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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 03.06.2014 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 – 20.00 Uhr
Ausnahmezustand?
Das spanische Baskenland nach dem Ende der ETA
Von Raul Zelik
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Atmo Straßenumzug
Mann zählt auf Baskisch, große Kuhglocken, Parolen
Erzähler
Eine baskische Kleinstadt in der Nähe von Bilbao: Es ist mild, von der Biskaya
streicht Seeluft herein, an den Berghängen hinter der Stadt verfängt sich der Dunst.
Eine Gruppe von Frauen und Männern läuft in Schafsfellen und mit großen
Kuhglocken auf dem Rücken durch die Straßen. Dahinter folgen einige hundert
Personen. Was wie ein Folkloreumzug aussieht, ist in Wirklichkeit eine politische
Demonstration.
Proteste gehören zum baskischen Alltag – kaum eine andere Region Europas ist so
politisiert. Und seit die ETA ihren blutigen Kampf gegen den spanischen Zentralstaat
beendet hat, nehmen die Demonstrationen auch wieder an Größe und Häufigkeit zu.
Anfang des Jahres kamen in Bilbao 130.000 Menschen zur größten Kundgebung seit
drei Jahrzehnten zusammen. Die Forderungen: ein Ende von Ausnahmejustiz,
Parteiverboten und politischen Prozessen.
Parteiverbote? Politische Prozesse? In der Europäischen Union?
Ansage
Ausnahmezustand?
Das spanische Baskenland nach dem Ende der ETA
Ein Feature von Raul Zelik
O-Ton
Vosotros habeis tenido un juicio por … a dos años de cárcel y en total tenemos que
pagar una multa de tres mil euros también.
Erzähler
Sie sind dieser Tage wegen eines Tortenwurfs auf die Ministerpräsidentin von
Navarra verurteilt worden. Was war das für ein Fall?
Sprecher 1
Die Aktion selbst fand vor 2 Jahren im französischen Toulouse statt. Dort trafen sich
einige Regionalregierungen, um unter anderem über den Bau spanisch-französischer
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Hochgeschwindigkeitstrassen zu reden. Die Ministerpräsidentin von Navarra,
Yolanda Barcina, war dabei und so haben wir beschlossen, eine Torte auf sie zu
werfen. In diesem Verfahren sind wir jetzt zu zwei Jahren Haft und 3000 Euro
Geldstrafe verurteilt worden.
O-Ton
Entiendo que el juicio y los medios hablaron de un “atentado”… lo consideraron
atentado a la autoridad.
Erzähler
In der Berichterstattung der Medien und auch im Urteil selbst war von einem
„Attentat“ die Rede ...
Sprecher 1
Ja, der spanische Staat ist vielleicht das einzige Land der Welt, wo ein Tortenwurf als
Anschlag betrachtet wird. Und was noch absurder ist: Die Aktion fand überhaupt
nicht in Spanien statt. Die französische Justiz hat das Verfahren sofort eingestellt.
Aber daraufhin haben Madrider Behörden den Fall an sich gezogen.
Wir haben es in unserem Land mit Polizei- und Justizorganen zu tun, die noch aus
der Zeit der Franco-Diktatur stammen. Und so kommt es, dass eine Aktion, die
anderswo als humoristisch betrachtet und mit einer Geldstrafe geahndet wird, hier als
Angriff auf die staatliche Autorität gilt.
Erzähler
Julio Villanueva ist ein Veteran der Umweltbewegung in Navarra. Mit dem Klischee
des gewaltbereiten Staatsfeinds hat er nichts gemein. Der freundliche 55-Jährige
kämpft seit vielen Jahren mit Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen den Bau von
Staudämmen und Hochgeschwindigkeitstrassen.
Dass die spanische Justiz so hart gegen ihn vorgeht, hat nicht zuletzt damit zu tun,
dass Villanueva aus Navarra stammt. Die Region gehört offiziell zwar nicht zum
Baskenland, steht aber im Mittelpunkt des baskischen Konflikts. Der Zentralstaat
fürchtet den Anschluss Navarras an das Baskenland und beobachtet die sozialen
Bewegungen in der Region mit besonderem Argwohn.
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O-Ton
Frage: Dónde era? En Madrid? Antwort: Sí, el juicio se celebró en la Audiencia
Nacional …. Se toman las sentencias, las decisiones al poder del momento que
interesan al poder del momento.
Erzähler
Wo waren Sie angeklagt? In Madrid?
Sprecher 1
Ja, in der Audiencia Nacional. Das ist, so würden wir das ausdrücken, ein
Gerichtshof der politischen Ausnahmejustiz, der seine Wurzeln ebenfalls in der
Diktatur hat. Da wird nicht Recht gesprochen, sondern da werden die Urteile je nach
politischem Interesse gefällt.
O-Ton
En cuanto a la persecución de la protesta político o social, ¿tú crees que el ambiente
después de la lucha armada de ETA se ha hecho más duro o mejor?
Erzähler
Hat sich die Situation für politische Proteste nach dem Ende der ETA nicht
verbessert?
O-Ton
El problema es que el Estado español se está armando también contra este tipo de
desobediencia ... que en otros países no se criminalizan de esta manera.
Sprecher 1
Der spanische Staat schafft sich gerade eher noch mehr Gesetze, um gewaltfreie
direkte Aktionen zu bekämpfen. Es ist zum Beispiel ein neues Sicherheitsgesetz
verabschiedet worden, um zivilen Ungehorsam mit hohen Geldstrafen zu
kriminalisieren. Der Aufruf, das Parlament in Madrid mit einer Menschenkette zu
umzingeln, soll mit Geldstrafen von bis zu 600.000 Euro geahndet werden. Und es
sind auch Strafen dafür vorgesehen, wenn man prügelnde Polizisten fotografiert.
Atmo Zäsur
Atmo Autobahn
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Erzähler
An Wochenenden trifft man auf spanischen Autobahnraststätten immer wieder auf
baskische Familien, die für einen einzigen Tag 1000 oder 2000 Kilometer
zurücklegen. Ihre Fahrten führen sie allerdings nicht an die Strände des Mittelmeers.
Die Familien besuchen ihre Angehörigen im Gefängnis.
530 Männer und Frauen aus den baskischen Provinzen sind nach wie vor wegen
politisch motivierter Straftaten in Haft – so viele wie am Ende der Diktatur Mitte der
1970er-Jahre. Und eine wachsende Zahl von ihnen sitzt nicht wegen
Gewaltverbrechen, sondern wegen politischer Aktivitäten. Ende der 1990er-Jahre
etablierte der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón eine Rechtsauslegung, mit der die
gesamte baskische Unabhängigkeitsbewegung der ETA zugeordnet werden kann.
Als Folge dieser Doktrin Todo es ETA, „Alles ist ETA“, wurden Hunderte Basken
wegen der Mitarbeit in Zeitungen oder politischen Organisationen angeklagt. Unter
ihnen auch Arnaldo Otegi, der Vorsitzende der zweitgrößten baskischen Partei
SORTU, die sich selbst als sozialistisch-feministische Unabhängigkeitspartei
versteht.
O-Ton Hodei Otegi (Sohn)
Hilabetero joaten naiz eta gero, batzutan, dauzkate, ez dakit, puntu bezala ... (endet
mit dem Wortwechsel zwischen Mutter und Sohn)
Sprecher 2
Ich fahre einmal im Monat zu meinem Vater. Manchmal kriegen die Gefangenen,
man könnte sagen als Belohnung ihre Teilnahme an Ausbildungsprogrammen, noch
einen weiteren Besuchstermin. Dann fahr ich zweimal ... Als Angehörige dürfen wir
Besuche ohne Trennscheibe machen ... Die dauern dann eine Stunde 40 Minuten.
Früher konnten wir was zu essen und zu trinken mit reinnehmen, aber das ist jetzt
verboten.
Atmo Im Auto, Straßengeräusche, kurzer Dialog
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Erzähler
Ich begleite die Familie Otegi beim Besuch des Vaters und Ehemanns im Gefängnis
von Logroño. Im Auto sitzen der 31-jährige Sohn Hodei und Otegis Ehefrau Julia
Arregi. Das feucht-grüne Baskenland liegt hinter uns. Südlich der Sierra de
Cantabria, eines Gebirgszugs, der die trockene Hochebene Kastiliens von den
grünen Küsten der Biskaya trennt, erstreckt sich das dünn besiedelte, rotstichige
Weinland der Rioja.
Wie so oft hat sich auch an diesem Tag das Wetter am Pass schlagartig gewandelt.
Der baskische Nieselregen hat sich verflüchtigt, über der Hochebene strahlt die
Sonne.
O-Ton Julia Arregi (Ehefrau)
Bueno, nosotros al final somos privilegiados. Estamos a una hora y media de casa
… sin estar con nadie. Salió tocadito.
Sprecherin 1
Wir sind Privilegierte, das Gefängnis ist nur eineinhalb Stunden von Zuhause
entfernt. Früher als wir nach Almeria oder Huelva gefahren sind, waren wir ein
ganzes Wochenende unterwegs ... Nach Ciudad Real, nach Madrid ...
Als mein Mann in der Extremadura im Gefängnis saß, da ging es ihm wirklich
schlecht. 23 Stunden in der Zelle, eine Stunde im Hof – die ganze Zeit allein. Er war
angeschlagen, als er dort rauskam.
Atmo Gespräch auf Baskisch zwischen Mutter und Sohn
Erzähler
Die Otegis unterhalten sich über die Haftbedingungen: Private Briefe würden vom
Geheimdienst abgefangen und schon mal zur Veröffentlichung an Zeitungen
weitergegeben. Interviews hingegen seien untersagt. Den Gefangenen sind
politische Stellungnahmen zwar nicht ausdrücklich verboten, aber Texte werden nicht
durchgelassen und Besuche von Journalisten ganz einfach nicht genehmigt.
Auch der Alltag sei für die Gefangenen alles andere als einfach: Im Winter, so erzählt
der Sohn Hodei, werde es in den Zellen so feucht und kalt, dass sich die Häftlinge
auch tagsüber in Decken einwickelten. Ratten und Ungeziefer gehörten zum Alltag,
die Gesundheitsversorgung sei miserabel.
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O-Ton Gespräch Interviewer, Arregi und ihr Sohn
Arnaldo antes qué? Ya estaba en la cárcel hace un par de años, no?...
Erzähler
Ihr Mann war schon vorher einige Jahre im Gefängnis...
Sprecherin 1
(lacht) Das war so oft – ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr genau...
Sprecher 2
Insgesamt elf Jahre ...
Sprecherin 1
Bald zwölf ...
Sprecher 2
Wenn man es zusammen zählt, vier oder fünf Mal ... fünf Mal.
O-Ton
Julia Arregi:
El suele decir en broma que si no estaba en la cárcel, estaba al punto de entrar …
Sprecherin 1
Arnaldo sagt manchmal im Spaß, dass er, wenn er nicht im Gefängnis saß, auf dem
Weg war ins Gefängnis. Das erste Mal ... war 1979. Seitdem ging es die ganze Zeit
so.
Atmo („Rede Otegis“)
Rede Otegis 2008 auf einem Platz in Elgoibar
Erzähler
Für die spanische Justiz ist der Fall Otegi klar: Als Sprecher der
Unabhängigkeitspartei Batasuna habe der Politiker Otegi für Positionen der ETA
geworben und wurde dementsprechend als Terrorunterstützer verurteilt.
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Doch die Geschichte kann auch ganz anders erzählt werden: Ende der 1970er-
Jahre, die Spuren der frankistischen Diktatur waren noch allgegenwärtig, schloss
sich Otegi als 20-jähriger der ETA an und floh nach Frankreich. 1987 wurde er
ausgeliefert und in Spanien zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, die er bis auf den
letzten Tag absaß. Nach seiner Entlassung stieg er zum Sprecher der
Unabhängigkeitspartei Batasuna auf.
Es folgten Verurteilungen wegen Meinungsdelikten. 2006 saß Otegi wegen
„Majestätsbeleidigung“ ein Jahr in Haft. Er hatte den spanischen König Juan Carlos
nach der Misshandlung eines baskischen Journalisten durch die Guardia Civil als
„Chef der Folterer“ bezeichnet. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in
Straßburg gab Otegi gleich doppelt recht: Die Foltervorwürfe seien nicht untersucht
worden, Otegis Aussagen von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen.
2009 wurde Otegi mit anderen baskischen Politikern erneut verhaftet – darunter auch
der langjährige Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes LAB Rafa Díez. Otegi und
seine Mitstreiter hatten versucht, eine neue Linkspartei zu gründen, die sich von der
Gewalt der ETA erstmals unmissverständlich distanzierte. Paradoxerweise ist diese
Partei, nämlich Sortu, heute legal. Otegi und andere Parteigründer jedoch wurden zu
sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Und unterschlagen wird in der spanischen Öffentlichkeit auch, dass nicht nur die ETA
zum Terror griff. In den 1980er-Jahren baute die Regierung in Madrid eine von
Söldnern gebildete Todesschwadron namens GAL auf, die im Auftrag des
Innenministeriums dreißig mutmaßliche ETA-Anhänger im französischen Baskenland
ermordete.
O-Ton Julia Arregia
Los dos vivimos la guerra sucia en Iparralde. Nosotros vivimos el GAL allá ... Que se
arregle de una forma que sea justa para todos.
Sprecherin 1
Wir haben den schmutzigen Krieg miterlebt. Die Anschläge der GAL. Unser Sohn
Hodei war damals ungefähr drei Jahre alt. Wenn ich ihn in die Schule gefahren habe,
ich hatte ein uraltes Auto, habe ich ihn in der Nähe erst mal auf eine Bank gesetzt.
Ich habe unters Auto geschaut. Ich wusste gar nicht genau, wie ein Sprengsatz
aussieht. Ich habe den Motor gestartet, bin ein paar Mal vor und zurück gerollt, und
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dann erst habe ich den Jungen ins Auto gesetzt. Neben unserem Haus sind ein paar
Freunde von uns umgebracht worden. Galdeano, der Journalist war und mit uns in
St. Jean de Luz gewohnt hat. Txapela haben sie vor seiner Tochter ermordet. Sie ist
ungefähr so alt wie Hodei. Das war eine schlimme Zeit.
Deswegen verstehen wir sehr gut, wie die Opfer der ETA sich fühlen. Weil wir das
Gleiche erlebt haben. Und deshalb wollen wir auch, dass der politische Konflikt im
Baskenland gelöst wird – auf eine gerechte Art und Weise, die für alle akzeptabel ist.
O-Ton Erzähler, Julia Arregi und Hodei Otegi
Erzähler
Was waren denn die GAL?
O-Ton Julia Arregi
Sprecherin 1
Eine Art Todesschwadron: Die PSOE hat die Gruppe aufgebaut, die spanischen
Sozialisten, als Felipe González Regierungschef war ...
O-Ton Hodei Otegi
Grupos antiterroristas de liberación, pero … // Amedo también dijo que esto de los
GAL se montó de la forma de Estado. El Partido Popular lo sabía, el rey lo sabía.
Todos lo sabían y todos lo aprobaron entre todos. Fue una guerra sucia contra los
vascos y ya está.
Sprecher 2
Antiterroristische Befreiungsgruppen ... Der Polizist José Amedo, der wegen den
GAL verurteilt wurde, hat später erklärt, das wäre eine Staatsangelegenheit
gewesen. Die konservative Opposition, der König Juan Carlos – alle seien
eingeweiht gewesen. Es war ein schmutziger Krieg gegen die Basken.
O-Ton Julia Arregi
Un par de veces salimos corriendo también. Una estábamos en el Carrefour con mis
padres y mis suegros … El GAL de la segunda parte fue más chapucero.
Sprecherin 1
Ein paar Mal mussten wir rennen. Einmal waren wir in einem Carrefour-Supermarkt –
mit meinen Eltern, den Schwiegereltern, unserem Sohn und Arnaldo. Jemand gab
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uns Bescheid, dass wir verfolgt würden. Auf allen vieren sind wir raus aus dem
Supermarkt ... Glücklicherweise haben die GAL das Geld, das die Regierung ihnen
gezahlt hat, bald verprasst. Am Anfang waren sie ziemlich effizient, aber in einer
zweiten Phase haben sie die Mittel veruntreut.
Atmo Fußgängerzone Leute laufen vorbei
Erzähler
Vitoria oder Gasteiz wie es auf Baskisch heißt: Die Stadt ist Sitz der baskischen
Autonomieregierung. Ein kühler, aber sonniger Feiertag. Auf den Straßen flanieren
die Menschen.
Der Sitz der Partei Eusko Alkartasuna befindet sich am Rand der Fußgängerzone.
Die Büros erreicht man über ein großes, modernes Restaurant.
Essen und Trinken spielen eine zentrale Rolle in der baskischen Alltagskultur.
O-Ton Rafael Larreina
Cuando se produce por ETA la decisión de abandonar las armas, el Estado se pone
nervioso … contra partidos radicalmente democráticos como lo es Eusko
Alkartasuna, no?
Sprecher 1
Der spanische Staat ist sehr nervös, seit die ETA die Waffen niedergelegt hat. Man
hat den Eindruck, er schlägt wild um sich und denkt eher an Rache als an Recht und
Gesetz. Mittlerweile geht die Polizei sogar gegen durch und durch demokratische
Parteien wie Eusko Alkartasuna vor.
Erzähler
Der 58-jährige Ökonom Rafa Larreina ist Abgeordneter in Madrid. Seine Partei, die
sozialdemokratische „Baskische Solidarität“ – Eusko Alkartasuna –, hat die Aktionen
der ETA immer scharf verurteilt und gehörte in den vergangenen Jahrzehnten
verschiedenen Regierungen der baskischen Autonomieregion und Navarras an.
Seit die ETA den bewaffneten Kampf beendet hat, sind sich Larreinas Baskische
Solidarität und die Linkspartei Sortu von Arnaldo Otegi näher gekommen. Mit zwei
kleineren Parteien hat man ein linkes Bündnis geschlossen, das bei den
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Regionalwahlen 2012 aus dem Stand auf 25% kam und heute die zweitstärkste
Fraktion im Autonomieparlament stellt.
Seitdem befindet sich auch Larreinas Partei zunehmend im Fadenkreuz der
spanischen Justiz.
O-Ton Rafael Larreina
Pues resulta que la Guardia Civil entra en una sede de Eusko Alkartasuna sin
mandamiento judicial … que en cualquier estado democrático no tendrían ningún
sentido.
Sprecher 1
Vor einigen Wochen ist die Guardia Civil ohne richterlichen Beschluss in unserer
Parteibüro in Bilbao eingebrochen und hat die Büros durchsucht. Sie hat danach
behauptet, man habe das Büro verwechselt. Aber an dem Lokal sind große Plakate
befestigt: draußen zur Straßen hin, im Aufzug und dann noch mal an der
Eingangstür.
Etwas Ähnliches ist auch dem Bürgermeister von Gernika passiert. José María
Gorroño ist Mitglied unserer Partei und hat sich immer für Frieden und
Menschenrechte eingesetzt. Die spanische Justiz hat jetzt ein Verfahren gegen ihn
eingeleitet, weil er den Politikern Jesus Egiguren von der Sozialistischen Partei
Spaniens und Arnaldo Otegi den Friedenspreis von Gernika verliehen hat. Egiguren
und Otegi haben den Preis erhalten, weil sie sich für eine friedliche Lösung im
Baskenland eingesetzt haben. Und wegen dieses Friedenspreises wird jetzt gegen
Bürgermeister Gorroño ermittelt.
O-Ton Dialog Erzähler / Larreina
Entiendo que le impidieron viajar, no? Larreina: Si, bueno, estaba invitado
precisamente a ir a Argentina … a un político socialista y a Arnaldo Otegi por trabajar
por la paz, por trabajar para que no haya violencia.
Erzähler
Ich habe gelesen, die spanischen Behörden hätten den Bürgermeister daran
gehindert, das Land zu verlassen...
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Sprecher 1
Ja, Gorroño sollte in Argentinien als Zeuge aussagen. Die argentinische Justiz hat
ein Verfahren wegen der während der Franco-Diktatur in Spanien verübten
Verbrechen eröffnet. Aber die Audiencia Nacional hat ihm untersagt, Spanien zu
verlassen ... Weil er Otegi für seine Bemühungen um den Frieden gewürdigt hat.
O-Ton Dialog Erzähler / Larreina
En Argentina que juicio se está llevando a cabo? … y precisamente a este proceso
iba el alcalde de Gernika.
Erzähler
Warum wird in Argentinien über Menschenrechtsverletzungen verhandelt, die in
Spanien begangen wurden?
Sprecher 1
In Argentinien leben viele Verfolgte des Frankismus. Auch Folteropfer. Deswegen hat
die dortige Justiz die Auslieferung von zwei spanischen Polizisten beantragt, die hier
unbehelligt leben.
Es ist natürlich kurios, dass der Prozess nicht hier geführt wird – und das, obwohl
sich Spanien als Rechtsstaat begreift und vom Frankismus losgesagt hat. Es ist in
Spanien bis heute kein Verfahren gegen die Täter des Frankismus eröffnet worden.
O-Ton Dialog Erzähler / Larreina
Pero no entiendo muy bien. Como no es posible que en España nunca se ha abierto
ningún juicio … Larreina: …. y comete auténticias injusticias como es, insisto,
procesar a dirigentes políticos por hacer política, por trabajar por la paz.
Erzähler
Das verstehe ich nicht. Der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ist doch
weltweit dafür berühmt geworden, dass er südamerikanische Militärs wegen
Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt hat. Und auch im Fall der GAL hat
er zumindest einige der Verantwortlichen angeklagt.
Sprecher 1
Richter Garzón hat eine widersprüchliche Haltung. Er ist verantwortlich für die
Inhaftierung von Arnaldo Otegi und misst mit zweierlei Maß: eines für die
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lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Da profiliert sich Garzón als Verteidiger der
Menschenrechte. Aber wenn es um den baskischen Konflikt geht, unterwirft er sich
der Staatsräson und schreckt auch vor Unrecht nicht zurück.
O-Ton Larreina
Garzón es uno de los que ha promovido la teoría de que todo es ETA … como es el
derecho a la asociación y participación política o como es el derecho a la libre
expresión y la libertad de prensa.
Sprecher 1
Er ist mit verantwortlich für die Theorie „alles ist ETA“, mit der die
Unabhängigkeitsbewegung mit der ETA gleichgesetzt wurde. Alles, was den
spanischen Staatsinteressen widerspricht, ist ETA. Garzón hat die ersten
Parteiverbote durchgesetzt und ist für die Schließung der Tageszeitungen Egin und
Egunkaria mitverantwortlich. Dabei hat sogar das Verfassungsgericht festgestellt,
dass die Schließung von Egunkaria illegal war.
Auf dem internationalen Parkett mag Richter Garzón ein Verteidiger der
Menschenrechte sein. Aber im Baskenland hat er anders agiert. Hier hat er
Grundrechte wie die Organisations- und Meinungsfreiheit außer Kraft gesetzt.
O-Ton Dialog Erzähler
Cómo describiría el papel o el personaje de este político …. Qué papel ha jugado en
los últimos diez, quince años?
Erzähler
Weil Sie Arnaldo Otegi gerade erwähnt haben: Wie würden Sie seine Rolle
beschreiben? Er hat die Anschläge der ETA ja über Jahrzehnte verteidigt oder
zumindest nicht verurteilt.
O-Ton
Larreina: Desde Eusko Alkartasuna llevamos dieciocho años trabajando con
personas … una sociedad más cohesionada, más unida que resuelve sus conflictos
como se resuelve en democracia, no?
Sprecher 1
Unsere Partei Eusko Alkartasuna spricht seit 18 Jahren regelmäßig mit Leuten wie
Arnaldo Otegi, um die von ihm repräsentierte Linke davon zu überzeugen, dass
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Gewalt in einer Demokratie keinen Sinn hat. Meiner Ansicht nach teilte Otegi diese
Überzeugung schon seit vielen Jahren.
Er hat auf einen Politikwechsel hingearbeitet, und das ist die große Ungerechtigkeit
an dem Fall. In fast allen Parteien, auch in den pro-spanischen, gibt es Personen, die
früher einmal in der ETA waren und dann einen wichtigen Beitrag zur Demokratie
geleistet haben. In der PSOE, auch bei den Konservativen – überall.
Arnaldo Otegi hat viel für die demokratischen Freiheiten geleistet. Gemeinsam mit
vielen anderen, auch mit uns, hat er dafür gesorgt, dass die ETA ihren Kampf
eingestellt hat – und dass wir im Baskenland jetzt über Befriedung, Versöhnung,
Normalisierung sprechen können.
Atmo Zäsur
Atmo Musik, Messehalle, Menschenansammlung
Erzähler
Buchmesse in Durango, dreißig Kilometer östlich von Bilbao.
Es herrscht Volksfeststimmung, die Messe ist eine Publikumsveranstaltung. Der
baskische Buchmarkt ist so klein, dass die Verlage ohne Direktverkauf nicht
überleben können.
So kommen in den Messehallen jedes Jahr mehr als Hunderttausend Menschen
zusammen – um Bücher und Platten zu kaufen, gut zu essen, zu feiern...
... und ihren Protest kundzutun. An diesem Tag trägt ein Drittel der Besucher
orangefarbene T-Shirts und Karnevalsmasken.
O-Ton Dialog Erzähler / Ion Tellería
Nos puedes explicar esto? .... a que se haga imposible al estado espanol volver a
encarcelar a ningún joven más.
Erzähler
Was hat es damit auf sich?
Sprecher 2
40 Personen stehen zurzeit wegen der Mitgliedschaft in einer Jugendorganisation in
Madrid vor Gericht. Vier von uns haben sich entschieden, nicht zum Prozess zu
erscheinen. Sie haben erklärt, dass sie frei im Baskenland leben wollen. Das heißt,
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sie verstecken sich seit dem Prozessbeginn im Oktober vor der Polizei, versuchen
aber gleichzeitig, weiter ein öffentliches Leben zu führen. Sie haben an
Demonstrationen und Stadtfesten teilgenommen, waren auf Bürgerversammlungen
in ihrem Viertel.
Die vier wollen auch bei der Buchmesse dabei sein, und deswegen haben wir alle
Besucher aufgerufen, sich gleich anzuziehen: mit orangefarbenen T-Shirts und
Karnevalsmasken. Damit die vier nicht erkannt werden. Wir wollen zeigen, dass wir
zusammengehören. Sie sind wir und wir sind sie. Und wir möchten erreichen, dass
der zivile Ungehorsam zu einer kollektiven Praxis wird. Damit die Prozesse gegen
Jugendorganisationen bald der Vergangenheit angehören.
Erzähler
Seit dem Ende der ETA-Gewalt wird ziviler Ungehorsam als Aktionsform der
Unabhängigkeitsbewegung immer wichtiger. Tausende haben sich in den
vergangenen Jahren an so genannten „Menschenmauern“ beteiligt und haben auf
diese Weise versucht, die Verhaftungen von politischen Aktivisten friedlich zu
behindern.
Ausgangspunkt der Bewegung war die Vollstreckung eines Haftbefehls gegen die
französische Baskin Aurore Martín im Jahr 2011. Als die Unabhängigkeitspartei
Batasuna 2002 in Spanien verboten wurde, blieb sie im französischen Nord-
Baskenland legal. Die Madrider Justiz erwirkte daraufhin 2011 einen Euro-Haftbefehl
gegen Martín. Doch viele Freunde und Nachbarn solidarisierten sich mit der
französisch-baskischen Politikerin. Ein Versuch der Gendarmerie, Martín in Bayonne
zu verhaften, musste abgebrochen werden, weil zu viele Passanten
zusammenströmten, um die Politikerin zu schützen.
O-Ton
Tellería
Vemos que siguen aplicando recetas de otros tiempos, de tiempos de guerra... la
mayoría de la población vasca tome una posición desobediente hacia esta legalidad
española.
Sprecher 2
Unserer Ansicht nach setzt der spanische Staat weiter auf Rezepte der
Vergangenheit. Wir wollen diese Zeiten überwinden, und wir glauben, dass die
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einzige Möglichkeit darin besteht, dass wir, dass das ganze Volk oder zumindest eine
Mehrheit der Bevölkerung zivilen Ungehorsam gegen die spanischen Gesetze
praktiziert.
O-Ton Telleria
Esperemos que dentro de poco tiempo, cuando hablemos … llega el momento en el
que el Estado no puede actuar.
Sprecher 2
Unsere Hoffnung ist, dass sich diese Praxis auf alle Bereiche ausweitet: auf
Institutionen, den Alltag, die Kultur. Wenn das weiter wächst, dann wird der
spanische Staat das irgendwann nicht mehr unterdrücken können.
Atmo Menschenansammlung Flashmob mit Silvesterraketen
Erzähler
Am Nachmittag desselben Tages kommen mehrere Tausend Menschen auf den
Straßen Durangos zu einem Flashmob zusammen, der die Situation der baskischen
Gefangenen zum Thema macht. Das Feuerwerk symbolisiert den Festcharakter des
Protests.
Auch dieser Flashmob könnte jederzeit von der Polizei aufgelöst werden. Die
spanische Justiz hat Ende 2013 die Organisation Herrira verboten, die sich für die
Rechte baskischer Gefangener einsetzt. Auch diese Gruppe gehöre zur ETA, so der
Ermittlungsrichter. Der Flashmob wiederum ist von Herrira organisiert. Sind im
Umkehrschluss all diese Menschen Terrorunterstützer?
Der spanische Staat hat sich in eine Sackgasse manövriert. Mit den Partei- und
Zeitungsverboten ist der Kampf gegen die ETA zu einem Kampf gegen die baskische
Gesellschaft geworden. Zwar hat der überwiegende Teil der Bevölkerung die Gewalt
der ETA immer abgelehnt, doch für die Ziele der ETA haben viele Basken durchaus
Sympathien: den Bruch mit dem Franco-Faschismus, eine an den Bedürfnissen der
Menschen orientierte Sozial- und Wirtschaftspolitik und nicht zuletzt das Recht auf
Selbstbestimmung. Die baskische Bevölkerung will über das Verhältnis zu Spanien
selbst entscheiden können. Sie wünscht sich ein demokratisches Referendum, wie
es z.B. im September dieses Jahres in Schottland geplant ist oder 2006 in
Montenegro umgesetzt wurde. Doch die spanischen Parteien – die regierenden
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Konservativen ebenso wie die sozialdemokratische PSOE – haben ein solches
Plebiszit unter Strafe gestellt.
Musik Traditionelles Holzxylophon
O-Ton Verleger Mikel Soto
Los golpes que me dieron en la parte de la cabeza …
… normalmente todas las torturas fueran bastante cuidadosas para procurar no dejar
marcas.
Sprecher 3
Die Schläge, die sie mir auf den Hinterkopf gaben, haben mein Gesicht stark
anschwellen lassen. Außerdem habe ich einmal, als die Polizisten mir eine
Plastiktüte über den Kopf zogen, so starke Atemnot bekommen, dass ich
aufgesprungen bin. Dabei ist auch ein Beamter gestürzt. Das hat sie wütend
gemacht, so dass sie mich noch stärker geschlagen haben – stärker, als sie
eigentlich vorhatten. Die ganze Folter war ansonsten darauf angelegt, so wenig
Spuren wie möglich zu hinterlassen.
Erzähler
Mikel Soto ist Verleger und lebt in Pamplona, der Hauptstadt Navarras. 2002 wurde
er bei einem Gefängnisbesuch verhaftet und mehrere Tage im Hauptquartier der
Guardia Civil in Madrid verhört. In dieser Zeit unterschrieb er ein Geständnis, in dem
er behauptete, für die ETA einen Lokalpolitiker erschossen zu haben. Doch in
diesem Fall schenkte das Gericht dem schriftlichen Geständnis keinen Glauben. Soto
wurde vom Mordvorwurf freigesprochen. Um den Skandal wegen der durch Folter
erzwungenen Aussagen nicht weiter anzufachen, verurteilte ihn das Gericht
schließlich wegen eines anderen Deliktes: Er sei zwar kein ETA-Mitglied gewesen,
aber habe beabsichtigt, eines zu werden.
O-Ton Mikel Soto
Cuando a uno le ponen la bolsa … cubra, cubra toda la cabeza (Stammeln)
Sprecher 3
Wenn sie einem die Plastiktüte überziehen, bleibt man nicht einfach still sitzen. Es ist
eine gewisse Gewalt dafür nötig. Ich konnte nicht sehen, was es für Tüten waren,
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aber wenn es einfache Mülltüten waren, haben sie in einer Sitzung sicher mehrere
verbraucht. Sie müssen über den ganzen Kopf reichen.
O-Ton Mikel Soto
Ocurren muchos tipos de tortura y no los conozco todos … estarás lejos de morirte
físicamente pero como estás a punto de desmayarte sientes que la cabeza y los
sentidos se te van, y es (Stammeln) muy angustioso.
Sprecher 3
Ich kenne natürlich nicht alle Arten von Folter, aber ... am schrecklichsten fand ich
die Bolsa, die Plastiktüte. Zu einem anderen Gefangenen hat ein Polizist einmal
gesagt: „Mit der Tüte habe ich dieselbe Person dreimal umgebracht.“ Ich finde, das
beschreibt es sehr gut. Das Gefühl des Erstickens ist grauenhaft, du glaubst wirklich,
du stirbst. Wahrscheinlich ist man physisch noch weit vom Tod entfernt. Aber du hast
den Eindruck, dass dich deine Sinne verlassen. Das macht furchtbare Angst.
O-Ton cuanto más efectivo es, más al límite llega. Cuanto más sufres, cuanto más
miedo pasas. Entonces, claro, cuando más juegas con el límite, a veces te pasas por
un lado, y a veces por el otro.
Sprecher 3
Sie gehen dabei sehr professionell vor. Sie stoppen die Zeit, prüfen deinen Puls,
haben Erfahrung, wer in welcher physischen Verfassung wie viel erträgt. Und wenn
sie nicht wollen, dass du ohnmächtig wirst, dann wirst du auch nicht ohnmächtig.
Ich habe einmal das Bewusstsein verloren, aber ich glaube nicht, dass das ihre
Absicht war. Es ist eine Art makabres Spiel: Sie versuchen bis an die Grenze zu
gehen. Weil es umso effizienter ist, je näher sie an diese Grenze kommen. Je mehr
du leidest, je größer die Angst ist. Aber klar, wenn man mit der Grenze spielt, geht
man manchmal über sie hinaus.
O-Ton Dialog Erzähler / Soto
Frage: Recuerdas más o menos cuantas veces te pusieron la bolsa? Antwort:
Muchas, muchas …
... no me atrevería decir cincuenta veces pero más de treinta sí.
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Erzähler
Erinnern Sie sich, wie oft man Ihnen die Plastiktüte übergezogen hat?
Sprecher 3
Oft ...
...Oft ... sehr oft.
Ich habe im Bericht eines Gefolterten einmal gelesen, man habe ihm 7 oder 8 Mal die
Plastiktüte übergezogen. Bei mit waren es Dutzende Mal. Mehr als dreißig Mal
bestimmt.
Erzähler
Die Foltervorwürfe gehören zu den strittigsten Aspekten des baskischen Konflikts.
Die Stiftung Euskal Memoria spricht von 10.000 Folterfällen seit 1960 – ein Drittel
davon seit Einführung der Demokratie 1978. Die spanische Regierung weist diese
Berichte zurück. Die ETA-Mitglieder seien angewiesen, sich als Folteropfer
auszugeben.
Doch im Fall Mikel Sotos stellte das spanische Verfassungsgericht 2008 immerhin
fest, dass den Hinweisen auf eine Misshandlung nicht ausreichend nachgegangen
worden sei. Das zuständige Gericht wurde angewiesen, den Fall neu aufzurollen.
Doch seitdem sind weitere 6 Jahre verstrichen, ohne dass etwas geschehen wäre.
O-Ton Dialog Erzähler / Soto
Frage: Por qué no hay una fuga de informaciones … que lo plantea ante la
sociedad?
... hablarán mucho para ver si todos están bien, si están de acuerdo con lo que está
ocurriendo o si les parece bien.
Erzähler
So wie Sie das schildern, scheinen eine ganze Menge Personen von den
Misshandlungen zu wissen – nicht nur die verhörenden Polizisten, sondern auch
Gerichtsmediziner, Pflichtanwälte usw. Wenn das so ist – warum lässt sich das dann
nicht nachweisen?
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O-Ton Soto
Yo creo que una de las cosas que más transcedencia ha tenido ...
... me imagino que es todo más controlable si es centralizado.
Sprecher 3
Ich glaube, ein wichtiger Grund ist die Verlegung der Verhöre nach Madrid. Früher, in
den achtziger und am Anfang der neunziger Jahre wurde dort gefoltert, wo die
Verdächtigen verhaftet wurden: in den Polizeikasernen im Baskenland. Und hier gab
es Gerichtsmediziner und Richter, die nicht alles mitgemacht haben. Dann hat eine
Anzeige auch einmal zu einer Anklage vor Gericht geführt.
Aber jetzt werden Verhaftete sofort nach Madrid verlegt, und ich denke, dass es
immer dieselbe Einheit ist, die dort verhört. Das ist einfacher zu kontrollieren. Ich
habe auch den Eindruck, dass die Einheit, die das macht, sehr geschult ist. Ich
vermute, sie werden intensiv betreut und reden über das, was sie tun – um überzeugt
zu bleiben von dem, was sie tun. Sie glauben, der Gesellschaft einen wichtigen
Dienst zu leisten. Es ist alles einfacher, wenn es zentralisiert ist.
Atmo Meeresrauschen
Erzähler
San Sebastián oder wie es auf Baskisch heißt: Donosti.
Wer an der Strandpromenade der Küstenstadt flaniert, kann sich kaum vorstellen,
dass in den angrenzenden Kleinstädten und Dörfern 50 Jahre lang ein blutiger
Konflikt gewütet hat. Nirgends hatte die ETA so starke Unterstützung wie im
Hinterland von San Sebastián, nirgends wurden so viele Polizisten, Politiker und
Industrielle von ihr getötet wie hier.
Der Ombudsmann des baskischen Parlaments Iñigo Lamarca unterhält sein Büro
unweit der Strandpromenade. Seine Aufgabe besteht darin, über die Einhaltung von
Bürger- und Menschenrechten in der Region zu wachen.
O-Ton Dialog Erzähler / Lamarca
Frage: No hay dudas ...
... si ha existido la tortura en el País Vasco?
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Erzähler
Die Menschenrechtsverletzungen der ETA liegen auf der Hand. Die Organisation hat
mehr als 700 Menschen umgebracht. Umstritten ist hingegen, was es an staatlichen
Menschenrechtsverletzungen gegeben hat. Ist in Spanien gefoltert worden?
O-Ton Bueno, nadie puede dudar que la tortura ha existido porque hay condenas
judiciales.
Lo que no está demostrado es el alcance de la tortura y de los malos tratos … que
se han archivados o que han concluido en su procedimiento judicial en una
sentencia absolutoria.
Sprecher 1
Dass die Folter existiert, kann niemand in Frage stellt, denn es gibt Verurteilungen.
Wir reden in diesem Sinne von einer juristischen Wahrheit. Umstritten ist hingegen
das Ausmaß der Misshandlungen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
in Straßburg hat Spanien in den letzten Jahren einige Male verurteilt, weil die Justiz
möglichen Folterungen nicht ausreichend nachgegangen ist. Der bekannteste Fall ist
der von Martxelo Otamendi, dem Chefredakteur der Tageszeitung Egunkaria.
Wir haben also zumindest zwei juristische Wahrheiten: Es hat Folterungen gegeben,
und die Justiz ist entsprechenden Hinweisen in vielen Fällen nicht ausreichend
nachgegangen. Außerdem kann man festhalten, dass es Hunderte von Anzeigen
gab, die mit einer Einstellung der Verfahren oder mit Freisprüchen für die
Beschuldigten endeten.
O-Ton
Frage Erzähler : Haciendo referencia al caso de Martxelo Otamendi ...
Erzähler
Was ist dem Zeitungsredakteur Otamendi passiert, den Sie gerade erwähnt haben?
O-Ton Antwort Ombudsmann Lamarca
Este caso tuvo dos vertientes …
… (bis Ende des Tracks).
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Sprecher 2
Der Fall hat zwei Aspekte. Zunächst mal muss man festhalten, dass die Zeitung
Egunkaria 2002 nicht aufgrund eines Gerichtsurteils, sondern mit einem
ermittlungsrichterlichen Beschluss geschlossen wurde. Das erschien uns völlig
unangemessen, weil die Meinungs- und Pressefreiheit in jeder Demokratie
besonderen Schutz genießen sollte.
Martxelo Otamendi, der Chefredakteur der Egunkaria, hat über die Polizeiverhöre
ausgesagt, er sei sexuell gedemütigt worden. Dazu muss man wissen, dass
Otamendi homosexuell ist und dies auch öffentlich bekannt ist. Seinen Aussagen
zufolge zwangen ihn die Beamten, sich nackt ausziehen und auf alle vieren
hinzuknien. Dann haben sie ihn beschimpft und damit gedroht, ihn mit einem
Knüppel zu vergewaltigen.
O-Ton Frage Interviewer
Si ha habido tantos casos, tantas denuncias – ¿por qué … un escándalo público
mucho más grande?
Erzähler
Wenn es zu derartigen Fällen kommt, warum wird das nicht viel stärker skandalisiert?
O-Ton Antwort Lamarca
En primer lugar ocurre que ... que, hay que decirlo, ha sido absolutamente vil,
bárbara y cruel.
Sprecher 2
Die öffentliche Meinung spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Die
spanischen und auch die baskischen Medien waren durch die Morde der ETA sehr
sensibilisiert. Wir dürfen nicht vergessen, wie grausam und brutal die Aktionen der
ETA waren. Tausende wurden bei Anschlägen verletzt, viele Tausend Menschen
mussten von Leibwächtern geschützt werden – weil sie bestimmten Parteien
angehörten, Richter oder Polizisten waren. Es gab sogar Morddrohungen gegen
Intellektuelle und Journalisten.
Vor diesem Hintergrund hat der Staat seine Anti-Terror-Gesetzgebung erlassen. Die
Medien standen möglichen Exzessen unkritisch gegenüber, weil für sie die Effizienz
der Anti-Terror-Maßnahmen wichtiger war.
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Erzähler:
Solange es die ETA gab, schien Spaniens Problem klar definiert: Die Demokratie
musste verteidigt werden. Doch inzwischen stellt sich die Frage, ob die Demokratie
nicht vielleicht auch ein Problem mit dem eigenen Staat hat. Das autoritäre
Vermächtnis des Frankismus liegt wie ein Schatten über den Institutionen des
Zentralstaats, und die Parteien in Madrid scheinen nicht gewillt, daran etwas zu
ändern.
O-Ton Dialog Erzähler / Ombudsmann Frage des Erzählers
Erzähler
Umstritten ist auch die Gefangenenfrage. Gibt es im Baskenland „politische
Gefangene“ im engeren Sinne – also Personen, die allein wegen politischer Arbeit
verurteilt wurden?
O-Ton Dialog Erzähler / Ombudsmann
Lamarca: En España se consolidó por parte de los tribunales …
Sprecher 2
In der Rechtsprechung der spanischen Gerichte, vor allem der Audiencia Nacional
hat sich vor einigen Jahren eine Doktrin durchgesetzt, die von Experten als „Alles-ist-
ETA“ bezeichnet wird. Es gibt im Baskenland eine Vielzahl von Organisationen, die
für die Unabhängigkeit eintreten und die Aktionen der ETA in der Vergangenheit
nicht verurteilt haben – die bekannteste unter ihnen war die Partei Batasuna.
Die Doktrin „Alles ist ETA“ geht nun davon aus, dass all diese Organisationen mit der
ETA kollaborieren. Man nimmt an, dass es kontinuierliche Absprachen zwischen den
Führern dieser Organisationen und der ETA gab.
Diese Doktrin hat zum Verbot von Batasuna und zur Verurteilung von Politikern wie
Arnaldo Otegi geführt. Die Jugendorganisation Segi wurde von den Richtern sogar
als „terroristische Vereinigung“ eingestuft, so dass hier bereits eine einfache
Mitgliedschaft ein Delikt darstellt.
Unserer Ansicht nach sind die Gesetze und die Auslegung durch die Richter
exzessiv. Strafrecht sollte eine ultima ratio sein. Vor allem in der jetzigen Situation, in
der die ETA ihre kriminellen Aktivitäten eingestellt hat, sollten die Gesetze verändert
oder aber zumindest nur noch sehr restriktiv angewandt werden.
24
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Erzähler
Der Ombudsmann ist um eine neutrale Schilderung bemüht, denn auch er steht
massiv unter Druck. Die konservative Presse fordert, seine Stelle zu streichen und
die Aufgaben in Madrid zu zentralisieren.
Absage:
Ausnahmezustand –
Das spanische Baskenland nach dem Ende der ETA
Ein Feature von Raul Zelik
Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2014
Es sprachen: Volker Risch, Thomas Balou Martin, Hendrik Stickan, Robert Dölle und
Hildegard Meier
Ton und Technik: Hendrik Manook und Katrin Fidorra
Regie: Axel Scheibchen
Redaktion: Karin Beindorff