27.9.2016
Knochen gebrochen – im Zimmer verkrochen?
Wege aus dem Teufelskreis
M. Nerlich / I. Grell
Caritas Unfallmedizin Regensburg – Alterstraumatologie (CURA)
Klinik für Unfallmedizin
Prof. Dr. M. Nerlich
Lokale und regionale Demographie bis 2025
Stadt Regensburg: > 80 J: +27%
Landkreis Regensburg: > 80 J: +101%
Fallzahlentwicklung unfallchirurgischer Patienten im CSJ im Alterssegment 70 Jahre und älter (2008-2015)
388 419
477
551
607 653
833
773
212 235
274 319 318
434
551 539
31 41 48 70 56
107
167 178
0
100
200
300
400
500
600
700
800
900
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
70+
80+
90+
Quelle: MCC Datenabfrage DRG-Ampel
Was ist eigentlich Alterstraumatologie?
Was ist anders bei älteren Menschen?
• Knochenqualität
• Weichteil- und Durchblutungssituation
• Compliance
• häufiger komplexe Frakturformen
Chirurgische Herausforderungen in der Alterstraumatologie
Knochenqualität
30 Lj. 60 Lj. 90 Lj.
Proximaler Femur
Wirbelkörper
Weichteile und Durchblutung
Weichteile und Durchblutung
Pergament- haut
pAVK
Chron. Ulcus cruris
Diabetischer Fuß mit Ulcus
Compliance
R. Holz, B. Füchtmeier, E. Mayr: Ursachen der fehlgeschlagenen Osteosynthese am Sprunggelenk, Unfallchirurg 2011 · 114:913–921
Anspruch und Realität
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Prof. Dr. Dr.
h.c. E. Mayr 11
Verletzungen/Brüche in hohem Alter?… alles kein Problem mehr! Dank des Fortschritts in Chirurgie/Anästhesie und toller Implantate!
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Todesursache OSG-Fraktur?
Beobachtetes Überleben Bösartige Neubildungen des Kolorektums 1988-2011 Altersgruppe > 80 J. n=5624 Quelle: Tumorregister München 2013
Tumorpatienten
Dänemark 1977 – 2001 • 169.145 Patienten mit Hüftfraktur • 524.010 Patienten ohne Hüftfraktur Quelle: Acta Orthopaedica 2009; 80 (5): 525–530
Beobachtetes Überleben Hüftfraktur vs. Kontrollgruppe
Warum profitieren geriatrische Traumapatienten nicht vom medizinischen Fortschritt?
These: Die typische Altersfraktur ist meist nur Symptom eines komplexeren Geschehens („Frailty“).
Die Mortalität der hüftgelenksnahen Fraktur hat sich in den letzten 40 Jahren praktisch nicht verändert! (Haleem et al, Injury. 2008 Oct;39(10):1157-63)
Unsere wirklichen „Problemfelder"
Sturz + Sturzangst Osteoporose
Schmerz
Delir/Demenz
Ernährung
Depression?
Date of download: 4/21/2015 Copyright © 2015 American Society of Anesthesiologists. All rights reserved.
Frequency of main comorbidities in the elderly patients.
From: Perioperative Management of Elderly Patients with Hip Fracture
Anesthesiology. 2014;121(6):1336-1341. doi:10.1097/ALN.0000000000000478
Geriatrische Mitbetreuung + frühestmögliche Aktivierung
• Geriatrisches Risikomanagement:
– Mitbehandlung von internistischen Begleiterkrankungen (Fraktur nur Symptom eines komplexeren Geschehens?)
– Prävention, ggf. Behandlung eines Delirs
– „Drug Review“
– Ernährungsoptimierung
– Abklärung von Sturzrisiken
– Weichenstellungen für die poststationäre Phase
– …
• Therapeutische Aktivierung: – durch die Pflege (Pflege mit den Händen in den Taschen)
– Therapeuten und Tagesstruktur (Physio-, Ergotherapeuten, Seelsorge, Ehrenamt, Angehörige, Logopäden, Psychologen…)
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5
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Aufnahme auf der CURA
anstreben!!
Pasulke, Emmi
OA-Fraktur li,RSF 4-6 li, Hüftprellung li Geriatrisches Screening in der Notaufnahme
x
Die CURA – was machen wir anders?
CURA: Caritas Unfallmedizin Regensburg - Alterstraumatologie
22
Stört Sie etwas an diesem Bild?
Herr K., 79 Jahre
Vor dem Sturz: Selbstversorger („EPH ohne professionelle Hilfe“)
3. Tag nach Duokopfprothese bei Schenkelhals-Fraktur rechts (Wunde u. Röko o.k., VB möglich)
10.00 Uhr morgens (Visite)
Uns (jetzt) schon!
1. Warum liegt dieser Mann mitten am Tag im Bett?
2. Braucht es wirklich ein Infusionsprogramm?
3. Was sagen uns zwei (oder mehr) volle Wasserbecher auf dem Nachttisch?
4. Wo ist die Brille des Patienten?
5. …
Enger Kontakt zu den Patienten
… möglichst schon in der Notaufnahme/vor der OP (S. Gurlit, Münster)
Weißer Kittel: Wirksam, geringe Kosten, nebenwirkungsarm
Für Orientierung und Vertrautheit sorgen!
Primäre Pflege
Mobilisation als zentrales Ziel
Der Bettrand als kritischer Punkt
Körperpflege: Selbstständigkeit vor „Standard“
Gemeinschaft als Schlüssel für den Therapieerfolg
z.B. Geschichten erzählen in der Gruppe
Leitung: Ehrenamtlicher Besuchsdienst!
(Mangel-) Ernährung ist ein ernstzunehmendes Problem - auch in Deutschland
Gemeinschaft als Schlüssel für den Therapieerfolg
z.B. gemeinsame Mahlzeiten/Integration von Angehörigen
Gemeinschaft als Schlüssel für den Therapieerfolg
Schwungtuch: Koordination und Kräftigung Oberkörper + obere Extremitäten
Integration von dementen Patient(inn)en
Demenz: Körperkontakt, Sprache, Mimik und Gestik als Schlüssel
Quizfrage 1:
Was macht Spaß … und ist gleichzeitig
• Schlafmittel (mit verzögertem Wirkeintritt)
• Antidepressivum
• Feinmotorik- und kognitives Training
• und trainiert die frisch operierte Schulter für den Alltagseinsatz?
Unser Vorschlag:
Quizfrage 2:
Was macht Spaß … und ist gleichzeitig • Gedächtnistraining
• Atemtherapie
• und stört unsere Nephrologen (Stationsnachbarn) bei der Chefvisite?
Unser Vorschlag: Singen
Spezielle Situationen unkonventionelle Lösungen
Spezielle Situationen unkonventionelle Lösungen
… raus aus dem Bett, zurück ins Leben…
7.30
9.00
11.30
12.00
15.00
… (ja, es gibt auch Abendessen!)
Ein Tag auf der CURA Caritas Unfallmedizin Regensburg - Alterstraumatologie
„Akku leer“
Der Sturz - ein paar Fakten
• „Jedes Ereignis, in dessen Folge eine Person unbeabsichtigt auf dem Boden oder einer tieferen Ebene zu liegen kommt“
• 80 % der Stürze passieren bei Alltagsaktivitäten
• 30 % der über 65-Jährigen stürzen zumindest 1x pro Jahr
• > 50 % der über 80-Jährigen stürzen mindestens 1x pro Jahr
• Besondere Risikogruppen: noch höhere Sturzquote (Demenz, M. Parkinson)
• 2/3 der unfallbedingten Todesfälle im Alter sind Sturzfolgen
Umgang mit Sturzangst
• Ziel ist es, dem Betroffenen wieder Selbstvertrauen zu
geben. Das Gefühl der Kontrolle muss vermittelt werden.
Dafür die Person in das Aufstehen einbeziehen, Zeit
geben, um wenn möglich allein aufzustehen
• Interventionsmöglichkeiten: z.B. kognitive Restrukturie-
rung, Entkatastrophisieren und Expositionsverfahren, die
mit Psychoedukation und Entspannungsverfahren
kombiniert werden können
• Techniken des richtigen Fallens üben
Angstspirale
Sinkendes Selbstvertrauen
Angst vor weiteren Stürzen
Inaktivität
Rückzug
Mobilitätsverlust Kraftverlust
Sturz
Sturzrisiko-Screening
• Gezieltes Fragen nach Stürzen
ein Sturz innerhalb der letzten 3-6 Monate erhöht das
Sturzrisiko 3-8 fach
• Diagnosen
Parkinson, Polyneuropathie, Herzinsuffizienz
• Medikation-Polypharmazie
• Klinische Untersuchung
• Assessment
Timed up and go
Chair rising test
Mögliche präventive Maßnahmen
• Medikamentenhygiene
• Balancetraining
– Koordinationsübungen, Tai Chi Chuan
– Gangschule, Ausdauertraining
– Verhaltenstherapie
• Verhaltensempfehlungen zur Vermeidung blutdruckbedingten
Schwindels (niedrig)
• Augenärztliche Mitbetreuung/ Osteoporosediagnostik/
Ernährungsberatung
• Umgebungsadaptierung/ Wohnraumrevision:
– Hilfsmittel
– Passendes Schuhwerk
– Protektoren
Maßnahmen zur Prävention
• Geeignete Lichtverhältnisse (erreichbare Lichtschalter,
Vermeidung blendender Lichtquellen, Nachtlicht)
• Hindernisse und Stolperfallen beseitigen (Teppiche,
Netzkabel, Türschwellen)
• Haltegriffe in Bad und Toilette
• Geeignete Hilfsmittel, regelmäßige Wartung, individuelle
Anpassung
• Hüftprotektoren
1) lockere Schalter
2) schlechte Beleuchtung
3) Stuhl statt Trittschemel oder Leiter
4) überlange Tischdecken
5) lose Teppichkanten
6) lose Kabel
7) auf dem Boden liegende
Gegenstände
8) hervorstehende Möbelkanten
Stolperfallen im Alltag
H. Stolarz: Wohnungsanpassung - Kleine Maßnahmen mit großer Wirkung, Kuratorium Deutsche Altershilfe Köln 1996
Was soll ich tun?!
• Egal, Hauptsache Sie tun es!
– Tanzen
– Walken
– Wandern
– Schwimmen
– Gymnastik
– Radfahren
– oder ähnliches…
• Regelmäßig!
Osteoporose-Therapie
• Reduziert nicht die Häufigkeit der Stürze, sondern die
Häufigkeit der Brüche
• Allerdings!
Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben, dass
Vitamin D nicht nur die Knochenfestigkeit verbessert,
sondern auch auf die neuromuskuläre Funktion einen
positiven Einfluss hat, und damit das Sturzrisiko senkt.
Magda, 104 Jahre
Sturz beim nächtlichen Toilettengang
Fraktur, OP, Delir, und zum Abschied…
ein Piccolöchen…
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Solche Geschichten schreiben wir nicht alleine…
Vielen Dank für Ihre Kooperation!