Könnte ein Roboter meinen Job erledigen? Bis 2035 sollen 1,5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen, aber genauso viele entstehen. Foto: dpa
S ind Sie Lehrer oder Physiotherapeut? Falls ja, dann herzlichenGlückwunsch! Ihr Beruf ist momentan gar nicht oder nur in sehr geringemUmfang durch Maschinen ersetzbar. Prädikat: digitalresistent. Beim Beruf des Kassierers sieht das anders aus. Die Aufgabenkönnen bereits heute zu 100 Prozent voneiner Maschine erledigt werden. Wer seinen Arbeitsplatz auf Zukunftsfähigkeittesten will, kann das mit Hilfe des sogenannten JobFuturomats machen. NachEingabe des Berufs folgt die Einschätzungdes Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) aus Nürnberg, welchesdas OnlineTool entwickelte.
Die Welt verändert sich rasant, die Digitalisierung hält Einzug in alle Lebensbereiche. Auch die Bundesregierung hat daserkannt und schreibt sich nach einer Digitalklausur in dieser Woche das ThemaKünstliche Intelligenz auf die Fahnen. DerWandel trifft den Arbeitsmarkt. Roboterund Algorithmen können immer öfter unseren Job übernehmen. Die Arbeitsforscher vom IAB schätzen: Ein Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigtenin Deutschland arbeiten in Berufen, in denen mindestens 70 Prozent der Tätigkeiten von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werdenkönnten. Das Institut betont, dass das eine Momentaufnahme sei. Man könnenicht genau sagen, welche Berufe künftigwegfallen werden. Aber: Für Tätigkeiten,die heute schon zu einem hohen Maß ersetzt werden können, sieht die Prognosenicht rosig aus.
Der Philosoph Richard David Precht –bekannt aus diversen TVAuftritten –macht pessimistische Vorhersagen: Etwadie Hälfte aller heutigen Arbeitsplätze inder westlichen Welt könnten schon 2030nicht mehr existieren. Precht bezieht sich
dabei auf eine USStudie aus dem Jahr2013. Harald Hagemann, Wirtschaftsund Sozialwissenschaftler an der Universität Hohenheim, warnt vor „Horroszenarien“. „Es ist sicher, dass Jobs wegfallenwerden“, sagt der Professor. Unklar seiaber, wie viele, welche genau und wann.„Viele Schätzungen beziehen sich auf eineUSStudie, die viele Faktoren nicht berücksichtigt“, kritisiert er. Beispielsweiseentstünden durch die Digitalisierungauch viele neue Jobs.
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung schätzt, dass es bis zum Jahr2035 durch den technologischen Wandel1,5 Millionen Arbeitsplätze nicht mehrgeben wird, gleichzeitig aber etwa genauso viele Jobs neu entstehen. Die Gefahr,dass die menschliche Arbeitskraft an denRand gedrängt wird, sieht Joachim Möller,Leiter des IAB, nicht. So schrieb er in einerKolumne im Spiegel: „Mir erscheint realistischer, dass der Mensch die Kontrolle über die Produktion behältund die intelligente Technik ihmzuarbeitet. Der Mensch wird vonmonotonen, körperlich anstrengenden Tätigkeiten entlastet underhält die Möglichkeit, seine Kreativität stärker einzubringen.“
Was sicher ist: Es finden Umwälzungen statt. Und laut den Forscherndes IAB aufgrund der hohen industriellenKonzentration vor allem im Südwesten.„Für BadenWürttemberg ergeben sich diegrößten Umwälzungen. Im Jahr 2035 werden dort aufgrund der Digitalisierungrund 210 000 Arbeitsplätze weggefallensein. Gleichzeitig werden rund 200 000neue Arbeitsplätze entstehen“, so die Arbeitsforscher. Insgesamt sind damit in BadenWürttemberg knapp sieben Prozentaller Arbeitsplätze von der Digitalisierungbetroffen. Generell gilt: In Fertigungsund Fertigungstechnischen Berufen istdie Gefahr der Ersetzbarkeit höher als in
den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen. „Immer dann, wenn wirkreative Fähigkeiten brauchen, ist derMensch im Vorteil gegenüber Maschinen“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Hagemann. Vor allem Routinetätigkeitenseien gefährdet. Die Digitalisierung bedroht aber nicht nur die Jobs von Menschen ohne Ausbildung. „Es wird auchmittlere Qualifizierte treffen.“
Bislang ist noch kein humanoider Roboter marktreif, deshalb hat diese Entwicklung laut IAB noch keine Folgen fürden Arbeitsmarkt. Allerdings gibt es Fortschritte bei kollaborativen, mobilen Robotern. Tätigkeiten, die bisher als nicht ersetzbar galten, können nun von diesenHelfern übernommen werden. Zum Beispiel das Kommissionieren im Lager.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil(SPD) setzt auf Weiterbildung. „Es geht darum, Arbeitslosigkeit zu vermeiden, bevor
sie entsteht“, sagt der Minister im Rahmen der Digitalklausur. „Die Arbeit wirduns nicht ausgehen, es wird aber andereArbeit sein.“ Die entscheidenden Stellschrauben seien die Qualifizierung unddie Weiterbildung.
Die IHK Region Stuttgart will dabei unterstützen: „Auch in der Wirtschaft 4.0 istgut qualifiziertes Personal entscheidendfür den Erfolg. Die IHK bringt sich dabeiein, wenn die Inhalte der betrieblichenAus und Weiterbildung immer wieder angepasst werden, damit sie mit der Veränderung der Arbeitswelt Schritt halten“,sagt Präsidentin Marjoke Breuning. Es
steigt der Bedarf an Fachkräften im Bereich Informatik, zudem entstehen neueAusbildungsberufe. Susanne Kunschert,geschäftsführende Gesellschafterin desAutomatisierungsspezialisten Pilz ausOstfildern, hat im September zwei jungeMenschen für die neue Ausbildung „Fachinformatiker – Systemintegration“ eingestellt. Der praktische Teil findet nicht nurin der ITAbteilung statt, sondern auch imControlling, Qualitätsmanagement undVertrieb. Kunschert betont: „Die Digitalisierung funktioniert nur dann, wenn interdisziplinär gedacht und gehandeltwird. So müssen die ITAdministratorenstärker in Fertigungsprozessen und wirtschaftlichen Zusammenhängen denken.Die Fertigungstechnik wiederum mussden Wert digitaler Daten kennen.“ Kunschert ist sich sicher: „Industrie 4.0 bedeutet nicht nur einen Technologie sondernauch einen Kulturwandel in allen Unter
nehmensbereichen.“ Bei Pilz hatman dafür ein neues Team geschaffen, dass die Aufgabe hat, Zukunftsthemen wie MenschRoboterKollaboration zu bewerten.
Der Hohenheimer ProfessorHagemann sieht durch den Produktivitätszuwachs durch Maschinen angenehme Effekte für
die Arbeitnehmer: „Es kann zu Arbeitszeitverkürzungen kommen.“ TechnischeRevolutionen gab es in der Menschheitsgeschichte bereits einige. „In der Vergangenheit sind neue Märkte und Jobs entstanden, die Verluste durch Fortschrittauffangen konnten“, sagt Hagemann.„Man muss beim Übergang aber die Frageder Verteilung im Blick behalten. Es darfnicht zu viele Verlierer geben.“ Das sei demokratiegefährdend.
E Wer seinen Beruf auf „Digitalresistenz“testen will, kann das tun unter: https://jobfuturomat.iab.de
„Es ist sicher, dass Jobs wegfallen“Der Südwesten ist von den Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung besonders betroffen
Von Sabrina Erben
» Industrie 4.0 bedeutet nichtnur einen Technologie,sondern auch einen Kulturwandel in allen Bereichen.
Susanne Kunschert «
Inflation in der Eurozone steigt Luxemburg ˉ In der Eurozone ist dieInflation im Oktober den zweiten Monat in Folge gestiegen und hat denhöchsten Wert seit fast sechs Jahren erreicht. Die nach europäischen Standards berechneten Verbraucherpreiseseien um 2,2 Prozent zum Vorjahresmonat gestiegen, teilte das StatistikamtEurostat in Luxemburg mit. Im gemeinsamen Währungsraum ist die Teuerung damit so stark wie seit Dezember2012 nicht mehr. Im September hattedie Jahresinflationsrate noch bei 2,1Prozent gelegen und im August bei 2,0Prozent. Ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie sowie Lebensund Genussmittel fiel die Teuerung imOktober deutlich schwächer aus. Diesogenannte Kernrate stieg aber von 0,9Prozent im Vormonat auf 1,1 Prozent.Mit 2,2 Prozent liegt die Gesamtinflation über dem Zielwert der EZB. (dpa)
E ZBPräsident Mario Draghi hat trotzder Schuldenkrise Italiens, der BrexitTurbulenzen und schwächerer Wirtschaftsdaten die Furcht vor einem Wachstumseinbruch gedämpft. „Es gibt sicherkeinen Grund, warum das Wachstum imEuroraum abrupt enden sollte“, sagte eram Freitag während einer Bankenkonferenz in Frankfurt. Der in Deutschland wegen seiner NullzinsPolitik umstritteneEZBPräsident sieht für die Politik aber keinen Grund sich auszuruhen – im Gegenteil. Er mahnte einheitliche Regeln fürBanken und Kapitalmärkte an. „Die Vollendung der Bankenunion in all ihren Dimensionen, einschließlich der Risikominderung, und der Beginn der Kapitalmarktunion durch die Umsetzung aller laufenden Initiativen bis 2019 sind jetzt so drin
gend wie die ersten Schritte im Krisenmanagement des EuroWährungsgebiets vorsieben Jahren“, sagte er. In einer Kapitalmarktunion liege die beste Antwort aufdie Bedrohungen, denen sich die Währungsunion ausgesetzt sehe. „Darauf gibtes nur eine Antwort: Mehr Europa“.
DeutscheBankChef Christian Sewingsieht dies wie Draghi. „Einer der Hauptgründe, warum Europa hinterherhinkt, istFragmentierung“, sagte Sewing. „Amerikanische Banken haben einen riesigenHeimatmarkt, während europäische Banken es mit 27 oder 28 nationalen Märktenmit inkonsistenter Regulierung und verschiedenen Strukturen zu tun haben.“Deshalb müsse die Bankenunion beschleunigt und das Konzept einer Kapitalmarktunion wiederbelebt werden. Einheitlichere Kapitalmarktregeln stehen bereits seit Längerem auf der politischen
Agenda der Europäischen Kommission.Mit der Kapitalmarktunion will die Kommission neue Finanzierungsquellen fürUnternehmen erschließen, die Kosten derKapitalaufnahme senken und das Angebot für Sparer in der EU erweitern.
Zur Konjunktur sagte Draghi weiter, eine graduelle Verlangsamung des Wachstums sei normal, wenn der Konjunkturzyklus reife und sich das Wachstum seinemlangfristigen Potenzial annähere. Allerdings sei die Wachstumsphase im Euroraum noch relativ kurz und gering in ihrem Ausmaß. Seit 1975 hätten Aufschwünge im Gebiet des Euroraumsdurchschnittlich acht Jahre angehaltenund eine Steigerung der Wirtschaftsleistung um 21 Prozent bewirkt. Der gegenwärtige Aufschwung dauere erst fünfeinhalb Jahre an mit einem Zugewinn anWirtschaftskraft um zehn Prozent.
Draghi dämpft Wachstumssorgen Der Präsident der Europäischen Zentralbank fordert Kapitalmarktunion
Von unseren Korrespondenten
FordTochter sammelt Geld einLondon/Dearborn ˉ Im Wettrennenum die Entwicklung selbstfahrenderAutos will die FordTochter Argo Milliarden Dollar von Investoren und vonanderen Autobauern einsammeln.„Wir sprechen definitiv mit anderenmöglichen Kunden, Autoherstellern,und wir sprechen mit mehr als einem“,sagte ArgoChef Bryan Salesky im Interview der „Financial Times“. Der Autobauer will den Rückstand auf den USRivalen General Motors aufholen, der2019 mit seiner Marke Cruise eine weitgehend selbstfahrende Flotte auf denMarkt bringen will. Ford hat das mit Argo im großen Stil für 2021 im Sinn undsteckte dafür eine Milliarde Dollar indie 2017 übernommene Firma. DieGoogleSchwesterfirma Waymo gilt alsführend im Bereich autonomes Fahrenund will in den kommenden Monatenan den Start gehen. (dpa)
VW: 44 Milliarden fließen in EAutos und Digitalisierung Von Thomas Strünkelnberg
Wolfsburg ˉ Volkswagen setzt nochentschlossener auf EAutos als bisher:Der Autobauer stockt seine Investitionen in Elektromobilität, autonomesFahren und Digitalisierung in denkommenden fünf Jahren auf knapp 44Milliarden Euro auf. Dies entspreche einem Drittel der Gesamtausgaben imPlanungszeitraum 2019 bis 2023, sagteAufsichtsratschef Hans Dieter Pötscham Freitag in Wolfsburg nach Beratungen der VWKontrolleure. Für die bislang letzte FünfJahresPeriode hattedie Summe noch 34 Milliarden Euro betragen. „Wir machen Tempo bei denZukunftstechnologien und beim notwendigen Umbau unserer Werke“, betonte Konzernchef Herbert Diess. 30der 44 Milliarden Euro für Zukunftstechnologien seien für die Elektromobilität bestimmt.
Die AbgasAffäre und die Krise desDieselmotors machen Investitionenfür VW allerdings zu einem Kraftakt.Allein die Beilegung der Abgasaffärehat den Konzern bisher gut 27 Milliarden Euro gekostet. Diess räumte zudemein, dass die Ertragskraft im Automobilgeschäft mit dem Wandel vom Verbrennungsmotor zum EAuto zunächstabnehme. Jüngst hatte der Konzernchef davor gewarnt, dass die EStrategieteurer werden könnte als geplant. Manhabe sich das Ziel gesetzt, das Innovationstempo zu erhöhen. Geprüft werdeauch die Beteiligung an einer Batteriezellfertigung. Diese Prüfung sei jetzt„sehr viel konkreter“.
2019 fährt die Produktion hochIn der im Sommer bekanntgewordenengeplanten Partnerschaft mit Ford beiden leichten Nutzfahrzeugen siehtDiess eine Chance, den Pickup Amarok„profitabel“ fortzuführen. Eine Kapitalbeteiligung oder komplette Fusionsei „nie Ziel der Gespräche“ gewesen.Ab Ende 2019 will VW die Produktionvon EAutos hochfahren – dann rolltdas erste rein elektrische Modell der IDFamilie in Zwickau vom Band. Bis 2025wollen die Marken des Autobauers zunächst 50 neue vollelektrische Modellean den Start bringen. Künftig sollenauch an den beiden VWStandortenHannover und Emden EAutos gebautwerden. Der bisher in Emden gefertigtePassat wird dann nach Tschechien zuSkoda verlagert. Auch will VW einen EKleinwagen für unter 20 000 Euro aufden Markt bringen, der neben Limousinen mehrerer Marken in Emden gefertigt werden soll.
In Hannover soll der elektrischeKleinbus ID Buzz entstehen, aber auchder „Bulli“ wird weiter dort gebaut. Zusätzlich soll dort laut Konzernbetriebsrat ein großes Elektrofahrzeug vomBand rollen. IGMetallChef Jörg Hofmann erklärte, es sei richtig, dass VW„entschlossen die Elektrifizierung desAntriebs angeht“. Der Wandel werdeaber von den Beschäftigten „nur dannpositiv begleitet, wenn dabei niemandauf der Strecke bleibt“.
9Cannstatter/Untertürkheimer Zeitung Samstag/Sonntag, 17./18. November 2018
WIRTSCHAFT