RIA Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie
Fälle für den Rheumatologen I Rheuma Top, Pfäffikon 21.August 2014
P.M.Villiger, M.Seitz
Fall 1 F.S., m; 27.5.35 Anamnese
• Patient mit metabolischem Syndrom (inkl. insulinpfl. D.m.)
• Seit Mai 2013 starke Ohrenschmerzen rechts mit eitrigem Sekret
• 23.8.2013 Mastoidektomie und Paukenröhrchen-Einlage rechts
• Intraoperativer Nachweis von Candida albicans + Hautflora
• Beginn Diflucan 400mg/die; zusätzlich Augmentin p.o. für 10
Tage
• Im Verlauf progrediente Schmerzen
• MRI 27.09.2013 entzündlich knöcherner Befall von Clivus und
Atlas
• 08.10.2013 erneute explorative Mastoidektomie und Revision
rechts mit Entnahme mikrobiologischer Proben ohne neuen
richtungsweisenden Befund
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Weiterer Verlauf
• 11/2013 erneute Schmerz-Exazerbation und neu Schmerzen in
der HWS beim Drehen des Kopfes nach rechts
• MRI-Schädel vom 26.11.2013 → Zunahme der entzündlichen
Herde im Clivus/Tuberculum jugulare, HWK1 und
Atlantodentalgelenk rechts. Neu entzündliche RF prävertebral
und Enhancement in der Atlasschlinge der re. Arteria vertebralis
• CT 11/13: ausgeprägte knöcherne Destruktion an der
Schädelbasis, ossäre Destruktion des re. Atlantodental-Gelenkes
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Bildgebung MR/CT Schädel 2013/14
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Bildgebung MR/CT Schädel 2013/14
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Wie weiter ?
• 06.01.2014 transorale Biopsie des HWK1 ohne Pilznachweis,
Wachstum von Atemwegsflora (DD Kontamination Stichkanal)
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HE, 100x
Plasmazellen
HE, 200x
Histopathologische Diagnose
• ausgeprägte plasmazelluläre Osteomyelitis mit ausgeprägter
Markfibrose
• Zuweisung RIA zur weiteren Therapie
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Probleme
1) progredienter entzündlich destruktiver knöcherner
Prozess an oberer HWS und Schädelbasis
2) opiatbedürftige invalidisierende HWS - und
Kopfschmerzen
3) schwer einstellbarer insulinpflichtiger Diabetes
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Klinischer Befund am 30.01.2014
• Adipositas (92kg bei 175cm)
• Cardiovaskulär unauffällig
• Druckdolente und geschwollene Glandula parotis bds.
• Neurostatus OE unauffällig bis auf residuelle Hemisymptomatik
rechts nach CVI li. 2004
• Massiv zu 2/3 allseitig schmerzhaft limitierte HWS
• Noch liegender Op-Faden an Rachenhinterwand nach
transoraler C1 Biopsie
• Hyperkeratotische Hauteffloreszenzen, rötlich und nicht juckend
an bd. OS, keine Hautvaskulitis
• Keine Artikulo-oder Tenosynovitiden
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Labor am 30.01.2014
• BSR 17mm, CRP 45 mg/dl
• Diskrete Proteinurie von 0.2g/L, Sediment unauffällig
• Kreatinin 105 µmol/L
• HbA1c 7.3%
• Serumelpho unauffällig
• Hämatologie unauffällig
• ANCAs negativ, C3+C4 im Normbereich
• Anti-HBc positiv mit 9.7, IgM negativ, HBs-Ag negativ, anti-HBs
positiv
• Hepatitis C negativ
• Was noch bestimmen ?
• IgG4 im Serum mit 1.39 g/L an der obersten Norm
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IgG4, 200x
Weiterer Verlauf seit dem 30.01.2014
• Umstellung der Analgesie auf Palexia 2x200mg
• Wenig effizient, daher ab dem 18.2.2014 Opiatwechsel auf Targin®
(Oxycodon + Naloxon) 10/5 mg 1-0-1
• am 18.02.14 i.v. Aclasta 5mg
• Am 20.02.2014 und am 06.03.2014 jeweils 1g Rituximab/Mabthera
• Danach rasche massive Schmerzreduktion in der HWS und rechten
Gesichtshälfte; am 6.3.14 , HWS-Beweglichkeit nur noch zu 1/3
eingeschränkt
• Vorerst keine Steroide wegen schlecht einstellbarem Diabetes
• Ambulante Nachkontrolle am 28.03.2014
• Schmerzen zu 2/3 , HWS-Beweglichkeit zu 50% ↑, Stop der NSA
wegen progredienter Niereninsuffizienz und Proteinurie
(tubulointerstitielle Nephritis ?), IgG4 0.93 g/l, Reduktion des
Targins auf 5/2.5mg 1-0-1
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Weiterer Verlauf am 26.5.2014
• VAS 0-2
• HWS-Beweglichkeit noch für Rotation zu 50% eingeschränkt
• CRP 12, BSR 16 mm, Rest unauffällig, Ig im Normbereich, Urin
bland, Kreatinin normalisiert
• CT und MRI-HWS Verlauf
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Bildgebungs-Kontrolle der HWS am
19.6.2014
• Im MRI etwas rückläufige ossäre Entzündung im MRI
• Destruktion des atlanto-dentalen und des atlanto-okkipitalen
Gelenkes rechts
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Bildgebungs-Kontrolle der HWS am
19.6.2014
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Verlaufsbeurteilung am 14.7.14
• Seit 2 Wochen wieder vermehrt rechtsseitige Kopf-und Nackenschmerzen
(VAS = 4-5), keine B-Symptome
• Druckschmerz Mastoid re.
• HWS weiterhin indolent allseitig 1/3 bewegungseingeschränkt
• Keine Schwellung zervikaler LK, keine Sialadenitis
• BSR 14 mm, CRP 19 mg/L, Hb 12.6 g/L, Leuc 8.5 G/L mit leichter
Eosinophilie 0.61, Urinstatus bland, Kreatinin 98, ALAT 12, AP 62, IgG4-
Subklasse 0.66 g/L
• B-Zell-Immunphänotypisierung: 4 B-Zellen/µl, 99% ‘switched memory B-
cells’
• Erneut 1g Rituximab am 11.8.08 und wieder rasches Ansprechen
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IgG 4 – assoziierte Erkrankung
Neue fibroinflammatorische Erkrankung mit tumorartigen
multiplen Organmanifestationen
Erste Berichte aus Japan 2003 (bei 6% von Patienten mit
chronischer Autoimmun-Pankreatitis)
lymphoplasmazelluläre Gewebeinfiltration mit IgG4-
positiven Plasmazellen
Chronische Fibrose
Wachsende Zahl von Fallberichten von Patienten mit
sehr heterogenen Organmanifestationen
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‚Hyper-IgG4-Syndrom‘ Stone JH et al. N Engl J Med 2012;366:539-551
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Hereterogene Organmanifestationen
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Yamamoto M et al, Nat Rev Rheumatol
2014; 10:148-59
Loock J u. Manger B, Z. Rheumatol 2013;
72:151-62.
Überlappung mit
Sjögren möglich !
Diagnosealgorithmus bei IgG4-
assoziierter Erkrankung Yamamoto M et al, Nat Rev Rheumatol 2014; 10:148-59.
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‚IgG4-related
disease‘
Pathogenesis Stone JH et al.
N Engl J Med
2012;366:539-551
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RIA Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie/Allergologie Stone JH et al. N Engl J Med 2012;366:539-551
Stone JH et al.
NEJM 2012;366:539-51
Under physiologic conditions 50% of all IgG4 Abs are functionally monovalent →
loss of the ability to crosslink antigen and to form ICs, which could induce apoptosis
in peripheral B-cells and plasma cells → loss of peripheral B-cell tolerance
Van der Neut Kolfschoten et al. , Science 2007; 317: 1554-57
Offene immunologische Fragen
Kann monovalentes IgG4 in sicheren
klinischen Fällen nachgewiesen werden →
findet ein Bruch der peripheren B-Zell-
Toleranz durch IgG4 überhaupt in vivo statt ?
Ist IgG4 ↑ lediglich ein Gegenregulator einer
chronischen antigen – oder autoantigen
getriebenen Immunreaktion? → ist IgG4 ↑
nur ein sekundäres Immunphänomen ?
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Klinische Herausforderungen
DD Herausforderung bei unklarer
systemischer Entzündung, Abgrenzung
gegenüber GPA und EGPA
Wie lange mit Steroiden behandeln und wann
steroidsparende Medikamente einsetzen
(MTX, MMF, CYC, andere) ?
Welches ist der therapeutische Nutzen eines
spezifischen ‘B-cell targeting’ (Rituximab,
Belimumab) bei früher und/oder
fortgeschrittener Erkrankung ?
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Fall 2 H.S., *3.12.36, w.
• Mitte 4/13 entzündlicher Pseudotumor orbital rechts →
entzündliche Systemerkrankung postuliert ohne nosologische
Zuordnung, Labor damals völlig bland
• Biopsie Bindehaut und Orbita, Abtragung Lidkantentumor links
• Nach Steroidpulsen Rückgang des Pseudotumors, aber
Orbitaschmerzen persistent; keine Uveitis, keine Retinitis; unter
Brufen und lokal PredForte-Tropfen allmähliches Abklingen der
lokalen Beschwerden bis 11/13
• CT-NNH 10/13 : unauffällig
• Beschwerdearmut bis 2/14, nie Allgemeinsymptome
• ab 3/14 Kopfschmerzen und rezid. Ohrmuschelentzündung bds.
und Augenentzündung links mit spontaner Regredienz nach 1-3
Wochen; seitdem 8 kg Gewichtsabnahme
• rezid. Harnwegsinfekte, sonst Anamnese unauffällig
• Zuweisung durch HA zur weiteren Abklärung und Therapie
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Mögliche Pathomechanismen
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Histopathologie Bindehaut Orbita/Tränendrüse
• Bindehaut Fornix Unterlid rechts:
geringgradige lymphzytäre Entzündung, keine IgG4+ Plasmaz.
• Oberlid Tränendrüse Konjunktiva tief:
Dichte, lympho-plasmazelluläre Entzündung kleiner Drüsenläpp-
chen, keine Vermehrung IgG4-prod.Plasmazellen; keine Granulome
Nachweis einer kleinen Arterie mit dichtem lympho-histiozytärem
perivaskulären Entzündungsinfiltrat; keine Granulome
Beurteilung: Drüsen-destruktive lympho-plasmazelluläre und
histiozytäre Entzündung i.R. einer Autoimmunerkrankung. Keine
beweisenden Veränderungen für eine GPA/Wegener-Erkrankung oder
IgG4-assoziierte Erkrankung
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H.S., *3.12.36, w.
Befunde am 27.5.2014
• Allgemeininternistisch bland, Episkleritis links, Skleromalazie
rechts, myogelotischer Nackenhartspann und Kopfrotation bds.
aktiv zu 2/3 eingeschränkt, passiv gegen weichen Wiederstand
aufdehnbar, Gelenke, Haut, enoral, Neurostatus unauffällig,
Kopfhaut inspektorisch und auf Berührung bland, unauffälliger
Gefäss-Status
• Saxon-Test 2.09; Schirmer-Test: re. 0mm, li. 5 mm
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Wie weiter abklären ?
• BSR 79 mm, CRP 10 mg/L
• Kreatinin 109, Urinstatus: Leukozyturie + Mikrohämaturie +
Bakteriurie, keine Proteinurie
• übrige Chemie normal
• Hämatologie: Thrombozytose 435 G/L, Rest unauffällig
• Eiweiss-Elpho: α1, α2, γ-Globulinerhöhung (19.2g/L), kein
Paraprotein
• Serologien ?
• ANA, RF, anti-ccP negativ; anti-SS-A und anti-SS-B negativ
• c-ANCA 1:1280, anti-PR3 62 U/L; p-ANCA negativ
• noch etwas ?
• IgG1 + IgG2 + IgG3 normal
• IgG4 stark erhöht mit 5.52 g/L (Norm bis 1.39 g/L)
• IgA und IgM normal
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GPA/ Wegener oder IgG4-assoziierte Erkrankung ?
Pro GPA
• Chondritis
• Episkleritis li., Skleromalazie rechts (Z.n.Skleritis)
• Hochtitrige PR3-spezifische c-ANCA
Pro IgG4
• Sialadenitis der Tränendrüse (MRI-Befund)
• Xerophthalmie und Xerostomie (chronische Sialadenitis)
• Erhöhte IgG4 – Serumspiegel
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GPA/ Wegener oder IgG4-assoziierte Erkrankung ?
• IgG4 ist auch bei aktiver EGPA/CSS und GPA/WG erhöht !
Vaglio A et al. Ann Rheum Dis 2012;71:390-393 35
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GPA/ Wegener oder IgG4-assoziierte Erkrankung ?
• IgG4 ist aktivitätsabhängig vor allem bei EGPA/CSS erhöht !
Vaglio A et al. Ann Rheum Dis 2012;71:390-393 36
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H.S., *3.12.36, w.
Therapie und weiterer Verlauf
• Unter 10mg MTX und intial 30mg Prednison/d., aktuell 5mg/d ist
die Patientin am 21.7. klinisch völlig beschwerdefrei, Labor bland
und IgG4 auf 1.10 g/L normalisiert
• Epikleritis links unter topisch Tobradex® völlig abgeklungen,
keine Kopfschmerzen
• Sicca-Symptomatik unter Tränen-und Speichelersatz gut
kompensiert
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Ende