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Industrielle Biotechnologie: BRAIN AG, GSF, Fotolia
Anwendungsbeispiele: Fotolia, Henkel KGaA, Grafiker Heinz Fehling,
Hanspeter Helfer und Peter Philippsen (Basel, CH), MWG Biotech AG, Fotolia,
Fotolia, Kim Langille (New Brunswick, Canada), Fotolia, MWG Biotech AG
Grundlagen: Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, Fonds der Chemischen
Industrie, Rolf Müller (Saarbrücken), Combinature Biotech AG, BAYER AG
Technologien: Matthias Peter ETH (Zürich), BRAIN AG, BRAIN AG,
Nedeljko Budisa (München), GSF, transkript
Bioreaktoren: BASF AG, Greenovation,
Industrielle Produktion: BASF AG, Canola Views Image Library, DASGIP, Fotolia,
sanofi-aventis
2 VORWORT
Vorwort
Die weiße Biotechnologie gewinnt zunehmend an Bedeutung
für unser Leben: Chemische Prozesse werden durch den Einsatz
von Mikroorganismen, Enzymen oder anderen Produktions-
systemen optimiert oder ersetzt. Das Zukunftsfeld Biotechno-
logie beeinflusst schon heute Produkte und Prozesse in vielen
Branchen substantiell.
Die weiße Biotechnologie birgt viel versprechende Wachs-
tumspotenziale für ökonomisch bedeutende Industriezweige.
Wir versprechen uns von ihr aber auch Lösungswege für viele
drängende Fragen unserer Zeit. Die Bundesregierung setzt
deshalb auf den Ausbau dieser zukunftsweisenden Techno-
logie. Im Rahmen der Hightech-Strategie für Deutschland
stellen wir in den nächsten fünf Jahren bis zu 100 Millionen
Euro an Fördermitteln allein für die weiße Biotechnologie zur
Verfügung. Mit zusätzlichen Mitteln aus der Wirtschaft sollen
Forschungs- und Entwicklungsprojekte in einem Gesamtvolu-
men von mehr als 250 Millionen Euro finanziert werden.
Wir nutzen die Chancen und das hohe Innovationspotenzial
der weißen Biotechnologie. Wir vergessen dabei aber nicht,
mögliche Risiken durch intensive Forschung erkennen und
besser bewerten zu können. Deshalb werden wir die Förderung
der weißen Biotechnologie in den nächsten Jahren ausbauen:
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat
dafür zwei neue Förderinitiativen ins Leben gerufen:
Die Initiative BioIndustrie 2021 ist eine erste Maßnahme,
mit der zukünftig Ideen aus Hochschulen und Forschungsins-
tituten mit Beteiligung der Wirtschaft schneller in Produkte,
Verfahren oder Dienstleistungen einfließen werden.
Wir werden in den nächsten Jahren aber auch die Genom-
forschung und die Systembiologie an Mikroorganismen weiter
ausbauen. Sie sind die Basis für Entwicklungen von neuen
Forschungsansätzen in der industriellen Biotechnologie.
Mit der Förderinitiative Geno-Mik Plus sollen Mikroorganismen
mit Relevanz für industrielle Anwendungen mit den Methoden
der Genomforschung untersucht und für Produktionsprozesse
optimiert werden.
Mit den Förderinitiativen BioIndustrie 2021 und Geno-
Mik Plus setzt das BMBF im Sinne der Hightech-Strategie eine
Innovationspolitik aus einem Guss um. Unser Ziel muss es sein,
die deutsche Bioindustrie auch bei Beschäftigung und Umsatz
zum Spitzenreiter in Europa zu machen.
Diese Broschüre bietet einen Streifzug durch die faszinie-
rende Welt der weißen Biotechnologie. Informieren Sie sich
über laufende Fördermaßnahmen und Projekte und bekom-
men Sie eine Vorgeschmack auf das, was die weiße Biotechno-
logie möglich machen wird.
Dr. Annette Schavan, MdB
Bundesministerin für Bildung und Forschung
3 INHALT
Inhalt
Vorwort........................................................................................ 02
Wirtschaftliches Potenzial Weißer Biotechnologie ......................................................04
Wirtschaftliche Entwicklung der Weißen Biotechnologie ..04
Weiße Biotechnologie in Deutschland....................................05
Weiße Biotechnologie........................................................06
Biotechnologie – Begriffsdefinition......................................... 07
Entstehung der Weißen Biotechnologie ................................ 07
Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie .. 10
Wasch- und Reinigungsmittel ................................................. 10
Antibiotika ...................................................................................12
Vitamine.......................................................................................13
Hormone ......................................................................................14
Enzyme als Therapeutika und Diagnostika ............................ 15
Lebensmittelindustrie ............................................................... 15
Nutraceuticals, Prä- und Probiotika .........................................17
Enzyme als Futtermittelzusätze ............................................... 18
Textil-, Leder- und Papierindustrie........................................... 18
Agrochemikalien ....................................................................... 19
Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff .......................21
Biopolymere.................................................................................21
Grundlagen der Weißen Biotechnologie ................ 23
Mikroorganismen ...................................................................... 23
Biokatalyse und Fermentation: Enzyme ................................. 24
Molecular Pharming .................................................................. 25
Technologien zur Optimierung vonMikroorganismen und Enzymen .................................. 27
Designer Bugs ............................................................................. 27
Metabolic Pathway Engineering .............................................. 28
Gelenkte Evolution..................................................................... 29
Enzymoptimierung – Protein Engineering............................. 29
Bioprospektion ........................................................................... 29
Genome und Metagenome ....................................................... 30
Synthetische Biologie .................................................................31
Bioreaktoren und Prozess-Design ............................... 33
Industrielle Produktion ..................................................... 35
Technische Enzyme .................................................................... 35
Biotechnologische Feinchemikalien- und
Spezialchemikalienproduktion ............................................... 36
Bulkprodukte .............................................................................. 37
Bioraffinerie ............................................................................... 38
Weiterführende Literatur.................................................40
Glossar ...........................................................................................41
4 Entwicklung der Weißen Biotechnologie WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL
Wirtschaftliches Potenzial Weißer Biotechnologie
Die Fortschritte auf wissenschaftlich-technischem Gebiet
treiben derzeit die Entwicklung der Weißen Biotechnologie
voran, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit biotechnolog-
scher Verfahren und Produkte kontinuierlich erhöhen.
Die Weiße Biotechnologie hat das Potenzial, einen substan-
tiellen Beitrag zu den Herausforderungen der industriellen
Gesellschaft zu leisten:
• Sie wird dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der
Industrie zu verbessern, insbesondere der chemischen
Industrie, die sich in einer Phase der Neu- und Umorien-
tierung befindet.
• Die Nachhaltigkeit der industriellen Produktion wird
verbessert.
• Nachwachsende Rohstoffe als Basis der industriellen Pro-
duktion und der Energiewirtschaft werden erschlossen.
Die Anwendungsmöglichkeiten der Weißen Biotechnologie sind
durch die Vielfalt der Synthesemöglichkeiten der Natur fast unbe-
grenzt. Sowohl neue nachhaltige Produktionsmöglichkeiten be-
stehender Produkte als auch vollkommen neue Produktgruppen
können mit den Methoden der Weißen Biotechnologie entwickelt
werden. Das wirtschaftliche Potenzial, das sich aus der Nutzung
geeigneter Mikroorganismen und ihrer Enzyme ergeben kann,
ist unabsehbar. Die gegenwärtige revolutionäre Entwicklung
auf dem Gebiet der Weißen Biotechnologie lässt die Vermutung
zu, dass bisher erst die „Spitze des Eisberges“ des Innovationspo-
tenzials biotechnologischer Anwendungen erschlossen wurde.
Insbesondere Energie, Informations- und Kommunikationstech-
nologien, Gesundheit, Lebensqualität, Transport und Sicherheit
oder Verbraucherschutz zählen zu den möglichen Anwendungs-
gebieten und Geschäftsfeldern der Industriellen Biotechnologie.
Wirtschaftliche Entwicklung der Weißen Biotechnologie
Nachdem die Weiße Biotechnologie in der Pharmaindustrie
und Lebensmitteltechnologie in Form von Prozessen und
Produkten längst fest etabliert ist, wird sie nun immer häufiger
in der chemischen Industrie angewendet. Feinchemikalien, Me-
dikamente oder Polymere werden zunehmend mit Methoden
der Weißen Biotechnologie hergestellt. Da viele der biotech-
nologischen Verfahren auf erneuerbaren Rohstoffen beruhen
und mildere Reaktionsbedingungen erfordern, sind die Herstel-
lungsprozesse oft umweltfreundlicher, kostengünstiger und
nachhaltiger als herkömmliche Syntheseverfahren:
• Es werden weniger Rohstoffe, Materialien und Energie
verbraucht, außerdem sind geringere Investitionskosten
nötig.
• Komplexe Moleküle wie z. B. Zucker oder Aminosäuren
können mit einfachen, aus wenigen Teilschritten beste-
henden Produktionsprozessen hergestellt werden. Dabei
können mildere Prozessbedingungen genutzt werden
(z. B. niedrige Temperaturen und Normaldruck).
• Es fallen geringere Entsorgungskosten durch umwelt-
freundlichere Reststoffe und Emissionen an.
• Es können erneuerbare, einheimische Ressourcen genutzt
werden.
• Neue, innovative Produkte mit hohem Wertschöpfungs-
potenzial können entwickelt werden.
Die Weiße Biotechnologie birgt aus heutiger Sicht große
Chancen: Aufgrund der rasanten Fortschritte in Forschung und
Entwicklung besitzt sie ein hohes Innovationspotenzial.
Zur Sicherung und Verbesserung der Lebensqualität der Men-
schen könnten vielfältige innovative Produkte und Dienst-
leistungen beitragen, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse
besser befriedigen können. Die Entwicklung neuer Märkte und
Beschäftigungschancen wären die positiven Folgen.
Neben den Anwendungspotenzialen sind es vor allem
gestiegene Rohstoff- und Energiepreise sowie Entsorgungskos-
ten, die das Interesse an den Möglichkeiten und Ansätzen der
Industriellen Biotechnologie in den letzten Jahren stark haben
steigen lassen. Mikrobiologisch produzierte und abbaubare Bi-
opolymere könnten zukünftig teilweise die Kunststoffindustrie
von der Erdölabhängigkeit befreien.
Durch den Einsatz erneuerbarer Rohstoffe und Energien
besitzt die Weiße Biotechnologie das Potenzial, zur Ressour-
ceneffizienz beizutragen und Stoffkreisläufe zu schließen. So
werden klimaneutralere und weniger toxische Verfahren der
Weißen Biotechnologie gegenwärtig schon für verschiedene
Produkte verwendet.
Schon heute wird der weltweite Umsatz der Weißen Bio-
technologie auf rund 50 Milliarden Euro geschätzt. Er ist damit
vergleichbar mit dem gegenwärtigen Umsatz, den Biopharma-
ka weltweit erzielen und der mit 55 Milliarden Euro angegeben
wird.
Der Anteil biotechnologischer Verfahren am Umsatz der
chemischen Industrie wird auf 5 % geschätzt. In den nächsten
fünf Jahren soll er auf 10 bis 20 % steigen. In verschiedenen Be-
reichen der chemischen Industrie gibt es keine ökonomischen
Alternativen zu biotechnologischen Produktionsverfahren,
Beispiele hierfür sind die enantiomerenreinen Spezialchemi-
kalien.
Von einer wissenschaftlichen Entdeckung bis zu deren
Umsetzung in einem kommerziellen Produkt ist es jedoch oft
WIRTSCHAFTLICHES POTENZIAL Weiße Biotechnologie in Deutschland 5
ein weiter Weg. Für eine gezielte wirtschaftliche Nutzung
industrieller biotechnologischer Verfahren müssen Grundla-
genforschung und anwendungsorientierte Forschung weiter
vorangetrieben werden.
Die Weiße Biotechnologie steht daher vor großen He-
rausforderungen: Die bisherigen Forschungsansätze und
Anwendungen stellen vielfach nur erste Schritte in Richtung
einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft dar. Sie zeigen
jedoch, dass sich durch ständige Entwicklung und Ergänzung
vom Know-how unterschiedlicher Technologien innovative
Produkte und Dienstleistungen entwickeln lassen. Entschei-
dend für deren weitere Umsetzung und Kommerzialisierung
wird sein, ob und inwieweit sie die Kundenbedürfnisse besser
befriedigen können.
Weiße Biotechnologie in Deutschland
Produktion und Beschäftigung wachsen besonders in den
Industriezweigen, die in hohem Maße in Forschung und
Entwicklung investieren. Knapp 40 % des Wertschöpfungs-
anteils der deutschen Wirtschaft entfielen z. B. im Jahr 2002
auf forschungs- und entwicklungsintensive Industrien und
wissens-intensive Dienstleistungen (BMBF 2005). In einer
wissensbasierten Wirtschaft sind Innovation, Forschung und
Know-how für das erfolgreiche Bestehen im internationalen
Wettbewerb besonders wichtig.
In Deutschland ist die Hochtechnologie Weiße Biotechno-
logie seit vielen Jahren etabliert und wird ständig weiterent-
wickelt. Deutschland konnte seine starke Position in der bio-
technologischen Grundlagenforschung, der Verfahrens- und
Prozesstechnik sowie in den Produktionskapazitäten in den
vergangenen Jahren ausbauen. Begonnen hat die industrielle
Verwendung biotechnologischer Verfahren in Deutschland
mit der Produktion von OROPON® durch Röhm und Haas
in Darmstadt 1909 (siehe S. 7), wenige Jahre später folgten
Enzymprodukte für die Waschmittelherstellung und für die
Pharma- und Lebensmittelindustrie. Die deutsche Industrie
stellt heute eine stetig wachsende Anzahl von Produkten mit
Hilfe biotechnologischer Verfahren her, zu ihnen gehören
Aminosäuren, Vitamine, optisch aktive Substanzen, Feinche-
mikalien und zahlreiche Bulkprodukte.
Neben zahlreichen Forschungseinrichtungen beschäf-
tigen sich in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen
(KMU) und verschiede globale Chemiekonzerne (beispielswei-
se Bayer AG, BASF AG, Degussa AG, Henkel KGaA) mit Weißer
Biotechnologie. Die enge Zusammenarbeit von Großunter-
nehmen, KMU oder neu gegründeten Start-up-Firmen sowie
den zahlreichen Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet
der Weißen Biotechnologie bildet eine gute Basis für weitere
Forschung und Entwicklung.
Im Gegensatz zu den Unternehmen, die sich mit der so
genannten Roten Biotechnologie beschäftigen, fallen für die
Firmen der Weißen Biotechnologie nicht die langen Testzeiten
und Zulassungsverfahren für Produkte und Verfahren an.
Der Weg zum Markt ist schneller, einfacher und vor allem risi-
koärmer. Da es sich bei den Produkten und Verfahren oft um
Grundchemikalien und Zwischenprodukte der chemischen
bzw. der Prozessindustrie handelt, ist die Umsetzung von der
Forschung zur Anwendung vergleichsweise kurz. Neue indus-
trielle Prozesse und Produkte können in Entwicklungszeiten
von zwei bis fünf Jahren bis zur kommerziellen Anwendung
gebracht werden.
Erfolgreiche Forschung und Entwicklung können in der
Weißen Biotechnologie wegen der hohen Komplexität der
Einzeldisziplinen nur im Forschungsverbund durchgeführt
werden. Biologen, Chemiker, Verfahrenstechniker und andere
Wissenschaftler müssen das verfügbare und sich entwickeln-
de Know-how gemeinsam nutzen.
Status quo der Weißen Biotechnologie in Deutschland Deutschland hat eine starke Position in der biotechnolo-
gischen Grundlagenforschung sowie der Verfahrens- und
Prozesstechnik und verfügt damit über die potenziellen
Ressourcen für eine erfolgreiche Kommerzialisierung.Von den
480 Biotech-Unternehmen in Deutschland (biotechnologie.
de) arbeiten rund 12 % auf dem Gebiet der Industriellen Bio-
technologie. Dies entspricht einer Zahl von 57 Unternehmen
(Mehrfachnennungen waren in der Erhebung möglich).
Das Beschäftigungspotenzial der Biotech-Branche sah
im Jahr 2005 folgendermaßen aus: In der kommerziellen
deutschen Biotechnologie waren insgesamt knapp 24.000 Mit-
arbeiter beschäftigt. In den 480 Biotech-Unternehmen waren
12.973 Mitarbeiter tätig, hinzu kamen 10.856 Beschäftigte, die
in innovativ biotechnologisch-aktiven Unternehmen direkt in
der Biotechnologie tätig waren. Von den 24.000 Mitarbeitern
waren in der Industriellen oder Weißen Biotechnologie rund
2.500 Beschäftigte tätig.
Die meisten der deutschen Biotech-Unternehmen beschäf-
tigen sich mit Auftragsforschung und Entwicklung, wobei sie
größtenteils über eigene Plattformtechnologien verfügen.
Zunehmend stellen die Biotech-Unternehmen selbst oder in
Zusammenarbeit mit industriellen Partnern eigene Produkte
her.
Das vielversprechende Potenzial der Industriellen oder
Weißen Biotechnologie ist bei weitem noch nicht ausge-
schöpft. Es ist absehbar, dass der Einfluß der Biotechnologie
auf die industriellen Produktionsverfahren in Zukunft weiter
wachsen wird. Die Fortschritte in der biotechnologischen
Forschung erweitern kontinuierlich die Möglichkeiten, indus-
trielle Produktionsprozesse durch neue biotechnologische
Verfahren zu ersetzen. Die Geschwindigkeit, mit der sich die
neuen Verfahren durchsetzen werden, ist dabei abhängig von
unterschiedlichen Faktoren. Die Produktionskosten werden
neben der Kundenakzeptanz die entscheidende Triebkraft
für den Wechsel von konventionellen zu biotechnologischen
Produktionsverfahren sein.
6 Begriffsdefinition WEISSE BIOTECHNOLOGIE
Weiße Biotechnologie
Weiße oder Industrielle Biotechnologie umfasst die in der
industriellen Produktion etablierten Verfahren, um die
Werkzeuge der Natur zu nutzen. Gegenwärtig erfährt die
Weiße Biotechnologie durch technologische Durchbrüche
eine rasante Entwicklung. Die industrielle Produktion, zum
Beispiel in der chemischen Industrie, bedient sich immer
häufiger biotechnologischer Verfahren.
Die moderne Biotechnologie gewinnt für unser tägliches Le-
ben zunehmend an Bedeutung. Viele Verbesserungen – auch
wenn wir dies nicht immer wahrnehmen – beruhen heute
schon auf biotechnologischen Methoden. Neben den rasanten
Fortschritten der so genannten Roten Biotechnologie, die für
die Entwicklung neuer Arzneimittel zu einer unverzichtbaren
Technologie geworden ist, ist es vor allem die Weiße Biotech-
nologie, die unser Leben verändert und bereichert. Brot, Käse,
Bier und Wein sind Produkte, für deren Herstellung biotech-
nologische Verfahren verwendet werden. Doch nicht nur in
der Lebensmittelindustrie ist Biotechnologie von Bedeutung,
auch bei der Herstellung hochwertiger Chemikalien, Arznei-
mittel, Vitamine, Wasch- und Reinigungsmittel, bei der Ver-
edelung von Textilien, Leder und Papier und bei der Produk-
tion vieler anderer täglich benutzter Gegenstände sind Metho-
den der Weißen Biotechnologie zu einem festen Bestandteil
der Produktionsverfahren geworden.
Was versteht man unter Weißer Biotechnologie? Die Weiße Biotechnologie – auch Industrielle Biotechnologie
genannt – ist nach einer Definition der europäischen Industrie-
vereinigung EuropaBio die Verwendung der Werkzeuge der
Natur in der industriellen Produktion.
In der Weißen Biotechnologie werden demnach Organis-
men oder deren Bestandteile als Grundlagen für die industrielle
Produktion verwendet. Dies grenzt sie von der Roten Biotech-
nologie (medizinisch-pharmazeutische Biotechnologie) und
der Grünen Biotechnologie (landwirtschaftlich-pflanzliche
Biotechnologie) ab.
Durch die wissenschaftlichen Erfolge der jüngsten Zeit, die zu
der Aufklärung biologischer Systeme und ihrer Steuerungs- und
Regelungsmechanismen führten, erfährt die Weiße Biotechno-
logie gegenwärtig eine rasante Entwicklung. Sie umfasst eine
Vielzahl von Produkten, Methoden und Anwendungsmöglichkei-
ten. Zu den Produkten der Industriellen Biotechnologie gehören
Spezial- und Feinchemikalien, Lebensmittel oder Lebensmit-
telzusatzstoffe, Agrar- und Pharmavorprodukte und zahlreiche
Hilfsstoffe für die verarbeitende Industrie. Die Methoden der
modernen Weißen Biotechnologie können sowohl für die Etablie-
rung neuer biotechnischer Produktionsverfahren für bestehende
Produkte genutzt werden als auch für die Entwicklung neuartiger
Produkte mit hohem Wertschöpfungspotenzial.
Weiße Biotechnologie heute Derzeit erlebt die Weiße Biotechnologie einen starken Auf-
schwung, zum einen wegen der Etablierung erfolgreicher
Projekte, zum anderen wegen der Erfolge in der molekular-
biologischen und biotechnologischen Forschung: Genomik,
Proteomik, Metabolomik, Screening-Methoden und Bioinfor-
matik haben den Weg zu immer besseren Verfahren geebnet.
Der Zeitbedarf für die Entwicklung und Etablierung neuer
biotechnologischer Verfahren und Produkte konnte deutlich
verkürzt werden. Die Standardisierung und Miniaturisierung
der biotechnologischen Produktionsprozesse trieb die Entwick-
lung weiter voran. Sowohl Wissenschaft als auch Wirtschaft
haben sich in jüngster Zeit wieder verstärkt mit der industriel-
len Anwendung der Biotechnologie beschäftigt.
Ein verschärfter globaler Wettbewerb und daraus resul-
tierende steigende Energie- und Rohstoffpreise sowie die
Bemühungen, industrielle Prozesse insgesamt nachhaltiger zu
gestalten, haben diese Entwicklung weiter beschleunigt.
Dabei kann die Weiße Biotechnologie einen substantiellen
Beitrag zur Bewältigung von Zukunftsherausforderungen leis-
ten. Sie kann dazu beitragen:
7 WEISSE BIOTECHNOLOGIE Begriffsdefinition
• einfachere, umweltfreundlichere und sauberere Produkti-
onsverfahren zu etablieren,
• die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu reduzieren,
• die Investitionskosten zu verringern,
• die Energie- und Entsorgungskosten zu reduzieren,
• neue Produkte und Systemlösungen mit hohem Wert-
schöpfungspotenzial zu entwickeln,
• die Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Industriezweige zu
verbessern.
Biotechnologie – Begriffsdefinition
Die Biotechnologie ist in hohem Maße interdisziplinär und um-
fasst Gebiete der Molekulargenetik, Zellbiologie, Humangene-
tik, Medizin, Mikrobiologie, Virologie sowie der Bioinformatik
und Systembiologie. Als eine typische Querschnittstechnologie
nutzt die Biotechnologie neben den Methoden der Bio- und
Lebenswissenschaften auch die anderer Disziplinen, wie Me-
dizin, Chemie, Physik, Robotik, Informationstechnologie oder
Materialwissenschaften.
In einer modernen Definition erklärte die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) Biotechnologie als die Anwen dung von Naturwissenschaft und Technologie an lebenden Organismen, deren Teilen sowie Produkten und Modellen von ihnen.
Unter Biotechnologie versteht man die Umsetzung von Er-
kenntnissen aus der Biologie und der Biochemie in technische
oder technisch nutzbare Elemente.
Die moderne Biotechnologie zeichnet sich vor allem
dadurch aus, dass sie die Methoden der Molekularbiologie
nutzt. Die theoretischen Grundlagen dieser Methoden wur-
den erst durch die Entwicklung der Gentechnik, der Genom-
forschung und der modernen Mikrobiologie erschlossen.
Die Gentechnik entspricht dabei der Anwendung moderner
molekularbiologischer Methoden zur Änderung der geneti-
schen Eigenschaften von Organismen. Man sagt dazu auch
„rekombinante DNA-Technologie“, weil damit die Erbinfor-
mation und Gene, die in der DNA (Desoxyribonukleinsäure)
festgelegt sind, gezielt neu kombiniert also „re“-kombiniert
werden können. Die Gentechnik erweitert das methodische
Spektrum der Forscher gewaltig und erlaubt es, völlig neue
Fragestellungen zu bearbeiten. Die Methoden, die zunächst
nur bei Mikroorganismen angewendet werden konnten, wur-
den im Laufe der Jahre auch auf höhere Organismen, Tiere
und Pflanzen, erfolgreich übertragen. Der Wissensschub,
der daraus resultiert, hat die dynamische Entwicklung der
modernen Biotechnologie erst möglich gemacht.
Im Jahr 1973 wurde die moderne Biotechnologie begründet,
als es Stanley Cohen und Herbert Boyer in San Francisco zum
ersten Mal gelang, ein fremdes Gen in einen Wirtsorganismus
zu übertragen und dieses Gen in dem neuen Organismus zur
Expression zu bringen. Dies bedeutete, dass die in den Genen
gespeicherte Information in einem Wirtsorganismus in ein
Merkmal „übersetzt“ werden konnte. Der Wirtsorganismus
hatte damit neue Eigenschaften. Etwa 10 Jahre später wurde das
erste gentechnisch hergestellte Medikament zugelassen, weni-
ge Jahre später die ersten gentechnisch veränderten, transge-
nen Pflanzen angebaut.
Inzwischen sind weltweit mehr als 250 gentechnisch herge-
stellte Medikamente und Therapeutika auf dem Markt. Auch in
der Landwirtschaft wächst der Anteil der Biotechnologie: Die
Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen betrug im Jahr
2005 weltweit rund 90 Millionen Hektar.
Entstehung der Weißen Biotechnologie
Die Weiße Biotechnologie ist im Grunde keine neue Disziplin,
sondern entspricht einem „Griff in die Werkzeugkiste der
Natur“. Methoden der Weißen Biotechnologie werden bereits
seit Jahrtausenden genutzt. In zahlreichen Kulturen waren
Methoden der Vergärung zuckerhaltiger Nahrungsmittel zu
Alkohol mit Hilfe von Hefen, Milchsäuregärung unter Verwen-
dung von Lactobacillus-Stämmen oder die Essigherstellung mit
Hilfe spezieller Acetobacter-Spezies lange vor der Entdeckung
von Mikroorganismen oder dem Verständnis der zugrunde
liegenden Prozesse etabliert.
Historische Entwicklung der Mikrobiologie Die Entdeckung der Mikroorganismen oder das Verständnis der
biochemischen Grundlagen fermentativer Prozesse erfolgte erst
im Verlauf der vergangenen drei Jahrhunderte. Antonie van
Leeuwenhoek (1632-1723) beobachtete erstmals Mikroorganis-
men mit Hilfe eines einlinsigen Mikroskops und fand in einer
Bierprobe gelbe Hefekügelchen.
8 Entstehung WEISSE BIOTECHNOLOGIE
Beispiele für die jahrtausendelange Nutzung von Methoden der Weißen Biotechnologie sind die Produktion von Wein, Bier, Sauerteigbrot, Käse oder Joghurt durch Fermentation. Unter Fermen tation versteht man die Umsetzung von Substan zen unter Mithilfe von Mikroorganis men oder Enzymen.
In allen Kulturen der Welt wurden Lebensmit tel durch mikrobielle Fermentation verändert: Erste Anwendungen der Prinzipien der Weißen Biotechnologie begannen ca. 6000 v. Chr., als die Sumerer in Mesopotamien aus gekeimter Gerste ein alkoholhaltiges bierähnliches Getränk brauten.
Louis Pasteur (1822-1895) entdeckte 1856 in verunreinigten
Weinfässern Mikroorganismen, die er nach ihrer Form mit dem
griechischen Wort für Stäbchen Bacterion benannte. Die ent-
deckten Milchsäurebakterien (Lactobazillen) produzierten aus
Zucker durch Gärung Milchsäure, während in den Weinfässern
Hefepilze den Zucker zu Alkohol vergären sollten. Pasteur legte
mit diesen Entdeckungen die Grundlage für das Verständnis
von Fermentation beziehungsweise Gärung und begründete
die moderne Mikrobiologie. Mit seiner Erkenntnis, dass „die
Rolle des unendlich Kleinen in der Natur () unendlich groß“ ist,
war der Weg für die moderne Biotechnologie bereitet.
Die Bedeutung der Mikroorganismen als Krankheitser-
reger erkannte Robert Koch (1843-1910) als einer der ersten
Wissenschaftler. Im Jahr 1876 gelang Koch die Entdeckung des
Milzbrandbakteriums und 1882 die Identifizierung des Tuber-
kuloseerregers. Zuvor galten nicht Mikroorganismen, sondern
so genannte Miasmen – die Luft verunreinigende Gifte – als
Krankheitsursachen. Die Entdeckungen von Nutzen und Gefahr
durch Mikroorganismen gelangen in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts fast parallel zueinander.
Enzyme Die Aufklärung der chemischen Grundlagen von Stoffwechsel-
reaktionen begann im 18. Jahrhundert als Chemiker beobach-
teten, dass eine Reaktion manchmal durch Einführung eines
Stoffes beschleunigt werden konnte, dieser allem Anschein
nach an der Reaktion aber nicht beteiligt war. Beob-achtungen
dieser Art häuften sich und zogen zu Beginn des 19. Jahrhun-
derts die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich.
Der schwedische Wissenschaftler Jöns Jakob Berzelius (1779-
1848), der als Begründer der modernen Chemie gilt, schrieb im
Jahre 1836 hierüber eine Abhandlung und schlug den Namen
„Katalyse“ für die Erscheinung vor. Dieser ist aus dem Griechi-
schen abgeleitet und bedeutet soviel wie „Abbau“.
Durch Beobachtungen gelang es, zu postulieren, dass che-
mische Prozesse in lebendem Gewebe nur deshalb unter sehr
milden Bedingungen ablaufen, weil dort gewisse Katalysatoren
vorhanden sind, die in der unbelebten Natur fehlen.
Bald konnten Stoffe aus Pflanzen und tierischen Geweben
extrahiert werden, die mit den beobachteten Reaktionen in
Verbindung gebracht und „Fermente“ genannt wurden. Eines
der ersten beschriebenen Fermente war das von dem deutschen
Physiologen Theodor Schwann 1835 aus dem Magensaft extra-
hierte „Pepsin“, benannt nach einem griechischen Wort, das
„verdauen“ bedeutet.
Immer weitere Fermente wurden entdeckt, und in der zwei-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass
diese Fermente die Katalysatoren der lebenden Gewebe waren,
die im Organismus Reaktionen ermöglichten, die Chemiker
nicht zuwege brachten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts er-
kannte man vor allem durch Versuche des deutschen Forschers
Eduard Buchner, dass Fermente nicht-lebende Substanzen
waren, die man aus Zellen gewinnen konnte und die ihre Arbeit
auch im Reagenzglas verrichteten. Der Name „Enzyme“ (aus
dem Griechischen „in der Hefe“) wurde von nun an auf alle
Fermente angewandt.
Heute wird ein Enzym (veraltet Ferment), definiert als ein
Eiweiß (Protein), das eine chemische Reaktion katalysieren
kann (siehe Seite 22). Enzyme sind essentiell für den Stoff-
9 WEISSE BIOTECHNOLOGIE Entstehung
wechsel aller lebenden Organismen. Der überwiegende Teil
biochemischer Reaktionen, von der Verdauung (Beispiel:
Pepsin) über den Energiestoffwechsel der Zellen, die Bewe-
gung oder die Informationsübertragung bis hin zum Kopieren
der Erbinformation (DNA-Polymerase), wird von Enzymen
katalysiert und gesteuert.
Biotechnologie in der industriellen Anwendung Biotechnologische Anwendungen in der industriellen Produk-
tion wurden erstmals in der Ledergerbung genutzt: Röhm und
Haas in Darmstadt produzierten bereits 1909 das erste industri-
ell verwendete Enzymprodukt OROPON®. Dieses Produkt
bestand aus Enzymen, die Proteine abbauen, den so genann-
ten Proteasen, und konnte entscheidend die Ledergerbung
verbessern: Bisher waren zur Behandlung der Felle und Häute
Beizen aus Hundekot und Taubenmist verwendet worden, die
jetzt durch das wesentlich umweltfreundlichere und sauberere
Produkt ersetzt werden konnten.
Im Jahre 1928 entdeckte Sir Alexander Fleming (1881-1955)
die keimtötende Wirkung, die von Schimmelpilzen der Spezies
Penicillium notatum ausging. Die Erkenntnis führte zur Isolie-
rung des ersten Antibiotikums, Penicillin. Penicillin wurde
1941 erstmals an einem Menschen getestet und bereits wenige
Jahre später gelang es, einen Stamm der Spezies Penicillium
chrysogenum aus einer verschimmelten Melone zu kultivieren,
der „submers“ wuchs. Das bedeutet, der Stamm wuchs nicht
nur auf Oberflächen, wie dies für Schimmelpilze sonst typisch
ist, sondern er war in einem flüssigen Medium kultivierbar.
Mit diesem Stamm war es möglich, großvolumige Fermenta-
tionstechniken zu entwickeln, um das Penicillin in industri-
ellem Maßstab herzustellen. 1944 wurde die erste Großanlage
mit Submerskultur zur Penicillin-Produktion in Brooklyn, USA,
eröffnet.
Die eigentliche wissenschaftliche Revolution begann mit
den Entdeckungen der Molekularbiologie und Genetik in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die die dynamische Ent-
wicklung der modernen Weißen Biotechnologie vorantrieben.
Heute wird unter Weißer oder Industrieller Biotechno-
logie weitgehend der Einsatz biotechnologischer Methoden
innerhalb industrieller Prozesse verstanden. Die OECD identi-
fiziert hierbei zwei Schwerpunkte:
1. Ersatz endlicher fossiler Brennstoffe durch nachwachsen-
de Ausgangsstoffe, also Biomasse, und
2. Ersatz konventioneller, nicht auf biologischen Prozessen
beruhender Methoden der industriellen Produktion durch
solche, denen biologische Systeme zugrunde liegen.
Die Weiße Biotechnologie bedient sich gewissermaßen der bi-
ologischen, evolutionär geschaffenen biosynthetischen Kreati-
vität der belebten Natur. Neue Enzyme müssen nicht erst erfun-
den werden. Vielmehr produzieren Millionen unterschiedlicher
Mikroorganismen eine fast unendliche Zahl von Enzymvarian-
ten, die es zu entdecken und zu nutzen gilt. Die Erschließung
dieser biosynthetischen Möglichkeiten ist mit den Methoden
der modernen Molekularbiologie erst seit wenigen Jahrzehnten
in systematischer Form möglich geworden – die revolutionäre
Entwicklung dieser Technologie steht damit in unmittelbarem
Zusammenhang. Die produktiven Fähigkeiten von Mikroorga-
nismen scheinen fast unbegrenzt: Eine unübersehbare Vielfalt
organischer und anorganischer Moleküle können in mikrobiel-
len Stoffwechselwegen meisterlich synthetisiert werden.
Das Gebet eines Chemikers (Zitat von Leslie D. Pettit anläss-
lich des X. internationalen Symposiums 2005 über Bioorgani-
sche Chemie, Szklarska Poreba, Polen) wird angesichts dieser
Fähigkeiten verständlich:
„Dear Lord, I fall upon my knees and pray that all my
syntheses may cease to be inferior to those conducted by
bacteria.“
Die Methoden der modernen Biotechnologie unterscheiden sich
dabei von den klassischen Methoden durch die Verwendung
von Enzymen oder ganzen Zellen, die in ihren Eigenschaften
mit Hilfe molekularbiologischer Techniken verbessert werden
konnten. Damit eröffnen sich immer neue Möglichkeiten für die
Entwicklung maßgeschneiderter Synthesen.
Die moderne Weiße Biotechnologie hat ein enormes Po-
tenzial für die Zukunft und bietet ökologische, ökonomische
und funktionelle Vorteile: Biokatalysatoren sind biologisch
abbaubar, bei Biokatalysen entstehen weniger Abfall- und
Nebenprodukte, die Produktion ist mit einer verbesserten
Umweltbilanz unter milderen Bedingungen möglich. Der
Energiebedarf und der Rohstoffeinsatz sinken. Die biotechno-
logische Synthese ist in weniger Schritten möglich, aufwändi-
ge Herstellungsverfahren werden überflüssig, die Reaktionen
sind darüber hinaus hochspezifisch. Unternehmen haben auf
diese Weise die Möglichkeit, Kosten zu reduzieren und neue
Absatzmärkte zu erschließen, bei gleichzeitig verbessertem
Schutz der Umwelt.
Die beschriebenen Möglichkeiten der Weißen Biotech-
nologie sind auch in ihrer Multidisziplinarität begründet.
Die Konvergenz der Weißen Biotechnologie und anderer
Technologiefelder führt zu Synergien, so dass die Grenzen
zu Verfahrenstechnik, Informationstechnik, Nanotechnolo-
gie, Molekularbiologie, Chemie oder Biophysik zunehmend
verwischen.
10 Wasch- und Reinigungsmittel ANWENDUNGSBEISPIELE
Anwendungsbeispiele Weißer Biotechnologie
In vielen Bereichen Industrieller Produktion und Verar-
beitung werden Verfahren und Produkte der Weißen
Biotechnologie bereits heute mit großem Erfolg eingesetzt.
Die verschiedenen Anwendungsgebiete zeigen die
große Bedeutung, die diese Technologie in unserem
täglichen Leben hat.
In verschiedenen Bereichen der industriellen Produktion und
Verarbeitung sind die Methoden der modernen Biotechnolo-
gie zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden. Zu ihnen
gehören die Herstellung von enzymhaltigen Wasch- und
Reinigungsmitteln oder die Verwendung von Enzymen als
Medikamente, Diagnostika, Lebensmittel- oder Futtermittel-
zusätze. Bei der Produktion verschiedener Arzneimittelvor-
stufen, Antibiotika, Vitamine, Hormone oder bei der Verar-
beitung zahlreicher Lebensmittel werden biotechnologische
Verfahren eingesetzt. Sie unterliegen gerade in jüngster Zeit
durch die bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der
Molekularbiologie einer dynamischen Optimierung.
Wasch- und Reinigungsmittel
Eine der klassischen Anwendungen Weißer Biotechnologie ist
die Verwendung optimierter Biokatalysatoren, so genannter
Enzyme, in Waschmitteln.
Enzymhaltige Waschmittel werden seit dem frühen 20. Jahr-
hundert eingesetzt. Enzyme verbessern Waschmittel durch die
Spaltung verschiedener Schmutzpartikel in lösliche Verbin-
dungen. Besonders eiweißhaltige Verschmutzungen wie zum
Beispiel Ei, Blut und Kakao konnten durch Enzyme immer
besser gespalten und beseitigt werden. Zunächst wurden die
in Waschmitteln verwendeten Enzyme aus den Bauchspeichel-
drüsen von Schlachttieren gewonnen. Seit den 60er Jahren
konnten sie durch Enzyme aus biotechnologischer Produktion
ersetzt werden.
Durch die Verwendung von Enzymen in Waschmitteln
konnte nicht nur das Waschergebnis verbessert werden, son-
dern vor allem konnten die Kosten und der Energieverbrauch
durch Herabsetzen der Waschtemperaturen, Waschdauer, des
Wasser- und Waschmittelverbrauchs deutlich reduziert wer-
den. Der Waschprozess wird also effektiver, kostengünstiger
und umweltfreundlicher.
Am Beispiel der Proteasen, die in etwa 80 % aller Waschmit-
tel enthalten sind, wird die Bedeutung dieser Biokatalysatoren
deutlich: Proteasen sind Enzyme, die Eiweiße (Proteine) spalten.
Eiweißhaltige Verschmutzungen machen einen großen Teil der
Wäscheverunreinigungen aus. Enzyme werden bei der Prote-
inspaltung nicht verbraucht, es ist daher möglich, sie auch in
kleinen Mengen sehr wirkungsvoll einzusetzen. Bei ausreichend
langer Einwirkungszeit kann theoretisch eine sehr kleine Menge
Proteasen eine unbegrenzte Menge Eiweiß abbauen.
Enzyme haben ein Temperaturoptimum. Sie sind grund-
sätzlich nur in einem begrenzten Temperaturbereich wirksam,
der meist zwischen 20 °C und 65 °C liegt. Eine Protease, deren
Wirkungsoptimum bei etwa 60 °C liegt, hat bei 30 °C nur noch
5 bis 10 % ihrer optimalen Wirkung. Umgekehrt kann das Enzym
bei 95 °C schon nach einigen Minuten völlig unwirksam sein.
Da Waschprozesse bei unterschiedlichen Temperaturen ablau-
fen, müssen Enzyme temperaturabhängig verwendet werden.
Sie werden auch industriell aus dementsprechend angepaßten
Mikroorganismen hergestellt. Um die Energiekosten möglichst
gering zu halten, ist es ein Forschungsziel, Enzyme zu finden,
die bei immer geringeren Temperaturen optimal wirken.
Die Alkalität des Waschwassers macht man sich seit Jahrtau-
senden zunutze, um Schmutz zu entfernen. Die Haltbarkeit der
gewaschenen Fasern ist jedoch bei höherer Alkalität geringer.
Um die Fasern zu schonen, aber auch, um die Produkte für den
Verbraucher sicherer zu machen, ist eine Herabsetzung der
Alkalität also von Vorteil. Damit die Waschleistung auch in we-
niger alkalischem Waschwasser gewährleistet bleibt, müssen
Enzyme gefunden werden, die in dem entsprechenden Milieu
optimal arbeiten. Die Enzymaktivität ist pH-abhängig. Die
meisten Waschmittelenzyme haben daher ein pH-Optimum,
das dem alkalischen pH-Wert des Waschwassers angepasst ist.
Ein Beispiel für Enzyme, die im alkalischen Milieu – also in dem
11 ANWENDUNGSBEISPIELE Wasch- und Reinigungsmittel
vorherrschenden Milieu von Waschwasser – arbeiten, sind die
Subtilisine. Sie gehören zu den Proteasen, das heißt zu den
eiweißspaltenden Enzymen, sind bakterieller Herkunft und
verdanken ihre Benennung dem Ursprungsorganismus Bacillus
subtilis. Subtilisine spalten eiweißhaltige Verschmutzungen wie
Ei, Blut oder Kakao im alkalischen Milieu so stark auf, dass diese
ausgespült werden können.
Da Enzyme trotz zum Teil hoher Temperatur- und Alkali-
stabilität leicht denaturierbare Proteine sind, reagieren sie
empfindlich auf andere Waschmittelbestandteile, beispielswei-
se gegenüber oxidierenden Bleichmitteln, aber auch gegen-
über Tensiden und Enthärtern. Dies muß bei der Entwicklung
von Wasch- und Reinigungsmitteln beachtet werden.
Die Verwendung von Enzymen ist unter dem Gesichts-
punkt der Waschmittelwirksamkeit und des Umweltschutzes
zu befürworten. Enzyme sind bereits in kleinsten Mengen
hoch wirksam, so dass eine größere Menge anderer wasch-
aktiver Substanzen eingespart werden kann. Außerdem sind
Enzyme biologisch vollständig abbaubar und ungiftig. Die
Enzymherstellung erfolgt biotechnologisch, also mit Hilfe von
Mikroorganismen in sogenannten Fermentern.
In Wasch- und Reinigungsmitteln werden neben Proteasen
folgende weitere Enzyme verwendet:
• Amylasen für den Abbau von Stärke,
• Cellulasen für den Abbau von Cellulose,
• Lipasen für den Fettabbau auch bei Temperaturen um 20°C.
Amylasen bauen Stärke ab, die z. B. in Soßen, Verdickungsmit-
teln und prozessierten Lebensmitteln, aber auch in Appretur
enthalten ist. Die Stärke wird dabei in lösliche Zweifachzucker
(Maltose) gespalten. Cellulasen sind dagegen nicht in erster
Linie für den Schmutzabbau zuständig, sondern wirken auf
die Gewebe selbst. So entfernen Cellulasen auf Baumwollge-
weben die winzigen Knötchen (Pilling), die das Gewebe rauh
machen, oder bauen abstehende Mikrofibrillen ab, die den
Farbeindruck schwächen. Sie sind auch für die Entfernung von
Pigmentflecken verantwortlich. Lipasen spalten Fette in die
leichter löslichen Bestandteile Fettsäuren und Glycerin. Fett-
BMBF-Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen Temperaturen – Tieftemperaturprotease“
Die zunehmende Notwendigkeit zur Einsparung von Energie
und Ressourcen stellt die Industrie vor die Herausforderung,
dem Verbraucher neue Produkte zur Verfügung zu stellen,
die diesen Erfordernissen entsprechen. Mit dem vom BMBF
geförderten Projekt „Neue effiziente Waschprozesse bei tiefen
Temperaturen – Tieftemperaturproteasen“ sollen unter Pro-
jektleitung der Henkel KGaA in Düsseldorf in Zusammenar-
beit mit Forschungseinrichtungen neue Proteasen gefunden
werden, die für die Anwendung in Waschmitteln bei niedri-
gen Temperaturen optimiert sind. Sie sollen erstmalig den
Anforderungen von so genannten Kaltwasserwaschprozessen
gerecht werden.
Um neue und geeignete Proteasen zu finden, werden zwei
unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt. Zum einen wer-
den kultivierbare Mikroorganismen aus der Natur isoliert und
auf ihre Fähigkeit getestet, kälteaktive Proteasen zu bilden.
In einem zweiten Ansatz werden auch die Gene von Mikro-
organismen untersucht, die nicht kultivierbar sind. Hierfür
werden in Kooperation mit dem Biotechnologie-Unternehmen
BRAIN AG in Zwingenberg so genannte Metagenom-Banken
angelegt. Dabei wird die Erbinformation aller Mikroorga-
nismen eines bestimmten Lebensraums (Habitats) geklont,
sowohl die Gene der kultivierbaren Mikroorganismen als auch
die Gene der nichtkultivierbaren Arten. Diese gesamte gene-
tische Information eines Habitats nennt man Metagenom. Die
genetische Information wird auf die gesuchten Proteaseakti-
vitäten durchgemustert. Es ist auf diese Weise möglich, eine
sehr große Menge der synthetischen Vielfalt der Natur auf
geeignete Enzyme hin zu untersuchen. Im geförderten Projekt
werden die neu identifizierten Tieftemperaturproteasen
charakterisiert, in ihrer Waschleistung geprüft und auf die
Produktionseignung (Herstellbarkeit) hin bewertet. Ziel des
Projekts sind energie- und materialsparende und somit nach-
haltigere Waschprozesse, die auf neuen waschaktiven und
effizient herstellbaren Tieftemperaturproteasen basieren.
In den Vertiefungen der Platten befinden sich kleine Läppchen
mit unterschiedlichen Anschmutzungen.
Die neuen Enzyme werden hier dazugegeben und nach dem
„Waschen“ wird die Leistung der Enzyme anhand von Messungen
der Farbänderung bzw. Aufhellung beurteilt.
12 Antibiotika ANWENDUNGSBEISPIELE
schmutz wie Lippenstift oder Kragenschmutz können dann
auch bei niedrigen Waschtemperaturen entfernt werden. Der
Bereich Wasch- und Reinigungsmittel macht den größten
Marktanteil industrieller Enzyme aus (ca. 40 % VDI). Nicht nur
in Waschmitteln, sondern zum Beispiel auch in Reinigungs-
mitteln für Geschirrspülmaschinen oder in der Reinigungs-
flüssigkeit von Kontaktlinsen sind Enzyme unverzichtbare
Bestandteile. Der riesige Markt macht die ständige Entwick-
lung neuer bedarfsangepasster, gentechnisch verbesserter
Enzyme erforderlich.
Antibiotika
Antibiotika dienen der Behandlung von Infektionskrankhei-
ten und zählen zu den am häufigsten verschriebenen Medi-
kamenten. Das erste bekannte Antibiotikum, das Penicillin,
war auch eines der ersten biotechnologisch hergestellten
Produkte. Seit 1944 konnte Penicillin in industriellem Maßstab
aus Submerskulturen (Kulturen von Mikroorganismen in
Nährlösungen) des Pilzes Penicillium chrysogenum gewonnen
werden. Als Nährmedium in den Fermentern diente dabei in
Wasser eingeweichter Mais (corn steep liquor). Bis zum Ende
des Zweiten Weltkrieges boten 12 US-amerikanische und zwei
kanadische Firmen Penicillin an. Es blieb zunächst hauptsäch-
lich verwundeten Soldaten vorbehalten, denn die Produk-
tionsmenge reichte noch nicht aus, um auch alle zivilen
Patienten damit behandeln zu können. Auch nach dem Krieg
reichte die Produktion nicht für alle Patienten. Die Not der Pa-
tienten führte zu Schmuggel und Schwarzhandel, was in dem
berühmten Roman von Graham Greene „Der dritte Mann“ und
in dem gleichnamigen Film thematisiert wird.
Die große Bedeutung der Entdeckung der Antibiotika für
die moderne Medizin zeigt die Sterblichkeitsrate bei Infekti-
onskrankheiten, die 1910 bei 35 Prozent lag und bis 1990 auf
vier Prozent gesunken ist.
Ein weiteres bekanntes Breitband-Antibiotikum, das wie
das Penicillin zu den β-Lactam-Antibiotika gehört, ist das
Cephalosporin. β-Lactam-Antibiotika töten die sich teilenden
Bakterien, indem sie ihre Zellwandsynthese stören. Die Ce-
phalosporin-Produktion ist ein anschauliches Beispiel für die
Verbesserung der Antibiotika-Produktion mit Hilfe biotechno-
logischer Verfahren:
Cepholosporin wurde erstmals 1948 von dem italienischen
Wissenschaftler Giuseppe Brotzu isoliert, der beobachtete,
dass Kulturen des Schimmelpilzes Cephalosporium acremoni-
um eine Substanz produzierten, die den Erreger des Typhus,
Salmonella typhii, abtöteten.
Einer der wichtigsten Hauptausgangsstoffe für Cephalos-
phorin ist die so genannte 7-Amino-Cephalosporansäure. Im
konventionellen Verfahren wird in chemischen Prozessen der
Hauptausgangsstoff Cephalosporin C in mehreren Schritten
zu 7-Amino-Cephalosporansäure umgewandelt. Dabei werden
toxische und gefährliche Stoffe wie Trimethylchlorosilan und
Pentachlorid, chlorhaltige Lösungsmittel und schwermetall-
haltige Substanzen eingesetzt. Außerdem muss der Prozess
unter großem Energieaufwand gekühlt werden, was zu
hohen Kosten führt. Das entstehende Abgas muss aufwändig
gereinigt werden. Anfallendes Abwasser kann mit normalen
biologischen Abwasserreinigungsverfahren nicht gereinigt
werden, die entstehenden Klärschlämme müssen daher ver-
brannt werden.
Biotechnologisches Verfahren zur Cephalosporinherstellung Im biotechnologischen Herstellungsverfahren der 7-Amino-
Cephalosporansäure wird die Ausgangssubstanz Cephalospo-
rin C in zwei Reaktionsschritten durch zwei Enzyme („D-
Amino Acid Oxidase“ und „Glutaryl Amidase“) umgewandelt.
Beide Enzyme wurden aus natürlich vorkommenden Mikroor-
ganismen gewonnen. Die Mikroorganismen wurden dabei so
optimiert, dass eine sehr hohe Ausbeute bei der Gewinnung
der Enzyme erreicht werden konnte. Die gewonnenen Enzyme
wurden isoliert, gereinigt, auf Trägersubstanzen aufgebracht
und dann in einem Bioreaktor verwendet. In dem biotech-
nologischen Verfahren zur 7-Amino-Cephalosporansäure-
Produktion kann so bei Zimmertemperatur mit Wasser als
Lösungsmittel und ohne toxische Stoffe oder Schwermetalle
gearbeitet werden. Das Abwasser kann danach im Wesent-
lichen biologisch gereinigt werden. Dadurch muss weniger
Klärschlamm in der Müllverbrennung entsorgt werden
und die Abgasemissionen fallen geringer aus. Allerdings
13 ANWENDUNGSBEISPIELE Vitamine
erhöht sich die Abwasserfracht geringfügig. Das biotechnolo-
gische Verfahren ist erheblich kostengünstiger, Energie- und
Materialkosten können deutlich eingespart werden.
Vitamine
Ein weiteres Beispiel Weißer Biotechnologie ist die Produktion
von Vitaminen. Vitamine müssen mit der Nahrung aufgenom-
men werden, da sie vom körpereigenen Stoffwechsel zum größ-
ten Teil nicht synthetisiert werden können. Es sind organische
Verbindungen, die vom Organismus nicht als Energieträger,
sondern für andere lebenswichtige Funktionen benötigt wer-
den. Einige Vitamine werden dem Körper als Vorstufen (Pro-
vitamine) zugeführt, die dann erst im Körper in die Wirkform
umgewandelt werden. Man unterteilt Vitamine in fettlösliche
(lipophile) und wasserlösliche (hydrophile) Vitamine. Die meis-
ten Vitamine werden chemisch synthetisiert, die Vitamine C,
B12 und B2 werden jedoch überwiegend mit biotechnologischen
Verfahren hergestellt.
Vitamin C wird durch Kombination von chemischer und bi-
otechnologischer Synthese mit Hilfe eines gentechnisch verän-
derten Bakterienstammes der Gattung Erwinia gewonnen, der
ein Enzymgen (Reduktase) aus einem anderen Bakterium, dem
Corynebakterium, enthält. Bei der Herstellung des Vitamins B12
konnte die aufwändige chemische Synthese des Cobalamins,
der Vorstufe des Cyanocobalamins (Vitamin B12), durch einen
einstufigen Fermentationsprozess mit Hilfe des Mikroorganis-
mus Pseudomonas denitrifans ersetzt werden.
Herstellung von Vitamin B2
Die Vitamin B2-Produktion zeigt deutlich die Vorteile biotech-
nologischer Produktionsverfahren in der Vitaminherstellung:
Der biotechnologische Herstellungsprozess von Vitamin B2 wird
unter anderem von der BASF AG in Ludwigshafen eingesetzt
und hat inzwischen den chemisch-technischen Syntheseweg
nahezu komplett ersetzt: Vitamin B2 wird für den Energiehaus-
halt der Zellen benötigt und kommt vor allem in Milch, Käse,
Eiern, Fleisch, Nüssen und Leber vor. Es unterstützt den Organis-
mus beim Aufbau bestimmter chemischer Verbindungen und
beim Abbau von Kohlenhydraten, Fettsäuren und Aminosäu-
ren. Ein Mangel von Vitamin B2 kann u. a. zu Wachstumsstörun-
gen führen.
Vitamin B2 dient auch als gelber Farbstoff. Bei dieser Ver-
wendung gilt Vitamin B2 als Zusatzstoff und muss unter der
Bezeichnung Riboflavin (E 101) in der Zutatenliste aufgeführt
werden. Riboflavin (auch: Lactoflavin) ist ohne Höchstmengen-
beschränkung zur Färbung von Lebensmitteln und in Futter-
mitteln zugelassen.
Chemisches Verfahren Noch in den 90er Jahren wurde Vitamin B2 bei der BASF in
einem achtstufigen Syntheseprozess hergestellt. Wichtigster
Ausgangsstoff war dabei Zucker (Glukose), der zuerst in einem
biotechnologischen Verfahrensschritt zu Ribose fermentiert
wurde. Danach folgten jedoch rein chemisch-technische
Ashbya gossypii, Zellwand (rot) und Zellkerne (gruen)
Prozessschritte. Hierzu wurden einige umweltschädliche
Chemikalien eingesetzt: z. B. musste das entstehende Produkt
aufwändig unter Verwendung von Säure gereinigt werden,
um schließlich zu 96 % aus Vitamin B2 zu bestehen.
Biotechnologische B2-Produktion Wesentlicher Ausgangsstoff für die biotechnologische
Herstellung von Vitamin B2 ist ebenfalls Glukose. In einem Bio-
reaktor wird dabei ein auf die Produktion von Vitamin B2 opti-
mierter Stamm des Pilzes Ashbya gossypii oder ein verwandter
Pilz der Spezies Eremothecium ashbyii verwendet. Verwendung
finden auch Vitamin-überproduzierende Stämme des Bakte-
riums Bacillus subtilis, die das Vitamin nicht natürlich bilden,
sondern gentechnisch verändert wurden. Pflanzenöl auf Soja-
basis, das Glukose enthält, wird als Ausgangsstoff genutzt.
In der Fermentation entsteht in einem einzigen Prozess-
schritt Vitamin B2 in Form gelber Kristalle.
Beim biotechnologischen Verfahren kann gegenüber dem
chemischen Verfahren eine Verringerung der Umweltbelas-
tung um 40 % erreicht werden: So können die CO2-Emissionen
um 30 %, der Stoffverbrauch um 60 % und die entstehenden Ab-
fälle um 95 % verringert werden. Es werden weniger umwelt-
gefährdende Chemikalien verwendet und weniger Nebenpro-
dukte entstehen, so dass auf einige der aufwändigen und zum
Teil umweltrelevanten Prozessschritte zur Aufreinigung des
Endprodukts verzichtet werden kann.
14 Hormone ANWENDUNGSBEISPIELE
Hormone
Auch bei der Hormonsynthese spielen biotechnologische
Verfahren eine zunehmende Rolle. Hormone sind körpereige-
ne Informationsübermittler. Nach ihrem chemischen Aufbau
unterscheidet man zwischen Hormonen, die vor allem aus
Eiweiß bestehen, und solchen, die sich überwiegend aus Fetten
zusammensetzen. Erstere heißen Peptidhormone, zu letzteren
gehören vor allem Steroidhormone. Peptidhormone sind u. a.
Insulin, Glucagon und die Hypophysen- und Zwischenhirn-Hor-
mone. Zu den Steroidhormonen zählen die Geschlechts- und
Nebennierenrindenhormone. Viele Krankheiten beruhen auf
Fehlleistungen verschiedener Hormonsysteme. Die Gabe von
Hormonen ist in der Medizin bei verschiedenen Krankheiten
erforderlich (z. B. Wachstums- oder Wechseljahrsbeschwerden,
Krebstherapie u. a.).
Die Synthese des Steroidhormons Cortison ist ein Beispiel
für die Kombination biotechnologischer und chemischer
Syntheseschritte. In den frühen 30er Jahren wurde das Ne-
bennierenrindenhormon Cortison von den Forschern Edward
C. Kendall und Tadeusz Reichenstein erstmals isoliert. Die
schmerz- und entzündungslindernde Wirkung des Steroidhor-
mons machte Cortison als Medikament interessant. Die aufwän-
dige chemische Synthese war zunächst nur in 37 Schritten unter
extremen Reaktionsbedingungen möglich. Die Biotechnologie
ermöglicht die Verkürzung der Synthese auf 11 Schritte, für die
man industriell ddie Stoffwechselleistung des Pilzes Rhizopus
arrhizus verwendet. Durch biotechnologische Verfahren konn-
ten Druck und Temperatur der Syntheseschritte reduziert und
damit die Herstellungskosten gesenkt werden.
Mit Hilfe weiterer biotechnologischer Prozesse konnte der
Ausgangsstoff für die Cortison-Synthese, Diosgenin, der aus der
mexikanischen Yams-Wurzel gewonnen wurde, ersetzt werden.
In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stiegen die
Preise für den Ausgangsstoff Diosgenin so stark an, dass alterna-
tive Methoden mit Hilfe der Biotechnologie entwickelt wurden:
BMBF-Fördermaßnahme „GenoMik-Plus – Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen für Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“
Das BMBF führt mit der Fördermaßnahme „GenoMik-Plus
– Funktionelle Genomforschung an Mikroorganismen für
Industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“
die erfolgreichen Projekte der GenoMik-Förderung (2001-2006)
fort. Unterstützt wird es dabei aktiv vom „Industrieverbund
Mikrobielle Genomforschung“, zu dem sich 16 Unternehmen aus
der chemischen Industrie, der Pharmaindustrie, der Nahrungs-
güterwirtschaft und der Biotechnologie zusammengeschlossen
haben. Dieser Industrieverbund begleitet die Förderaktivität
mit dem Ziel, einen Ansprechpartner auf Seiten der Wirtschaft
zu schaffen, der die Interessen und Aktivitäten der beteiligten
Unternehmen bündelt, den Technologietransfer optimiert und
die Koordination der Forschung auf europäischer Ebene leitet.
Sorangium cellulosum
Das Bielefelder GenoMik-Plus Netzwerk mit dem Forschungs-
vorhaben „Funktionelle Genomforschung an Bakterien für
den Umweltschutz, die Landwirtschaft und die Biotechnolo-
gie“ setzt sich aus insgesamt 26 Forschergruppen zusammen,
die an 15 Universitäten, drei Forschungszentren sowie in drei
Industrieunternehmen arbeiten. Es baut auf die Arbeiten der
GenoMik-Fördermaßnahme auf und unterteilt sich in die drei
Forschungscluster „Pflanzenassoziierte Bakterien“, „Primärme-
tabolitproduzenten“ und „Sekundärmetabolitproduzenten“. Im
Mittelpunkt dieser Analysen steht die Entzifferung der Genomse-
quenzen von sechs verschiedenen Bakterienspezies mit Relevanz
in den Bereichen Umweltschutz (Alcanivorax borkumensis), Land-
wirtschaft (Azoarcus sp., Xanthomonas campestris, Clavibacter
michiganensis) und Biotechnologie (Sorangium cellulosum) sowie
die Herstellung von genomweiten Microarrays (DNA-Chips).
Die zukünftigen Arbeiten betreffen vorwiegend Postgenom-
analysen, d. h. Analysen, die über die Entzifferung der DNA
hinaus gehen und sich mit der Genaktivität und Proteinsynthese
(Transkriptom und Proteom) und dem Stoffwechsel (Metabolom)
der verschiedenen Bakterienspezies beschäftigen. Ein weiterer
Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung kombinatorischer
Biosynthese von neuartigen Antibiotika durch Streptomyceten
(„Sekundärmetabolitproduzenten“). In das Bielefelder Netzwerk
wurden vier Arbeitsgruppen neu integriert, die sich der Analyse
von antibiotisch wirksamen Sekundarmetaboliten der Bakterien-
spezies Bacillus amyloliquefaciens widmen. Das an der Universität
Bielefeld angesiedelte Netzwerkzentrum wird das Projektma-
nagement übernehmen sowie den Netzwerkpartnern seine
Infrastruktur und Plattformtechnologien zur Verfügung stellen.
15 ANWENDUNGSBEISPIELE Enzyme
Der mikrobielle Abbau bei der Herstellung von Sojabohnenöl
führt zu einem Rückstand, der einen hohen Anteil der Steroide
Sitosterol und Sigmasterol enthält, die den limitierten Aus-
gangsstoff Diosgenin ersetzen konnten.
Enzyme als Therapeutika und Diagnostika
Die Verwendung biotechnologisch hergestellter Enzyme in der
Medizin ist vielfältig: Enzyme werden in Therapie und Diagnose
eingesetzt. Erst mit den Fortschritten der biotechnologischen
Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat sich das ökonomi-
sche Potenzial therapeutischer Enzyme entwickeln können.
Durch die Verfahren der Weißen Biotechnologie können Enzy-
me preisgünstig mit hoher Leistungsfähigkeit und Selektivität
hergestellt werden.
Die so genannten therapeutischen Enzyme werden direkt
als Medikamente verwendet. Zu ihnen gehören: Lipasen zur
Unterstützung von Fettabbau und Verdauungsfunktion; Protea-
sen, die den Eiweißabbau ermöglichen und auch der Unterstüt-
zung der Verdauungsfunktion dienen; Lysozym, das antibakte-
riell durch das Auflösen von Bakterienwänden wirkt; Urokinase,
die die Auflösung von Blutgerinnseln ermöglicht; Thrombin,
das die Blutgerinnung und den Wundverschluss beschleunigt
oder Pegaspargase, die den Abbau der Aminosäure Asparagin
in Krebszellen bewirkt (Asparagin, das z. B. für den Aufbau der
DNA notwendig ist, kann von bestimmten Krebszellen nicht
synthetisiert werden).
Morbus Fabry Mit der Entwicklung geeigneter therapeutischer Enzyme
wird beispielsweise auch versucht, Therapien gegen seltene
Stoffwechselerkrankungen, die oft genetisch bedingt sind, zu
entwickeln. Ein Beispiel dafür ist neben der Mukoviszidose, zu
deren Behandlung verschiedene Enzyme getestet werden, die
Fabry-Krankheit.
Die Mukoviszidose ist eine genetisch bedingte Stoffwech-
selerkrankung, bei der die Sekrete exokriner Drüsen verändert
sind. In Lunge, Dünndarm, Bauchspeicheldrüse, Gallenwegen
und Schweißdrüsen werden zähe Sekrete gebildet, die nur
schwer aus dem Körper abtransportiert werden können. Be-
handelt werden kann die Krankheit nur symptomatisch. Hierzu
gehört unter anderem auch die Gabe von Verdauungsenzymen
(Lipasen).
Die Fabry-Krankheit (Morbus Fabry) gehört zu den ge-
netisch bedingten lysosomalen Speichererkrankungen, das
bedeutet, dass in den Zellorganellen, die Lysosomen heißen,
Stoffe gespeichert werden, die normalerweise abgebaut wer-
den können. Die Vermehrung von nicht-abgebautem Material
in den Lysosomen hat verschiedene schwere Erkrankungen zur
Folge. Dazu gehört die Fabry-Krankheit, die auf einer Mutation
im alpha-Galaktosidase A-Gen beruht. Das Enzym alpha-Galac-
tosidase A ist im körpereigenen Stoffwechsel für den Transport
bestimmter Fette, den Glykosphingolipiden, verantwortlich.
Durch den genetisch bedingten Mangel des Enzyms alpha-Ga-
laktosidase A können die Glykosphingolipid-Fette nicht aus den
Zellen entfernt werden, und es kommt zu einer Akkumulation
dieser Fette in den Lysosomen verschiedener Körperzellen.
Besonders die Akkumulation in Nierenzellen führt zu schweren
Gewebeschädigungen mit der Folge eines möglichen Nieren-
versagens.
Die Enzymersatztherapie mit gentechnisch hergestellter
alpha-Galactosidase A führt bei Patienten mit der Fabry-Krank-
heit zu einer Reduktion der lysosomalen Glykosphingolipid-Ab-
lagerungen.
Weitere Enzyme in Medizin und Diagnostik Ein anderes Beispiel für erfolgreiche Enzymtherapie ist die
Urokinase: Das Enzym Urokinase, auch Plasminogen-Aktivator
genannt, wird als Thrombolytikum zur Lösung von Blutgerinn-
seln bei akuten Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt.
Urokinase wurde erstmals in menschlichem Urin entdeckt.
Urokinase ist in der Lage, diverse Proteine im Blutplasma zu
spalten, insbesondere das Fibrin in Gerinnseln (Fibrinolyse). Der
Weltmarkt für thrombolytische Medikamente betrug im Jahr
2005 ungefähr 1,7 Milliarden US-$, der Anteil von Plasminogen
Aktivator-Substanzen wird dabei auf 40% geschätzt.
In der Diagnostik werden Enzyme vielfältig genutzt – Beispiele
hierfür sind Enzyme wie Phosphatasen und Peroxidasen, die
zum Tumornachweis verwendet werden oder Elastase zur
Bestimmung von Pankreasinsuffizienz und Glucoseoxidase
zur Blutzuckerbestimmung mit Biosensoren.
Lebensmittelindustrie
In der Lebensmittelindustrie werden mehr als 40 Enzyme in
unzähligen Produktionsprozessen eingesetzt. Enzyme sind
biochemische Werkzeuge, die den Aktionsradius der modernen
Lebensmitteltechnologie deutlich erweitert haben. Es findet
heute kaum noch eine Lebensmitteltechnologie-Tagung statt,
auf der nicht neue Einsatzmöglichkeiten für Enzyme vorge-
16 Lebensmittelindustrie ANWENDUNGSBEISPIELE
stellt werden: Enzyme modifizieren Stärke, optimieren Fette
und Eiweiße, sie stabilisieren aufgeschlagene Schäume und
Cremes, „verkleben“ unterschiedliche Fleischteile zu Koch-
schinken oder Brühwurst, Enzyme sorgen für die Bissfestigkeit
von Cornflakes, die Gefrier-Tau-Stabilität eines Fertigteiges,
die gleichmäßige Qualität von Eiswaffeln oder verhindern
das Kleben von Nudeln nach dem Kochen. Enzyme konser-
vieren Mayonnaise und Eiprodukte, steuern die Reifung von
fermentierten Lebensmitteln und Getränken, sie ermöglichen
intensivere Aromen, spalten aus Butter-, Käse- oder Rahma-
romen Fettsäuren ab oder bilden aus Eiweißen Würze oder
Bratengeschmack.
Immer mehr Enzyme werden mit modernen biotechnolo-
gischen Methoden mit Hilfe von Mikroorganismen produziert.
Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Labferment, das bei der
Käseherstellung verwendet wird. Labferment wurde ursprüng-
lich aus Kälbermägen isoliert. Heute wird der Hauptwirkstoff
des Labferments, das Chymosin (auch: Rennin), biotechnolo-
gisch von Mikroorganismen produziert. Chymosin ist für die
Herstellung von Käse unverzichtbar. Es spaltet das Kasein-
Eiweiß der Milch und bewirkt dadurch deren Gerinnung
(„Dicklegung“): Das Kasein verklumpt und trennt sich von der
wässrigen Molke. Danach beginnt der Reifeprozess des Käses.
Weitere wichtige kommerziell genutzte Enzyme in der Lebens-
mittelindustrie sind die Pektinasen. Pektinasen erleichtern
und verbessern das Auspressen von Obst und Gemüse, indem
sie die Pektinmittellamelle der pflanzlichen Zellwand abbauen
und dadurch die Saftausbeute erhöhen. Pektinasen und andere
Enzyme bauen auch die nach dem Auspressen noch vorhan-
denen Trübstoffe ab und ermöglichen es, klaren Apfelsaft zu
produzieren.
Auch in vielen Backmischungen sind Enzyme enthalten, die
optimale Teigeigenschaften, Krustenstabilität, Volumen und
Färbung bewirken. Das inzwischen weit verbreitete Aufbacken
von vorproduzierten, gefrorenen Teig-Rohlingen wäre ohne
Enzyme nicht möglich.
Stärkeverzuckerung Eine der kommerziell wichtigsten Enzym-Anwendung im
Lebensmittelbereich ist die Stärkeverzuckerung. Rüben- oder
Rohrzucker sind längst nicht mehr die einzigen Lieferanten für
Zucker, jede stärkehaltige Pflanze kann als Ausgangssubstrat
für die Zuckerherstellung dienen: Enzyme spalten die Stärke in
ihre Grundbestandteile – verschiedene Zucker – und fügen sie
zu weiteren Zutaten und Zusatzstoffen zusammen.
Musste früher in einem technischen Prozess die Stärke mit
Wasser und starken Säuren zu einem Gemisch aus Zuckermo-
lekülen verarbeitet werden, benutzt man heute für die Stärke-
verzuckerung fast nur noch Enzyme. Sie bieten eine Reihe von
Vorteilen: Da Enzyme die verzweigten Stärkemoleküle an ganz
bestimmten Stellen spalten, lässt sich der Verzuckerungspro-
zess gezielt steuern. So erhält man verschiedene Stärkesirupe,
die sich in ihrer Süßkraft, aber auch in ihren technologischen
Eigenschaften unterscheiden. Diese Sirupe werden nicht nur als
maßgeschneiderte Süßungsmittel in unzähligen Lebensmitteln
und Getränken verwendet, sondern können weiterverarbeitet
werden zu Traubenzucker, Zuckeraustauschstoffen oder Fett-
ersatzstoffen.
Die Stärkeverzuckerung wurde erst wirtschaftlich interes-
sant, als die zur Stärkespaltung benötigten Enzyme mit Hilfe
der modernen Biotechnologie kostengünstig, in unbegrenzten
Mengen und in ausreichender Qualität hergestellt werden
konnten. Fast alle in der Stärkeverzuckerung eingesetzten
Enzyme werden heutzutage aus gentechnisch veränderten
Mikroorganismen gewonnen.
Die Stärkeverzuckerung erfolgt in drei Stufen:
In einem ersten Schritt erfolgt die Stärkeverflüssigung: In der
ersten Stufe wird die Stärke in verschiedene Zuckereinheiten
gespalten. Es entsteht ein Gemisch aus Maltosen (Malzzucker)
und Dextrinen (Zwischenform zwischen Stärke und Dextrose).
Die eingesetzten Stärke-spaltenden Enzyme (verschiedene
Amylasen) sind überwiegend unter Einsatz moderner Metho-
den der Biotechnologie hergestellt.
Der zweite Schritt ist die Stärkeverzuckerung: Die entstan-
denen Abbauprodukte werden nun weiter zu Einfachzuckern
(Monosaccharide) abgebaut. Hierfür wird die Stärke-abbauende
Wirkung bestimmter Enzyme (Glucoamylase und Pullulanase)
genutzt. Der gebildete Glukosesirup ist ein Gemisch aus Glu-
kose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker), er wird von
der Süß- und Backwarenindustrie genutzt, da der Sirup nicht so
leicht kristallisiert.
Der dritte Schritt, die Isomerierung, wird von einem gen-
technisch hergestellten Enzym, der Glucose-Isomerase, durch-
geführt: Ein Teil der Glukose wird in Fruktose umgewandelt.
Nach mehrmaligem Prozessdurchlauf steigen Fruktosegehalt
und Süßkraft immer weiter an, bis der gewonnene Fruktose-
sirup fast die Süßkraft des traditionellen Haushaltszuckers
erreicht.
In den USA hat dieser High Fructose Corn Sirup, das wich-
tigste Produkt der Maisstärkeindustrie, den Zucker bereits weit-
gehend verdrängt. Cola und Limonaden werden fast ausschließ-
lich mit diesem Sirup gesüßt.
17 ANWENDUNGSBEISPIELE Nutraceuticals, Prä- und Probiotika
Aminosäuren als Nahrungsergänzung Eine weitere Gruppe wichtiger biotechnologisch hergestellter
Produkte in der Nahrungsmittelindustrie sind Aminosäu-
ren, die Klasse organischer Moleküle, aus denen die Eiweiße
aufgebaut sind. Es gibt rund 20 verschiedene Aminosäuren, die
für den Aufbau der Eiweiße verwendet werden. Sie enthalten
jeweils eine Aminogruppe (–NH2) und eine Carboxylgruppe
(COOH). Ihre Molekülstruktur ist dergestalt, dass sie in verschie-
denen zueinander spiegelbildlichen Formen vorliegen können,
den sogenannten Enantiomeren. Diese Moleküle unterscheiden
sich nicht in der chemischen Zusammensetzung oder in der
Formel, sie verhalten sich aber wie Spiegelbilder zueinander.
Zur Veranschaulichung wird oft das Bild der rechten und
linken Hand gebraucht, die nicht gleich, sondern wie Spie-
gelbilder zueinander aussehen. Die Moleküle unterscheiden
sich in ihren physikalischen Eigenschaften, der optischen
Aktivität,voneinander. Das bedeutet, dass sie die Polarisati-
onsebene von linear polarisiertem Licht nach links oder rechts
drehen. Man bezeichnet sie dann als linksdrehend oder rechts-
drehend. Oft unterscheiden sich die enantiomeren Moleküle
vor allem in ihrer Wirkung deutlich voneinande
Viele Enzymreaktionen sind auf ein Enantiomer, entwe-
der das linksdrehende oder das rechtsdrehende, spezialisiert.
Sowohl in der Lebensmittelindustrie als auch in der Futtermit-
telindustrie werden Aminosäuren, die wichtigsten Protein-
bausteine, als Nahrungsergänzung zugesetzt. Alle natürlich
vorkommenden Aminosäuren können inzwischen mit Fermen-
tationstechniken mit Hilfe von Enzymen hergestellt werden.
Fast alle Aminosäuren in Lebewesen sind linksdrehend (L-Form).
Ein Beispiel für die Nahrungsergänzung ist die biotechnolo-
gische Produktion von L-Glutaminsäure, die als Geschmacksver-
stärker in Form von Mono-Sodium-Glutamat verwendet wird.
Die weltweite biotechnologische Produktion von L-Glutamin-
säure liegt bei mehr als einer Million Tonnen pro Jahr.
Ein weiteres Beispiel ist L-Lysin, das vor allem als Futtermit-
teladditiv in großem Maßstab biotechnologisch produziert wird
(350.000 t/a).
Aspartam Bei der Aspartam-Produktion werden ebenfalls fermentativ her-
gestellte Aminosäuren verwendet. Aspartam ist ein künstlicher
Süßstoff, der 200mal süßer schmeckt als Zucker, er hat einen
Energiegehalt von 410 kcal auf 100 g, etwa soviel wie Zucker.
Aufgrund seiner höheren Süßkraft, wird der Stoff jedoch in viel
geringeren Mengen eingesetzt, so dass mit Aspartam gesüßte
Lebensmittel in der Regel einen erheblich niedrigeren Ener-
giegehalt haben als zuckerhaltige. Aspartam wird vor allem
für diätische Lebensmittel verwendet (z. B. Light-Getränke) und
derzeit weltweit in einer Menge von etwa 15.000 t/a hergestellt.
Der Jahresumsatz beträgt schätzungsweise 850 Mio. Euro.
Die chemische Synthese von Aspartam wird zunehmend auf
biotechnologische Verfahrensschritte umgestellt. Im Gegen-
satz zur chemischen Synthese der Aminosäurebausteine ist es
mit biotechnologischen Verfahren möglich, durch die Enantio-
merenselektivität der eingesetzten Biokatalysatoren nur eines
der beiden spiegelbildlich zueinander symmetrischen Moleküle
herzustellen (siehe auch Kapitel Biokatalyse und Fermentation:
Enzyme). Nur die L-Form wird benötigt, da nur diese für die
Aspartam-Synthese geeignet ist. Die beiden Hauptbestandteile
des Aspartams, die Aminosäuren L-Asparaginsäure und L-Phe-
nylalanin, können fermentativ produziert werden. Durch das
Enzym Thermolysin können die beiden Aminosäuren zu einem
Dipeptid verbunden werden, das über weitere chemische Reak-
tionsschritte zu dem Methylester des Dipeptids, dem Aspartam,
modifiziert wird.
Low-fat Eis Der Nutzen für den Verbraucher wird auch bei der Herstellung
von Speiseeis mit Typ-III-Eis-strukturierendem Protein deut-
lich. Das Eis-strukturierende Protein kommt in der Natur im
Blut des Polardorsches (Macrozoarces americanus) und anderen
Tieren und Pflanzen vor, die in extremer Kälte leben. Die Eis-
strukturierenden Proteine schützen vor Gewebeschäden durch
Eiskristalle, indem sie die Temperaturgrenze herabsetzen, bei
der sich die Eiskristalle bilden. Die Verwendung dieser Proteine
bei der Herstellung von Speiseeis ermöglicht die Reduzierung
von Sahne und Fetten. Die Proteine werden biotechnologisch in
Hefe produziert und seit drei Jahren in den USA beispielsweise
zur Produktion von low-fat Eis verwendet.
Nutraceuticals, Prä- und Probiotika
Mit dem Begriff „Nutraceuticals“ bezeichnet man die biologisch
aktiven physiologisch wirksamen Inhaltsstoffe in Nahrungsmit-
teln. Dazu gehören z. B. Antioxidantien, Ballaststoffe, sekundä-
re Pflanzenstoffe und viele andere.
Es handelt sich dabei um Nahrungsmittelbestandteile, die
von medizinischem und gesundheitlichem Nutzen sein kön-
nen, d. h. deren Verwendung prophylaktisch bzw. therapeu-
tisch sein kann (z. B. Regulierung des Cholesterin- und Blutzu-
Polardorsch (Macrozoarces americanus)
18 Enzyme als Futtermittelzusatz ANWENDUNGSBEISPIELE
ckerspiegels, Senkung des Krebsrisikos usw.). Nutraceuticals
oder Lebensmittel mit einem beanspruchten Zusatznutzen für
die Gesundheit, werden von der Industrie gezielt entwickelt,
und Nahrungsmittelexperten und Branchenbeobachter sagen
ihnen Milliardenumsätze voraus.
Die Inhaltsstoffe von Nutraceuticals müssen als Nah-
rungsbestandteile toxikologisch unbedenklich sein und sind
daher vorläufig auf Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemen-
te, Nahrungsfasern und gewisse lebende Bakterienstämme
beschränkt. Die Anwendungen sind vielfältig: Gelenkbeweg-
lichkeit, Knochenaufbau, Verdauung, Cholesterolgehalt oder
Muskelaufbau sollen durch Nutraceuticals positiv beeinflusst
werden. Die Darmfunktion soll beispielsweise durch Prä-
und Probiotika positiv unterstützt werden: Präbiotika sind
bestimmte lösliche Stoffe, wie z. B. Oligofructose, die eine posi-
tive Wirkung auf die Bakterienflora des Dickdarms zeigt.
Ein Probiotikum ist eine Präparation aus lebensfähigen Mi-
kroorganismen, die – in ausreichenden Mengen konsumiert –
die Gesundheit des Wirtsorganismus positiv beeinflusst, indem
sie das Gleichgewicht der Darm-Mikroorganismen verbessert.
Am längsten angewendet werden probiotische Milchsäurebak-
terien, aber auch Hefen und andere Spezies sind in Gebrauch.
Probiotika können als speziell zubereitete Lebensmittel oder in
Form von Arzneimitteln dargereicht werden. Als gesundheits-
relevante Effekte von Probiotika gelten, dass Lactobazilli und
Bifidusbakterien durch Verdrängung unerwünschter Darmbak-
terien wie Clostridien zur Verhinderung und Verkürzung von
Durchfallerkrankungen beitragen können, dass die Lactosever-
wertung bei Lactoseintoleranz ermöglicht wird und dass das
Immunsystem stimuliert werden kann.
Probiotische Milchprodukte haben in den vergange-
nen Jahren eine weite Verbreitung erfahren. Sie enthalten
speziell gezüchtete Bakterienstämme, die widerstandsfä-
higer gegen Magensäure und gegen Gallensäuren sind, so
dass sie im menschlichen Darm nicht abgetötet werden wie
andere Bakterien, sondern lebend in tiefere Darmabschnitte
gelangen, sich dort vermehren und ihre gesundheitsfördern-
den Eigenschaften entfalten können. Man unterscheidet
rechtsdrehende (L(+)-Laktat) und linksdrehende (D(-)-Laktat)
Milchsäurebakterien. Während die rechtsdrehende Milch-
säure auch im menschlichen Organismus vorkommt und
durch ein spezielles Enzym abgebaut wird, kann D(-)-Laktat
nicht direkt verstoffwechselt werden. Entgegen früherer Ver-
mutungen kommt es dabei jedoch bei gesunden Menschen
nicht zu einer Übersäuerung, sondern der Abbau dauert
einfach etwas länger.
Ein ganz anderes Beispiel der Anwendungsmöglichkeiten
probiotischer mikrobiologischer Kulturen sind innovative
Produkte für Körperpflege und Mundhygiene, die auf Milch-
säurebakterien basieren: Probiotische Milchsäurebakterien
(Lactobacillen) konnten identifiziert werden, die zum Einsatz
in neuartigen Produkten für die Körperpflege und Mundhy-
giene geeignet sind. Vielversprechende Einsatzgebiete der
probiotischen Bakterien sind der Kampf gegen Karieserreger,
die Vermeidung von Körpergeruch und die Regeneration der
schützenden Hautflora. Natürliche Kulturen sollen dabei zur
aktiven Abwehr von schädlichen Keimen eingesetzt werden.
Enzyme als Futtermittelzusatz
Schon seit vielen Jahren werden verschiedene Aminosäuren
den Futtermitteln in der Tierfutterproduktion zugesetzt. Aber
auch der Zusatz von biotechnologisch entwickelten Enzymen
gewinnt zunehmend an Bedeutung. Besonders in der Zucht von
Geflügel und Schweinen werden vermehrt Enzyme eingesetzt,
die den Abbau von pflanzlichen Zellwandbestandteilen ermög-
lichen, da diese Enzyme von den Tieren selbst nicht gebildet
werden können.
Ein interessantes Beispiel hierfür ist das Enzym Phytase:
Phytase wirkt auf bestimmte Phosphorverbindungen, die
Phytinsäuren, die unter Freisetzung von Phosphaten gespal-
ten werden. Phytase wird als Zusatzstoff in Futtermitteln für
Nicht-Wiederkäuer wie Schweine oder Geflügel verwendet,
die anders als Wiederkäuer nicht in der Lage sind, den in der
pflanzlichen Nahrung enthaltenen lebensnotwendigen Nähr-
stoff Phosphor aufzuschließen. Die Zugabe von Phytase ermög-
licht den Aufschluss des Phosphors aus der Nahrung, so dass auf
die sonst übliche Zufütterung von Phosphat verzichtet werden
kann. Der Phosphatgehalt in der Gülle oder dem Stalldung und
die Phosphatbelastung der Umwelt kann durch die Enzymzuga-
be deutlich reduziert werden.
Erst durch biotechnologische Verfahren war es möglich,
Phytase großtechnisch herzustellen und als Futtermittelzu-
satzstoff zu verwenden. Bei diesem Verfahren werden Schim-
melpilzkulturen der Arten Aspergillus oder Trichoderma als
Produktionsorganismen eingesetzt.
Textil-, Leder- und Papierindustrie
In der Textilveredelung werden die äußeren Eigenschaften von
Textilien z. B. durch Färben, Bleichen und Bedrucken verän-
dert. Die herkömmlichen, zumeist zeitaufwändigen Prozesse
19 ANWENDUNGSBEISPIELE Textil-, Leder- und Papierindustrie
verbrauchen viel Energie und Zusatzstoffe. Textilien werden
zum Beispiel „entschlichtet“, d. h. dass Stärkeüberzüge, die zum
Schutz während des Herstellungsverfahrens aufgebracht wer-
den, durch stärkespaltende Amylasen enzymatisch abgebaut
werden.
Bleichen von Textilien Zum Bleichen von Textilien wird in der Textilindustrie im
Allgemeinen Wasserstoffperoxid (H O ) genutzt. Wasserstoff-2 2
peroxid ist ein starkes Oxidationsmittel, das nach dem jeweili-
gen Bleichprozess wieder vollständig aus dem Textil-material
entfernt werden muss. Im konventionellen Verfahren wird
Wasserstoffperoxid beseitigt, indem das Textilmaterial mindes-
tens zweimal mit 80-95°C heißem Wasser gespült wird. Dieser
Prozess dauert etwa zwei Stunden und verbraucht viel Wasser
und Energie. Eine vollständige Entfernung des Bleichmittels
gelingt jedoch nicht. In einem darauf folgenden Prozessschritt
werden deshalb verschiedene Chemikalien zur Nachbehand-
lung eingesetzt.
In dem biotechnologischen Verfahren wurde zur Entfer-
nung des Bleichmittels Wasserstoffperoxid ein enzymatischer
Prozess entwickelt, der schon einige Verbreitung in der Textilin-
dustrie gefunden hat, aber das konventionelle Verfahren noch
nicht vollständig ersetzen konnte.
In diesem biotechnologischen Verfahren wird zur Nachbe-
handlung der Textilien das Enzym Katalase (KAPPAZYM AP-neu,
Kapp Chemie GmbH) eingesetzt. Dieses Enzym baut das Was-
serstoffperoxid innerhalb von wenigen Minuten ab bei 30-40°C,
dabei entstehen Wasser und Sauerstoff.
Statt zweier Spülzyklen muss zur Entfernung des Bleichmit-
tels nur noch ein Spülschritt mit warmem Wasser durchgeführt
werden.
Durch die Anwendung des biotechnischen Verfahrens
sinken die Kosten für Kühlwasser, Prozesswasser und Dampf,
allerdings fallen zusätzliche Kosten zur Anschaffung des En-
zyms an. Insgesamt gesehen können jedoch Kosten eingespart
werden, was die Wettbewerbsposition verbessert. Auch die
Umweltwirkungen verringern sich durch den neuen Prozess:
Es werden weniger Wasser für das Spülen und zur Prozessküh-
lung, weniger Prozessenergie in Form von Dampf verbraucht
und weniger Industrieabwasser erzeugt.
Stonewashed-Effekt Jedes Jahr werden weltweit eine Milliarde Jeans verkauft – viele
mit dem modernen Stonewashed-Effekt. Um diesen Effekt zu
erreichen, werden Jeans in herkömmlichen Verfahren mit
Bimsstein gewaschen. Das kostet Wasser und Energie und die
Produktqualität leidet, denn das Gewebe wird durch den Bims-
stein stark beansprucht. Problematisch sind zudem die Abfälle,
denn pro Hose entstehen 600 Gramm Steinabrieb, die entsorgt
werden müssen und die Maschinen stark in Mitleidenschaft
ziehen.
Durch Einsatz von Enzymen (Biostoning durch Cellulasen)
ist es möglich, dieselbe optische Wirkung wie durch den Einsatz
von Bimssteinen zu erzielen und gleichzeitig die Umwelt zu
entlasten: Bezogen auf Wasser, Luft und Abfall können die um-
weltrelevanten Kosten um 54 Prozent gegenüber dem konven-
tionellen Verfahren gesenkt werden.
Der Weltmarkt für in der Textilindustrie eingesetzte Enzy-
me beträgt etwa 125 Millionen Euro, mit Wachstumsraten von
ungefähr 3% jährlich.
In der Lederindustrie werden Enzyme vor allem zur Reini-
gung der Lederhäute und zur Verbesserung der Lederqualität
eingesetzt. Der Markt für Enzyme in diesem Bereich wird auf ca.
10 Mio. US-$ geschätzt (VDI).
Papier- und Zellstoffindustrie In der Zellstoff- und Papierindustrie werden Enzyme einge-
setzt, die ein chlorfreies Bleichen ermöglichen. Darüber hinaus
werden Enzyme bei der Pechreduktion in der mechanischen
Zellstoffherstellung und bei der Prozessverbesserung in der Pa-
pierherstellung eingesetzt. Amylasen zur Stärkemodifizierung,
Cellulasen zur Fibrilierung des Faserstoffes, Proteasen, Lipasen
und Xylanasen werden in der Papier- und Zellstoffherstellung
verwendet.
Enzyme für umweltfreundliches chlorfreies Bleichen gelten
als einer der am schnellsten wachsenden Märkte industrieller
Enzyme.
Agrochemikalien
Der weltweite Markt für Biopestizide, also Mittel für die Un-
krautbekämpfung mit Mikroorganismen oder ihren Produkten,
beläuft sich auf ca. 130 Mio. Euro im Jahr.
Ein Beispiel für Biopestizide ist die Produktion des Toxins
des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis. Das so genannte
Bt-Toxin wirkt auf verschiedene Insekten toxisch, für andere
Organismen ist es aber ungiftig. Deshalb werden die Sporen von
Bacillus thuringiensis auch im ökologischen Landbau als Pflan-
zenschutzmittel eingesetzt. Für den konventionellen Landbau
20 Agrochemiekalien ANWENDUNGSBEISPIELE
wird das Toxin in industriellem Maßstab in Fermentern produ-
ziert. Andere Beispiele für Bioherbizide sind z. B. die selektiv
phytopathogenen Pilze, die so genannten Mycoherbizide (Bsp.
Colletotrichum gleosporioides, Phytophtora palmivora).
Bialaphos Das Herbizid Bialaphos (L-Alanyl-L-Alanyl-Phosphinothricin)
ist ein natürliches Tripeptid bestehend aus den Aminosäuren
Alanin und Phosphinothricin. Bialaphos ist das Produkt von
zwei verschiedenen im Boden lebenden Streptomyceten-Arten.
Bialaphos, auch Gluphosinat oder Phosphinotricin genannt,
inhibiert in Pflanzen das Enzym Glutaminsynthetase und
wirkt damit als Totalherbizid: Die Aufnahme das Herbizids
geschieht nicht über die Wurzeln, sondern hauptsächlich über
die grünen Pflanzenteile und bewirkt dort eine Hemmung der
Glutaminsynthetase. Dies führt zur Anreicherung von Ammo-
nium im Blattgewebe der Pflanze und zu einem Mangel an Glu-
tamin und anderen Aminosäuren. In der Folge kommt es zur
Hemmung der Photosynthese und schließlich zum Absterben
des Blattgewebes und der gesamten Pflanze. Durch genetische
Manipulation können auch Pflanzen mit Gluphosinat-Resis-
tenz gezüchtet werden (Grüne Gentechnik).
Mit den Methoden der modernen Biotechnologie können
auch konventionelle Pestizide oder deren Zwischenprodukte
produziert werden. Ein Beispiel hierfür ist das biotechnologi-
sche Verfahren zur Herstellung von chiralen Phenoxypropio-
BMBF-Projekt „Enzymatische Vernetzung der Haut zur Ledererzeugung“
Die Gerbung von Häuten ist ein seit Jahrhunderten etabliertes
Verfahren zur Herstellung von Leder. Schon immer war die
Gerberei mit der Entstehung von schmutzbelastetem Abwasser
und Abfällen verbunden.
Hier setzt das vom BMBF geförderte Projekt „Enzymatische
Vernetzung der Haut zur Ledererzeugung“ unter der Projektlei-
tung der N-Zyme-Biotec GmbH, Darmstadt, in der Zusammen-
arbeit mit dem Lederinstitut Gerberschule Reutlingen und dem
Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen, Freiberg
an: Um die Umweltbelastungen durch schwermetallhaltige
Chemikalien wie z. B. Chrom(III)-Salzen im Gerbprozess zu redu-
zieren, sollen innovative biotechnologische Prozesse entwickelt
werden.
Chromgerbung zur Lederproduktion Leder wird aus der Haut geschlachteter Tiere hergestellt.
Dabei wird die Haut durch die Gerbung zu dem neuen Produkt
„Leder“. Die Chromgerbung stellt mit ca. 85 % Anteil an der
weltweiten Ledererzeugung das gegenwärtig wichtigste Gerb-
verfahren dar. Andere Gerbverfahren, z. B. unter Anwendung
von Aluminium- oder Zirkon-Salzen und/oder Aldehyden (d. h.
Glutaraldehyd und -derivate), sowie die Gerbung mit pflanzli-
chen und synthetischen Gerbstoffen kommen nur für spezielle
Produkte zum Einsatz, da hierdurch eine andere Lederqualität
erzielt wird.
Neben einer Vielzahl technologischer Vorteile, die die
Gerbung mit Chromsalzen aufweist, besteht der Nachteil
dieses Verfahrens in den umweltgefährdenden Eigenschaften
des Schwermetalles Chrom. Insbesondere aus der Fähigkeit von
Chrom(III) zur Bildung von toxischem Chrom(VI) kann eine
Umweltgefährdung resultieren.
Chromsalze stabilisieren die Haut unter anderem mittels
hydratisierter Komplexe, die sich zwischen die Carboxylgrup-
pen (Glutaminsäure, Asparaginsäure) des Kollagens einlagern.
Eine umweltfreundliche Alternative zur Vernetzung und Stabi-
lisierung von Haut stellt die Nutzung von Enzymen dar.
Die proteinmodifizierenden Eigenschaften von Trans-
glutaminasen legten frühzeitig ihre Anwendungen in
biotechnologischen Verfahren nahe. Insbesondere in der
Lebensmitteltechnologie findet das bakterielle Enzym von
Streptomyces mobaraensis bereits großtechnischen Einsatz.
Transglutaminasen sind dafür bekannt, dass sie Proteine durch
Verknüpfung der Aminosäuren Lysin und Glutamin kovalent
miteinander verbinden. Das vom BMBF geförderte Vorhaben
„Enzymatische Vernetzung der Haut zur Ledererzeugung“
bietet die Möglichkeit, ein auf biotechnologischen Prinzipien
basierendes Gerbverfahren unter Verwendung von bakteriel-
ler Transglutaminase zu entwickeln, welches eine innovative
und umweltfreundliche Alternative zu den heutigen Gerbver-
fahren darstellt.
Die anfallenden Abfallstoffe sind untoxisch und stel-
len keinerlei Abwassergefährdung dar. Selbst wenn der
Chromeinsatz nicht vollständig vermieden werden könnte,
hätte dies positiven Einfluss auf die Abwassersituation der
Gerbereien und auf die Verwertbarkeit anfallender Nebenpro-
dukte.
21 ANWENDUNGSBEISPIELE Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff
nat-Herbiziden (2.000 t/a). Das biotechnologische Verfahren
bietet den Vorteil, dass nur die aktive chirale Form gebildet
wird.
Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff
Verschiedene Energieträger können aus Biomasse gewonnen
werden. Die wirtschaftliche Bedeutung besonders von Bioetha-
nol und Biodiesel hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich
zugenommen.
Bioethanol Bioethanol (Ethylalkohol) wird durch die Fermentation von Zu-
ckern normalerweise mit Hilfe von Hefen produziert. Diese Zu-
cker können aus verschiedenen Rohstoffen gewonnen werden
wie Zuckerrüben, Rohrzucker, Mais, Getreide und organische
Abfälle. Um schwerer fermentierbare Substrate wie organische
Abfälle oder lignozellulosehaltige Substrate für die Bioethanol-
Produktion verwenden zu können, ist es notwendig, kom-
plexere Moleküle wie Pentose oder Zellulose aufzuschließen.
So genannte Super Bugs (siehe Seite 25) – hoch spezialisierte,
genetisch veränderte Mikroorganismen – werden entwickelt,
die durch ihre enzymatische Ausstattung in der Lage sind, auch
diese Substrate zu Glucose bzw. Ethanol zu metabolisieren. Der
Alkohol kann durch einfache Destillation aus dem Fermentati-
onsmedium gewonnen und nach einem Dehydrierungsschritt
als Bioethanol verwendet werden.
In Europa ist eine Bioethanolbeimischung zu normalem
Kraftstoff von bis zu 5 % erlaubt. Vor allem in den USA und
Brasilien werden große Mengen Bioethanol als Bio-Kraftstoff
genutzt. Weltweit wurden z. B. im Jahr 2002 26 Mio. Tonnen
Ethanol produziert, von denen 63 % als Kraftstoff verwendet
wurden.
Biodiesel Biodiesel wird aus pflanzlichen Fetten und Ölen produziert.
In Europa wird der größte Anteil des Biodiesels aus Rapsölen
gewonnen. Raps eignet sich für die Herstellung von Biodiesel,
da der Fettgehalt in den Samen bei etwa 40 bis 45 % liegt. Aus der
Rapssaat wird zunächst in der Ölmühle das Öl gewonnen, das zu
fast 95% aus C18-Fettsäuren besteht, die mit dem dreiwertigen
Alkohol Glyzerin über Esterbindungen verknüpft sind. In einer
einfachen chemischen Reaktion tauschen diese drei Fettsäuren
in Gegenwart eines Katalysators ihren Platz am dreiwertigen
Glycerin mit einwertigem Methanol. So entstehen drei einzelne
Fettsäuremethylester-Moleküle und ein Glycerin-Molekül. Aus
den Fettsäuremethylester-Molekülen wird der Biodiesel her-
gestellt. Normalerweise sind für die Produktion des Biodiesels
keine Verfahren der Industriellen Biotechnologie erforderlich,
es wird aber daran gearbeitet, das chemische Katalyseverfahren
durch nachhaltigere biotechnologische Verfahren zu ersetzen.
Biogas Biogas ist normalerweise das Produkt der Methanfermentation
von Biomasse. Dieser Prozess erfordert die Zusammenarbeit
verschiedener Mikroorganismen, die komplexes organisches
Material in Kohlendioxid (CO2) und Methangas transformieren
können. Dabei können 90 % des Energiegehaltes des Rohstoff-
Materials in Form von Biogas wiedergewonnen werden. An dem
Konzept „Biomasse zu Biogas“ wird derzeit intensiv gearbei-
tet. Seine zukünftige Entwicklung ist dabei abhängig von
der Entwicklung von Energiepflanzen, Rohstoff-, Agrar- und
Energiepreisen und einer Optimierung der biotechnologischen
Verfahren.
Wasserstoff Ein weiterer interessanter Energieträger, der aus Biomasse
produziert werden kann, ist molekularer Wasserstoff (H ). 2
Wasserstoff kann durch eine Kombination verschiedener
mikrobiologischer Fermentationsprozesse aus organischem
Material gewonnen werden. Bisher ist es möglich, 30 % des En-
ergiegehalts des Ausgangsmaterials in Form von H2 zurück zu
gewinnen. Die Verbesserung der H2-Gewinnung aus Biomasse
wird Gegenstand zukünftiger Forschungsbemühungen sein.
Biopolymere
Die biotechnologische Herstellung von Bausteinen und
Polymeren für die Kunststoff- und Polymerindustrie ist ein
weiteres zukunftsträchtiges Innovationsfeld biokatalytischer
Verfahren. An der Entwicklung von biologisch abbaubaren
biokompatiblen Polymeren wird seit vielen Jahren intensiv ge-
forscht. Auf dem Markt sind modifizierte Produkte auf der Basis
nachwachsender Rohstoffe (z. B. Stärke, Cellulose), biotechno-
logisch hergestellte Polymere (z. B. Polyhydroxyfettsäuren PHF,
Polylactide) oder chemisch synthetisierte abbaubare Polymere.
Immer noch sind die Herstellungskosten der Biopolymere so
hoch, dass sie keine Anwendung als Bulkprodukte wie Verpa-
ckungsmaterial oder Folien finden.
Durch biotechnologische Verfahren können petrochemi-
sche Verfahren für die Produktion von Ausgangsverbindungen
für die Kunststoffherstellung ersetzt werden. Die Weiße Bio-
technologie ermöglicht darüber hinaus auch die Produktion
22 Biopolymere ANWENDUNGSBEISPIELE
neuartiger, biologisch abbaubarer Ausgangsverbindungen für
die Kunststoffherstellung im Hightech-Bereich. Beispiele hier-
für sind 1,3-Propandiol (PDO), neuartige biologisch abbaubare
Polymerprodukte aus Polylactid (PLA) oder Poly-beta-Hydroxy-
butyrat (PHB).
Verschiedene internationale Konzerne haben bereits Bio-
polymere in ihr Produktportfolio integriert. So produziert Car-
gill Dow jährlich mehr als 140.000 t des biologisch abbaubaren
PLA-Kunststoffs NatureWorksTM und Toyota Rayon verwendet
bereits heute schon PLA-Kunststoffe in Fahrzeugmodellen.
Ein weiteres Beispiel für wirtschaftlich erfolgreiche Biopolyme-
re ist die neue synthetische Polyester-Faser Sorona® von DuP-
ont. In einer Kooperation zwischen den Firmen Genencor und
Du Pont wurde ein E. coli-Stamm entwickelt, der vier gentech-
nische Veränderungen enthält, die es möglich machen, dass
aus dem Ausgangssubstrat Glukose enzymatisch 1,3-Propan-
diol gebildet wird, der monomere Baustein des synthetischen
Polyesters, aus dem Sorona® besteht.
BMBF-Projekt „Enzymatische Entrostung – Entwicklung eines biotechnologischen Verfahrens zur Entfernung von Korrosionsschichten von metallischen Oberflächen“
Die Beseitigung von Metallkorrosionen ist in den Industrielän-
dern ein bedeutender Wirtschaftszweig, denn Metallkorrosio-
nen verursachen hohe Kosten.
Das derzeit am meisten eingesetzte Verfahren zur Entros-
tung ist das Beizen mit Flusssäure oder anderen hochkonzen-
trierten anorganischen Säuren. Hierbei entstehen Probleme
wie der Verschleiss von Werkzeugen, gesundheitliche Beein-
trächtigung der beteiligten Beschäftigten durch Dämpfe sowie
Entsorgungskosten für die anfallenden gebrauchten Säurekon-
zentrate. Neben dem Beizen werden mechanische Verfahren
(Sandstrahlen) und elektrolytisch-chemische Verfahren zur
Entfernung von Korrosionen eingesetzt.
Rost besteht hauptsächlich aus Eisen(III)Oxid (Fe2O3) in dem
das Eisen dreiwertig vorliegt. Da Eisen ein essentielles Spuren-
element für das Wachstum von Mikroorganismen ist, haben
Mikroorganismen im Verlauf der Evolution spezielle Strategien
zur Eisenaufnahme entwickelt, um auch unter eisenarmen
Bedingungen überleben zu können: sie scheiden so genannte
Siderophore, biologische Komplexbildner, in die Umgebung
aus. Siderophore sind in der Lage, Fe3+-Ionen mit hoher Affinität
zu komplexieren und an der Mikroorganismenzellmembran als
Fe2+-Ionen wieder abzugeben. Siderophore sind sehr effektive
Komplexbildner. Die Effektivität der biologischen Eisenauf-
nahme zeigt sich auch daran, dass mehr als 99% der im Meer
vorkommenden gelösten Eisenmenge in organisch gebundener
Form vorliegt.
Verschiedene Versuche zeigten, dass das Siderophor Desferri-
oxamin E auch in geringen Konzentrationen (0,1%) in der Lage
ist, Eisen(III)oxidschichten von Blechen abzutragen. Im Rahmen
des BMBF-Projekts „Enzymatische Entrostung – Entwicklung ei-
nes biotechnologischen Verfahrens zur Entfernung von Korrosi-
onsschichten von metallischen Oberflächen“ konnte unter der
Projektleitung der ASA Spezialenzyme GmbH, Braunschweig, in
Zusammenarbeit mit der Bio-Logik-Control, Karlsruhe, und der
Chemie und Biotechnologie GmbH, Gütersloh, ein Tauchbad
entwickelt werden, das auf Basis mikrobieller Siderophore und
beigemischter Hilfsstoffe innerhalb von ein bis zwei Stunden zu
einer Entrostung von Metallblechen führt.
Die Wiederverwendung des Siderophors ist durch den Ein-
satz von Reduktionsmitteln grundsätzlich möglich. Es gelang
eine Rückgewinnung von 56 % des eingesetzten Siderophors.
Die Ergebnisse der durchgeführten toxikologischen Tests
zeigten keinerlei Effekte durch die getesteten Siderophore.
Somit kann man davon ausgehen, dass human-, tier-, pflanzen-
und ökotoxikologische Probleme, hervorgerufen durch den
praktischen Einsatz der Siderophore, eher unwahrscheinlich
sind.
Erfolgreiche Praxistests zur Entrostung von Schrottmetall-
teilen sowie von Formteilen zeigten die Anwendbarkeit des ent-
wickelten Verfahrens unter realen Bedingungen. Im Vergleich
zu konventionellen Beizsäuren und Sandstrahlverfahren sind
wirtschaftlich interessante Anwendungen möglich.
23 GRUNDLAGEN Microorganismen
Grundlagen der Weißen Biotechnologie
Die Weiße Biotechnologie basiert auf den Stoffwechsel-
leistungen, die Mikroorgansimen erbringen. Enzyme
tierischer, pflanzlicher oder mikrobieller Herkunft haben
sich dabei zu bedeutenden technischen und analytischen
Hilfsreagenzien entwickelt.
Die Weiße Biotechnologie verwendet Mikroorganismen oder
deren Bestandteile, um mit Hilfe ihrer Stoffwechselleistungen,
wertvolle biotechnologische Produkte herzustellen oder wich-
tige chemische Reaktionen durchzuführen. Die Ausgangsquelle
für die Stämme, die in der Industriellen Biotechnologie einge-
setzt werden, ist die Natur. Es wird geschätzt, dass mehr als zwei
Milliarden verschiedene Spezies von Mikroorganismen existie-
ren, von denen weniger als 1% bisher bekannt sind. Diese Mikro-
organismen erbringen erstaunliche Stoffwechselleistungen, die
sich die Industrielle oder Weiße Biotechnologie zunutze macht.
Mehr als 10.000 verschiedene natürlich vorkommende Enzyme
werden vermutet, von denen erst ein Bruchteil bekannt ist.
Mikroorganismen
Mikroorganismen umfassen eine große und vielfältige Gruppe
mikroskopisch kleiner Organismen, die als einzelne Zellen oder
Zellansammlungen leben. Die mikrobiellen Zellen sind von
Membranen umgeben, was eine Grundvoraussetzung für Leben
ist. Nur durch die Kompartimentierung können die chemischen
Komponenten des Lebens ausreichend konzentriert vorliegen,
um alle notwendigen chemischen Reaktionen zu ermöglichen.
Zellen sind dabei kein geschlossenes System, sondern kommuni-
zieren mit der Umgebung und tauschen Stoffe aus.
Mikroorganismen existieren bereits seit 3,8 Milliarden Jahren
auf der Erde, also lange bevor Pflanzen oder Tiere entstanden.
Escherichia coli
Tetraedermodell in der Fischer-Projektion
Ihre evolutionäre Vielfalt übertrifft bei weitem die der höher
entwickelten Organismen. Sie können an Extremstandorten in
Bezug auf Druck, Sauerstoffgehalt und chemischen Stress leben.
Es werden mehr als zwei Milliarden Spezies geschätzt, von denen
weniger als 1% bisher entdeckt und klassifiziert werden konnte.
Ihre vielfältigen physiologischen Fähigkeiten machen Mi-
kroorganismen zu hochspezialisierten Chemikern. Sie verstoff-
wechseln z. B. Kohlenstoffverbindungen wie Kohlenmonoxid
(CO) und Methan (CH4), Sulfate und Schwefel oder Nitrate und
toxische Metallverbindungen. Mikroorganismen erzeugen die
Hälfte des elementaren Sauerstoffs auf der Erde. Die außeror-
dentliche Vielfalt ermöglicht es spezialisierten Mikroorganis-
men, in einer erstaunlichen Fülle von Habitaten zu leben, z. B.
auch unter extremen Lebensbedingungen (Extremophile). Sie
können unter normalerweise tödlich wirkenden Faktoren wie
einem pH-Wert von 11 und 300 g Salz pro Liter Wasser ebenso
überleben wie unter den Druck- und Lichtverhältnissen in 2,4
km Meerestiefe oder in 350°C heißen, schwermetallsulfid-rei-
chen Hydrothermalschloten. Diese Anpassung an eine Vielfalt
ökologischer Nischen ist nur durch die ungewöhnlichen Fähig-
keiten von Mikroorganismen möglich und macht sie damit zu
wertvollen Quellen für unbekannte Enzyme oder Gene.
Mikroorganismen machen auch einen großen Teil der
Biomasse der Erde aus. Etwa 60% der Biomasse besteht aus
Mikroorganismen.
Es gibt prokaryotische und eukaryotische Mikroorganis-
men. Prokaryotische Organismen besitzen keinen membra-
numschlossenen Zellkern. Zu den Prokaryoten gehören die
Bacteria und Archaea. Eukaryoten haben eine komplexere
Struktur, membranumschlossene Organellen und einen Zell-
kern, zu ihnen gehören die Algen, Pilze und Protozoen (und
eben auch alle höheren multizellulären Organismen). Proka-
ryotische und eukaryotische Mikroorganismen haben eine
24 Biokatalyse und Fermentation GRUNDLAGEN
enorme evolutionäre Diversität ausgebildet. Die Genome von
Mikroorganismen sind von vergleichsweise geringer Größe,
was ihre Analyse vereinfacht.
Die Weiße Biotechnologie verwendet Mikroorganismen,
um mit Hilfe ihrer Stoffwechsel-Spezialisierungen wertvolle
Wirtschaftsprodukte herzustellen oder wichtige chemische
Reaktionen durchzuführen. Quelle für die Stämme, die in der
industriellen Mikrobiologie eingesetzt werden, ist die Natur.
Die verwendeten Stämme wurden von so genannten Wildtyp-
Stämmen zu wertvollen Industriestämmen weiterentwickelt,
die hochspezialisiert sind und hohe Erträge produzieren.
Mikroorganismen, die in der industriellen Anwendung einge-
setzt werden, müssen in geeigneten preisgünstigen Medien
kultivierbar sein, schnell wachsen, möglichst nicht pathogen
sein und sollten das gewünschte Produkt in Kultur in großem
Maßstab relativ schnell bilden können.
Biokatalyse und Fermentation: Enzyme
Enzyme beeinflussen und steuern fast alle chemischen Reakti-
onen in lebenden Zellen – z. B. sämtliche Stoffwechselvorgänge
sowie den Aufbau aller Zellbestandteile. Mehr als 10.000 ver-
schiedene natürlich vorkommende Enzyme werden geschätzt,
mehr als 3.000 Enzyme sind inzwischen bekannt. Selbst ein so
kleiner Organismus wie das Darmbakterium Escherichia coli
nutzt mehr als 500 verschiedene Enzyme.
Enzyme wirken als Biokatalysatoren, d. h. sie helfen bei der
chemischen Reaktion von Ausgangsstoffen oder Substraten in
andere Produkte, ohne sich dabei selbst zu verändern.
Enzyme bewirken als Biokatalysatoren den Ablauf chemi-
scher Reaktionen unter den Druck-, pH-Wert- und Temperatur-
bedingungen, die in einer Zelle herrschen. Sie ermöglichen
dadurch erst die Lebensprozesse.
In allen Zellen von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen
laufen in jeder Sekunde Tausende von enzymatischen Reaktio-
nen geordnet ab. Die Reaktionen sind dabei hochspezifisch,
d. h. nur bestimmte Substrate können von einem Enzym in ein
definiertes Produkt umgesetzt werden. Die Biokatalyse findet
an dem so genannten aktiven Zentrum eines Enzyms statt. Die
Substrate passen zu dem aktiven Zentrum durch ihre dreidimen-
sionale Konfiguration wie „der Schlüssel zum Schloss“. Schon
geringfügig veränderte Substrate können von dem spezifischen
BioFuture-Preisträger Rolf Müller „Heterologe Expression und Modifikation von Naturstoff-Biosynthesewegen aus Myxobakterien“
BioFuture ist eine Förderinitiative des BMBF zur Unterstützung
des wissenschaftlichen Nachwuchses auf dem Gebiet der Bio-
technologie. Seit 1998 beteiligten sich mehr als 1.400 Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler an diesem Wettbewerb.
51 Preisträgerinnen und Preisträger konnten sich in einem an
hohen Qualitätskriterien orientierten Auswahlverfahren durch-
setzen. Sie werden beim Aufbau einer Nachwuchsgruppe sowie
der Bearbeitung eines selbst gewählten Forschungsthemas
finanziell unterstützt. Ziel des Wettbewerbs ist die Gewinnung
exzellenter Nachwuchskräfte für die Wirtschaft und Wissen-
schaft im Bereich Biotechnologie. Inzwischen haben zahlreiche
Fruchtkörper des Myxobakteriums Chondromyces crocatus
Preisträgerinnen und Preisträger erfolgreich ihre berufliche
Entwicklung in der Wissenschaft oder der Wirtschaft vorange-
bracht. Einer der Gewinner ist Prof. Dr. Rolf Müller, der an der
Universität des Saarlandes, Pharmazeutische Biotechnologie,
forscht.
Sein Projekt „Heterologe Expression und Modifikation von
Naturstoff-Biosynthesewegen aus Myxobakterien“ beschäftigt
sich mit den bodenbewohnenden Myxobakterien, die seit eini-
gen Jahren als herausragende Produzenten von Naturstoffen
mit biologischer Aktivität zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Die interessanten Produkte könnten zu potenziellen Quellen
für neue Leitstrukturen in der Pharmaindustrie werden. Dies
macht die Untersuchung der Naturstoffe, ihrer Synthesewege,
der beteiligten Enzyme und Gene erforderlich.
Myxobakterien sind langsam wachsende Mikroorganismen.
Systeme für die genetische Modifikation dieser Bakterien sind
aber bisher kaum oder gar nicht etabliert. Wegen der vielfälti-
gen Synthesefähigkeiten der Myxobakterien ist es wünschens-
wert, genetische Hilfsmittel für die Expression kompletter
Biosynthese-Gencluster in geeigneten Wirtsorganismen zu
entwickeln. In dem Projekt von Müller werden Pseudomona-
den und schnell wachsende thermophile Myxobakterien als
potentielle Wirtsbakterien für die Myxobakterien-Produkte
untersucht. Das Ziel soll dabei die Produktion neuer, modifizier-
ter oder anderweitig schwer zugänglicher myxobakterieller
Naturstoffe in geeigneten Wirtsorganismen sein.
25 GRUNDLAGEN Biokatalyse und Fermentation
Streptomyceten für die „kombinatorische“ Biosynthese
Enzym nicht mehr umgesetzt werden. Im aktiven Zentrum wer-
den die Reaktionspartner kurzzeitig gebunden, und hochreakti-
ve chemische Gruppen werden räumlich so zusammengebracht,
dass die chemische Reaktion unter den Umgebungsbedingun-
gen stattfinden kann. Dies bedeutet, dass die Aktivierungsen-
ergie, die für den Ablauf der chemischen Reaktion ohne einen
Katalysator notwendig wäre, stark gesenkt wird.
Das aktive Zentrum kann durch einen konkurrierenden
Hemmstoff blockiert werden. Dieser wird selbst nicht umge-
setzt, passt aber nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip in das akti-
ve Zentrum und verhindert durch die Blockade die eigentliche
Umsetzung des Substrates (kompetitive Hemmung).
Enantiomerenselektivität Ein großer Vorteil von Enzymen gegenüber chemischen Ka-
talysatoren besteht darin, dass sie nicht nur für die Substrate
hochspezifisch sind, sondern auch für die ablaufende chemi-
sche Reaktion und damit für die entstehenden Produkte.
In chemischen Reaktionen werden häufig Enantiomere
gebildet. Dies sind Moleküle, die sich bei gleicher chemischer
Struktur wie Bild und Spiegelbild in ihrer räumlichen Anord-
nung voneinander unterscheiden. Die Enantiomer-Gemische
nennt man Racemate. Da sich die zueinander spiegelbildlichen
Moleküle in ihrer biologischen Aktivität stark voneinander
unterscheiden, sind Synthesen mit hoher Enantiomerenselekti-
vität von Vorteil. Enzyme sind dank ihrer hohen Spezifität in der
Lage, nur eine enantiomere Form eines Moleküls zu bilden.
Die meisten Biokatalysatoren sind Proteine, das heißt sie
sind aus Aminosäuren aufgebaut. Für ihre katalytische Wir-
kung benötigen sie oft zusätzliche chemische Komponenten,
die man Cofaktoren nennt. Die Enzyme können in der Weißen
Biotechnologie für die Produktion von Ausgangsstoffen, als
Bestandteil des Produktionsprozesses oder aber als biotechno-
logisches Produkt von Bedeutung sein.
Biokatalysatoren sind von entscheidender Bedeutung für
eine erfolgreiche Nutzung des Potenzials der Weißen Biotech-
nologie. Als Biokatalysatoren werden in biotechnologischen
Prozessen entweder isolierte Enzyme oder Organismen verwen-
det, die eine bestimmte Kombination von Enzymen enthalten.
Dabei kann es sich zum Beispiel um Mikroorganismen wie Pilze,
Bakterien oder Algen handeln, die natürlich oder gentechnisch
verändert sein können.
In einem charakteristischen biotechnologischen Prozess
werden Rohstoffe in einem geschlossenen Reaktor (z. B. einem
Fermenter) unter Energieeinsatz zu einem oder mehreren Pro-
dukten umgesetzt. Die dabei stattfindende chemische Reaktion
benötigt definierte Temperaturen und Drücke. Durch die Betei-
ligung von Biokatalysatoren kann die Synthese der gewünsch-
ten Produkte bei milden Reaktionsbedingungen in Bezug auf
Druck, Temperatur sowie pH-Wert stattfinden, und es wird eine
höhere Ausbeute ermöglicht. Die Produktion ist dadurch oft
kostengünstiger und umweltschonender, als dies mit konventi-
onellen chemischen Verfahren zu erreichen wäre. Mit Hilfe von
Biokatalysatoren können neue Produkte hergestellt werden, für
die es bisher keine chemischen Synthesemöglichkeiten gibt.
Die Biokatalyse gilt als wesentliche Innovationskraft für die
Weiße Biotechnologie: Für die industrielle Produktion liegt das
Potenzial der Biokatalyse in der Entwicklung neuer Prozesse
mit hochspezifischen Stoffumwandlungen, die energie- und
ressourcensparend sind und keine Abfallstoffe produzieren, die
nicht weiter verwendbar sind.
Molecular Pharming
In den vergangenen Jahren hat das zukunftsträchtige Gebiet
des Bio- oder Molecular Pharming für die Produktion von
Wirkstoffen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Durch
geeignete gentechnische Modifikationen sollen Nutzpflanzen
als „Synthese-Reaktoren“ für hochwertige Proteine dienen.
Arzneimittel, Impfstoffe, monoklonale Antikörper für die me-
dizinische Diagnostik oder auch für technische Enzyme können
in gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden. Ein
fremdes Gen wird dabei in die Pflanze eingeschleust, damit die-
se eine Wirksubstanz – in den meisten Fällen ein rekombinantes
Protein – erzeugt. Die Wirksubstanz kann dann aus der Pflanze
Pflanzen liefern nicht nur Nahrung, sondern auch wertvolle Roh-
stoffe für die Industrie. Eine Reihe von Unternehmen hat sich darauf
spezialisiert, durch molekularbiologische Veränderungen die Inhalts-
stoffe von Pflanzen zu optimieren.
26 Molecular Pharming GRUNDLAGEN
isoliert und weiter verarbeitet werden. Die ersten dieser in
transgenen Pflanzen produzierten pharmazeutischen Proteine
befinden sich bereits in der klinischen Prüfung.
Molecular Pharming erfordert besondere Sicherheitsmaß-
nahmen. Transgene Pflanzen, die therapeutisch wirksame
Substanzen produzieren, müssen strikt von Lebens- und
Futtermittelpflanzen getrennt werden. Biopharming-Pflan-
zen müssen auf einem Feld so angebaut werden, dass sicher-
gestellt werden kann, dass diese Pflanzen nur dort wachsen.
Um Auskreuzungen und Vermischungen zu verhindern, sind
besondere Sicherheitsauflagen bei Versuchen mit Biophar-
ming-Pflanzen erforderlich. Dies ist auch notwendig, um die
Urheber- bzw. Patentrechte zu schützen.
Für die Produktion rekombinanter Proteine in pflanz-
lichen Systemen, werden derzeit meistens stabil transfor-
mierte Pflanzen verwendet. Hierbei liegt die Menge an dem
gewünschten Produkt häufig unter 1% des Gesamtproteinge-
haltes der transgenen Pflanzen. Von Vorteil ist die Verwen-
dung von Non-Food-Pflanzen wie Tabak, da dieser nicht als
Nahrungsmittel für Tier oder Mensch dient und so Wirksub-
stanzen auch nicht irrtümlich in die Nahrungskette gelangen
können. Allerdings sind für viele Biopharming-Projekte Mais,
Raps, Tomaten und Kartoffeln die Pflanzen der Wahl. Auch an
Moos und Algen als Produktionsorganismen für Wirksubstan-
zen wird geforscht. Der Vorteil von Moos und Algen besteht
darin, dass sie in Flüssigmedien in so genannten Bioreaktoren
kultiviert werden und dadurch die Freisetzungsproblematik
entfällt (siehe S. 32). Ein alternatives Bioreaktor-Modell sind
Wurzelkulturen. Hierbei werden genetisch veränderte Pflan-
zenwurzeln steril in einem Reaktorsystem angezogen und die
Wirksubstanzen aus dem Nährmedium isoliert.
Das Molecular Pharming zur Produktion von Wirkstoffen
bietet viele Vorteile, so sind in Pflanzen sowohl die Faltung als
auch die Modifizierung der Proteine (z. B. Glycosylierung) den
Vorgängen in Säugetieren viel ähnlicher als in mikrobiologi-
schen Systemen. Zudem sind pflanzliche Produktionssysteme
frei von menschlichen Krankheitserregern oder Viren. Darü-
ber hinaus können durch den Einsatz pflanzlicher Systeme die
derzeitigen Produktionsengpässe bei Bioreaktoren umgangen
und damit die Produktionskosten erheblich gesenkt werden.
BMBF-Projekt „Entwicklung eines biokatalytischen und nachhaltigen Verfahrens zur industriellenHerstellung enantiomerenreiner Amine und Alkohole“
Der Schwerpunkt des BMBF-Projekts „Entwicklung eines bio-
katalytischen und nachhaltigen Verfahrens zur industriellen
Herstellung enantiomerenreiner Amine und Alkohole“ unter
Projektleitung der Degussa AG lag auf der Entwicklung von
maßgeschneiderten „Designerzellen“ und deren Anwendung
in industriell wichtigen Redoxreaktionen. Die Arbeiten wurden
in Kooperation mit Partnern der Universität Stuttgart, der
Universität Düsseldorf der FAL Braunschweig und dem Biotech-
Unternehmen BRAIN AG, Zwingenberg, durchgeführt.
Der Markt für chirale Wirkstoffe wächst kontinuierlich
um mehr als 10 % jährlich. So wurde von dem Beratungsunter-
nehmen Frost & Sullivan der Umsatz mit chiralen Wirkstoff-
Intermediaten für das Jahr 2003 auf 7,7 Mrd. US-$ geschätzt,
der erwartete Umsatz für das Jahr 2009 auf fast 15 Mrd. US-$.
Besonders in der Pharmaindustrie wächst die Nachfrage nach
entantiomerenreinen Produkten kontinuierlich. Aber auch in
der Kosmetik-, Lebensmittel- und Futtermittelindustrie sind
für viele Produkte enantiomerenreine Wirkstoff-Intermediate
erforderlich. Enantiomerenreine Synthesemethoden werden
daher immer wichtiger in der chemischen Industrie.
Zu diesem Zweck wurde im Rahmen des BMBF-Projekts
„Entwicklung eines biokatalytischen und nachhaltigen Ver-
fahrens zur industriellen Herstellung enantiomerenreiner
Amine und Alkohole“ eine Technologieplattform entwickelt,
mit deren Hilfe durch Ganzzellkatalyse in Redoxreaktionen
enantiomerenreine Aminosäuren und Alkohole synthetisiert
werden können. Für die Ganzzellkatalyse werden Designer-Zel-
len entwickelt, die die jeweils geeigneten Kombinationen der
geeigneten Enzyme rekombinant in Hochleistungsstämmen
von E. coli enthalten. Durch den interdisziplinären Ansatz des
Projekts konnte eine erfolgreiche Redox-Technologieplattform
entwickelt werden, die es ermöglichte, eine Reihe von Verfah-
ren auf dem Gebiet der Redoxreaktionen bereits im technischen
Maßstab zu etablieren.
Die jeweiligen Reaktionsarten und Zielprodukte unter
Verwendung von Redox-Ganzzellkatalysatoren umfassen dabei
bislang:
• Produktion chiraler Alkohole für die Pharmaindustrie
durch asymmetrische Reduktion von Ketonen mit
Ganzzellkatalysatoren
• Produktion natürlicher Alkohole für die Aromaindustrie
durch Reduktion von Aldehyden mit Ganzzellkatalysa-
toren
• Produktion chiraler L-Aminosäuren für die Pharma-
industrie durch asymmetrische reduktive Aminierung
von Ketosäuren mit Ganzzellkatalysatoren
Diese Arbeiten zur Redoxtechnologie mit maßgeschneiderten
Ganzzellkatalysatoren für die Herstellung von Alkoholen und
L-Aminosäuren erfuhren Anerkennung durch das Erreichen
der Endrunde beim Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft
2004 und wurden kürzlich mit dem Degussa-Innovationspreis
2005 in der Kategorie „Neue oder verbesserte Prozesse“ ausge-
zeichnet und.
27 TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG Designer Bugs
Technologien zur Optimierung von Mikroorganismen und Enzymen
Die technologischen Durchbrüche auf den Gebieten der
Enzymentwicklung, der Biokatalyse oder der genetischen
Modifizierung von Mikroorganismen zeigen ständig neue
Potenziale der Weißen Biotechnologie auf.
Ziel ist dabei die Entwicklung neuer biotechnologischer
Prozesse und die Optimierung vorhandener Prozesse,
um biologische Wirkprinzipien für die industrielle
Produktion nutzen zu können.
Die Biotechnologie ist für die Entwicklung neuer biotechnolo-
gischer Prozesse und die Optimierung vorhandener Prozesse
auf die Identifizierung von geeigneten Mikroorganismen und
deren Enzyme angewiesen. Mikroorganismen und Zellen müs-
sen ganz speziellen Anforderungen genügen, um in industriel-
len Prozessen eingesetzt werden zu können. Hierzu gehört die
leichte Kultivierbarkeit, die gentechnische Manipulierbarkeit
und die Fähigkeit, DNA stabil aufzunehmen. Die in industriel-
len Prozessen verwendeten Stämme und Zelllinien unterliegen
einer ständigen Optimierung zur Erhöhung der Produktaus-
beute.
Von den ca. 10.000 in der Natur vermuteten Enzymen
werden bisher nur etwa 130 Enzyme in unterschiedlichen indus-
triellen Verfahren genutzt. Es gibt einen großen Bedarf, weitere
natürliche Enzyme mit neuen Eigenschaften zu identifizieren
und zu isolieren. Sie können direkt aus den Organismen isoliert
oder über die Gewinnung von Metagenomen, d. h. der Gesamt-
heit der Genome eines Biotops (s. u.), gesucht werden.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Enzyme und Mikro-
organismen für biokatalytische Prozesse zu optimieren. Im
Folgenden sollen die wichtigsten Technologien vorgestellt
werden.
Designer Bugs
Die Weiße Biotechnologie setzt Biokatalysatoren für Stoffum-
setzungen ein. Bei den Biokatalysatoren handelt es sich um iso-
lierte Enzyme oder um intakte Zellen bzw. Mikroorganismen.
Der Begriff „Designer Bugs“ beschreibt Stämme verschie-
dener Spezies von Mikroorganismen, die mit gentechnischen
Methoden gezielt so verändert wurden, dass sie die gewünsch-
ten biotechnologischen Reaktionen mit hoher Effizienz kataly-
sieren können.
Um einen maßgeschneiderten, industriell nutzbaren Mikroor-
ganismen-Stamm zu identifizieren, müssen die unerwünschten
Eigenschaften des Wildstammes eliminiert oder reduziert wer-
den, die die Ausbeute an Produkten limitieren. Die gewünsch-
ten industriell nutzbaren Eigenschaften müssen dagegen
verstärkt werden, um eine höhere Ausbeute zu erzielen.
Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae
Maßgeschneiderte Mikroorganismen müssen mit Hilfe der mo-
dernen Molekularbiologie nicht mehr durch Zufallsmutagene-
se, Selektion und Screening gefunden werden, sondern können
gezielt konstruiert bzw. „designed“ werden.
Mit der Verfügbarkeit der Sequenzinformation ganzer
mikrobieller Genome haben sich Verständnis und Möglich-
keiten genetischer Manipulation enorm verbessert. Mehr als
200 verschiedene Spezies sind bisher vollständig sequenziert,
dies bedeutet: ihre genetische Information ist entziffert und
ermöglicht eine Identifizierung des Stoffwechselpotenzials
verschiedener Mikroorganismen. Trotz vollständig bekannter
Genom-Sequenzen ist das synthetische Potenzial von Mikroor-
ganismen bei Weitem nicht ausgenutzt. Viele der möglichen
Genprodukte sind noch immer unbekannt.
Nicht alle Spezies eignen sich für die Entwicklung von
„Designer Bugs“. Die Mikroorganismen müssen gentechnisch
gezielt veränderbar sein, und DNA stabil aufnehmen können.
Vorteilhaft sind dabei Mikroorganismen, die ein geringes Ge-
fährdungspotenzial für Mensch und Umwelt haben. Es werden
daher häufig Ausgangsstämme verwendet, für die die moleku-
larbiologischen Methoden etabliert sind, so z. B. Escherichia coli,
Bacillus subtilis, Corynebacterium glutamicum oder die Bäcker-
hefe Saccharomyces cerevisiae. Die Art und Anzahl der geneti-
schen Veränderungen kann dabei variieren.
28 Metabolic Pathway Engineering TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG
Durch einen weiteren Ausbau der Systembiologie und eine
Verbesserung des Wissens von Genomik, Proteomik, Metabo-
lomik und anderer „Omik“-Technologien wird eine zielgerich-
tete Konstruktion von „Designer Bugs“ auch in Zukunft weiter
verbessert werden können.
Metabolic Pathway Engineering
Das Metabolic Pathway Engineering hat die zielgerichtete
Verbesserung zellulärer Eigenschaften durch die Verän-
derung oder Einführung neuer biochemischer Reaktionen
unter Anwendung rekombinanter DNA-Techniken zum
Ziel: Zwischen 100 bis 1.000 Prozesse laufen zeitlich parallel
im Stoffwechsel einer Zelle ab. Die Analyse dieser Prozesse
ermöglicht Erkenntnisse über die industrielle Nutzbarkeit
von Stoffwechselprozessen in Mikroorganismen. Metabolic
Pathway Engineering befasst sich mit einer gezielten Ver-
änderung der Genexpression von Organismen, um Stoff-
wechselprozesse zu verändern bzw. die Produktionsleistung
zu verbessern. Dabei wird die gesamte Zelle als Bioreaktor
verwendet und optimiert. Zunächst müssen die Netzwerke,
die Stoffwechselwege und deren Produkte analysiert werden.
Die Modulation erfolgt in Stoffwechsel-Netzwerken, deren
Analyse durch molekularbiologische Methoden erst möglich
ist (Proteom-Analysen, DNA-Arrays, Systembiologie u. v. m.).
Die verschiedenen Stoffwechselpfade einer Zelle werden da-
bei derart manipuliert, dass einzelne Stoffwechselvorgänge
modifiziert, eliminiert oder verstärkt werden. Dies geschieht
durch gezielte Veränderung der Zellphysiologie oder der
Regulationsfunktionen.
In mathematischen Modellen können Stoffwechselpfade
in Mikroorganismen simuliert und analysiert werden.
BMBF-Projekt „Designermikroorganismen – Die Zelle als nachhaltige Fabrik, dargestellt am Beispiel der Produktion chiraler Hydroxyverbindungen“
Chemische Moleküle bilden so genannte Enantiomeren-Paare,
die sich wie Spiegelbilder zueinander verhalten, also „chiral“
sind. Interessanterweise kommt in der Natur in der Regel im-
mer nur eines dieser Spiegelbilder zum Einsatz, während das
andere einfach nicht „passt“. Gerade im Bereich der Medizin
und der Schädlingsbekämpfung ist es daher wichtig, das akti-
ve Enantiomer zu verwenden, um die notwendigen Wirkstoff-
mengen klein zu halten. Die chemische Synthese von enantio-
merenreinen Produkten ist jedoch sehr aufwändig und teuer.
Enzyme sind darauf beschränkt, enantiomerenreine Verbin-
dungen herzustellen, es liegt also nahe, diese Werkzeuge der
Natur auch für die industrielle Produktion zu nutzen.
Im Bereich der Produktion enantiomerenreiner Alkohole
ist die Verwendung von Alkoholdehydrogenasen (ADH) schon
seit langem ein Standardverfahren: Ein in sich symmetrisches
Keton könnte chemisch zu einem spiegelbildlichen Enantio-
merenpaar von Alkoholen reduziert werden, die zueinander
nicht symmetrisch, aber chiral sind. Die Verwendung einer
entsprechenden Alkoholdehydrogenase ermöglicht nun die
selektive Herstellung nur eines dieser Spiegelbilder.
Die Produktion solcher Alkoholdehydrogenasen geschieht
heute durch Bakterien, denen die Gene für interessante ADH
mittels gentechnischer Methoden eingefügt wurden. Die
Zellwand und -membran dieser Bakterien wird mechanisch
zerstört und dieser Rohextrakt als Biokatalysator im Produkti-
onsprozess eingesetzt.
Neben der ADH wird für die Reaktion ein Cofaktor und
ein weiteres Enzym benötigt (Glucosedehydrogenase oder
Formiatdehydrogenase). Zur Herstellung der beiden Enzy-
me müssen normalerweise zweimal Bakterien angezüchtet
werden, die jeweils das Gen für eines der beiden interessanten
Enzyme enthalten. In dem BMBF-Projekt „Designermikroor-
ganismen“ soll nun unter der Projektleitung der Jülich Chiral
Solution GmbH in Zusammenarbeit mit dem FZ Jülich und der
Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, versucht werden den
Prozess so zu optimieren, dass weder mehrere Fermentatio-
nen durchgeführt werden müssen, noch größere Mengen des
Cofaktors in der Reaktionslösung benötigt werden. Das wird
möglich durch Bakterien, die beide Enzyme enthalten.
Bei der Entwicklung der geeigneten Mikroorganismen
sind einige Hürden zu überwinden: Es muß ein Organismus
gefunden werden, dessen Zellmembran durchlässig genug ist,
um den nötigen Stoffaustausch zuzulassen, aber auch fest ge-
nug, das System zusammen zu halten. So werden neben Coli-
Bakterien auch Organismen der Spezies Bacillus untersucht.
Nicht jede natürliche Alkoholdehydrogenase ist geeignet.
Die Suche nach neuen ADH ist daher ein wichtiger Bestandteil
des Projektes. Ebenfalls arbeitet nicht jede ADH mit jedem
Cofaktorregenerierungssystem zusammen, so daß man die
richtigen Paarungen finden muß. Die Reaktionsdurchführung
selbst mit all ihren Parametern wie Temperatur, zeitabhän-
gigen Substratkonzentrationen, Einsatzmenge der Bakterien
und die Aufarbeitung des Produktes werden ebenfalls unter-
sucht.
Mit der Produktion eines chiralen Alkohols hat man
eine Substanz erzeugt, die den Ausgangspunkt zur Synthese
vieler industriell interessanter Produkte im Bereich Pharma,
Nahrungsmittel oder Agrochemie bildet. Wenn diese mit ver-
ringertem Energieaufwand, Abfallaufkommen und Wasser-
verbrauch hergestellt werden können, sind auch die endgülti-
gen Produkte in ihrer Umweltverträglichkeit ein gutes Stück
weiter gekommen.
29 TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG Gelenkte Evolution
Gelenkte Evolution (Directed Evolution)
Die Natur nutzt seit Jahrmillionen die zufällige Verände-
rung von Genen (Mutation) und deren Produkten. Durch die
anschließende Selektion werden die am besten an die Umge-
bung angepassten Varianten ausgewählt. Im Labor werden mit
Hilfe unterschiedlicher Methoden (chemische, enzymatische)
verschiedene Mutanten erzeugt, die Unterschiede in der Ami-
nosäureabfolge in ihren Proteinen zeigen. Im anschließenden
Durchmusterungsverfahren werden verbesserte Proteinvarian-
ten gesucht (Screening-Verfahren). Wurde eine Enzymvariante
gefunden, die eine höhere Produktivität hat, ist das zugehörige
Gen Ausgangspunkt für die nächste gelenkte Evolutionsrunde.
Dieser Vorgang wird in iterativen Zyklen wiederholt bis die
angestrebten Verbesserungen erzielt werden konnten.
Erste industriell verwendete Enzymvarianten sind das Er-
gebnis vieler Mutations- und Durchmusterungsrunden.
Hochdurchsatz-Screening-Verfahren werden in Zukunft
eine immer schnellere und effizientere Identifizierung verbes-
serter Proteinvarianten ermöglichen. Mittelfristig wird es durch
diese Verfahren zu einer Umstellung von den traditionelleren
Top-Down-Verfahren in die kostengünstigeren und ressourcen-
schonenden Bottom-Up-Verfahren kommen. Man spricht von
einem Top-Down-Ansatz, wenn ganze Zellen für die Produktion
oder Umwandlung von Stoffen eingesetzt werden, auch ohne
die Stoffwechselprozesse im Detail zu kennen. Dem Bottom-
Up-Ansatz entspricht hingegen, dass man für gewünschte
Zellfunktionen bereits bekannte, funktionierende Stoffwechsel-
prozesse heraussucht und entsprechende Biomoleküle in einer
maßgeschneiderten Zelle zusammenführt.
Enzymoptimierung – Protein Engineering
In der Natur vorkommende Enzyme besitzen einen hohen
Optimierungs- und Anpassungsbedarf für den Einsatz in indus-
triellen Prozessen. Es gibt verschiedene gentechnische Ansätze,
bekannte Enzyme zu verändern. Bei genauer Funktions- bzw.
Strukturkenntnis des Enzyms und seines Gens können gezielte
Gen- und Aminosäureveränderungen vorgenommen werden.
Durch Computersimulationen werden vorab Funktionsoptimie-
rungen ermittelt. Auf Basis dieser Simulationen werden dann
gezielt nur wenige Varianten hergestellt und in ihrer biokataly-
tischen Funktion untersucht.
Dazu werden einerseits biochemische Stoffwechselprozesse
erforscht. Andererseits werden mit Methoden der gelenkten
Evolution Enzyme dahingehend modifiziert, dass sie unter
definierten Bedingungen leistungsfähiger werden.
Mit Hilfe des Protein Engineering können maßgeschnei-
derte Enzyme hergestellt werden, mit denen biokatalytische
Reaktionen optimierbar sind.
Neben gezielten Mutationen und Rekombinationen ist das
so genannte Gene Shuffling eine Möglichkeit, verbesserte En-
zyme zu entwickeln: Das Fragmentieren und Neukombinieren
von Genen ermöglicht das „Mischen“ von Proteinstrukturen,
die bereits von der Natur vorselektiert und damit funktional
Ausstrich von Mikroorganismen, wie sie in modernen biotechnologi-
schen Prozessen als Produktionsstämme eingesetzt werden.
sind (englisch: Gene Shuffling). Ausgangspunkt sind mehrere
Varianten eines Gens oder unterschiedliche Gene mit hoher
Sequenzidentität (mehr als 80 %). Die Gensequenzen werden mit
Hilfe von Enzymen zerschnitten, und die entstehenden Frag-
mente der verschiedenen Varianten werden rekombiniert. Über
verschiedene molekularbiologische Methoden lassen sich die
Fragmente wieder zu vollständigen Genen zusammenfügen.
Man erhält dann unterschiedliche Zusammensetzungen der
Gene, die aus verschiedenen Fragmenten der unterschiedlichen
Genvarianten bestehen und viele neue Genvarianten darstellen.
Diese werden z. B. in Bakterien eingebracht und können dann
auf verbesserte Varianten hin durchgemustert werden.
Bioprospektion
Unter Bioprospektion versteht man die gezielte Suche nach
neuen Wirkstoffen in der Natur, die für kommerzielle Zwecke
synthetisiert werden können. Pflanzen, Tiere und Mikroor-
ganismen können als Ausgangsorganismen geeignet sein.
Pflanzliche Wirkstoffe werden bereits erfolgreich in der Pro-
duktion von Pharmazeutika und Arzneimitteln genutzt.
Ein großes Potenzial für die Entwicklung neuer Materia-
lien und Wirkstoffe verspricht man sich auch von der Erfor-
schung so genannter extremophiler Mikroorganismen. Dabei
handelt es sich um Mikroorganismen, die an extreme Milieus
z. B. in Geysiren oder der Tiefsee angepasst sind. Aufgrund
ihrer hochspezifischen Eigenschaften wie z. B. Druck-, Tempe-
ratur- und Säuretoleranz erscheinen die von ihnen gebildeten
Enzyme für die Nutzung in biotechnologischen Prozessen, in
denen ebenfalls Hitze, Kälte oder Säure herrschen, besonders
geeignet. Biokatalysatoren aus extremophilen Mikroorganis-
men können in industriellen Verfahren mit hohen Anforde-
rungen herkömmliche, meist teurere, langwierigere und
vor allem umweltschädlichere Verfahren ersetzen. Zugleich
ermöglichen diese Biokatalysatoren gänzlich neue, umwel-
tentlastende biotechnologische Herstellungsprozesse in der
Chemie- und Pharmaindustrie sowie in den Bereichen Kosme-
tik, Lebensmittel, Textil und Energieversorgung.
30 Genome und Metagenome TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG
Genome und Metagenome
Ein besseres Verständnis der Funktion von Mikroorganismen
setzt die Entzifferung des Genoms und damit ein besseres
Begreifen der Stoffwechselwege voraus. Das Genom ist die
Gesamtheit der Erbinformation einer Zelle. In Bakterien gibt
es neben dem Chromosom meist noch weitere ringförmige
DNA-Moleküle, die so genannten Plasmide.
Die Entzifferung ganzer Genome ist durch die techni-
schen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte möglich
geworden. Ein Meilenstein zu dieser Entwicklung war die Ein-
führung der „Schrotschuß-Sequenzierung“ (Whole Genome
Shotgun Sequencing) durch Craig Venter.
Neue Sequenzierverfahren ermöglichten in den vergange-
nen Jahren eine immer schnellere und günstigere Entschlüs-
selung genomischer Daten. Die Zugänglichkeit und Nutzbar-
keit der Genominformationen mit Hilfe der Bioinformatik,
funktionellen Genomik und der Systembiologie ermöglichen
das Auswerten sehr großer Datenmengen, das Automatisieren
der Zusammenhänge und das so genannte Data Mining.
Da ein großer Teil (mehr als 90 %) der Mikroorganismen
nicht kultivierbar und damit nicht identifizierbar ist, sind
Informationen zu deren genetischen oder physiologischen
Eigenschaften nur schwer zu ermitteln. Ein Lösungsansatz
hierfür ist die genomische Untersuchung von Metagenomen,
d. h. der Gesamtheit der Genome eines Lebensraums oder Bio-
tops oder einer Lebensgemeinschaft (Biozönose). In Metageno-
men können Biokatalysatoren aufgefunden werden, die bisher
noch nicht bekannte biochemische Reaktionen katalysieren
und neue Stoffwechselprodukte bilden.
Beispiele für Metagenomprojekte sind die Sequenzie-
rungen des Metagenoms urbaner Luft oder von mikrobiellen
Lebensgemeinschaften des menschlichen Darms, der Haut
oder der Atemwege. Aus der Menge der gewonnenen Infor-
mationen kann die Anzahl neuer Gene ohne Homologie zu
BioChance PLUS-Projekt „Entwicklung innovativer, Hochdurchsatz-Durchmusterungssysteme zum Auffinden und Verbessern von Biokatalysatoren in Metagenom- und Zufallsmutagenese-Bibliotheken“
Ein interdisziplinäres Team aus Hochschulgruppen der Inter-
national University Bremen und der Universität Stuttgart-Ho-
henheim entwickelt unter Projektkoordination der BRAIN AG,
Zwingenberg, neue Methoden zum Auffinden von verbesserten
industriell relevanten Enzymen. Enzyme haben als biologische
Screening nach Proteasen zur Waschmittelanwendung
Katalysatoren entscheidenden Anteil an einer Veredelung
und Verbesserung von natürlichen Rohstoffen und an nach-
haltigen Herstellungsprozessen für die Bereiche Feinchemie,
Textilverarbeitung, Kosmetik, Ernährung und Gesundheit.
Derzeitig steht den Zielindustrien jedoch nur eine in Umfang
und Funktionalität begrenzte Anzahl an relevanten Biokata-
lysatoren zur Verfügung. Eine Ursache hierfür ist zu einem
wesentlichen Teil die mangelnde Kultivierbarkeit potenziell
interessanter mikrobieller Spenderorganismen (z. B. Bakterien,
Pilze, Algen). Aus diesem Grund werden seit einigen Jahren mit
der Etablierung der Metagenom-Technologie die genetischen
Ressourcen von nicht kultivierbaren Mikroorganismen für die
industrielle Verwertung erschlossen. Mit modernen Methoden
der Molekularbiologie soll die biochemische und katalytische
Vielfalt mikrobieller und pflanzlicher Biodiversitäten nutzbar
gemacht werden. Um die Identifizierung weiterer industriell
hoch relevanter Enzymklassen in ausreichender Quantität und
Qualität zu beschleunigen, soll im Rahmen des Verbundvorha-
bens für die Durchmusterung von Metagenom- und Zufallsmu-
tagenese-Bibliotheken eine breit anwendbare Ultrahochdurch-
satz-Durchmusterungstechnologie entwickelt werden. Diese
basiert auf Mikrokompartimentierung in Doppelemulsionen
und Fluoreszenzsortierung mittels FACS-basierter („Fluorescen-
se Activated Cell Sorter“) Verfahren.
31 TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG Synthetische Biologie
bisher bekannten Genen ermittelt werden und darüber auf die
Anzahl der unterscheidbaren Spezies innerhalb eines Metage-
noms geschlossen werden.
Synthetische Biologie
Ende der 1990er Jahre begann man am Massachusetts Institute
of Technology (MIT) in Cambridge, MA (USA) die Synthetische
Biologie zu entwickeln. Heute gehört die interdisziplinäre
Wissenschaft zwischen Biologie und Technologie nach Ansicht
vieler Forscher zu den zukunftsträchtigsten Forschungsrich-
tungen. Die Synthetische Biologie ist dabei ein Wissenschafts-
zweig der Biologie, der mit Hilfe künstlicher biologischer Syste-
me das Verhalten natürlicher biologischer Systeme nachahmt,
um ein vertieftes Verständnis der Funktion dieser Systeme und
ihrer Evolution zu erlangen.
Zunächst wurde diese neue Teildisziplin der Biologie mit
dem Ziel entwickelt, biologische Steuervorgänge nachzubil-
den und sie besser zu verstehen. Dazu werden künstliche Gene
in Bakterien eingeschleust. Die Gene werden für diesen Zweck
designt und synthetisiert. Mit synthetischen Genen können in-
zwischen komplexe Designerproteine zusammengebaut wer-
den. Mit solchen Bausteinen, so genannten Biobricks, sollen
dann Zellvorgänge gezielt gesteuert werden, gewissermaßen
Zellmaschinen aus biologischen Bausteinen gebaut werden.
Verglichen wird dies mit einem „Baukasten biologischer Schal-
telemente“, den Biologen und Ingenieure künftig nutzen sol-
len, um neues Leben aus vorhandenen Bausteinen zu konstru-
ieren. Organismen können auf diese Weise zusammengesetzt,
auseinandergenommen und wieder neu kombiniert werden.
In der Synthetischen Biologie arbeiten Biologen, Chemiker und
Ingenieure zusammen, um abgewandelte biologische oder
künstliche Systeme zu erzeugen, mit den Zielen, verschiede-
ne Eigenschaften zu reproduzieren, biologische Systeme in
technische zu integrieren oder biologische Systeme mit neuen
Eigenschaften zu erzeugen, also synthetische Organismen.
Die Biobricks werden die Zellen in Maschinen verwandeln, die
Informationen verarbeiten, Nanomaterialien herstellen oder
medizinische Diagnosen vornehmen. Die Mikromaschinen
könnten Medikamente oder Werkstoffe bilden, die die Natur
nicht oder nur widerwillig herstellt oder aber Krebs bekämp-
fen, schädliche Stoffe aufspüren und vernichten oder Energie-
träger wie Wasserstoff produzieren.
In der Regel werden dabei die Methoden der Gentechnik
angewandt, wodurch sich Systeme ergeben, die der Evolution
unterworfen sind. Im Unterschied zu der gentechnologischen
BioFuture Preisträger Nediljko Budisa „Maßgeschneiderte Proteine“
Einer der Preisträger des BioFuture-Wettbewerbs, die sich mit
dem Themengebiet Weiße Biotechnologie beschäftigen, ist
Dr. Nediljko Budisa vom Max-Planck-Institut für Biochemie
in Martinsried. In seinem Projekt beschäftigt er sich mit der
Umprogrammierung lebendiger Zellen, die durch den Einbau
künstlicher Aminosäuren maßgeschneiderte Proteine und Bio-
materialen erzeugen sollen. Budisa möchte dabei ein schnelles,
effizientes und billiges Verfahren entwickeln, das die Herstel-
lung von neuartigen Biomaterialen mit Eigenschaften und
Funktionen ermöglicht, die in der Natur nicht vorkommen.
Die Produktion dieser neuen Materialien soll in geeigneten
gentechnisch veränderten Mikroorganismen erfolgen. Mikro-
organismen können in der Regel 20 verschiedene Aminosäuren
selbst herstellen. Durch Einsatz von veränderten Wirtszellen,
bei denen z. B. ein oder mehrere Gene für die Aminosäureher-
stellung verändert sind, kann die Aminosäureauswahl für die
Proteinsynthese beeinflusst werden. Solche Zellen können neue,
so genannte nichtkanonische Aminosäuren selbst produzieren
oder direkt aus dem Nährmedium aufnehmen. Diese neuen
Proteinbausteine können nur in entsprechend modifizierten
Zellen eingebaut werden. Die Zellen müssen dafür zahlreiche
Enzyme enthalten, die so verändert wurden, dass sie die neuen
synthetischen Aminosäuren für die Proteinsynthese verwenden
können. Die geeigneten Enzyme können durch gerichtete Evolu-
Kolibakterien mit fluoreszierenden Proteinen vor (cyan) und nach
(gold) der gentechnischen Veränderung.
tion in Durchmusterungs- und Selektionverfahren identifiziert
werden. In dem Projekt des BioFuture-Preisträgers Budisa sollen
Mikroorganismen durch gezielte experimentelle Intervention
(z. B. Knock-out vorhandener Gene, Einbau neuer Gene, Import
der Gene anderer Mikroorganismen) befähigt werden, selbst die
neuen Aminosäuren herzustellen und direkt in das Zielprotein
einzubauen. Ziel des Projektes ist dabei die Entwicklung neuer
therapeutischer oder diagnostischer Werkzeuge, nicht-invasiver
Sensoren oder neuer umweltfreundlicher Materialien auf Basis
von Proteinen mit synthetischen Aminosäurebestandteilen.
32 Synthetische Biologie TECHNOLOGIEN ZUR OPTIMIERUNG
Veränderung von Organismen werden in der Synthetischen
Biologie nicht einzelne Gene verändert, sondern der ganze
Organismus neu kombiniert. Die Synthese ganzer Viren ist
inzwischen gelungen, die Erzeugung eines synthetischen
Bakteriums samt Membran ist jedoch wesentlich komplexer.
Bisher gibt es noch keine greifbaren Ergebnisse, denn das
Design dieser synthetischen Zellmaschinen benötigt noch
sehr viel mehr Zeit. Verschiedene Projekte werden verfolgt,
um zum Beispiel Bakterien zu schaffen, die entsprechend
bestimmter Vorgaben funktionieren. So sollen beispielsweise
Bakterien entwickelt werden, die den Treibhauseffekt und
die Energieprobleme der Welt lösen, indem sie Kohlendioxid
binden und Wasserstoff produzieren. Die Dimensionen der
Synthetischen Biologie sind noch unabsehbar. Ob es tatsäch-
lich in Zukunft gelingt, Biobausteine in gleicher Weise wie
zum Beispiel Elektronikkomponenten herzustellen und nach
einem Baukastenprinzip zu kombinieren, ist noch vollkom-
men offen.
BMBF-Förderinitiative „Genomik-Plus – Funktionale Genomforschung an Mikroorganismen für industrielle Produktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“
Das bundesweite Genomforschungsnetzwerk „BiotechGeno-
Mik – from Genomes to Functions to Products“ wird vom BMBF
im Rahmen der Förderinitiative „Genomik-Plus – Funktionale
Genomforschung an Mikroorganismen für industrielle Pro-
duktion, Ernährung, Umwelt und Gesundheit“ (siehe Seite 12)
gefördert. Das Netzwerk besteht aus 20 Einzelprojekten an 14
verschiedenen Forschungseinrichtungen mit einer Koordinati-
onszentrale an der Universität Göttingen. Zwei Industrieunter-
nehmen mit eigenen Projekten und 12 weitere Unternehmen als
Kooperationspartner sind in das Netzwerk eingebunden. Das
Netzwerk ist in drei Projektverbünde mit den Kurztiteln Bacil-
lOMik, GenoMik Engineering und MetaGenoMik gegliedert. Im
Verbund BacillOMik steht die funktionelle Genomforschung an
Bacillus licheniformis, einem industriell für die Produktion von
Enzymen eingesetzten Bakterium, im Vordergrund. Ziel ist da-
bei das bessere Verständnis der zellulären Vorgänge während
des Produktionsprozesses. Weitere vielversprechende Produk-
tionsorganismen wie Ralstonia eutropha, Gluconobacter oxydans
oder Clostridium ljungdahlii, deren Genomsequenzen wie auch
die von Bacillus licheniformis in Göttingen ermittelt wurden,
stehen im Zentrum der Forschungsarbeiten des Verbundes
GenoMik Engineering. Auch hier wird mit den Methoden der
funktionellen Genomik an der Entwicklung neuer oder verbes-
serter Produktionsorganismen gearbeitet. Der dritte Verbund
MetaGenoMik hat sich zum Ziel gesetzt, die enorme mikrobielle
Biodiversität unter Einbeziehung bislang nicht-kultivierbarer
Mikroorganismen für die Entwicklung neuer Produkte und
Produktionsprozesse zu nutzen. Diverse Metagenom-Genban-
ken sollen mit neuen Screening-Methoden nach Genen für neu-
artige Enzyme und Naturstoffe durchmustert werden. In den
vergangenen Jahren der GenoMik-Förderung konnten die Göt-
tinger Netzwerkpartner wichtiges Know-how auf dem schnell
evolvierenden Gebiet der funktionellen Genomforschung
erwerben. Jetzt gilt es, hierauf aufbauend, die Forschung mit
Blick auf Anwendungspotenziale voranzutreiben. Die enge
Verknüpfung zwischen Industrie und Forschung ist dabei ein
wichtiges Anliegen des BiotechGenoMik-Netzwerkes.
33 BIOREAKTOREN UND PROZESS-DESIGN
Bioreaktoren und Prozess-Design
In der industriellen Produktion und Verarbeitung werden
Verfahren der Biotechnologie bereits heute mit großem Er-
folg eingesetzt. Die biotechnologische Produktion erfolgt
dabei überwiegend durch Mikroorganismen oder Enzyme
in Bioreaktoren oder Fermentern, die das Kernstück jeder
biotechnologischen Produktionsanlage darstellen.
Die großtechnische Herstellung von Enzymen erfolgt überwie-
gend durch Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (Bio-
reaktoren oder Fermenter). Wenn nicht die Mikroorganismen
selbst zur Biokatalyse eingesetzt werden, können die aus ihnen
isolierten Enzyme verwendet werden. Der Bioreaktor oder
Fermenter ist das Kernstück jeder biotechnologischen Produkti-
onsanlage. Betriebsreaktoren haben Fassungsvermögen von bis
zu 1,5 Millionen Litern.
In biotechnologischen Produktionen werden Reaktoren
eingesetzt, die eine exakte Prozesskontrolle und -Führung
gewährleisten. Das gängigste Modell ist der Rührreaktor, der
thermostatiert ist, über Rührwerk und Begasung verfügt und
sterile Zuleitungen und Probenentnahmeventile besitzt. Man un-
terscheidet heute drei Gruppen von Verfahren in Bioreaktoren:
1. Das diskontinuierliche Verfahren (Batch- oder Chargen-
verfahren), bei dem der Reaktionsraum zu Beginn mit
dem gesamten Ausgangsmaterial und den Mikroorga-
nismen gefüllt wird. Der Tank wird nach Beendigung der
Reaktion geleert und das Produkt gereinigt.
2. Das kontinuierliche Verfahren, bei dem dem Reaktor
ständig die Ausgangsstoffe zugeführt und ein Reakti-
onsgemisch entnommen werden. Ein Fließgleichgewicht
zwischen Durchflussrate und Wachstumsgeschwindigkeit
der Mikroorganismen muss sich dabei einstellen.
3. Es gibt auch die semi-kontinuierliche Produktion, bei der
in bestimmten Intervallen Fermentationsbrühe aus dem
Reaktionsraum abgezogen und durch neues Medium er-
setzt wird oder lediglich neues Medium zugegeben wird.
Das entscheidende Problem beim Züchten freier Zellen ist die
homogene Durchmischung des gesamten Fermentationsguts.
Bei aeroben Prozessen ist darüber hinaus ein ausreichender
Sauerstoffeintrag erforderlich. In einem Rührreaktor erfolgt
die Durchmischung mit Hilfe von Rührwerken, Pumpen oder
Turbinen, die Luft einblasen und dispergieren.
In Membranreaktoren werden keine homogenen Mischun-
gen aus Medium und Zellen verwendet, sondern das Produkt
wird vom Katalysator (Zelle oder Enzym) durch eine Membran
getrennt. Beim Hohlfaserreaktor sind die Katalysatoren auf
der äußeren Oberfläche von Hohlfasern immobilisiert, durch
die das Medium strömt. In Festbettreaktoren wird eine Ober-
flächenvergrößerung durch die Füllung mit Trägermaterial
erreicht, das aus porösem Glas oder Cellulose bestehen kann.
Eine Immobilisierung der Katalysatoren hat verschie-
dene Vorteile, z. B. die Erhöhung der Katalysatorstabilität,
die Verlängerung der Lebensdauer, die Möglichkeit einer
Mehrfachverwendung, eine einfachere Produktreinigung und
oft auch eine verbesserte Produktqualität. Enzyme können
dabei nicht nur in wässrigem Milieu bzw. Medium aktiv sein,
sondern auch in apolaren Lösungsmitteln (z. B. organische
Lösungsmittel). Für das biotechnologische Verfahren ist dann
ein Zweiphasensystem erforderlich, d. h. der Einschluss der
Enzyme in geeignete Hydrogele oder cross-linked enzyme
cristals (CLEC).
Jede mikrobielle Fermentation muss überwacht werden, um
sicherzugehen, dass das Verfahren richtig abläuft. Das Wachs-
tum der Mikroorganismen und die Produktbildung müssen
ständig kontrolliert werden. Im Zuge der rasanten Entwick-
lung der Sensortechnik ist eine Erfassung von Temperatur,
pH-Wert, Zellmasse, Nährstoffkonzentration und Produkt-
konzentration in Echtzeit möglich. Durch den Einsatz von mo-
derner Computer- und Datenverarbeitung im Zusammenspiel
mit immer empfindlicherer Mess- und Regelungstechnik ist
eine echte Regelung aller Prozessparameter mit minimalem
Personalaufwand möglich.
Die vorbereitenden Maßnahmen für die Fermentation
und die Aufbereitung der Substratlösung für den Bioreaktor
wird „Upstream-Processing“ genannt – die Schritte, die von
34 BIOREAKTOREN UND PROZESS-DESIGN
der Fermentationslösung über die Abtrennung des Produkts
bis zum gereinigten Endprodukt notwendig sind, nennt man
„Downstream-Processing“.
Werden die Produkte von den verwendeten Mikroorga-
nismen in das Medium abgesondert, ist die Aufreinigung
durch Filtration einfacher (Bsp. Penicillin). Schwieriger ist die
Gewinnung des Produktes, wenn die Mikroorganismen und
Zellen erst aufgeschlossen werden müssen und das Produkt
von den restlichen Zellinhalten getrennt werden muss. Das
Produkt kann dann in weiteren Schritten z. B. chromatogra-
phisch gereinigt und aufkonzentriert werden.
Für das Übertragen biotechnologischer Prozesse aus dem
Labor auf den großtechnischen Maßstab sind umfangreiche
verfahrenstechnische Kenntnisse erforderlich. Die Maßstabs-
vergrößerung ist ein komplizierter Schritt in der Industriellen
Biotechnologie. Problematisch sind dabei vor allem Belüftung
und Mischung in einem industriellen Fermenter. Von einem
Laborfermenter erfolgt zunächst der Schritt zu einer Pilot-
anlage, bevor man das Verfahren in einem kommerziellen
Fermenter testet. Durch den Einsatz von Computersimulation
können Reaktionsbedingungen biotechnologischer Prozesse
in nächstgrößeren Verfahrensmaßstäben simuliert werden.
Mit Hilfe geeigneter Software kann der Molekülfluss im Re-
aktor oder die Stoffwechselaktivität der Zellen bzw. Enzyme
vorab berechnet („in silico“) werden. Mathematische Modelle
können dafür verwendet werden, die Wirkung verschiede-
ner Parameter auf Wachstum und Produktausschüttung zu
ermitteln. Mit einem solchen Ansatz kann die Maßstabsüber-
tragung (das Scale-up) vom Labor in die industrielle Produk-
tion zur Verringerung aufwändiger Vorversuche erleichtert
werden. Grundlage hierfür sind nicht nur bioinformatische
Programme und leistungsstarke Rechner, sondern auch ein
sehr genaues Verständnis der Stoffwechselvorgänge in den
verwendeten Mikroorganismen.
BMBF-Projekt Bioproduktion „Physcomitrella patens als Bioreaktorzur Produktion heterologer, pharmazeutisch relevanter Proteine“
Das BMBF-geförderte Projekt „Physcomitrella patens als Biore-
aktor zur Produktion heterologer, pharmazeutisch relevanter
Proteine“ beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung des Moos-
bioreaktors. Er wurde 1999 von der Firma greenovation Biotech
in Freiburg zum Patent angemeldet. Das Besondere der Tech-
nologie ist die Verwendung von Moosen in biotechnologischen
Prozessen als Proteinproduktionssystem. Durch gentechnische
Veränderungen kann das Moos Physcomitrella patens in die Lage
versetzt werden, pharmazeutische Proteine wie z. B. Antikörper
oder Enzyme zu produzieren. In Mooszellen können die Zucker-
ketten gezielter und konsistenter verändert werden als dies in
anderen Zellkultursystemen möglich ist. Zahlreiche Proteine
in biologischen Systemen tragen Zuckerketten. Diese Zucker-
strukturen sind an wichtigen biologischen Abläufen beteiligt
Bioreaktor mit Physcomitrella patens
und für zahlreiche Eigenschaften von Proteinen verantwortlich.
Sie beeinflussen z. B. Bindungseigenschaften, Verträglichkeit,
Aktivität oder Stabilität. Bei der Herstellung rekombinanter
Proteine mit biotechnologischen Verfahren besteht eine der
Schwierigkeiten darin, die natürlichen Zuckerstrukturen der
Proteine nachzubilden. Dies ist besonders bei den Proteinen von
Bedeutung, die in Form von Medikamenten eingesetzt werden
sollen, also den Biopharmazeutika.
In dem BMBF-Projekt wurde unter Leitung der greenova-
tion Biotech GmbH in Zusammenarbeit mit den Universitäten
Karlsruhe und Freiburg der menschliche Blutgerinnungsfaktor
IX als Zielprodukt ausgewählt. Dabei sollte der Moosbioreaktor
vom Versuchsstadium zu einem technischen Maßstab weiterent-
wickelt werden. Hierfür mussten zunächst die einzusetzenden
Moosstämme optimiert werden, d. h. sie mussten gentechnisch
so verändert werden, dass sie die Proteine mit den gewünschten
Zuckerverbindungen herstellen konnten. In weiteren Schritten
wurden die Kulturbedingungen und die verwendeten Expressi-
onsprozesse angepasst und die gewonnenen Proteine optimiert.
Um das Problem der Produktion in industriellem Maßstab zu
lösen, wurde auf ein bestehendes Konzept aus der Algenkulti-
vierung zurückgegriffen. Dabei werden große Volumina durch
eine gewundene Glasröhre erreicht, in der das Medium mit der
Produktionspflanze zirkulieren kann und in der die optima-
le Lichtausbeute, die das Moos für das Wachstum benötigt,
gewährleistet ist. Der Produktionsorganismus „Moos“ konnte
im Laufe des BMBF-Projektes für die industrielle Produktion von
Proteinen etabliert werden. Dies ist besonders für die Produkti-
on von Biopharmaka wichtig, da Zuckerstrukturen kontrolliert
beeinflusst werden können.
35 INDUSTRIELLE PRODUKTION Technische Enzyme
Industrielle Produktion
Die Bedeutung der Weißen Biotechnologie in der che-
mischen Industrie ist in den letzten Jahren kontinuierlich
gestiegen. Als Produkte gewinnen neben Feinchemikalien
auch so genannte Bulk- oder Grundchemikalien und tech-
nische Enzyme zunehmend an Bedeutung.
Zu den wichtigsten biotechnologisch hergestellten Produkten
der Weißen Biotechnologie gehören heute Bioethanol, Zitro-
nensäure, die Vitamine C und B12 sowie Antibiotika. Rund 130
verschiedene Enzyme werden in biotechnologischen Prozessen
eingesetzt (DECHEMA, 2005).
In zunehmendem Maß werden so genannte Bulk- oder Grund-
chemikalien wie z. B. Vitamin C mit Hilfe biotechnologischer
Verfahren hergestellt. Bulkchemikalien sind Produkte, von denen
jährlich mehr als 10.000 Tonnen (t/a) produziert werden (SusChem
2005).
Die größten Wachstumsraten für die Weiße Biotechnolo-
gie werden jedoch in der steigenden Produktion von Feinche-
mikalien mit Hilfe biotechnologischer Verfahren gesehen.
Aktuell werden nach Untersuchungen des Beratungsunter-
nehmens McKinsey schätzungsweise 5 % der chemischen
Produkte durch biotechnische Verfahren hergestellt. Es wird
geschätzt, dass dieser Anteil bis 2010 auf 15 bis 20 % erhöht
werden kann. Der Umsatz, der durch den Einsatz von Biotech-
nologie in der chemischen Industrie erzielt werden könnte,
würde sich dann auf etwa 300 Mrd. € pro Jahr beziffern und
sich aus Umsätzen mit neuen biotechnologischen Produkten
sowie der Verbesserung bestehender Produktionsprozesse
zusammensetzen.
Technische Enzyme
Mit Hilfe der Biotechnologie lassen sich bestehende industrielle
Verfahren so optimieren oder sogar ersetzen, dass natürliche
Ressourcen geschont und die Umwelt entlastet werden. Einen
wichtigen Beitrag auf diesem Gebiet leistet die moderne Enzym-
technologie, die als Teildisziplin der Biotechnologie versucht,
Biokatalysatoren (Enzyme) für technische Prozesse nutzbar zu
machen.
Enzyme werden für chemische Produktionsprozesse immer
interessanter, um besonders die schwierigen Teilschritte einer
chemischen Synthese auszuführen. Die Vorteile der Enzymka-
talyse betreffen neben der Umwelt vor allem die Wirtschaft-
lichkeit, und so produzieren einige Unternehmen mit Hilfe von
Enzymen bereits Produkte im Tonnenmaßstab.
Produkte der Weißen Biotechnologie, die bereits heute im Tonnenmaßstab hergestellt werden (* enzymatisch hergestellt) nach DECHEMA, 2004.
Säuren Antibiotika Zitronensäure 1.000.000 Lebensmittel, Waschmittel
Essigsäure 190.000 Lebensmittel
Gluconsäure 100.000 Lebensmittel, Textil, Metall
Itaconsäure 15.000 Kunststoff, Papier, Klebstoff
L-Apfelsäure* 100 Säuerungsmittel
Aminosäuren
L-Glutamat 1 500.000 Geschmacksverstärker
L-Lysin 700.000 Futtermittel
L-Threonin 30.000 Futtermittel
L-Asparaginsäure* 13.000 Aspartam-Herstellung
L-Phenylalanin 10.000 Aspartam, Medizin
L-Tryptophan 1.200 Ernährung, Futtermittel
L-Arginin 1.000 Medizin, Kosmetik
L-Cystein 500 Pharma, Lebensmittel
L-Alanin* 500 Infusionslösungen
L-Methionin 400 Infusionslösungen
Lösungsmittel Bioethanol 18.500.000 Lösungsmittel, Energieträger
Penicilline 45.000 Medizin, Futtermittelzusatz
Cephalosporine 30.000 Medizin, Futtermittelzusatz
Tetracycline 5.000 Medizin Biopolymere
Polylactid 140.000 Verpackung
Xanthan 40.000 Erdölförderung, Lebensmittel
Dextran(-derivate) 2.600 Blutersatzstoff
Vitamine
Ascorbinsäure (Vit. C) 80.000 Pharma, Lebensmittel
L-Sorbose 50.000 Pharma, Lebensmittel
(Vit. C Vorstufe)
Riboflavin (B2) 30.000 Wirkstoff, Futterzusatz Kohlenhydrate Glucose* 20.000.000 Flüssigzucker
High Fructose Syrup* 8.000.000 Getränke, Ernährung
Fructooligosaccharide* 10.500 Präbiotikum
Cyclodextrine* 5.000 Kosmetik, Pharma,
Lebensmittel
Produkt Weltjahres produktion (t/a)
Anwendung Produkt Weltjahres produktion (t/a)
Anwendung
36 Technische Enzyme INDUSTRIELLE PRODUKTION
Da der Zeitraum für eine molekularbiologische Optimierung
von Enzymen in den letzten Jahren um den Faktor 10 bis 100 ge-
sunken ist und Stabilität und Produktivität stark gestiegen sind,
spielen Enzyme eine zunehmende Rolle in biotechnologischen
Produktionsprozessen und als biotechnologische Produkte
(DECHEMA, 2004). Der Markt für technische Enzyme liegt
aktuell bei 1,7 Milliarden Euro mit jährlichen Wachstumsraten
von etwa 10 % . Allein in den USA wird der Markt für Enzyme
für pharmazeutische, industrielle und andere biokatalytische
Anwendungen bei Wachstumsraten von 6 % bis zum Jahr 2008
auf 1,9 Mrd. US-$ steigen (DECHEMA, 2004).
Technische Enzyme werden überwiegend in folgenden Sekto-
ren verwendet:
50 % Lebensmittel/Getränke
35 % Wasch- und Reinigungsmittel
5 bis 14 % Textilindustrie
4 bis 5 % Feinchemikalien/Pharmazeutika
1 bis 3 % Papierindustrie
1 % Lederindustrie
Durchschnittlich 60 % der eingesetzten technischen Enzyme
werden mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen produ-
ziert, mit stetig steigendem Anteil (VDI, 2006).
Biotechnologische Feinchemikalien- und Spezialchemikalienproduktion
Das größte Potenzial der Weißen Biotechnologie wird in der
Wirkstoffproduktion der Feinchemie gesehen. Als Produkte der
Feinchemie werden Substanzen betrachtet, die einen hohen
Funktionalisierungsgrad aufweisen und in Tonnagen von welt-
weit weniger als 10.000 t/a produziert werden (im Gegensatz
zu Bulkchemikalien s. o.). Die wachsende Bedeutung enantio-
merenreiner Wirkstoffe z. B. für die Pharmaindustrie wird dazu
führen, dass bis zum Jahr 2010 etwa 60 % des Umsatzvolumens
pharmazeutischer Produkte biotechnologisch hergestellt
BMBF-Projekt „Neuartige Haloperoxidasen aus Basidiomyceten“
Haloperoxidasen gehören zu den vielseitigsten Enzymen
überhaupt. Sie katalysieren neben klassischen Peroxidase-
Reaktionen und Halogenierungen auch die stereoselektiven
Oxidationen von unterschiedlichsten organischen Substraten.
Haloperoxidasen sind durch ihre hohe Spezifität und ihr syn-
thetisches Potenzial für technische Anwendungen von großem
Interesse. Sie eignen sich für enantioselektive Synthesen von
Feinchemikalien, als schonende Halogenierungsmittel oder als
oxidierende Agenzien.
Bisher waren Haloperoxidasen nur aus Schimmelpilzen,
Bakterien und Algen bekannt. Erstmalig gelang es in dem
BMBF-Projekt den Partnern unter Leitung der JenaBios GmbH
in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Lausitz, dem Inter-
nationalen Hochschulinstitut Zittau, der Universität Rostock,
der Fachhochschule Zittau/Görlitz und der Schering AG, Berlin,
aus einem höheren Pilz, dem Ständerpilz Agrocybe aegerita
(Südlicher Ackerling), eine Haloperoxidase zu isolieren und
zum Patent anzumelden.
Der Südliche Ackerling ist ein schnellwüchsiger Holz- und
Mulch-bewohnender Pilz aus der Verwandtschaft des Champi-
gnons, der in Südeuropa als kommerzieller Zuchtpilz angebaut
wird (Piopino) und auch labortechnisch in Bioreaktoren kulti-
viert werden kann. Dabei wird gezielt auf die Enzyminduktion
gescreent. Da die Ständerpilze besonders artenreich sind und
weltweit vorkommen, ist davon auszugehen, dass im Rahmen
des Projektes interessante Enzympräparate mit neuen katalyti-
schen Eigenschaften gefunden werden können. Insbesondere
Reaktionen, die auf chemischem Wege nicht oder nur unspe-
zifisch durchführbar sind, stehen dabei im Mittelpunkt des
Interesses. Ziel des Projektes ist es, neuartige Haloperoxidasen
aus Basidiomyceten zu produzieren, zu reinigen, zu charakteri-
sieren und prozesstechnisch zu erproben. Die Haloperoxidasen
sollen dabei über bisher nicht realisierbare katalytische Eigen-
schaften verfügen.
Bisher sind erst wenige Haloperoxidasen kommerziell
erhältlich. Mit der chlorierenden Haloperoxidase von A. aege-
rita steht ein erstes Enzym dieses Typs aus Basidiomyceten zur
Verfügung, das gegenüber bekannten Haloperoxidasen eine
Reihe von Besonderheiten aufweist: Es hat ein breiteres Subst-
ratspektrum und ein höheres pH-Optimum (weniger sauer), das
Enzym ist in der Lage, eine Vielzahl von chemischen Reaktio-
nen zu katalysieren, darunter einige, die biotechnologisch von
großem Interesse sind. Letztlich wird eine Vermarktung von
Haloperoxidasen entscheidend von den Herstellungskosten
abhängen, d. h. inwieweit es gelingt, die Enzyme in geeigneten
biotechnologischen Verfahren herzustellen.
INDUSTRIELLE PRODUKTION Bulkprodukte 37
werden. Bereits heute basieren mehr als 50 % der wichtigsten
100 Arzneimittel auf enantiomerenreinen Wirkstoffen. Mit
traditionellen (chemisch/physikalischen) Katalysatoren ist es
nicht möglich, enantiomerenreine Produkte zu synthetisieren.
Da sich die enantiomeren Formen chiraler Moleküle in ihrer
biologischen Aktivität stark voneinander unterscheiden, ist es
jedoch wünschenswert, Prozesse zu entwickeln, die eine eantio-
merenselektive Produktion ermöglichen. Antibiotika und ihre
Zwischenprodukte gehören zu den wichtigsten Feinchemikali-
en mit einem geschätzten Marktwert von 20 Mrd. Euro. Da ihre
chemische Struktur meist komplex ist und es keine chemischen
Synthese-Alternativen gibt, werden sie zu einem überwiegen-
den Teil mit fermentativen Verfahren produziert.
Es wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2010 bei der Produkti-
on von 30 bis 60 % aller Feinchemikalien ein biokatalytischer
Schritt involviert sein wird. Der aktuelle weltweite Marktanteil
biotechnischer Verfahren im Bereich Feinchemikalien wird auf
50 Milliarden US-$ geschätzt und soll in den nächsten 10 bis 20
Jahren auf über 250 Milliarden US-$ ansteigen. Derzeit werden
auf dem Gebiet der Feinchemikalien mit Methoden der Weißen
Biotechnologie zum überwiegenden Teil chirale Verbindungen
hergestellt.
Durch Biokatalyse ist es möglich, reinere Ausgangsstoffe für
Arzneimittel, verträglichere Kosmetika und gesündere Lebens-
mittel herzustellen.
Bulkprodukte
Unter Bulkprodukten oder Basischemikalien versteht man
chemische Produkte, die weltweit in Mengen von mehr als
10.000 Tonnen pro Jahr hergestellt werden. Durch verbesserte
Up-scaling-Methoden finden biotechnologische Verfahren zu-
nehmend Einsatz in der großtechnischen Produktion. In einer
McKinsey-Studie wird geschätzt, dass der Anteil biotechnolo-
gischer Verfahren an der Produktion von Bulkchemikalien bis
zum Jahr 2010 auf 6 bis 12 % steigen wird.
Biotechnologisch hergestellte Bulkchemikalien werden
überwiegend in der Lebensmittel-, Genußmittel- und Futter-
mittelindustrie verwendet. Hierzu gehören L-Glutaminsäure
(1 Mrd. t/a), Zitronensäure (1 Mrd. t/a), L-Lysin (700 Mio. t/a),
Milchsäure (150 Mio. t/a), Gluconsäure (100 Mio. t/a) und Vita-
min C (80 Mio. t/a). Ein weiteres Beispiel für die Verwendung
von Basischemikalien, die mit Hilfe der Weißen Biotechno-
logie hergestellt werden, ist Acrylamid. Acrylamid dient als
Ausgangsmaterial für die Produktion eines breiten Spektrums
chemischer Produkte. Erstmal wurde 1985 ein biotechnologi-
sches Produktionsverfahren unter Verwendung des Enzyms
Nitrilhydratase zur Herstellung von Acrylamid eingeführt.
Heute werden Schätzungen zufolge weltweit mehr als 100.000t/a
Acrylamid biotechnologisch hergestellt. Zunehmend an Inter-
esse gewinnen in jüngster Zeit auch biotechnologische Verfah-
BioChance PLUS-Projekt „Entwicklung und Produktion neuartiger Enzyme für industrielle Anwendungen“
Das BioChance Plus-Projekt „Entwicklung und Produktion
neuartiger Enzyme für industrielle Anwendungen“ der Direvo
Biotech AG, Köln hat das Ziel vollkommen neuartigen Enzy-
men für industrielle Anwendungen zu entwickeln und zu
produzieren. Die Enzyme sollen dabei für den Einsatz in einem
breiten Anwendungsspektrum, wie beispielsweise im Futter-
und Lebensmittelbereich, in der Kosmetik- und Reinigungs-
mittelindustrie und in der industriellen Synthese chemischer
Zwischenprodukte maßgeschneidert sein. Der entscheidende
Unterschied zu herkömmlichen Verfahren liegt in der Gene-
rierung völlig neuer enzymatischer Funktionen für welche in
der Natur bislang keine adäquaten Enzyme gefunden werden
konnten oder die nicht existieren. Das Einsatzspektrum solcher
Enzyme in industriellen Anwendungen ist hierbei immens. Die
überwiegende Mehrzahl der von Konsumenten oder der Indus-
trie gewünschten industriellen Anwendungen konnte bislang
nicht oder nur unzulänglich mittels Enzymen durchgeführt
werden. Dieser Sachverhalt spiegelt das enorme Potenzial der
Generierung von Enzymen mit neuen Aktivitäten und Spezifitä-
ten wider.
Um erstmals Zugang zu einer solchen Klasse von neuar-
tigen Produkten in Form von Enzymen mit neuen Funktio-
nen zu finden, wurde ein einzigartiges technisches Konzept
entwickelt, das die Generierung von Enzymen mit gänzlich
neuen molekularen Funktionen ohne Vorbilder in der Natur
ermöglicht. Dieses Konzept konnte bereits in verschiedenen
Machbarkeits-Studien überprüft werden und ist patent- und
markenrechtlich geschützt.
Die vollkommen neuartige so genannte NBE-Technologie
wird in dem Projekt „Entwicklung und Produktion neuartiger
Enzyme für industrielle Anwendungen“ auf den kommerziell
bedeutenden industriellen Anwendungsbereich übertragen.
Eine schnelle Generierung entsprechender Produkte in die-
sem Bereich mit anschließender Vermarktung soll so erreicht
werden.
38 Bioraffinerie INDUSTRIELLE PRODUKTION
ren, mit denen Monomere und Polymere für die Kunststoff- und
Polymerindustrie hergestellt werden können. Beispiele hierfür
sind Polylactid (PLA), 1,3-Propandiol (PDO) oder Poly-3-Hydroxy-
butyrat-co-3-Hydroxyhexanoat (PHBH).
Bioraffinerie
Der Anbau nachwachsender Rohstoffe gehört neben der Bereit-
stellung von Nahrungsmitteln seit Jahrhunderten zu den Haupt-
aufgaben der Landwirtschaft. Farbstoffe, Lampenöle, Schmier-
und Reinigungsmittel oder Fasern für die Textilindustrie sind
Beispiele hierfür. Nach der Entdeckung fossiler Rohstoffe als
Basis für synthetische Produkte wurden pflanzliche Rohstoffe zu-
nehmend verdrängt. Die chemische Industrie ist heute in vielen
Bereichen auf kohlenstoffhaltige Rohstoffquellen angewiesen.
Fossile Rohstoffe (Erdöl, Erdgas und Kohle) werden zu einem
hohen Anteil sowohl als primäre Energielieferanten als auch als
Grundstoffe für zahlreiche petrochemische Verfahren genutzt.
Dabei werden etwa 4 % der fossilen Rohstoffe stofflich genutzt.
Der Anteil der nachwachsenden Rohstoffe am Gesamtroh-
stoffeinsatz in der chemischen Industrie wächst jedoch seit eini-
gen Jahren wieder kontinuierlich und liegt derzeit bei etwa 10%,
wobei hier ein deutlich größeres Potenzial gesehen wird (vgl. BIO
2004). Für eine intensivere stoffliche und energetische Nutzung
nachwachsender Rohstoffe stellen Bioraffinerietechnologien
eine wichtige Voraussetzung dar.
Unter einer Bioraffinerie versteht man eine Anlage, die
pflanzliche Rohstoffe in industriell verwertbare Zwischen- und
Endprodukte umwandelt. Die Biomasse dient dabei als Fermen-
tationsmedium. Ein Beispiel hierfür ist die enzymatische Hydro-
lyse lignozellulosehaltiger Biomassen, deren Cellulosebestand-
teile in die Produkte Glucose und Cellobiose fermentiert werden,
die entweder direkt verwendbar sind, als Ausgangsstoffe für
Feinchemikalien oder zur Ethanolproduktion dienen können.
BMBF-Projekt BioExPoSys „Entwicklung von Verfahren zur Herstellung mikrobieller Exopolysaccharide als wasserlösliche Verdicker“
Wasserlösliche, polymere Verdicker haben eine große wirtschaft-
liche Bedeutung und finden in vielen Industriezweigen Anwen-
dung. Darunter fallen u. a. die Lebensmittel- und die Kosmetik-
industrie sowie die Verwendung in technischen Anwendungen
wie z. B. als Bohr- oder als Flockungshilfsmittel. Der Gesamtmarkt
für diese Anwendungen liegt bei mehreren 100.000 Tonnen pro
Jahr. Gegenwärtig handelt es sich bei den Verdicker-Produkten
häufig um Polyacrylate sowie Derivate von diesen. Die zumeist
preiswerten Produkte haben zwar gute anwendungstechnische
Eigenschaften, sie sind jedoch nicht biologisch abbaubar und
stellen damit eine ökologische Belastung dar. Zudem basieren
die Polyacrylat-Produkte auf fossilen (petrochemischen) Rohstof-
fen, die immer knapper und teurer werden.
Die Suche nach alternativen Ausgangsstoffen für Verdi-
cker wird daher immer notwendiger. In vielen Fällen haben
mikrobielle Biopolymere, wie z. B. Polysaccharide, gegenüber
Mikrobiologische Herstellung von Bernsteinsäure
chemischen Verdickern entscheidende Vorteile. Neben den
positiven Produkteigenschaften basieren die Polysaccharide auf
nachwachsenden Rohstoffen und sind biologisch abbaubar. Im
Lebensmittelbereich werden Polysaccharide wie Xanthan und
Carragenan bereits häufig verwendet. Im Bereich technischer
Anwendungen führen sie jedoch noch ein Schattendasein.
Ziel des BMBF-Projekts unter Leitung der Degussa AG mit
Beteiligung von deutschen Universitäten und kleinen mittelstän-
dischen Unternehmen ist die Etablierung von wettbewerbsfähi-
gen, biotechnologischen Verfahren zur Herstellung mikrobieller
Biopolymere. Dabei vereinen die Arbeiten systembiologische
Ansätze mit Bioprospecting und Prozessoptimierung.
Im systembiologischen Ansatz werden in Zusammenarbeit
mit der TU Berlin, der Universität Bielefeld und der Insilico
Biotech GmbH aus Stuttgart Genom-, Transkriptions-, Prote-
om- und Fluxanalysen von bekannten mikrobiellen Stämmen
erstellt. Die daraus gewonnenen Informationen werden zur
gentechnischen Modifikation der Stämme verwendet mit dem
Ziel, Stämme zu gewinnen, die Biopolymere mit unterschiedli-
chen Eigenschaften und mit hoher Ausbeute und Produktivität
herstellen. Die evolutionäre Vielfalt von Mikroorganismen und
deren Stoffwechselwegen bietet aber ebenso einen Zugang
zu neuen und werthaltigen Biopolymeren. Im Verlauf des
Projektes wurden daher von der BRAIN AG (Zwingenberg)
hochkomplexe Bioarchive gescreent und interessante Habitate
durchsucht. Eine Vielzahl biopolymerbildender Mikroorganis-
men konnten auf diese Weise gefunden werden. Ein paralleles
und auf kleinen Maßstab spezialisiertes Fermentationssystem
hat die DASGIP AG (Jülich) entwickelt und für Mikroorganismen
mit hochviskosen Produkten optimiert.
39 INDUSTRIELLE PRODUKTION Bioraffinerie
In integrierten Bioraffinerien ist es möglich, sowohl eine
Vielzahl von Rohstoffquellen zu verwenden als auch eine breite
Palette an Chemikalien, Wertstoffen, Zwischen- und Endpro-
dukten herzustellen.
Als Biomasse können Getreide, Mais, Klee oder lignocellulo-
sehaltiges Material wie Stroh, (Bruch)-Holz oder Altpapier ver-
wendet werden. Da die meisten landwirtschaftlich genutzten
Pflanzen eher im Hinblick auf hohe Erntefruchterträge als auf
Biomassevolumina hin optimiert wurden, müssen so genannte
Energiepflanzen verstärkt gezüchtet werden.
Die Verarbeitung von Biomasse in nutzbare Produkte umfasst
zwei Entwicklungsphasen, d. h. eine dem Prozess vorgeschal-
tete sowie eine ihm nachgelagerte Phase zur Aufbereitung
der Produkte. Die vorgeschaltete Upstream-Phase schließt
sämtliche Schritte ein, die bis zur Entstehung eines verwert-
baren Substrats oder Mediums nötig sind. Zur nachgelager-
ten Downstream-Phase gehören hingegen alle Prozesse zur
Aufbereitung, Trennung und Reinigung von Bioprodukten. Die
Downstream-Phase kann auch als Bioraffination bezeichnet
werden.
Die klimatischen Verhältnisse im nördlichen Mitteleuropa
sind keine idealen Voraussetzungen für das Etablieren von
Bioraffinerien: Die notwendige Biomasse muss kontinuierlich,
in ausreichender Menge und in konstanter Qualität sowie zu
wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sein. Das heutzutage
industriell und über Bioraffinerien genutzte Material stammt
zumeist aus landwirtschaftlichen Quellen (Mais, Raps u. ä.). Für
einen kontinuierlichen Grundstoffbedarf bei flächendeckender
Umstellung auf Bioraffinerien zum Beispiel zur Kraftstofferzeu-
gung reichen solche Quellen in Deutschland bisher nicht aus.
Biomasse könnte in Zukunft zum Beispiel durch zuneh-
mende Nutzung von Forst- und anderen lignocellulosehaltigen
Biomassenabfallprodukten bereitgestellt werden. Gegenwärtig
befinden sich enzymatische Vorbehandlungstechniken in der
Entwicklung, die diese Ausgangsstoffe für biotechnische Ver-
fahren wirtschaftlich verwertbar machen.
Im Hinblick auf die Optimierung interessanter Rohstoffe
befinden sich Getreide- und Baumsorten in der Entwicklung,
deren jeweiliger Stärke-, Öl- oder Ligningehalt durch gentech-
nische Veränderung entscheidend erhöht werden konnte.
Auch könnten die Erträge der rohstofflich verwertbaren
Biomasse gesteigert werden, indem das Wachstumsverhalten
genetisch selektiv beeinflusst wird. Getestet werden Pflanzen
mit verbesserter Trocken- oder Kälteresistenz, Anregung zu
Dauerwachstum ohne tages- oder jahreszeitliche Ruhepausen
und Pflanzen mit erhöhter Fruchtfolge.
40 WEITERFÜHRENDE LITERATUR
Weiterführende Literatur
Antranikian, G. (Hrsg.): Angewandte Mikrobiologie.
Springer, Heidelberg, 2006.
Madigan, M., Martinko J., Brock Mikrobiologie, Pearson
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Sustainable Chemistry, 2005.
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Deutschland, DECHEMA, Frankfurt am Main, 2004.
DECHEMA e. V.: Biotechnologie 2020,DECHEMA, Frankfurt
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EuropaBio, White Biotechnology: Gateway to a More Sustai-
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frost.com).
Heiden, S., Zinke, H. (Hrsg.): Weiße Biotechnologie –
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www.oecd.org).
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Renneberg, R.: Biotechnologie für Einsteiger.
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(www.suschem.org).
SusChem, Industrial or White Biotechnology, 2005
(www.suschem.org).
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VDI Technologiezentrum GmbH, Düsseldorf 2006.
Zinke, H.: Weiße Biotechnologie – Neue Produkte, gesell-
schaftlicher Nutzen und Wertschöpfungspotentiale, ZEIT-
SCHRIFT FÜR BIOPOLITIK, BIOCOM Verlag, Berlin, 2004.
41 GLOSSAR
Glossar
Aminosäuren Aminosäuren sind eine Klasse organischer Moleküle mit min-
destens einer Carboxylgruppe (–COOH) und mindestens einer
Aminogruppe (–NH2). Sie dienen als Bausteine der Proteine. Von
den proteinogenen Aminosäuren sind bisher 23 bekannt.
Amylasen Amylasen sind Enzyme, die sowohl im Pflanzen- als auch im
Tierreich vorkommen. Sie spalten Polysaccharide (Vielfachzu-
cker), wie z. B. Stärke, an den Glykosidbindungen und bauen sie
auf diese Weise ab.
Antibiotika Als Antibiotika werden Medikamente bezeichnet, mit denen
Infektionskrankheiten behandelt werden. In der Medizin
werden sie gegen bakterielle Infektionen oder Infektionen
durch Protozoen eingesetzt. Im ursprünglichen Sinn sind An-
tibiotika natürlich gebildete Stoffwechselprodukte von Pilzen
oder Bakterien, die schon in geringer Menge das Wachstum
von anderen Mikroorganismen hemmen oder diese abtöten.
Darüber hinaus werden inzwischen auch solche Medikamente
mit antimikrobieller Wirkung als Antibiotika bezeichnet, die in
der Natur nicht vorkommen und synthetisch oder gentechnisch
gewonnen werden.
Archaea Archaea, früher als Archaebakterien oder Urbakterien bezeich-
net, bilden neben den Bakterien (Bacteria) und den Eukaryoten
(Eukaryota) eine der drei Domänen, in die alle zellulären Le-
bewesen eingeteilt werden. Es sind einzellige Organismen mit
einem meist in sich geschlossenen DNA-Molekül, sie besitzen
weder ein Cytoskelett noch Zellorganellen.
Bakterien Die Bakterien (Bacteria) (aus dem Altgriechischen bakterion
– Stäbchen) bilden neben den Eukaryoten und Archaea eine
der drei grundlegenden Domänen, in die heute alle Lebewesen
eingeteilt werden. Sie besitzen keinen Zellkern und gehören zu
den Prokaryoten.
Biokatalysator Biokatalysatoren sind Biomoleküle, die biochemische Reak-
tionen in Organismen beschleunigen oder verlangsamen,
indem sie die Aktivierungsenergie der Reaktionen herab- oder
(seltener) heraufsetzen. Sie gehen selbst unverändert aus den
Reaktionen hervor und können somit viele Reaktionszyklen
hintereinander katalysieren.
Biomasse Biomasse bezeichnet die Gesamtheit der Masse an organischem
Material in einem definierten Ökosystem, das biochemisch
synthetisiert wurde. Sie enthält also die Masse aller Lebewesen,
der abgestorbenen Organismen und die organischen Stoff-
wechselprodukte.
Bioreaktor Ein Bioreaktor ist ein Behälter, in dem speziell herangezüch-
tete Mikroorganismen oder Zellen unter möglichst optimalen
Bedingungen in einem Nährmedium kultiviert werden, um
entweder die Zellen selbst, Teile von ihnen oder eines ihrer
Stoffwechselprodukte zu gewinnen. Bioreaktoren sind zum
Teil größer als 100 Kubikmeter und werden auch als Fermenter
bezeichnet.
Bulkchemikalien/Bulkprodukte Bulkchemikalien oder Bulkprodukte sind Grundchemikalien,
die in Mengen von mehr als 10.000 Tonnen pro Jahr hergestellt
werden.
Cellulasen Cellulasen sind Enzyme, die Cellulose zu ß-Glukose abbau-
en. Die Cellulose (C6H10O5)n ist ein Polysaccharid und als der
Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden die häufigste
organische Verbindung der Erde.
Chiralität Mit Chiralität bezeichnet man die Eigenschaft bestimmter
Gegenstände oder Systeme, durch Drehung nicht mit dem Ori-
ginal in Deckung gebracht werden zu können. Diese gleichen
sich wie Spiegelbilder. Gegenstände oder Systeme mit dieser
Eigenschaft nennt man dabei chiral.
Cofaktor Als Cofaktor bezeichnet man eine niedermolekulare Substanz,
die zum Ablauf einer biochemischen Reaktion notwendig ist.
Cofaktoren werden an ein Enzym oder Protein gebunden und
werden im Verlauf der Reaktion meist nicht verändert.
DNA/DNS Die Desoxyribonukleinsäure (acid), DNS (DNA), ist eine Nuklein-
säure in Form einer Doppelhelix. Sie enthält die genetische
Information für die biologische Entwicklung in Zellen und
einigen Viren. Im internationalen und im wissenschaftlichen
Sprachgebrauch wird die Desoxyribonukleinsäure mit der eng-
lischen Abkürzung DNA (deoxyribonucleic acid) bezeichnet, im
deutschen Sprachraum auch mit DNS.
42 GLOSSAR
Downstream-Processing Die Schritte, die zur Aufreinigung des Produktes aus der
Fermentationslösung eines Bioreaktors nach Abschluß der
Reaktion notwendig sind, bezeichnet man als Downstream-Pro-
cessing.
Enantiomere Enantiomere sind Stereoisomere, deren räumliche Strukturen
sich wie Bild und Spiegelbild verhalten, sich sonst aber nicht
weiter unterscheiden. Die Summenformel von Enantiomeren
bleibt identisch, es liegt Chiralität vor. Sie unterscheiden sich
in der optischen Aktivität, das bedeutet, dass sie die Polarisati-
onsebene von linear polarisiertem Licht nach links oder rechts
drehen. In den meisten Fällen unterscheiden sich Enantiomere
in ihrer Wirksamkeit in biologischen Systemen.
Enzym Ein Enzym, veraltet auch Ferment genannt, ist ein Protein, das
eine chemische Reaktion katalysieren kann. Enzyme spielen
eine tragende Rolle im Stoffwechsel aller lebenden Organis-
men: Der überwiegende Teil biochemischer Reaktionen in le-
benden Systemen wird von Enzymen katalysiert und gesteuert.
Eukaryoten Als Eukaryoten werden alle Lebewesen mit Zellkern und Zell-
membran zusammengefasst.
Expression Genexpression, oder kurz Expression, bezeichnet im weiteren
Sinne die Ausprägung der genetischen Information (Gen, DNA)
zum Merkmal bzw. Phänotyp eines Organismus oder einer
Zelle. Der Begriff wird im engeren Sinn für die Synthese von
Proteinen aus den genetischen Informationen verwandt.
Ferment Ferment ist der veraltete Begriff für Enzym.
Fermenter Fermenter ist eine andere Bezeichnung für Bioreaktor.
Gärung Als Gärung bezeichnet man energieliefernde, organisches Ma-
terial zersetzende Stoffwechsel-Prozesse, die ohne Einfluss von
freiem Sauerstoff (anaerob) stattfinden. Der Mensch nutzt viele
dieser Gärungsprozesse seit Urzeiten zur Nahrungsherstellung
und Veredelung.
Gen Ein Gen ist ein Abschnitt auf der Desoxyribonukleinsäure (DNA),
der die Grundinformationen zur Herstellung einer biologisch
aktiven Ribonukleinsäure (acid), RNS (RNA), enthält. Bei diesem
Herstellungsprozess (Transkription genannt) wird eine Negativ-
kopie in Form der RNA hergestellt.
Genom Als Genom oder auch Erbgut wird eine Gesamtheit der ver-
erbbaren Nukleinsäure einer mehr oder weniger autonomen
Struktur bezeichnet. Diese autonome Struktur kann ein Virus,
eine Zelle, ein Organell oder ein Organismus sein. Zumeist han-
delt es sich bei der vererbbaren Nukleinsäure um DNA.
Genomik Mit Genomik wird die Analyse und Entzifferung des Genoms
bezeichnet.
Gentechnik Die Gentechnik oder Gentechnologie ist ein Teilgebiet der Bio-
technologie. Sie ist ein auf den Kenntnissen der Molekularbiolo-
gie aufbauendes Verfahren zur Anwendung gezielter Eingriffe
in das Erbgut und/oder in die biochemischen Steuerungsvor-
gänge von Lebewesen bzw. viralen Genomen.
Hefe Die Hefen sind einzellige Pilze, die sich durch Sprossung oder
Teilung (Spaltung) vermehren.
Hormon Ein Hormon ist ein biochemischer Botenstoff.
Lipasen Lipasen sind Enzyme, die Lipide wie Triglyceride oder Diglyce-
ride zu Glycerin und freien Fettsäuren umwandeln, indem sie
die Esterbindung zwischen Glycerin und Fettsäure katalytisch
spalten.
Metabolomik Der Begriff Metabolom wurde in Analogie zu den Begriffen
Genom und Proteom geprägt und leitet sich von Metabolismus
(= Stoffwechsel) ab.
Metagenom Als Metagenom bezeichnet man die Gesamtheit der genomi-
schen Information der Mikroorganismen einer bestimmten
Lebensgemeinschaft (Biozönose) oder eines Biotops.
Molekularbiologie Die Molekularbiologie umfasst die Biologie der Zelle auf mo-
lekularer Ebene. Sie befasst sich mit der Struktur und Funktion
von DNA und RNA bis hin zu den Proteinen und wie diese unter-
einander interagieren.
Mutation Eine Mutation (aus dem Lateinischen mutare = (ver)ändern)
ist die Veränderung des Erbgutes eines Organismus durch
Veränderung der Abfolge der Nucleotidbausteine oder durch
Veränderung in der DNA-Struktur.
GLOSSAR 43
Organellen In der Biologie ist ein Organell („Orgänchen“) eine intrazellulä-
re, von einer Membran umschlossene funktionelle Untereinheit
einer Zelle.
pH-Wert Der pH-Wert ist ein Maß für die Stärke der sauren bzw. basi-
schen Wirkung einer wässrigen Lösung.
Polysaccharide Unter Polysacchariden, einer Unterklasse der Kohlenhydrate,
versteht man Vielfachzucker mit vielen Monosaccharideinhei-
ten. Mehrere Einfachzucker (z. B. Glukose oder Fruktose) bilden
eine Kette und stellen dann ein Biopolymer dar.
Prokaryoten Prokaryoten sind zelluläre Lebewesen, die keinen Zellkern
besitzen. Die DNA befindet sich in prokaryotischen Zellen frei
im Cytoplasma als Kernäquivalent oder auch Nucleoid. Die
Domänen der Bakterien (Bacteria) und der Archaeen (Archaea)
fassen alle Prokaryoten zusammen.
Proteasen Proteasen sind Enzyme, die andere Proteine zerschneiden
können.
Proteine Proteine, umgangssprachlich auch Eiweiße genannt, sind
Makromoleküle, die hauptsächlich aus Aminosäuren bestehen.
Die Aminosäuren sind dabei durch Peptidbindungen zu Ketten
verbunden. Proteine gehören zu den Grundbausteinen aller
Zellen.
Proteomik Die Proteomik umfasst die Erforschung des Proteoms, d. h. der
Gesamtheit aller in einer Zelle oder in einem Lebewesen unter
definierten Bedingungen und zu einem definierten Zeitpunkt
vorliegenden Proteine.
Racemat In der Chemie bezeichnet man als ein Racemat ein äquimolares
(1:1) Gemisch von zwei Enantiomeren.
Reaktor Ein Reaktor ist ein abgegrenzter Raum (Behältnis etc.), in dem
gezielte physikalische oder chemische Reaktionen oder biologi-
sche Vorgänge (Bioreaktor) ablaufen.
Rekombinant Als rekombinant hergestellt werden Eiweißmoleküle bezeich-
net, die zum Beispiel mit Hilfe von gentechnisch veränderten
Bakterien in großen Mengen produziert werden. Dabei wird das
genetische Material des Produktionsorganismusneu zusam-
mengestellt, rekombiniert.
RNA/RNS Ribonukleinsäure ist eine Nukleinsäure, das heißt eine Kette
aus vielen Nukleotiden (ein so genanntes Polynukleotid),
die meist einzelsträngig vorliegt. Im internationalen und im
wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird die Ribonukleinsäure
mit der englischen Abkürzung RNA (ribonucleic acid) bezeich-
net, im deutschen Sprachraum auch mit RNS. Eine wesentliche
Funktion der RNA in der Zelle ist die Umsetzung von geneti-
scher Information in Proteine. RNA ist hierbei als Informations-
träger beteiligt, und als katalytisches Molekül bei der Überset-
zung dieser Information in ein Protein.
Sequenz In der Genetik ist die Sequenz der genomischen DNA, kurz DNA-
Sequenz oder Nukleotid-Sequenz, die Abfolge der DNA-Baustei-
ne (Nukleotide), wie sie aus der DNA-Sequenzierung entziffert
werden kann.
Spezialchemikalien Spezialchemikalien weisen einen hohen Funktionalisierungs-
grad auf. Weltweit werden davon Tonnagen von weniger als
10.000 Tonnen pro Jahr hergestellt .
Systembiologie Die Systembiologie ist ein Teilgebiet der Biowissenschaften, in
dem versucht wird, biologische Organismen in ihrer Gesamt-
heit zu verstehen. Ein integriertes Bild aller regulatorischen
Prozesse über alle Ebenen, vom Genom über das Proteom, zum
Stoffwechsel bis hin zum Verhalten und zur Biomechanik des
Gesamtorganismus soll entschlüsselt werden.
Transkriptomik Transkriptomik bezeichnet die Erforschung aller Gene, die als
mRNA (Boten-RNA) vorliegen. Die mRNA ist eine Abschrift der
Gene. Sie wird bei der Transkription produziert. Transkription
ist der erste Schritt der Proteinbiosynthese, bei der anhand der
Baupläne der Erbinformation Eiweiße aus entsprechenden
Aminosäurebausteinen entstehen. Die Boten-RNA dient dabei
als Indikator für die Aktivität von Genen.
Transgen Transgene Organismen sind Lebewesen, die in ihrem Genom
zusätzliche Gene aus anderen Arten enthalten. Es handelt sich
um genetisch veränderte Organismen (GVO).
Upstream-Processing Als Upstream-Processing bezeichnet man die vorbereitenden
Maßnahmen für die Fermentation. Sie umfassen beispielsweise
die fachgerechte Lagerung von Mikroorganismen, die Vorbe-
reitung der Substrate oder auch die Reinigung und Sterilisation
des Bioreaktors.
44 GLOSSAR
Vitamine Vitamine sind organische Verbindungen, die vom Organismus
nicht als Energieträger, sondern für andere lebenswichtige
Funktionen benötigt werden. Der körpereigene Stoffwechsel
ist nicht in der Lage, die Vitamine zu synthetisiern. Sie müssen
deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden.
Zelle Die Zelle (aus dem Lateinischen cellula = kleine Kammer, Zelle)
ist die kleinste strukturelle Einheit aller Lebewesen. Es gibt
Einzeller, die aus einer Zelle bestehen, und Mehrzeller, bei de-
nen mehrere Zellen zu einer funktionellen Einheit verbunden
sind. Jede Zelle stellt ein strukturell abgrenzbares, eigenstän-
diges und selbsterhaltendes System dar. Die Zelle enthält die
Informationen für all diese Funktionen und Aktivitäten. Alle
Zellen können sich durch Zellteilung vermehren, verfügen über
einen Stoff- und Energiewechsel, reagieren auf Reize und haben
unter Umständen die Möglichkeit zur Bewegung. Jede Zelle,
ob prokaryotisch oder eukaryotisch, hat eine Membran, die die
Zelle von der Umgebung abgrenzt. Durch diese Membran wird
kontrolliert, was in die Zelle aufgenommen und was hinaus-
transportiert wird. Ähnliche funktionsbezogene Strukturen
gibt es in kleinstem Maßstab auch innerhalb der Zelle. Diese
Strukturen nennt man Organellen.
Zellkern Als Zellkern (lat. Nucleus = Kern, altgriechisch Karyon = Kern)
bezeichnet man ein im Zellplasma gelegenes Organell der
eukaryotischen Zelle, das die Erbinformation in Form der DNA
enthält.
Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit vom Bundesmi-
nisterium für Bildung und Forschung unentgeltlich abgegeben. Sie ist nicht
zum gewerblichen Vertrieb bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von
Wahlwerberinnen/Wahlwerbern oder Wahlhelferinnen/Wahlhelfern während
einesWahlkampfes zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Diesgilt für
Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie fürWahlen zum Europäi-
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Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an
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parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die
Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung.
Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift
der Empfängerin/dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen
Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die
als Parteinahme der Bundesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen
verstanden werden könnte.