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Patenschaften Ein Diskussionsbeitrag zu einer alten Auseinandersetzung

Die Aktion Selbstbesteuerung (asb) im BRD-SpendenMarkt – Teil 1 2014 unterstützten wir Masifunde Bildungsförde-

rung e.V./ Bensheim (Bildungsprojekte in Südafrika) für ein Projekt „Sommercamp für Jugendliche in Walmer Township, Port Elizabeth, Südafrika“ mit 1.500,- € (siehe u.a. asb-RB 01/ 2015) .

2015 erhielten wir einen erneuten Antrag von der deutschen Organisation von Masifunde, diesmal für ein Theaterprojekt (siehe S. 14 in diesem Rundbrief); wir entschieden uns per Vorstandsentschluss für den Betrag von 250 € – .Diesmal gab es allerdings auch ablehnende Stimmen zu dieser Unterstützung, v.a. weil Masifunde mit Patenschaften wirbt.

So findet sich auf der Internetseite der Gruppe www.masifunde.de/ gleich prominent der Klick „Ich werde Pate“ und 2, 3 Klicks weiter steht dann (Un-terstreichungen in den folgenden – jeweils einge-rückten – Zitaten aus dieser Homepage durch mich, A.S.):

„Unsere Kinder: Ein Schulstipendium verän-dert Leben und ist auf Langfristigkeit und Nach-haltigkeit angelegt. Die Verantwortung dafür ist groß und dementsprechend sorgfältig und gewis-senhaft wählt Masifunde seine zukünftigen Pa-tenkinder aus. In einem mehrwöchigen Prozess werden aus fast hundert potenziellen Kandidaten letztlich nur die begabtesten und motiviertesten Kinder ausgewählt.“

Es werden also „nur die begabtesten und moti-viertesten Kinder“ von der Masifunde-Orga ausge-wählt. Und was ist mit den anderen? Den Unbegab-ten, den Demotivierten? – Welche Gruppendynami-ken werden durch den Auswahlprozess produziert? – Für was braucht mann/ frau „motivierte Patenkin-der“? Soll sich Leistung auch in Südafrika lohnen? Und warum?

Erstmals in den 70er Jahren gerieten die Kinder-patenschaftsprogramme auch von Hilfswerken wie „Terre des hommes“ und „Aktionsgemeinschaft Soli-darische Welt“ (asw) verstärkt in die „entwicklungs“-politische Kritik.

Der Vorwurf lautete konkret, dass einzelne Kinder bevorzugt werden und Neid zwischen den Kindern, auch innerhalb von Familien, entstehen kann. Schlussendlich, so die Kritiker*innen seinerzeit, profi-tiere das Kind von der Patenschaft nur wenig und die strukturellen Ursachen von Armut würden nicht auf-gegriffen und bekämpft.Seit den heftigen Diskussio-nen ab den 70er Jahren haben sich die (Paten-schafts-)programme einiger Hilfsorganisationen (auch die von tdh und asw) gewandelt. Durch pro-jekt-bezogene Spenden z.B. sollen lokale Strukturen insgesamt verändert und gestärkt werden. So kommt der Bau einer Schule immer vielen Kindern aus einer Gemeinschaft zugute.

Einiges aus diesen Diskussionen finde ich auch

bei Masifunde aufgegriffen. In anderen Sätzen lese ich jedoch auch (auf deren Homepage – Unterstrei-chungen durch mich) Fragwürdiges:

„DANKE, dass Sie Bildung schenken! Mit Ihrem regelmäßigen Beitrag an Masifunde

werden Sie Pate der Kinder und Jugendlichen in Walmer Township und nehmen direkt am Ge-schehen in Südafrika teil. Sie unterstützen gezielt ein Kind, eine Gruppe oder durch das Bildungs-zentrum eine ganze Gemeinschaft.

*** „Sie begleiten Ihre Patenkinder oder Ihr Pa-

tenprojekt über einen längeren Zeitraum. In halb-jährlichen detaillierten, bilderreichen und individu-ellen Berichten sowie unseren Online-Tagebüchern und verschiedenen Videos können Sie das Geschehen in Südafrika hautnah miterle-ben“

*** „Während in Südafrika gerade die ersten fünf

Patenkinder eingeschult und umfassend betreut werden können, kehrt Jonas Schumacher nach seinem Universitätsabschluss nach Deutschland

zurück. Hier nutzt er die Expertise von Professo-ren und Fachleuten in Fragen der Entwicklungs-zusammenarbeit und Entwicklungspolitischen Bil-dung und gründet den gemeinnützigen Verein Masifunde Bildungsförderung.“

Dazu zusammengefasst weitere kritische Punkte

aus den Diskussionen über Patenschaften Patenschaften kennen wir z.B. aus christli-

chen Zusammenhängen: mit der Paten-schaft übernehme ich ganz besondere Ver-antwortung (bei der Taufe) für ein bestimm-tes Kind aus meinem Freundes- oder Ver-wandtenkreis. Eine Patenschaft unterschei-det sich von einer Partnerschaft (z. B. Städ-tepartnerschaft) darin, dass die beiden Teil-nehmer*innen nicht gleiche Rechte und Pflichten besitzen, sondern eine einseitige „Fürsorge“aufgabe wahrgenommen wird. Im transnationalen Kontext sieht es noch ganz anders aus, eine künstliche Dimension entsteht allein durch die räumliche Entfer-nung.

Wird dann dem/ der Pat*in/ Spender*in ein persönlicher Kontakt zugesagt, wird es er-forderlich, dass die „Patenkinder“ in einer kontrollierbaren Umgebung aufwachsen.

Die Auswahl eines Kindes aus einer Familie oder einen anderen Zusammenhang führt zum Wettbewerb untereinander, um diese (finanzielle) Hilfe zu erhalten – statt Hilfsbe-reitschaft untereinander entsteht Feindselig-keit gegenüber den bevorzugten Kindern

Das Einzelschicksal eines „Patenkindes“ verstellt den Blick auf die Ursachen der Aus-beutung in der Dritten Welt und verstellt den Blick darauf, einen Zusammenhang zu se-hen zwischen unserem Reichtum und der Armut in Ländern des Trikont

Und so ganz nebenbei: Viel zu viele Reisen von Reichen in die Welt der Armen (eine moderne Form des Kolonialismus?) begrün-den sich mit Patenschaften.

Organisationen wie „WorldVision“, „Plan Interna-tional“, „Kindernothilfe“ u.ä. blieben – trotz dieser Diskussionen – beratungsresistent in ihrem Fahr-wasser. Häufig aggressiv in ihrer Werbe-Ansprache und nicht-informierend in Bezug auf gesamt-gesell-schaftliche Macht-Verhältnisse.

wikipedia schreibt: „Das schnelle Wachstum vie-ler Organisationen für Kinderpatenschaften hat auf dem deutschen Spendenmarkt einen Verdrän-gungswettbewerb ausgelöst: Nach Angaben des DZI (Spenden-Almanach 2010/11) stiegen zwischen 2002 und 2009

die Einnahmen von Plan International Deutschland von 37,8 Millionen auf 85 Millionen Euro (plus 125 Prozent)

die Einnahmen von World Vision von 31 Mil-lionen auf 62 Millionen Euro.

Die Kindernothilfe und die Christoffel-Blin-denmission verzeichneten Steigerungen von mehr als zehn Prozent.

Hilfswerke, die Kinderpatenschaften ablehnen, verzeichneten Einbußen“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Patenschaft).

Es ist eben sehr viel einfacher, mit dem Foto ei-nes Kindes (und dem Zusatz „Retten Sie genau die-ses Kind“ – mit 5, 7, 12 € monatlich) Geld zu sam-meln – als mit genaueren Informationen über den Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum.

Weil dann ja auch außerdem Karl Marx, Rosa Luxemburg und Bertolt Brecht u.v.a.m. bemüht wer-den müssten ...

Für ein Projekt (v.a. auch regelmäßig) zu „spen-den“ ist ja „irgendwie“ richtig – auch wenn wir uns als Aktion Selbstbesteuerung sehr bewusst für den Beg-riff „Steuer“ entschieden haben. Text aus dem Buch von Angelika Farnung, verwen-det als Titel eines asb-Werbe-Flyers (1980)

Wir wollen damit ja deutlich machen, dass uns

das Geld, das wir regelmäßig zurückzahlen, eigent-lich sowieso nicht gehört. Es ist eben eine Rück-Steuer. Weil wir über das Weltwirtschaftssystem für Lebensmittel, Kleidung, technische Geräte etc. deut-lich zu wenig bezahlen. Ein Mindestlohn, geschwei-ge denn eine wirklich angemessene, anständige Bezahlung für die Arbeit der Produzent_innen ist in Weltmarktpreisen niemals eingerechnet. Weltmarkt, Welthandel sind zudem äußerst schwer zu durch-schauende Macht- und Ausbeutungssysteme.

Mit der Zahlung einer Steuer an die asb ver-suchen wir, hier gegen zu steuern.

Es ist wohl wieder an der Zeit, frühere Auseinan-dersetzungen neu zu veröffentlichen. Dies auch des-halb, um unsere eigenen asb-Positionen zu über-prüfen, aber auch, um unsere Antragsteller*innen mit unseren Positionen bekannt zu machen.

Lese Hinweise

1) Die verkauften Kinder. Patenschaften – eine Hilfe für die Dritte Welt? Herausgegeben von Angelika Farnung, 160 Seiten, Jugenddienst-Verlag, 1982

2) Projekt “Partnerschaft und Dominanz” des Weltfriedensdienst e.V. ,1994. Abrufbar unter: www.wfd.de/fileadmin/pdf/Diverse/Partnerschaft_und_ Dominanz_-_Das_Antirassismusprojekt_des_WFD.pdf

3) Marketinginstrument Kind - Der entwicklungs-politische Nutzen von Patenschaften ist umstritten http://www.ag-friedensfor-schung.de/themen/Entwicklungspolitik/kinder.html

4) Kinderpatenschaften verdrängen traditionelle Hilfe http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-12/spenden-kinderpatenschaften

5) Der 2011 veröffentlichte Film "White Charity" diskutiert Spendenkampagnen und ihre oft rassisti-sche Darstellung von schwarzen und weißen Men-schen. http://www.whitecharity.de/ Der sehr empfehlenswerte Film ist anzusehen unter http://www.whitecharity.de/index_files/Page917.htm

6) Das Trauma der Schuld oder: Wie lässt sich koloniale Geschichte in einem postkolonialen Deutschland von heute denken? Ein Gespräch über soziale Bewegungen, internationale Beziehungen und Postkoloniale Kritik zwischen Carolin Philipp (weiße deutsche Filmemacherin) und Peggy Piesche (Schwarze deutsche Literatur- und Kulturwissen-schaftlerin www.whitecharity.de/Freitext.pdf

Die Reihe „Die Aktion Selbstbesteuerung (asb)

im BRD-SpendenMarkt“ sollte fortgesetzt werden. Diskussionsbeiträge

dazu sehr willkommen. Andreas Schüßler


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