2 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
1.Mo%va%on
Die Frage, woher in der Pädagogik und Didaktikkonzeptionelle Innovation kommt und wie diese ge-neriert wird, haben Akteurinnen und Akteure der E-Learning-Szene viel zu lange unbeantwortet ge-lassen. Wir haben in Bezug auf die Generierung kon-zeptioneller Innovation im Lernen und Lehren mitdigitalen/vernetzten Medien lange keinen unsererDisziplin eigenen Zugang entwickelt und die Frageder Zugangsweisen anderen Disziplinen überlassen,obwohl die Didaktik, beziehungsweise das didak-tische Design eine gestalterische Disziplin ist. Zumeinen erscheint es als geeignete Strategie auf Innova-tionen aus anderen Disziplinen zu setzen (hier: derEntwicklung digitaler vernetzter Medien wie Wikis,Social Media) und zu hoffen, dass der Einsatz inno-vativer Technologien auch das Lernen und Lehrengewinnbringend verändert. Zum anderen haben wiruns in unserem Forschungszugang oft und gerne andeskriptive analytische Wissenschaften wie der Psy-chologie angepasst – dies zeigt sich sogar oftmals inder Lehre, wenn wir Vorlesungen zum Thema„Lernen und Lehren mit Technologien“ anhand derlerntheoretischen (siehe Kapitel #lerntheorie) undkognitionspsycholologischen Grundlagen aufbauen(siehe Kapitel #gedaechtnis).
Ob elektronische, vernetzte und soziale MedienEinzug in Schule, Unterricht und Lehre haltensollten, ob die Risiken schwerer wiegen als dieChancen und wie man jeweils neu zur Verfügung ste-hende Technologien und Applikationen, vomNewsforum über Lernmanagementsysteme, Weblogsund Wikis zu mobilen Geräten in Lehr- und Lernpro-zessen einsetzen kann – solche Fragen bestimmenimmer wieder Debatten um das Lernen und Lehrenmit Technologien. Wortbildungen wie E-Learning,M-Learning und E-Learning-Szenarien deuten be-grifflich darauf hin, dass der Einsatz elektronischerund mobiler Technologien oft als prägend, als trei-bende Kraft oder sogar als Ziel in sich wahrge-nommen wird. Fast scheint es, dass bei der Suchenach pädagogisch-didaktischer Innovation die Über-nahme von Innovationen anderer Disziplinen, wiezum Beispiel der Informatik, zum Mittel der Wahl ge-worden ist (siehe auch Kapitel #innovation). Diesmag in zahlreichen Fällen funktionieren - dennochstellen sich aus pädagogischer Perspektive Fragen,deren Ausgangspunkt nicht allein in der bloßen Ver-fügbarkeit von Technologien liegt: Welche Prozesseführen zu konzeptioneller Innovation im Lehren undLernen? Wie kann die Forschung der pädagogischenDisziplin zu Innovation in der Praxis beitragen? Wie
werden Innovationsprozesse aus pädagogischer Per-spektive initiiert und getrieben? Welche Rolle spielenTechnologien darin? Und wie kann pädagogisch-di-daktische Innovation in die Technologieentwicklungeinfließen?
Neben der Entwicklung pädagogisch-didaktischerInnovation sind Pädagoginnen und Pädagogen in be-sonderer Weise befähigt, sich unmittelbar und kon-zeptionell an Technologieentwicklung zu beteiligenund die Entwicklung innovativer Lösungen, Pro-dukte, Strategien, Services und Interventionen alsWissensarbeit zu konzipieren. Zu diesem Verständnisder Pädagogik als Disziplin und Profession möchtedas Kapitel beitragen. Dazu werden Fragen des Zu-sammenspiels von Untersuchung und Design sowiewissenschaftlicher Erkenntnis und Gestaltung er-örtert, ein Designprozess der als Untersuchung an-gelegt ist beschrieben und anhand einer allgemeinenDesigntheorie den Status des durch Designprozessegenerierten Wissens klären (wie wird das im Designgenerierte Wissen artikuliert und formuliert undwelche Form hat es). Der dargelegte Designprozesszeichnet sich durch seine Orientierung an Tätigkeitenund Praktiken aus (engl.: practice-oriented design)und stellt eine Alternative zu Produkt-orientiertenund Nutzer-orientierten Ansätzen dar, die grund-sätzlich ebenfalls denkbar sind (Shove et al., 2007).
2. Design und Forschung: Die Rolle des Wissens in De-‐signprozessen
Dieses Kapitel beschreibt einen Forschungszugangauf das Praxisfeld Lernen und Lehren mit Techno-logien aus pädagogischer Perspektive. Einen for-schenden Zugang zur pädagogischen Praxis zu findenbedeutet, eine vermeintlich unmögliche Verbindungzwischen der Gestaltung innovativer Lehr-/Lern-Sze-narien und wissenschaftlichem Erkenntnisgewinnherzustellen. Der Begriff „Didaktisches Design“bezeichnet die praktische Tätigkeit der Pädagoginnenund Pädagogen sehr gut: Sie entwerfen, gestalten, er-proben Interventionen und Produkte und bewertenderen Nützlichkeit in einem konkreten Anwendungs-kontext. Demgegenüber zielt Forschung gemeinhinauf die Generierung von Wissen mit Hilfe eines wis-senschaftlichen Methodenrepertoires, auf die Formu-lierung möglichst allgemeingültiger Regeln, auf eintieferes Verständnis sowie auf die systematische Un-tersuchung, Beschreibung und Erklärung von Zu-sammenhängen. Designprozesse zur Generierungvon innovativen Lösungen auf der einen Seite undwissenschaftliche Forschung zur Generierung vonWissen und tieferem Verständnis auf der anderenscheinen in ihrem Vorgehen und ihrem Ergebnis
Designentwicklung. Anregungen aus Designtheorie und Designforschung— 3
grundsätzlich verschiedene Vorhaben zu sein. Sowohldie Pädagogik als Disziplin, als auch Arbeiten derDesigntheorie und jüngeren Wissenschaftsforschungdiskutieren deren Zusammenspiel: „Fragen zumStatus von Wissen in gestalterischen Praktiken undObjekten sowie zur Genese von Design als ‚Wissens-kultur’ sind nicht bloß ein aktuelles Desiderat der De-signwissenschaften, sondern korrespondieren mitFragen und Modellen der jüngeren Wissenschaftsfor-schung bzw. der Science and Technology Studies.“(Mareis, 2010, 178).
Für die Pädagogik lassen sich in der Frage des Zu-sammenspiels von Design und Forschung grob vierAnsätze differenzieren. Diese unterscheiden sich zu-mindest hinsichtlich der folgenden Aspekte: der Rolledes Wissens im Gestaltungsprozess; der Vorgehens-weise beim Voranschreiten von Analyse und Synthesezur Untersuchung der Nutzungspraktiken bzw.Lehr-/Lern-Prozesse; der Frage der Form des gene-rierten Wissens und seiner Generalisierbarkeit bzw.Übertragbarkeit in verschiedene Kontexte. Unterdiesen Aspekten werden die Ansätze im Folgendendiskutiert.
Wissen vor Design
Eine oft auch in der Lehre reflektierte Position gehtdavon aus, dass Wissen bereits vor dem Desi-gnprozess zur Verfügung steht und in der Ge-staltung angewandt wird. Dieses Wissen besteht zumBeispiel in lerntheoretischen Grundlagen, anthropo-logischen Grundorientierungen oder Medientheorien.Es wird in deskriptiv-analytisch orientierten Diszi-plinen wie Teilgebieten der Psychologie, Anthropo-logie und Medienwissenschaft generiert und in Pra-
xisfeldern angewandt. Schnotz (2009, 3) bezeichnetdie Disziplin als Handlungslehre und als angewandteWissenschaft. Dieser Kontext wirft unter anderemdie Frage auf, wie Ergebnisse und Wissen aus derForschung in die Praxis gelangen.
Designbasierte Forschung
Eine andere Position bei der Frage nach der Rolle desWissens im Gestaltungsprozess nimmt hingegen diesogenannte designbasierte Forschung (Engl.„design-based research“) ein – auch unter den Be-griffen Design Experiments (Brown, 1992, Collins,1992), Development Research (van den Akker, 1999),Design Research (Kelly et al., 2008) bekannt. DieserForschungsansatz in der Pädagogik und Lehr-/Lern-Forschung versucht die zielgerichtete Gestaltung vonLehr-/Lern-Umgebungen mit der systematischenUntersuchung der Lernprozesse in diesen Lernumge-bungen zu integrieren. Kennzeichen designbasierterForschung sind die Verschränkung praktischer undwissenschaftlicher Interessen, die Betonung des De-signs einer Intervention, die theoretische Veran-kerung des Forschungsprozesses, die iterative Vorge-hensweise und die Anwendungsorientierung. Ab-bildung 1 zeigt nach Reeves (2006) den Status desWissens und des Designs in den beiden bisher darge-legten Positionen. Der Ansatz designbasierter For-schung wird insbesondere im anglo-amerikanischenRaum in diversen Forschungs- und Entwicklungspro-jekten verfolgt. Die Diskussion um seine forschungs-methodologischen Grundlagen hält jedoch an wobeidie „klassische“ empirische Forschung als Maßstabangelegt, Forschung auf Basis vorangegangenen
Abbildung 1: Designbasierte versus „klassische“ empirische Forschung (nach Reeves, 2006)
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Designs betrieben wird und das zu generierendeWissen die Form kontextfreier Aussagen gewinnensoll.
Designbasierte Forschung legt den Fokus auf einforschungsbasiertes und ingenieursmäßiges Vor-gehen, was darin begründet wird, dass die Inge-nieurswissenschaften in ihren ForschungsprozessenInnovation entwickeln und diese Vorgehensweise aufdie Pädagogik übertragen werden kann um pädago-gisch didaktische Innovation zu befördern. Bei-spielhaft werden am Modell von Bannon-Ritland(2003) die impliziten Annahmen der designbasiertenForschung skizziert: Die empirische Analyse ist dietreibende Kraft in einem Prozess der von Analyse(„informed exploration“) zur Synthese („enactment“)und dann zur Evaluation („local impact“, „broaderimpact“) voranschreitet. Die umfassende (und ob-jektive) Bestimmung von Ist- und Sollzustand bildetden Ausgangspunkt des Designprozesses. Analyseund Synthese werden als zwei voneinander getrenntePhasen verstanden und die Lösung von Designpro-blemen basiert auf der Auswahl und Kombinationbekannter Operationen. In der designbasierten For-schung ist der gestalterische Part selbst nicht als Wis-sensgenerierungsprozess konzeptioniert, die Vorge-hensweise ist nicht designgetrieben.
Wissensgenerierung durch Design
Eine weitere Position bezieht den Designprozess indie Forschung mit ein, bzw. konzeptionalisiert Designselbst als epistemischen, also erkenntnisgenerie-renden Prozess. Wissensgenerierung findet durchDesign statt. Im Designprozess werden immerwieder gut informierte Entscheidungen getroffen, diein wissenschaftlichen Theorien fundiert werdenkönnen - entscheidend ist jedoch, dass der Desi-gnprozess selbst als objektorientierte Untersuchungangelegt wird, in dem sowohl innovative Produkteund Services als auch Wissen generiert wird. Die Po-sition des Design als objektorientierter Untersuchungoder Design als Wissensgenerierung wird in diesemKapitel genauer dargelegt. Sie nutzt Vorgehensweisendes sogenannten Design Thinking, Methoden derDesignforschung und des Interaktionsdesigns undbasiert auf designtheoretischen Überlegungen.
Expansive Learning
Der vierte Ansatz, hier nur kurz skizzierte Position,geht ebenfalls von der Generierung von Wissen imDesign aus. Dieses Wissen bleibt auf den lokalenKontext, wie zum Beispiel die Organisation in der dieLösung entwickelt wird, bezogen. Engeströms (2005)Ansatz des Expansive Learning der auf die Transfor-
mation von Handlungssystemen im Sinne LernenderOrganisationen abzielt, und Schöns Ansatz des Re-flective Practitioner werden beispielhaft dieser Po-sition zugeordnet (Schön, 1983).
Designwissen
Die Form des Wissens, das in Designprozessen gene-riert wird hat einen anderen Status als das kontext-freie und wertfreie Wissen „klassischer“ empirischerWissenschaften. Es wird in lokalen Kontexten gene-riert, da Design spezifische Anwendungskontexte imBlick hat. Design und Artefakte bestimmen die Er-kenntnis mit – dies wird im Forschungsprozess be-reits in der (Design-) Hypothese formuliert. Design-Wissen ist Wissen über die Wirksamkeit von Handelnund das Wissen um die Bedingungen unter denen dasHandeln wirksam wird. Es beantwortet die Frage:„Was funktioniert unter welchen Bedingungen?“ undsucht die Wirkung zu erklären. Die Wissenspro-duktion erfolgt durch die Beschreibung der Bedin-gungen und der Intervention (als Faktoren) unddurch die Suche nach Erklärungen für die Wirk-samkeit (Wirkmechanismen). Während die Bedin-gungen lokal sind, verweisen die Erklärungen überden einzelnen Kontext hinaus.
Nicht nur in der Pädagogik, sondern auch im In-teraktionsdesign und in den Designwissenschaften,die teilweise bestrebt sind Design als akademischeDisziplin zu fundieren, existieren entsprechende desi-gntheoretische Positionen, die Wissensgenerierungdurch Design zu konzipieren, unter anderem.: re-search through design (Findeli et al., 2008),thoughtful interaction design (Löwgren & Stol-termann, 2007), cognitive design und gestalterischeEpistemologie (Stephan, 2006) und Design als Wis-sensgenerierung (Allert & Richter, 2009). Im Fol-genden wird das Kapitel den Begriff „Design“ skiz-zieren, die epistemische Rolle von Artefakten im ob-jektorientierten Untersuchungsprozess darlegen,einen Designprozess, der als Untersuchung angelegtist, beschreiben und anhand einer allgemeinen Desi-gntheorie den Status des durch Designprozesse gene-rierten Wissens klären (wie wird das im Design gene-rierte Wissen artikuliert und formuliert und welcheForm hat es). Der dargelegte Designprozess zeichnetsich durch seine Orientierung an Tätigkeiten undPraktiken aus (Engl. „practice-oriented design“) undstellt eine Alternative zu Produkt-orientierten undNutzer-orientierten Ansätzen dar, die grundsätzlichebenfalls denkbar sind (Shove et al., 2007). So wie inder Mediennutzung häufig von Nutzungspraktiken
Designentwicklung. Anregungen aus Designtheorie und Designforschung— 5
gesprochen wird, wird im Folgenden für Praktikendes Lernen und Lehrens auch der Begriff der Wis-senspraktiken verwendet.
3. Pädagogik als DesignwissenschaG
Pädagogik als WissenschaG vom KünstlichenUm sich der pädagogischen Perspektive und der Päd-agogik als Wissenschaft zu nähern, betrachten wir zu-nächst die Disziplin selbst. Herbert Simon (1969) un-terscheidet die Naturwissenschaften von den Wissen-schaften vom Künstlichen. Er bezieht sich zunächstauf das Ingenieurswesen, bevor er wissenschaftlicheDisziplinen wie die Medizin, Wirtschaftswissen-schaften und Pädagogik den Wissenschaften vomKünstlichen zuordnet und sie dann auch die Wissen-schaften vom Entwerfen oder Designwissenschaftennennt. „Wir sprechen vom Ingenieurwesen als vonetwas, das die ‘Synthese’ betrifft, während sich Natur-wissenschaft mit der ‘Analyse’ befasst. (…) Der Inge-nieur und allgemeiner der Entwerfer beschäftigensich damit, wie die Dinge sein sollten – wie sie seinsollten um Zielen zu genügen und zu funktionieren.(…) Mit dem Streben und ‘Sollen’ bringen wir die Di-chotomie ‘normativ’ – ‘deskriptiv’ ins Bild. Die Na-turwissenschaft hat einen Weg gefunden, das Nor-mative auszuschließen und sich alleine damit zu be-fassen, wie die Dinge sind. Können oder sollen wirdiese Ausschließlichkeit beibehalten, wenn wir vonden natürlichen Erscheinungen zu den künstlichenübergehen, von der Analyse zur Synthese?“ (Simon,1969, 4). Designwissenschaften sind demnach Diszi-plinen, die entwerfen und synthetisieren, das heißtdas Künstliche konzipieren und planen, Artefakteund Lösungen entwickeln.
Bildungziele und -‐normen
Wenn Pädagoginnen und Pädagogen als Designwis-senschaftlerinnen und Designwissenschaftler Lö-sungen in die Welt bringen, befassen sie sich mit demnormativen „Sollen“ und nicht mit dem Beschreibender Welt wie sie ist. Designwissenschaften unter-suchen nicht das Bestehende (zum Beispiel einenLernprozess wie er ist), sondern entwickeln Lö-sungen in Form von Intervention und Produktenund führen so eine Veränderung herbei. Handeln undErkennen konstituieren den Untersuchungsprozess.Wir können uns fragen ob eine Intervention in einemgegebenen Kontext wirksam wird, ob sie funktioniertund ein gesetztes Ziel erreicht. Wir können dieWirkung beschreiben und gegebenenfalls erklärenwie sie zustande kommt. Die Frage, wie Welt sein
sollte bezieht normative Aspekte ein. Design bedarfeines Ziels, einer Vision, wobei diese nicht wertfreiist.
Die Synthese in unserer Betrachtung bezieht sichauf die Förderung lernrelevanter und wissensinten-siver Prozesse, in denen die Interaktion mit Techno-logien eine Rolle spielt. „Didaktisches Design ist eineTheorie die Leitlinien darüber bereitstellt, wie manMenschen unterstützen kann, besser zu lernen undsich zu entfalten“ (Reigeluth, 1999, 5, Übersetzung).Entwerfen und Synthetisieren sind nicht wertfreioder wahr. Eine Lösung kann bewertet werdenanhand ihrer Nützlichkeit und ihrem Funktionierenunter gegebenen Bedingungen in einem lokalenKontext und in Bezug auf ein Ziel. Evaluation be-deutet dementsprechend die Bewertung der Lösunganhand der gesetzten Ziele. In diesem Zusam-menhang kann in der Pädagogik die KategorieBildung als prägnantes Beispiel für eine nicht wert-freie normative Setzung im Sinne einer Designwis-senschaft gesehen werden. Die Pädagogik hat sich inder Auseinandersetzung um die Modelle der allge-meinen Didaktik intensiv mit der Frage der Verant-wortung bei der Definition von Zielen und norma-tiven Setzungen befasst. Bildung gilt der bildungs-theoretischen Didaktik als Ziel, auf das sie sich beider Planung didaktischer Intervention verpflichtet.Auch weniger allgemein vereinbarte Ideale stellen Vi-sionen und normative Setzungen dar, zum Beispielindividuelle Vorstellungen einer wünschenswertenZukunft im eignen Lernumfeld, wobei der Designerdie Verantwortung für die dem Design zugrundelie-genden Werte nicht abgeben kann. Auch gesellschaft-liche Verantwortung wird von Designern diskutiert:„In den 60ern begannen Designer über die Implika-tionen ihres Designs für die Gesellschaft nachzu-denken“ (Wood, 2007, Übersetzung). Deskriptive(Natur-)Wissenschaft hingegen „hat einen Weg ge-funden, das Normative auszuschließen“ (Simon,1969, 4), analysiert die Welt wie sie ist und zielt aufdie Formulierung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten undRegeln, die unabhängig von einzelnen Situationenund Kontexten universell gültig und wertfrei sind.Anzumerken ist, dass Simon eine klassische Wissen-schaftsauffassung vertritt, die sich wie zuvor be-schrieben, stetig verändert. Knorr-Cetina (2002, 151)und Latour (2010) anerkennen die Rolle materialerArtefakte bzw. die materialen Aspekte technischer In-strumente im Erkenntnisprozess und beschreibenPraktiken heutiger Wissensarbeit.
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4. Veränderungen durch Design
Ko-‐Evolu%on von Problem und Lösung
Auch Designwissenschaften betreiben Analyse wennsie Probleme, für die Lösungen gesucht werden,identifizieren und beschreiben. Aus der Analyse lässtsich allerdings die Synthese bzw. aus dem Problemdie Lösung nicht ableiten. Auch greift die Vorstellungzu kurz, dass eine geschaffene Realität beobachtetwird. Eher wird durch das Schaffen selbst die Realitätbeobachtbar. Cross (1995) spricht von der Ko-Evo-lution von Problem und Lösung und geht davon aus,dass die Generierung einer Vielzahl von Lösungsop-tionen als Mittel verstanden werden kann dasProblem zu analysieren, zu explorieren und zu ver-stehen. Gestaltung und Synthese ermöglichen dasProblem zu erkennen und zu benennen: „Häufigzeigt sich, dass der gestalterische Ansatz überhaupterst dazu führt, Problemlagen zu erkennen und zubeschreiben.“ (Stephan, 2009). Ein tieferes Ver-ständnis des Problems gelingt durch den Entwurf, dieKonzeption und das Testen möglicher Lösungen.
Das Ergebnis (nicht der Start) eines Designpro-zesses ist demgemäß neben einer Lösung auch dasVerständnis des Problems, also Wissen über denProblem- und Lösungsraum. Allerdings kann die Be-schreibung und Lösung des Problems wie es ist nichtgelingen weil es sich stetig verändert. „Dies beziehtsich auf Design als projektive Disziplin, welche ver-sucht, existierende Situationen in bevorzugte zu ver-wandeln. Wenn das Problem gelöst ist, wird dieLösung zumeist zum Keim eines neuen Problems.(...) Kontextualisierte wissenschaftliche Problemesind, wie Designprobleme, niemals gelöst.“ (Jonas,2005).
Problem und Lösung schreiten ko-evolutionärvoran, sie entwickeln sich in und mit ihrem Umfeldgegenseitig weiter und werden nicht getrennt gefasst,sondern als Designraum beschrieben. Als Desi-gnraum wird der Realitätsraum gefasst, in dem sichProblem, Lösungen und äußere Randbedingungengegenseitig bedingen (Burckhardt, 1995). Einen Ein-fluss auf die Konzeptualisierung des Designraum hatdas Framing: In der Art der Beschreibung desProblem- und Lösungsraums liegt eine Perspektive.Bei der Beschreibung des Designraums definiert dieDesignerin oder der Designer den Realitätsraum unddie Aspekte die sie oder er für relevant erachtet untereiner Perspektive, die sie oder er einnimmt und einerRahmung, die sie oder er vornimmt. Im Design alsUntersuchung wird der Frame, der in der Praxisimmer gesetzt aber meist implizit bleibt, offengelegt,um implizite Annahmen aufzudecken und reflek-
tieren zu können. Der Frame bestimmt Forschungs-frage und Designentscheidungen mit, da Annahmenin Form einer Frage zu einem Phänomen gestelltwerden können. Das Framing bestimmt, welcheTheorien aktualisiert werden um informierte Desi-gnentscheidungen zu treffen. Als Beispiel: Eine Bi-bliothek könnte als Buchabholstation oder als so-zialer Treffpunkt gefasst werden.
Veränderung von Lehr-‐ und Lernprozessen durch DesignObwohl Cross (1995) von der Ko-Evolution vonProblem und Lösung spricht, bedeutet Design nichtProblemlösung, sondern die Entwicklung und Bereit-stellung von Handlungsoptionen, die Einfluss auf diereale Welt nehmen und die, wenn sie genutzt werden,die Art und Weise wie wir Dinge tun, verändernkönnen. Im Falle des Lernens und Lehrens mit Tech-nologien kann die Bereitstellung interaktiver Medienzur Veränderung von Lehr-/Lern-Prozessen führen.Die Aneignung, Nutzung und Umnutzung einer in-novativen Technologie ist Teil des Designprozessesund schließt diesen erst ab. Carroll (2004) betiteltdieses produktive Moment menschlicher Tätigkeit als„completing design in use“. Die Nutzung eines Me-diums (oder Artefakts im weitesten Sinne) kann Prak-tiken transformieren ebenso wie die Nutzung das Ar-tefakt wie es vom Designer intendiert war, verändernkann. Der Nutzer wird durch die Nutzung zum Mit-designer. Das an Praktiken orientierte Design nimmtan, dass die Bedeutung eines Artefakts (eines Pro-duktes, einer Technologie) nicht im Artefakt selbstliegt sondern durch die Tätigkeit und Nutzung kon-stituiert werden (Shove et al. 2007). Die Nutzung vonTechnologien transformiert Wissenspraktiken ebensowie neu entstehende Wissenspraktiken die Techno-logien verändern. Medien können die Art und Weise,wie wir mit Wissen arbeiten verändern, Wissensprak-tiken also transformieren. Technologien determi-nieren Nutzungspraktiken nicht – vielmehr gestaltendie entstehenden Nutzungspraktiken die Techno-logien mit.
Ein Framing und Re-‐Framing des Problems, bzw. desDesignraums kann im gesamten Designprozess neueErkenntnisse bringen und erheblich zu einer innova-‐Lven Lösung beitragen. Ein Framing fundiert die Desi-‐gnhypothesen und die Forschungsfrage. Das Framingdefiniert die PerspekLve auf das Problem um dieTheorie zur Fundierung der Fragestellung und zur Er-‐klärung der Mechanismen zu finden und zu wählen
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Designentwicklung. Anregungen aus Designtheorie und Designforschung— 7
5. Design als WissenschaGDesign umfasst neben logischem Denken Aspektewie etwa Kreativität, Intuition, Inspiration, Zufall(Jonas, 2005). Frühere Sichtweisen verstehen Designdeshalb als oft unbeschreibbare Kunst und denDesigner als geniale Heldenfigur (Cross, 1995) – dasDenken und die Prozesse im Design erscheinen alswenig systematisierbar. Darüber hinaus ist Designweder als Begriff noch konzeptionell eindeutig ge-fasst. Fallman (2003) unterscheidet eine als roman-tisch bezeichnete Position, die den Kern von Designals Intuition beschreibt, von einer als konservativ be-zeichneten Position die Design als angewandte Wis-senschaft ansieht. Beiden Positionen stehen aktuelleAnsätze, Denkweisen und Strömungen gegenüber,die designerisches Denken und Vorgehen methodo-logisch fundieren und systematisch fassen. Cross(1995) beschreibt designerische Fähigkeiten als arti-kulierbar, charakterisierbar, erlernbar und pflegbar.Ebenso können sie verloren gehen. Gedenryd (1998)und Lawson (2005) haben ebenfalls zur Entmystifi-zierung mit der Analyse designerischer Denk- undArbeitsweisen beigetragen. Ein ähnliches Spannungs-verhältnis um vermittelbare Fähigkeiten, sowie umdie Frage des Status von Theorie und Praxis und dieFrage ob Unterrichten Kunst oder Wissenschaft sei,wurde in der Pädagogik um die 70er Jahre diskutiert.
Heute befassen sich wissenschaftliche Arbeitenum das Schlagwort Design Thinking entweder mitindividuellen kognitiven Prozessen im Design oderaber mit kollaborativen Denk- und Handlungsweisenund einer designerischen Art voranzuschreiten:„Design steht im Ansatz des Design Thinking nichterst am Ende eines Entwicklungsprozesses, sondernwirkt als zentrales Element bei der strategischen undoperativen Ausrichtung. Gestaltung wird damit zumenabler der nachfolgende Maßnahmen anstößt.”(Stephan, 2009). Mit Fokus auf strategische Prozessekann Design als Antrieb für eine Lernende Organi-sation begriffen werden, wobei Design alle Prozessein einer Organisation antreiben und zu konzeptio-neller Originalität führen soll (Shamiyeh, 2010). [ge-kürzt]
U n t e r Designwissenschaften (engl. „designstudies“) sind Beiträge und Arbeiten zusammenge-fasst, die sich mit der Rolle des Wissens und der Ent-stehung von Wissen im Design befassen und wissens-generierende Momente fundieren. Wenn wir Designnicht nur als Anwendung bestehenden Wissens ausdeskriptiven Wissenschaften ansehen sondern wis-sensgenerierend nutzen, so hat dies Konsequenzen
für die Beziehung zwischen Theorie und Praxis, fürForschung und Design in der Pädagogik sowie für diewissenschaftstheoretische Fundierung von Design.
Der Prozess der Ko-Evolution von Analyse undSynthese unter sich gleichzeitig verändernden Kon-textbedingungen kann als Untersuchungsprozess an-gelegt werden. Dies setzt voraus, dass der Desi-gnprozess unbestimmte Momente enthält in welchenWissen nicht angewandt, sondern generiert wird.Diese Momente ermöglichen eine kreative und re-flektierte Auseinandersetzung mit Undetermi-niertheit. Um dies zu klären und diese Momente sys-tematisch zu identifizieren betrachten wir die Fun-dierung von Designentscheidungen, die Rolle desWissens im Designprozess und die Artikulation vonDesignwissen aus der Sicht einer allgemeinen Desi-gntheorie (Goldkuhl, 2004). Um die Technologienund Medien im Lernprozess ins Blickfeld zu rückenbetrachten wir im nächsten Abschnitt zunächst dasArtefakt, seine Rolle in der objektorientierten Unter-suchung und seinen Status als Untersuchungsin-strument.
6. Artefakt als Hypothese und Prototyping als Untersu-‐chung
Für den Forschungsansatz wie er nach und nach dar-gelegt wird, ist es notwendig, sich über Rolle undStatus der Technologien und Medien (kurz: Arte-fakte) sowohl im Lehr-/Lern-Prozess als auch im Un-tersuchungsprozess klar zu werden. Ein Artefakt hatim Untersuchungsprozess die Rolle eines epistemi-schen Artefaktes. Ein Artefakt und sein Einsatz imLehr-/Lern-Prozess kann weder induktiv aus denAnforderungen noch deduktiv aus seiner Theorie ab-geleitet werden (zum Status von Artefakten in Desi-gnprozessen, siehe: Models of Design, Coyne, 1988).Als Beispiel: Die Erkenntnisse deskriptiver Wissen-schaften aus der Analyse kollaborativer Prozesse imLernen stellen keine Handlungsanleitung zur Kon-zeption oder zum Einsatz von Technologien zur För-derung kollaborativen Lernens in einem bestimmtenKontext dar.
Das Artefakt, bzw. eine Aussage über seine Ge-staltung und angenommene Wirkung in einem lo-kalen Kontext in Hinblick auf ein Ziel kann im Pla-nungsprozess als Designhypothese begriffen und alspräskriptive Aussage formuliert werden (siehe Ab-schnitt 8). Umgangssprachlich ließe sich formulieren:Was ist das Spezifische der Technologie und wie wirdsich Lernen dadurch verändern – welche Art vonLernen wird sie befördern? Ausgangspunkt derNutzung und des Einsatzes der Technologie sind be-stehende Nutzungspraktiken. Durch die Bereit-
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stellung des Artefakts können Wissenspraktikentransformiert werden und unerwartete Nutzungs-praktiken entstehen. Erst durch den Einsatz des Ar-tefakts in einem gegebenen Kontext kann die prä-skriptive Aussage empirisch fundiert werden. In derEvaluation wird also die tatsächlich entstandene Nut-zungspraktik in einem lokalen Kontext untersuchtund mit den Annahmen und der Hypothese in Be-ziehung gesetzt, das heißt designrelevante Phä-nomene können erklärt werden.
Artefakte stellen Handlungsoptionen bereit, dieeine Transformation eines Lehr-/Lern-Prozessesoder einer Wissenspraktik anregen können.Grundlage dieser Sichtweise ist ein Medienbegriffder Medien als Katalysatoren der Veränderung kultu-reller Strukturen konzeptioniert (Eisenstein, 1997).Medien sind Katalysatoren sofern sie in die latenteoder manifeste soziale Vision einer Gruppe oder Ge-sellschaft passen (Giesecke, 1991). Die Nutzung vonMedien kann Praktiken auf sozialer, epistemischerund pragmatischer Ebene transformieren (Boedker &Andresen, 2005).
Eine präskriptive Aussage über das Artefakt undseine angenommene Nutzung in einem Lehr-/Lern-prozess stellt zunächst eine Hypothese über den De-signraum und eine Annahme über ein Problem unddie Wirkung einer Lösung (eine didaktische Inter-vention, in der die Interaktion mit Technologien eineRolle spielt) unter bestimmten Bedingungen (lokalerKontext) dar. Die Formulierung einer Designhypo-these in Form einer präskriptiven Aussage und dieEvaluation der Nutzung des Artefakts bzw. derTransformation der Wissenspraktik kann als untersu-chendes Voranschreiten („open-ended inquiry“) be-zeichnet werden.
Eine Erklärung des Funktionierens der Lösungkann in wissenschaftlichen Theorien (Lerntheorien,Theorien zur Kollaboration usw.), technologischenTheorien, Handlungswissen und Erfahrung fundiertwerden. Dabei wird sie zum Beispiel auf ihre Kon-sistenz zu theoretischen Konzepten deskriptiver Wis-senschaften überprüft. Wir schließen dabei in einemabduktiven Schluss auf die beste Erklärung, da dieLösung weder deduktiv aus der Theorie noch in-duktiv aus den erhobenen Anforderungen abgeleitetwerden kann. Zum induktiven, deduktiven und ab-duktiven Schließen im wissenschaftlichen Arbeitenfindet sich eine ausführliche Erläuterung bei Sha-miyeh (2010).
Der Design- und Untersuchungsprozess erlaubtdie kontinuierlich tiefere Exploration des Design-raums. Im Folgenden wird der Design- und Untersu-chungsprozess genauer beschrieben.
7. Der Designprozess
Der Designprozess im ÜberblickEine designgetriebene Untersuchung will nebeneinem Produkt oder Service (zum Beispiel eine Inter-vention, Technologie) Wissen und Erkenntnisse überden Designraum generieren. Die Exploration beste-hender Praktiken, die Betrachtung von Phänomenenund Formulierung von Fragen unter einer gewähltenPerspektive (Framing und Re-Framing), das Designeines Prototypen um zugrundeliegende Annahmenzu erproben und zu untersuchen (designing a pro-totype to probe some of the underlying design ass-umptions), sowie die Erklärung der Wirkungsweiseder Lösung und der Bedingungen unter denen ein ge-nerativer Mechanismus wirksam wird, sind Teil desUntersuchungsprozesses im Design.
Design als Untersuchungsprozess anzulegen be-deutet nicht in der Analyse zu verbleiben, sondernfragend voranzuschreiten. Die erste Frage entstehtaus dem Framing. Der gesamte Designprozess stellteine wissensgenerierende Exploration des Desi-gnraums dar. Eine frühe Designfixierung hieße, be-stehende Annahmen nicht zu hinterfragen, bekannteLösungen zu replizieren und sich nicht mehr durchüberraschende Antworten, das Hinterfragen zuGrunde liegender Annahmen oder ein Re-Framingauf neue Fragen einzulassen. Der Designraum selbstkann im Prozess neu definiert werden, zuvor als Rah-menbedingungen angesehene Faktoren können in dieIntervention integriert und verändert werden.
Framing und Re-‐Framing
Das Framing bildet den Einstiegspunkt in den unter-suchenden Designprozess und dient der Abgrenzungdes Designgegenstandes sowie der Bestimmung allge-meiner Rahmenbedingungen. Jeder Designprozessbasiert auf den expliziten oder impliziten Annahmendes Designers oder der Designerin über den Gegen-stand des Designs. Diese Annahmen betreffen einer-seits die Frage was zu gestalten ist, welche Perspek-
Die prototypische Lösung wird eingesetzt und dieNutzung beobachtet um die tatsächliche Transfor-‐maLon der WissensprakLk oder des Lernprozessesbeschreiben zu können. Der englische Ausdruck open-‐ended inquiry bezeichnet das untersuchende Voran-‐schreiten gut. Im voranschreitenden Prozess werdenverLeYe Designhypothesen formuliert.
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Designentwicklung. Anregungen aus Designtheorie und Designforschung— 9
tiven eingenommen werden können, schließen ande-rerseits aber auch grundlegende Annahmen darüberein, was es beispielsweise bedeutet Mensch zu sein, ineiner Gesellschaft zu leben, zu arbeiten oder zulernen (Löwgren & Stolterman, 2007, 10). Entspre-chende Annahmen bieten wichtige Orientierungs-und Bezugspunkte im Designprozess da sie einenRahmen (Frame) für die Interpretation des Designge-genstandes bilden. Bleiben entsprechende Annahmenaber unausgesprochen und somit implizit, kann es zuMissverständnissen und blinden Flecken bei der wei-teren Exploration des Designraums kommen.
Framing und Re-Framing generieren zum eineneine Perspektive auf den Designgegenstand, die zu
originellen und innovativen Lösungen führen kann,zum anderen reduzieren sie die Komplexität der Un-tersuchung. Eine Untersuchung in einem situtierten,lokalen Kontext ist mit der vollen Komplexität derRealität konfrontiert. Das Framing bildet die Per-spektive unter der die Frage gestellt und Theorien zurFormulierung informierter Entscheidung im Designaktualisiert werden.
Explora%on bestehender Kontexte
Im Mittelpunkt einer Exploration bestehender Kon-texte steht die Untersuchung bestehender Praktikenund Prozesse und die Entdeckung möglicher Hand-lungsräume. Neben dem Aufdecken existierender
Abbildung 2: Der Designprozess als kontinuierliche Exploration in der voranschreitend Fragen gestellt werden. Der Ablaufist iterative und nicht streng linear.
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Probleme, kritischer Ereignisse, Spannungsverhält-nisse, Rahmenbedingungen und Handlungsmuster,besteht das Ziel dieser Phase der Exploration im Auf-spüren möglicher Alternativen. Ausgangspunktehierfür bieten sowohl bestehende Praktiken wie auchdie Ziele und Visionen der beteiligten Akteure. Indieser Phase lassen sich Methoden aus den BereichenDesignforschung und Interaktionsdesign nutzen(Buxton, 2007, Laurel, 2003, Löwgren & Stolterman,2007). Ethnographische und phänomenologische An-sätze eignen sich, Phänomene und Praktiken zu er-kunden. Am Ende der Exploration steht die Be-stimmung der Designaufgabe unter einer Frage-stellung. Die Exploration zeigt kritische Ereignisseauf, die als Spannungsverhältnis beschrieben undzum Ausgangspunkt für die Entwurfsphase werdenkönnen. Eine ausbleibende Exploration birgt dieGefahr, bestehende Annahmen nicht in Frage zustellen und wenig originelle Lösungen zu produzieren- die Synthese könnte bestehende Annahmen unre-flektiert in das Artefakt, also das Untersuchungsin-strument, einzubauen („Designfixierung“). Ein Ver-bleiben in der Analyse wiederum würde die vertiefteExploration durch Entwurf verhindern. Auch auseiner detaillierten Analyse kann kontingente Zukunftnicht abgeleitet werden. Im Entwurf und der Ent-wicklung von Produkten, Interventionen, Strategienund Konzepten (Synthese) werden Entscheidungengetroffen, die nicht vollständig aus der Analyse be-gründet werden können. Verständnis des Desi-gnraums erfordert weiteres Voranschreiten im Desi-gnprozess über die Bereitstellung von Handlungsop-tionen bis hin zum Verständnis transformierter Nut-zungspraktiken.
Entwurf
Der anschließende Entwurf mehrerer alternativerLösungsoptionen stellt einen weiteren Schritt zurtieferen Exploration dar, da jeder Entwurf neueFragen zum Verständnis des Problems erzeugt underlaubt zugrundeliegende Annahmen der Lösungsop-tionen zu erkennen, zu hinterfragen und dadurch dieeigene Vision zu schärfen.
Prototypen
Dann wird eine vielversprechende Lösungsoptionausgewählt und prototypisch umgesetzt. Prototypensind Repräsentationen bevor das finale Produkt exis-tiert. Ein Prototyp wird gezielt auf die Beantwortungeiner Fragestellung hin konzipiert, umgesetzt undeingesetzt, das heißt, die der Lösungsoption zugrun-deliegende Annahme bzw. Designhypothese sollenuntersucht werden können. Bei ihrer Herstellungzeigt sich, welche konkreten Designentscheidungennoch zu treffen sind. Prototypenarten die zur tieferenExploration des Designraums geeignet sind wirkenwie Erfahrungssubstitute und Sonden in einemsozio-kulturellen Kontext. Sie machen die Erfahrungallen vom Design Betroffenen erlebbar, erlauben dieBeobachtung der Transformation von Praktikensowie der Umnutzung des Prototypen durch die ent-stehende Praktik. Formen sind unter anderen:▸ Storyboards und visuelles Story Telling (Illus-
tration zentraler Handlungsschritte in Form einerBildergeschichte),
▸ Wireframe-Modelle und Interface-Skizzen (Ab-bildung der strukturellen und funktionalen Ele-mente der Benutzeroberfläche, ohne Berücksich-tigung der graphischen Ausgestaltung),
▸ Video Prototypen (Videoaufzeichung von Per-sonen die mit dem „System“ interagieren und ty-pische Aufgaben lösen),
▸ dynamische Papierprototypen (jedes Blatt Papieroder Post-It repräsentiert eine Bildschirmseiteoder ein Bildschirmelement. Während die An-wender so tun, als ob sie mit dem Papierproto-typen interagieren, wechselt oder ändert die Desi-gnerin oder der Designer das Papier entsprechendder „Eingaben“),
▸ dynamische digitale Prototypen (das Erschei-nungsbild und die Funktionalitäten des inten-
Ein Beispiel aus der Praxis wird zur Veranschaulichungunter der folgenden Adresse in einem Wiki zur Ver-‐fügung gestellt: h`p://ukzizm-‐s04.izm.uni-‐kiel.de/Lki5/Lki-‐index.php?page=L3T-‐Startseite[2011-‐01-‐08]
Weiteres findet sich auch bei Mister Wong unter #l3t#designforschung!
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Abbildung 3: Paralyse durch Analyse vs. Designfixierung
Designentwicklung. Anregungen aus Designtheorie und Designforschung— 11
dierten Systems werden bis zu einem gewissenGrad in digitaler Form nachgebildet (zum Beispielin MS PowerPoint),
▸ Bricolage-Prototpen (Simulation intendierterFunktionalitäten mit Hilfe bereits existierenderSysteme wie EtherPad, BSCW, YahooPipe, Posit-log bzw. der Re-Kombination dieser Systeme).
Ein Prototyp erlaubt den Beteiligten mit dem vor-gestellten Artefakt zu interagieren, Erfahrung bei derNutzung in einer realistischen Situation zu sammeln(Preece et al., 2002). Praxisbeispiele für „Erfahrungs-prototypen“ finden sich bei Buchenau & Suri (2000).Diesen Schritt des Designprozesses kann man Proto-typing als Untersuchung nennen. Der Prototyp wirdmit möglichst minimalem Einsatz umgesetzt, geradetauglich um eine aus den Annahmen gewonnene Fra-gestellung zu beantworten. Annahmen und Frage-stellung werden aus der präskriptiven Aussage gene-riert (präskriptive Aussagen sind Annahmen über denDesignraum und die Wirkung der Intervention). Biszu diesem Schritt im Designprozess existieren aus-schließlich Hypothesen über die Wirkung der Inter-vention, die Nutzung des Prototypen im Lehr-/Lern-prozess und die Transformation der Praktik. ImSinne einer Untersuchung sind neben der Designhy-pothese (siehe letzter Abschnitt) vor und während
der Intervention alternative Hypothesen formu-lierbar, für die in der Evaluation Belege gesammeltwerden.
Einsatz und Evalua%on
Einsatz und Evaluation stellen den nächsten Schrittim Untersuchungsprozess dar. Ziel der Evaluation istdie Prüfung der Designhypothese in einem lokalenKontext. Durch Einsatz und Evaluation wird die prä-skriptive Annahme empirisch fundiert. Je nach Frage-stellung soll nicht nur die Interaktion mit dem techni-schen System (operative Ebene), bzw. das Interfacegetestet, sondern im weiteren Sinne die Nutzung desArtefakts und die Transformation der Wissenspraktikin Erfahrung gebracht werden. Das Funktionierender Lösung wird in Bezug auf das gesetzte Ziel ge-prüft. Die Evaluation vertieft wiederum die Explo-ration des Designraums und kann das Ergebnisbringen, dass das Problem ganz andere Facetten hatoder anders gelagert ist als bisher angenommen. DerDesignprozess kann zum vertieften Verständnis desProblems oder zu einem Re-Framing des Desi-gnraums führen. Das Verständnis der entstehendenWissens- und Nutzungspraktiken kann außerdem zurkonzeptionellen Innovation im Sinne einer Weiterent-wicklung oder Neukonzeption von Technologienführen. Evaluationsmethoden finden sich u.a. beiPreece et al. (2002) und bei Löwgren und Stolterman(2007).
8. Designtheorie und Designwissen
Eine allgemeine Designtheorie stellt abstrahiertespraktisches Wissen über Designaktivitäten und ihreFundierung dar. Im Prozess des didaktischen Designswird Designwissen generiert und artikuliert. Desi-gnhypothesen werden in Theorie und Empirie fun-diert. Abbildung 4 zeigt die allgemeinen Desi-gntheorie nach Goldkuhl (2004, annotiert). Anhanddieser wird die Form von Wissen, die in Designpro-zessen gewonnen wird, einführend dargelegt:
Bei der Planung wird die Designhypothese gene-riert, die die Form einer präskriptiven Aussage hat.Zur Formulierung einer Designhypothese lässt sichdie folgende Form nutzen: Wenn, unter den Bedin-gungen K1, K2, ... Kn, das Artefakt mit seinen spezi-
Während des gesamten Designprozesses wird Wissengeneriert. Die systemaLsche ArLkulaLon und Doku-‐mentaLon umfasst die Formulierung von Designhypo-‐thesen, die Sammlung von Faktoren die den Desi-‐gnraum beschreiben und die Erklärung designrele-‐vanter Phänomene durch generaLve Wirkmecha-‐nismen.
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Entwickeln Sie einen Prototypen in dem Sie folgender-‐maßen vorgehen: ▸ Schri` 1: Festlegung der Fragestellung, die mitdem Prototypen geklärt werden soll. ▸ Schri` 2: Auswahl einer geeigneten Prototypenart▸ Schri` 3: Kurzes Design-‐Review (Peer Review)bzgl. Fragestellung und Art des Prototypen ▸ Schri` 4: Realisierung des Prototypen
Um eine AußenperspekLve zu gewinnen (Schri` 3)soll ein Feedback von anderen eingeholt werden. Fol-‐gende Fragen sind dabei zu stellen:▸ Ist die Art des Prototypen geeignet die Frage-‐stellung zu klären? ▸ Worauf sollte bei der Erstellung des Prototypengeachtet werden? ▸ Welche Merkmale sind wichLg, welche nicht? ▸ Ist die Erstellung eines entsprechenden Proto-‐typen realisLsch (mit den gegebenen Mi`eln, Zeit-‐rahmen)?
Für die Kurzbeschreibung des Prototypen (Schri` 4)sind die Antworten auf folgende Fragen wichLg:▸ Welche Frage soll mi`els des Prototypen beant-‐wortet werden? ▸ Art des Prototypen? ▸ Welche Produktmerkmale sollen mit dem Proto-‐typen abgebildet werden?
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12 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
fischen Qualitäten Q1, Q2, ... Qn eingebracht wird,dann sollte dies das Auftreten des Mechanismus Munterstützten/zur Folge haben und dadurch zu denZuständen/Ereignissen Z1,Z2, ... Zn führen. Die Be-dingungen, unter denen die Intervention (Einsatz desArtefakts und pädagogisch-didaktische Maßnahmen)wirksam werden soll und die Intervention selbst,können in Form von Faktoren beschrieben werden.In Erweiterung der allgemeinen Designtheorie vonGoldkuhl (siehe Abb. 4) können auch Erklärungenfür die angenommene Wirksamkeit formuliertwerden: Welcher Mechanismus kann die Transfor-mation erklären? Vor und auch während der Inter-vention werden neben der Designhypothese alter-native Hypothesen gebildet, denn es könnte auchandere Gründe und Erklärungen für die Transfor-mation geben: es ist denkbar, dass andere Faktorenals die Intervention selbst zum Ziel führen. ▸ Die empirische Fundierung: Die pädagogische
Planung bzw. der Prototyp kommt in einem lo-kalen Kontext zum Einsatz. Aktion x’ sowieEffekt y’ und Kontext z’ können beschrieben
werden. Die entstehenden Nutzungs- und Wissen-spraktiken können beobachtet werden und die De-signhypothese kann geprüft werden. AlternativeHypothesen und Erklärungen können ggf. in derempirischen Fundierung ausgeschlossen werden.Die alternativen Hypothesen können bestätigtwerden falls der beobachtete Effekt y’ vom ge-planten Ziel y abweicht oder falls andere gene-rative Mechanismen als die angenommenen dieWirkung besser erklären.
▸ Die theoretische Fundierung: Präskriptive undempirische Aussage werden auf Konsistenz zu ex-ternen wissenschaftlichen und technologischenTheorien geprüft. Durch abduktives Schließenkann ein Schluss auf die beste Erklärung ge-wonnen werden.
▸ Ethische Entscheidungsmöglichkeiten: DerDesigner hat Verantwortung bezüglich der Vi-sionen und Werte, die seinem Design zugrundeliegen.
Abbildung 4: Allgemeine Designtheorie nach Goldkuhl (2004), annotiert und verändert
Designentwicklung. Anregungen aus Designtheorie und Designforschung— 13
▸ Ontologien und Begriffe: In Bezug auf den Ge-genstandbereich und das Design liegen weitereRahmenkonzepte zugrunde, die die Konzeptionbeschreibbar machen.
Ergebnis der Untersuchung ist eine Erklärung derMechanismen und unter welchen Bedingungen siewirksam werden. Die Generierung und Modellierungvon Designwissen kann in allen Phasen des Desi-gnprozesses stattfinden. Die Artikulation des Desi-gnwissens, das in Lehr-Lernkontexten generiert wird,unter Nutzung einer Modellierungssprache, stelltletztendlich die Beschreibung eines didaktischen Mo-dells dar.
9. Zusammenfassung
Pädagogische Situationen sind offen, komplex, ziel-orientiert, einem Ziel verpflichtet, situationsge-bunden, einmalig, unvorhersehbar, inhomogen undfinden unter gegebenen lokalen Bedingungen statt.Designer entwickeln Strategien und Vorgehens-weisen, um in solchen Problemlagen Lösungen zufinden: Designerisches Denken erfordert Kreativitätund produktives Denken um kontingente Lösungenzu entwickeln, die sich nicht direkt aus einer Analyseableiten lassen. Design bedeutet jedoch auch Me-thoden und Vorgehensweisen, die beschreibbar, sys-tematisierbar und erlernbar sind, zu nutzen. DiesesKapitel entwickelte einen Designansatz zur Lösungs-findung, das heißt zur Planung eines Lehr-/Lern-Sze-narien in dem die Interaktion mit Technologien eineRolle spielt. Der Designprozess wurde als objektori-entierte Untersuchung angelegt. Durch die Formu-lierung von Designhypothesen und Fragen, durch dieKonzeption und Erprobung von Prototypen und dieErklärung der Veränderung von Wissenspraktiken,wird Wissensgenerierung durch Design angestrebt.Die materiale/zeichenhafte Qualität des Artefakts alsUntersuchungsinstrument wird in die Hypothese(Designhypothese) einbezogen. Pädagoginnen undPädagogen sind als Designerinnen und Designer be-fähigt, konzeptionelle Ideen in die Technologieent-wicklung einzubringen und mittels Designrepräsenta-tionen zu formulieren. Zu den Designwissenschaftenkann die Pädagogik in mehrfacher Hinsicht beitragen:Zum einen kann sie in wissensintensiven Gegen-standsbereichen durch designgetriebene Prozessekonzeptionelle Innovation generieren zum anderenkann sie wissensgenerierende Prozesse im Designfördern und untersuchen. Sie kann die Entwicklungdidaktischer Modelle als Design anlegen und denStatus von Designwissen wissenschaftstheoretischfundieren.
Danksagung
Wir danken unseren Studierenden an der FH Oberösterreich,Studiengang Kommunikation, Wissen, Medien und an derChristian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Pädagogik,Schwerpunkt Medienpädagogik/Bildungsinformatik für die Er-probung des Ansatzes Design als Wissensgenerierung als For-schungsansatz und für die Bereitstellung zahlreicher Designre-präsentationen und Designideen für unsere Untersuchung derRolle und materialen/zeichenhaften Qualität von epistemi-schen Artefakten in Wissensgenerierungsprozessen. Ein Bei-spiel aus der Praxis von Florian Scheppelmann und Sven Meier(Sommersemester 2010) kann auf den eigens für dieses Kapitelbereitgestellten Wikiseiten unter der folgenden Adresse abge-rufen werden: http://ukzizm-s04.izm.uni-kiel.de/tiki5/tiki-in-dex.php?page=L3T-Startseite. Für Rückmeldungen auf frühereVersionen des Textes, die erheblich zur Verbesserung beige-tragen haben, danke ich den MitarbeiterInnen am Institut fürPädagogik, Abteilung Medienpädagogik/Bildungsinformatik,insbesondere Dr. F.-W. Lehmhaus, Dr. W. v. Grone-Lübke undG. Tanski, StR i.H.
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