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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge http://slidepdf.com/reader/full/zum-verhaeltnis-von-sorge 1/13  Wiley and American Association of Teachers of German are collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to The German Quarterly. http://www.jstor.org Zum Verhältnis von Sorge, Furcht und Hoffnung in Goethes Faust Author(s): Heinz Moenkemeyer Source: The German Quarterly, Vol. 32, No. 2 (Mar., 1959), pp. 121-132 Published by: on behalf of the Wiley American Association of Teachers of German Stable URL: http://www.jstor.org/stable/401369 Accessed: 15-08-2015 19:05 UTC Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/page/  info/about/policies/terms.jsp JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. This content downloaded from 168.176.5.118 on Sat, 15 Aug 2015 19:05:39 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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 Wiley and American Association of Teachers of German are collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access

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http://www.jstor.org

Zum Verhältnis von Sorge, Furcht und Hoffnung in Goethes FaustAuthor(s): Heinz MoenkemeyerSource: The German Quarterly, Vol. 32, No. 2 (Mar., 1959), pp. 121-132Published by: on behalf of theWiley American Association of Teachers of GermanStable URL: http://www.jstor.org/stable/401369Accessed: 15-08-2015 19:05 UTC

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ZUM

VERHALTNIS

VON

SORGE,

FURCHT

UND

HOFFNUNG

IN

GOETHES FAUST

HEINZ MOENKEMEYER

Gewisse

Auffassungen

iiber

das

Verhailtnis

von

Sorge,

Furcht

und

Hoffnung

bei

Goethe

haben

insbesondere

beziiglich

des

Faust

zu

Ansichten

und

Interpretationen

gefiihrt,

die

hier

an

Hand von

Goethes

Aul3erungen

kritisch

beleuchtet

werden

sollen.

Die

im

Maskenzug

der

Mummenschanz-Szene

in

Faust

II

auf-

tretenden

allegorischen Figuren

"Furcht"

und

"Hoffnung"

werden

dort

von der

"Klugheit"

als

"zwei der

grbf*ten

Menschenfeinde"

bezeichnet

((V.

5441

f.).

Nach Hermann

Tiirck

sollen

diese

Verse

einen

direkten

Bezug

auf Faust und die ihm

an

zwei Punkten

seines

Lebens

begegnende

Sorge

(V.

644

ff. und 11384

ff.)

haben,

denn

in

der

Sorge

zeige

sich

"die

Wirkung

von 'zwei der

gr8l3ten

Menschen-

feinde'

zusammengefaf~t."l

Dieses

eigentlich

nirgendwo

bewiesene

Apergu

eines

Aul~enseiters

in

der

Goetheforschung

brauchte

uns

heute

nicht

mehr

zu

beschaiftigen,

wenn

Tiircks

Ansichten ohne

Widerhall

oder

Parallele

in

der

Faust-Forschung

geblieben

wairen.

Max Koch und Otto Harnack stimmten der Verbindung der Furcht-

und-Hoffnung-Allegorese

im

Mummenschanz mit der

Sorge

in

Faust

I

zu

und

Petsch

bedient

sich

in

seinen friihen

Wiirzburger

Vortraigen

fiber

Goethes Faust

iiberall

der

Gleichsetzung

von

Furcht und Hoff-

nung

mit

der

Sorge,

ohne

allerdings

Tiirck

zu

nennen.2

Diese

einer

nun

schon

weit

zuriickliegenden

Zeit

angeh*renden

Zeugnisse

kannten

iibergangen

werden,

zumal

Petsch

Tiircks

Ansichten

splter

entschieden

ablehnte. Aber

noch in

neuester

Zeit

sieht Buchwald

in

der

im

Mummenschanz

auftretenden

"Furcht"

eine

VerkSrperung der Sorge,

freilich

ohne

Furcht und

Hoffnung

zusammen

der

Sorge

gleich-

zusetzen.3

Wilhelm

BShm

meint in

seinem

jiingsten

Buch

iiber

Goethes

1

Hermann

Tiirck,

Eine neue

Faust-Erkldrung,

4.

Aufl.

(Berlin,

1906),

S.

36;

s.

auch

ebd.,

S.

123,

146.

Diese

Auflage

des

1901

zuerst

erschienenen

Buchs

liegt

den

weiteren Zitaten im

Text

zugrunde.

Die

gleichen

Ansichten

vertritt

Tiirck

auch in

seinem

Buch Goethe

und sein

Faust

(Leipzig, 1921).

2

tiber

Koch

und

Harnack s.

Tiirck,

Faust-Erkl.,

Vorwort

zur

4.

Auf-

lage; Robert Petsch, Vortrdge iiber Goethes "Faust," Wiirzburger Hoch-

schulvortriige,

Bd.

I

(Wiirzburg,

1903).

3

Reinhard

Buchwald,

Fiihrer

durch

Goethes

Faustdichtung.

Erkldirung

des

Werkes

und

Geschichte seiner

Entstehung,

4.

Aufl.

(Stuttgart,

1955),

S. 230

f.

121

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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122 THE

GERMAN

QUARTERLY

Faust,

"der

Maskenzug

am

Kaiserhof

lehrte,

da3

Sorge,

an die

Kette

der

Klugheit

gelegt,

hin zur

Viktorie,

der G6ttin

aller

Tiitigkeiten,

geleiten

kann."4

Ob

bei den

letztgenannten

Autoren eine

Einwirkung

von

Tiircks

Ansichten

oder nur

eine Parallele

zu

ihnen

vorliegt,

ist

in

unserem

Zusammenhang

irrelevant.

Die

Gleichsetzung

von Furcht und

Sorge

ist

fiir

die

in

Frage

kommenden

Stellen

im Faust nicht

zu

recht-

fertigen

und

entspricht

auch im

allgemeinen

nicht

dem

Sprach-

gebrauch

Goethes.

Goethe

nennt

Furcht

und

Sorge

so

hiiufig

zusammen,

daf

wir

uns

Zitate ersparen k6nnen. Die dem Kierkegaardschen Begriff der

"Angst"

und

dem

Heideggerschen

Existential

der

"Sorge"

zugrun-

deliegenden

subtilen

Distinktionen

lagen

Goethe

fern,

der nur

dem

Sprachgebrauch

folgte,

wo

Angst,

Furcht

und

Sorge

nicht

immer

reinlich

getrennt

sind.

Die semantische

Naihe

von Furcht

und

Sorge

und ihre

haiufige Nebeneinanderstellung

macht

sie aber

dennoch

nicht zu

vollen

Synonymen.

Wenn

Goethe sie

nebeneinander

nennt,

so

will

er

damit die

sich

unter

allen

m6glichen,

"stets

...

neuen Masken"

(Faust, V. 647) verbergende Sorge niher bezeichnen und dem all-

gemeinen

Begriff

die

n6tige

Konkretheit

verleihen.

Durch die

Ver-

bindung

mit der

sich mehr der affektiven

Seite

unseres Seelenlebens

zuneigenden

Furcht

zeigt

Goethe

uns,

in

welchem

Sinne

er

die

Sorge

aufgefa2t

haben

will.

Daf

die

Furcht nicht nur die stets anwesende

Komponente

der

Sorge

ist,

geht

aus

mehreren

Zitaten

hervor,

in

denen die

Furcht

als

Steigerung

und

Aktualisierung

der

Sorge

in

Situationen wirklicher

Gefahr

erscheint. Der Held der

"Neuen

Melusine"

spricht

von einem

Ereignis,

wodurch er

"in

Erstaunen,

in

Sorgen,

ja

in Furcht" versetzt

wurde

(WA,

I,

25,

142).5-

Ganz

klar

ist die

steigernde Unterscheidung

in

der

Campagne

in

Frankreich

ausgesprochen:

.

.

.

"zu einer

Zeit,

wo die

Sorge fiir

das

linke

Rheinufer

sich

in Furcht

verwandelte"

(I,

33,

201

f.).

Eine

Steigerung

von

"Besorgnis"

zu

"Furcht" findet

sich

in

dem

Aufsatz

"Charon

Neu-

griechisch"

(I,

49.1,

367).

In dem Drama Die

Natiirliche

Tochter

wird

eine

aihnliche

Unterscheidung

gemacht

zwischen

dem konkreten

4Wilhelm Bi5hm, Goethes Faust in neuer Deutung. Ein Kommentar

fiir

unsere

Zeit

(K61n,

1949),

S.

251.

5

Die

Zitate

folgen

der Weimarer

Ausgabe;

r5mische

Nummern

be-

zeichnen

die

Abteilung, nachfolgende

arabische

Nummern Band-

und

Seitenzahl.

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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SORGE,

FURCHT

UND HOFFNUNG

123

Angstgeffihl

vor

gegenwairtiger

Gefahr

und

der

sorgenvollen

Vor-

wegnahme

mbglichen,

kiinftigen

Obels:

"Die

Angst

des

Augenblicks,/

Die

Sorge

fiir

die Zukunft treiben mich"

(V.

2522

f.).

Sorge

tritt

mit

dem

sich

auch

kSrperlich iiuBernden

Affekt

der

Furcht

besonders

in

gefahrdrohenden

Situationen

auf.

Demgemaii*

spricht

Goethe sehr

oft

von

Furcht

und

Sorge

in

Zeiten

politischer

Unruhe

und

kriegerischerVerwicklungen,

oder

wenn

ihn das

Schicksal

seiner

Mitmenschen

beunruhigt.6

In

diesen

Fiillen

handelt

es

sich

nicht

um

die von

Tiirck

u.a.

vielberufene

eingebildete,

unnatige,

philistrSse

Sorge

und

Furcht,

sondern

um

eine

durch

die

Umstiinde

aufgezwungene und gerechtfertigteReaktion, wobei in der Sorge auch

fiirsorgliches

Besorgtsein mitschwingt.

Sorge

ist nicht nur

mit

Furcht und

Angst

nach

der

mehr

affektiven

Seite,

sondern

auch

mit

Zweifel

und Bedenken

verwandt,

und

letztere

werden

daher

bei Goethe

sehr

oft

mit

der

Sorge

zusammen

genannt,

um diese

niiher

zu kennzeichnen

und

von

dem

Furcht-Sorge-Komplex

abzuheben.

Auch

hier

k6nnen

wir auf

Zitate

verzichten

und

erwiihnen

nur das

Kompositum

"Zweifelsorge"

in

dem

Gedicht

"Fiir

ewig."

Sorge ist mit Zweifel und Bedenken dann gepaart, wenn weniger eine

konkrete

Bedrohung

vorliegt

als

vielmehr

eine

quiilende

Beunruhigung,

die

aus der

Erwiigung

aller

moglichen

Folgen

einer

von

Ungewifheit

erfiillten

Situation

erwdichst.

Gewissenssorge

sowie die

Sorge

um

die

Gestaltung

der

eigenen

Zukunft

und

um

die

Verwirklichung

des

eigentlichen

Selbst

sind

eng

mit Zweifeln

und

Bedenken

verbunden.

Diese Formen

der

Sorge,

auf die

sich viele

Goethes

eigenes

Leben

betreffende

Zeugnisse

beziehen,

finden

ihre

Rechtfertigung

in

einer

konkreten,

objektiv

ungewissen

Situation

und

haben

nichts

mit der

im

Mummenschanz

angesprochenen

philistrasen,

ohne

konkreten

Anlag

den

Menschen

beherrschenden

"Furcht

und

Hoffnung"

zu

tun.

Das

gilt

auch

fiir

die

"Sorge,"

der

Faust am

Ende

seines

Lebens

begegnet,

selbst wenn

Fausts

verschiichterte

Haltung

und

sein

erschiittertes

Fragen

im

Angesicht

der

"Sorge"

auch

auf

anwesende

Furcht deuten.

Die

"Sorge"

wendet

sich,

obwohl

sie nicht

dem

Gewissen

entspringt,

an

Fausts

Gewissen,

fordert ihn

kurz vor

dem

Tode,

dessen

Botin sie

ist,

als

warnende

Stimme

zur

Verantwortung

und

zur

Besinnung

auf

sein eigentliches Selbst auf. Darin stimmen Jaeger, Atkins und B*hm

trotz

ihrer

sehr

verschiedenen

Beurteilung

des

Faustischen

Charakters

6

Siehe

z.B.:

I,

34,

171;

I,

35,

27

u.

67;

IV,

11,

130;

IV, 24,

148;

oder:

I,

33,

229;

IV,

40,

111,

usw.

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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124

THE GERMAN

QUARTERLY

iiberein.7

Die

Sorge

ist,

wie

Daur

bemerkt,

eine

"Mahngestalt,"

von

der

Faust nichts wissen

will.8

Die

"Sorge"

in

Faust II

ist

keine

Teufelsbotin,

die auf

bloB

subjektive

Taiuschung ausgeht,

wie

Tiirck

und viele

andere

Autoren annehmen.9 Diese

Auffassung,

die sich

auf

Faust,

V.

11486

("Und

bereitet

ihn

zur

H6lle")

stiitzt,

hMilt

ich

nur

an

die

liihmende

Wirkung

der

Sorge,

die

sie

allerdings

mit der

Furcht

teilt.

Letztere

ist,

wie

sie

im

Mummenschanz

erscheint

(V.

5407

ff.),

nicht so sehr

"Furcht

vor

einer bestimmten

Gefahr,"

welche

Erich

Franz von

der

Sorge

als

"allgemeine

Gestimmtheit"

unterscheidet,'0

als

vielmehr

eine

subjektive

Sehweise,

die

iiberall

nur

Bedrohung

ahnt

und gewahrt und derart die Wirklichkeit durch pessimistische

Mi2deutung

ebenso

verfehlt

wie die ihr

zugeordnete

Form

der

in

optimistischen

Illusionen sich

wiegenden

Hoffnung.

Nach

der

subjektiven

Seite

hin ist

auch

die

Sorge,

wiO

Stacklein

ausfiihrt,

ein

"Sehfehler,"11

der die

"klare

Welt"

mit

"Spinnweben-

Grau"

iiberzieht

(Zahme

Xenien,

VI,

V. 1615

ff.).

Darin ist

sie mit

der Furcht

verwandt.

Von dem

der

Sorge

verfallenen

Menschen heiat

es im Faust:

"Siehet

alle

Dinge

schiefer"

(V.

11476).

Das

gleiche

gilt von der Sehweise der Furcht. Dariiber hinaus aber ist die Sorge,

besonders

wie sie

in Faust

II

auftritt,

eine

unausweichliche,

mit

der

endlichen,

todesverfallenen menschlichen Existenz und

ihrem

Verhailt-

7Hans

Jaeger,

"The

Problem of Faust's

Salvation,"

Goethe Bicenten-

nial

Studies,

Indiana

Univ.

Pubs.,

Humanities

Series,

No.

22

(Indiana

Univ.

Press,

1950),

S.

109-152;

Stuart

Atkins,

Goethe's Faust.

A

Literary

Analysis

(Harvard

Univ.

Press, 1958),

S.

252;

W.

Boihm,

Goethes

Faust,

S. 244

ff.

und

auch in seinem

Buch

Faust

der

Nichtfaustische (Halle,

1933),

bes. S.

73.

8

Albert

Daur,

Faust und

der

Teufel

(Heidelberg,

1950),

S. 58.

9

Tiirck,

S. 59

u.6.;

Th.

Ziegler

im

Faust-Kapitel

von

Bielschowsky,

Goethe.

Sein

Leben

und seine

Werke,

31.

Aufl.

(Miinchen,

1917),

II,

664;

Adolf

Trendelenburg,

Goethes Faust

(Berlin

u.

Leipzig, 1921),

II,

584;

Alfred

Gramsch,

Goethes

Faust.

Einfilhrung

und

Deutung

(Braun-

schweig-Berlin,

1949),

S.

140;

Georg

Lukacs,

"Faust-Studien,"

Goethe

und

seine Zeit

(Berlin,

1950),

S.

271;

Barker

Fairley,

Goethe's

Faust.

Six

Essays

(Oxford,

1953),

S.

119;

Alexander

Gillies,

Goethe's Faust.

An

Interpretation

(Oxford,

1957),

S.

29 f.

und

viele andere

Autoren.

10Erich Franz, Mensch und Dimon. Goethes Faust als menschliche

Trag6die,

ironische

Weltschau

und

religidses

Mysterienspiel

(Tiibingen,

1953),

S.

58.

11

Paul

Stiicklein,

Wege

zum

spdten

Goethe

(Hamburg,

1949),

S.

74;

weiterhin

im

Text

zitiert.

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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SORGE,

FURCHT UND HOFFNUNG

125

nis

zur Zeitlichkeit

gegebene,

von allen

konkreten

Veranlassungen

los-

geliste

Daseinsmacht.12

Als

solche

legt

sich

die

"Sorge"

selbst

aus,

wenn sie sich als vom Menschen "Stets

gefunden,

nie

gesucht"

(V.

11430)

bezeichnet und

auf Fausts

Frage,

wer

sie

sei,

mit

lapidarer

Kiirze

antwortet:

"Bin

einmal

da "

(V.

11421).

Dieser

schon von

Traumann

und

Burdach

erkannte

transsubjektive

Charakter der

Sorge

ist

neuerdings

wieder von

Jockers

und

Atkins,

wenn

auch

sehr

ver-

schieden

aufgefaf~t,

hervorgehoben

worden.13

Zu

diesen

allgemeinen Erwdigungen

iiber

den Unterschied von

Furcht und

Sorge

kommt

noch die

Tatsache,

da12

Goethe

die Furcht-

und-Hoffnung-Allegorese n engsterAnlehnung an italienischeQuellen

schuf,

weswegen

schon

Rickert

mit

Recht vor allzu

weittragenden

Folgerungen beziiglich

Fausts

warnte.'4

Trunz

und

Gillies

betonen

den

spezifisch

politischen

Charakter der

Allegorese.15

In voller

Schairfe

gelten

daher

Erich

Schmidts

Worte: "Unsre

Stelle

hat mit der

'Sorge'

im

5.

Akt

garnichts

zu

tun."'6

Die

in

Faust

I

angesprochene Sorge (V.

644

ff.)

tritt

nach

St6cklein in

einer

Form

(oder

in

"Masken")

auf,

fiir

die

der

"Typus

des Biirgers"besonders anfiillig ist (S. 74), naihertsich also insofern

der

von

Goethe

besonders

dem Philister

zugeschriebenen

"Furcht

und

Hoffnung."

Aber

hier handelt

es

sich nicht

um

konkret

veranlaP1te

Befiirchtungen,

sondern

um

eine

aufs

Ganze

des

Lebens

bezogene

Gestimmtheit,

welche

das

kurz vorher

erwiihnte

"ungewisse

Menschen-

los"

(V.

629)

mit sich

bringt.

Auch Stbcklein

sieht

den

radikalen

Charakter dieser

Sorge,

wenn

er

meint,

Faust

stehe

hier

vor der

Frage:

"Wie

kann ich mich

gestalten?"

(S. 75).

Die

Sorge

als

"inner-

seelischer

Angriff

gegen

die

vis unitiva"

(S.

77)

ist

auch hier von der

"Furcht"

zu

unterscheiden,

wie

sie

im

Mummenschanz

auftritt.

12

Bei Dorothea

Lohmeyer,

Faust und

die

Welt.

Zur

Deutung

des

Zwei-

ten

Teils

der

Dichtung (Potsdam, 1940)

wird die

Sorge

als

"Organ

fiir

die Zeit

als

Vergiinglichkeit"

bezeichnet

(S.

136).

13

Ernst

Traumann,

Goethes

Faust. Nach

Entstehung

und

Inhalt

erkldrt

(Miinchen,

1914),

II,

335;

Konrad

Burdach,

"Faust

und die

Sorge,"

DVLG,

I

(1923), 51;

Ernst

Jockers,

"Faust und

die

Natur,"

PMLA,

LXII

(1947),

724; Atkins,

Goethe's

Faust,

S. 252.

14

Heinrich Rickert, Goethes Faust. Die dramatische Einheit der Dich-

tung

(Tiibingen, 1932),

S.

298.

15

Goethes

Faust,

hrsg.

von

Erich

Trunz,

3.

Aufl.

(Hamburg,

1954),

S.

541; Gillies,

Goethe's

Faust,

S.

106.

16

In

seinem

Faust-Kommentar

in

der

Jubildiums-Ausgabe,

XIV,

309.

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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126

THE

GERMAN

QUARTERLY

An

die

Tiircksche

Gleichsetzung

von

Furcht

und

Hoffnung

mit

der

Sorge

erinnert

Raabes

Feststellung,

die

Sorge

sei

ein "Mittelzustand

0 .

.

zwischen Furcht und

Hoffnung."'7

Nachdem wir

den

zwischen

Sorge

und

Furcht

obwaltenden

Unterschied

er*rtert

haben,

soll

nun

das

zwischen

Sorge

und

Hoffnung,

sowie

Furcht

und

Hoffnung

bestehende

Verhilltnis

betrachtet

werden.

Hoffnung

und

Sorge

werden

bei

Goethe oft

zusammen

genannt,

obwohl

weniger

haiufig

als

Furcht und

Sorge.

Die

Hoffnung

ist,

wie

die

Sorge,

meistens

auf

die Zukunft

gerichtet.

Dann

entspringen

beide

aus

der

Beschaiftigung

der

Einbildungskraft

mit

zukiinftigen

Ereignis-

sen. Von dem unter dem Einfluf der Sorge stehenden Menschen heiBt

es

in Faust

II:

"Ist

der Zukunft nur

gewlirtig" (V.

11465).

Daraus

folgt

aber

nicht,

die

Hoffnung

sei

ein

stets

anwesendes Element

der

Sorge.

Hoffnung

und

Sorge

sind vielmehr

polar

entgegengesetzte

Einstellungen

des

Menschen zu

den

gleichen

Gegebenheiten

der

Erfahrung.

Daher

spricht

Goethe

oft von

einem

Wechsel

dieser

Verhaltensweisen: .

. .

"mit wechselnder

Hoffnung

und

Sorgen"

(Triumph

der

Empfindsamkeit,

1.

Akt;

I,

17,

10);

.

.

. "so

wechselten

doch immer

Hoffnung

und

Sorge

.

.

. in der schwankenden Seele"

(Campagne;

I,

33,

102);

. . .

"Hoffnung

und

Sorge

wechselten daher

augenblicklich

ab"

(ebd.,

110).

DaBf

Furcht

und

Sorge

der

Hoffnung

entgegengesetzt

sind,

geht

klar

aus

der

folgenden

Stelle

der

Campagne

hervor:

"Sorge

und

Furcht,

doch

mit

einiger

Hoffnung

schwebte auf

den

Gesichtern

der

tiichtigen

Miinner"

(I,

33, 22).

Weit

gewichtiger

als

diese

Zitate ist

jedoch

die

Tatsache,

daB

Goethe

in

seiner

Gedichtsammlung

die

Gedichte

"Hoffnung"

und

"Sorge"

unmittelbar

aufeinander

folgen

lMift,

gleichsam

als

Gegen-

stiicke,

in denen er

polare,

wurzelverbundeneund doch

kontrastierende

Verhaltungsweisen

des Menschen

anspricht.

Ihre

gemeinsame

Wurzel

wird im 20. Auftritt des

Vorspiels

Was

wir

bringen

(Lauchstlidt

1802)

angedeutet,

wo

Sorge

und

Hoffnung

als

die

zwei

Gestalten

beschrieben

werden,

welche die

als

"scheckig

Kniiblein"

auftretende

"Phantasie"

annimmt.

Von der

Hoffnung

spricht

Faust,

kurz bevor

sich

seine Gedanken

der

Sorge

zuwenden:

"Wenn

Phantasie

sich

sonst

mit

kiihnem

Flug

/

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert" (V. 640 f.). Merk-

wiirdigerweise

zitiert

Tiirck,

der die

Hoffnung

nur

im

Sinne

der

17

August

Raabe,

Goethe und Luther

(Bonn,

1949),

S.

91;

weiterhin

im Text

zitiert.

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SORGE,

FURCHT UND

HOFFNUNG 127

"Furcht

und

Hoffnung"

im Mummenschanz

verstehen

will,

die

eben

angefiihrte

Stelle,

ohne daraus

den SchluB zu

ziehen,

da1

gerade

hier

die

Hoffnung

als Diastole der menschlichen

Einbildungskraft

zum

Ewigen

im

Gegensatz

zur

Sorge

als,

Systole

auf

das

nur

Endliche

steht

(S.

37,

84).

Da1~

Furcht

und

Hoffnung

mit

der

menschlichen

Existenz

gegebene

polare Betiitigungsweisen

der

Einbildungskraft

sind,

deutet Goethe

schon

in seinem

Prometheus-Fragment

an: "Dann

lebst du auf

.

.

.

Von

neuem

zu

fiirchten,

zu

hoffen,

zu

begehren "

(Ende

des

2.

Akts;

I,

39,

212).

Als

polare

Phiinomene des menschlichen Geistes

werden

sie in einem chromatischenGleichnis im Tagebuch angeffihrt: "Lieben

und

Hassen,

Hoffen und

Fiirchten

sind auch nur

differente

Zustlinde

unseres

triiben

Innern,

durch

welches

der

Geist entweder

nach

der

Lichtseite oder

Schattenseite

hinsieht"

(25.

Mai

1807;

III, 3,

213).

Aus dieser Polaritiit wurzelverwandter

Phainomene

lifiBt

ich

aber

nicht

folgern,

Furcht und

Hoffnung

seien

stets

anwesende

Elemente der

Sorge

oder

letztere

sei

ein

Mittelzustand

zwischen beiden.

Dagegen

spricht

u.a. die

folgende

Stelle

aus den

Wahlverwandtschaften,

wo

der Mittelzustand als "Fiihllosigkeit"erscheint: "Es gibt Lagen, in

denen Furcht

und

Hoffnung

eins

werden,

sich

einander

wechselseitig

aufheben und

in

eine

dunkle

Fiihllosigkeit

verlieren"

(2.

Buch,

4.

Kap.;

I, 20,

226).

Um seine

Gleichsetzung

von

Furcht

und

Hoffnung

mit

der

Sorge

zu

stiitzen,

gibt

Tiirck

eine

Interpretation

der

Verse

647-651 im

Faust.

Hier

heift

es

von der

Sorge:

Sie

deckt

sich

stets

mit

neuen Masken

zu,

Sie

mag

als

Haus

und

Hof,

als

Weib

und

Kind

erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;

Du

bebst vor

allem,

was nicht

trifft,

Und was du nie

verlierst,

das

muBt

du

stets beweinen.

Calvin

Thomas

sieht,

wie auch Kuno

Fischer,

in

Haus,

Hof usw.

Gegenstlnde

der

Sorge (worry),

in

Feuer,

Wasser

usw.

Objekte

der

Furcht,

wiThrend

Minor hier

das,

worum man

sich

sorgt,

von

dem,

wovor

man

sich

fiirchtet,

unterscheidet.18

Nach

Tiirck

sind

Haus,

Hof

usw.

"Dinge,

in

deren Besitz

man

ein

h*chstes

Gliick

zu

finden

hofft,"

1s

Goethes

Faust,

hrsg.

von

Calvin

Thomas,

Vol.

I,

The

First

Part

(Boston,

1897),

S.

297

f.;

Kuno

Fischer,

Goethes

Faust,

4.

Aufl., hrsg.

von

Victor Michels

(Heidelberg,

1912-13),

III,

7-8;

Jakob

Minor,

Goethes

Faust.

Entstehungsgeschichte

und

Erkli~rung (Stuttgart, 1901),

II,

111.

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128

THE

GERMAN

QUARTERLY

also

"Giiter,"

welche

"die

Hoffnung

vorspiegelt,"

waihrend

Feuer,

Wasser

usw.

"Tbel"

sind,

"die

die Furcht erblicken

l1i*Bt,

o

vielleicht

iiberhaupt

keine Gefahr droht"

(S.

37,

108).

Hierin sieht

Tiirck

den

Beweis

fiir

die

Zusammensetzung

der

Sorge

aus

Furcht

und

Hoffnung

als

ihren

stets

anwesenden Elementen.

Dagegen

muB

jedoch

ein-

gewendet

werden,

dali

Furcht und

Hoffnung,

aber auch

Sorge,

sich

auf

alle

diese

von

Goethe

lediglich

als "Masken"

der

Sorge

bezeich-

neten

Dinge

beziehen

kinnen.

Wir hoffen die

Lebensgiiter

Haus,

Weib

usw.

zu

erlangen

oder

zu

bewahren,

aber wir

fiirchten

und

besorgen

ihren

Verlust. Die

gefahrdrohenden

tObel

Feuer,

Wasser

usw.

fiirchten wir, hoffen aber zugleich, ihnen zu entgehen. Die Verse 650

und

651,

die sich

auf

Vers

649

und

648

in

dieser

Reihenfolge

der

Zuordnung

beziehen,

lassen

nichts

von

Hoffnung

verlauten,

sondern

driicken

nur

Sorge

fiber

mSgliche

iible

Ereignisse

aus.

Auch

Minors

Unterscheidung

von

"Sorge

fiir"

und

"Furcht

(Sorge)

vor"

lki1t

sich nicht

aufrechterhalten,

da von

Fiirsorge

nicht

die

Rede

ist,

sondern nur von

der

Sorge

als

quailender Beunruhigung.

Es

ist

ja

gerade

fiir

Faust

bezeichnend,

dal3

er

sowohl

in

den

Gegenstainden

moglicher Fiirsorge (besonders Weib und Kind) wie in den das

menschliche

Dasein bedrohenden

Dbeln nur "Masken" der

laistigen,

quiilenden

Sorge

sieht.

Gegen

die

von Thomas und Fischer

gemachte

Unterscheidung

ist an

sich

nichts

einzuwenden,

da alle

genannten

Dinge

Furcht

und

Sorge

bereiten

k6nnen,

wobei die

Leben

und

Giiter

bedrohenden

tVbel

tatsiichlich

bfter

konkrete Furcht

als

bloBe

Sorge erregen.

Wenn

aber Fischer

meint,

"am Ende" handle es

sich

nur

um

"eingebildete

und

leere

Gefahren,"

um

"peinliche

und

grund-

lose

Furcht,"

welche

eine

"verschiichterte

Winkelexistenz" kennzeich-

net

(s.

Anmkg.

18),

dann

verharmlost

er

hier die

Sorge

und verwischt

den oben

er6rterten

Unterschied

zwischen

ihr

und der

philistrosen

Furcht.

Wo

"Furcht

und

Hoffnung"

bei Goethe

nebeneinander

genannt

werden,

tragen

sie immer einen

negativen

Charakter.

In

dieser

negativen

Bewertung mag

Goethe sehr

wohl,

wie

Tiirck

und

Lukacs

nahelegen,

von

Spinoza

beeinfluljt

worden

sein,

der

auch

das

unaufl6sliche

Miteinander

von

Furcht und

Hoffnung

betonte.'9 Darin

kinnte dann auch eine Erklirung fiir die von Hoffmeister konstatierte

19

Tiirck,

"Spinoza

und Goethes

Faust,"

Faust-Erkl.,

S.

101-128;

Lukacs,

Goethe und

seine

Zeit,

S.

356;

ausdriicklich

gegen

Tiirck,

aber

Petsch,

Festausgabe,

V,

669.

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SORGE,

FURCHT

UND HOFFNUNG

129

Entwertung

der

Hoffnung

beim

llteren

Goethe

liegen.20

Furcht und

Hoffnung

werden

gelegentlich

von

Goethe

als

Kennzeichen

des

Philisters erwaihnt

(Zahme

Xenien,

VII,

V. 293

ff.;

zu Kanzler

M*iller

am 3.

April

1824).

Jedoch

sind

sie

keineswegs

immer

nur

so

aufzufassen. Gerade

der

junge

Goethe

spricht

6fters

von der sein

Inneres

bewegenden

Furcht und

Hoffnung

beziiglich

seiner

Zukunft

und

seiner

Stellung

in

der

Gesellschaft.21

Spaiter

sind es

die

durch

die

Franz6sische

Revolution

hervorgerufenen

kriegerischen Ereignisse

und

politischen

Wirren,

die in

Goethe und

seinen

Zeitgenossen

Furcht

und

Hoffnung erregen.

Davon

berichtet

er

wieder und wieder

in

der

Campagne und in den Tagebiichern aus der damaligen Zeit. In

diesen Faillen

sind

Furcht

und

Hoffnung

situationsbedingte

Reaktionen

und haben

nichts mit

dem

Philistergeist

zu

tun.

Im

Mummenschanz

dagegen

sind

sie

nicht

die

Reaktion auf

eine

sie

objektiv

rechtfertigende

konkrete

Situation,

sondern

der

Ein-

bildungskraft

entspringende komplement~ire

Sehweisen,

welche

die

Wirklichkeit

verflilschen,

jede

klare

zielbewul~te

Taitigkeit

llihmen

und daher

"zwei

der

gr62lten

Menschenfeinde"

genannt

werden.

Sie

kennzeichnen den Philister, der sich unter dem EinfluBlder Furcht

frei

wiinscht,

unter

dem

der

Hoffnung

sich

frei

fiihlt

(siehe

V.

5400),

ohne

etwas

zur

Verwirklichung

der

Freiheit

zu

tun.

Die

hier

auftretende

philistr6se

Hoffnung,

von

der Thomas

Mann

im 7.

Kapitel

seines

Romans

Lotte

in

Weimar

Goethe

sagen

lui1t,

dal

sie

"lippisch

siil3

und

entnervend

.

. .

illusioniert,"

zielt nur auf

bequeme

Erfiillung

aller

Wiinsche

"in

sorgenfreiem

Leben,"

in

dem

man

"nach

Belieben

ruhn und handeln" kann

und

"nie

entbehren"

muBl

(V.

5434

ff.).

Raabe

bezeichnet

diese

mit

der

Furcht

auf

gleicher

Stufe

stehende

illusionaire

Form der

Hoffnung

als

"Furchthoffnung"

(S. 92).

Es

gibt

aber bei

Goethe

auch

eine

Hoffnung,

die vielleicht

ihren

sch6nsten

Ausdruck in den

Gedichten

"Hoffnung,"

"Ein-

schrainkung"

und

"Elegie"

("Ein

zairtlich

jugendlicher Kummer")

gefunden

hat,

alle

aus

den

70er

Jahren

vor

oder in der ersten

Weimarer

Zeit.

Aus

ihnen

spricht

die

Hoffnung

auf

ruhiges

Vollenden

organischen

20

Johannes

Hoffmeister,

"Goethes

Urworte

-

Orphisch.'

Eine

Interpre-

tation," Logos, XIX (1930), 207 f.

21

Siehe

den

Brief

an

Herder

vom

Juli

1772: "Muth und

Hoffnung

und

Furcht

und Ruh

wechseln in meiner

Brust"

(IV,

2,

15);

Rihnlich

n

Briefen

an

Kestner

vom 25.

April

1773

(IV, 2,

83)

und

Charlotte

v.

Stein

am

8.

Juni

1776

(IV,

3,

74

f.).

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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130 THE GERMAN

QUARTERLY

Wachstums,

die nichts mit den

negativen

Diimonen

Furcht und

Sorge

zu

tun

hat,

sondern ihnen als "Genius"

(Stbcklein,

S.

105)

ent-

gegengesetzt

ist. Sie findet

Bild

und Korrelat in

der

sich

still ent-

faltenden

Natur:

"Jetzt

nur

Stangen,

diese

Baiume

Geben einst

noch

Frucht und

Schatten,"

heiflt

es im Gedicht

"Hoffnung."

Und das

Gedicht

"Elegie,"

in

dem

die

Vorfriihlingsstimmung

zum

Symbol

der

in

den

drei

Strophenabschliissen

eitmotivisch wiederkehrenden

Hoff-

nung

wird,

endet

mit

dem

Bild

des

Saimanns:

"Die

Seele

voll

von

Erntetriumen,

/

Und

sai't

und

hofft."

Faust

spielt

auf

diese

Form der

Hoffnung

auf

dem

Osterspaziergang

an:

"Im

Tale

griinet

Hoff-

nungsgliick" (V. 905). Aber es bleibt bei der blo2en Sehnsucht, in

die

sich auch ironische

Distanz

mischt,

da seiner Titanennatur

ein

sich

bescheidendes

Vertrauen auf

organisches

Werden

nicht

gegeben

ist.

Im

positiven

Sinne ist

die

Hoffnung

eine "edle

Treiberin,

Trasterin"

("Meine

Gfttin")

und

von

dieser

positiven,

mit

dem

menschlichen

Leben

gegebenen

Macht

spricht

Goethe in

Des

Epimenides

Erwachen

(V.

616-625)

und

in

der

Achillei's

(V.

236

ff.).

Sie

waire

wohl

auch in

der

im Schema zur

Fortsetzung

der

Pandora genannten Elpore thraseia verk6rpertworden. Letztere hiitte

sich

vielleicht

derjenigen

Metamorphose

des

Urphiinomens

Hoffnung

geniihert,

die

in

der

von Flitner

und

Hoffmeister

untersuchten

Elpis-

Stanze

der

"Urworte.

Orphisch"

dichterischen

Ausdruck

gefunden

hat

und

von Flitner

als

"spirituelle"

oder

"religiase"

Hoffnung

bezeichnet

wird.22

Sie

bildet

ein

Analogon

zu der

neben

Glaube und

Liebe

stehenden

Hoffnung

in

der

"christlichen

Trias." Faust kennt

sehr

wohl

die

Hoffnung

im

positiven

Sinne

wie

auch als

Bestandteil der

christlichen

Trias.

Aber sein

Verhiltnis

zu ihr

ist,

worauf hier nicht

niiher

eingegangen

werden

kann,

meist

negativ,

sei

es,

daf

er

sie

entbehrt,

oder

sie

geradezu

verwirft.

Mit

Recht

hebt

Flitner

hervor,

daf sich

die

spirituelle

Hoffnung

nicht immer

reinlich

von

der

Form,

die er

als

"daimonisch"

ezeichnet,

trennen

liift.

Dies

gilt

u.E.

kaum

von

der

Elpis-Stanze,

wie

Flitner

annimmt

(S.

141,

147),

aber

gewiS

von

Elpore

in

der

Pandora

und

auch sonst fast

immer.

DaB

die

Gestalt

der

"Hoffnung"

im Mummen-

schanz aber

nicht

diese

iiberhaupt

darstellt,

sondern

nur

die

diimonische Furchthoffnung, liegt klar zutage und ist auch in vielen

22Wilhelm

Flitner,

"Elpis. Betrachtungen

iiber

Goethes 'Urworte.

Orphisch',"

Goethe.

Viermonatsschr.

d.

Goethe-Ges.,

IV

(1939),

141;

weiterhin

im Text

zitiert.

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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SORGE,

FURCHT UND

HOFFNUNG

131

Faust-Kommentaren

ausdriicklich

hervorgehoben

worden

(z.B.

von

BShm,

Buchwald, Endres,

Petsch,

Erich Schmidt

und

Trunz).

Um-

somehr muf3 das Fehlen eines Sinnes fiir die verschiedenen Formen

der

Hoffnung

bei Goethe

in

dem

sonst

so verdienstvollen

Kommentar

von

Witkowski

befremden,

der

unter Hinweis

auf Karsten

behauptet,

in

den

Versen

5423-40

werde

"nicht

nur

unbegriindete

Hoffnung,

sondern

Hoffnung

iiberhaupt"

dargestellt.23

DafB

Tiirck,

um

seine

Thesen zu

stiitzen,

iiberall

nur

die

Furchthoffnung

zu sehen

vermeint,

selbst

wenn

er

Faust,

V.

640

f.

zitiert,

haben

wir schon

erwaihnt

und

ist

nicht

weiter verwunderlich.

AbschlieBend kbnnen wir mit Daur sagen, daB3Tiirck "ohne

Ahnung

von

der tiefmenschlichen Macht

der

Sorge"

war

(S.

396,

Anmkg.

15).

Er

hielt

sich,

wie die

meisten

Faust-Ausleger,

nur

an

die

Wirkungen

der

Sorge

auf den

von ihr befallenen

Menschen.

Tiirck

hat

die

enge Verbindung

von

Sorge,

Furcht

und

Hoffnung

als

wurzelverwandten

Betaitigungsformen

der

Einbildungskraft

oder

Phantasie

richtig

gesehen.

Wir

glauben

aber

gezeigt

zu

haben,

daB

er

diesen

Zusammenhang

falsch

und

einseitig

auffalte.

Sorge,

Furcht

und Hoffnung sind bei Goethe keineswegs immer Kennzeichen des

Philistergeistes.

Tiirck

hatte

keinen

Sinn

fuir

die

vielgestaltigen

Erscheinungsweisen

der

Hoffnung,

die

er

nur

als

Furchthoffnung

auslegte.

Auch

bei

anderen

Auslegern

konnten wir

Tihnliche

Fehlin-

terpretationen

aufzeigen.

Wenn

wir

auf

Tiircks

Thesen

naiher

eingingen,

so

geschah

das,

weil

sie,

trotz

der

eingehenden

Kritik,

der

sie

in

Burdachs bahn-

brechender

Arbeit "Faust

und die

Sorge"

(s.

Anmkg.

13) unterzogen

wurden,

gerade

in

neuester

Zeit

in der

Faust-Literatur,

etwa bei

Daur,

Hainsel,

Giinther

und

Milch,

wieder

Beachtung

gefunden

haben.24

Dies

hat

Bezug

auf

die

wieder

akut

gewordene Frage,

ob

Fausts

Lebenskurve im Sinne einer wachsenden

Vervollkommnung

zu

deuten

sei,

was von

Tiirck

verneint

wurde,

der

sich

damit als

"Antiperfek-

23

Goethes

Faust,

hrsg.

von

Georg

Witkowski,

9.

Aufl.

(Leiden, 1936),

II,

302.

24

Daur,

Faust

und

der

Teufel,

S.

396, 423, 467, 468,

470;

Ludwig

Hainsel, Goethe. Chaos und Kosmos (Wien, 1949), S. 97 f.; Werner

Giinther,

"Faust

und die

Sorge,"

Bemerkungen

zu

einigen

Stellen

in

Goethes

Faust,

Univ.

de

Neuchatel,

Recueil

de Travaux

publi6

par

la

Fac.

des

Lettres,

Vingt-Quatrieme

Fasc.

(Neuchatel, 1950),

S.

50,

53;

Werner

Milch,

"Wandlung

der

Faustdeutung,"

ZDP,

LXXI

(1951),

23-38

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7/17/2019 Zum Verhältnis Von Sorge

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132

THE

GERMAN

QUARTERLY

tibilist"

(BShm)

erweist. Nach

ihm

unterliegt

Faust

der

Sorge,

wird

also

ein

von

Furcht

und

Hoffnung

beherrschter

Philister,

der als

"Narr der

Hoffnung"

eine

Utopie

vom freien Volk auf

freiem

Grund

entwirft

(S.

59,

64

u.56.).

Diese absurde

These,

die auf der

von uns

abgewiesenen

falschen

Interpretation

des

Verhiiltnisses

von

Sorge,

Furcht und

Hoffnung

beruht,

bietet

keinerlei Stiitze

fiir

den

"Anti-

perfektibilismus,"

zumal

Tiircks

Kritik

an Faust

erst bei der

Begeg-

nung

des

Greises

mit

der

"Sorge"

einsetzt.

University

of

Pennsylvania