonstruktion, Frankfurt 1997, in dem hervorragenden Aufsatz Theologie der Übersetzung, der sich vor allem mit Schelling und dessen Poesie-‐ und Philosophiebegriff beschäftigt, S.22, wo etwas unscharf festgestellt wird: „... und deshalb gibt es auch kein Übersetzungsproblem in der Mathematik: die Mathematik ist selbst von ihrem Wesen her die Annullierung oder die unmittelbare Auflösung der Übersetzung.“ Auch in der Mathematik gibt es unterschiedliche formale Symbolisierungen und Darstellungsweisen (etwa Dezimalsystem, Hexadezimalsystem), nur sind die Begriffe (die zumindest aus konstruktivistischer Sicht mit den Ausdrucksformen ineins fallen) so genau definiert bzw. auf Symbolebene als Kalküle konsistent systematisiert, dass Übersetzungen äquivalent und mechanisierbar sind, Umformen innerhalb der Mathematik kein prinzipielles Problem macht, ausser dieses ist, wie bei Verschlüsselungen, bezweckt, oder eines der Mathematik selbst. Mehrdeutigkeiten sind auch in der Mathematik ein Problem, das die Einführung zusätzlicher Regeln und Hilfssymbole (z.B. Klammern) erfordert; der Versuch, algebraische Mathematik in ihrer Gesamtheit auf Logik zurückzuführen bzw. ihre Widerspruchsfreiheit zu beweisen, hat zu dem bekannten Klassenparadox Russells (die Klasse aller Klassen, die sich nicht selbst enthalten) und Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz geführt (Jedes widerspruchsfreie Kalkül, das die elementare Mathematik umfasst, enthält unentscheidbare, d.h. gemäß den Formulierungsregeln gebildete, weder beweisbare noch
Poetisches Übertragen, das sich eines Erzeugtseins „von außen“ annimmt, weil es einen Text als Regulativ seines eigenen Erzeugens zu deuten hat, kann universal geltende Vorentscheidungen oder Unterscheidungen nur in dem Maße einlösen, wie sie ihm problematisch sind10, nicht im Sinne von: „Gäbe es eine Universalsprache, müßten wir nicht übertragen“ als Antithese zu „Gäbe es keine Universalsprache, könnten wir nicht übertragen“, sondern weil sich generatives Übertragen nicht durch lexikalische Ersetzungsregeln und Streben nach der unerreichbaren, syntaktischen Deckungsgleichheit bestimmen läßt, es vielmehr zu einer angemessenen, dem Gefühl für das Ganze entspringenden Form des Dichtens finden muß (die maschinellen Übersetzungen werden, was die lexikalische Observanz und das syntaktische Über-‐ und Unterordnen betrifft, immer besser11); poetisches Übertragen hängt von allen Qualitäten des Textes ab, die die Anzahl der möglichen, sich unterscheidenden Übertragungen unbestimmbar machen, die davon abhängt, was alles am Text als bedeutend angesehen wird, sich als Berührungspunkt der Übertragung bietet. Aus der Unmöglichkeit, jeden dieser möglichen Berührungspunkte in einer Übertragung zu berücksichtigen, resultiert die Auffassung, daß Gedichte streng genommen nicht übersetzbar seien, wie sie auch Roman Jakobson in Linguistische Aspekte der Übersetzung vertritt:
Sprachliche Gleichungen werden in der Dichtung zu einem Aufbauprinzip des Textes. Syntaktische und morphologische Kategorien, Wurzeln und Affixe, Phoneme und ihre Komponenten (unterscheidende Züge) – kurz, alle Konstituenten des Sprachcodes – werden einander gegenübergestellt, nebeneinander gestellt, in eine Kontiguitätsbeziehung nach dem Prinzip der Ähnlichkeit und des Gegensatzes gebracht und tragen ihre eigene autonome Bedeutung. Phonologische Ähnlichkeit wird als semantische Verwandtschaft empfunden. Das Wortspiel, oder um einen gebildeteren und vielleicht genaueren Terminus zu gebrauchen – die Paronomasie herrscht in der Dichtkunst vor, und Dichtung ist, ob ihre Vorherrschaft nun absolut oder eingeschränkt
widerlegbare Aussagen, bzw. die Widerspruchsfreiheit eines solchen Kalküls ist innerhalb dieses Kalküls unbeweisbar) ... 10 Sprachuniversalien, das, was er Kern der reinen Sprache nennt, lassen sich für Walter Benjamin in Die Aufgabe des Übersetzers aus dem Verhältnis der Sprachen zueinander bestimmen; er sieht darin aber auch die Gefahr, in eine naive Theorie des Übersetzen als möglichst ähnliche Wiedergabe des Sinns, in eine Abbildtheorie zurückzufallen: „Jenes gedachte, innerste Verhältnis der Sprachen ist aber das einer eigentümlichen Konvergenz. Es besteht darin, daß die Sprachen einander nicht fremd, sondern a priori und von allen historischen Beziehungen abgesehen einander in dem verwandt sind, was sie sagen wollen.“ Benjamin zieht die Parallele zur Erkenntniskritik, die „die Unmöglichkeit einer Abbildtheorie zu erweisen hat. Wird dort gezeigt, daß es in der Erkenntnis keine Objektivität und sogar nicht einmal den Anspruch darauf geben könnte, wenn sie in Abbildern des Wirklichen bestünde, so ist hier erweisbar, daß keine Übersetzung möglich wäre, wenn sie Ähnlichkeit mit dem Original ihrem letzten Wesen nach anstreben würde.“ (In Das Problem des Übersetzens, Darmstadt 1969, S.159ff.) Derrida, der in Babylonische Türme. Wege, Umwege, Abwege eine „dekonstruktive“ Lesart von Benjamins Aufsatz versucht, lässt die Konvergenz der Sprachen expliziter wieder in Divergenz münden: „Worauf sie in der Übersetzung zielen, jede einzelne Sprache und alle Sprachen gemeinsam mit ihren Meinungen, ist die Sprache selber als babylonisches Ereignis. Sie zielen auf eine Sprache, die weder eine Universalsprache im Leibnizschen Sinne ist noch gar die natürliche Sprache einer einzelnen, abgesonderten, für sich genommenen Sprache; sie zielen auf die Sprachlichkeit der Sprache, auf die Sprache als solche, sie zielen auf jene Einheit ohne Selbst-‐Identität, die bewirkt oder bedingt, dass es Sprachen gibt und dass jenes, was es gibt, eine Vielfalt von Sprachen ist.“ (In Übersetzung und Dekonstruktion, Frankfurt 1997, S.159.) 11 Zu den Problemen, die sprachliche Vieldimensionalität dem „maschinellen Übersetzen“ macht, siehe z.B. Ingar Milnes in www.boersenblatt.net vom 4.10.2001: „Der Aufwand, den die Erforschung der linguistischen Grundlagen im Hinblick auf Maschinenübersetzung erfordert, ist immens. Die Mehrdeutigkeit von Wörtern und Begriffen, die in jeder Sprache vorkommt, Mehrdeutigkeiten, die durch den Satzbau entstehen, und Probleme beim Pronomina-‐Bezug bilden dabei nur die Spitze des Eisbergs ...“
ist, per definitionem unübersetzbar. Möglich ist nur schöpferische Übertragung: entweder die innersprachliche – von einer dichterischen Form in eine andere – oder die zwischensprachliche – von einer Sprache in eine andere – oder schließlich die intersemiotische Übertragung – von einem Zeichensystem in ein anderes, z.B. von der Sprachkunst in die Musik, den Tanz, den Film oder die Malerei.12
Jakobson besteht in diesem Aufsatz darauf, Sprachverstehen nur innersprachlich, d.h. auf Definitionen und Synonymen gestützt, zu erklären, das Wort Käse also z.B. mit aus Milch hergestelltes Nahrungsmittel, und wendet sich gegen die Behauptung Bertrand Russells, kein Mensch könne das Wort Käse verstehen, wenn er nicht eine nicht-‐sprachliche Bekanntschaft mit Käse gemacht habe (oder, um die Wörterbuch-‐Definition zu verstehen, mit Milch, oder zumindest mit Kühen, Schafen oder Ziegen ...; womit sich das Sprachverstehen z.B. der Russen und Engländer nach Russell nicht nur aufgrund Grammatik und Vokabular, sondern in diesem Fall auch aufgrund ihrer Käsesorten unterscheidet, theoretisch ein Problem der Begriffsumfänge). Damit sind zwei Grundpositionen, Sprachverstehen zu verstehen, umrissen, die auch im Ästhetischen Weichen stellen.
Wie auch immer Verstehen verstanden wird, jede Art von zeichenökonomischer Informationstheorie, die sich nur für eine übermittelte Botschaft interessiert und den nicht für die Übermittlung von Genormtem notwendigen Rest des Textes für überflüssig, für ornamental oder bestenfalls für bedeutungssichernd redundant hält, läßt viele Bezüge der poetischen Ausdrucksmittel, der umstrukturierenden, die Norm unterlaufenden, auf die Wirkung des Unerwarteten bauenden rhetorischen Figuren und die Wirkung der Komposition aus größeren Einheiten unberücksichtigt. Letztere entgeht auch den Linguisten, die sich auf den Satz als größte analysierbare Einheit beschränken.
Spekulative Übersetzungsmodelle wie jene, die sich an Chomsky, bzw. Descartes und Port Royal orientieren, bei denen Übertragung nicht von Seite zu Seite am Kopf vorbei gedacht wird, stellen Transformationsregeln auf, die aus Kerngrammatiken ableiten; die ihnen zugrundeliegenden Vorstellungen von dem oder Spekulationen über das, was im Kopf vorgeht, begreifen sich dabei letztlich als von Sprachgebieten, von historischen Entwicklungen und sozialen Bedingungen unabhängig, wie der organische Aufbau für alle Menschen geltend und gleichbleibend; aber auch wenn sich die Theorie nur mit zwei Texten, zwei „Oberflächenstrukturen“ beschäftigt, können Regeln auf-‐ bzw. im Nachhinein festgestellt werden, z.B. sich rein auf diese Symbolebene beziehende Substitutionsregeln -‐ in meinen Donne-‐Dichtungen habe ich heart oft durch sinn ersetzt, wenn von God die Rede war, meistens an Autor gedacht -‐ oder Regeln für Ersetzungsregeln, ob die im Rahmen der Zielsprache mögliche rhythmische und klangliche Annäherung oder ob strukturelle Vereinheitlichung, der Erhalt eines (Wort)Musters Vorrang hat, ein bestimmtes (Schlüssel)Wort (z.B. love) der einen Sprache bei jedem Vorkommen möglichst immer durch ein bestimmtes, in ähnlichen Abständen und entsprechendem Zusammenhang auftretendes Wort der anderen Sprache ersetzt werden soll, Hervorbringen von Bedeutung durch Wiederholung, ob ein induktiver Bedeutungsbegriff bestimmend ist, der dem Informationsbegriff, der die Norm voraussetzt, diametral entgegengesetzt ist, oder ob kleinräumigerer Kontextbezug und Begriffsnuancen, die stärker nach einem über den Text hinausgehenden, normierenden Sprachgebrauch, öfter nach dem Wörterbuch verlangen, das Bestimmende sind. Die Probleme des Übersetzens können hinsichtlich der Grammatiken oder hinsichtlich der Texte behandelt werden, die historischen und sozialen Unterschiede
12 Roman Jakobson, in Form und Sinn, München 1974, S.161. Ein anderer (Übersetzungs-‐)Pessimist ist Arthur Schopenhauer: „Gedichte kann man nicht übersetzen, sondern bloß umdichten, welches allezeit mißlich ist. -‐“ (Störig (Hrsg.) 1969, S.103.)
werden sich sprachlich auf jeden Fall bemerkbar machen, auch wenn sie theoretisch ignoriert werden. Dazu, daß, denkt man an verwandte Kulturen, umso näher die Begriffe der Wahrnehmung und entbehrlicher der Begriff Begriff, desto ähnlicher die Extensionen in den verschiedenen Sprachen sind, umso theoretischer die Begriffe, desto stärker ihre Umfänge variieren, hat Friedrich Schleiermacher in Methoden des Übersezens bemerkt:
Wenn man sagen muß, daß schon im Gebrauch des gemeinen Lebens es nur wenige Wörter in einer Sprache giebt, denen eines in irgend einer andern vollkommen entspräche, so daß dieses in Fällen gebraucht werden könnte, worin jenes, und daß es in derselben Verbindung wie jenes auch allemal dieselbe Wirkung hervorbringen würde: so gilt dieses noch mehr von allen Begriffen, je mehr ihnen ein philosophischer Gehalt beigemischt ist, und also am meisten von der eigentlichen Philosophie. Hier mehr als irgendwo enthält jede Sprache, troz der verschiedenen gleichzeitigen und auf einander folgenden Ansichten, doch Ein System von Begriffen in sich, die eben dadurch daß sie sich in derselben Sprache berühren, verbinden, ergänzen, Ein Ganzes sind, dessen einzelnen Theilen aber keine aus dem System anderer Sprachen entsprechen ...13
Die Dialektik zwischen den durch Hinweisen, soziale Konditionierung erlernten
Zeichen, die sich auf etwas außerhalb der Sprache beziehen, und dem sprachlichen Symbolgehalt, der Fähigkeit, Differenzen und Gegenstände selbst hervorzubringen, verfolgt die Gegenläufigkeit von rationalem und empirischem Ansatz auf Symbolebene; die Untersuchung, inwieweit Syntax oder Vers durch ihre Gliederungen die Beliebigkeit der Zuordnung der Zeichen kompensieren können (ähnlich den Untersuchungen der Logiker, die kennzeichnende Ausdrücke für bedeutungslos, aber in Sätzen für bedeutungsstiftend halten14), wird zum Beispiel bei Humboldt ausgeklammert, da er vom Wort ausgeht und schon dort die Differenz zwischen erkennbarem, erlernbarem Zeichen und erfahrbarem Symbol festmachen will15. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sich das Verhältnis des Buchstabens und des bedeutenden Worts mit dem Verhältnis des vieldeutigen Worts und des sich nicht wie ein Wort wiederholenden Kontexts, der die Bedeutung bestimmt, überhaupt vergleichen läßt. Letztlich verschleiert alle Spekulation nur, wie sehr sich Erfahrung und Urteil, oder Theorie, wenn wir erklären wollen, gegenseitig bedingen und durchdringen; wenn schon die sinnliche Wahrnehmung außersprachlicher Gegenstände nicht von Kategoriesystemen unabhängig gedacht werden kann, weil sie biologisch, technisch (bei Hilfsmitteln der Optik, Aufnahme ...) und historisch-‐soziologisch bedingt ist, und wir uns, um Gegenstände zu erkennen, vieles hinzudenken müssen, wieviel mehr ist die Wahrnehmung symbolischer Repräsentationen bedingt; worauf wir unser Gehör, unseren Blick bei poetischer Sprache lenken, hängt so sehr vom kulturellen Umfeld und von dem, was wir gelesen haben, ab, daß schon deswegen ein Übertragen mit Eigenwert zu jeder Zeit nicht anders kann, als einen für seine Zeit und Umgebung typischen
13 In H.J.Störig (Hrsg.) Das Problem des Übersetzens, Darmstadt 1969, S.65 14 vgl. Bertrand Russell: „ ... kennzeichnende Ausdrücke haben nie in sich selbst Bedeutung, aber jede Proposition, in deren sprachlichen Ausdruck sie vorkommen.“ (Hier steht Bedeutung für das, wofür bei Frege (siehe unten) Sinn steht.) aus Kennzeichnen, in Wolfgang Stegmüller (Hrsg.) Das Universalien-‐Problem, Darmstadt 1978, S. 23 15 Siehe dazu Hans-‐Jost Frey, Übersetzung und Sprachtheorie bei Humboldt in Übersetzung und Dekonstruktion, Frankfurt 1997, S.57: „Äquivalenz wäre nur vom Zeichen her zu verlangen, das auf etwas von ihm Unabhängiges verweist und daher ohne Beeinträchtigung des Bezeichneten ersetzbar ist. Da Humboldts Verständnis des Wortes dies ausschließt, kann er Übersetzen nicht als den Versuch verstehen, Gleiches zu sagen, sondern nähert sich ihm von der Differenz her. ... Vielmehr fasst er die Unmöglichkeit der Äquivalenz als kreative Möglichkeit der Sprachentwicklung auf.“
Stil zu entwickeln, unabhängig davon, ob dieser Entwicklungen vorwegnimmt, was ja auch heissen kann, Traditionen wiederzubeleben.
Wie schon aus der Gegenüberstellung von Jakobsons und Russells Ansatz ersichtlich, wird strukturalistisch die Frage der Bedeutung auf das Zeichensystem des Textes beschränkt und sein Verhältnis zur außersprachlichen Welt nicht problematisiert, während Logiker bei Fragen der Bedeutung oder des Sinns wegen des Verifikationskriteriums für Sätze an diesem Verhältnis interessiert sind. Der Versuch, die Terminologie zu klären, indem man z.B. nur Worten (Namen, Bezeichnungen) Bedeutung und nur Sätzen, Textstücken (Worten mit Kontext) Sinn zuspricht, erzwingt noch keine Entscheidung darüber, ob man nur innerhalb eines Textes argumentiert oder sein Verhältnis zur Außenwelt mitberücksichtigt. Der Logiker Gottlob Frege allerdings illustriert seine Unterscheidung von Sinn und Bedeutung mit einem außersprachlichen, astronomischen Phänomen, indem er den Sinn der Bezeichnung Venus, die den Planeten bedeutet, gemäß des himmlischen und tageszeitlichen Kontextes der Venus als Morgenstern und Abendstern erfasst sieht16. Eine literarische Vorwegnahme dieses Beispiels findet sich schon in den Paradoxes and Problemes John Donnes: Why is Venus-‐star multinominous, called both Hesperus and Vesper? (Warum hat Venus mehrere Namen, sowohl Morgenstern als Abendstern genannt?) Donne greift zur Erklärung ihrer Vielnamigkeit auf mythologische Kontexte und die allegorische Funktion der Venus zurück, erweitert ihre Namen noch um die Namen der Neigungen oder Laster, die sie in dieser Funktion hervorruft, vergißt aber, weil er an Venus’ himmlische Erscheinungsform denkt, auf die für Lust so günstige und von ihr so vernachlässigte Mittagszeit:
It may be she takes new names after her many functions, for as she is Supreme Monarch of all Love at large (which is lust) so is she joyned in Commission with all Mythologicks, with Juno, Diana, and all others for Marriage. It may be because of the divers names to her self, for her Affections have more names than any vice; silicet: Pollution, Fornication, Adultery, Lay-‐incest, Church-‐Incest, Rape, Sodomy, Masturbation, and a thousand others ... As Hesperus she presents you with her bonum utile, because it is wholesomest in the Morning: As Vesper with her bonum delectabile, because it is pleasantest in the Evening. ...17
16 Frege spricht bei Sinn nicht von Kontext, sondern von Art des Gegebenseins; er geht von der Gleicheit aus, die er als eine Beziehung zwischen Namen oder Zeichen definiert; a = b stellt dann einen Erkenntnisgewinn dar, wenn a und b dasselbe bedeuten aber unterschiedlichen Sinn haben. „Eine Verschiedenheit kann nur dadurch zustande kommen, daß der Unterschied des Zeichens einem Unterschiede in der Art des Gegebenseins des Bezeichneten entspricht.“ Den bezeichnenden Bezug auf die (astronomische) Wirklichkeit relativiert Frege selbst, wenn er gleich darauf sagt: „Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen kennt, der er angehört.“ Der Gedanke ist für Frege der Sinn des (Behauptungs-‐) Satzes, nach der Bedeutung des Satzes würden wir nicht bei Kunstgenuß, sondern nur dann fragen, wenn es uns auf seinen Wahrheitswert, also auch auf die Bedeutung der Bestandteile (ob diesen etwas in der Wirklichkeit entspricht) ankommt, ein solcher Satz sei dann als Eigenname aufzufassen, der (weil Frege die Formalisierbarkeit im Sinn hat) seinen Wahrheitswert, also entweder wahr oder falsch bedeutet. In: G. Frege, Über Sinn und Bedeutung, in Funktion, Begriff, Bedeutung, Göttingen 1986, S.41 ff. Bezüglich Übersetzung vertritt Frege in diesem Aufsatz eine sehr rigide Auffassung: „Wir können nun drei Stufen der Verschiedenheit von Wörtern, Ausdrücken und ganzen Sätzen erkennen. Entweder betrifft der Unterschied höchstens die Vorstellungen, oder den Sinn aber nicht die Bedeutung, oder endlich auch die Bedeutung. In bezug auf die erste Stufe ist zu bemerken, daß, wegen der unsicheren Verbindung der Vorstellungen mit Worten, für den einen eine Verschiedenheit bestehen kann, die der andere nicht findet. Der Unterschied der Übersetzung zur Urschrift soll eigentlich die erste Stufe nicht überschreiten ...“ (S.45) 17 „Es mag sein, dass sie neue Namen annimmt gemäß ihrer vielen Funktionen, denn wie sie höchster Herrscher ist aller Liebe im weiteren Sinn (die Lust ist), so ist sie mit allen Mythologien mit Juno, Diana, und allen anderen verbunden im Dienst für die Ehe. Es mag sein wegen der verschiedenen Namen, die ihr selbst gelten, denn ihre Neigungen haben mehr Namen als jedes Laster; wie: Befleckung, Unzucht, Ehebruch, Laien-‐Inzest, klerikaler
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Poetik der Übertragung ist, während die Finger das Metrum der Verse klopfen oder im Wörterbuch blättern, vielleicht nur eine Formel ähnlich jenen verstiegenen Formulierungen und Vergleichen, die unvereinbare Konzepte zusammenzwingen, wie sie Samuel Johnson im 18. Jahrhundert John Donne und den „metaphysical poets“18 vorgeworfen hat, und damit die Rezeption ihrer Werke über ein Jahrhundert lang ungünstig beeinflusste, obwohl man bei genauem Lesen der Kritik Johnsons und seiner vielen Zitate aus Donnes Gedichten auch Bewunderung für Donnes poetisches Talent heraushört; dieser habe, wenn schon nicht die Vorstellungskraft, auf jeden Fall die Kräfte der Reflexion und des Vergleichens aktiviert. Samuel Taylor Coleridge wiederholt zwar Anfang des 19. Jahrhunderts das Urteil der Johnsonianer, die elisabethanischen Dichter hätten das Leidenschaftliche der Poesie den Feinheiten des Intellekts und Witzes, das Herz dem Kopf geopfert, jedoch ohne es abwertend zu meinen; dies sei nämlich besser, als Herz und Kopf wie die Neoklassizisten der rein dekorativen Schreibweise zu opfern. Coleridge entdeckt Donne für sein eigenes Dichten; er plant Vorlesungen, in denen er Donne auf gleicher Stufe wie Dante und Milton behandeln will (läßt aber schließlich Donne als zu schwierig für die Hörer fallen). Vor allem hebt er die logische Schärfe hervor, die Donne für die poetische Synthese fruchtbar macht, und seine außergewöhnliche Sensibilität für das Metrum: „... in Gedichten, in denen der Autor denkt, und vom Leser dasselbe erwartet, muß der Sinn verstanden werden, um das Metrum zu begreifen.“19 Nicht dem Silbenzählen sondern dem leidenschaftlichen Sinn erschließe sich, wie Donne mit jedem Wort ein Zeitmaß setzt. Coleridge selbst gehört wie die deutschen Romantiker zu den Vertretern der Gedankendichtung; für ihn stehen sich Genie und Regel (wie Bild und Begriff) nicht feindlich gegenüber, sondern Regeln garantieren erst, daß sich das Kunstwerk aus einer organischen Form, von innen heraus entwickelt und nicht mechanisch einer Materie von außen aufgedrückt wird.20
Inzest, Vergewaltigung, Sodomie, Masturbation, und tausend andere ... Als Abendstern konfrontiert sie dich mit ihrem bonum utile, denn es ist am heilsamsten am Morgen: Als Abendstern mit ihrem bonum delectabile, denn es ist am vergnüglichsten am Abend ...( Charles M. Coffin (Ed.) The Complete Poetry & Selected Prose of John Donne, New York 1994, S.295) 18 Johnson hat diesen Namen für die elisabethanischen Dichter in Umlauf gebracht: Abraham Cowley, der heute wenig rezipierte Hauptadressat von Johnsons Kritik, Robert Herrick, George Herbert, Richard Crashaw, Henry Vaughan, Andrew Marvell, Thomas Traherne ... Johnson wirft ihnen vor, nur ihre Gelehrtheit zeigen zu wollen, das Fehlen mimetischer Kunst (Nachahmung), nur am Gedanken interessiert zu sein und sich zu wenig um den Ausdruck zu kümmern, einen abstrakten Witz, der nicht auf den Effekt beim Hörer abzielt, sondern nur darauf, unvereinbare Bilder zu kombinieren: „But Wit, abstracted from its effects upon the hearer, may be more rigorously and philosophically considered as a kind of discordia concors; a combination of dissimilar images, or discovery of occult resemblances in things apparently unlike. Of wit, thus defined, they have more than enough. The most heterogeneous ideas are yoked by violence together ...” Ursprünglich geht der Ausdruck metaphysical für Donnes Dichtung auf eine Nebenbemerkung Drydens in seinem Essay on Satire zurück, wo er bemängelt, daß Donne sogar in Liebesgedichten „metaphysische“ Töne anschlägt, mit „nice speculations of philosophy“ glänzt, wo er die Herzen mit „softness of love“ bewegen sollte. (vgl. Naresh Chandra John Donne and Metaphysical Poetry, Delhi 1991, S.2) 19 “in poems where the writer thinks, and expects the reader to do so, the sense must be understood in order to ascertain metre.” vgl. auch seine Gegenüberstellung: “To read Dryden, Pope, etc. you need only to count syllables; but to read Donne you must measure time, and discover the time of each word by the sense of passion. ...” (A.J.Smith 2000, S.265ff.) 20 Vgl. Noam Chomsky, Cartesianische Linugistik, Ein Kapitel in der Geschichte des Rationalismus, Tübingen 1971, S. 30 ff., wo er sich auf Coleridge, Humboldt und A.W. Schlegel bezieht.
Nach Coleridge wird Donne im englischen Sprachraum zumindest von den Dichtern wieder stärker wahrgenommen (in Amerika vor allem von den Transzendentalisten Emerson und Thoreau); seine Neubewertung setzt sich im 20. Jahrhundert mit einer von Sir Herbert Grierson herausgegebenen Anthologie von elisabethanischen Gedichten fort (1921, er nennt Donne „unseren vielleicht ersten großen Meister poetischer Rhetorik“), auf die sich T.S.Eliot in seiner Rezension The Metaphysical Poets bezieht. Eliot lobt Grierson, so viele Gedichte Donnes in die Anthologie aufgenommen zu haben und wendet gegen Johnsons Kritik ein, daß es zum Wesen der Poesie gehöre, „heterogenes Material“ zu vereinen, wie es auch in den besten Versen des Kritikers Johnson zu finden sei. Er vergleicht einen Abschnitt aus einer Ode des zu den metaphysical Poets gehörenden Lord Herbert mit einem Abschnitt aus einem Gedicht Tennysons, und trifft anhand dieser Gegenüberstellung die Unterscheidung zwischen intellectual poet und reflective poet:
Tennyson und Browning sind Dichter, und sie denken; aber sie fühlen nicht ihren Gedanken so direkt wie den Duft einer Rose. Ein Gedanke war für Donne eine Erfahrung; er veränderte seine Empfindsamkeit. Wenn der Sinn eines Dichters für seine Arbeit am besten ausgestattet ist, amalgamiert er ständig unterschiedliche Erfahrung; die Erfahrung des gewöhnlichen Menschen ist chaotisch, unregelmäßig, fragmentarisch. Letzterer verliebt sich oder liest Spinoza, und diese beiden Erfahrungen haben nichts miteinander zu tun, oder mit dem Geräusch der Schreibmaschine oder dem Geruch aus der Küche; im Sinn des Dichters formen diese Erfahrungen immer ein neues Ganzes.21
Wahrscheinlich hat Eliot das Geräusch seiner Schreibmaschine gehört, als er das geschrieben hat -‐ das Tippen auf der Computertastatur klingt gedämpfter, und der Duft einer Rose, obwohl gerochen für die, die nicht allergisch reagieren, immer noch ein Genuß, kann im Gedicht etwas abgestanden wirken -‐, vielleicht kam auch gerade ein Geruch aus der Küche in sein Arbeitszimmer (hoffentlich vor dem Essen), -‐ für eine gute Übertragung nicht wirklich notwendig; aber was man während der Arbeit an Übertragungen sonst noch wahrnimmt und liest, muß nicht ohne Folge bleiben -‐ nicht bei Spinoza, sondern bei den Gedichten Donnes suchte ich Zuflucht vor dem Dualismus Descartes’ und dem parataktischen Minimalismus Humes -‐, und es wird, auch wenn die Ablenkungen stören und Zeit stehlen werden, der Dynamik der eigenen Verse nicht schaden, sich zu verlieben, wenn man Liebesgedichte überträgt.
* Ein Evergreen englischer Liebesgedichte ist Donnes the flea -‐ der floh. Es war zu seiner Zeit eine beliebte Darstellungsweise erotischer Dichtung, die Reize des (weiblichen) Körpers aus der imaginären Perspektive eines ihn bereisenden Flohs zu schildern. (Mit der Elegie Love’s Progress -‐ der liebe vordringen liefert Donne in den Bildern einer Weltbesegelung, die von den Füßen und nicht vom Gesicht aus zu beginnen er empfiehlt, ein makrokosmisches Pendant zu der mikrokosmischen Floh-‐Erlebnisreise.) Als Beweis für Donnes Streben nach Substanz und höherem Liebesideal wird oft angeführt, daß er in seinem Flohgedicht das Ungeziefer nicht als erotische Außensonde benutzt, sondern als
21 Arthur L.Clements, John Donnes Poetry, London, New York 1992, S.162
Konserve, die das Blut der beiden Liebenden vereint. Das Gedicht handelt von einem anderen Moment im Liebesspiel als die damals übliche Flohlyrik, dem des Werbens und Überredens. Abgesehen davon, daß veränderte Hygienevorstellungen die vorgestellte Blutsvereinigung weniger attraktiv scheinen läßt, macht der winzige Witz, von dem das Gedicht lebt, dieses wahrscheinlich gegenstandsloser, aber nicht unbedingt besser als jene, die sich mit der Flohkamera an die Körperlandschaft halten und nur dort eindringen, wo dies vorgesehen ist. Man kann the flea getrost zu den oberflächlicheren Gedichten Donnes zählen, was ja die Beliebtheit dieses Gedichts ganz gut erklärt, ihm aber auch den auf einem Rückschluß beruhenden, dramatischen Effekt zugute halten, daß der Floh zwischen erster und zweiter Strophe stirbt.
Die zweite Strophe aus dem Gedicht The Undertaking or Platonic Love -‐ unterdrücken (oder platons lieb), deutet an, daß Donne nicht unbedingt damit rechnet, daß poetische Fertigkeiten oder Kunst überhaupt bei der Suche nach Substanz Erfolg bringen wird:
It were but madness now t’impart The skill of specular stone, When hee which can have learn’d the art To cut it, can find none. es wäre wahnsinn jetzt zu zeigen, wie schein verwandelt steine, wenn, der die kunst sich macht zu eigen, zu schneiden, findet keine.
Mit specular stone ist das Selenit oder Marienglas gemeint, ein Stein, den man in dünne Scheiben geschnitten statt Glas verwendete. Was hilft es, die Techniken zu beherrschen, die Schnittmengen zu bilden, wenn ihnen ihre materielle Entsprechung fehlt? Der Sprecher im Gedicht rühmt sich in der ersten Strophe, eine mutigere Tat begangen zu haben, als all the Worthies, noch mutiger sei aber, daß er sie verschweigt. Mit Worthies sind neun Helden gemeint, drei Heiden: Hector, Alexander der Große, Julius Caesar, drei Juden: Joshua, David, Judas Maccabäus, und drei Christen: König Arthur, Karl der Große und Gottfried v. Bouillon; in meiner Übertragung steht statt Worthies einfach worte; ich habe mich dabei sowohl von buchstäblicher Assoziation als vom sonst in Donnes Gedichten -‐ vor allem in den Songs and Sonnets -‐ vorherrschenden, für seine Zeit unkonventionellen Prinzip leiten lassen, beim Dichten auf mythologische und historische Versatzstoffe weitgehend zu verzichten. Die dritte Strophe spricht dann in einer Klammer noch deutlicher aus: ... because no more / Such stufe to worke upon, there is -‐ ... weil sie nicht mehr / solch stoff bekommen, der macht scharf, um das Gedicht in den letzten zwei Strophen, die in meinem Gedicht eine etwas andere Wendung nehmen, damit enden zu lassen, daß die innere Schönheit, die Tugend der Frau das liebenswertere sei. Donnes Bild der zweiten Strophe ist platonisch ideal, da die Substanz, der Stoff, den er für seine Kunst sucht, jener ist, der, wenn man die geheime Kunst beherrscht, sich so verfeinert, zurücknimmt, daß er, statt Schatten zu werfen, Licht durchläßt. Mit verwandeln klingt in der Übertragung auch Donnes Vorliebe für die Alchemie als Metaphern erzeugendes Labor an, und mit dem zweischneidigen schein, der sich selbst zwei Verse weiter zur ersten Silbe von schneiden verwandelt, findet nicht nur das Licht durch den geschnittenen Stein Durchlaß, sondern auch der Trug, den so ein Steine-‐ oder Worteverwandeln bedeuten kann.
Der Vergleich der Kunst des Dichtens mit der Kunst des Steineschneidens läßt an die neuplatonisch inspirierte Emblemtheorie denken, die den poetischen Substanzgewinn, den perspektivischen Effekt der Sinnbilder an deren typologischer Deutung festmacht: alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge verweisen auf allgemeingültigere Muster, das Dargestellte weist über sich hinaus. In A Valediction: of Weeping macht Donne mit emblems of more explizit auf den der rhetorischen Kunst zugrundeliegenden Mehrwert aufmerksam. Donne sucht aber im Umkehren des Verweisens auch im Allgemeineren das Konkrete und erhofft sich dieses von Vergleichen, die alchemisch verschmelzen, was unvereinbar scheint. Nicht nur als Wortspiel mit dem Nachnamen seiner Frau verweist emblems of more auf mehr und Konkreteres, sondern auch als Charakterisierung eines Bildes, das für die Dichtung Donnes repräsentativ ist: die Tränen, die das Gesicht der Geliebten widerspiegeln, werden in dieser Strophe mit Münzen verglichen, in die Abbilder gestanzt sind; wie das den Stein durchdringende Licht vereint der Vergleich von Tränen mit Münzen Substanzen, die in ihren stofflichen und zeitlichen Merkmalen gegensätzlicher nicht sein könnten.
Das allegorische Emblem wird gewöhnlich von einem seinen Sinn erhellenden Epigramm begleitet, die Kunst es zu schreiben heißt auf Latein arte lapidaria; das Adjektiv lapidarius leitet sich von lapis – Stein her, bedeutet also steinartig. Donne, der den Epigrammdichter Martial verehrte22, hat sein Können auch in dieser Kunst unter Beweis gestellt; seine Epigramme waren das Erste, was von seinen Schriften ins Deutsche übertragen wurde, von Georg Rudolf Weckherlin (1584-‐1653). Trotzdem weist Joseph Anthony Mazzeo in einem aufschlußreichen Aufsatz (1952) sowohl das Epigramm als Paradigma für Begriffsdichtung als auch die Emblematik als Erklärung für die Dichtung Donnes und der „metaphysischen Dichter“ zurück und beruft sich dazu auf Theoretiker des Concettismo im 17. Jahrhundert, die sie als Gattungserklärungen für unbrauchbar erklärt hatten;23 sie könnten höchstens für einen Teilaspekt einer „Theorie des Witzes“ dienen. Für Mazzeo hat das „metaphysische“ Bild nichts damit zu tun, ob es visualisiert werden kann, ob das Bild selbst sinnlich ist, sondern er versteht darunter eine an alchemistische Methoden erinnernde „Funktion der Art, wie Analogien zueinander in Beziehung gesetzt werden“ (während Samuel Johnson genau das kritisiert, nämlich daß zu künstliche Vergleiche sich nicht visualisieren lassen). Wie eben für die Concettisten gegolten hätte, liege der Witz in der „Form“ des Konzepts oder Begriffs und nicht in den Steinen, im Stoff.
Wir müssen in Erinnerung behalten, daß ein Teil der Metapher auf Identität, ein anderer Teil auf Unterschied beruht. Homer will uns sehen lassen, wie eine Welle unter bestimmten Bedingungen wie eine Armee unter bestimmten anderen Bedingungen wirkt. Indem er diese speziellen Analogien verbindet, wählt er jene Eigenschaften der Welle
22 In einem seiner Epigramme lässt Donne Martial auch vorkommen: Raderus / Why this man gelded Martial I muse, / Except himself alone his tricks would use, / As Katherine, for the Court’s sake, put down stews. [was strich der mann dem martiall alles aus, / wie er, was dieser kann, holt für sich raus, / schloss katharina jedes freudenhaus] Mit Karharina könnte die Zarin Katharina von Russland gemeint sein, die, wie dieses Epigramm suggeriert, die Freudenhäuser nur schliessen liess, damit das frivole Leben am Hof stattfindet. Donne zitiert Martial auch des öfteren in den Paradoxes and Problems.vgl. Helen Gardner, Oxford 2000, p xxvi: „... the developement of Donne’s art might be described in one way as his learning how to expand and enrich epigrammatic themes without losing the point and pungency that is characteristic of epigram.“ [... man kann die Entwicklung von Donnes Kunst in einer Hinsicht als Lernen beschreiben, wie epigrammatische Themen erweitert und bereichert werden, ohne die Spitze und Schärfe zu verlieren, die für das Epigramm charakteristisch sind.] 23 Vgl. Arthur C. Clements 1992, S. 173: “Indeed, this theory of the conceit was implicitly rejected by the seventeenth-‐century theorists of the conceit in whose works the emblem and impresa, as well as the epigram or “arte lapidaria”, are treated as incidental topics involved in the analysis of conceit or metaphor. They were fully aware that any theory of the conceit had to be a theory of metaphor or analogy, not a theory of genres ...”
aus, die auf Armeen übertragen werden können. Die bildliche Qualität ist nicht in der ganzen Metapher oder in der Identität aber in der jeweiligen Analogie als eine Art sinnlichem Residuum, das bleibt, nach dem die Identität etabliert wurde, und als solches ist es Teil des Gesamteffekts des Bildes. Also bleibt die bildliche Qualität genau der Aspekt des Bildes der nicht von einer Analogie zur anderen übertragen werden kann.24
Mazzeo betont die Analytizität des metaphorischen Vorgangs, weil er zeigen will, daß das Verhältnis zur Metaphysik von Dichtern wie Donne darin liegt, Substanz, dogmatische Kategorien oder eben Gegenständlichkeit überhaupt zu rhetorisieren. Er warnt mit etwas veraltetem Logikverständnis vor dem Vermischen von Poesie, Rhetorik und Logik und den Versuchen, „metaphysisches Dichten“ auf logische Begriffskunst wie die Ars combinatoria des Raymond Lullus zurückzuführen, weil das „logische“ Entwickeln einer erweiterten Metapher wenig mit Syllogismen oder Inferenzsystemen zu tun habe, und beruft sich auf Giordano Bruno als Begründer des „metaphysischen Stils“. Damit, daß Bruno der erste war, der mit der petrarcischen Tradition der Liebesdichtung, die die individuelle Schönheit besingt, brach und gemäß dem Analogieparadigma Makro-‐/Mikrokosmos die Besungene zum Brennpunkt der Korrespondenzen im Universum machte, untermauert Mazzeo seine Thesen. Bruno kritisiert Aristoteles in De la causa, principio et uno, er bezweifelt den ontologischen Unterschied zwischen Form und Materie und wirft Aristoteles vor, Form in rein logischem Sinn zu verstehen; er wolle nicht darüber entscheiden, ob Form von Materie begleitet werden müsse, wisse aber mit Sicherheit, das Materie nie gänzlich ungeformt sei; dieses in De minimo geometrisch vorgestellte Vorgeformtsein des Stoffes kann, auf die Symbolebene transponiert (vgl. Brunos imaginative Gedächtniskunst, die Bild/Begriff und Buchstabe einander zuordnet25), wie die Bildsysteme des mundus symbolicus der Emblematik auch im Sinne von rhetorischer Topik verstanden werden. Eine Schwäche von Mazzeos Argumentation liegt darin, daß er, obwohl von Giordano Bruno ausgehend, die Metapher zum Paradigma der Rhetorik wählt, die als -‐ wie er selbst zeigt – analytischste, die neben der „realistischen“ Metonymie wichtigste Figur für die nachahmende Schreibweise, für genaues Bezeichnen, für Mimesis ist (die wörtliche Übersetzung von Metapher ist Übertragung); die auf Bedeutungen konzentrierte Übertragung kann, um der Extensionsgleichheit näher zu kommen, eine Metapher einführen, wenn ihr in der Zielsprache der entsprechende Begriff fehlt. Nicht umsonst setzt der Linguist Jakobson in sein Sprachmodell die zwei Sprachachsen der Begriffsfiguren Metapher und Metonymie.26 Diese Begriffsfiguren sind, im Unterschied zu den sprachmateriellen und grammatikalischen, den generativen Figuren wie Alliteration, Ellipse oder Wortstellung, durch einen „Inhalt“, durch die Merkmale, auf die sie sich beziehen, logisch neu strukturiert und bedürfen keiner rhetorischen, vorgeordneten Topographie, obwohl natürlich auch sie einen Realitätssinn oder einen Glauben an Worterklärungen, Definitionen, an ein Begriffssystem voraussetzen. Donnes Dichten dagegen zeichnet sich gerade dadurch aus, nicht deskriptiv zu sein, sondern sich vielmehr in dialektischen Gegenüberstellungen durch eine Landschaft von universalen Entsprechungen und rhetorischen Orten zu bewegen, die ihn dazu bewegt, auch weit auseinanderliegende Gebiete in einer Figur zu vereinen und diese Figur zu entwickeln. Er läßt z.B.in figurativer Umkehrung, die das Endgültige für das Zeitliche, das Sterben und die kosmische Wiederkehr für das für eine Weile Getrenntsein stehen lässt, das Liebespaar als
24 Arthur C. Clements 1992, S.176 25 In De imaginum, signorum et idearum compositione, erschienen Frankfurt 1591. 26 Ein Audruck wird durch einen anderen Ausdruck ersetzt, der mit ihm in ‚inhaltlicher’ (kausaler, räumlicher, zeitlicher, quantitativer) Beziehung steht. Die Synekdoche – Teil für Ganzes ... – ist eine quantitative Metonymie.
Zirkel um einen Mittelpunkt kreisen, in A Valediction: forbidding Mourning, eine Stelle, die von Johnson als negatives Beispiel zitiert und von Coleridge bewundert wird. Es geht nicht so sehr darum, mit einem neuen Bild einen vertrauten Gegenstand einfühlsamer, d.h. genauer zu bezeichnen, oder mit einer Übertragung von Begriffen, von einem Bildschema ein unerforschtes Gebiet neu zu strukturieren, als darum, mit jedem Ausschnitt -‐ und sei dieser ein weißer Fleck -‐ auf die ganze Weltkarte zu verweisen, der er sich verdankt (um mit der Synekdoche bei einer begrifflichen Figur und bei einem Lieblingsbild Donnes zu bleiben).
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Wenn Poetik als Rhetorik in nuce verstanden wird, so wird der Gegenstandsbereich, die Frage, welche Topik das Sagen hat, nicht durch die Poetik, sondern durch ihre Umgebung entschieden, und der theoretische Ansatz der Interpretation bestimmt, ob diese Umgebung realistisch, sensualistisch, psychologisch, historisch, soziologisch, biographisch oder sonstwie gedeutet wird. Die die bestimmenden Umfelder ignorierende Frage, inwieweit so eine Rhetorik in nuce einer prinzipiellen gegenständlichen Zuordnung bedarf, erinnert an das Problem der synthetischen Aprioris in der Philosophie. Willard V. Quine und seine Theorie von Theorie als System von Sätzen, das sich von den Rändern ausgehend nach innen ändert -‐ umso zentraler, „zeitloser“ die Sätze, desto invarianter -‐ sind ein Beispiel dafür, daß in der Sprachphilosophie Aprioris, bei Quine allerdings nur besonders widerstandsfähige Hypothesen, nicht immer als rein logisch, analytisch gedacht werden. In seinem Aufsatz Two Dogmas of Empiricism wird als eines der Dogmen die Unterscheidung zwischen analytisch und synthetisch problematisiert und damit auch die zwischen rational und empirisch. Weil Quine die Begriffsbildung, die „Kenntnis der Welt“ vom Spracherlernen nicht trennt, wendet er sich gegen die spekulative, „metaphysische“ Annahme tieferliegender Strukturen (dagegen bedeutet für Quine die Umformung eines Satzes in die logische, kanonische Notation der Quantifikation, dessen ontischen Gehalt explizit zu machen):
Es gibt gar keinen Grund, weshalb man die Vorgeschichte der alltäglichen Rede von physikalischen Dingen im Hinblick auf Sinneswahrnehmung oder Reizauslöser nicht erforschen sollte. Ein Irrtum stellt sich erst dann ein, wenn man darin nach einem Unterbau der Begriffsbildung oder der Sprache sucht. Keine Begriffsbildung von Belang ist von der Sprache zu trennen, und unsere übliche Sprache der physikalischen Dinge ist schon in etwa so grundlegend, wie es die Sprache überhaupt nur sein kann.27
Auch wenn eine Theorie mit Analogien oder Metaphern aus der wahrnehmbaren Welt uns eine erste Ahnung von nicht-‐beobachtbaren Gegenständen geben kann, ist es nach Quine erst das System ihrer Sätze, das die Gegenstände hervorbringt und sie an seinen Rändern durch Erfahrung bestätigen läßt. So versucht sein Sprechen von Bedeutung ohne die Annahme unveränderlicher Ideenwelten oder die Annahme von (angeborenen) Universalien
27 W.V.Quine, Wort und Gegenstand, Stuttgart 1980, S.20 Quine bleibt ganz Logiker, wenn er die Einführung formaler Symbolsprachen, die er als Umformen und Vereinfachen und nicht als Unterbau der Sprache sieht, zur Klärung der Begriffsbildung zulässt: „... die Vereinfachung und Klärung der logischen Theorie, zu der eine kanonische Schreibweise beiträgt, ist nicht nur algorithmischer, sondern auch begrifflicher Art. ... Das Streben nach dem einfachsten, klarsten Gesamtmuster kanonischer Schreibweise und das Streben nach letztgültigen Kategorien – nach einer Darstellung der allgemeinsten Züge der Wirklichkeit – sind nicht zu unterscheiden. Man wende nicht ein, solche Konstruktionen seien Sache der Konvention und nicht Dikatate der Wirklichkeit – denn ließe sich dasselbe nicht auch von der Physik sagen? Es gehört freilich zum Wesen der Realität, daß uns die eine physikalische Theorie weiter hilft als die andere – aber das gleiche gilt auch für kanonische Schreibweisen.“ (S.281 ff.)
auszukommen, nicht aber ohne die Annahme abstrakter Gegenstände, sinnvoller Verallgemeinerungen (Klassen).28 Daß Quine von Bedeutung spricht, wo er sie nach dem Einführen einer strengeren, theoretischeren Begrifflichkeit nicht mehr zuläßt, demonstriert seine pragmatische Haltung, die mit dem Hinweis auf sein eigenes, umgangssprachliches Philosophieren bei geeigneten Definitionen eine Rückübersetzung, einen Rückgriff auf die ältere Begrifflichkeit erlaubt. Quine geht behavioristisch von Reizbedeutung aus, die mit der Korrelation eines Begriffs oder Satzes mit nichverbalen Reizen, bei beobachtungsfernen Sätzen als Produkt einer Menge von Satz-‐zu-‐Satz-‐Verbindungen und einer persönlichen Lebensgeschichte erklärt wird und bei bestimmten Begriffen, wie z.B. Farbbegriffen, in beobachtungsnahen Gelegenheitssätzen fast mit ihrer Bedeutung konvergiert, außer des Lernens, der gesellschaftlichen Konditionierung keines Hintergrundswissens (Systems von Sätzen, persönlicher Lebensgeschichte) bedarf. Die innersprachliche Begriffsbedeutung behandelt Quine anhand der Synonymie; im Unterschied zu den allgemeingültigen Reizbedeutungen und Gelegenheitssätzen sieht er Termini, die provinziellen Bestandteile unserer Kultur, als bezeichnende Ausdrücke spezifischer Begriffsschemata:
Wo es um andere Sprachen als unsere eigene geht, ist die Umfangsgleichheit von Termini kein eindeutig klarerer Begriff als der Begriff der Synonymie oder Übersetzung selbst; er ist nicht klarer als die Überlegungen – welcher Art diese auch immer sein mögen - , die eine kontextbezogene Übersetzung des Identitätsprädikats, der Kopula und verwandter Partikeln ermöglichen.29
Quines Vorbehalt gegenüber Bedeutung gerade in Bezug auf Übersetzungen zeigt sich auch darin, wie er mit dem Begriff Proposition umgeht, den Logiker einführen, um theoretisch kompatibler von der Bedeutung von Sätzen, dem Wahrheitsträger sprechen zu können. Quine sieht die Gefahr einer ungeprüften Ontologie propositionaler „Gedanken“. Gerade weil der Propositionsbegriff eine gemeinsame Bedeutung (Synonymie) von Sätzen behaupte, würde er von dem, was Übersetzung in ihrer Unbestimmtheit wirklich zu leisten hat, ablenken.
Weil er in seinen peniblen Satzanalysen und Analysen bezeichnender singulärer Termini (die er schließlich, um seine logische Theorie zu vereinfachen und bei der Quantorenlogik zu enden, als Namen den allgemeinen Termini zuordnet) vor allem die Rolle der quantifizierenden Satzpartikel und die Probleme der wörtlichen und syntaktischen Mehrdeutigkeit untersucht, hält Quine logisch-‐reduktionistisch grammatikalische Wortformen für wechselnde Formen der für die Prädikation zuständigen, allgemeinen Termini, die Unterscheidung in Substantiv, Adjektiv und Verb für das Bezeichnen also für unwesentlich. Er ärgert sich folglich, daß zeitliche Beziehungen in den Verbformen „grammatisch herausgestellt“ werden, statt wie in den Naturwissenschaften wie räumliche
28 „Ich halte nämlich jene bequeme Denkweise, nach der wir abstrakte Termini auf jegliche Weise ungehindert verwenden können, ohne dadruch die Existenz irgendeines abstrakten Gegenstandes anzuerkennen, für höchst bedauerlich. Nach dieser Empfehlung sind abstrakte Redewendungen bloß eine Sache des Sprachgebrauchs, frei von jeder metaphysischen Festlegung auf ein eigentümliches Reich von Entitäten. Auf jemanden, der Skrupel darüber empfindet, welche Gegenstände er voraussetzt, sollte eine solche Empfindung eher beunruhigend als beruhigend wirken; denn damit wird jede Unterscheidung zwischen verantwortungsloser Vergegenständlichung und ihrem Gegenteil fallengelassen. ... Das Privileg, sich für einige der ontischen Implikationen der eigenen Rede nicht zu interessieren, nimmt man besser wahr, indem man sie ignoriert, als indem man sie bestreitet.“ W.V.Quine, Wort und Gegenstand, Stuttgart 1980, S.214. Weil Quine pragmatisch von der theoretischen Nützlichkeit der Termini ausgeht, kann er einem Nominalismus, der z.B. Zahlen nicht als Gegenstände zulässt, nicht viel abgewinnen. 29 W.V.Quine, Wort und Gegenstand, Stuttgart 1980, S.105
behandelt zu werden. Abgesehen von der typischen, berufsbedingten Aversion gegen Veränderung ist nicht ganz klar, warum Quine sich nicht auch über die grammatikalische Unterscheidung von Geschlecht, Singular und Plural, Personen, über Befehlsform und Steigerungsform ereifert, und über das, was Endungen und Flexionen sonst noch herausstellen mögen. Letztlich ist es der Ärger darüber, daß die Umgangssprache natürlich gewachsen, historisch und nicht künstlich ist, und somit nicht klar herausstellt, worüber quantifiziert wird, wovon die für Logiker so unverzichtbare Existenz behauptet wird. Für die logische Theorie verabschiedet er schließlich das Sprechen von Bedeutung, wie es vermeintliche Übersetzungsrelationen und Umgangssprache voraussetzen. Linguistische Modelle, die aufgrund von Wortzusammensetzungen und Satzstrukturen argumentieren, erklären im Allgemeinen phonologische Universalien (ganz unpoetisch) für bedeutungsfrei, grammatikalische für bedeutungsabhängig. 30
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Unter rhetorischem Gesichtspunkt ist die Aussage, daß die Topik durch die
Umgebung bestimmt wird, tautologisch, denn die Umgebung ist dann die Topik, d.h. systematisch geordnet. Roland Barthes bringt in seinem übersichtlichen Abriß der alten Rhetorik31 ein Beispiel für eine aristotelische Topik:
Es gibt Plätze der Grammatik (Etymologie, conjugata), Plätze der Logik (Gattung, Eigenschaft, Akzidens, Art, Unterschied, Definition, Unterteilung) und Plätze der Metaphysik (Zweckursache, Wirkursache, Wirkung, Ganzes, Teile, entgegengesetzte Termini) ...
Wenn Barthes zwanzig Seiten davor sagt, „daß die Rhetorik immer im strukturalen Zusammenspiel mit ihren Nachbarinnen zu lesen ist (Grammatik, Logik, Poetik, Philosophie)“, benützt er die Einteilung der zitierten aristotelischen Topik, hinzugekommen ist nur die Poetik, die zwar mit der Rhetorik und den anderen Bereichen „struktural zusammenspielt“, aber nicht als rhetorischer Kern aus generativen Techniken gedacht wird.
Es wäre Unsinn, bei der Textanalyse von rhetorisch angereicherten, struktural „unnatürlichen“ Texten wie denen Donnes auf Begriffe zu verzichten, nur weil sie aus der klassischen Rhetorik stammen, oder weil ein gängiges linguistisches Modell bestimmte
30 Vgl. Implikationen der sprachlichen Universalien für die Linguistik, in Roman Jakobson, Semiotik, Frankfurt 1992, S. 493 (Vorbemerkung): „Schiesslich waren für die klassischen Universalienlehren nach dem Denkschema ‚gleicher Inhalt – verschiedene Form’ nur Bedeutungskategorien Kandidaten für die Universalienforschung, nicht aber die Ausdruckskategorien. Die wissenschaftsgeschichtliche Brisanz der neueren Universalienforschung besteht dagegen darin, dass sie gerade auf der Ebene der Ausdruckskategorien einsetzte und ihre ersten und modellhaften Erfolge erzielte.“ Was die grammatikalische Bedeutungsabhängigkeit anbelangt, hebt Jakobson dort im besondern die Wortstellung hervor und erklärt die semantische Betrachtungsweise für unabdinglich: „Ebenso wäre die Ausschliessung semantischer Betrachtungen (die ein verlockendes Experiment in den grammatischen Beschreibungen gewesen ist) hinsichtlich der Typologie ein glatter Widerspruch. Greenbergs Behauptung ist zuzustimmen, dass es unmöglich wäre, grammatische Phänomene in Sprachen mit verschiedenen Strukturen zu identifizieren, ohne ‚semantische Kriterien zu gebrauchen’. Morphologische und syntaktische Typologie sowie die universale Grammatik als ihre Grundlage beschäftigen sich hauptsächlich mit ‚grammatischen Begriffen’, wie Sapir sie nennt. ... Eine umsichtige und fortgesetzte Suche nach innersprachlichen und damit zwischensprachlichen semantischen Invarianten in den Beziehungen grammatischer Kategorien – wie etwa des verbalen Aspekts, des Tempus, Genus oder Modus – wird in der Tat ein dringendes und durchaus erreichbares Ziel der gegenwärtigen Sprachwissenschaft.“ (S.502 ff.) 31 in Das semiologische Abenteuer, Frankfurt 1988, S.71 u. S.48
Figuren nicht mehr berücksichtigt oder auf andere zurückführt, aus Gründen methodischer Eleganz. Die alte, am Begriffsüberfluß erstickte Rhetorik läßt nur die Reduktion auf Substanz, auf wörtliche Bedeutung zu; es kann jedoch keine Texteigenheit als Figur erkannt werden, wenn nicht irgendeine Ausgangsstufe ins Spiel gebracht wird. Generalisierende Einteilungen in brauchbare und unbrauchbare Begriffe erinnern in Bezug auf Donne eher, wie irreführend die Bezeichnung metaphysical poet sein kann, versteht man metaphysisch oder philosophisch nicht im Sinne einer Rhetorik in nuce, die vor allem deshalb philosophisch ist, weil sie sich rationalen Annahmen verdankt und als Rhetorik jede Art von Wissen verdauen zu können glaubt. Auf Donne paßt also besser Griersons „master of poetic rhetoric“. Coleridge meint übrigens, Donne sei ein schlechter Metaphysiker gewesen, weil er Begriffe, die er verwendet, wie Leib oder Seele, nie genau analysiert habe (ich habe bei zweiterem Wort in den Gedichten meistens nach anderen Lösungen gesucht, außer in der Satire das vordringen der seele).
Donnes Gedichte zeigen sowohl Vorlieben für bestimmte rhetorische Figuren wie Hyperbel (Übertreibung), Paradox und Antithese -‐ hier wiederum für Gegensätze wie unbelebt-‐belebt oder groß-‐klein -‐ als auch für bestimmte konzeptuelle oder metaphysische Vorgaben; wissenschaftliche Themen und Gegenstände menschlicher Erfahrung nehmen aber weit mehr Platz ein als die scholastischen und neuplatonischen Allusionen32: Geographie, Medizin, Rechtssprechung, Münzwesen, Kriegswesen, Astronomie/Astrologie, Alchemie sowie der menschliche Körper, Essen und Trinken, Beischlaf etc. Von den menschlichen Grundbedürfnissen spart er einer lyrischen oder philosophischen Konvention entsprechend Verdauung und Auscheidung weitgehend aus; auch meine Nachdichtungen verzichten auf einen erneuernden Stoffwechsel dieser Art.33 Donne rezipiert die neuen Lehrmeinungen in Medizin (Vesalius), Philosphie (Bacon) oder Astronomie (Kopernikus, Galilei), hält aber -‐ besonders natürlich in seiner Spätzeit als Prediger -‐ am Althergebrachten fest, z.B. am geozentrischen Weltbild; für einen Wissenschaftler aus heutiger Sicht peinlich, 32 Auch in der maschinellen Übersetzung kommen „metaphysische“ Modelle wieder in Mode, die in ihren Konzepten denen Donnes sehr nahe kommen; nocheinmal aus Inger Milnes, www.boersenblatt.net vom 4.10.2001: „Daher ist Logos zum Beispiel, das sich heute im Besitz des thüringischen Übersetzungsdiensts Global Words befindet, mit grossem Aufwand weiterentwickelt worden. Das System übersetzt nicht mehr direkt von einer Sprache in die andere, sondern über den Umweg eines maschineninternen Sprachsystems, in dem die gedanklichen Konzepte beziehungsweise die semantischen Kerne der Begriffe in ihrem direkten Textumfeld auf abstrakter Ebene festgehalten werden. Dieses maschineninterne Sprachsystem – die ‚Muttersprache’ des Programms -‐, wiederum in Grammatik und Lexikon aufgeteilt, wird, etwas überdehnt, von den Logos-‐Betreibern ‚Ontologie’ genannt – das Weltwissen der Maschine. Sowohl in der Ausgangssprache als auch in der Zielsprache sind nun einem Wort über mehrere hierarchische Ebenen Codes im maschineninternen Sprachsystem zugeordnet. Die wichtigsten Stufen hierbei sind:
- Wortart und Flexion - ‚Bedeutung’ im Textumfeld - und auf der verfeinertsten Stufe verschiedene Attribute, bei Substantiven beispielsweise ‚belebt-‐
unbelebt’, ‚konkret-‐abstrakt’, ‚Ort’, ‚Zeit’, ‚Konzept’.“ Die Strukturierung solcher Systeme in Inferenzsystem/Wissensbasis entspricht der von Rhetorik in Poetik/Topik. Auf lange Sicht kann so gesehen das ästhetische Kriterium, inwieweit sich poetisches Übertragen in empirischer Flexibilität, Lernfähigkeit, produktiven Abweichungen vom regelgenormten unterscheidet, nur an Bedeutung gewinnen und wird nicht nur von der Sensibilität für Sprachoberflächen, sondern auch davon abhängen, ob Russell mit seinem Käse gegenüber Jakobson Recht behält, der als Wort nur verstanden werden kann, wenn nichtsprachliche Bekanntschaft mit Käse geschlossen wurde. 33 Die inneren Organe spielen in Donnes Dichten eine Rolle, vgl. die Strophen L uns LI von The Progress of the Soule – das vordringen der seele, wo die in den Mutterleib eingedrungene, den menschlichen Körper bildende Seele mit dem „schwamm der leber“ anfängt, um die Lebenssäfte zu verteilen; in der Elegie The Comparison verwendet Donne die Worte Schweiss, Eiter, Spermien und Menstruation für die Vergleiche, mit denen der Sprecher im Gedicht die Mätresse des Konkurrenten miesmacht.
für einen Dichter nicht (und für einen Philosophen unter bestimmten Umständen auch nicht ungewöhnlich, nämlich dann, wenn eine empiristische Position gegen eine rationalistische in Stellung gebracht wird). In The Sun Rising – die aufgehende sonne, ist nicht nur die Erde der Mittelpunkt, um den die Sonne kreist, Donne spinnt das ptolomäische Weltbild anthropozentrisch und anthropomorphisierend weiter: er macht das Bett der Liebenden zum Zentrum; Pflicht der am Anfang des Gedichts wegen ihres Weckdiensts beschimpften Sonne sei ausschließlich, die Welt, d.h. die Liebenden zu wärmen; im Bild, mit dem der männliche Sprecher sich zu allen Fürsten, die Frau zu allen Staaten macht, dreht sich alles nur noch um den Mann.
Nicht eine besondere Geliebte, die umworben wird, nicht ein Adressat, über den dann gerätselt werden kann, wie bei den Sonetten Shakespeares, können die Interpretation der Gedichte John Donnes fehlleiten. So wie er für fast jedes Gedicht der Songs and Sonnets eine neue Strophenform entwirft (nur die einfache, vierzeilige Strophe mit achtsilbigem Vers und alternierendem Reim nutzt er für drei Gedichte), ist fast jedes Gedicht der Untersuchung einer anderen Art von Leidenschaft oder Beziehung gewidmet. Um in Songs and Sonnets die Möglichkeiten des Perspektivenwechsels auszunützen, und aufgrund seines Gefühls für Rollen, zu dem seine Rezeption des zeitgenössischen Drama (Marlowe) beigetragen hat -‐auch seine Vorliebe für die direkte Rede läßt sich so erklären -‐, läßt Donne in zwei, bzw. drei Gedichten die Frau sprechen: in Break of Day – tagesanbruch, Confined Love – beengte lieb und Self-‐Love – selbstlieb; bei letzterem wird in der Fachliteratur Donnes Autorenschaft in Frage gestellt. Das Aussehen der Liebenden bleibt genauso im Dunkeln, wie ihre Umgebung nicht beschrieben wird. Trotz ihrer Freizügigkeit befassen sich die Gedichte nicht mit physischer Lust -‐ dann schon eher mit dumpfer Leere nach dem Sexualakt wie in Farewell to Love – abschied vom lieben -‐, sondern spielen mit den Möglichkeiten psychischer Empfindungen. Vermutete Untreue, Eifersucht oder Wut über Vergänglichkeit, Verbundenheit, die den Tod überdauert, den Körper des Liebenden von Freunden sezieren läßt und seltsame Vorstellungen von Exhumierung wachruft, finden sich neben der belachten Unbeholfenheit Verheirateter beim Werben, den traurigen Abschiedsweisen in den verschiedenen Valedictions oder dem sanften aber schwachen Trost, der sich von Redensarten inspirieren läßt, wie in Song / Sweetest love, I do not go ... (lied / sanfte taube, ich nicht gehe ...). Wenn auch die Elegien im Vergleich zu den Songs and Sonnets deskriptiver sind, in ihren Beschreibungen und Bewegungen erotischer -‐ das Kleid etwa, das beim Entkleiden über den Körper wie Hügelschatten über Wiesen zieht, oder die den ganzen Körper der Geliebten abtasten wollenden Hände in To his Mistress Going to Bed – auf seine geliebte (die ins bett steigt)) -‐, zeichnen sich die Gedichte Donnes dadurch aus, daß sie weniger die Bilder ineinander verschränken und auf Feststehendes beziehen als daß sie diese bewegen und entwickeln, wie in A Valediction: forbidding Mourning – leb wohl: trauern verboten das schon erwähnte an die zwei Liebenden geknüpfte Bild vom Zirkel, den die letzten drei Strophen sich spreizen, kreisen, im Mittelpunkt stehen lassen, den einen Schenkel sich neigen, wenn der andere einen weiten Kreis zieht, und durch das Feststehen des einen den anderen den Kreis schließen lassen; wie der eine Schenkel die Spitze des anderen dort enden läßt, wo sie begonnen hat, den Kreis zu ziehen, lasse auch ihn das Feststehen der Geliebten im Anfang enden, meint der Sprecher im Gedicht; die Fortbewegung wird in der Rückkehr aufgehoben.
Die Dialektik von Bewegung und Stillstand, bleibenden Moment, die im Bild der geometrischen Rückführung von Linearität auf eine Kreisbewegung versöhnt werden soll, findet auch in der sich durch die Gedichte ziehenden Reflexion über -‐ und dem Thematisieren von Zeit ihr Analog. Der Sprecher in der kurzen Elegie His picture – sein abbild
schildert sich ohne geometrische Tröstungen als von der Zeit gezeichneten Mann, als einen „Sack voll Knochen“, um sich dann wie alten Wein, den nur der wahre Kenner zu genießen versteht und nicht ausspuckt, seiner Geliebten zu empfehlen, die von einem Rivalen für ihre Treue verspottet wird. In The Computation – das berechnen wird versucht, die Zeit in einer riesigen Rechnung zu überwinden, die die Liebesnöte über tausende von Jahren ausdehnt; einfache mathematische Berechnungen als Grundlage seiner Figuren, Zahlenparadoxe und – mystik sind eine weitere Spezialität Donnes (vgl. The Primrose – die primel). The Broken Heart – herzen zehren mokiert sich anfangs über den, der die Flüchtigkeit von Liebe nicht eingesteht, und über Zeitparadoxa, wie Donne sie selbst einsetzt, z.B. in A Lecture upon the Shadow – eine vorlesung über schatten, wo er die mit der Zeit unweigerlich eintretende Ermüdung einer Liebesbeziehung ausmalt, sie mit den kürzer und wieder länger werdenden Schatten vergleichend, um in den zwei Schlußversen die Benennungen der (Tages)Zeiten in einer sequenzlosen Vereinigung aufzuheben. Donnes Ideal eines zeitlosen Liebeskosmos, für das der Moment der Vereinigung steht, hat Verständnis für das Erneuern dieses Moments, für den Wechsel der Beziehungen zur Folge; er besingt in den Songs and Sonnets beklagend oder gutheißend die Unbeständigkeit (in Woman’s Constancy – frauen ersteht oder The Indifferent – der unentschiedene), die Selbstsucht der Monogamie (in Confined love – beengte Lieb), die Promiskuität (in Community – gemeinsamen) oder die exklusive Liebe von Zweien, die einander mönchische Hütten – one anothers hermitage – werden (in The Canonization – was selig spricht), und schließlich die sich über die Zeit erstreckende, dauerhafte eheliche Liebe, durch die er sich im Sonett XVII der Holy Sonnets, das dem frühen Tod seiner Frau gewidmet ist, über diesen hinaus an den Himmel gebunden fühlt.
Im paradiesischen, evolutionslosen Garten des satirischen Gedichts The Progress of the Soule – das vordringen der seele bedarf die verbotene Frucht, Ursprung der Erkenntnis und hier erste Wohnung, von der aus die gestaltende Seele ihre Wanderung antritt, keiner Befruchtung und Entwicklung, -‐ sie ist „reif sobald geboren“:
Prince of the orchard, faire as dawning morne, Fenc’d with the law, and ripe as soone as borne That apple grew, which this Soule did enlive ... der prinz des gartens, rein wie tau am morgen, gesetzumzäunt, und reif sobald geboren, der apfel wuchs, in dem die seele tief ...
Nachdem der Apfel vom Baum der Erkenntnis gepflückt ist und die Seele den paradiesischen Garten, die himmlische Topik der Gleichzeitigkeit, verlassen hat, muß sie die erkennbaren Gegenstände selbst erschaffen; ihr Vordringen im Vorgefundenen, vom Einen ins Nächste, um dort Neues zu formen, von Pflanze zu Tier und Tier zu Mensch, mutet an wie die Allegorie einer anderen Figur: die Entwicklung der Metonymie (eine gewagte Anwendung der Rhetorik auf sich selbst). Kein anderes Gedicht Donnes ist so deskriptiv, voll von Vergleichen und Schilderungen, sogar Natur wird minutiös beschrieben -‐ bei Donne, den Idyllen gelangweilt zu haben scheinen, nur selten zu finden -‐, wie das Spatzennest der Strophe XIX, in dem ein Kücken schlüpft, nachdem die Seele in der vorhergehenden Strophe in ein kleines blaues Ei gefahren war. Auch nach Farbbegriffen wird man in den Gedichten meist vergeblich suchen, oder man wird auf moralisch besetzte, fundamentale Kontraste stoßen wie im Holy Sonnet IV: Oh my blacke soule! ... – oh schwarzes ich! ..., das zwischen Schwarz und Weiß nur das reinwaschende Blutrot kennt. Nicht umsonst bemüht sich Donne
gerade im satirischen Gedicht um realistische Beschreibung; indem er die unstete Seele in anschaulichen Kontext versetzt, vergrößert er die Distanz zwischen Akteur und Umgebung und verstärkt die ironische Wirkung. Während Donne mit den übrigen Satiren in horazischer Nachfolge die Zustände am englischen Hof anprangert und diese insofern bestätigt, als er die Satiren schreibt, um sich dort bemerkbar zu machen (und aufhört, solche zu schreiben, sobald es ihm für die eigene Stellung nicht mehr opportun scheint), ist The Progess of the Soule universaler angelegt in seiner geschickten Doppelbödigkeit, die die biblische Mythologie unter dem bibelfernen Leitmotiv der Seelenwanderung 34aufs Korn nimmt; den dort karikierten, gesetzlosen Naturzustand nützt Donne, um mit Inzest, Abtreibung und Sodomie auch die Tabus unschuldig zur Sprache zu bringen, die sogar für das breite Spektrum der Liebesuntersuchungen der Songs and Sonnets zu dunkel sind (was den Inzest betrifft, bildet ein Fluch im Gedicht The Curse – der bann eine Ausnahme). Wenn das wesentlichste Darstellungsmittel der Satire, die Ironie, das Gegenteil vom Wirklichen oder wirklich Gemeinten behauptet, ohne diese Negation kenntlich zu machen, so ist das nicht nur der Grund für die Gefahr, daß sie ernst genommen wird, sondern es macht sie eben darum zu einer Redefigur, die auf über den Text hinausgehende Bezüge angewiesen ist, um als Figur erkannt zu werden und zur Wirkung zu kommen. Ironie ist sozusagen das halbe Paradox, die Gegenthese des Widerspruchs fehlt. Die unmerkliche Hinführung zu einem Ungesagten oder die plötzliche Konfrontation mit einem Unerwarteten, beides ist darauf angelegt, die von der Konvention verhängte Unfähigkeit, ihre Mechanismen aufzudecken, zu überlisten; das sich wie die Dialektik auf den juristischen Disput zurückführende Paradox soll mit einer Abweichung von der Norm, von der Lehrmeinung schockieren. Die paradoxale Gleichsetzung kann genauso zu den Techniken des Witzes gerechnet werden wie das metaphorische Changieren: je weiter auseinanderliegend, je unähnlicher die Gebiete, die dieses Changieren miteinander verknüpft, desto witziger nach der klassischen Charakterisierung des Witzes, er lege versteckte Ähnlichkeiten frei. Wenn Donne in den Songs and Sonets, wie in den Gedichten The Canonization – was selig spricht oder The Relique – schrein, religiöse Terminologie gebraucht, will er nicht seine Liebesthemen verklären, nicht Sexualität mit einer sakralen Aura umgeben, sondern einen ironischen Unterton erzeugen, indem er den Abstand zwischen Metaphorik und Bezeichnetem vergrößert. Von solcher Art sind die Engel, die in To his Mistress Going to Bed – auf seine geliebte, die ins bett steigt nicht wie die bösen Geister die Haare zu Berge, sondern das Glied stehen lassen – they set our hairs, but these our flesh upright, verwandt mit dem Wortwitz, der erection mit resurrection assoziiert.
Nicht nur epigrammatische Kürze und Wortstellung zählt Sigmund Freud in der literarisch-‐philosophischen Einleitung zu seiner Untersuchung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten35 auf, um die Abhängigkeit des Witzes vom Ausdruck und nicht vom
34 John Carey vermutet, dass sich Donne von Platos Phaedrus zum Thema „Seelenwanderung“ inspirieren liess und stellt fest: „But what was metaphysical in Plato, Donne has made physical“. (Was bei Plato metaphysisch war, hat Donne physisch gemacht. vgl. John Carey, London 1990, S.136) 35 Frankfurt am Main, 1958, wo – dem Thema entsprechend – Freud in konzisester Form die Zusammenhänge seiner Kategorien darlegt, indem er sie auf die Witzmechanismen anwendet. Verdichtung, die unterdrückte Nebengedanken zum Ausdruck bringt, als Gegenstrategie zur Verdrängung. vgl. S.14: „Worin besteht nun die „Technik“ dieses Witzes? ... Erstens hat eine erhebliche Verkürzung stattgefunden. Wir mussten, um den im Witz enthaltenen Gedanken voll auszudrücken, an die Worte „R. behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz familiär“ einen Nachsatz anfügen, der aufs kürzeste eingeengt lautete: d.h. soweit ein Millionär das zustande bringt, und dann fühlten wir erst noch das Bedürfnis nach einem erläuternden Zusatz. Beim Dichter [Heine] heisst es weit kürzer: „R. behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär“. Die ganze Einschränkung, die der zweite Satz an den ersten anfügt, welcher die familiäre Behandlung konstatiert, ist im
Gedanken zu betonen, sondern auch andere rhetorische Techniken wie elliptisches Verkürzen, Wortspiel oder „Addieren“ von Lauten. (Das Ersetzen eines eingebürgerten Ausdrucks durch eine umständliche Definition ist gleichfalls ein satirisches Stilmittel, das wie die verlangte Kürze des Witzes von der Abhängigkeit der Ironie vom Ausdruck zeugt.) So gesehen reduziert sich Samuel Johnsons Vorwurf, die „metaphysical poets“ hätten abstrakten, intellektuellen, nicht auf den Effekt abzielenden Witz produziert, auf den Vorwurf, sie hätten gedichtet. Mit dem von den metaphysischen Dichtern nicht einkalkulierten Effekt meint Johnson wahrscheinlich das Lachen, die Überbelichtung des „Bewußtseins“ (bzw. das, was auf sie folgt), der Effekt aber, auf den die rhetorischen Techniken abzielen, ist das Ausnützen ihrer Umgebung, oder, um bei freudianischer Ontologisierung zu bleiben, der Zugriff des Bewußtseins (ohne dessen Kontrolle) auf das unterbewußt Gewußte, indem sie bestehende Zusammenhänge aktivieren, miteinander vergleichen, schneiden oder gegeneinander ausspielen. Das Paradox, die Antithese sind begriffliche Grundfiguren dieser selbsttätigen Bewegung durch den Gedankenraum, die nicht eine Schnittmenge, wie die Metapher, oder einen inhaltlichen Zusammenhang, wie die Metonymie, suchen, um eine Beschreibung, eine Menge von Merkmalen zu fixieren, sondern die ihre sich ausschließenden Strukturen ausnützen, um ein bestimmtes Themengebiet dialektisch zu bewegen (das Gedicht Donnes, das in seinem zwischen Haß und Liebe vermittelnden, dreistrophigen Aufbau vielleicht am reinsten, d.h. den Begriffen entsprechend nur noch schematisch dem dialektischen Dreischritt von These, Antithese und Synthese folgt, ist The Prohibition – das verbot). Seine satirische Begabung, sein bewußtes Einsetzen rhetorischer Mittel macht Donne für Übertragung und Poetik so interessant36 und drängt den Bezug auf Freud geradezu auf; Freuds Bedeutung für diese Gebiete ist schon lange erkannt und nach Felix Philipp Ingold unübertroffen:
Der größte Übersetzungstheoretiker der Moderne ist zweifellos Freud, und er ist auch, eben deshalb, ihr größter Dichtungstheoretiker; was er, etwa mit Hinweis auf die Phänomene der Verdichtung, der Verschiebung, der Verdrängung, zur Struktur und Exegese des Traums, des Witzes, des Versprechers geschrieben hat, ließe sich, mutatis mutandis, durchweg auf die Wortkunst der europäischen Avantgarde übertragen Überträgt man die Freudsche Übertragungstheorie auf den Begriffsraster der Sprach-‐ und Literaturwissenschaft, so wird sie in der Tat lesbar als eine Theorie der dichterischen Übersetzung; als die Poetik des 20. Jahrhunderts.37
Eine Vorliebe für Gegensätze und Paradox zeigt sich bei Donne, der auch mit geisterbahnartigen Mitteln wie geöffnete Gräber oder Erscheinung auf Schockwirkung bei seinen Lesern setzt, nicht nur darin, daß er ein Gedicht aus den Songs and Sonnets dementsprechend betitelt (The Paradox hüpft zwischen Paradoxen aus Liebe und Tod hin und her, um schließlich mit Totschlag durch Liebe zu enden), sondern vor allem dort, wo er die Wirkung des Widerspruchs in Bild und Gedichtaufbau einsetzt, die Vereinigung der Gegensätze, die cusanische Coincidentia Oppositorum sucht, wie in The Extasie – das verzücken die Begriffe Leib, Seele, in Aire and Angels – luft und engel die Kategorien
Witze verloren gegangen.“ Die konstatierten Abhängigkeit vom Ausdruck findet bei Freud im Gedankenwitz begriffliche Vervollständigung. Das Paradox rechnet er wie die Ironie zu den Techniken des Gedankenwitzes: Denkfehler – Unifizierung – indirekte Darstellung. vgl. S.71: „Ebendahin weisen aber auch die Techniken des Gedankenwitzes, die Verschiebung, die Denkfehler, der Widersinn, die indirekte Darstellung durchs Gegenteil, die samt und sonderst in der Technik der Traumarbeit wiederkehren.“ 36 Vgl. Berman, A.: Pour une critique des traductions: John Donne, Paris 1994. 37 Felix Philipp Ingold, Üb er’s : Übersetzen (Der Übersetzer; die Übersetzung), in Martin Meyer (Hrsg.) Vom Übersetzen, Zehn Essays, München 1990
Substanz, Form, in A Valediction : forbidding Mourning – leb wohl : trauern verboten den Gegensatz von Anwesenheit und Abwesenheit, in The Sunne Rising – die aufgehende sonne den Gegensatz von Verlust und Gewinn, oder in The Dreame – der traum, wo der Sprecher von der Geliebten geweckt aus dem Traum erwacht, um weiterzuträumen; -‐ im assoziativen, analogiefreudigen Raum der Kunst und des Traums ist der Widerspruch kein Kategoriendilemma, sondern eine mögliche Verbindung, genauso wie Religion das Paradox als Gelegenheit sieht, kritische Analyse zu blockieren und Glauben zu beweisen. Die Divine Poems, die La Corona-‐Sonette und die Holy Sonnets spielen vor allem mit der Widersprüchlichkeit christlicher Dogmen wie z.B. mit der für die Dialektik grundlegenden der Dreieinigkeit. Donne nutzt den körperlichen Kontrast von abgestorbenem, ausgestoßenem Material wie Nägel, Haare und lebendigen Organen oder den des tastenden Eindringens chirurgischer Instrumente in die Wunde und der Kopulation (vgl. die Elegie The Comparison); indem er die neuen medizinischen Methoden, die mit dem überlieferten Denken in Analogien und den symbolischen Darstellungen des Körpers brechen, mit metaphorischer Sprechweise verbindet, unterläuft er die eigenen Paradigmen und läßt offen, ob das, was die neuen Methoden finden lassen, oder das, was Dichter von Liebesgedichten für wesentlich halten, ironisiert wird; ein grausam schönes Beispiel dafür ist The Damp -‐ dunst die Sektion, wo sich der Sprecher vorstellt, daß Freunde nach seinem Tod seinen Leib aufschneiden lassen -‐ will have me cut up to survey each part -‐, um das Bild seiner Geliebten zu finden.
So wie nicht nur, was die Medizin betrifft, seine Zeit vom Paradigmenwechsel geprägt ist, oszilliert Donnes Dichten zwischen den Weltbildern und experimentiert ständig mit Extremen. Dieses Experimentieren lässt sich als Suche nach der Synthese von empirischer und rationaler Anschauungsweise deuten, die gemäß dem Leitmotiv dieses Essays auf symbolischer Ebene als dem Gegensatz von Dichtung und Philosophie entsprechend gedacht werden können:
Give me thy weakness, make me blind, Both ways, as thou and thine, in eyes and mind; du schwach wie dich mich mach, mich blind, verstand und augen die zwei weisen sind;
In Love’s Exchange – der liebe austausch macht die Leidenschaft nicht nur blöd und blind, sondern fast wie zur Bestätigung ruft die entfesselte Liebe Mönche aus ihren Gräbern, bringt die Erdpole zum Schmelzen und besiedelt Wüsten; die Steigerungen ins Unglaub-‐ und ästhetisch Fragwürdige enden in der letzten Strophe wieder beim mit der Liebestortur gleichgesetzten Sezieren: wenn zukünftige Rebellen den Körper aufschneiden, wird sich ihnen die so mißhandelte Hülle anatomisch falsch präsentieren; in einem weiteren Schritt stellt sich die in der Zukunft imaginierte Liebesuntersuchung in The Relic – schrein als reliquiengläubige Grabschändung dar; die Neugier kann aber auch der Resignation weichen, wie in The Dissolution – die auflösung, wo Donne einer älteren Naturphilosophie folgend als „sein Material“ die vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde mit konkreten und abstrakten Gefühlsausdrücken durchmischt, -‐ Wortalchemie analog dem fleischlichen Verwesen.
Lassen wir die Seele aus Strophe XIII von The Progress of the Soule noch einmal fliegen:
As lightning, which one scarce dares say, he saw, ‘Tis so soone gone, (and better proofe the law Of sense, than faith requires) swiftly she flew ... wie blitzen, das kaum sichtbar, war geflogen sie (sichrer sind, die aus den sinnen folgen als die, die glauben schenken) rauscht verloren ...
Donne vergleicht die Seele mit dem Blitzen, um ihr zwischen ihren ersten beiden Stationen (Apfel und Alraune, bzw. Erde) ein ephemeres Aussehen zu geben, und warnt dann vor Leichtgläubigkeit; das „Bekenntnis“ in der Klammer (so direkt wird also auf Ironie hingewiesen) läßt mit der Mehrdeutigkeit von sense offen, ob es sich um den Verstand handelt, was proof nahelegt, um den Sinn der Worte oder um den Sinn eines Sinnesorgans; meine Interpretation vereint im Plural die Sinne und schlägt für die Erkenntnis eine empirische Reihenfolge vor. Generell versuche ich dort die Gegensätzlichkeit der Richtungen, das „Philosophische“ in meinen Gedichten stärker zu betonen, wo Donnes (z.B. misogyne) Klischees mir Platz zu lassen oder die lyrischen Formeln mir abgenützt scheinen; schon das erste Gedicht der Übertragungen das mitteilen weicht in seinem Unterfüttern der Reflexion stark von den Bildern seiner Vorlage The Message ab und macht sein Abweichen zum Thema (andere Gedichte dieser Tendenz sind herzen zehren, liebe theorie oder die aufgehende sonne). Die Holy Sonets wissen nichts von Seelenwanderung; zum Monismus neigend versucht Donne den Körper-‐Geist-‐Dualismus zu überwinden; er läßt -‐ auch für einen Anglikaner häretisch -‐ die Seelen mit ihren Körpern sterben; in Sonett VII sollen sie dann von in einem geometrischen Paradox situierten Engeln (an runder erde vorgestellten ecken) zum Auferstehen bewegt werden (kurz müssen sie allerdings ohne die Körper auskommen, denn sie bekommen den Auftrag, diese zu wecken). Da die heiligen Sonette weniger satirischen Charakter suggerieren, waren beim Übertragen auch andere Kriterien Ausschlag gebend als bei The Progress of the Soule. (Ein überkommener Ausdruck läßt sich dadurch retten, daß er ironisiert, bzw. bildlicher verwendet wird, als er intendiert gewesen sein könnte, die Expressivität dadurch, daß sie durch neue Begriffe zum Ausdruck gebracht wird.) Die Paradoxe sind in den religiösen Gedichten Donnes weniger Werkzeuge der Ironie als poetische Marterinstrumente, die Selbstanalyse, bzw. – auflösung und theologische Begrifflichkeit gegeneinander ausspielen, aber auch erotische Funktionen erfüllen.38 Beim generativen Übertragen ist nicht immer klar, wo oder bei welchen sprachlichen Eigenschaften die wählende Instanz liegt; oft ist es die eigene Unzulänglichkeit und nur selten (bei rhetorisch gewieften Autoren wahrscheinlich öfter) hat man das Glück, das lästig werden kann, so etwas wie schleichende Seelenwanderung zu empfinden. Auch wenn Helen Gardner mit dubiosen Begründungen, die ihre akademische Prüderie nicht ganz verbergen können39, die Autorenschaft Donnes für Sapho to Philaenis anzweifelt, finden sich dort vier
38 Dominus als Domina, vgl. z.B. Sonett XIV: Batter my heart, three person’d God ... – schlag mir mein herz zusammen, drei personen ... wo – allerdings in figurativer Identifikation mit einer Frau – die Bitte um Schläge über das Bild der eingenommenen Stadt – die Assoziation mit dem Rammbock liegt nahe – in der paradoxen Bitte um Vergewaltigung, die zur Reinheit führt, gipfelt. William Kerrigan weist in seinem Aufsatz The Fearful Accomodations of John Donne darauf hin, daß zur Zeit Donnes heart als Slang-‐ausdruck für vagina verwendet wurde (vgl. John Donne and the Seventeenth-‐Century Metaphysical Poets, Harold Bloom (Hrsg. ), New York, Phiadelphia 1986, S.43). 39 Dass ihre zweifelhaften Kriterien nicht ästhetischer Natur sind, enthüllt Gardner gleich am Anfang der Einführung zu ihrer Donne-‐Ausgabe: „If we are to value one poem more highly than the other it must be on
Verse, die, wird der eigene Körper als Fleischwerden des Textes verstanden, etwas von der Situation des Übertragenden vor dem zu übertragenden Text wiedergeben, die mit der verwechselbar ist, in der sich der Leser wiederfindet; Sappho hat Philaenis viele Gründe aufgezählt, warum die Frauenliebe der Männerliebe vorzuziehen sei, schließlich enthüllt das Gedicht, daß sie mit sich selbst redend vor dem Spiegel gestanden ist, und läßt die gepriesene Homophilie in Selbstliebe mit Sendungsbewußtsein kippen:
Likeness begets such strange selfe flatterie, That touching my selfe, all seems done to thee. My selfe I’embrace, and mine owne hands I kisse, And amorously thanke my selfe for this. ... gleichheit erzeugt so, was sich selbst aufreisst, dass, was mich selbst berührt, sich dir beweist. mich selbst umarm ich, meine hände schlecke, dank mir verliebt, dass selbst mit selbst sich decke. ...
In der Übertragung gestaltet sich die Selbstliebe drastischer; die Steigerung des Küssens übertreibt wie das aufreissen, das in seinem Doppelsinn die inneren Momente von tabulosem Liebeswerben wie Sezierwut und Selbstanalyse hervorholt, die Donnes Dichten vor dem rhetorischen Leerlauf vorgeprägter Formeln bewahren; die Übertreibung versucht, die Poetik eines Ganzen zu verdeutlichen, indem sie stellenweises Sichdecken aufgibt; sie kann auch einfach für die den gesamten Übertragungen eigene, vorangetriebene Versinnlichung stehen, hier an Oberflächen, die Donne vor allem in den Elegien bedenkt; Likenesse begets – gleichheit erzeugt läßt sich so als grundlegendes Motto lesen, das auffordert, Übereinstimmung und Auseinandersetzung im Denken zu suchen, um in sich einenden Rhythmen, die als zeugende Strukturierungen vielleicht noch tiefer liegen als jede Form von Metaphysik oder Wissen, ein Entsprechen zu finden, das dem historischen Moment seines Entstehens gerecht wird und Zeit-‐ wie Sprach-‐ wie Selbstdifferenz in die Übertragung einkalkuliert. Etwas anlaßbezogen schließt meine Auswahl mit einem Lobgedicht Donnes auf eine Übersetzung; in der Übertragung „bleibt“ God Gott, denn gleich am Anfang wird jeder gewarnt, der anstelle dieses Worts ein anderes verwenden will, unter Androhung der Quadratur des Kreises; jenem mit einem Umbenennungsverbot belegten (gegen das schon durch Übersetzen verstoßen wird) werden die Attribute cornerless and infinite – ohne ecken und unendlich zugesprochen; diese sind dem Dreieck des Nikolaus von Kues entliehen, das, wenn die Basis unendlich ist, auch keine Ecken mehr hat (ein anderes cusanisch-‐geometrisches Bild für Grenzenlosigkeit wäre der unendliche Kreis, dessen Krümmung gerade ist, bzw. bei dem Kreisumfang und Durchmesser ineinsfallen). Sir Philipp Sidney40, selbst ein Sonettdichter, und seine Schwester Countess of Pembroke haben die Psalmen übersetzt und Donne Gelegenheit gegeben Upon the Translation of the Psalmes zu dichten. Wenn Donne dort lobt, ... that these Psalmes are become / so well attyr’d abroad, so ill at
non-‐aesthetic ground that we value its mood and sentiments more highly.“ (Wenn wir ein Gedicht höher als ein anderes bewerten sollen, muss dies aus nicht-‐ästhetischem Grund geschehen, dass wir seine Stimmung und Gefühle höher bewerten.) Helen Gardner, Oxford 2000, p.xxi. 40 Sir Philip Sidney (1554-‐86) war einer der ersten elisabethanischen Dichter, berühmt durch seinen Zyklus von Liebes-‐Sonetten Astrophil and Stella und die Romanze Arcadia, beides zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht.
home -‐ ... wie gut diese psalmen / die fremde kleidet, schlecht zuhaus ..., erinnert die Metapher von der kleidenden Fremde an die von Sprache als Kleid des Gedankens (oder an Walter Benjamins Sprache der Übersetzung, die ihren Gehalt wie ein Königsmantel in weiten Falten umgibt41); der Gedanke, der mit der Zeit in seiner ursprünglichen Form nicht mehr berührt, nicht mehr begreifen läßt, findet seine Ausdruckskraft in der Fremdheit der Übertragung wieder, genauso wie die Sprache, in die übertragen wird, durch die Berührung mit dem Original, durch die Einführung des Fremden ihre Ausdrucksformen vermehren und verfeinern kann. Das Bild vom Sprachkleid weist Donne nocheinmal als intellektuellen Dichter, als „metaphysical poet“ aus, so wie die drei Verse vor den drei letzten des Gedichts:
And, till we come th’Extemporall song to sing, (Learn’d the first hower, that we see the King, Who hath translated those translators) ... bis wir zeitloses lied besingen ewig, (sofort gelernt, wenn wir gesehn den könig, der diese übersetzer übersetzt)
Wie in Donnes oft gebrauchtem geographischen Bild, in dem der äußerste Westen, der den Tod symbolisiert, auch der für den Beginn, den Aufgang stehende Osten ist, oder wie es der selbe Platz illustrieren soll, auf dem nach der Legende sowohl der Baum der Erkenntnis als das Kreuz gestanden sind (in Hymne to God my God, in my sickness – hymne an ihn mein mich in meiner krankheit), fallen im mythologischen Kreislauf Anfang und Ende allen Begreifens zusammen; das zeitlose Lied, das gelernt ist, sobald der König gesehen wird, scheint den gleichen Gesetzen zu unterliegen wie der paradiesische Apfel aus The Progress of the Soule, der reif war, sobald er geboren wurde. Auch wenn die rhetorischen, religiösen und politischen Requisiten abgetragen scheinen, mit denen hier der Ursprung der Erkenntnis als die Erkenntnis des Ursprungs auftritt, kann dieser Chiasmus (eine symmetrische Tauschfigur, die einen Schluß nur vortäuscht) doch eine mögliche, rationale Perspektive andeuten, die alle Dichtung als zeitliche Versuche, es zu singen, auf dieses zeitlose oder auch nur alte Lied hinordnet; einstweilen bleibt die königliche Rolle dem empirischen Leser, der beim Vergleichen von Original und Übertragung versuchen kann, die Übersetzer anhand der Differenzen zu sich übersetzen zu lassen. 41 in Das Problem des Übersetzens, Darmstadt 1969, S.162. „... Denn sie bedeutet eine höhere Sprache als sie ist und bleibt dadurch ihrem eigenen Gehalt gegenüber unangemessen, gewaltig und fremd.“