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258 Emil Maurice – Hitlers früher Gefolgsmann Emil Maurice – Hitlers früher Gefolgsmann Das, was gemeinhin als Freundschaft zwischen Hitler und Emil Maurice bezeichnet wird, geht auf die Zeit zurück, die beide gemeinsam in der Festungshaftanstalt Landsberg einsaßen. Einschränkend muss aber gesagt werden, dass es sich eher um eine gute Bekanntschaft als um eine Freundschaft handelt, zu der Hitler kaum fähig gewesen sein dürfte. 1919 hatte Maurice in München erstmals Reden von Hitler gehört und war sofort von dessen antisemitischen Hasstiraden, von der Welt- kriegs-Dolchstoßlegende und dem Gerede um die Schmach von Ver- sailles begeistert. Im Münchner »Sterneckerbräu« trafen sich die Rechtsextremisten unter Hitlers Führung. Neben Emil Maurice waren es der Müller Ulrich Graf, der Pferdehändler Christian Weber, der arbeitslose Abiturient Hermann Esser, der Student Rudolf Heß und der Publizist Dietrich Eckart, dazu als einzige Frau Eugenie Haug, Schwes- ter von Hitlers erstem Chauffeur. Sie sollten sich in der Festungshaftan- stalt Landsberg und nach 1933 in wichtigen Partei- und Staatsämtern wiederbegegnen. Zunächst aber hatten Hitler, Erich Ludendorff und weitere Putschis- ten am 8. und 9. November 1923 in der bayerischen Landeshauptstadt München versucht, die Regierungsmacht an sich zu reißen. Der Putsch misslang, die Hauptakteure, unter anderen neben Hitler auch Emil Maurice, wurden vor Gericht gestellt und erhielten milde Strafen: Hit- ler, »led., kath. Schriftsteller, Straftat: Hochverrat«, war zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden und hatte seine Strafe am 1. April 1924 in Zelle 7 angetreten. 1 Der Uhrmacher Maurice, der einen jüdischen Urgroßvater hatte, den Gründer des Thalia-Theaters Chéri Maurice, hätte wegen Beihilfe zum Hochverrat ein Jahr und sechs Monate Frei- heitsstrafe verbüßen sollen, war Hitlers Zellennachbar, wurde aber wie dieser vorzeitig entlassen: Hitler kam am 20. Dezember 1924 frei, ihm folgte wenig später, am 27. Januar 1925, Emil Maurice. Unter den bekannten Häftlingen befand sich auch Rudolf Heß (Zelle 5/8, Student, 1 Jahr 6 Monate, 1933 Stellvertreter Hitlers). Er erhielt sehr häufig Besuch von Professor Karl Haushofer, jedoch ledig- Brought to you by | Brown University Rockefeller Lib Authenticated | 128.148.252.35 Download Date | 6/2/14 4:05 PM

"Wer Jude ist, bestimme ich" ("Ehrenarier" im Nationalsozialismus) || Emil Maurice – Hitlers früher Gefolgsmann

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258 Emil Maurice – Hitlers früher Gefolgsmann

Emil Maurice – Hitlers früher Gefolgsmann

Das, was gemeinhin als Freundschaft zwischen Hitler und Emil Maurice bezeichnet wird, geht auf die Zeit zurück, die beide gemeinsam in der Festungshaftanstalt Landsberg einsaßen. Einschränkend muss aber gesagt werden, dass es sich eher um eine gute Bekanntschaft als um eine Freundschaft handelt, zu der Hitler kaum fähig gewesen sein dürfte.

1919 hatte Maurice in München erstmals Reden von Hitler gehört und war sofort von dessen antisemitischen Hasstiraden, von der Welt-kriegs-Dolchstoßlegende und dem Gerede um die Schmach von Ver-sailles begeistert. Im Münchner »Sterneckerbräu« trafen sich die Rechtsextremisten unter Hitlers Führung. Neben Emil Maurice waren es der Müller Ulrich Graf, der Pferdehändler Christian Weber, der arbeitslose Abiturient Hermann Esser, der Student Rudolf Heß und der Publizist Dietrich Eckart, dazu als einzige Frau Eugenie Haug, Schwes-ter von Hitlers erstem Chauffeur. Sie sollten sich in der Festungshaftan-stalt Landsberg und nach 1933 in wichtigen Partei- und Staatsämtern wiederbegegnen.

Zunächst aber hatten Hitler, Erich Ludendorff und weitere Putschis-ten am 8. und 9. November 1923 in der bayerischen Landeshauptstadt München versucht, die Regierungsmacht an sich zu reißen. Der Putsch misslang, die Hauptakteure, unter anderen neben Hitler auch Emil Maurice, wurden vor Gericht gestellt und erhielten milde Strafen: Hit-ler, »led., kath. Schriftsteller, Straftat: Hochverrat«, war zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden und hatte seine Strafe am 1. April 1924 in Zelle 7 angetreten.1 Der Uhrmacher Maurice, der einen jüdischen Urgroßvater hatte, den Gründer des Thalia-Theaters Chéri Maurice, hätte wegen Beihilfe zum Hochverrat ein Jahr und sechs Monate Frei-heitsstrafe verbüßen sollen, war Hitlers Zellennachbar, wurde aber wie dieser vorzeitig entlassen: Hitler kam am 20. Dezember 1924 frei, ihm folgte wenig später, am 27. Januar 1925, Emil Maurice.

Unter den bekannten Häftlingen befand sich auch Rudolf Heß (Zelle 5/8, Student, 1 Jahr 6 Monate, 1933 Stellvertreter Hitlers). Er erhielt sehr häufig Besuch von Professor Karl Haushofer, jedoch ledig-

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lich einmal von Hitler, und zwar am 28. Dezember 1924 von 10.45 bis 10.55 Uhr.2 Weitere Häftlinge waren Julius Schaub, der zu einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden war, Walther Hewel, der das gleiche Strafmaß hatte, sowie Karl Fiehler, der eine Haftstrafe von zwei Tagen, und Julius Schreck von drei Tagen auferlegt bekam. Sie sollten innerhalb der »Bewegung« und nach der Machtübernahme der Nationalsozia-listen noch eine erhebliche Rolle spielen. Alfred Rosenberg, der am 13. Januar 1893 in Reval geborene Architekt, glühende Antisemit und spätere führende Ideologe der NSDAP, musste nur sieben Tage Fes-tungshaft absitzen.

Die Besucherliste von Emil Maurice, der für Hitler »die Geschäfte« führte, also auch seine Post erledigte, liest sich wie ein frühes Who is Who des Nationalsozialismus. Am 6. Mai 1924 suchten ihn auf: General Erich Ludendorff, der vom Vorwurf des Putschisten freigesprochen wor-den war, der politische Schriftsteller Alfred Rosenberg sowie Oberleut-nant Neumann; am 15.Oktober 1924: Frau Helene Bechstein, Berlin, die Hitler finanziell förderte und ihm den Kosenamen Wolf verlieh; am 28. Dezember 1924 von 11 bis 12 Uhr Adolf Hitler, derselbe dann erneut am 13. Januar 1925 von 11.45 bis 12.05 Uhr.3

Interessant ist auch, in welcher Weise Hitler Maurice materiell unter-stützte. Aus den Unterlagen der Festungshaftanstalt sind folgende Aus-gaben Hitlers für Maurice festgehalten:

11. August 1924: 0,88 RM für Wäsche Maurice24. August 1924: ½ l Bier für Maurice, 0,18 RM2. September 1924: Bier für Maurice, 015 RM11. Oktober 1924: 3 Flaschen Bier, 1 Flasche für Maurice12.Oktober 1924: 3 Flaschen Bier, 1 Flasche für Maurice21. Oktober 1924: 3 Flaschen Bier, 1 Flasche für Maurice25. Oktober 1924: 3 Flaschen Bier, 1 Flasche für Maurice17. November 1924: 1,40 RM Porto für Paket Maurice17. Dezember 1924: 15,55 RM Schuld vom Konto Maurice30. Dezember 1924: 10 RM für Konto Maurice2. Januar 1925: 1 RM für Telegramm Maurice26. Januar 1925: 1 Kiste für Maurice, 4,00 RM.4

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Besuchsliste in der Haftanstalt, Blatt 1.

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Der Münchner mit den »Bärenkräften« 261

Maurice, der zu dieser Zeit wohl weitgehend mittellos war, erhielt Unterstützung auch von Julius Schaub: 30 RM am 10. Januar 1925 sowie 10 RM von Hitler am 4. September 1924 und 20 RM von einem gemeinsamen Konto Hitler-Maurice am 20. November 1924.

Der Münchner mit den »Bärenkräften«

Wer war nun dieser Mann, der als Freund und Vertrauter Hitlers gilt, obwohl er Halbjude war? Auskunft geben hier vor allem die umfangrei-chen Akten des Spruchkammerverfahrens, die sich im Staatsarchiv München befinden.5

Emil Willy Jules Maurice wurde am 19. Januar 1897 in Westermoor in Schleswig-Holstein geboren. Er besuchte die Volksschule in Owschlag, dann die Realschule in Eckernförde, trat eine Lehre als Uhr-machergehilfe an und legte die Meisterprüfung ab. Maurice trat 1939 aus der evangelischen Kirche aus und bezeichnete sich fortan als gott-gläubig. Er hatte drei Brüder: Gustav wurde Oberstfeldmeister im Reichsarbeitsdienst, Franz avancierte in der Gauleitung Mecklenburg, Alfons wurde Amtsträger bei der Nationalsozialistischen Volkswohl-fahrt (NSV) in Miesbach.

1919 schon trat Emil Maurice, der im bayerischen Heer gedient hatte, in das Freikorps Oberland ein und nahm 1921 am Kampf gegen den Polenaufstand in Oberschlesien teil. Er gehörte der am 5. Januar 1919 gegründeten Deutschen Arbeiterpartei (DAP) an, die bereits am 20. Februar 1920 in NSDAP umbenannt wurde. Er war einer der ersten Anhänger der SA, Mitglied des »Stoßtrupps Adolf Hitler«, der Vorläu-ferorganisation der SS, und Mitglied Nr. 2 der 1925 aus dem Saalord-nungsdienst hervorgegangenen SS.

Am 14. Oktober 1922 fuhr Hitler mit 650 Anhängern, zu denen auch Emil Maurice zählte, in einem Sonderzug zum »3. Deutschen Tag« nach Coburg, wo es zu Straßenkämpfen und Schlägereien mit Gegendemonstranten aus links gerichteten Parteien kam. Am 15. Okto-ber 1932 wurde während der »Coburger Hitlertage« anlässlich des 10. Jahrestags den ehemaligen Teilnehmern, darunter auch Emil Mau-rice das sogenannte Koburger Ehrenzeichen verliehen. Er erhielt in die-ser Zeit höchste Auszeichnungen der Partei: 1933 die von Hitler anläss-

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lich des zehnten Jahrestags des Putsches vom 9. November 1923 für die noch lebenden Teilnehmer gestiftete »Blutorden-Medaille« und 1934 das »Goldene Parteiabzeichen der NSDAP«.

Maurice hatte sich in vielfältiger Weise um die »Bewegung« verdient gemacht. Beim Mittagessen am 11. Mai 1942 in der Wolfsschanze sprach Hitler von Maurice als einem »überlebensgroßen Münchner mit Bären-kräften. Der sei in der Kampfzeit mehr wert gewesen als Hunderte von Bürgern. Er habe ausgeschaut wie ein waschechter Proletarier und sei im Sprengen gegnerischer Veranstaltungen und im Erobern des Fahnentu-ches der anderen ebenso routiniert gewesen wie in dem Saalschutz bei eigenen Versammlungen.«6 Im Februar 1920 gehörte Emil Maurice zu den Gründern einer Ordnertruppe, die sich »Turn- und Sportabtei-lung« nannte. Sie zählte 46 Mitglieder und war Kern der späteren SS. In den Monologen im Führerhauptquartier beschrieb Hitler ihre Gründung:

Lieber zwanzig Mann, die nichts kennen als Treue und Gehorsam in einer Stadt, als einen Haufen, auf den letztlich kein Verlass ist. Da ist Maurice gekommen, Schreck, Heiden. In München sollten sie eine kleine Staffel aufstellen aus Leuten, die bedingungslos tun würden, was befohlen wird. So ist die Schutzstaffel entstanden.7

Einen tiefen Einblick in die in den Zwanzigerjahren noch verschworene Gemeinschaft um Hitler gewährt ein Prozess, in dem Hitler vor dem Amtsgericht Augsburg wegen verbotenen Waffentragens angeklagt war. Die öffentliche Sitzung fand am 1. Juli 1926. Vor Gericht standen:8

1. Fischer, Josef, geb. 24.5.1879, Gastwirt in Biburg2. Hitler, Adolf, geb. 20 VI. [sic], 1889, Schriftsteller, Thierschstraße

41/12. Maurice Emil, geb. 19.1.1897, Kraftwagenführer, Liebigstraße 124. Schreck, Julius, geb. 13. VIII. 1898, Kaufmann, Balanstraße 339

5. Heß Rudolf, geb. 20.IV, 1894, Privatsekretär, Römerstraße 3310

6. Wagner, Ernst, geboren 29. IX. 1902, Flugschüler, Marienstraße 27. Steinbinder, Michael, geb. 19.XI. 94, Kraftwagenführer, Metzstraße

II/O8. Heiden, Erhard, geb. 20. II. 1901, Berichterstatter, Herrnstraße11.11

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Der Münchner mit den »Bärenkräften« 263

Aus Sicht der NSDAP war dies zweifellos eine illustre Runde, die sich vor dem Augsburger Gericht verantworten musste. Der Sachverhalt ist schnell erzählt:

Josef Sicher war beschuldigt worden, am 17. Dezember 1925 abends ohne Beleuchtung mit zwei Anhängern voller Reisig auf der Staatsstraße nach Biburg gefahren zu sein. Seiner Aussage nach war es da noch nicht dunkel. Dem widersprachen Hitler, Maurice und Wagner. Fischer fuhr mit seinem landwirtschaftlichen Gefährt auf der Straßenmitte, als Mau-rice ihm in einem Auto entgegenkam und nicht mehr ausweichen konnte:

Nach dem Zusammenstoß entstiegen dem Auto und einem unmittelbar darauffolgenden 2. Wagen die Angeklagten Hitler, Maurice, Schreck, Wag-ner, Steinbinder, Heiden sowie Rosenwink und drangen auf das Fuhrwerk ein, um Ursache und Urheber des Unfalls festzustellen. Dabei hatten die meisten nach Aussagen der Zeugen Fischer und Schmid und nach ihrem eigenen Geständnis 50–60 cm lange, über daumenstarke dicke Gummi-knüppel bei sich geführt. Die beiden Zeugen und Schmidt behaupteten, dies seien Gummiknüppel gewesen. Die Angeklagten stellen dies entschieden in Abrede und erklären, es habe sich um Reitpeitschen gehandelt, was übrigens für einen Fall auch der Zeuge Schmid zugibt. Die Zeugin Arnold sagt unter Eid aus, keiner der Angeklagten habe einen Gummiknüppel mit sich geführt.

Ihre Aussage wird unterstützt durch die Aussage des Zeugen Schaut, die die Autos bei Abfahrt und Rückfahrt versorgte und dabei keine Gummi-knüppel bemerkte und auch durch den Zeugen Bechtold, der erklärt, so habe er noch nie bei einem der Angeklagten einen Gummiknüppel gesehen. Es habe auch Hitler seinen Parteigenossen streng verboten, solche wie andere Waffen bei sich zu führen. Es komme hinzu, dass Gummiknüppel niemals 50–60 cm lang sind, sondern 25– 30cm. Nach alledem muss es als nachge-wiesen gelten, dass die Angeklagten keine Waffen bei sich führten.12

Hitler und seine Weggefährten wurden freigesprochen. Hingegen wurde der Biburger Gastwirt wegen Übertretung »Oberpolizeilicher Vor-schriften« – Fahren ohne Beleuchtung und Fehlen eines Nummern-schildes – zu einer Geldstrafe von 3 bzw. 5 RM verurteilt.

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Klage vor dem Arbeitsgericht

Im Handbuch Der Deutsche Reichstag war über Maurice zu lesen: »Als Mitbegründer der SA und Angehöriger des Stoßtrupps Adolf Hit ler, Teilnehmer des Marsches vom 9. November 1923 zur Feldherrnhalle. 1924 und 1925 längere Zeit in gemeinsamer Haft mit dem Führer.« Maurice selbst jedoch relativierte am 12. September 1949 gegenüber dem Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben seine Rolle: Er sei beim Hitlerputsch 1923 nur an der Besetzung der Ludwigsbrücke beteiligt gewesen, habe aber den Marsch zum Odeonsplatz nicht mitge-macht. Ebenso sei er nie Reichsleiter der SS gewesen, die zu dieser Zeit nur aus kleinen Gruppen bestanden habe. Der Leiter der SS-Organisa-tion, Stoßtrupp-Mitbegründer Erhard Heiden, habe ihn lediglich beauf-tragt, anlässlich der Fahrten mit Hitler vor Ort die Arbeit der SS-Trupps zu beobachten. Auch Emil Maurice versuchte wie die meisten Deut-schen, sich von jeder Schuld reinzuwaschen.

Gleich bei der Gründung des »Lebensborn e.V.«, einer Organisa-tion, die am 12. Dezember 1935 von Himmler mit dem Ziel gegründet wurde, die Zukunft des deutschen Volkes durch »rassisch und erbbiolo-gisch wertvollen« Nachwuchs zu sichern, gehörte Maurice zu ihrem Stab. Es mutet wie eine Ironie der Geschichte an, dass der »Halbjude« Maurice dort mitarbeitete, den SS-Ehrenring und den SS-Degen erhielt und schließlich auch noch das SA-Sportabzeichen in Gold.

Möglich war dies alles nur, weil Maurice das Wohlwollen Hitlers genoss. Als dieser sich sein erstes Auto, einen Mercedes Benz, kaufte, fungierte Maurice von März 1925 bis Dezember 1927 als sein Chauf-feur. Josef Gerum, ein frühes NSDAP-Mitglied und Teilnehmer des Hitlerputsches 1923, kannte Maurice seit 1920, denn er hatte mit ihm zusammen den »Stoßtrupp Adolf Hitler« gegründet und mit ihm in Landsberg in Haft gesessen. Er gab an, Maurice sei in der Politischen Kartei des Münchner Polizeipräsidiums als Begleiter Hitlers eingetragen gewesen.13 Schon damals sei das Gerücht aufgekommen, Maurice sei »Halbjude«, weshalb er vonseiten der Partei bewusst nicht beachtet wurde.

1928 brüskierte Maurice Hitler in einer Weise, die dieser wohl nie vergessen haben dürfte. Da er mit der Zahlung seines Gehalts im Verzug

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und Maurice auf das Geld angewiesen war, verklagte er Hitler vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung und siegte.

Darauf nahm Hans Kallenbach, ein weiterer Angehöriger des »Stoß-trupps Adolf Hitler«, am 7. Mai 1947 eidesstattlich Bezug:

Ich bin seit Jahren darüber unterrichtet, dass er bei Hitler wegen seiner Klage 1928 in Ungnade gefallen war und dass Heydrich Maurice 1933 fest-nehmen und mundtot machen lassen wollte. Maurice hat sich mehr als ein-mal mit mir über die Gestapomethoden Heydrichs und Himmlers ausge-sprochen, und ich konnte immer wieder seinen Hass, aber auch seine Furcht vor diesen Männern feststellen. Er, Maurice, verschwieg mir den Grund seiner Angst diesen Männern gegenüber, aber ich kannte die Ursache. Des-halb konnte ich M. besser verstehen, als er ahnen konnte. Denn ich wusste lange davon, dass er nicht vollarisch war und mit seiner Kritik »aus bestimm-ten Gründen«, wie er sich ausdrückte, vorsichtig sein musste.14

Umso erstaunlicher ist es, dass Hitler Maurice offensichtlich verzieh. Der Völkische Beobachter berichtete in seiner Ausgabe vom 13. Mai 1935 ausführlich über die Hochzeit von Maurice mit Hedwig Ploetz, der Tochter von Oberst Rudolf Ploetz. Demnach hatten Hunderte von Volksgenossen sich vor der Englischen Kirche aufgestellt, um das Braut-paar zu bejubeln. Trauzeugen waren Präsident Weber und Stadtrat Hoff-mann. Zu den Gästen gehörte der Zeitung zufolge auch Brigadeführer Julius Schaub, Hitlers ständiger Begleiter und Chefadjutant.

Die Hochzeitsfeier hatte schon am 11. Mai 1935 stattgefunden, und zwar im »Haus des Führers« am Prinzregentenplatz 15.

Die Klage von Maurice gegen Hitler mag zwar als mutig bezeichnet werden, einen moralischen Freispruch für Maurice bedeutete sie aber keineswegs, wie die Spruchkammer Regensburg im Ermittlungsbericht 1948 befand:

Nach seiner eigenen Darstellung hat ihm Hitler diesen Schritt (der Versöh-nung) aber sehr leicht gemacht. Indem er ihn mit den Worten »Mosel, ich habe Dir damals Unrecht getan«, sofort die Hand reichte. Unter diesen Umständen wäre es für ihn seinerzeit nicht, wie für die meisten anderen alten Kämpfer, ein Spiel mit dem Leben gewesen, von seinem ihm gegenüber so großherzigen Freund die Erlaubnis zum Ausscheiden aus der Partei zu

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erbitten. Seine nichtarische Abstammung wäre hierfür ein unverfänglicher Grund gewesen, denn sie bedeutete ja für den sonst so kompromissfeindli-chen Hitler zweifellos selbst eine Belastung gerade auch der SS gegenüber. Hitlers Autorität hätte ihn auch im Fall seines Ausscheidens aus der Partei gegen Himmler u. a. gesichert, denn sie hat es ja sogar vermocht, ihn nach seiner trotz Himmlers Widerstreben erfolgten Wiederaufnahme in die SS, ihn nicht nur zu schützen, sondern sogar bis zum SS-Oberführer aufsteigen zu lassen. Gerade der Zeitpunkt der Aussöhnung mit Hitler lässt es daher zum mindestens zweifelhaft erscheinen, ob der Betr. nicht trotz seines Wis-sens um die Gefahren des seine Herrschaft antretenden Regimes seine Reha-bilitierung nicht nur um seiner persönlichen Sicherheit willen, sondern auch deshalb erstrebt hat, weil er sich als alter Kämpfer davon Vorteile versprach. Er mag in Einzelfällen Nichtariern geholfen haben, aber diese Hilfe ist zumindest mitbedingt durch seine nicht vollarische Abstammung und kann sein sehr viel höheres politisches Schuldkonto nicht aufwiegen.15

Wiederholt war bereits die Rede davon, dass Himmler und sein Adlatus, der Chef der Sipo und des SD, Reinhard Heydrich, Maurice nur allzu gern aus dem Weg geräumt hätten. Das bestätigte beispielsweise auch Heinrich Kiessling, der als Urkundsbeamter beim Obersten Parteige-richt der NSDAP Einblick auch in solch heikle Vorgänge hatte. Er erklärte am 12. Mai 1947 an Eides statt:

Aus meiner früheren Tätigkeit als Urkundsbeamter am Obersten Parteige-richt der NSDAP ist mir bekannt, dass gegen Herrn Emil Maurice ein Mit-gliedsvorgang beim O.P.G anhängig war. Aus einer Stellungnahme Himm-lers ging hervor, dass er Hitler gegenüber energische Vorhalte gemacht hatte, als dieser entschieden hatte, dass Maurice trotz seiner jüdischen Abstam-mung in der Partei und in der SS belassen werden solle. Himmler betonte in einer Stellungnahme, dass er wiederholt Hitler energisch darauf hingewie-sen habe, dass Maurice für die SS untragbar sei. Der Vorgang stammt meiner Erinnerung nach aus den Jahren 1935/1937.16

Welches Vertrauen Maurice über lange Zeit bei Hitler genoss, zeigt sich auch an der folgenden Episode, die Goebbels-Biograph Ralf Georg Reuth schildert.17 1926 war Goebbels aufgefordert worden, als Gauleiter der NSDAP nach Berlin zu gehen. Als er von Hitlers Chauffeur Emil

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Maurice erfuhr, für wie wichtig der »Führer« seine Berliner Mission erachtete, war für Goebbels die Entscheidung gefallen.

Über seinen Lebenslauf befragt, erklärte Maurice gegenüber der Spruchkammer Regensburg, dass er nach der Machtergreifung gewarnt wurde, Heydrich habe ihn wegen des gegen Hitler angestrengten Prozes-ses verhaften wollen, da er zudem vorher seinen alten Freund Erhard Heiden hatte umbringen lassen. Es habe aber eine Aussprache mit Hitler gegeben, es sei eine Versöhnung zustande gekommen, die ihn vor weite-rer Verfolgung geschützt und zur späteren Wiederaufnahme in die SS geführt habe. Er habe 1935 geheiratet, und dabei sei in kleinem Kreis bekannt geworden, dass Maurice nichtarisch war. Hitler habe keinen Anstoß daran genommen, wohl aber Himmler.18

Ob Maurice tatsächlich und formell zum »Deutschblütigen«, also zum »Ehrenarier«, ernannt wurde, war leider nicht zu ermitteln. Hit-lers schützende Hand rettete Maurice über die ganze Dauer des Natio-nalsozialismus und verschaffte ihm so manche Vorteile.

Von Reichsmarschall Göring hatte Maurice ein Schreiben erhalten, dass er als alter Kämpfer jede Unterstützung verdiene.19 In der Tat schien das aus NS-Sicht gerechtfertigt, denn im Ermittlungsbericht der Staats-anwaltschaft Regensburg war ferner zu lesen:

1940 meldete er sich zum Heeresdienst und wurde in kürzester Zeit Ober-leutnant der Flak. (…) Er galt als Draufgänger und ziemlich rabiater Mensch, der sich stets rücksichtslos durchzusetzen verstand und mit Drohungen wie Kazet-Verbringung [sic!] stets bei der Hand war. Er war stets in Uniform zu sehen, bald in der SS-Uniform und bald in der Uniform als Oberleutnant, diese auch noch bis Kriegsende tragend. Bei der Bevölkerung war er wegen seines Auftretens eher gefürchtet. Bei sämtlichen politischen Veranstaltun-gen leitete er als SS-Oberführer in München die Absperrmaßnahmen und war bei Hitlers Anwesenheit sein Begleiter.20

Hingegen sprach der Geschäftsführer der Wohnhausgesellschaft Äußere Prinzregentenstraße A.G. von einem »zurückhaltendem Auftreten, all-seitigen Sympathien und einem ruhigen angenehmen Mieter«.21 Karl Mier, der damalige Präsident der Handwerkskammer, beteuerte, Mau-rice habe »als scharfer Gegner der Arbeitsfront alles daran gesetzt, die Innungen und Einrichtungen zu schützen und zu fördern und vor den

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Zugriffen der Arbeitsfront zu sichern«.22 Maria Hopfer bestätigte am 4. April 1948 in München, dass sie als »Alleinmädchen«, also als einzi-ges Mädchen im Hauspersonal, gut behandelt worden war, zur Kirche gehen durfte und dass Maurice sich nie politisch geäußert habe. Und Emil Marix brach am 25. März 1948 eine Lanze für Maurice: Er habe nicht immer mit »Heil Hitler« gegrüßt und zu den »Abgeklärten« gehört, »welche (…) etwas abseits standen und mit vielen Maßnahmen der Partei nicht einverstanden waren«.23

Die Affäre mit Angela (Geli ) Raubal

Formell war Maurice nur Fahrer gewesen, doch zugleich auch Hitlers enger Vertrauter. Am 18. Juli 1926 erwähnte ihn Goebbels in seinen Tagebüchern. Hitler war bereits zu Bett gegangen, und Goebbels räumte ein: »Mit Maurice und dem edlen Bohémien Hoffmann24 noch bis tief in die Nacht bei einer Flasche Malaga. Heute Morgen um ½ 8 h, klopft’s wieder an meine Türe: Maurice. Der Chef will, dass ich mit ihm zum Königssee fahre.«25 Am 31. Juli 1926 hieß es: »Im Auto nach Augsburg. Heß, Maurice und Berthold begleiten den Chef«26 und am 24. Septem-ber 1924: »Maurice aus München ist da. Er erzählt mir von seiner unglücklichen Liebe. Ordentlicher Kerl.«27

Mit »unglücklicher Liebe« meinte Maurice wohl Hitlers Nichte Geli Raubal. So vertraut Hitler und Maurice auch waren: Als Hitler erfuhr, dass Maurice in seine Nichte verliebt war, zeichnete sich abrupt das Ende der Freundschaft ab.

Einem Gerücht zufolge soll Geli Raubal sogar von Maurice schwan-ger gewesen sein. Dazu heißt es bei Paul Bruppacher unter dem 20. Dezember 1937 anlässlich der Hochzeit von Rudolf Heß und Ilse Pröhl, dass Hitler und Maurice die Feier vorzeitig verlassen hätten.28 Dabei habe Maurice seine Gefühle für Geli Raubal offenbart. Am nächs-ten Tag habe eine Unterredung stattgefunden, bei der Hitler Maurice mit einem Revolver bedroht und eine Trennung des Paares verlangt habe. Beide hätten das jedoch verweigert, was zum Bruch der Freund-schaft mit dem »Führer« geführt habe.

Seine Liebe zu Geli Raubal hatte Maurice lange Zeit geheim gehal-ten. Lediglich Goebbels gegenüber schien er sich offenbart zu haben. 29

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Die Affäre mit Angela (Geli ) Raubal 269

Bei Ernst Hanfstaengl, der die Affäre Maurice/Raubal aus nächster Nähe beobachtete, ist darüber zu lesen:

Obwohl Emil Maurice, Hitlers Chauffeur und Leibwächter, sich des Vor-zugs rühmen konnte, ihr ständiger Liebhaber zu sein, ging Geli anderen Männerbekanntschaften keineswegs aus dem Wege, sobald sich ihre offen-bar rege entwickelte Präsenz angesprochen fühlte. Das führte begreiflicher-weise gelegentlich zu recht ungemütlichen Situationen, wie etwa Gelis Tête-à-Tête mit einem Studenten zeigte, bei dem die beiden von Maurice in fla-granti erwischt wurden und die »Schlagfertigkeit« eines berufsmäßigen Leibwächters sehr nachdrücklich zu spüren bekamen.30

Laut Hanfstaengl war die Form der Abrechnung, die Hitler eines Tages mit Maurice vornahm, typisch für seine Art, Inkorrektheiten lästig gewordener Weggefährten so lange zu übersehen, bis ihm der Zeitpunkt einer genüsslichen Rache gekommen zu sein schien:

So ließ zwar die eines Tages fällig werdende Auseinandersetzung zwischen Hitler und Maurice nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig, ohne dass sich daraus jedoch fürs Erste irgendwelche Weiterungen ergaben. Lediglich Geli musste ihr sturmfreies Quartier räumen und wurde in die Obhut von Frau Elsa Bruckmann, geborene Fürstin Cantacuzène, gegeben, während Maurice nach außen weiterhin Dienst tat, als sei nichts geschehen, allerdings unter Begleitumständen, die der jahrelange Begleiter und Mithäftling Hit-lers in der Festung Landsberg zweifellos nicht verdient hatte. Durch bewusst schlechte Behandlung, die sich bis zur Verweigerung und Verschleppung von Lohnzahlungen steigerte, wurde Maurice so lange schikaniert, bis er von sich aus die Konsequenzen zog, seinen Dienst quittierte und sein Recht beim Arbeitsgericht suchte.31

Im Spiegel vom 8. Juni 1987 war unter der Überschrift: »Das Grab von Onkel Adolfs Nichte« zu lesen:

Als Hitlers Duzfreund und Chauffeur Emil Maurice mit ihr anbandelte, trug ihm das von seinem Chef 1928 die fristlose Kündigung ein. Maurice ließ die Nichte fahren und erstritt sich vor dem Arbeitsgericht eine Abfin-dung.

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Ganz ging ihm, der die SA mitbegründet hatte, jedoch Hitlers Protektion nicht verloren. Als 1935 ein Ahnennachweis ruchbar machte, dass der inzwi-schen zum Münchner Stadtrat Avancierte jüdische Vorfahren hatte, erteilte ihm Hitler höchstpersönlich rassischen Dispens und erklärte ihn – streng geheim – zum Ausnahmefall: Standartenführer Maurice durfte weiter SS-Karriere machen.

Fast vierzig Jahre später schwärmte der nicht ganz reinrassige Hitler-Kumpan noch immer von Geli. Sie war »eine Prinzessin, nach der sich die Leute auf der Straße umdrehten«, sagte er 1967 zu dem amerikanischen Journalisten Nerin Gun.32

Ungeachtet all dieser – belastenden wie entlastenden – Aussagen und Gerüchte wurde Emil Maurice am 2. Juni 1948 von einer Spruchkam-mer als Belasteter der zweiten Kategorie zu vier Jahren Arbeitslager ver-urteilt. Dreißig Prozent seines Vermögens sollten eingezogen werden, fünf Jahre lang durfte er kein öffentliches Amt bekleiden, und außerdem sollte er seine Rentenansprüche verlieren. Aber er stieß – wie schon frü-her in Landsberg – auf überaus milde Kläger und Richter: Der Haupt-kläger der Berufungskammer für Niederbayern/Oberpfalz, Regensburg, entschied, dass der Internierte Emil Maurice sofort zu entlassen sei.

Die Vergangenheit holte Maurice jedoch ein: Die Abwicklungsstelle der Spruchkammer München erhielt am 7. Oktober 1949 folgendes Schreiben:

Hiermit stelle ich den Antrag auf Wiederaufnahme des Spruchkammerver-fahrens gegen den SS-Obergruppenführer Emil Maurice.

Dem Verfahren konnte ich damals nicht beiwohnen, da ich zu dieser Zeit erst aus 4-jähriger russ. Kriegsgefangenschaft heimgekehrt bin.

Zur Sache:Im Jahre 1939 wurde ich auf Veranlassung des genannten Herrn von

meinem Posten als Straßenbahnführer fristlos entlassen, musste daraufhin eine 11-tägige Einzelhaft bei der Gestapo absitzen. Es wurde mir auch bei nochmaligem geringstem Vergehen sofortige Einlieferung in das KZ ange-droht.

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Die Affäre mit Angela (Geli ) Raubal 271

Die betr. Unterlagen hierüber dürften bestimmt noch beim Personalre-ferat der Stadt München aufliegen. Ich ersuche Sie höflichst, diesem Fall besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Max Fröschl33

Doch der Fall Emil Maurice wurde nicht wieder aufgerollt. 1972 starb er in München.

Im »Dritten Reich« hatte er große Anerkennung gefunden, wie die von ihm bekleideten Ämter zeigen: 1936 wurde er zum Ministerialdi-rektor ernannt, 1936 bis 1945 war er Mitglied des Deutschen Reichs-tags, vom 1. April 1937 bis 1945 Präsident der Handwerkskammer und Vizepräsident der Handelskammer München, 1933 bis 1945 Ratsherr der Stadt München, 1939 bis 1945 Mitglied des Reichsluftschutzbunds, von November 1944 bis April 1945 Kompanieführer des »Volkssturms München«. Doch damit nicht genug: Maurice war auch noch Vor-standsmitglied der Landes-Gewerbebank, Aufsichtsratsmitglied des Bayerischen Genossenschaftsverbands, Aufsichtsratsmitglied der Fa. Lenz & Co. und Provisionsvermittler von Siemens.

Für die Regensburger Spruchkammer galt Maurice als stets aktiver und überzeugter Nationalsozialist und persönlicher Freund Hitlers.34 Er sei ein großer Nutznießer des »Führers« gewesen. So hatte er 1939 ein Pachtgrundstück am Starnberger See erworben und sich dort sogar ein Stahl-Modellhaus errichten lassen.

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