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Synthesebericht Weltagrarbericht Hamburg University Press International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development

Weltagrarbericht Synthesebericht - hup.sub.uni-hamburg.dehup.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2009/94/pdf/HamburgUP_IAASTD_Synthese... · IAASTD Reports 2009 im Verlag Island Press, Washington

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SyntheseberichtWeltagrarbericht

Hamburg University Press

International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development

Weltagrarbericht Synthesebericht

International Assessment of Agricultural Knowledge,

Science and Technology for Development (IAASTD)

Weltagrarbericht

Synthesebericht

Herausgegeben von

Stephan Albrecht und Albert Engel

Hamburg University Press

Verlag der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

Carl von Ossietzky

Impressum und Bildnachweis

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.Die Online-Version dieser Publikation ist auf den Verlagswebseiten frei verfügbar (open access). Die Deutsche Nationalbibliothek hat die Netzpublikation archiviert. Diese istdauerhaft auf dem Archivserver der Deutschen Nationalbibliothek verfügbar.Open access über die folgenden Webseiten:Hamburg University Press – http://hup.sub.uni-hamburg.dePURL: http://hup.sub.uni-hamburg.de/purl/HamburgUP_IAASTD_SyntheseberichtArchivserver der Deutschen Nationalbibliothek – http://deposit.d-nb.de

ISBN 978-3-937816-68-5

© 2009 Hamburg University Press, Verlag der Staats- und Universitäts- bibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Deutschland

Produktion: Elbe-Werkstätten GmbH, Hamburg, Deutschland http://www.ew-gmbh.de

Die GTZ unterstützt das Projekt der deutschen Herausgabe der IAASTD-Berichte.

Herausgeber:

Deutsche Gesellschaft fürTechnische Zusammenarbeit (GTZ) GmbHDag-Hammarskjöld-Weg 1‒565760 Eschborn Tel.: 061 96 79 - 0Fax: 061 96 79 - 11 15E-Mail: [email protected]: www.gtz.de

Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V.Schützenstraße 6 a10117 BerlinTel.: 030 21 23 40 56Fax: 030 21 23 40 57E-Mail: [email protected]: www.vdw-ev.de

Verantwortlich: Stephan Albrecht

Bildnachweis:

Abbildungen auf Schutzumschlag und Buchdecke (von links nach rechts):Nutzung mit freundlicher Genehmigung von:Mariam Akhtar-Schuster / Universität Hamburg, Thomas Lohnes / Brot für die Welt, Thomas Lohnes / Brot für die Welt, Markus Schorling / Universität Hamburg, Christoph Püschner / Brot für die Welt.Nutzung der Abbildungen im Text mit freundlicher Genehmigung des IAASTD-Sekretariats.

Inhaltsverzeichnis

Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii

Geleitwort der Vorsitzenden des IAASTD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ix

Vorwort der Herausgeber der deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xiii

Einleitung zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xv

Kurzdarstellung des Syntheseberichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erklärung der Regierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

Kurzdarstellung des Syntheseberichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Anhang: Vorbehalte gegenüber der Kurzdarstellung des Syntheseberichts . . . . . . . 42

Synthesebericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Teil I: Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen . . . . . . . . . 47

Teil II: Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Energie aus Biomasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Biotechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Klimawandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Menschliche Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Umgang mit natürlichen Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Handel und Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen . . . . . . 211

Frauen in der Weltlandwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . 243

Anhang 1: Sekretariat und Anlaufstellen der mitfinanzierenden Organisationen 255

Anhang 2 : Lenkungsgruppe und Beirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Editorische Notiz

Bei dem vorliegenden Synthesebericht des Weltagrarberichtes handelt es sichum eine Übersetzung der englischen Ausgabe. Diese wurde von Beverly D.McIntyre, Hans R. Herren, Judi Wakhungu und Robert T. Watson herausge-geben und erschien unter dem Titel International Assessment of AgriculturalKnowledge, Science and Technology for Development (IAASTD): Synthesis Re-port with Executive Summary: A Synthesis of the Global and Sub-GlobalIAASTD Reports 2009 im Verlag Island Press, Washington D. C.* Wir dan-ken dem IAASTD-Sekretariat für die freundliche Übertragung der Rechtean der deutschsprachigen Ausgabe.

Um eine in der deutschen Darstellung häufige Wiederholung der voll-ständigen Bezeichnung des International Assessment of Agricultural Knowledge,Science and Technology for Development (IAASTD) zu vermeiden, wird gene-rell die Bezeichnung Weltagrarbericht benutzt.

Der besseren Lesbarkeit ist es auch geschuldet, dass bei Aufzählungenvon Berufsbezeichnungen und ähnlichem lediglich die männliche Form ge-nannt wird.

* http://www.islandpress.org/.

Geleitwort der Vorsitzenden des IAASTD

Es ist Ziel des Weltagrarberichts (IAASTD) darzustellen, welche Auswir-kungen früheres, heutiges und zukünftiges agrikulturelles Wissen inklusi-ve Wissenschaften und Technologien (AWWT) hat, um folgende Ziele zuerreichen:– Verminderung von Hunger, Armut und Mittellosigkeit,– Verbesserung der Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen samt der

Gesundheit,– gleichberechtigte, soziale, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Ent-

wicklung.

Das IAASTD ist im Jahr 2002 von der Weltbank und der Landwirtschaftsor-ganisation der Vereinten Nationen (FAO) ins Leben gerufen worden, um ineinem weltumspannenden Prozess zu ermitteln, ob ein internationales Be-ratungs- und Abschätzungsverfahren über agrikulturelles Wissen inklusiveWissenschaften und Technologien erforderlich sei. Klaus Töpfer, seinerzeitExekutiv-Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP),hat am 30. August 2004 die erste Plenarversammlung von Wissenschaftlernund Regierungsvertretern in Nairobi/Kenia eröffnet, die das weitere Vorge-hen sorgfältig plante. Dabei wurde festgelegt, welche Fragen bearbeitet,wie die Arbeiten ablaufen und welche Entwurfs- und Überprüfungsschrittebei der Abfassung des Berichtes beachtet werden sollten.

Die Ergebnisse unserer Arbeiten sind dokumentiert in: – einem Globalen und fünf Regionalen Berichten,– einer Globalen und fünf Regionalen Zusammenfassungen für Ent-

scheidungsträger und– einem übergreifendem Synthesebericht mit Kurzdarstellung.

Die Zusammenfassungen für Entscheidungsträger und der Syntheseberichtzeigen vor allem Handlungsmöglichkeiten für Regierungen, internationaleAgenturen und Organisationen, die öffentlichen Hochschulen, Forschungs-organisationen und andere Entscheidungsträger in aller Welt auf.

x Geleitwort der Vorsitzenden des IAASTD

Die Berichte stützen sich auf die Arbeiten Hunderter von Expertinnenund Experten aus allen Weltregionen, die sich an den Vorarbeiten wie auchden Überprüfungen (peer reviews) beteiligt haben. Entsprechend vieler an-derer globaler Abschätzungs- und Bewertungsvorhaben ist das entschei-dende Erfolgsmoment der entschiedene Einsatz, der Enthusiasmus und dieZusammenarbeit aller Experten aus vielen verschiedenen, aber thematischzusammenhängenden Disziplinen. Die Synergien, die aus dieser interdiszi-plinären Arbeit resultieren, bilden die Basis dafür, dass der Weltagrarbe-richt aus einem regionalen und zugleich globalen Prozess heraus entstehenkonnte.

Wir möchten unsere große Dankbarkeit für die Autorinnen und Autorenall der einzelnen Berichte zum Ausdruck bringen – ihre entschiedene Mit-arbeit und ihre unermüdlichen Anstrengungen haben aus dem Ganzeneinen Erfolg werden lassen. Wir danken der Steuerungsgruppe dafür, dasssie die Ergebnisse der Beratungen zu Empfehlungen an die Plenarver-sammlung zusammengeführt hat. Dem IAASTD-Büro danken wir für seinehilfreiche beratende Rolle während der Arbeiten an den Abschätzungenund Bewertungen und ebenso möchten wir den Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern des erweiterten Sekretariats danken. Besonderen Dank schuldenwir den finanzierenden Organisationen Global Environment Facility (GEF)und Weltbank. FAO, UNEP und UNESCO haben uns sehr durch die Frei-stellung von Mitarbeitern unterstützt.

Wir erkennen mit Dank die Hilfe der Regierungen an, die sich an demFinanzierungsfonds für IAASTD beteiligt haben: Australien, Frankreich,Großbritannien, Irland, Kanada, Schweden, die Europäische Kommissionund die Schweiz; das gilt auch für den United States Trust Fund. Ebenfallsdanken möchten wir den Regierungen, die auf andere Weise Mitglieder desBüros, Autoren und Gutachter unterstützt haben. Finnland hat dankens-werterweise das Sekretariat direkt unterstützt. Der ganze IAASTD-Prozesshat insbesondere viele Expertinnen und Experten aus nicht industrialisier-ten Ländern und Übergangsländern beteiligt. Die Fonds haben weitgehenddie Reisekosten für die jeweiligen Treffen beigesteuert.

Ausdrücklich möchten wir die Organisationen erwähnen, die den regio-nalen Koordinatoren samt Mitarbeitern Gastfreundschaft gewährt habenund die deren Arbeit auch organisatorisch und durch Zuarbeit unterstützthaben: das Afrikanische Zentrum für Technologiestudien (ACTS) in Kenia,

Geleitwort der Vorsitzenden des IAASTD xi

das Interamerikanische Institut für landwirtschaftliche Zusammenarbeit(IICA) in Costa Rica, das Internationale Forschungszentrum für Landwirt-schaft in Trockengebieten (ICARDA) in Syrien und das WorldFish Centerin Malaysia.

Die abschließende Plenarversammlung in Johannesburg/Republik Süd-afrika am 7. April 2008 wurde von Achim Steiner, dem Exekutiv-Direktordes UNEP, eröffnet. Dort wurden die Berichte und Zusammenfassungenmit einer überwältigenden Mehrheit der anwesenden Regierungen ange-nommen.

Gemeinsame Vorsitzende

Hans R. Herren Judi Wakhungu

Robert T. Watson

Vorwort der Herausgeber der deutschen Ausgabe

Lange Jahre waren die Fragen der Welternährung und der Grundlagen, aufdenen diese beruht, kaum Gegenstand öffentlicher Debatten in Deutsch-land und Europa. Welternährung war vor allem eine Sache für Spezialistenund Hilfsorganisationen, insbesondere dann, wenn wieder einmal eineHungerkrise offen ausbrach. Es ist gutenteils dem beharrlichen politischenWirken des früheren Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan,zu verdanken, dass die Feierlichkeiten anlässlich des Jahrtausendwechselsgenutzt wurden, um die umfassende Bekämpfung von Hunger, Mittello-sigkeit und Armut und die Sicherung der Ernährung oben auf die Agendader Weltinnenpolitik zu setzen. Die Verabschiedung der Millenium Develop-ment Goals durch die Vollversammlung im Jahr 2000 hat weltpolitisch neueMaßstäbe gesetzt, an denen sich das Tun und Lassen von Regierungen, in-ternationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NROs)messen lassen muss.

Der starke Anstieg von Erdöl-, Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisenweltweit seit Anfang 2007 hat darüber hinaus recht deutlich werden lassen,dass es enge Zusammenhänge zwischen Erzeugung von Nahrungsmittelnund allen übrigen Wirtschaftszweigen gibt, und dies in einer zunehmendverflochtenen Welt. Menschliche Gesellschaften leben nicht in erster Linievon Industrieprodukten, sondern vor allem von ihren natürlichen Lebens-grundlagen und den Gütern und Leistungen, die diese zur Verfügung stel-len. Es ist eines der Verdienste des Weltagrarberichtes, diese Tatsache in Er-innerung gerufen zu haben.

Wir freuen uns, mit dem vorliegenden Synthesebericht und der Kurz-darstellung den ersten Teil des Weltagrarberichtes der deutschsprachigenÖffentlichkeit vorlegen zu können. Bei aller Omnipräsenz des Englischenist es doch so, dass gerade in größeren Ländern wie Deutschland längerepolitische und wissenschaftliche Texte, die in einer anderen Sprache ver-fasst sind, nicht ausreichend wahrgenommen werden. Es scheint uns dahersinnvoll, den Weltagrarbericht in seinen wesentlichen Teilen in deutscher

xiv Vorwort der Herausgeber der deutschen Ausgabe

Sprache zu veröffentlichen, damit er das Gewicht in den öffentlichen, poli-tischen und auch wissenschaftlichen Diskursen erhalten kann, das ihmzukommt. Zusammen mit anderen globalen Abschätzungen und Bewer-tungen zu Welternährung, Klimawandel, Wasser und zu den Ökosystemenhaben wir heute einen so umfassenden Kenntnisstand über globale wie lo-kale Situationen und Probleme erreicht wie niemals zuvor.

Es liegt an allen Verantwortlichen in Unternehmen, Parteien, Gewerk-schaften, NROs, Regierungen und Verwaltungen, mit diesem Wissen soumzugehen, dass für unsere Gesellschaft wie für alle anderen Menschenzugleich lebensfähige und langfristig tragbare Lebens- und Wirtschaftswei-sen gefunden und die Welternährung gesichert wird.

Wir danken allen, die auf vielfältige Weise das Erscheinen des Buchesunterstützt und ermöglicht haben und wünschen diesem eine große undaufmerksame Leserschaft.

Stephan Albrecht Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V. (VDW), Vorsitzender

Albert EngelDeutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, Abteilungsleiter Agrarwirtschaft, Fischerei und Ernährung

Einleitung zur deutschen Ausgabe

Menschen gestalten Geschichte – im Guten wie auch im weniger Guten.Das trifft auch zu, wenn es darum geht, einem der grundlegenden und un-verzichtbaren Grundbedürfnisse, dem der Ernährung, Rechnung zu tragen.Auf welche Weise in der Geschichte – also seit Nahrungsmittel bewusst an-gebaut werden – Land für Ernährungszwecke bestellt wird, welche Nah-rungspflanzen wie angebaut und welche Tiere wie gemästet und gezüchtetwerden, war und ist eine ganz grundlegende gesellschaftliche und politi-sche Frage. Nicht von ungefähr haben Friedrich Engels und spätere For-schungen auf den engen Zusammenhang von Nahrungsmittelerzeugung,Familienstrukturen und der Herausbildung von staatlichen Institutionenhingewiesen. Dieser Grundzusammenhang menschlich-gesellschaftlichenLebens ist allerdings im Laufe der Industrialisierung der letzten etwa200 Jahre vielfach verloren gegangen. Die Annahme einer unbegrenztenEnergieverfügbarkeit durch Kohle, Erdöl, Erdgas und andere fossile Ener-gieträger hat viele Menschen und viele Regierungen dazu verleitet, jahrtau-sendealtes Wissen und Erfahrungen über Bord zu werfen in der Erwartung,menschliche Ingenieurskunst und technischer Fortschritt würden die Gren-zen menschlichen Daseins im Naturzusammenhang aufheben können.Heute wissen wir zuverlässig, dass dies eine Illusion war – und zwar eineteuer erkaufte.

Der technische und wissenschaftliche Fortschritt hat noch eine andereproblematische Seite. Obwohl seit Jahrzehnten weltweit so viele Nahrungs-mittel erzeugt werden, dass – eine auch nur halbwegs gerechte Verteilungvorausgesetzt – alle Menschen auskömmlich ernährt werden könnten, gibtes eine fortwährende Hungerkatastrophe.i Selbst nach den eher konservati-ven offiziellen Zahlen müssen im Jahr 2009 nahezu eine Milliarde Men-schen hungern. Rechnet man die unter- und mangelernährten Menschen

i Eine Studie der VDW aus dem Jahr 1968 (Welternährungskrise oder Ist eine Hungerkatastro-phe unausweichlich?, Reinbek: Rowohlt) konstatierte, dass „ohne einschneidende wirtschafts-politische und gesellschaftliche Veränderungen alle wissenschaftlich-technischen Maßnahmengegen den Hunger zum Scheitern verurteilt sind.“ Eben das mussten wir in den folgendenJahrzehnten erleben.

xvi Synthesebericht

hinzu, so sprechen wir von einem Drittel aller Menschen auf der Erde. Istdies ein Ausweis von Fortschritt? Für wen waren die wissenschaftlichenund technischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte auch soziale Fortschritteund solche der Lebensqualität? Und was müsste in Wissenschaften, Tech-nik, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft getan werden, um Fortschritteauch für das Drittel der Menschheit zu ermöglichen, das in Armut, Mittel-losigkeit und Hunger leben muss?

Von solchen Fragen geht das International Assessment of AgriculturalKnowledge, Science and Technology (IAASTD), der Weltagrarbericht, aus, des-sen Synthesebericht und Kurzdarstellung im vorliegenden Buch veröffent-licht sind. Der Globale und die fünf Regionalen Berichte werden folgen.

Der Weltagrarbericht steht dabei in einem weltpolitischen und auch glo-balen wissenschaftlichen Kontext. Die Arbeiten des Intergovernmental Panelon Climate Change (IPCC) seit gut zwanzig Jahren bilden immer klarer –und bedrückender – die Folgen des heutigen Wirtschaftens für das Klimaauf der Erde ab. Aus ihnen wird deutlich, dass große Teile der Weltland-wirtschaft massiv nachteilig betroffen sein werden, teils heute schon betrof-fen sind, und zwar gerade in den Weltregionen, die ohnedies mit Hunger,Armut, Seuchen und Mittellosigkeit zu kämpfen haben. Es ist das großeVerdienst des Millenium Ecosystem Assessment (MA), der weltweit gründ-lichsten Bestandsaufnahme und Folgeabschätzung zu Ökosystemen, doku-mentiert und in Erinnerung gerufen zu haben, dass alle menschlichen Ge-sellschaften von den Leistungen und Gütern aus diesen Systemen leben.Das MA unterscheidet drei Leistungsbereiche: – Versorgungsleistungen wie Lebensmittel, Wasser, Brennholz, Textilfa-

sern, biochemische Grundstoffe und genetische Ressourcen;– Regulierungsleistungen für Klima, Krankheiten, Wasserversorgung und

-reinigung, Bestäubungen;– Kulturleistungen wie Erholung und Naturtourismus, Kulturerbe, Bei-

träge zu Spiritualität und Religionen, Ästhetik, Inspirationen, Erzie-hung und das Empfinden für bestimmte Orte.

Sozusagen quer unter diesen Leistungsbereichen liegt der vierte Bereich,den man als Strukturleistungen bezeichnen könnte:

Einleitung zur deutschen Ausgabe xvii

– Bodenbildung, Nährstoffkreisläufe und Primärproduktion,ii ohne diealle anderen Ökosystemleistungen nicht möglich wären.

Der allergeringste Teil dieses umfassenden Leistungsspektrums ist tech-nisch substituierbar. Wir haben zwar große Fertigkeiten entwickelt, mehroder minder klug in viele Zusammenhänge einzugreifen – aber die Güterund Leistungen, die uns die Ökosysteme anbieten, können wir nicht erzeu-gen oder selbst herstellen.iii Andere globale Abschätzungen und Bewertun-gen, auf die der Weltagrarbericht Bezug nimmt respektive aufbaut, wiezum Beispiel den Fourth Global Environmental Outlook der Umweltorganisa-tion der UNiv oder auch der Weltwasserbericht (CAWMA)v, untermauerndie zentrale, auch wissenschaftliche Bedeutung der Rolle der Ökosysteme –vor allem durch die Beschreibung der Zerstörungen und Beschädigungen,die die herrschenden Praktiken vielerorts anrichten.

Nun hat sich der Weltagrarbericht selbst nicht die Rolle zugeschrieben,ganz genau zu wissen, wie der Weg in eine langfristig umwelt- und sozialgerechte Zukunft aussähe. Er spricht keine Empfehlungen aus, sondern be-schreibt Handlungsmöglichkeiten. Wer allerdings eins und eins zusam-menzuzählen vermag, wird aus den gründlichen Analysen und den Hand-lungsmöglichkeiten schon Wege erkennen, die den notwendigen Wandelbeschreiben.

Angefangen hat die Geschichte des Weltagrarberichtes an einem Punkt,der zwar international wie national sehr umstritten, aber für den Kampfgegen Armut, Hunger und Mittellosigkeit auf der Welt bis heute jedenfallsohne wirkliche Relevanz ist: beim Einsatz transgener Nutzpflanzen. NachDiskussionen in der Weltbank und der Landwirtschafts- und Ernährungs-organisation der UN zur Rolle von transgenen Nutzpflanzen wurden 2003weltweit elf Beratungen mit mehr als 800 Teilnehmenden durchgeführt zurRolle von Wissenschaften und Technologien in Bezug auf Hungerreduzie-

ii Unter Primärproduktion versteht man den Aufbau von Biomasse aus anorganischen Sub-stanzen mittels Photosynthese oder chemischer Synthese.iii Vgl. Alcamo, Joseph et al. (2003): Ecosystems and Human Well-being: a Framework for Assess-ment, Washington, D. C.: Island Press; Daily, Gretchen C. (ed.) (1997): Nature’s Services. SocietalDependence on Natural Ecosystems, Washington, D. C.: Island Press.iv www.unep.org.v www.earthscan.com.

xviii Synthesebericht

rung, Verbesserung der Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen und Mög-lichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung. Aus diesen Konsultationen ent-stand die Empfehlung der Steuerungsgruppe an ein intergouvernementalesPlenum im Herbst 2004, dass ein International Assessment of AgriculturalKnowledge, Science and Technology for Development (IAASTD) durchgeführtwerden sollte. Diese Empfehlung wurde angenommen und bildete denStartschuss für die Erarbeitung des Weltagrarberichts. Es wurde ein Büroeingerichtet, zunächst vor allem von UN-Organisationen und Weltbank fi-nanziert, in dem je 30 Vertreterinnen und Vertreter aus Regierungen einer-seits und NROs, Erzeuger- und Verbraucherorganisationen, Privatwirt-schaft, internationalen Organisationen andererseits zusammenarbeiteten(Anhänge 1 und 2). 400 Expertinnen und Experten haben auf der Grundlagevielfältiger Erfahrungen, gemeinschaftlichen Wissens und der Forschungs-literatur die Berichte erarbeitet, die anschließend diversen Überprüfungenunterzogen wurden (einschließlich der Möglichkeiten von Kommentierun-gen via Internet). Eigens berufene Überprüfungseditoren haben darauf ge-achtet, dass die kritischen Kommentierungen auch in den Überarbeitungenberücksichtigt wurden.

Dabei ist es unausweichlich, dass die unterschiedlichen Sichtweisen derBeteiligten und Interessierten nicht in allen Fällen zu einem einvernehmli-chen Schluss gebracht werden konnten. So finden wir in den Berichteneben auch Fragestellungen und Themen, bei denen divergierende Perspek-tiven und Einsichten bestehen bleiben.

Ein weiteres Charakteristikum des Weltagrarberichtes ist, dass er – ähnlichwie schon das MA – die Bedeutung des nicht wissenschaftlich akzeptiertenund kanonisierten Wissens betont. Dies nicht nur für die Bevölkerungen,die nach dem traditionellen, lokalen, gemeinschaftlichen und indigenenWissen leben und arbeiten, sondern auch für den Rest der Welt. Es gibteben nicht eine Art des Wirtschaftens und Lebens, die für alle Menschenangemessen und sinnvoll wäre – wie die unausgesprochene Prämisse dermeisten Entwicklungspolitiken bis auf den heutigen Tag lautet.vi Eine lang-fristig sozial und umweltgerechte Entwicklung kann nur gelingen, wennalles Wissen wertgeschätzt und angemessen gepflegt, genutzt und bewahrtwird. Wenn die große Aufgabe der kommenden Dekaden die Ermögli-

vi Daher stammt auch die Rede von den Entwicklungs-Ländern. Als ob diese sich so zu entwi-ckeln hätten, wie es die heutigen Industrieländer getan haben.

Einleitung zur deutschen Ausgabe xix

chung einer gesicherten Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung ohnedie weitere Zerstörung der Ökosysteme und der natürlichen Lebensgrund-lagen ist, so der Ausgangspunkt des Weltagrarberichtes, dann ist geradehierfür die Mobilisierung und Anerkennung älteren Wissens vollkommenunerlässlich.

Der Weltagrarbericht bietet keineswegs nur interessante Einblicke in dieLandwirtschaften und Agrikulturen der von uns entfernt liegenden Weltre-gionen. Europa und Nordamerika, denen ein eigener Regionaler Berichtgewidmet ist, haben ebenfalls Probleme genug. Zwar sind es nicht geradedie akuten Hungers – obwohl die Zahl der auf Ernährungshilfe angewiese-nen Menschen beharrlich steigt –, aber die Erschöpfung und Erosion vonBöden, die Wasserknappheit, die schleichende und akute Vergiftung vonWasserleitern, Tierkrankheiten, Zoonosen, Treibhausgasemissionen undvor allem auch die anhaltende Urbanisierung und das Stadt-Land-Gefällesind alles schwergewichtige und langfristige Probleme, die nach zukunfts-fähigen Lösungen rufen. Die bisherige deutsche, europäische und nord-amerikanische Politik hat es nicht vermocht, der Entwicklung einer nach-haltigen Landwirtschaft den zentralen Stellenwert zuzuordnen, der ihrtatsächlich für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung zukommt. Es istzu hoffen, dass die öffentlichen, politischen, administrativen, wissenschaft-lichen Debatten um den Weltagrarbericht dazu beitragen, dieses Defizitmittelfristig auszugleichen.

Bleiben Worte des Dankes zu sagen an die Vielen, die die Veröffentli-chung des Weltagrarberichtes in deutscher Sprache tatkräftig, finanziellwie ideell, unterstützt haben:

Beverly D. McIntyre, IAASTD-Sekretariat und Mitherausgeberin derenglischen Ausgabe, hat alle Hürden der rechtlichen und technischen Fra-gen um die deutsche Publikation zu überwinden geholfen. Hans Herrenhat mit Rat und Tat, wo immer er gerade unterwegs war, stets ideenvoll ge-holfen, wenn es um die Lösung von Problemen ging.

Bei der Übertragung ins Deutsche wurde eine Übersetzung des Sprachen-dienstes des Deutschen Bundestages benutzt.

Zwei deutschsprachige Autorinnen des Weltagrarberichtes, Angelika Hil-beck und Anita Idel, haben viele Fragen beantwortet und sachkundig Kor-rekturen angebracht. Ihnen sei ebenso für geduldiges Lesen gedankt wieElisabeth Bongert, Steffi Ober und Rudolf Buntzel.

xx Synthesebericht

Etliche Nichtregierungsorganisationen aus Landwirtschafts-, Umwelt-,Wissenschafts- und Entwicklungspolitik wie auch Mitglieder des DeutschenBundestages haben durch begleitende Beratungen wie durch finanzielle Bei-träge die Publikation gefördert. Hierzu gehören: Arbeitsgemeinschaft bäuer-liche Landwirtschaft (AbL), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland(BUND), Evangelischer Entwicklungsdienst (eed), FoodFirst Informations-und Aktions-Netzwerk (FIAN) Deutschland, Germanwatch, Mahle-Stiftung,Misereor, Naturschutzbund Deutschland (NABU), Oxfam Deutschland, Ver-einigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), Deutsche Welthungerhilfe.

Isabella Meinecke hat für den Verlag erneut mit großer Umsicht, profes-sioneller Ruhe und allgegenwärtiger Kreativität beraten, geholfen und ent-schieden. Isa Jacobi hat mit der für Korrektorinnen erforderlichen Penibili-tät kleine und andere Schwächen und Fehler aufgedeckt und zu behebengeholfen.

Allen diesen Menschen und Organisationen sei ganz herzlich gedankt;verbliebene Fehler gehen zu meinen Lasten.

Der Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft & Umwelt meinerUniversität hat unter anderem zur Aufgabe, den gesellschaftlichen Diskurszu Fragen der Implikationen technologischer Innovationen zu fördern. Wasalso lag näher, als einen so gewichtigen Diskussionsbeitrag wie den Welt-agrarbericht zu bearbeiten und für die deutschsprachige Debatte verfügbarzu machen? Diese Debatte wird anhaltend erheblich zu kurzsichtig geführt.Sie hat zumeist noch nicht verstanden, dass das Erfolgsmodell der 1960erJahre, der energie- und chemieintensive Anbau (samt Tierhaltung), unge-fähr so zukunftstauglich ist wie die heutigen Automobile von Audi, BMW,Jaguar und Mercedes.

Produktivitätssteigerungen können nur noch solche sein, die die Funktio-nen und Leistungen der Ökosysteme womöglich fördern, jedenfalls nicht be-einträchtigen oder gar zerstören. Die wissenschaftliche, menschliche undintellektuelle Herausforderung, die in dieser lokalen, regionalen und welt-weiten Aufgabe liegt, beschreibt der Weltagrarbericht recht konkret.

Es ist Aufgabe von uns allen, die wir essen, trinken und atmen müssen,um zu leben, diese Herausforderung ernsthaft aufzugreifen.

Stephan AlbrechtBerlin / Hamburg / Oldenswort, Juni 2009

Kurzdarstellung des Syntheseberichts

Autorinnen und Autoren: Tsedeke Abate (Äthiopien), Jean Albergel (Frankreich), Inge Armbrecht (Ko-lumbien), Patrick Avato (Deutschland/Italien), Satinder Bajaj (Indien), NienkeBeintema (Niederlande), Rym ben Zid (Tunesien), Rodney Brown (USA), Lor-na M. Butler (Kanada), Fabrice Dreyfus (Frankreich), Kristie Eby (USA), Shel-ley Feldman (USA), Alia Gana (Tunesien), Tirso Gonzales (Peru), ArmeenahGurib-Fakim (Mauritius), Jack Heinemann (Neuseeland), Thora Herrmann(Deutschland), Angelika Hilbeck (Schweiz), Hans Hurni (Schweiz), SophiaHuyer (Kanada), Janice Jiggins (Großbritannien), Joan Kagwanja (Kenia),Moses Kairo (Kenia), Rose R. Kingamkono (Tansania), Gordana Kranjac-Beri-savljevic (Ghana), Kawther Latiri (Tunesien), Roger Leakey (Australien), Ma-rianne Lefort (Frankreich), Karen Lock (Großbritannien), Yalem Mekonnen(Äthiopien), Douglas Murray (USA), Dev Nathan (Indien), Lindela Ndlovu(Simbabwe), Balgis Osman-Elasha (Sudan), Ivette Perfecto (Puerto Rico),Cristina Plencovich (Argentinien), Rajeswari Raina (Indien), Elizabeth Robin-son (Großbritannien), Niels Roling (Niederlande), Mark Rosegrant (USA),Erika Rosenthal (USA), Wahida Patwa Shah (Kenia), John M.. R. Stone (Kana-da), Abid Suleri (Pakistan), Hong Yang (Australien)

Erklärung der Regierungen

Alle Staaten, die an der abschließenden Plenarsitzung in Johannesburg,Republik Südafrika, im April 2008 teilgenommen haben, begrüßen die Vor-lage des Weltagrarberichts und betonen die Einzigartigkeit dieses unabhän-gigen und multidisziplinären Abschätzungs- und Bewertungsverfahrens,an dem sehr viele Beteiligte und Interessierte mitgewirkt haben, ebenso wiedie enormen Herausforderungen, die mit der Bearbeitung eines so breitenSpektrums von komplexen Fragestellungen verbunden sind. Die Regierun-gen stellen fest, dass der Globale und die fünf Regionalen Berichte auf Stu-dien beruhen, die von einem großen Kreis von Wissenschaftlern, Expertenund Spezialisten für Entwicklungsfragen verfasst worden sind. Währendaus diesen Studien ein übergreifender Konsens spricht, wie wichtig dasagrikulturelle Wissen inklusive Wissenschaften und Technologien (AWWT)für Entwicklung ist, so finden sich bei einer Reihe von Themen auch unter-schiedliche Perspektiven.

Alle Staaten sehen die Berichte als wertvollen und wichtigen Beitrag zuunserem Verständnis von AWWT. Dabei wird durchaus anerkannt, dassdas Verständnis der vor uns liegenden Herausforderungen noch weiter ver-tieft werden muss. Die vorliegenden Abschätzungen und Bewertungensind eine konstruktive Initiative und ein wichtiger Beitrag, den alle Regie-rungen in ihre Praxis einbeziehen müssen, damit AWWT möglichst wir-kungsvoll eingesetzt werden kann, um Entwicklungs- und Nachhaltigkeits-ziele zu erreichen, insbesondere: – die Reduzierung von Hunger, Armut und Mittellosigkeit, – die Verbesserung der Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen,– die Entwicklung von günstigeren Bedingungen zur Förderung der

menschlichen Gesundheit, – eine gleichberechtigte, soziale, ökonomisch und ökologisch nachhal-

tige Entwicklung in die Praxis umzusetzen.

In Übereinstimmung mit diesen Feststellungen unterschreiben die folgen-den Regierungen die Kurzdarstellung des Syntheseberichts:

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 3

Republik Armenien, Republik Aserbaidschan, Demokratische Bundesre-publik Äthiopien, Königreich Bahrain, Volksrepublik Bangladesch, Belize,Republik Benin, Königreich Bhutan, Republik Botsuana, Föderative Repu-blik Brasilien, Volksrepublik China, Republik Costa Rica, DominikanischeRepublik, Republik El Salvador, Republik Finnland, Französische Republik,Republik Gambia, Republik Ghana,Vereinigtes Königreich Großbritannienund Nordirland, Republik Honduras, Republik Indien, Islamische Repu-blik Iran, Irland, Republik Kamerun, Republik Kenia, Kirgisische Republik,Demokratische Republik Kongo, Republik Kuba, Demokratische Volksre-publik Laos, Libanesische Republik, Libysch-Arabische Dschamahirija, Re-publik Malediven, Republik Moldau, Republik Mosambik, Republik Nami-bia, Bundesrepublik Nigeria, Islamische Republik Pakistan, Republik Palau,Republik Panama, Republik Paraguay, Republik der Philippinen, RepublikPolen, Rumänien, Königreich Saudi-Arabien, Republik Senegal, Salomo-nen, Sambia, Königreich Swasiland, Königreich Schweden, SchweizerischeEidgenossenschaft, Vereinigte Republik Tansania, Demokratische RepublikTimor-Leste, Republik Togo, Tunesische Republik, Republik Türkei, Repu-blik Uganda, Republik Östlich des Uruguay, Sozialistische Republik Viet-nam (58 Länder).

Die folgenden Regierungen stimmen mit den obigen Feststellungenüberein, unterschreiben aber nicht jeden Satz der Kurzdarstellung des Syn-theseberichts. Ihre diesbezüglichen Anmerkungen sind im Anhang S. 42 ff.aufgeführt:1

Commonwealth Australia, Kanada, Vereinigte Staaten von Amerika(3 Länder).

1 Die umstandslose Nennung von Ländern in Fußnoten verweist auf diese Anmerkungen aufS. 43 f.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts

Der Synthesebericht befasst sich mit der Komplexität und Vielfalt vonLandwirtschaften und dem dazugehörigen Wissen in den Regionen derWelt. Er stützt sich auf die Globalen und die fünf Regionalen Berichte,2 diedie erforderlichen Grundlagen und Erkenntnisse für eine integrierte Analy-se der wichtigen Fragen bereitstellen, um den Nachhaltigkeits- und Ent-wicklungszielen näherzukommen. Der Synthesebericht ist in zwei Teile ge-gliedert, die die Grundfragen der Untersuchungen aufgreifen: Wie kannagrikulturelles Wissen inklusive Wissenschaften und Technologien (AWWT)genutzt werden, um:– Hunger, Armut und Mittellosigkeit zu reduzieren, – Lebensgestaltungsmöglichkeiten3 in ländlichen Räumen zu verbes-

sern,– eine gleichberechtigte, soziale, ökonomisch und ökologisch nachhal-

tige Entwicklung zu ermöglichen?

Im ersten Teil werden die Bedingungen, Problemstellungen und Hand-lungsoptionen der vergangenen fünfzig Jahre bis heute erörtert, die agri-kulturelles Wissen und Technologien prägen. Im zweiten Teil geht es umacht Querschnittsthemen. Diese sind Energie aus Biomasse, Biotechnologie,Klimawandel, menschliche Gesundheit, Umgang mit den natürlichen Le-bensgrundlagen, Handel und Märkte, lokales und traditionelles Wissen so-wie Innovationen, die auf gemeinschaftlichem Wissen beruhen, und die Be-deutung von Frauen in der Weltlandwirtschaft.

Der Weltagrarbericht anerkennt die verbreitete Einschätzung, dass zwaraufgrund wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte bedeutende Er-

2 Das IAASTD hat die Welt in fünf Wirtschaftsregionen eingeteilt. Diese sind: Zentral- undWestasien sowie Nordafrika (CWANA); Ost-, Süd- und Südostasien und die Pazifikregion (ESAP);Lateinamerika und Karibik (LAC); Nordamerika und Europa (NAE); Afrika südlich der Sahara(SSA). Im Folgenden werden die fünf Regionen immer mit ihrem Akronym bezeichnet.3 Das englische livelihood umfasst sowohl Lebensgestaltungsmöglichkeiten wie Lebensbedin-gungen und ökonomische Lebensgrundlagen (Einkommen). Je nach Satzzusammenhang wirdes daher hier unterschiedlich wiedergegeben.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 5

folge bei der erheblichen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität er-zielt wurden, wir jedoch etlichen der unerwünschten sozialen und ökologi-schen Folgen dieser Errungenschaften bisher wenig Aufmerksamkeit ge-schenkt haben. Wir befinden uns jetzt in einer guten Position, diese Folgen zuüberdenken und diverse politische Optionen auszuarbeiten, mit denen die voruns liegenden Herausforderungen bewältigt werden können. Diese lassen sichvielleicht am treffendsten charakterisieren mit dem Erfordernis von Ernäh-rungs- und Existenzsicherung der ländlichen Bevölkerung angesichts zuneh-mender Belastungen der natürlichen Lebensgrundlagen durch Einflüsse, diesowohl aus der Agrarwirtschaft wie aus anderen Sektoren einer globalisiertenÖkonomie herrühren.

Diese Einschätzung hängt direkt mit den Zielen des vorliegenden Welt-agrarberichts zusammen, nämlich aufzuklären, wie AWWT zur Bekämpfungvon Hunger und Armut und Mittellosigkeit, zur Verbesserung der Lebensge-staltungsmöglichkeiten von Menschen in ländlichen Gebieten und zur För-derung einer gleichberechtigten, sozialen und ökonomisch und ökologischnachhaltigen Entwicklung genutzt werden kann. Im Rahmen des Weltagrar-berichts erkennen wir die Wichtigkeit des AWWT für die Multifunktionalitätder Landwirtschaft und die Zusammenhänge mit anderen lokalen und glo-balen Problemen an, zu denen unter anderem der Verlust der biologischenVielfalt, von Ökosystemleistungen, der Klimawandel und die abnehmendeVerfügbarkeit von Wasser gehören.

Der Weltagrarbericht ist in der Geschichte der agrarwissenschaftlichen Un-tersuchungen und Abschätzungen einzigartig. Er anerkennt sowohl institutio-nelle Wissenschaften und Technologien als auch traditionelles und lokalesWissen4 und beschäftigt sich nicht nur mit landwirtschaftlichen Produktions-mengen und einer darauf bezogenen Produktivität, sondern auch mit derMultifunktionalität der Landwirtschaft. Außerdem gehen wir davon aus,dass es in Bezug auf die Bedeutung und den Gehalt von AWWT eine Viel-zahl von Sichtweisen gibt. Lange Jahre haben sich die Agrarwissenschaftenauf die Bereitstellung von Technologien konzentriert, um die betrieblicheProduktivität dort zu steigern, wo die von Regierungen gesetzten institu-tionellen Marktregulierungen vor allem die Übernahme neuer Techno-logien vorangetrieben haben. Das Modell, das dieser Politik zugrunde lag,

4 Die englischsprachige Version spricht von formal, traditional and community-based knowledge.Mit formal ist das in den Wissenschaften kanonisierte und akzeptierte Wissensareal gemeint.

6 Synthesebericht

bestand aus ständiger Innovation, Senkung der Erzeugerpreise und Exter-nalisierung von Kosten.5 Diese Vorgehensweise hat die phänomenalenFortschritte von AWWT angetrieben, die nach dem Zweiten Weltkrieg inden Industrieländern und bei der sich seit den 1960er Jahren ausbreitendenGrünen Revolution6 zu beobachten waren. Doch angesichts der Probleme,vor denen wir heute stehen, wird auch in den Wissenschaften in zuneh-mendem Maße erkannt, dass diese AWWT-Strategien überdacht werdenmüssen. „Weiter so!“ ist keine Option mehr. Die Rolle von AWWT für dasErreichen von Zielen einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung kommt soin den Blick. Auf diese Weise wird ein unterschiedliche Weltanschauungenund widersprüchliche Lösungswege übergreifendes stärkeres Engagementangestrebt, mit dem kluge Strategien für konkrete Maßnahmen vorgeschla-gen werden können, die die mannigfaltigen Funktionen der Landwirtschaftstärken.

Um die diversen Bedürfnisse und Interessen zu berücksichtigen, die dasmenschliche Leben ausmachen, benötigen wir ein gemeinsames Verständnisvon Nachhaltigkeit, das sowohl vor Ort wie in der internationalen Zusam-menarbeit lebendig ist. Wir können uns aus unserer schwierigen Situationnicht befreien, indem wir einfach weiterhin darauf bauen, dass die Summeindividueller Entscheidungen ein nachhaltiges und gerechtes Ergebnis fürdie Gemeinschaft ergibt. Die individuellen Entscheidungen sollten mithilfevon Anreizen beeinflusst werden. Globale Probleme wie Armut und Klima-wandel hingegen erfordern umfassende Vereinbarungen über abgestimmteAktionen und Regierungsstrukturen, die weit über die Aussicht auf per-sönlichen Nutzen hinausgehen. Politisch und gesellschaftlich Verantwort-liche auf globaler, regionaler, nationaler und lokaler Ebene müssen sichstets bewusst sein, dass es vielfältige Problemstellungen, ganz unter-schiedliche theoretische Vorstellungen zu Entwicklungspolitik und einegroße Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten zur Verfolgung von Ent-wicklungs- und Nachhaltigkeitszielen gibt. Auf welche Weise wir unsereErde erhalten und unsere Zukunft sichern, wird auch davon abhängen, wie

5 Damit ist der Umstand gemeint, dass wesentliche Erzeugungskosten nicht geldmäßig ver-rechnet werden müssen. Dieses passiert vor allem durch die kostenlose Nutzung von Gemein-schaftsgütern wie Wasser, Luft u. ä. 6 Die Grüne Revolution bestand in Entwicklung und Nutzung von Hochertragssorten mitsamtmineralischem Dünger, chemischen Pflanzenschutzmitteln und künstlicher Bewässerung.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 7

wir diese vielfachen Herausforderungen begreifen und welche Entschei-dungen wir an dieser Weggabelung der Geschichte treffen.

Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele sollten im Kontext der folgen-den Bedingungen und Verhältnisse gesehen werden: 1. soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten und politische Unsi-

cherheiten aufgrund von Kriegen und Konflikten; 2. Ungewissheiten darüber, auf nachhaltige Weise in ausreichender

Menge Nahrungsmittel zu produzieren und diese auch zugänglichzu machen;

3. Unwägbarkeiten der künftigen Entwicklung der Nahrungsmittel-preise auf dem Weltmarkt;

4. Veränderungen der Wirtschaftlichkeit von Erdöl; 5. das Auftreten von Nutzungskonkurrenzen um natürliche Ressourcen; 6. Zunahme von chronischen Erkrankungen, die jedenfalls zum Teil auf

Mangelernährung, schlechte Qualität von Lebensmitteln zurückzu-führen sind;

7. sich verändernde Leistungsfähigkeiten von Ökosystemen und einewachsende Aufmerksamkeit für die Verantwortung von uns Men-schen für die pflegliche Erhaltung der Leistungen und Dienste, diewir weltweit aus unseren natürlichen Lebensgrundlagen, den Ökosys-temen, beziehen (bereitstellende, regulierende, kulturelle und unter-stützende Leistungen).7

Heute ist eine asymmetrische Entwicklung, die nicht nachhaltige Nutzungnatürlicher Lebensgrundlagen sowie anhaltende Armut und Mittellosigkeitin Städten und ländlichen Räumen zu beobachten. Allgemein lässt sich sa-gen, dass die negativen Auswirkungen globaler Veränderungen am stärks-ten die ärmsten und sozial verletzlichsten Menschen zu spüren bekommen,deren Chancen auf wirtschaftliche Entfaltung und deren gleichberechtigte Mit-wirkung in der Gesellschaft seit jeher begrenzt waren.

Die Geschwindigkeit, mit der wissenschaftsbasierte Technologien entwi-ckelt und angewandt wurden, ist in den einzelnen Regionen der Welt sehr un-terschiedlich gewesen. Unternehmen in Nordamerika und Europa sowie inSchwellenländern, die durch wissenschaftlich abgestütztes AWWT volumen-

7 Das Millenium Ecosystem Assessment hat die Ökosystemleistungen so unterschieden. Siehehierzu die Ausführungen in der Einleitung.

8 Synthesebericht

bedingte Kosteneinsparungen8 erzielen können, werden weiterhin Agrarex-portmärkte und globale Wertschöpfungsketten dominieren. Es ist dringenderforderlich, AWWT mit Blick auf die Unterschiede von Agrarökosystemenund gesellschaftlichen wie kulturellen Situationen zu differenzieren und zustärken. Die Neuausrichtung von AWWT mit dem Ziel, Armut und Mittello-sigkeit zu bekämpfen und der armen Bevölkerung in ländlichen Räumenbessere Möglichkeiten einer Existenzsicherung zu verschaffen – insbesonde-re Menschen ohne Zugang zu oder Besitz von Land, bäuerlichen Gemein-schaften, Wander- und städtischen Arbeitern im informellen Sektor – ist eineenorme Herausforderung.

Auf der ganzen Welt besteht eine übergreifende Besorgnis über die Ar-mut und die Möglichkeiten der Lebensgestaltung für Mittellose, die vonungerechten Bedingungen zwischen und innerhalb von Regionen betroffensind. Dabei wird anerkannt, dass die sich verschärfende Ernährungsunsicher-heit komplexer und ihr Ausmaß möglicherweise nicht mit der Krise in den1960er Jahren vergleichbar ist. Die Fähigkeit und die Bereitschaft staatli-cher, zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure, grundlegendeFragen zum Verhältnis zwischen Erzeugung, Sozial- und Umweltsystemenanzugehen, werden von gegensätzlichen politischen und wirtschaftlichenStandpunkten beeinträchtigt.

Aktuelle Herausforderungen ernst zu nehmen und offensichtliche Hand-lungsoptionen aufzugreifen, erfordert ein langfristiges verpflichtendes En-gagement der Verantwortlichen, das die spezifischen Bedürfnisse einerVielzahl von Betroffenen und Beteiligten aufgreift. Dazu gehört die Einsicht,dass Wissenssysteme und menschlicher Erfindungsreichtum in Wissen-schaften, Technologien, Praxis der Landnutzung und auch Politik nötigsind, um mit den vor uns liegenden Herausforderungen, Handlungs-möglichkeiten und Ungewissheiten umgehen zu können. Zu dieser Einsichtgehört auch ein Übergang zu nicht hierarchischen Leitbildern für Entwick-lung und Entwicklungszusammenarbeit.

Die zentrale Herausforderung für AWWT besteht in einer Steigerung derlandwirtschaftlichen Produktivität auf eine ökologisch und sozial nachhaltigeWeise. AWWT muss die Bedürfnisse kleinbäuerlicher Betriebe in ganz un-terschiedlichen Ökosystemen im Auge haben, um realistische Arbeits- und

8 Der englische Fachbegriff ist economies of scale.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 9

Entwicklungsmöglichkeiten für die Betriebe auch dort zu schaffen, wo die Vo-raussetzungen für eine flächenbezogene Produktivitätssteigerung gering sindund der Klimawandel sich möglicherweise besonders schädlich auswirkt. Zuden größten Herausforderungen, die sich AWWT in multifunktionalen Agrar-systemen stellen, zählen die folgenden:– Wie lassen sich soziale Wohlfahrt und persönliche Lebensgestal-

tungsmöglichkeiten in ländlichen Regionen verbessern und die Mul-tiplikator-Effekte der Landwirtschaft verstärken?9

– Wie können Bewohnerinnen und Bewohner in Gebieten mit margi-nalen Bedingungen10 befähigt und berechtigt werden, die Vielfalt derAnbau- und Ernährungssysteme mitsamt ihrer kulturellen Bedeu-tung zu bewahren?

– Wie können die Versorgung mit sauberem Wasser sichergestellt, diebiologische Vielfalt bewahrt, die natürlichen Lebensgrundlagen er-halten und die schädlichen Wirkungen landwirtschaftlicher Prakti-ken auf Mensch und Umwelt minimiert werden?

– Wie können die vielfältigen, auch kulturellen Leistungen der Öko-systeme bei gleichzeitiger Steigerung nachhaltiger Produktivität undVielfalt der Erzeugung von Nahrungsmitteln, Textilien und Energiebewahrt und gesteigert werden?

– Wie kann eine kooperative Erarbeitung von AWWT zwischen zuneh-mend heterogenen Mitwirkenden sowie der Informationsaustauschzwischen unterschiedlichen öffentlichen und privaten Organisatio-nen gewährleistet werden?

– Wie können die Erzeugnisse aus ertragsschwachen Gebieten, in de-nen Regenfeldbau betrieben wird, auf lokalen, nationalen und globa-len Märkten vertrieben werden?

9 Multiplikator-Effekte sind die vielfältigen wirtschaftlichen Wirkungen, die von landwirt-schaftlichen Erzeugungs- und Verarbeitungsprozessen auf andere wirtschaftliche und sozialeBereiche ausgehen.10 Hiermit sind vor allem arme oder verarmte Böden und/oder widrige klimatische Verhältnis-se gemeint.

10 Synthesebericht

Handlungsmöglichkeiten

Um Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele wirklich zu erreichen undneue Prioritäten und sich ändernde Bedingungen einzubeziehen, ist im Be-reich AWWT ein grundlegender Richtungswechsel notwendig; dies schließtdie Bereiche Wissenschaften, Technologien, Politik, Institutionen, Bildungvon Kapazitäten11 und Investitionen ein. Durch einen solchen Richtungs-wechsel würde man die große Bedeutung der Multifunktionalität derLandwirtschaft anerkennen, ihr stärkeres Gewicht verleihen und gleichzei-tig der Komplexität agrikultureller Systeme in unterschiedlichen sozialenund ökologischen Kontexten Rechnung tragen. Dafür sind neue institutio-nelle und organisatorische Strukturen zur Förderung einer integriertenStrategie zur Entwicklung und Anwendung von AWWT notwendig. Au-ßerdem würden bäuerliche Gemeinschaften, bäuerliche Familien sowieBäuerinnen und Bauern als Erzeuger wie als Verwalter von Ökosystemenanerkannt. Dieser Richtungswechsel könnte eine Änderung der Anreize füralle Akteure in der Wertschöpfungskette bewirken, sodass externe Effektesoweit wie möglich verhindert und ansonsten die Kosten internalisiert wer-den können. Im Sinne der Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele solltendiese Politik und die institutionellen Veränderungen in erster Linie auf die-jenigen ausgerichtet sein, denen frühere AWWT-Konzepte am wenigstengedient haben, das heißt Landnutzende mit geringen Ressourcen sowieFrauen und ethnische Minderheiten.12 Eine solche Entwicklung hängt auchdavon ab, inwieweit Kleinbauern eine auskömmliche Tätigkeit außerhalbder Landwirtschaft finden und damit das allgemeine Wirtschaftswachstumbefördern können. Große und mittelgroße landwirtschaftliche Betriebe blei-ben weiterhin wichtige, lohnende AWWT-Zielgruppen, insbesondere soweitsie nachhaltige Landnutzung und Nahrungsmittelerzeugung betreiben.

Die möglichen ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Implikatio-nen13 aller Technologien zu bewerten und angemessene Regulierungen in

11 Das englische capacity building meint den Aufbau sowohl von Qualifikationen für Menschenwie von Strukturen und Institutionen, um bestimmte Aufgaben von Verwaltung, Wissenschaftetc. ernsthaft erledigen zu können.12 Botsuana, siehe S. 43.13 Das englische impact ist nicht mit einem Wort ins Deutsche zu übertragen. Es meint sowohlschädigende, allgemeine wie gewaltsame Wirkungen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 11

Kraft zu setzen, wird wichtig sein. AWWT kann zu einer erheblichen Erhö-hung der Ernährungssicherheit sowie zur Steigerung der sozialen undwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Landnutzungssystemen als Grund-lage nachhaltiger Lebensgestaltungsmöglichkeiten im ländlichen Raum wieauch für die wirtschaftliche Entwicklung im Allgemeinen beitragen.AWWT kann dabei helfen, degradierte Böden zu revitalisieren, Gefahrenfür Gesundheit und Umwelt durch Erzeugung und Verbrauch von Nah-rungsmitteln zu reduzieren wie auch die Erzeugung auf nachhaltige Weisezu erhöhen.

Um hier Erfolge zu erreichen, bedarf es erhöhter staatlicher wie privaterInvestitionen in AWWT, die Einrichtung unterstützender politischer Maß-nahmen und Institutionen, die Wieder-Wertschätzung von überliefertemtraditionellem Wissen sowie eine fachübergreifende, ganzheitliche, system-bezogene Methodik bei Erarbeitung und gemeinsamer Nutzung von Wissen.Der Erfolg hängt auch davon ab, inwieweit priorisierte Entwicklungs- undNachhaltigkeitsziele durch internationale Prozesse und Verständigungenzusätzliches Gewicht bekommen. Darüber hinaus ist entscheidend, ob imerforderlichem Umfang Mittel und qualifiziertes Personal zur Verfügungstehen.

Armut und Lebensgestal tungsmöglichkeiten

Kleinbäuerlichen Betrieben besseren Zugang zu Land und Produktionsmit-teln, zu lukrativen ländlichen Märkten und zu Exportmärkten zu verschaf-fen – dies sind wichtige Optionen, die Lebensgestaltungsmöglichkeiten imländlichen Raum zu verbessern. Eine weitere Möglichkeit ist eine Erhö-hung der Wertschöpfung aus lokalen Erzeugnissen, die bei kleinbäuerlichenBetrieben und Landarbeitern verbleibt. Ein äußerst wirksames Mittel zurErreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen besteht darin,Landwirte zu befähigen und zu berechtigen, auf innovative Weise mit Bö-den, Wasser, biologischen Ressourcen, Schädlingen, Krankheitserregern undgenetischer Vielfalt umzugehen und zugleich die natürlichen Lebens-grundlagen im Rahmen der vorhandenen Kultur zu bewahren. Um dasWissen von Bäuerinnen und Bauern und Externen austauschen zu können,sollten sich zwischen Bäuerinnen und Bauern, Wissenschaftlern und ande-ren Interessierten neue Partnerschaften bilden.

12 Synthesebericht

Zu den möglichen politischen Optionen für die Stärkung eines aus-kömmlichen Lebensunterhaltes gehören die Verfügbarkeit von Kleinkredi-ten und anderen finanziellen Dienstleistungen, ein gesetzlicher Rahmen fürden Zugang zu und Besitz von Produktionsmitteln und Land, Möglichkei-ten, auf faire Lösungen bei Konflikten zurückzugreifen sowie eine fortschritt-liche Weiterentwicklung geistiger Eigentumsrechte mitsamt den entspre-chenden Instrumenten.14 Es sind Entwicklungen vonnöten, um Vertrauenaufzubauen und das Wissen der Bäuerinnen und Bauern, die agrikulturelleund natürliche Artenvielfalt ebenso wertzuschätzen wie die bewirtschafte-ten Heilpflanzen, die lokalen Umgangsweisen mit Saatgut und die Um-gangsregeln für gemeinschaftlich genutzte Güter. Bei der Umsetzung jederdieser Optionen vor Ort kommt es auch auf regionale und nationale Me-chanismen an, um Verantwortlichkeit zu gewährleisten. Zu der Vielzahlvon möglichen Strategien, mit denen die inländischen Erzeugerpreise vonKleinbauern erhöht werden können, gehören finanz- und wettbewerbspoli-tische Maßnahmen, besserer Zugang zu AWWT, neuartige Betriebskonzep-te und größerer politischer Einfluss.

Ernährungssicherheit

Strategien zur Förderung von Ernährungssicherheit müssen unterschiedli-che AWWT-Konzepte miteinander kombinieren. Weitere Maßnahmen sindVerwaltung von Lebensmittelvorräten, wirksame Marktbeobachtung undFrühwarnung, Monitoring sowie Verteilungsmechanismen. Nahrungsmit-telproduktion stellt die Grundlage für Ernährungssicherheit her. Doch esbedarf zusätzlich auch der Zugangsmöglichkeiten der Bevölkerung zuNahrungsmitteln (durch eigene Produktion, Austausch und öffentlicheRechte) und der Möglichkeit, die Nährstoffe der Lebensmittel auch aufzu-nehmen (mithilfe von angemessenem Zugang zu sauberem Wasser, sanitä-ren Einrichtungen, angemessener Zusammensetzung der Nahrungsmittelsamt dazugehörigen Informationen). Erst damit kann Ernährungssicherheitumfassend erreicht werden.

14 USA, siehe S. 43.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 13

Sozial gerechte und ökologisch nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugungkann durch stärkere Nutzung von AWWT auf lokaler und institutionellerEbene ausgeweitet werden, indem: – auf lokale und flächenspezifische Bedingungen angepasste Pflanzen-

sorten entwickelt und eingesetzt werden; – die Verfügbarkeit von Produktionsmitteln erweitert wird;– der Umgang mit und der Erhalt von Böden, Wasser und Nährstoffen

verbessert wird;– Maßnahmen zum Schutz gegen Schädlingsbefall vor und nach der Ern-

te ergriffen werden; – eine stärkere Diversifizierung der Erzeugnisse bei kleinbäuerlichen

Betrieben stattfindet.

Zu den politischen Optionen zur Förderung der Ernährungssicherheit zählen: – die Entwicklung des Anbaus von bislang zu wenig genutzten hoch-

wertigen Pflanzen in Regenfeldbau-Gebieten; – die Nutzung des gesamten Spektrums bei Im- und Export landwirt-

schaftlicher Erzeugnisse inklusive derer aus ökologischem Landbau15

und fairem Handel;16 15 Die International Federation of Organic Agricultural Movements (IFOAM) ist der Weltverbanddes ökologischen Landbaus. Er hat die Grundregeln dieser Wirtschaftsweise definiert, vgl.www.ifoam.org.16 Der faire Handel ist eine seit den 1960er Jahren bestehende, ursprünglich vor allem kirchlich ge-prägte, zivilgesellschaftliche Bewegung, die für partnerschaftliche, mitmenschliche und wirtschaft-lich gerechte Beziehungen zwischen Nord und Süd eintritt. Inzwischen sind fair gehandelte Warennicht nur in Weltläden, sondern auch in manchen Handelshäusern erhältlich, vgl. www.gepa.de. ImJahr 2007 wurde durch den fairen Handel weltweit mehr als 5 Mio. Menschen eine halbwegs gesi-cherte wirtschaftliche Existenz ermöglicht, vgl. www.gepa.de.

„Ernährungssicherheit (ist) eine Situation, die existiert, wenn alle Menschen

jederzeit physischen, sozialen und wirtschaftlichen Zugang zu genügend si-

cheren und nährstoffreichen Nahrungsmitteln haben, um ihre Bedürfnisse

und Präferenzen für ein aktives und gesundes Leben zu erfüllen.“ (FAO-

Weltbericht zu Hunger und Unterernährung, Rom 2001)

Ernährungssouveränität bezeichnet das Recht der Bevölkerung und sou-veräner Staaten, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik auf demokra-tische Weise selbst zu bestimmen.

14 Synthesebericht

Multifunktionalität

Der Begriff bezieht sich auf die unausweichliche Verflechtung der unter-

schiedlichen Rollen und Funktionen der Landwirtschaft und Landnutzung.

Der Begriff Multifunktionalität schließt mit ein, dass Landwirtschaft vielfa-

che Ergebnisse hervorbringt, nicht nur handelbare Massenerzeugnisse (wie

Nahrungs- und Futtermittel, Textilien, Brennstoffe, medizinische Substan-

zen und Dekoratives), sondern zugleich Umweltleistungen (wie Wasser,

Luft), einzigartige Landschaften und kulturelle Schätze.

Die von der OECD vorgeschlagene Arbeitsdefinition, die auch in diesem

Bericht verwendet wird, verbindet Multifunktionalität mit den besonderen

Merkmalen des landwirtschaftlichen Erzeugungsprozesses und seinen Er-

gebnissen: 1. Marktorientierte und nicht marktbezogene Leistungen wer-

den in der Landwirtschaft zusammen erzeugt, und 2. einige der nicht

marktbezogenen Leistungen können Merkmale externer Effekte bzw. öf-

fentlicher Güter aufweisen, für die Märkte entweder schlecht funktionieren

oder gar nicht existieren.

Die Verwendung des Begriffs ist in den internationalen Verhandlungen

zur Regulierung des Welthandels (UNCTAD) kontrovers diskutiert worden.

Vor allem ist umstritten, ob „handelsverzerrende“ Agrarsubventionen un-

erlässlich sind, damit die Landwirtschaft ihre vielfältigen Aufgaben erfül-

len kann. Die Befürworter machen geltend, dass das derzeitige Gefüge von

Agrarsubventionen, internationalem Handel und entsprechenden politischen

Rahmenbedingungen nicht den Übergang zu gleichberechtigten Beziehun-

gen im Agrar- und Lebensmittelhandel oder nachhaltigen Ernährungs- und

Bewirtschaftungssystemen fördert, sondern zu negativen Auswirkungen auf

die natürlichen Ressourcen und Agrarökosysteme sowie auf die menschliche

Gesundheit und Ernährung führt. Die Gegner führen an, dass Bemühungen,

dieses Problem mithilfe handelsbezogener Instrumente zu beseitigen, die

Nützlichkeit des Agrarhandels schwächen und eine weitere unerwünschte

Marktverzerrung zur Folge haben würden. Sie ziehen es vor, die Probleme

der externalisierten Kosten sowie der negativen Auswirkungen auf die Um-

welt sowie Gesundheit und Ernährung von Menschen mit anderen Mitteln

zu lösen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 15

– die Senkung der Transaktionskosten17 für kleinbäuerliche Betriebe;– die Stärkung lokaler Märkte;– der Aufbau von Netzwerken für die Verbesserung der Lebensmittel-

sicherheit und -qualität;– die Förderung von Versicherungsmöglichkeiten für die Landwirt-

schaft (zum Beispiel gegen Ernteausfälle).

Extreme Preisschwankungen und außergewöhnliche Wetterbedingungen ver-langen nach einem weltweiten Verbund zur Beobachtung und Intervention,um größere Nahrungsmittelknappheit und durch hohe Lebensmittelpreiseverursachten Hunger rechtzeitig vorhersehen zu können.

Durch Investitionen in AWWT kann die nachhaltige Produktivität vonwichtigen Nahrungsmitteln, die nicht in die Märkte gelangen, gesteigert wer-den, zum Beispiel von bisher züchterisch und im Anbau vernachlässigtenoder zu wenig genutzten Pflanzen, die aber oft von mittellosen Menschen an-gebaut oder konsumiert werden. Investitionen können auch institutionelleVeränderungen und politische Maßnahmen fördern, mit denen armen Men-schen ein besserer Zugang zu Nahrung, Land, Wasser, Saatgut, genetischemMaterial und fortschrittlichen Technologien ermöglicht wird.

Nachhalt igkeit in Bezug auf Ökosysteme

Es sind AWWT-Konzepte erforderlich, mit denen Nachhaltigkeit verbessertund gleichzeitig die Produktivität aufrechterhalten wird, sodass die natür-lichen Grundlagen und die ökologischen Leistungen der Landnutzung be-wahrt werden. Mögliche Optionen sind in diesem Zusammenhang:– die Steigerung der Nutzungs-Effizienz von Nährstoffen, Energie, Was-

ser und Land; – ein besseres Verständnis der Dynamik in dem Beziehungsgefüge Bo-

den – Pflanze – Wasser;– die stärkere Diversifizierung der bäuerlichen Betriebe; – die Förderung agrarökologischer Systeme;

17 Die Institutionenökonomik unterscheidet drei Arten von Transaktionskosten: Markt-, Unter-nehmens- und politische Transaktionskosten. Man kann Transaktionskosten als Betriebskosteneiner Wirtschaftsweise verstehen, vgl. Richter & Furubotn (1996): Neue Institutionenökono-mik, Tübingen: J. C. B. Mohr.

16 Synthesebericht

– die Verbesserung von Schutz und Nutzung der biologischen Viel-falt,18 sowohl auf dem Feld als auch in nicht bewirtschafteten Land-schaften;

– die Förderung eines ökologisch nachhaltigen Umgangs mit Nutz-tieren, Wäldern und in der Fischerei;

– ein besseres Verständnis der agrarökologischen Kreisläufe und Zu-sammenhänge in Regionen mit Flächenmosaiken;19

– den Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Klimawandel zu be-gegnen und die nachteiligen Folgen des Klimawandels auf die Land-wirtschaft abzumildern.

Zu den politischen Optionen gehören auch: – die Abschaffung von Subventionen, mit denen nicht nachhaltige

Landnutzungspraktiken gefördert werden; – die Nutzung von Markt- und anderen Mechanismen zur Schaffung

und Regulierung von Anerkennungen für agrarökologische Leistun-gen, für einen besseren Umgang mit natürlichen Ressourcen sowiefür eine Erhöhung der Umweltqualität.

Als Beispiele wären hier Anreize für die Förderung von integriertem Pflan-zenschutz und einem Umgang mit genetischem Material zu nennen, das eineErholung der ökologischen Leistungsfähigkeit ermöglicht. Ferner gehörendazu Stärkung lokaler Märkte, Transfers an Bauern und dörfliche Gemein-schaften für die Gewährleistung von Ökosystemleistungen, Förderung undSchaffung von Anreizen für neue Märkte (etwa für umweltfreundliche Pro-dukte), für die Zertifizierung nachhaltiger Waldnutzung und Fischerei undfür ökologische Landwirtschaft. Langfristige Rechte auf Land- und Was-sernutzung einschließlich entsprechender Besitzmöglichkeiten, Risikominde-rungsmaßnahmen (Sicherheitsnetze, Kredite, Versicherungen usw.) und dieWirtschaftlichkeit empfohlener Technologien sind Voraussetzungen fürdie Verbreitung ökologisch nachhaltiger Regierungs- und Regelungs-strukturen mit einer starken partizipatorischen Prägung zur Förderung

18 Biologische Vielfalt besteht aus drei Elementen: der genetischen Vielfalt, der Artenvielfaltund der Vielfalt von Habitaten.19 Flächenmosaike sind Gebiete, in denen gemischt landwirtschaftliche Nutzflächen und na-turbelassene Habitate vorkommen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 17

demokratischer Verfahrensweisen sind ebenso notwendig wie Regelungenzu Gütern, die kommunal genutzt werden.

Zu den Möglichkeiten von Investitionen in AWWT, mit denen sich nach-haltige Praktiken ausbauen und negative Umweltfolgen verringern ließen,gehören: – Technologien zum Schutz natürlicher Ressourcen;– verbesserte Technik für den biologischen Landbau und low input-

Systeme;20 – Züchtung für ein breites Spektrum von Pflanzen mit höherer Tempe-

ratur- bzw. Schädlingstoleranz; – Forschungen über den Zusammenhang von Leistungen aus agrari-

schen Ökosystemen und menschlicher Wohlfahrt; – monetäre und nicht monetäre Bewertungen von Ökosystemleistun-

gen; – effiziente Wassernutzung und Verminderung der Wasserverschmut-

zung; – biologische Bekämpfung vorhandener und neu hinzukommender

Schädlinge sowie Krankheitserreger; – Ersatz von Agrarchemikalien durch biologische Mittel; – Minderung der Abhängigkeit des Agrarsektors von fossilen Energie-

trägern.

Menschliche Gesundheit und Ernährung

Die Beziehungen zwischen Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft undAWWT haben Einfluss darauf, inwieweit Individuen, Gemeinschaften undLänder in der Lage sind, Nachhaltigkeitsziele zu verwirklichen. Diese Be-ziehungen wirken im Rahmen der vielfältigen Stressfaktoren, die auf diemenschliche Gesundheit einwirken. Hier ist eine umfassende Vorgehens-weise notwendig, um zu bestimmen, wie AWWT am besten eingesetzt wer-den kann, um Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit zu erhöhen, Auf-treten und massenhafte Verbreitung unterschiedlicher Infektionskrankheiten(einschließlich neu und erneut auftretender Krankheiten wie Malaria, Vogel-

20 Low input-Systeme sind Erzeugungsweisen, die mit nur geringen zusätzlichen Gaben vonDünger, Agrarchemie oder Bewässerung auskommen. Sie sind nicht nur ökologisch verträg-lich, sondern kommen auch armen und mittellosen Bäuerinnen und Bauern entgegen.

18 Synthesebericht

grippe, AIDS usw.) und chronischer Erkrankungen sowie die Anzahl von be-rufsbedingten Gefährdungen, Verletzungen und Todesfällen zu reduzieren.Mithilfe robuster Erkennungs-, Überwachungs-, Beobachtungs- und Behand-lungssysteme in Landwirtschaft, öffentlichem Gesundheitswesen und Tier-medizin können die tatsächlich durch gesundheitliche Beeinträchtigungenverursachten Belastungen festgestellt und effiziente gesundheitsförderndeMaßnahmen und Strategien gefunden werden. Zusätzliche Investitionenwerden benötigt, um die bestehenden Systeme und Regulierungen aufrecht-zuerhalten und zu verbessern.

Die Ernährungssicherheit kann durch die Förderung von Maßnahmenund Programmen zu einer abwechslungsreichen Ernährung samt der wich-tigen Mikronährstoffe ebenso unterstützt werden wie durch Einsatz vor-handener und Entwicklung neuer Technologien zur Erzeugung, Verarbei-tung, Konservierung und Verteilung von Lebensmitteln.

Die Lebensmittelsicherheit kann durch wirksam koordinierte, vorsorgendenationale und internationale Systeme befördert werden, um die Gesund-heit von Pflanzen, Tieren und Menschen zu gewährleisten, zum Beispielin Form von Investitionen in Infrastrukturen, das human- und veterinär-medizinische Gesundheitswesen, durch gesetzliche Vorgaben zur Erken-nung und Kontrolle chemischer und biologischer Gefährdungspotenzialesowie durch Kooperation zwischen bäuerlichen Betrieben und Wissen-schaft, um Risiken zu erkennen, zu überwachen und zu bewerten.

Die Belastungen durch Infektionserkrankungen können verringert wer-den, wenn eine Koordinierung zwischen landwirtschaftlichen, tierbezogenenund öffentlichen Gesundheitssystemen gestärkt wird und entsprechende Ka-pazitäten ausgebaut werden. Dies kann durch die Integration von Maßnah-men und Programmen entlang der Nahrungskette mit dem Ziel, die Ausbrei-tung von Infektionskrankheiten einzugrenzen sowie durch die Entwicklungund den Einsatz neuer Erkenntnisse von AWWT mit dem Ziel der Erkennung,Überwachung, Bekämpfung und Behandlung von Krankheiten geschehen.

Die schädlichen Folgen von chronischen Krankheiten können ver-mindert werden durch Politik, die auf die Anerkennung der hohen Bedeu-tung der menschlichen Gesundheit und Ernährung zielt. Dazu gehörenauch eine gesetzliche Regulierung von Nahrungsmittelzusammenset-zungen, internationale Vereinbarungen und Regulierungen zur Kenn-zeichnung von Nahrungsmitteln einschließlich möglicher gesundheitlicher

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 19

Auswirkungen und die Schaffung von Anreizen zu Erzeugung und Kon-sum gesundheitszuträglicher Nahrungsmittel.

Die Gesundheit am Arbeitsplatz und das öffentliche Gesundheitswesenkönnen durch Entwicklung und Inkraftsetzen von Gesundheits- und Si-cherheitsvorschriften verbessert werden (samt Gesetzen zum Verbot vonKinderarbeit und Pestizideinsatz), durch die Bekämpfung grenzüberschrei-tender Praktiken wie der illegalen Verwendung giftiger Agrarchemikaliensowie durch Abschätzung und Bewertung von Gesundheitsgefahren, diedie positiven Rückwirkungen zwischen einer Verbesserung der persönli-chen wirtschaftlichen Existenzsicherung, der Umwelt und einer besserenGesundheit erkennbar machen.

Gleichberechtigung

Damit AWWT die Gleichberechtigung fördert, sind Investitionen in dieEntwicklung kontextbezogener Technologien21 und in eine bessere schuli-sche, berufliche und allgemeine Bildung für die ländliche Bevölkerung er-forderlich. Indem institutionelle Wissenschaften und Technologie undzugleich lokales und traditionelles Wissen als Teil eines umfassenden Ver-ständnisses von AWWT betrachtet werden, kann einem breiten Spektrumvon landwirtschaftlichen Erzeugern und Menschen, die mit natürlichenRessourcen umgehen, ein gleichberechtigter Zugang zu Technologien er-leichtert werden. Zur Förderung jeweils geeigneter Partnerschaften der un-terschiedlichen Sektoren von AWWT sind Anreize für die Wissenschaft,Universitäten und Forschungsorganisationen notwendig. Zu den vorrangi-gen Handlungsoptionen gehören ein gleichberechtigter Zugang und diegleichberechtigte Nutzung von natürlichen Produktionsmitteln (insbesondereLand und Wasser), Anreiz- und Anerkennungssysteme für die Multifunktio-nalität und Leistung der Agrikultur, darunter Ökosystemleistungen, sowieeine Berücksichtigung der besonderen Verletzlichkeit der Gemeinschaften vonLandarbeitern und Bäuerinnen und Bauern. Ebenso ist es wichtig, die Ausge-staltung und Orientierung von AWWT und der zugehörigen Organisatio-nen zu reformieren, damit sie bei der Erweiterung von wissenschaftlichenGrundkenntnissen in bäuerlichen Gemeinschaften, bei der Dezentralisie-

21 Kontextbezug von Technologien heißt, dass eingesetzte Techniken die lokalen wirtschaftli-chen, sozialen und ökologischen Verhältnisse berücksichtigen.

20 Synthesebericht

rung der Technologienutzung und der Einbeziehung der realen Belangevon Bäuerinnen und Bauern zur Festlegung von Forschungsprioritäten undder Gestaltung von Beratungs- und Dienstleistungen für bäuerliche Betriebeeine wesentliche Rolle spielen können. Um mehr Gleichberechtigung her-zustellen, sind Synergien zwischen verschiedenen Akteuren der Entwick-lungspolitik – wie Bäuerinnen und Bauern, Landarbeiter, Banken, zivilge-sellschaftliche Organisationen, kommerzielle Unternehmen und öffentlicheEinrichtungen – erforderlich. Auch in Entscheidungen über geistige Eigen-tumsrechte, Infrastrukturen, Zölle und die Internalisierung von sozialen undUmweltkosten müssen alle Beteiligten einbezogen werden. Neue Ver-fahrensweisen zur Entwicklung und Gestaltung innovativer lokaler Netz-werke und dezentrale Regierungsstrukturen, die sich auf kleine bäuerlicheBetriebe und die Mittellosen in Städten ausrichten (städtische Landwirt-schaft, Direktvermarktung), werden dazu beitragen, Synergieeffekte zuschaffen und ergänzende Versorgungskapazitäten zu stärken.

Wenn Investitionen bevorzugt im Sinne einer gleichberechtigten Ent-wicklung (zum Beispiel in schulischer Erziehung, Aus- und Weiterbildung)getätigt und ethnische, geschlechtsspezifische und andere Ungleichbehand-lungen verringert werden, würde dies Fortschritte bei der Verfolgung derEntwicklungsziele bringen. Um eine Bemessung der Investitionserfolge vor-zunehmen, sind Indikatoren vonnöten, die aussagekräftiger sind als die mitdem Bruttoinlandsprodukt (BIP)22 erfassten, insbesondere zu Veränderun-gen in den Umweltverhältnissen und zu Fragen der Gleichberechtigung.Durch solche Indikatoren zur Überprüfung von Investitionen in AWWTund die Beobachtung der Ergebnisse wird eine verantwortliche Regierungs-praxis gestärkt. Beispielsweise könnte der Gini-Koeffizient23 neben den übli-chen statistischen Methoden ergänzend angewendet werden, um Wachs-tum, Inflation und Umweltverhältnisse zur Abschätzung und Bewertungvon politischen Maßnahmen und Programmen zu erfassen.

22 Das BIP ist eine statistische Größe zur Erfassung von Gütern und Dienstleistungen. Sie hatallerdings etliche Mängel, weil sie alle nicht monetären Verhältnisse ausblendet und auch de-struktive Vorgänge wie zum Beispiel Autounfälle positiv verrechnet.23 Diese Methode geht auf den italienischen Mathematiker Corrado Gini zurück. Mit ihr lassensich Ungleichheiten in der Verteilung von sozialem Status und Einkommen in und zwischenGesellschaften berechnen und darstellen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 21

Invest it ionen

Um Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, sind zusätzlicheMittel und spezifischere Finanzierungsmechanismen für landwirtschaftli-che Forschung und Entwicklung samt der zugehörigen Wissenssystemenotwendig, wie zum Beispiel:– öffentliche Investitionen in weltweite, regionale, nationale und lokale

öffentliche Güter, Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit, Klima-wandel und Nachhaltigkeit. Zur effizienteren Nutzung knapper wer-denden Landes, sauberen Wassers und biologischer Ressourcen sindInvestitionen zum Aufbau von Regelungen und Institutionen zumUmgang mit rechtlichen wie Bewirtschaftungsfragen erforderlich;

– öffentliche Investitionen in Wissensbestände zur Landnutzung, um: ‒ interaktive Wissensnetzwerke (Bäuerinnen und Bauern, Wissen-

schaftler, Industrien sowie Akteure aus anderen Wissensgebieten)zu befördern;

‒ Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)zu erleichtern;

‒ Wissenschaftsförderung in Gebieten wie Ökologie, Evolution, kom-plexe Systeme, Ökotrophologie, Sozialwissenschaften zu betreiben;

‒ wirksame interdisziplinäre Zusammenarbeit zu etablieren; ‒ Kapazitäten in Kerngebieten der Landwirtschaftswissenschaften

vorzuhalten; ‒ Möglichkeiten lebenslangen Lernens entlang der ökologischen und

ökonomischen Ketten der Nahrungsmittelerzeugung zu verbessern. – Partnerschaften zwischen dem öffentlichen Sektor und der Privat-

wirtschaft zur besseren wirtschaftlichen Verwertung von anwen-dungsnahen Kenntnissen und Technologien; Kofinanzierung vonForschung und Entwicklung, wenn es hohe Marktrisiken und breit-gefächerte Möglichkeiten gibt, das Wissen zu verwenden;

– förderliche Anreize und Anerkennungen für zivilgesellschaftlicheund private Investitionen in AWWT, die zur Erreichung von Ent-wicklungs- und Nachhaltigkeitszielen beitragen.

22 Synthesebericht

In vielen nicht industrialisierten Ländern24 müssen diese Investitionen eventuelldurch höhere und gezieltere Investitionen in den Bereichen ländliche In-frastruktur, Bildung und Erziehung sowie Gesundheitsfürsorge ergänzt werden.

Angesichts neuer und oft weltweiter Herausforderungen ist es dringenderforderlich, entsprechend unabhängige, erkenntnis- und wissenschaftsba-sierte Netzwerke zwischen Regierungen zu stärken, zu reformieren odermöglicherweise aufzubauen, die sich mit Problemen wie: – Klimavorhersagen für die landwirtschaftliche Erzeugung, – Gefahren für die menschliche Gesundheit durch neu auftretende

Krankheiten, – Umstellungen bei der Sicherung der Existenzgrundlagen bei verän-

derten Bedingungen, zum Beispiel durch Landflucht, – Ernährungssicherheit,– globalen Waldfragen beschäftigen.

Querschnittsthemen

Der Synthesebericht befasst sich mit acht Querschnittsthemen, die einen Be-zug zu AWWT haben und von entscheidender Bedeutung für das Erreichender Ziele des Weltagrarberichtes sind: Energie aus Biomasse, Biotechnologie,Klimawandel, menschliche Gesundheit, Umgang mit natürlichen Ressour-cen, Handel und Märkte, traditionelles und lokales Wissen und gemein-schaftliche Innovationen sowie Frauen in der Landwirtschaft.

Energie aus Biomasse

Steigende Preise für fossile Energieträger, Belange der Energiesicherheit, einegrößere Aufmerksamkeit für Implikationen des Klimawandels und möglichepositive Wirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung haben dazu geführt,dass das Thema Energie aus Biomasse25 in erheblichem Maße öffentliche Be-

24 Wir sprechen in dieser Übersetzung generell nicht von Entwicklungs-, sondern von nicht in-dustrialisierten Ländern.25 Das englische bioenergy ist der Sammelbegriff für Energie aus Biomasse. Da im Deutschendas Präfix Bio- aber für Produkte aus dem ökologischen Landbau steht, wird hier von Energieaus Biomasse gesprochen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 23

achtung findet. Unter Energie aus Biomasse werden herkömmliche Bio-energielieferanten,26 Biomasse zur Erzeugung von Elektrizität, Licht undWärme sowie flüssige Pflanzentreibstoffe der ersten und zweiten Genera-tion verstanden. Die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile variieren ebensowie die positiven und negativen externen sozialen und ökologischen Impli-kationen, je nach Herkunft der Biomasse, Konversionstechniken und loka-len Verhältnissen.

In nicht industrialisierten Ländern, insbesondere in Afrika südlich derSahara und in Südasien, sind Millionen Menschen von traditioneller Ener-gie aus Biomasse (zum Beispiel aus Brennholz) abhängig, um kochen undheizen zu können. Dies liegt in erster Linie am Fehlen von verfügbaren Al-ternativen. Diese Abhängigkeit von traditioneller Energie aus Biomassekann erhebliche ökologische, gesundheitliche, wirtschaftliche und sozialeProbleme zur Folge haben.27 Für eine verträglichere Nutzung traditionellerEnergie aus Biomasse und einen schnelleren Übergang zu nachhaltigerenEnergien sind neue Bemühungen erforderlich.

Pflanzentreibstoffe der ersten Generation bestehen überwiegend ausEthanol und Diesel und werden aus landwirtschaftlichen Marktfrüchten(zum Beispiel Mais und Zuckerrohr) gewonnen. In den letzten Jahren ist dieProduktion rasch ausgeweitet worden, hauptsächlich aufgrund von politi-schen Fördermaßnahmen, weil Pflanzentreibstoffe nur unter besondersgünstigen klimatischen und Bodenbedingungen wettbewerbsfähig sind.Werden landwirtschaftliche Nutzpflanzen zur Herstellung von Kraftstoffenverwendet, kann dies die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben und sichnegativ auf die Bemühungen auswirken, den Hunger auf der Welt zu ver-ringern. Diese negativen sozialen Folgen würden sich noch verschärfen, wennBäuerinnen und Bauern mit kleinen Betrieben eine Verschlechterung ihrerErzeugung hinnehmen müssten oder von ihrem Land verdrängt würden. Ausökologischer Sicht gibt es erhebliche Variabilitäten, Unsicherheiten und Dis-pute bezüglich der Nettoenergiebilanzen und der Fragen der Treibhausgas-emissionen.28 Langfristig ließen sich die Auswirkungen auf die Lebensmit-

26 Herkömmliche Lieferanten sind vor allem Holz und anderes pflanzliches Material.27 Siehe das ausführliche Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltverände-rung, Zukunftsfähige Bioenergie und Nachhaltige Landnutzung, Berlin 2008, www.wbgu.de.28 In der Wissenschaft besteht mittlerweile weitgehend Konsens, dass nur eine Verwertung vonpflanzlichem Material in festen Anlagen für gekoppelte Wärme- und Stromerzeugung sinnvoll ist.

24 Synthesebericht

telpreise vielleicht vermindern, doch die ökologischen Implikationen, diedurch den Bedarf an Land und Wasser bei einer großflächigen Ausweitungder Produktion von Pflanzentreibstoffen der ersten Generation verursachtwerden, blieben wahrscheinlich bestehen; eine Problematik, mit der wiruns auseinandersetzen müssen.

Bei der Erzeugung von Pflanzentreibstoffen der zweiten Generation, zumBeispiel Ethanol auf der Grundlage von Zellulosen oder BtL-Kraftstoffen29

können billigere und in größerem Umfang vorhandene Rohstoffe verwendetwerden. Hierdurch ließen sich möglicherweise die benötigte landwirt-schaftliche Fläche pro erzeugter Energieeinheit sowie die Menge der Treib-hausgasemissionen im Lebenszyklus von Pflanzenbau, Konversion undVerbrauch des Treibstoffs30 verringern, wodurch sich eventuell die mitPflanzentreibstoffen der ersten Generation verbundenen Umweltbelastun-gen mindern ließen. Allerdings sind die Technologien zur Erzeugung vonPflanzentreibstoffen der zweiten Generation noch nicht kommerziell ver-fügbar und auch hinsichtlich der sozialen und ökologischen Folgen gibt eskeine belastbaren Abschätzungen. So könnte zum Beispiel die Verwendungvon Reststoffen der Felder oder aus der Tierhaltung31 der Notwendigkeitentgegenstehen, organische Substanzen für die Erhaltung der Bodenfrucht-barkeit verfügbar zu machen.

Die Gewinnung von Strom und die Gewinnung von Wärme aus Bio-masse sind wichtige Nutzungen von erneuerbaren Energien, die sich in derRegel gegenüber Pflanzen- und fossilen Kraftstoffen durch größere Effi-zienz und geringere Treibhausgasemissionen auszeichnen. In bestimmtenBereichen können Fermentations- und Biogasanlagen wie auch Verbren-nungsanlagen erfolgreich eingesetzt werden, so etwa in Regionen, dienicht an Stromnetze angeschlossen sind. Diesbezüglich gibt es Ausbaupo-tenzial, doch zur Kostenreduzierung und Steigerung der Verlässlichkeitsolcher Anlagen wird weiteres AWWT gebraucht. Für alle Arten von Ener-

29 Biomass to Liquid sind Verfahrensschritte, mit denen aus pflanzlicher Biomasse flüssige odergasförmige Treibstoffe hergestellt werden können. Diese Verfahren sind nach allgemeiner Ein-schätzung frühestens in 10 bis 15 Jahren industriell serienreif. Ob sie brauchbare Energie- undTHG-Bilanzen erreichen werden, steht dahin.30 Es gibt eingeführte Verfahren, zum Beispiel das Life Cycle Assessment (LCA), mit dem Ener-giebilanzen von bestimmten Produkten und Verfahren von der Rohstoffgewinnung bis zumLetztverbleib erfasst werden können.31 Wie zum Beispiel Stroh, Mist, Jauche und Gülle.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 25

gie aus Biomasse gilt: Die Entscheidungsträger sollten sorgfältig und um-fassend soziale, ökologische und wirtschaftliche Kosten gegen die realisti-scherweise zu erlangenden Vorteile und gegen andere Möglichkeiten einernachhaltigen Energieerzeugung und -nutzung abwägen.

Biotechnologie 3 2

Die Biotechnologie-Definition des Weltagrarrats nutzt die Definition desCartagena-Protokolls über biologische Sicherheit.33 Diese recht weit gefassteBegrifflichkeit schließt die absichtsvolle Veränderung lebender Organismenein und umfasst eine breite Palette von Methoden: von konventionellenMethoden der Fermentierung, Pflanzen- und Tierzucht bis hin zu jüngerenInnovationen in den Bereichen Gewebekulturen, Bestrahlung, Genomik34

und markerunterstützte Züchtungen beziehungsweise Selektionen,35 mitdenen die Züchtungsmethoden ergänzt werden. Zu den Verfahren der mo-dernen Biotechnologie zählen die In-vitro-Modifizierung von DNS undRNS sowie das Verschmelzen von Zellen unterschiedlicher Familien vonLebewesen.36 Bei diesen werden naturgegebene physiologische Grenzender Reproduktion bzw. Rekombination labortechnisch überwunden. Beson-ders umstritten ist derzeit die Anwendung von DNS-Rekombinationstech-niken zur Erzeugung von transgenem Material, das anschließend in Genomeeingefügt wird. Bei noch jüngeren Methoden der modernen Biotechnologiewird Erbmaterial ohne Veränderungen an der DNS manipuliert.

Moderne Biotechnologie hat sich ungleichmäßig entwickelt. Labortechni-sche Neuerungen haben die Entwicklungsphasen geprägt. Diese aber voll-ziehen sich rasch und betreffen sehr viele Bereiche. Hinzu kommt, dass eszwischen den beteiligten Akteuren an transparenter Kommunikation man-

32 China, USA, siehe S. 43.33 Die UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) enthält auch das Cartagena-Protokoll.In diesem werden vor allem Fragen der Nutzung, des Zugangs, des Vorteilsausgleichs undder Sicherheit geregelt.34 Unter Genomik versteht man die Erforschung von Aufbau und Funktionsweise der Geno-me, also der Gesamtheit der Gene eines Lebewesens.35 Bei diesen Verfahren wird die Möglichkeit genutzt, bestimmte Gensequenzen zu markierenoder zu selektieren, auf denen gesuchte Eigenschaften liegen.36 Diese Verfahren sind der Kern der sog. Gentechnik. Hier werden labortechnisch Teile desGenoms entfernt oder hinzugefügt, auch über Art- und Organismenreichsgrenzen hinweg.

26 Synthesebericht

gelt. Deshalb bleibt die Abschätzung und Bewertung der modernen Biotech-nologie hinter ihrer Weiterentwicklung zurück. Informationen sind nichtimmer sorgfältig dokumentiert und können widersprüchlich sein, was un-weigerlich Unsicherheiten über die Bewertung von Nutzen und Schädennach sich zieht. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Einschätzungen vonRisiken wie Vorteilen der modernen Biotechnologie für Umwelt, menschli-che Gesundheit und Wirtschaft. Doch viele der Risiken und Vorteile sindnoch unbekannt.

Ältere Methoden der Biotechnologie wie Züchtungstechniken, Gewebe-kulturen, Praktiken der Kultivierung von Pflanzen und Fermentierungwerden allgemein akzeptiert und angewandt. Zwischen 1950 und 1980 –vor der Entwicklung transgener Organismen – wurden mithilfe modernerWeizensorten die Erträge auch ohne Einsatz von Düngemitteln um bis zu33 % gesteigert. In geschlossenen Anlagen durchgeführte Verfahren dermodernen Biotechnologie werden vielfach eingesetzt: So erreichte bei-spielsweise der Markt für industrielle Enzyme im Jahr 2000 einen Umfangvon 1,5 Milliarden US-$. Der Einsatz außerhalb des technisch abgeschirm-ten Bereichs, etwa in Form transgener Nutzpflanzen, ist wesentlich umstrit-tener. So zeigen beispielsweise Daten, die über etliche Jahre hinweg und fürmehrere gentechnisch veränderte Pflanzen erfasst wurden, stark schwan-kende Ertragszuwächse von 10 % bis 33 % in einigen Gebieten; in anderenGebieten kam es zu Ertragseinbußen.37

Faktoren, die biotechnologische Forschung und Entwicklung beflügeln,etwa Regelungen zum geistigen Eigentum, bestimmen, welche Produkte zu-künftig auf dem Markt erhältlich sein werden. Hierdurch werden einerseitsAnreize zu Investitionen im Bereich Landwirtschaft gegeben, andererseitskann es zu einer Eigentumskonzentration an landwirtschaftlichen Produk-tionsmitteln kommen.38 Legt man den Schwerpunkt auf moderne Biotech-nologie ohne angemessen die anderen landwirtschaftlichen Forschungsfel-der zu berücksichtigen, kann dies dazu führen, dass sich Bildungs- undAusbildungsprogramme verändern und die Zahl der Fachleute in ande-

37 Hier gibt es innerwissenschaftlich wie gesellschaftlich anhaltend Streit auch um die Daten.In den meisten Fällen sind verlässliche Daten nicht verfügbar. Unabhängige langfristige Un-tersuchungen, wie z. B. die britischen Farm-scale Evaluations, gibt es ebenfalls kaum.38 Das betrifft vor allem die Monopolisierung von Gen-Konstrukten, die von allen großen Saat-gutfirmen betrieben wird, mittels Patentierungen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 27

ren Kernbereichen der Agrarwissenschaften abnimmt. Diese Situationkönnte sich noch verstärken, weil die heutigen Studierenden die Bil-dungs- und Ausbildungscurricula der Zukunft bestimmen werden.

Die Patentierung transgener Organismen wirft weitere Fragen auf.Besonders in nicht industrialisierten Ländern können Patente die Kostenin die Höhe treiben, die Handlungsmöglichkeiten der Bäuerinnen undBauern bzw. der öffentlichen Forschung einschränken39 und lokale Prak-tiken zur Stärkung der Ernährungssicherheit und wirtschaftlichen Nach-haltigkeit möglicherweise untergraben.40 Hier besteht insbesondere dieSorge, dass die derzeitigen Regularien zum Schutz geistigen Eigentumsschlussendlich Bevorratung, Austausch und Verkauf von Saatgut sowieden Zugang zu patentrechtlich geschütztem Material behindern; solcheFreiheiten sind jedoch wichtig, damit unabhängige Forschung Untersu-chungen und längerfristig angelegte Versuche zu möglichen problemati-schen Auswirkungen durchführen kann. Auf Bäuerinnen und Bauern kom-men neue Haftungsfragen zu: Bäuerinnen und Bauern, die gentechnischveränderte Pflanzen anbauen, sind im Falle zufälliger Kontaminationenhaftbar, wenn einem benachbarten ökologisch arbeitenden Betrieb dadurchZertifizierung und Einkünfte verloren gehen. Ebenso können Bäuerinnenund Bauern mit konventionellen Betrieben gegenüber einem Hersteller vongentechnisch verändertem Saatgut Haftungsansprüche geltend machen,wenn in den von ihnen angebauten Pflanzen transgenes Material festge-stellt wird.

Eine Problemorientierung von Forschung und Entwicklung im Bereichder modernen Biotechnologie würde Investitionen auf lokale Schwerpunktefokussieren, die durch transparente und beteiligungsorientierte Verfahrenherausgefunden werden; dabei würden multifunktionale Lösungswege fürlokale Probleme bevorzugt. Solche Verfahren erfordern neue Formen der Un-terstützung für die interessierte Öffentlichkeit, damit diese sich kritisch an derAbschätzung und Bewertung der technischen, sozialen, politischen, kulturel-

39 Bei der Nutzung patentierter Genkonstrukte durch Dritte werden Lizenzgebühren fällig –sie kann durch die Patentinhaber auch einfach untersagt werden. 40 So gab es Versuche, den Neem-Baum, der in Indien seit Jahrtausenden vielfältig für Heilzwe-cke genutzt wird, in den USA patentieren zu lassen; ähnlich ging es mit Basmati-Reis, einer derbesten indischen Reissorten, die an den Südhängen des Himalaya in etwa 1.500 m Höhe ange-baut wird.

28 Synthesebericht

len, geschlechtsspezifischen, rechtlichen, ökologischen und wirtschaftlichenImplikationen der modernen Biotechnologie beteiligen kann. Biotechnologiesollte genutzt werden, um lokale Expertise und genetisches Material zu er-halten, sodass Kapazitäten für weiterführende Forschung in der dörflichenGemeinschaft vorhanden sind. Eine solche Orientierung von Forschungund Entwicklung würde den dringend gebotenen Nachdruck auf partizi-patorische Züchtungsprojekte und Agrarökologie setzen.

Kl imawandel

Der gegenwärtige und absehbare Klimawandel findet zu einer Zeit statt, inder der Bedarf nach Nahrungs- und Futtermitteln, Textilien und Brennstof-fen steigt. Die natürlichen Ressourcen, die Grundlage jeglicher Landwirt-schaft, könnten dadurch irreversibel geschädigt werden. Klimawandel undLandnutzung beeinflussen sich wechselseitig: Einerseits trägt die Land-wirtschaft auf mehreren Wegen bedeutend zu Klimaveränderungen bei,andererseits wirken sich die zu beobachtenden Klimaveränderungen allge-mein ungünstig auf die Landwirtschaft aus.

In mittleren bis höheren Breitengraden41 kann ein gemäßigter lokaler Tem-peraturanstieg den Ernteertrag sogar geringfügig positiv beeinflussen, wäh-rend sich in niedrigen Breitengraden ein solcher moderater Temperaturanstiegwahrscheinlich negativ auswirken wird. In vielen Teilen der Welt sind einigenegative Auswirkungen bereits jetzt erkennbar. Eine stärkere Erwärmungwird zunehmende Beeinträchtigungen in allen Regionen der Erde zur Folgehaben. Knappheit und eine zeitlich verschobene Verfügbarkeit von Wasserwerden die Agrarerzeugung zunehmend einschränken. Auch die Speiche-rung von Wasser wird man angesichts des Klimawandels überdenkenmüssen, um mit den Folgen von extremen Niederschlägen, stärkerenSchwankungen innerhalb der und zwischen den Jahreszeiten und erhöh-ten Verdunstungsraten in allen Arten von Ökosystemen umgehen zu kön-nen. Extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen und Dürrennehmen zu und werden voraussichtlich häufiger und in schwererer Formauftreten, was wohl in allen Regionen erhebliche ungünstige Auswir-kungen auf Nahrungsmittelerzeugung, Forstwirtschaft und Ernährungsun-sicherheit haben wird. Es besteht ein beunruhigendes Potenzial für künfti-

41 In diesen finden wir die sog. gemäßigten Klimazonen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 29

ge Konflikte um bewohn- und bebaubares Land und um Lebensgrundlagenwie sauberes Wasser. Klimawandel wirkt sich auch auf die Ausbreitung vonPflanzen, invasiven Arten,42 Schädlingen und Krankheitsüberträgern aus.Wahrscheinlich werden sich Verbreitungsgebiete und Häufigkeiten vielerKrankheiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen ausdehnen und erhöhen.

Zur Reduzierung der Emission von Treibhausgasen (THG) ist ein umfas-sendes Vorgehen mit gerechten Regulierungsrahmen, differenzierten Zu-ständigkeiten und Zwischenzielen notwendig. Rasche Maßnahmen zurEmissionsreduktion sind auch deshalb wesentlich, weil sie wegen der starkverzögerten Reaktion des Klimasystems die sonst unvermeidlichen weiterenKlimaänderungen in der Zukunft verhindern. Da weitere Veränderungendes Klimas unausweichlich sein werden, müssen wir auch über Anpas-sungsmaßnahmen nachdenken. Maßnahmen zur Bekämpfung bzw. Begren-zung des Klimawandels und die Förderung einer nachhaltig umwelt- undsozial gerechten Entwicklung teilen wichtige gemeinsame Ziele, zum Bei-spiel einen gleichberechtigten Zugang zu Produktionsmitteln und ange-passten Technologien.

Einige THG-Reduktionsmaßnahmen mit Wirkungen, die für alle Betei-ligten Vorteile bieten, sind bereits erkannt worden. Dazu gehören Verände-rungen der Landnutzung, wie etwa:– eine verlangsamte Ausdehnung landwirtschaftlich genutzter Flächen

in Naturräume, – Anlage neuer Wälder, – Wiederaufforstung, – Agroforstwirtschaft,43 – agrarökologische Nutzungssysteme,44

– ökologische Restaurierung von suboptimal genutzten oder degradier-ten Böden und Weideflächen,

42 Invasive Arten sind solche, die durch menschliches Zutun oder auch ohne in Lebensräumeeindringen, in denen sie ursprünglich nicht vorkamen. Sie sind dadurch problematisch, dasssie einheimische Arten verdrängen und ganze Habitate aus dem Gleichgewicht bringen kön-nen.43 Damit ist die Kombination von Bäumen und ein- oder mehrjährigen Nutzpflanzen gemeint,die im Schatten der Bäume wachsen.44 Bei diesen bildet die Pflege der Ökosystemleistungen einen wichtigen Teil der Erzeugungvon Nahrungsmitteln oder anderen Gütern, vgl. Uphoff, Norman (2002): Agroecological Inno-vations. Increasing Food Production with Participatory Development, London: Earthscan.

30 Synthesebericht

– Kohlenstoffbindung in landwirtschaftlichen Böden, – Reduzierung und effizientere Nutzung von Stickstoffdünger, effi-

zientere Verwendung von Dung, Mist und Gülle,– die Verwendung von Futtermitteln, mit denen die Verdauungsef-

fizienz des Viehs befördert werden kann.

Zu den politischen Handlungsmöglichkeiten für Regulierungen und Investi-tionen gehören finanzielle Anreize zu Erhalt und Ausweitung von Waldge-bieten durch verminderte Kahlschläge und Schädigung von Wäldern, alsoinsgesamt eine verbesserte Waldbewirtschaftung sowie Entwicklung und Nut-zung erneuerbarer Energiequellen. Die Nach-Kyoto-Vereinbarungen45 müssenstärker sämtliche landwirtschaftlichen Aktivitäten einschließen wie zum Bei-spiel eine Reduzierung von Waldvernichtung und Bodenverschlechterung,um die CO2- Reduktionspotenziale, die sich in der Land- und Forstwirtschaftbieten, voll auszuschöpfen.

Menschl iche Gesundheit

Trotz der offensichtlichen und vielschichtigen Zusammenhänge zwischenGesundheit, Ernährung, Agrikultur und AWWT ist die Förderung dermenschlichen Gesundheit generell kein ausdrückliches Ziel der Agrarpoli-tik. Landwirtschaft und AWWT können sich auf eine ganze Reihe gesund-heitlicher Aspekte auswirken, etwa auf Unterernährung, chronische Krank-heiten, Infektionskrankheiten, Lebensmittelsicherheit, Krankheiten durchUmwelteinflüsse und die Gesundheit am Arbeitsplatz. Ein schlechter Ge-sundheitszustand bei Bäuerinnen und Bauern kann zu einem Rückganglandwirtschaftlicher Produktivität führen und die Fähigkeiten einschrän-ken, jeweils angemessenes AWWT zu entwickeln und anzuwenden. Einschlechter gesundheitlicher Zustand kann ebenso von Unter- wie vonÜberernährung herrühren. Trotz eines Anstiegs der weltweiten Nahrungs-mittelerzeugung in den vergangenen Jahrzehnten ist Unterernährung nachwie vor ein globales Syndrom, das 15 % der Krankheiten weltweit verur-sacht. Die Unterversorgung mit Proteinen und Mikronährstoffen ist nochimmer ein großes Problem, wobei zwischen und auch innerhalb von Staa-

45 Gegenwärtig laufen die vorbereitenden Verhandlungen für eine Nachfolge-Abkommen zudem sog. Kyoto-Protokoll, das im Jahr 2012 auslaufen wird.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 31

ten große Unterschiede bestehen. Ernährungssicherung kann mit Hilfe vonStrategien und Programmen verbessert werden, die eine abwechslungsrei-chere Ernährung anstreben wie auch mit Hilfe der Entwicklung und An-wendung bereits vorhandener wie neuer Technologien zur Herstellung,Verarbeitung, Konservierung und Verteilung von Lebensmitteln.

AWWT hat dazu beigetragen, die landwirtschaftliche Produktion zusteigern und neue Methoden der Lebensmittelverarbeitung zu entwickeln.Einseitige Ernährung minderer Qualität und billige Nahrungsmittel mit ge-ringer Nährstoffdichte werden mit der weltweiten Zunahme von Adiposi-tas46 und chronischen Krankheiten in Zusammenhang gebracht. Bei Men-schen, die sich während ihres ganzen Lebens schlecht ernähren, besteht einerhebliches Risiko, chronische Krankheiten zu bekommen, die weltweit diehäufigste Todesursache darstellen. 80 % dieser Todesfälle sind in den nichtindustrialisierten Ländern zu verzeichnen. Die Aufmerksamkeit bei derNahrungsmittelerzeugung muss also auf den Verbrauchern und der Be-deutung einer qualitativ guten Ernährung liegen und nicht nur auf Mengeoder Preis. Strategien nutzen hier finanzpolitische Maßnahmen wie Steuer-sätze und Handelsvereinbarungen zugunsten gesundheitsfördernder Le-bensmittel sowie Regulierungen der Zusammensetzung von Lebensmit-teln, der Etikettierung und der Information für Wiederverkäufer.

Die Globalisierung des Welthandels mit Lebens- und Futtermitteln, diebegleitet wird von einer Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel undder Lebensmittelverarbeitung,47 wie auch eine gewachsene Aufmerksam-keit der Verbraucher, verstärken den Bedarf an wirksamen, koordiniertenund vorsorglichen nationalen Maßnahmen für Lebensmittelsicherheit. Zuden gesundheitlichen Gefährdungspotenzialen, die mithilfe von AWWTbekämpft werden können, zählen Rückstände von Pestiziden, Schwerme-tallen, Hormonen, Antibiotika und diverse Zusatzstoffe in Lebensmittelnmitsamt verwandten Problemen aus der Massentierhaltung.

Wirksamere Maßnahmen der Sicherheit bei Lebensmitteln sind für Bin-nen- wie Exportmärkte wichtig und notwendig, können jedoch erhebliche

46 Fettleibigkeit, bemessen nach dem sog. Body Mass Index (BMI), der eine Relation von Kör-pergröße und Gewicht herstellt, dabei Alter und Geschlecht berücksichtigt.47 Roberts, Paul (2008): The End of Food, Boston: Houghton Mifflin, gibt einen erschreckendenEinblick, wie weit diese Prozesse vorangeschritten sind – und wie zerstörerisch für Menschenund Tiere sie sind.

32 Synthesebericht

Kosten mit sich bringen. Möglicherweise brauchen manche Länder Hilfe,um die Kosten für Lebensmittelkontrollen wie Beobachtung und Inspektio-nen sowie Kosten zur Beseitigung von unverkäuflichen kontaminiertenWaren aufbringen zu können. Mithilfe eines umfassenden Verständnissesvon Agrarökosystemen und der menschlichen Gesundheit kann man leichterGefährdungen für die Gesundheit von Tieren, Pflanzen und Menschen er-kennen und für AWWT entsprechende Konzepte zum Umgang mit diesenProblemen entwickeln.

Weltweit sterben jedes Jahr 170.000 Menschen infolge ihrer Arbeit in derLandwirtschaft, die Hälfte durch tödliche Unfälle. Die meisten Verletzungenund Todesfälle, insbesondere bei Landarbeitern, werden durch Maschinenund Ausrüstungsgegenstände wie Traktoren und Erntemaschinen verur-sacht. Weitere bedeutende Gesundheitsgefahren sind Vergiftungen durchAgrarchemikalien, übertragbare Tierkrankheiten, toxische oder allergeneStoffe sowie Gefährdungen durch Lärm, Erschütterung oder ergonomischeÜberlastung. Zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes bei landwirt-schaftlicher Arbeit muss der Erarbeitung und Anwendung von Gesund-heits- und Sicherheitsvorschriften mehr Gewicht zukommen. PolitischeMaßnahmen sollten ausdrücklich die Wechselwirkungen zwischen Vorteilenfür die individuelle Sicherheit und Umweltrisiken oder berufsbedingten Ge-fährdungen mitsamt deren Folgen für das Gesundheitswesen beachten.

Die Intensivierung von Ackerbau und Viehwirtschaft beeinflusst Auftretenund Verbreitung zahlreicher neu oder erneut auftretender Infektionskrankhei-ten. Wenn sich Krankheiten in Tierbeständen oder der Bevölkerung starkausbreiten oder von Tieren auf menschliche Wirte übergehen, kann dieserhebliche sozioökonomische Auswirkungen haben. Die meisten Faktoren,die zum Ausbrechen von Krankheiten beitragen, werden auch weiterhin be-stehen oder sich gar noch verstärken. Mithilfe von integrierten politischenMaßnahmen und Programmen entlang der gesamten Erzeugungs- undVerarbeitungskette für Nahrungsmittel kann die Ausbreitung von Infek-tionskrankheiten besser eingegrenzt werden. Hier sind verlässliche Erken-nungs-, Überwachungs- und Handlungsprogramme entscheidend.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 33

Umgang mit natürl ichen Ressourcen 4 8

Natürliche Ressourcen, insbesondere Böden, Wasser, Tier- und Pflanzen-vielfalt, die Vegetation, erneuerbare Energien, Klima und Ökosystemleis-tungen sind grundlegend für Aufbau und Funktionsfähigkeit von Land-wirtschaft wie für soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Sie alle bildendie Grundlagen von Leben auf der Erde. Historisch ist die Entwicklung derLandwirtschaft sehr eng an Produktivitätssteigerung49 orientiert gewesen,anstatt auf ganzheitlichere Art und Weise die Nutzung der natürlichen Le-benszusammenhänge mit der Sicherheit von Ernährung und Nährstoffver-sorgung zu verknüpfen. Ein holistisches bzw. systemorientiertes Verständ-nis ist deshalb sinnvoller, weil es die Möglichkeit bietet, mit schwierigenFragen umzugehen, die mit der Komplexität von Nahrungsmittel- und an-deren Erzeugungssystemen in unterschiedlichen Ökosystemen, Kulturenund an unterschiedlichen Orten auf der Erde zusammenhängen.

Oft steht gut bekanntes und verstandenes AWWT zur Verfügung, umProbleme bei der Nutzung natürlicher Ressourcen lösen zu können – etwaeine abnehmende Bodenfruchtbarkeit infolge Zufuhr synthetischer Düngeroder Pestizide ebenso wie infolge natürlicher Abläufe. Dennoch werden di-verse Herausforderungen im Umgang mit natürlichen Ressourcen neuekreative Konzepte von Beteiligten mit unterschiedlichem fachlichem Hin-tergrund, verschiedenartigen Fertigkeiten und Prioritäten erfordern. DieVoraussetzungen für Kooperationen auf vielen Ebenen und über verschie-dene soziale und natürliche Lebensräume hinweg sind nicht gut entwi-ckelt. So gibt es beispielsweise bisher kaum Möglichkeiten für ein wechsel-seitiges Lernen zwischen Bäuerinnen und Bauern, Wissenschaftlern undPolitikern. Infolgedessen waren Bäuerinnen und Bauern sowie Mitgliederder Zivilgesellschaft bisher selten in die Erarbeitung von Politiken zumUmgang mit natürlichen Ressourcen involviert. Partnerschaften zwischenbäuerlichen Gemeinschaften und dem privatwirtschaftlichen Sektor sind je-doch ein neuer und viel versprechender Schritt in die richtige Richtung, derjedoch noch in den Kinderschuhen steckt.

48 Meeresfischerei und Waldwirtschaft sind nicht so ausführlich behandelt wie andere Aspekteder Thematik.49 Das meinte in aller Regel: Nutzpflanze pro Fläche, davon maximaler Ertrag = Produktivität.

34 Synthesebericht

Für den Umgang mit natürlichen Ressourcen werden folgende Maßnah-men mit hoher Dringlichkeit vorgeschlagen:– Bereits verfügbares AWWT sollte verwendet werden zur Erkennung

und Behandlung der Ursachen für sinkende Produktivität, die auf ei-nem verfehlten Umgang mit natürlicher Ressourcen beruht; neueAWWT auf der Grundlage interdisziplinärer Erkenntnisse sollte ent-wickelt werden, um die Komplexität menschlicher Eingriffe in Öko-systeme besser zu verstehen. Ein Teil dieser Strategie ist das kosten-effektive Beobachten der Entwicklungsrichtungen der Nutzung vonNaturkapital.50

– Die menschlichen Fähigkeiten zur Unterstützung des Naturkapitalssollten durch verstärkte Investitionen (in Forschung, Aus- und Wei-terbildung, Partnerschaften, politische Maßnahmen) zur Entwick-lung einer geschärften Aufmerksamkeit für die gesellschaftlichenKosten von Umweltdegradierungen und den Wert von Ökosystem-leistungen gefördert werden.

– Exzellenzzentren für AWWT und den Umgang mit natürlichen Res-sourcen sollten etabliert werden, die eine schonendere Nutzung na-türlicher Lebensgrundlagen sowie bessere Vorgehensweisen zurFörderung der Resilienz,51 des Schutzes und der Erneuerung vonRessourcen durch innovative wechselseitige Lernprozesse in For-schung und Entwicklung, Beobachtung und Politikgestaltung fördern.

– Günstige Bedingungen für den Ausbau von Qualifikationen und In-stitutionen für den Umgang mit natürlichen Ressourcen wie zurFörderung eines entsprechenden Verständnisses unter den Beteilig-ten und ihren Organisationen sollten geschaffen werden, damit ent-sprechende Politik partnerschaftlich zwischen öffentlichem und pri-vatem Sektor gestaltet werden können.

– Netzwerke von AWWT-Anwendern aus Nichtregierungsorganisatio-nen, Bauernverbänden, Regierung und Privatwirtschaft sollten auf-

50 Der Begriff Naturkapital wird uneinheitlich verwendet. Er ist zudem problematisch, weil Ka-pital eine Ansammlung von Geld oder geldwerten Gegenständen meint, die prinzipiell ersetz-bar sind. Im Falle der Natur ist dem aber nicht so. Man sollte besser von natürlichen Lebens-grundlagen sprechen.51 Resilienz bezeichnet die Fähigkeit von Ökosystemen, sich nach erfolgten Störungen zu rege-nerieren.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 35

gebaut werden, damit beim Umgang mit natürlichen Ressourcenlangfristig gedacht und gehandelt wird, sodass vielfältigere Güterund Dienstleistungen aus den natürlichen Lebensgrundlagen für dasGemeinwesen resultieren.

– Globale und lokale Entwicklungswege und Veränderungen sollten ineinen Zusammenhang gebracht werden, damit lokal erarbeiteteKenntnisse und Innovationen zum Umgang mit natürlichen Ressour-cen mit dem öffentlichen und privaten Fundus von AWWT ver-knüpft werden können.

Wenn AWWT mit aktiver Partizipation unterschiedlicher Akteure über vie-le politische und geographische Räume und Ebenen hinweg entwickeltund kreativ eingesetzt wird, so kann der Missbrauch von Naturkapital be-endet und zugleich eine umsichtige Nutzung und Erneuerung von Wasser-leitern,52 Böden, biologischer Vielfalt, Ökosystemleistungen, fossilen Brenn-stoffen und Luftqualität für künftige Generationen gewährleistet werden.

Handel und Märkte

Es gibt eine aktuelle und drängende Herausforderung für die ganze Welt:die Wirtschafts- und Handelspolitik darauf zu orientieren, dass Agrikulturund AWWT die Entwicklung ländlicher Räume besser voranbringen können,dass Ernährungssicherheit erhöht, ökologische Nachhaltigkeit maximiertund bäuerliche Familienbetriebe wirtschaftlich so stark gemacht werden,dass sie in vorderster Linie die Armutsverringerung vorantreiben können.

Generell bietet internationaler Agrarhandel auch Chancen für arme Re-gionen, doch die derzeitigen Regelungen führen zu erheblichen ungünstigenVerteilungswirkungen zwischen und innerhalb von Ländern, die in vielenFällen Bäuerinnen und Bauern schaden und die Sicherung von Lebensper-spektiven für Menschen im ländlichen Raum erschweren. Sollen auch diesevom globalen Agrarhandel profitieren, so ist eine Differenzierung der poli-tischem Regulierung und der institutionellen Organisation erforderlich.Die Sorge wächst, dass der Agrarsektor geschwächt werden könnte, wennnationale Agrarmärkte dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt werden,bevor grundlegende Institutionen und Infrastrukturen vorhanden sind – mit

52 Damit sind sowohl die Grundwasservorkommen wie die Oberflächengewässer gemeint.

36 Synthesebericht

langfristig negativen Auswirkungen auf Armutsentwicklung, Ernährungssi-cherheit und Umwelt.53

Reformen der Handelspolitik im Sinne eines fairen globalen Handels kön-nen positiv zur Erreichung von Nachhaltigkeits- und Entwicklungszielen bei-tragen. Das schließt differenzierte und spezifische Maßnahmen ein, damitnicht industrialisierte Länder Ernährungssicherheit und Entwicklungszielewirksamer verfolgen können, während gleichzeitig handelsbezogene Ver-werfungen verringert werden. Die Sicherung einer handlungsfähigennationalen Politik erlaubt es nicht industrialisierten Ländern, sowohl dieBedürfnisse armer Konsumenten (Landlose in städtischen wie in ländli-chen Gebieten) als auch die Bedürfnisse von Bäuerinnen und Bauern zuberücksichtigen. Damit Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele erreichtwerden können, muss der Anteil von Bäuerinnen und Bauern mit kleinen Be-trieben auf den globalen, regionalen und lokalen Märkten gesteigert werden.Eine unterstützende Handelspolitik kann außerdem kleinbäuerlichen Betrie-ben und Unternehmen zusätzliches AWWT zur Verfügung stellen.

Nicht industrialisierte Länder würden von der Aufhebung von Handels-hemmnissen für solche Produkte profitieren, bei deren Erzeugung sie überkomparative Vorteile54 verfügen. Auch eine Senkung der eskalierenden Zöllefür verarbeitete Nahrungsmittel in Industrie- wie in nicht industrialisiertenLändern, ein zusätzlich begünstigter Marktzugang für die ärmsten Länder,höhere staatliche Investitionen in die ländliche Infrastruktur und die Schaf-fung von AWWT für Gemeinschaftsgüter sowie ein verbesserter Zugang zuKrediten, AWWT und Märkten für mittellose Erzeuger wären hilfreich. DerAusgleich von Einnahmeverlusten, die durch den Abbau von Zöllen entste-hen, ist für Fortschritte bei Entwicklungsprogrammen unentbehrlich.

Die Landwirtschaft verursacht in großem Umfang externe Umweltkos-ten, weil die Märkte Umwelt- und soziale Schäden nicht angemessen be-werten und keine Anreize für nachhaltige Praktiken bieten. AWWT bietetwertvolle Möglichkeiten, diesen Trend vom Kopf auf die Füße zu stellen.Zu den wirtschafts- und handelspolitischen Regularien, mit deren HilfeAWWT zur Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks der Landnutzung55

beitragen kann, gehören:

53 USA, siehe S. 43.54 Komparative Vorteile bezeichnen Unterschiede nach Ländern oder Regionen, die von klima-tischen bis zu sozialen Verhältnissen reichen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 37

– die Abschaffung von Subventionen, die zu einer zerstörerischen Res-sourcennutzung führen;

– die Besteuerung externer Effekte; – die klarere Definition von Eigentumsrechten sowie – die Entwicklung von Anreizen und Märkten für agrarökologische

Dienstleistungen, darunter eine stärkere finanzielle Unterstützungder Kohlenstoffbindung, um Anreize für eine umwelt- und sozial ge-rechte Landwirtschaft zu schaffen.

Qualität und Transparenz von Regulierungen und Entscheidungsfindungenin der Landwirtschaft sind dabei von grundlegender Bedeutung. Dasschließt die stärkere Partizipation von Beteiligten an Entscheidungen zuAWWT ein. Qualifikationen und Institutionen zur Erstellung von Analysenund zum Führen von Verhandlungen über Handelsfragen wie auch dieVerfügbarkeit besserer Instrumente zur Abschätzung und Bewertung unbe-absichtigter Effekte vorgeschlagener Handelsabkommen seitens der nichtindustrialisierten Länder sind ein wichtiges Element besserer Regierungs-fähigkeit.

Lokales und tradit ionel les Wissen sowie gemeinschaft l iche 5 6

Innovationen

Wenn AWWT zugleich auf Verbesserungen bei Erzeugung, Wirtschaftlich-keit, Ökosystemleistungen und Ernährung ausgerichtet ist, die den Stand-ortbedingungen angepasst und dynamisch sind, dann müssen institutionell-wissenschaftliche, überlieferte traditionelle und lokale Kenntnisse integriertwerden. Überliefertes traditionelles und lokales Wissen stellt einen reichenFundus von gesammeltem Praxiswissen wie von Möglichkeiten der Wissen-serweiterung dar, der zum Erreichen von Nachhaltigkeits- und Entwick-lungszielen nötig ist. Überliefertes Wissen, traditionelle Identitäten undPraktiken indigener Völker und dörflicher Gemeinschaften werden von derUN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) anerkannt als Verkörperung

55 Der ökologische Fußabdruck bezeichnet eine Methode der Erfassung und Darstellung allerökologischen Folgen von Wirtschaft und Konsum, vgl. www.lfu.bayern.de.56 Der englische Begriff community-based bezeichnet den Umstand, dass die Erkenntnisse, Prak-tiken und Umgangsweisen eine gemeinschaftliche Errungenschaft darstellen.

38 Synthesebericht

von Lebensweisen, die für den Erhalt und die langfristig umwelt- und sozialgerechte Nutzung der Artenvielfalt von Bedeutung sind; andere Konventio-nen stellen fest, dass Wissen und Praktiken durch das absichtsvolle Zusam-menspiel materieller und nicht materieller Welten entstanden sind, die inortsverwurzelte Kulturen und Identitäten eingebettet sind. Traditionellesund lokales Wissen sind Fähigkeiten und Handlungsoptionen, die bei Bevöl-kerungen in allen ländlichen Regionen der Welt vorhanden sind.

Überlieferte und lokale Kenntnisse und Wissensbestände sind dyna-misch. Manchmal können ihre Anwendungen fehlgehen – zugleich abergibt es gut dokumentierte, weit gefächerte positive Auswirkungen. Es hatsich erwiesen, dass eine beteiligungsorientierte Kooperation bei der Erarbei-tung von Wissen, technischen Entwicklungen und Innovationen eine wert-volle Bereicherung für institutionell-wissenschaftliche Technikentwicklungist, beispielsweise bei Kooperationen von Bäuerinnen und Bauern mit For-schern in den Anden, bei partizipatorischer Pflanzenzüchtung,57 bei der Kul-tivierung wilder und halbwilder Baumarten sowie beim Umgang mit Bö-den und Wasser.

Zu den Optionen, die erwiesenermaßen zum Erreichen von Nachhaltig-keits- und Entwicklungszielen beitragen, gehören:– die Zusammenarbeit bei Erhalt, Entwicklung und Nutzung lokaler

und traditionell genutzter biologischer Materialien; – Anreize zur Ausbildung von Fähigkeiten bei Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftlern wie auch Forschungsorganisationen, mit indi-genen und dörflichen Gemeinschaften samt deren Vereinigungen zu-sammen zu arbeiten;

– eine stärkere Wertschätzung von indigenem und traditionellem Wis-sen wie von professioneller und gemeinschaftlicher Archivierung, Ab-schätzung und Bewertung solcher Kenntnisse und Praktiken im Rah-men der Ausbildung in wissenschaftlichen Einrichtungen.

Um ein solches Zusammenarbeiten möglichst wirksam zu gestalten,spielen moderne Informations- und Kommunikationstechniken (IKT) ei-ne wichtige Rolle auch bei der Entwicklung einer kulturell angepasstenIntegration von Wissensbeständen aus unterschiedlichen Quellen; sie ver-

57 Vgl. hierzu Eyzaguirre, P. & M. Iwanaga (Eds.) (1996): Participatory Plant Breeding, Rome:IPGRI und das schon erwähnte Buch von Norman Uphoff (siehe Fußnote 44).

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 39

dienen daher höhere Investitionen und mehr Unterstützung. Zusammenar-beit und Integration würden durch internationale Regulierungen zumSchutz geistigen Eigentums und für andere Bereiche unterstützt, die eingrößeres Augenmerk auf den effektiven Umgang mit Problemen legen, indenen traditionelles Wissen, genetische Ressourcen und gemeinschaftlicheInnovationen eine Rolle spielen. Beispiele einer widerrechtlichen Aneig-nung von indigenem und lokalem Wissen wie auch von gemeinschaftli-chen Innovationen weisen auf die Notwendigkeit hin, Informationen überspezielle nationale Regelungen und den jeweiligen Regulierungsrahmenauszutauschen.

Frauen in der Weltlandwir tschaft

Die gesellschaftlich definierten Beziehungen und sozialen Verhältnisse zwi-schen Frauen und Männern58 sind auch für die bestehenden agrikulturel-len Systeme weltweit ein wichtiges strukturelles Element und ein wesentli-cher Faktor bei Umstrukturierungen der Landwirtschaft. GegenwärtigeEntwicklungen bei der Liberalisierung der Agrarmärkte und der Reorgani-sation der landwirtschaftlichen Arbeit ebenso wie das wachsende Gewichtvon Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen verändern auch die Zusammen-hänge zwischen Gender- und Entwicklungsfragen. Der Anteil der vonFrauen in der landwirtschaftlichen Erzeugung und nach der Ernte geleiste-ten Arbeit reicht von 20 % bis zu 70 %. In vielen nicht industrialisiertenLändern wächst dieser Anteil – insbesondere in exportorientierten Land-nutzungen mit künstlicher Bewässerung gibt es eine wachsende Nachfragenach weiblichen Arbeitskräften, zu denen auch Wanderarbeiterinnen zählen.

Solche dynamischen Wirtschaftsentwicklungen waren in mancherleiHinsicht nützlich, doch generell ist der größte Teil der weltweit in ländli-chen Regionen lebenden Frauen nach wie vor mit sich verschlechterndenArbeitsbedingungen und einem schlechter werdenden Gesundheitszu-stand konfrontiert. Sie haben einen begrenzten Zugang zu Erziehung undBildung, verfügen kaum über natürliche Produktionsmittel (Land, Wasser)und haben niedrige Löhne und unsichere Arbeitsplätze. Dieser Zustand istverschiedenen Faktoren geschuldet, nämlich:

58 Der englische Begriff gender bezeichnet eben die sozialen Aspekte der Geschlechterverhältnisse.

40 Synthesebericht

– dem zunehmenden Kostendruck als Folge des Wettbewerbs auf denAgrarmärkten, durch den die Nachfrage nach flexiblen und billigenArbeitskräften steigt;

– einem wachsenden Druck auf und Konflikten um natürliche Lebens-grundlagen,

– der abnehmenden Unterstützung für kleinbäuerliche Betriebe seitensder Regierungen und der Umschichtung von öffentlichen Geldern zu-gunsten großflächiger Agrarunternehmen;

– einer zunehmenden Risikoexposition bei Naturkatastrophen undUmweltveränderungen;

– einem schlechteren Zugang zu Wasser;– zunehmenden berufsbedingten und anderen Gesundheitsgefahren.

Seit der ersten Welt-Frauenkonferenz der Vereinten Nationen 1975 hat eszwar auf der Ebene nationaler und internationaler Politik Fortschritte bei derBehandlung geschlechtsspezifischer Probleme als integrative Bestandteilevon Entwicklung gegeben. Gleichwohl gibt es dringenden Handlungsbedarf,damit soziale Gerechtigkeit und Gleichbehandlung der Geschlechter sowohlbei politischen Maßnahmen wie in der Praxis von AWWT umgesetzt werden.Dies bedeutet: – Ausbau der Kapazitäten öffentlicher Institutionen und von Nichtre-

gierungsorganisationen, um Wissen über die sich verändernden Rol-len von Frauen in agrikulturellen und anderen Aktivitäten im ländli-chen Raum und über deren Beitrag zu AWWT zu erarbeiten;

– Priorisierung der Gewährleistung des Zugangs von Frauen zu Bil-dung und Erziehung, Information, Wissenschaft und Technologie so-wie Beratungsdienstleistungen;

– Ermöglichung eines besseren Zugangs zu, Besitz von und Kontrolleüber wirtschaftliche und natürliche Produktionsmittel durch gesetz-liche Regelungen, angemessene Kreditverfügbarkeit, Förderung derEinkommenserzielung und die bessere Ausstattung von Frauenorga-nisationen und -netzwerken;

– Stärkung der Möglichkeiten für Frauen zur Nutzung von marktbezo-genen Handlungsmöglichkeiten dadurch, dass Institutionen und po-litische Maßnahmen Bäuerinnen in Wertschöpfungsketten ausdrück-lich einen Vorrang einräumen.

Kurzdarstellung des Syntheseberichts 41

Auch eine Reihe anderer notwendiger Veränderungen wird die Beiträgevon Frauen in der Landwirtschaft und zu einer nachhaltigen Entwicklungstärken. Dazu gehören:– Unterstützung von öffentlichen Dienststellen und Investitionen im

ländlichen Raum, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen vonFrauen zu verbessern;

– Festlegung auf solche Strategien zu technologischen Entwicklungen,die auf die Bedürfnisse von Frauen in ländlichen Räumen und Bäue-rinnen orientiert sind und die das Wissen, die Fähigkeiten und Er-fahrungen von Frauen in der Lebensmittelherstellung und den pfleg-lichen Umgang mit der biologischen Vielfalt anerkennen;

– Abschätzung und Bewertung der Auswirkungen von landwirtschaft-lichen Praktiken und Techniken wie dem Gebrauch von Pestizidenauf die Gesundheit von Frauen;

– Durchführung von Maßnahmen zur Reduzierung des Gebrauchs vonPestiziden, um auch die entsprechenden Expositionen zu verringern.

Schließlich ist zu konstatieren: Wenn wir die wichtige Bedeutung der Frauenfür eine langfristig sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Entwicklunganerkennen wollen, so ist es entscheidend, ein ausgewogenes Geschlechter-verhältnis auch in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen zuAWWT auf allen Ebenen sicherzustellen und die Organisationen im Be-reich AWWT für Fortschritte in den oben genannten Feldern verantwortlichzu machen.

42 Synthesebericht

Anhang

Vorbehalte gegenüber der

Kurzdarstellung des Syntheseberichts

Vorbehalte zum Gesamttext

Australien: Australien erkennt die Initiative und den Abschluss des Welta-grarberichts an als einen rechtzeitigen, unter breiter Beteiligung erarbeite-ten wichtigen fachübergreifenden Beitrag zur Bewertung und Verbesse-rung von AWWT im Blick auf die weltweiten Herausforderungen, vor denen die Entwicklungspolitik steht. Das weite Spektrum von Beobachtun-gen und Einschätzungen in dem Bericht sind indessen solcher Art, dassAustralien nicht allen Feststellungen und Handlungsvorschlägen zustim-men kann. Der Bericht wir daher als ein nützlicher Beitrag angesehen, derin die Überlegungen zu künftigen Prioritäten und der Weiterentwicklungvon AWWT einbezogen wird, mit dem Ziel, wirtschaftliches Wachstumund die Verminderung von Hunger und Armut zu ermöglichen.

Kanada: Die kanadische Regierung erkennt die bemerkenswerte Arbeit derAutorinnen und Autoren, des Sekretariats und aller anderen am Weltagrar-bericht Beteiligten an. Sie sieht die Kurzdarstellung des Syntheseberichtsals wertvollen und wichtigen Beitrag zu der politischen Debatte an, die aufnationaler wie internationaler Ebene fortgeführt werden muss. Bei allerAchtung vor den Verbesserungen, die im Zuge von Kompromissen erreichtworden sind, verbleiben eine Reihe von Feststellungen und Beobach-tungen, die einer gründlicheren, ausgewogeneren und objektiveren Analysebedürfen. Die Regierung Kanadas tritt dafür ein, dass der Weltagrarberichtvon den Regierungen aufmerksam zur Kenntnis genommen wird, damit diehohe Bedeutung von AWWT und das enorme Potenzial für wirtschaftliches

Anhang: Vorbehalte gegenüber der Kurzdarstellung des Syntheseberichts 43

Wachstum und die Reduzierung von Hunger und Armut in die Entschei-dungen einbezogen wird.

USA: Die USA stimmen mit den anderen Regierungen ganz überein, soweites um die Wichtigkeit von AWWT für die Verfolgung der Ziele geht, dieder Weltagrarbericht sich gesetzt hat. Wir schätzen die unermüdlichen An-strengungen der Autorinnen und Autoren, der Korrektoren, der Vorsitzen-den und des Sekretariats. Wir begrüßen, dass der Weltagrarbericht zumersten Mal einen sehr breitgefächerten Kreis von Interessierten und Betei-ligten zu einem Vorhaben solcher Größenordnung an einen Tisch gebrachthat. Wir respektieren die große Vielfalt von Sichtweisen und die gewinn-bringenden Debatten, die stattgefunden haben. Da wir aber spezifischeund substanzielle Vorbehalte gegenüber Aussagen in allen Teilberichtenhaben, die wir jeweils kenntlich machen, sind die USA nicht in der Lage,den Berichten einfach zuzustimmen.

Die USA sind überzeugt, dass der Weltagrarbericht viele Möglichkeitenzur Förderung von weiteren Meinungsbildungen wie Forschungen bietet.Darüber hinaus anerkennen wir, dass die Berichte ein nützlicher Beitrag fürdie Regierungen sind, um die Rolle von AWWT für ein nachhaltiges wirt-schaftliches Wachstum und die Reduzierung von Hunger und Armut ein-zusetzen.

Vorbehalte zu einzelnen Abschnitten (wie in den Fußnoten notier t)

– Botsuana weist darauf hin, dass dies ein Problem insbesondere inAfrika südlich der Sahara ist.

– Die USA würden folgende Formulierung bevorzugen: „Eine fort-schrittliche Entwicklung von Regelungen zu geistigem Eigentum inLändern, die keine entsprechenden nationale Politik entwickelt ha-ben, und ein fortschrittliches Engagement für die Ausgestaltung desUmgangs mit geistigen Eigentumsrechten.“

44 Synthesebericht

– Die Regierung von Großbritannien weist darauf hin, dass es keineinternational abgestimmte Definition des Begriffs der Ernährungs-souveränität gibt.

– China und die USA sind nicht überzeugt, dass dieser Abschnitt aus-gewogen und umfassend formuliert worden ist.

– Die USA würden die Aufnahme des nachfolgenden Satzes in diesemAbsatz empfehlen: „Die Öffnung nationaler Agrarmärkte für den in-ternationalen Wettbewerb kann wirtschaftliche Vorteile mit sich brin-gen. Dadurch können allerdings auch langfristig nachteilige Wirkun-gen auf Armutsverringerung, Ernährungssicherheit und natürlicheLebensgrundlagen bewirkt werden, solange nicht grundlegende na-tionale Institutionen und Infrastrukturen existieren.“

– Kanada und die USA würden den folgenden Satz bevorzugen: „UmEntwicklungszielen näherzukommen ist es essenziell, Unterstützun-gen für Länder mit niedrigen Einkommen vorzusehen, damit diesesich an liberalisierte Märkte anpassen und Vorteile aus liberalisiertenMärkten ziehen können.“

Synthesebericht

Tei l I :

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen

Autorinnen und Autoren: Inge Armbrecht (Kolumbien), Nienke Beintema (Niederlande), Rym Ben Zid(Tunesien), Fabrice Dreyfus (Frankreich), Shelley Feldman (USA), AmeenahGurib-Fakim (Mauritius), Hans Hurni (Schweiz), Kawther Latiri (Tunesien),Marianne Lefort (Frankreich), Lindela Ndlovu (Simbabwe), Ivette Perfecto(Puerto Rico), Cristina Plencovich (Argentinien), Rajeswari Raina (Indien),Elizabeth Robinson (Großbritannien), Niels Roling (Niederlande), Hong Yang(Australien)59

Unsere Abschätzungen und Bewertungen der Art und Weise, wie agrikul-turelles Wissen inklusive Wissenschaften und Technologien (AWWT) zumErreichen von Entwicklungszielen beitragen, bietet eine Möglichkeit, dar-über nachzudenken, wie Menschen ihre natürlichen Umwelten für ein ge-sundes Leben und die Sicherung ihrer Existenzen nutzen (siehe Abb. 1 a,S. 243). Der Weltagrarbericht erscheint zu einer Zeit, in der die Besorgnisüber langfristige Auswirkungen des Klimawandels und ökologischer Ver-änderungen, die global, national und lokal angemessene Antworten erfor-dern, zunimmt. Kurz gesagt, benötigen wir einen gemeinsamen Ansatzfür eine Politik der Nachhaltigkeit. Diese Erkenntnis steht im Mittelpunktdes Weltagrarberichts: Wie können

59 Die in Johannesburg anwesenden Regierungen haben zu dem Synthesebericht eine gleich-lautende Erklärung wie zur Kurzdarstellung des Syntheseberichts (siehe S. 2) abgegeben. DieseErklärung wird daher hier nicht erneut wiedergegeben.

48 Synthesebericht

– Hunger, Armut und Mittellosigkeit vermindert, – die Lebensgestaltungsmöglichkeiten im ländlichen Raum verbessert

und– eine gleichberechtigte, soziale, ökonomisch und ökologisch nachhal-

tige Entwicklung in die Praxis umgesetzt werden?

Die Gelegenheit zu einer solchen Bilanzierung fällt mit der verbreitetenWahrnehmung zusammen, dass wir zwar erhebliche Erfolge bei Steigerun-gen der Produktionskapazitäten in der Landwirtschaft erreicht haben, ummit der wachsenden Nachfrage Schritt zu halten. Mit etlichen unintendier-ten sozialen und ökologischen Implikationen der technologischen und öko-nomischen Erfolge haben wir uns indessen bisher wenig beschäftigt. Wirkönnen jetzt eher die daraus resultierenden Kosten und Lasten überdenkenund politische Strategien umreißen, um die vor uns liegenden Herausfor-derungen bewältigen zu können. Diese lassen sich vielleicht am treffends-ten als die Ermöglichung von Ernährungssicherheit angesichts schwierigerwerdender ökologischer Bedingungen und globalisierter Wirtschaftsbezie-hungen zusammenfassen Der Weltagrarbericht erkennt die Bedeutung dervielfachen Funktionen der Landwirtschaft und deren Verknüpfungen mitanderen globalen Problemen, wie die Verluste der biologischen Vielfalt undder Ökosystemleistungen den Klimawandel und die abnehmende Ver-fügbarkeit von Wasser. Neuere globale Abschätzungen und Bewertungen60

gelangen teilweise zu denselben Ergebnissen wie der Weltagrarbericht:– Sie anerkennen, dass die bestehenden sozialen und wirtschaftlichen

Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Regionen und Staatenein bedeutendes Hindernis für die Erreichung von Entwicklungszie-len darstellen.

– Es besteht Unsicherheit darüber, ob die Erzeugung von genügendNahrungsmitteln für eine ständig wachsende Weltbevölkerung mitveränderten demographischen Merkmalen, in deren Folge neue An-sprüche an Nahrungsmittel und Ökosystemleistungen die gegen-wärtigen Erzeugungsstrukturen in Frage stellen, auf nachhaltigeWeise möglich ist.

60 Damit sind vor allem die Arbeiten des IPCC zum Klimawandel, das Millenium Ecosystem As-sessment (MA) und das Comprehensive Assessment of Water Management in Agriculture (CAW-MA) gemeint, vgl. www.ipcc.ch, www.MAweb.org und www.earthscan.co.uk.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 49

– Ungewissheit herrscht auch über künftige Entwicklungen der Welt-marktpreise für Nahrungsmittel angesichts der Folgen des Klima-wandels, Veränderungen der internationalen Handelsordnungen,sich ändernder Ernährungsgewohnheiten und eines zunehmendenInteresses an Pflanzentreibstoffen.

– Das Ende billigen Erdöls macht es erforderlich, in Strategien zur Er-nährungssicherheit Faktoren wie Energieeffizienz und die Abhän-gigkeit von Traktoren, synthetischen Düngemitteln, Bewässerungs-anlagen und Transportmitteln mit einzurechnen.

– Rasch wachsende Volkswirtschaften werden gerade durch ihr enor-mes wirtschaftliches Wachstum zu zusätzlichen Konkurrenten umRessourcen.

– Die Zunahme von chronischen Erkrankungen, die jedenfalls teilweiseauf Mangelernährung und mangelnde Lebensmittelsicherheit zu-rückzuführen sind und in armen wie reichen Ländern zu einem An-stieg der Krankheits- und Sterblichkeitsrate führen – zu den zuneh-menden chronischen Erkrankungen zählt auch die Adipositas.

– Sie konstatieren eine absehbare Zunahme von extremen Wetterereig-nissen und zusätzlich das verstärkte Auftreten von Brandgefahren,Schädlingen und Krankheiten, die erhebliche Folgen für die land-wirtschaftliche Erzeugung und Ernährungssicherheit haben werden,zum Beispiel auf Standorte für Lebensmittelproduktion, auf Sied-lungsstrukturen und die Verfügbarkeit von Wasser.

– Es wächst das Verantwortungsgefühl der Menschen für den globalenErhalt der Ökosystemleistungen und dafür, globale, nationale undregionale Regierungs- und Regelungsabläufe so zu ändern, dass einlangfristig sozial und umweltgerechtes Wachstum verantwortlich ge-staltet werden kann.

Wir können diese Zwickmühlen und Dilemmata nicht lösen, indem wirweiterhin auf einen methodologischen Individualismus setzen und anneh-men, dass für die Gemeinschaft nachhaltige und gerechte Ergebnisse alsSumme von Einzelentscheidungen entstehen könnten. Der Weltagrarbe-richt befasst sich mit den drängenden globalen Problemen in einem einzig-artigen integrierten Ansatz, der die Entwicklung und Anwendung mensch-lichen Ideen- und Erfindungsreichtums zur Förderung der Landwirtschaftnutzt. Unter Agrikulturen verstehen wir im weitesten Sinne den Umgang

50 Synthesebericht

mit ökologischen Prozessen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen bil-den, auf eine Weise, die die menschlichen Lebensgestaltungsmöglichkeitennutzt und zugleich dauerhaft bewahrt. Wir nennen das Agrikulturelles Wis-sen inklusive Wissenschaften und Technologien (AWWT). AWWT bezieht sichausdrücklich nicht nur auf technologisches, sondern auch auf wirtschafts-und sozialwissenschaftliches Wissen, das in politische Entscheidungen undinstitutionelle Veränderungen einfließt, die für die Erreichung der Ziele desWeltagrarberichtes erforderlich sind. Darüber hinaus umfasst AWWT nichtnur die institutionalisierten wissenschaftlichen Prozesse und Erkenntnisse,sondern in besonderem Maße auch lokales und überliefertes, traditionellesWissen, das auch heute noch Grundlage des größten Teils der Landwirt-schaft auf der Welt ist.

Der Weltagrarbericht akzeptiert, dass es in Bezug auf die Rolle und dasWesen von AWWT vielfältige Sichtweisen gibt. Lange Jahre haben sich dieAgrarwissenschaften auf die Bereitstellung von Partialtechnologien kon-zentriert, um mit ihrer Hilfe die Produktivität der Betriebe dort zu steigern,wo staatliche Marktregulierungen und institutionelle Regelungen die Ein-führung neuer Technologien vorangetrieben haben. Um von Produktivi-tätssteigerungen profitieren zu können, mussten die Bäuerinnen und Bau-ern kontinuierlich ständig Innovationen durchführen, die Erzeugerpreisesenken und Kosten externalisieren. Dieses Modell war für die erstaunlichenErfolge von AWWT verantwortlich, die nach dem Zweiten Weltkrieg in denIndustrieländern und der seit den 1960er Jahren sich ausbreitenden GrünenRevolution zu beobachten waren. Doch angesichts der Herausforderungen,vor denen wir heute stehen, erkennen auch etablierte wissenschaftlicheund technologieorientierte Organisationen zunehmend, dass das bisherigeAWWT-Modell angepasst und revidiert werden muss. „Weiter so!“ ist kei-ne rationale Option mehr.

Eine wichtige Veränderung könnte darin bestehen, den Schwerpunktvon Forschung und Entwicklung nicht mehr ausschließlich in der öffentli-chen und privatwirtschaftlichen Forschung zu sehen, sondern die Erzeu-gung von Wissen zu demokratisieren. Eine solche Herangehensweise setztdie Beteiligung aller möglichen Akteure voraus, damit die Fähigkeiten derBäuerinnen und Bauern vor Ort einbezogen und für den Wissensaustauschrelevant gemacht werden können. Ein weiteres Feld der Überarbeitung vonAWWT muss darin bestehen, Fragen der Anwendung von AWWT eine

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 51

stärkere Aufmerksamkeit zu widmen. So muss auf die komplexe Rolle vonInstitutionen, Regierungs- und Regelungsstrukturen und Fragen der sozia-len Gerechtigkeit eingegangen werden, die sich entweder förderlich oderhinderlich auf die Umsetzung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszie-len auswirken (siehe Abb. 1 b, S. 244).

Der Weltagrarbericht fußt auf einem Verständnis von AWWT, das ord-nungspolitische Regulierungen, institutionelle Konstellationen, Marktbe-ziehungen und Wissen als Teile einer globalen Ökonomie versteht. DiesesKonzept erkennt diverse Interessen wie auch spezielle Belange ganz unter-schiedlicher landwirtschaftlicher Erzeugungssysteme an, zu denen konven-tionelle oder industrielle, agrarökologische und indigene oder traditionellebäuerliche Verfahren gehören. Der Weltagrarbericht schätzt und bewertetdie Bedeutung von AWWT für Entwicklung und Nachhaltigkeit aus derPerspektive der Multifunktionalität.

Multifunktionalität

Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, dass der Begriff „Multifunk-

tionalität“ ein Instrument im Streit um Handelsregulierungen und Protek-

tionismus wäre. Im vorliegenden Bericht wird der Begriff so nicht definiert.

Wir verwenden diesen Begriff ausschließlich für die unausweichlichen Ver-

flechtungen zwischen den verschiedenen Rollen und Funktionen der Agri-

kultur. Multifunktionalität heißt, dass die Nutzung des fruchtbaren Landes

vielfache Erträge zeitigt, nicht nur marktförmige Güter (Nahrungs- und Fut-

termittel, Textilien, Brennstoffe, Medizin und Schmuck), sondern auch nicht

marktförmige Güter wie Ökosystemleistungen, wundervolle Landschaften

und kulturelle Erbschaften.

Die von der OECD verwendete Definition, die wir auch verwenden, be-

stimmt Multifunktionalität über die spezifischen Merkmale des landwirt-

schaftlichen Produktionsprozesses und seiner Ergebnisse:

1. Unterschiedliche warenförmige und nicht warenförmige Leistungen

werden in der Landwirtschaft zugleich erzeugt.

2. Einige der nicht marktförmigen Leistungen weisen Merkmale externer

Effekte bzw. öffentlicher Güter auf, weil Märkte für diese Güter schlecht

funktionieren oder gar nicht vorhanden sind.

52 Synthesebericht

Im dem vorliegenden Synthesebericht stellen wir Optionen vor, die einervergleichenden Analyse des Globalen Berichts und der fünf Regionalen Be-richte61 entspringen. Sie sind in zwei Themenfelder aufgeteilt: Aktuelle La-ge und Herausforderungen sowie Handlungsmöglichkeiten.

Aktuelle Lage und Herausforderungen

Die Agrikultur und die Wissenssysteme, die sich auf diesen Wirtschaftsbe-reich beziehen, befinden sich derzeit in einer Sackgasse. Zwar gibt es ge-waltige Fortschritte sowohl bei Forschungsergebnissen als auch beim Pro-duktionsumfang, zugleich aber wurden einige der Folgen dieser Fortschrittebisher nicht aufmerksam genug verfolgt. Eine Auseinandersetzung mit die-sen Folgen setzt die Berücksichtigung der enormen Ungleichheiten voraus,

61 Diese fünf sind CWANA: Zentral- und Westasien und Nordafrika, ESAP: Ost- und Südasienund Pazifik, LAC: Lateinamerika und Karibik, NAE: Nordamerika und Europa und SSA: Afri-ka südlich der Sahara. Im Folgenden werden immer die Abkürzungen verwendet.

Die Verwendung des Begriffs ist in den internationalen Verhandlungen

zur Regulierung des Welthandels kontrovers diskutiert worden. Vor allem

ist umstritten, ob „handelsverzerrende“ Agrarsubventionen unerlässlich

sind, damit die Landwirtschaft ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen kann.

Die Fürsprecher machen geltend, dass das derzeitige Gefüge von Agrarsub-

ventionen, internationalem Handel und entsprechenden politischen Rah-

menbedingungen nicht den Übergang zu gleichberechtigten Beziehungen

im Agrar- und Lebensmittelhandel oder nachhaltigen Ernährungs- und Be-

wirtschaftungssystemen fördert, sondern zu negativen Auswirkungen auf

die natürlichen Ressourcen und Agrarökosysteme sowie auf die menschli-

che Gesundheit und Ernährung führt. Die Gegner führen an, dass Bemü-

hungen, dieses Problem mithilfe handelsbezogener Instrumente zu beseiti-

gen, die Nützlichkeit des Agrarhandels schwächen und eine weitere uner-

wünschte Marktverzerrung zur Folge haben würden. Sie ziehen es vor, die

Probleme der externalisierten Kosten sowie der negativen Auswirkungen

auf die Umwelt sowie Gesundheit und Ernährung von Menschen mit ande-

ren Mitteln zu behandeln.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 53

die zwischen Regionen und Ländern bzw. innerhalb von Regionen undLändern herrschen. Als Bürgerinnen und Bürger unserer einen Welt habenwir keine Zeit zu verlieren.

Heute sind eine asymmetrische Entwicklung, eine nicht nachhaltigeNutzung natürlicher Lebensgrundlagen sowie anhaltende Armut und Mit-tellosigkeit in Städten und ländlichen Gegenden zu beobachten. Dass es eineweltweite Umwelt- und Entwicklungskrise gibt, ist Allgemeingut gewor-den. Es ist auch klar, dass die Auswirkungen der globalen Veränderungenam stärksten die ärmsten Menschen zu spüren bekommen, deren Chancenauf wirtschaftliche Entfaltung und gleichberechtigte Mitwirkung in der Ge-sellschaft ohnehin seit jeher begrenzt waren.

AWWT und Veränderungen der Landwir tschaft

Landwirtschaftliche Produktivität und Produktionsmengen sind, angetrie-ben durch mehrere Faktoren, stetig gewachsen. Zu den treibenden Fakto-ren gehört auch die Erzeugung und Anwendung von AWWT. Währenddiese Entwicklung in NAE bereits seit den 1940er Jahren anhält, hat sie inanderen Regionen der Welt erst in den 1960er, 1970er oder 1980er Jahreneingesetzt. In einigen Teilen der nicht industrialisierten Länder ist institu-tionalisiertes AWWT als relevante Triebkraft für den Wandel der Agrikul-tur noch gar nicht in Erscheinung getreten. Die Geschwindigkeit, mit dertechnologische Innovationen entwickelt und angewandt wurden, ist enormunterschiedlich. Die Region NAE dominiert nach Menge und Produktvielfaltdie weltweiten agrarischen Exporte, die globalisierten Wertschöpfungsket-ten wie auch die Entwicklung landwirtschaftlicher Technologien (Hocher-tragssorten, synthetische Düngemittel, Agrarchemikalien und maschinen-bauliche Technologien); zugleich ist diese Region in der letzten Zeit auchführend bei Veränderungen in Richtung einer ökologischen und natur-gerechten Landnutzung, was wiederum bei der Ausgestaltung von Maß-nahmen und Institutionen bezüglich AWWT in anderen Regionen hilfreichwar. Global gesehen ist es dringend erforderlich, AWWT neu zu beleben undzu stärken. Die bedeutenden regionalen Unterschiede der Agrarökosyste-me, des Zugangs zu institutionalisierter Wissenschaft und Technologienebenso wie die vielfältigen Implikationen für Menschen und Ökosystemestellen allerdings die fortgesetzte Vorherrschaft eines gleichförmigen Kon-zepts für AWWT auf institutioneller Ebene in Frage. Das gegenwärtige glo-

54 Synthesebericht

bale System setzt Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die großenteils Sub-sistenzlandwirtschaft in Regenfeldbauregionen betreiben, der direktenKonkurrenz von landwirtschaftlichen Betrieben aus, die seit Jahrzehntenpolitisch und wirtschaftlich so unterstützt wurden, dass sie in zunehmen-dem Maße von volumenbedingten Kosteneinsparungen durch Spezialisie-rung und zugleich von einer Externalisierung von sozialen und Umwelt-kosten profitieren konnten.

Wir tschaft l iche Bedeutung , Armut und Erwar tungen hinsicht l ich der Existenzsicherung

Obwohl die Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen ist,ist ihr Anteil am nationalen Bruttoinlandsprodukt in allen Regionen konti-nuierlich zurückgegangen. Der Anteil der vom landwirtschaftlichen Sektorabhängigen Bevölkerung reicht von 3 % in der Region NAE bis zu 60 % inden Regionen ESAP und SSA. Die Landwirtschaft spielt in unterschiedli-chen geopolitischen Kontexten und Ökosystemen nach wie vor eine bedeu-tende wirtschaftliche und soziale Rolle; sie beschäftigt derzeit 2,6 Milliar-den Menschen. Der Großteil der mittellosen und hungernden Menschen inder Welt lebt in ländlichen Räumen und ist für die Sicherung seiner Exis-tenz direkt oder indirekt von Landnutzung abhängig.

Ein Übergang von agrarisch geprägten zu industriell oder vom Dienst-leistungssektor geprägten Volkswirtschaften hat zwar in vielen Teilen derWelt stattgefunden, aber die Art und Geschwindigkeit des industriewirt-schaftlichen Wachstums ist höchst unterschiedlich verlaufen, wobei die Be-völkerung in ländlichen Räumen von einem immer kleineren Anteil deswirtschaftlichen Wohlstands überleben muss. Zusätzlich haben sich globalwie national die Handelsbedingungen für die Landwirtschaft verschlech-tert.62 Die Last der Armut und Mittellosigkeit im landwirtschaftlichen Sek-tor steht in keinem Verhältnis zu den großen und weit gespannten Erwar-tungen an die Landwirtschaft.

AWWT und landwirtschaftliche Erzeugung und Verarbeitung von Le-bensmitteln können einen signifikanten Beitrag zur Minderung der Armutder mehr als 1,2 Milliarden Menschen, die von weniger als 75 €-Cent am

62 Diese betreffen insbesondere die Relation der Preise für agrarische Produkte zu denen fürIndustriegüter.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 55

Tag leben müssen, leisten. Auch können für die mehr als 800 Millionen un-terernährte Menschen angemessen viele und gesunde Nahrungsmittel be-reitgestellt werden. Die Neuausrichtung von AWWT mit dem Ziel, Armutund Mittellosigkeit zu bekämpfen und der armen Bevölkerung in ländli-chen Räumen bessere Möglichkeiten zur Sicherung ihrer Lebensgestaltungzu verschaffen – insbesondere Landlosen, kleinbäuerlichen Gemeinschaf-ten, Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern und Beschäftigten iminformellen Sektor der städtischen Agglomerationen63 – stellt aktuell einebedeutende Herausforderung dar. Auf der übergreifenden Ebene bestehtunsere Aufgabe darin, die Agrikulturen in die Lage zu versetzen, die ge-sellschaftlichen Armutslasten zu bekämpfen, indem politische Maßnahmenentwickelt werden, die innerhalb des landwirtschaftlichen Bereichs wieauch durch Verknüpfungen mit anderen Wirtschaftsbereichen positive Ent-wicklungen ermöglichen.

Entwicklungsmodel le und Umwelt

Die entscheidenden Ursachen für den ökologischen Wandel lassen sich amehesten verstehen als Folgen der Entwicklungsmodelle, die im 20. Jahrhun-dert gang und gäbe waren. Allgemein gesprochen wird die regionale Un-ausgewogenheit des wirtschaftlichen Wachstums, dessen Beitrag zur ökolo-gischen Krise und deren Auswirkungen in den Ländern des Nordens unddes Südens unterschiedlich erfahren. Es gibt zahlreiche ursächliche Ver-knüpfungen zwischen Umweltdegradationen und Armut, die noch durchungleiche Verteilung und ungleichen Zugang zu Mitteln der Lebensgestal-tung (Naturgütern, finanziellem Kapital, Informationen usw.) zwischenden Welt-Regionen und auch innerhalb von Ländern noch verstärkt wer-den. Beispielsweise werden die kleinen Inselstaaten oder die in flachenKüstengebieten lebende Bevölkerung von nicht industrialisierten Ländern,obwohl sie am wenigsten zur globalen Erwärmung beitragen, als erste un-tergehen beziehungsweise umsiedeln müssen, weil sie kaum oder gar nicht

63 Insbesondere in nicht industrialisierten und Schwellenländern entstehen mit großer Ge-schwindigkeit sog. Megastädte mit mehr als 10 Mill. Einwohnern. Diese sind allerdings keineStädte, wie wir sie aus der Geschichte kennen, sondern riesige Ansammlungen von Slums miteingestreuten Wohlstandsinseln.

56 Synthesebericht

über die erforderlichen Organisationen, Institutionen oder Mittel zum Um-gang mit solchen Krisen wie einem Anstieg des Meeresspiegels verfügen.

Quer durch alle Regionen sind die Ärmsten, darunter ein unverhältnis-mäßig hoher Anteil Frauen und Kinder, diejenigen, die am elementarstendurch zunehmende natürliche wie menschengemachte Umweltkatastro-phen gefährdet sein werden. Die stärkere Anerkennung, Befähigung undBerechtigung von Frauen als Quellen von Wissen über örtliche Ökosystemeund als tragende Pfeiler der landwirtschaftlichen Arbeit (62 % in Ostasien,66 % in SSA und 69 % in Südasien) ist für jede Entwicklung und die Anpas-sung an Umweltveränderungen von grundlegender Bedeutung. In Teilender Regionen CWANA und SSA (zum Beispiel Lesotho oder Jemen) sindimmer noch Gesetze in Kraft, die Frauen das Recht zum Besitz von Landund zur freien Teilnahme am wirtschaftlichen Leben64 untersagen. Selbst inden wohlsituierten Ländern der Region NAE, die über gute Kenntnis vongeeigneten Handlungsperspektiven verfügen, sind bis heute nur minimaleMaßnahmen zur Schadensbegrenzung und Anpassung an den globalenKlimawandel ergriffen worden.

Regionale Ungleichheiten und die Erreichung von Entwicklungs- und Nachhalt igkeitszielen

So, wie die gegenwärtigen Umstände bei landwirtschaftlicher Erzeugung,Umweltschädigungen, Ungleichheit und Verfügbarkeit von und Zugang zufortgeschrittenen Technologien von Region zu Region variieren, so vielfäl-tig ist auch die Wahrnehmung der Herausforderungen und der Wichtigkeitvon Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen gegenüber anderen Planun-gen und politischen Zielen. Entscheidungsträger auf globaler, regionalerund nationaler Ebene müssen sich sehr klar vor Augen führen, dass es viel-fältige Herausforderungen, zahlreiche theoretischen Rahmenkonzepte undVorstellungen darüber, was Entwicklung eigentlich bedeutet, und dazunoch weit gefächerte Handlungsmöglichkeiten gibt. Unser Verständnis der

64 Der englische Begriff market citizenship drückt aus, dass es um gleiche wirtschaftliche Rechtegeht. Diese beziehen sich vor allem auf Land- und Grundbesitz sowie auf das Recht, Betriebezu gründen und zu besitzen.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 57

Aufgaben und die Wahl, die wir an dieser Weggabelung in der Geschichtetreffen, wird die Zukunft der Menschen und ihrer Umwelten mitbestim-men.

Die Verpflichtung, Armut und Lebensgestaltungsmöglichkeiten in den Mittel-punkt der Politik zu stellen, spiegelt die unverzichtbare Funktion der Land-wirtschaft und ihrer Beschäftigungswirkungen in nicht industrialisiertenLändern wider, in denen 30 % bis 60 % des Lebensunterhaltes aus derLandwirtschaft und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aktivitätenstammen. In der Region NAE, wo Nahrungsmittelunsicherheit und Hun-ger keine großen Probleme mehr darstellen, hat sich die AufmerksamkeitFragen der relativen Armut, der raschen Abnahme von Arbeit und Umbrü-chen in den Lebensgestaltungsmöglichkeiten in ländlichen Räumen zuge-wandt.

Die Zahl der hungernden Menschen zu verringern ist ein wichtiges Ziel inallen Regionen der nicht industrialisierten Welt: CWANA, ESAP, LAC undSSA. Im Zeitraum von 2001 bis 2003 gab es 854 Millionen unterernährteMenschen, von denen nur neun Millionen in Industrieländern, hingegen61 % in der Region ESAP lebten; das entspricht 15 % der Bevölkerung die-ser Region. Im Vergleich dazu bedeuten die 206 Millionen unterernährterMenschen in der Region SSA 32 % der Gesamtbevölkerung. Die dennocherhebliche Zahl hungernder und unterernährter Menschen in der RegionNAE allerdings zeigt, dass eine Produktion auf hohem Niveau nicht unbe-dingt die Reduzierung des Hungers bedeutet.

Die Verbesserung von Gesundheit und Ernährung ist in allen Regionen vongroßer Bedeutung. AWWT kann helfen, in Bezug auf Ernährungs- undNahrungsmittelsicherheit, chronische und Infektionskrankheiten und Ge-sundheit bei der beruflichen Arbeit Fortschritte für die Gesundheit insge-samt zu erzielen. Unterernährung ist insbesondere in den Regionen SSAund CWANA eine Hauptursache für gesundheitliche Probleme und Einbu-ßen der Arbeitsfähigkeit. Nahrungsmittelsicherheit ist in allen Regionen einwichtiges Element von Gesundheit. Zugleich lässt sich eine Zunahme vonÜbergewicht, Adipositas und chronischen Krankheiten in allen Ländernbeobachten, die AWWT unangemessen nutzen. Neue und wieder auftre-tende Infektionskrankheiten verursachen in den Regionen SSA, CWANA,und ESAP anhaltend große Probleme. Die relative Belastung durch berufs-bedingte Krankheiten ist in der Region NAE am niedrigsten.

58 Synthesebericht

Umweltziele sind weltweit von Bedeutung trotz der Belastung der Umweltin NAE durch die vergleichsweise starke Industrialisierung, Urbanisierungund Intensivlandwirtschaft; in der Region SSA resultiert sie aus Bemühun-gen um Produktivitätssteigerungen selbst dann, wenn sie nur auf Kostenvon Gütern und Leistungen aus den Ökosystemen erreicht werden können.Das stimmt mit dem relativen Anteil der Landwirtschaft an der Beeinträchti-gung der natürlichen Lebensgrundlagen und der relativen Bedeutung derLandwirtschaft in den Volkswirtschaften der einzelnen Regionen überein.Dies wird in den Zusammenfassungen der Regionalen Berichte dargelegt.

Gleichberechtigung ist in allen Regionen wichtig. Dieses Ziel richtet dieAufmerksamkeit auf die bestehenden Ungleichheiten bei der Verteilungvon und dem Zugang zu Mitteln für Erzeugung und Existenzsicherung so-wie auf die allgemeine Einkommensungleichheit, die in der Region LACbesonders extrem ist. Regionale Analysen (ESAP, LAC und SSA) zeigen,dass die ungleiche Verteilung von Mitteln zur Lebensgestaltung Entwick-lungsbedarf aufzeigt und zugleich ein wesentliches Hindernis für die Errei-chung aller anderen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele darstellt.

Nutzungssysteme des f ruchtbaren Landes

Die Agrikultur ist heute in ihren Möglichkeiten zur Eingrenzung von Ar-mut und zur Bereitstellung einer Vielzahl von Lebensgestaltungsmöglich-keiten in ländlichen Räumen eingeschränkt. Es gibt sehr unterschiedlicheNutzungssysteme des fruchtbaren Landes, die von großen kapitalintensivenbis hin zu kleinen arbeitsintensiven Systemen reichen. Im 20. Jahrhunderthat in der Region NAE eine zunehmende Spezialisierung der Bewirtschaf-tungssysteme stattgefunden, großteils bedingt durch Politik und Maßnah-men, die eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung bewirkensollten (unter anderem durch Ausweitung der Nutzflächen, Subventionen,Preisstützungen, Außenschutz). Die meisten Bäuerinnen und Bauern derRegionen CWANA, ESAP, LAC und SSA arbeiten in kleinen Betrieben undsichern ihren Lebensunterhalt durch Mischkulturen, Früchte von Bäumen,Tierhaltung und Arbeit außerhalb ihres Betriebes. In den nicht industriali-sierten Ländern führen begrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten in ländli-chen wie urbanen Gebieten insgesamt zu einer Verschlechterung der wirt-schaftlichen Tragfähigkeit der Subsistenzlandwirtschaft. Dies rührt daher,

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 59

dass Bäuerinnen und Bauern angewiesen sind auf wirtschaftlich oft nichtgesunde Kleinbetriebe, die unter steigenden Kosten für Dünger und Pesti-zide, stagnierenden Erzeugerpreisen und subventionierten Billig-Einfuhrenleiden und nur geringe Überschüsse abwerfen.

Zusätzlich werden insbesondere moderne biologische, chemische undmaschinelle Technologien für Betriebe und Bewirtschaftungssysteme ent-wickelt, die über die entsprechenden rechtlichen und materiellen Voraus-setzungen für die Erzeugung von Marktfrüchten und Massengütern in ver-tikal integrierten Wertschöpfungsketten65 verfügen. Soweit Regierungen,privatwirtschaftliche oder zivilgesellschaftliche Organisationen die Erzeu-gung größerer Volumina mit entsprechender technischer und finanziellerUnterstützung ermöglicht haben, haben auch kleinbäuerliche Betriebe ihreProduktion intensiviert und von einer zunehmenden Marktintegration pro-fitiert. Obwohl die Produktivität pro Flächen- und Energieeinheit bei die-sen kleinen und diversifizierten Betrieben wesentlich höher ist als beigroßen Intensivbewirtschaftungssystemen mit künstlicher Bewässerung, be-achtet institutionalisiertes AWWT erstere weiterhin nicht angemessen (Teil II:Energie aus Biomasse; Klimawandel).

In der semiariden Region CWANA begünstigen die gegenwärtigen Be-dingungen großflächige Monokulturen, die hohe Investitionen (in Wasser-versorgung, Maschinen und Agrarchemikalien) erfordern und die Umweltschädigen. AWWT und Anreize für bessere Einkommensmöglichkeiten inkleinen landwirtschaftlichen Betrieben können jedoch auch hier zu positi-ven Perspektiven führen. Die Herausforderung für AWWT besteht darin,Lösungen für solche Kleinbetriebe in ganz unterschiedlichen Ökosystemenzu finden und für diese realistische Entwicklungsmöglichkeiten zu schaf-fen. Das Potenzial für eine verbesserte Flächenproduktivität nimmt insge-samt ab, außer in einigen wenigen Regionen der Welt mittels low input- undarbeitsintensiver Landwirtschaft.

Es gibt eine signifikante Entsprechung zwischen Kapitaleinsatz in derLandwirtschaft und der je Arbeitskraft erzielten Wertschöpfung. In Län-

65 Dies sind Wertschöpfungsketten, die vom pflanzlichen oder tierischen Rohstoff, dessen Ver-arbeitung bis zum Einzelhandel reichen. Alle global agierenden Lebensmittelmultis wie Wal-Mart, Carrefour, Metro, Aldi arbeiten nach diesem Prinzip. Auf diese Weise können sie nichtnur die Vorteile großvolumiger Verarbeitung nutzen, sondern zugleich eine erdrückende Ab-nahmemacht vor allem gegenüber kleineren Erzeugern aufbauen und durchsetzen.

60 Synthesebericht

dern der Region CWANA beispielsweise mit einer kapitalintensivenLandwirtschaft ist die Wertschöpfung pro Arbeitskraft hoch. In vielennicht industrialisierten Ländern, insbesondere in der Region SSA und denam wenigsten entwickelten Ländern in der Region ESAP, resultiert aus dergeringen Kapitalausstattung der Landwirtschaft eine geringe Wertschöp-fung, wodurch der Teufelskreis von Armut und Mittellosigkeit in der Agri-kultur und in ländlichen Räumen noch verfestigt wird. Diese ungünstigenBedingungen gehen oft mit der Abnahme von Beschäftigungsmöglich-keiten in der Landnutzung einher, sodass Landarbeiterinnen und Landar-beiter gezwungen sind, sich eine andere Beschäftigung außerhalb von bäu-erlichen Betrieben zu suchen. Unglücklicherweise ist auch der allgemeineArbeitsmarkt durch hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet, besonders fürden relativ großen Anteil junger und unausgebildeter Menschen, die Arbeitsuchen. Der in Teilen der Regionen ESAP und LAC entstandene biologi-sche und ökologische Anbau kann zwar mehr Arbeitsplätze bereitstellen,absolut gesehen sind die Arbeitslosenzahlen aber besonders in der RegionESAP sehr hoch. In den Regionen SSA und ESAP sowie in Ländern andererWeltgegenden mit einem Arbeitskräfteüberschuss muss dringend unter-sucht werden, inwieweit eine bessere Verknüpfung landwirtschaftlicherund ländlicher Erzeugung mit Wachstum im industriellen und im Dienst-leistungssektor möglich ist. In seiner derzeitigen Form – ob als wissen-schaftliche und technologische Institutionen oder als lokales und traditio-nelles, für bestimmte Agrarökosysteme spezifisches Wissen – kann AWWTnur begrenzt Veränderungen in den Institutionen anstoßen, die für dieRahmenbedingungen menschlicher Interaktionen, für gleichberechtigteund gerechte Regierungsstrukturen sowie lebendige und vielfältige Bezie-hungen mit anderen Wirtschaftsbereichen maßgeblich sind.

Marktverhältnisse, - entwicklungen und -anforderungen

Massengüter aus agrikultureller Erzeugung sind in unserer Zeit einem lang-anhaltendem Preisverfall mit starken Schwankungen ausgesetzt. Die Zu-kunftsannahmen des Weltagrarrats für die Welternährung gehen von einerVerknappung auf den globalen Lebensmittelmärkten aus, einer zunehmen-den Konzentration des Marktes bei einigen wenigen Unternehmen und ei-nem rapiden Wachstum global agierender Einzelhandelsketten in allen nicht

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 61

industrialisierten Ländern (siehe Abb. 2, S. 245). bei gleichzeitiger Abnahmevon Ökosystemleistungen und physikalischen Ressourcen66 mit negativenImplikationen für die Ernährungssicherheit. Für das meiste Getreide undFleisch wird für die kommenden Jahrzehnte ein Anstieg der realen Preise an-genommen, eine drastische Umkehr früherer Trends. Millionen von klein-bäuerlichen Produzenten sowie von Arbeitern ohne Landbesitz in nicht indus-trialisierten Ländern und auf unentwickelten Märkten, die schon jetzt durchVeränderungen der globalen und regionalen Handelsströmen geschwächtsind, die durch unzureichende Marktzugänge, eine schlechte Verhandlungs-position67 und Ausbildungsdefizite neue Nachfragefelder für Lebensmittelschlecht bedienen können, werden unter einem schlechteren Zugang zu Le-bensmitteln und größeren Problemen ihrer Existenzsicherung zu leiden haben.

Das Problem Ernährungsunsicherheit wird sich wahrscheinlich nochverstärken, wenn die Märkte und marktorientierten landwirtschaftlichenProduktionssysteme so weitermachen wie bislang. Im Jahr 2050 wird es aufder Welt 80 Millionen stark unterernährte Kinder geben, die meisten inSüdasien und der Region SSA. Landwirtschaftliche Subventionen der In-dustrieländer und Vorteile der landwirtschaftlichen Wertschöpfung pro Ar-beitskraft verhindern Exporte landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus SSAund verzerren die dortigen Binnenmärkte, weshalb den Produzenten An-reize für die Anwendung neuer Technologien und die Steigerung der Pro-duktivität im Pflanzenbau fehlen. In den Regionen CWANA und ESAPwird das vielgestaltige Problem der Ernährungssicherung für die Zukunftzusätzlich durch Handelsbarrieren (zum Beispiel geistige Eigentumsrechte,Qualitätsstandards), innenpolitische marktverzerrende Maßnahmen undinternationale Protokolle oder Beschränkungen vergrößert. Die Herausfor-derungen der Ernährungssicherung werden wahrscheinlich bestehendeKonflikte, grenzüberschreitende Spannungen und Probleme der Erhaltungder natürlichen Lebensgrundlagen vermehren.

In den Regionen CWANA, ESAP, LAC und SSA sind Mechanismen ein-gerichtet worden, die die Produzenten vor Preisschwankungen schützenund ihren Zugang zu beziehungsweise. die Einhaltung von neuen Quali-tätsstandards oder Handelsbestimmungen, wie sanitäre oder phytosanitäre

66 Eine solche Ressource ist zum Beispiel Phosphat. Die geschätzten Weltvorräte reichen beikonservativen Verbrauchsannahmen noch etwa 30 Jahre.67 Diese ist eine Folge der rapiden Konzentration in Lebensmittelhandel und -verarbeitung.

62 Synthesebericht

Maßnahmen (SPS),68 sicherstellen sollen; diese Mechanismen beinhaltenauch börsenorientierte Instrumente wie den Terminhandel,69 die für klein-bäuerliche Betriebe nur schwer zugänglich sind. Zu diesen Instrumentengehören auch Verwaltungsausschüsse für landwirtschaftliche Massengüterund Preisregulierungen,70 die wiederum den Ansprüchen großer Aufkäufernicht genehm sind (Teil II: Handel und Märkte). Regionale Vereinbarun-gen, Abkommen über Handelspräferenzen sowie Handelskartelle zwischennicht industrialisierten Ländern dokumentieren ein wachsendes Misstrau-en gegenüber den nicht akzeptablen Regeln des Welthandels, die als nichtausgewogen wahrgenommen werden. Insgesamt kann man sagen, dassauch unter Beachtung der komplexen sozioökonomischen Kontexte, dergeopolitischen und ökologischen Prozesse in den Landwirtschaften undden mit ihnen verbundenen Wirtschaftsbereichen staatlich unterstützteund regulierte Märkte effektive Instrumente für die Bekämpfung von Ar-mut und Mittellosigkeit, zur Existenz- und Einkommenssicherung sowiezur Sicherung der Leistungen der Ökosysteme und der Verantwortung derLandwirtschaft für die Ernährungssicherung sein können.

Multi funkt ionale Agrikult uren

Multifunktionalität kennzeichnet eine Agrikultur, die: – Lebensmittel für die Verbraucher, – Existenzgrundlage und Einkommen für die Erzeuger und – eine Vielzahl von öffentlichen und privaten Gütern für die Bürger

und ihre Umwelt samt funktionierenden Ökosystemen bereitstellt.

Die Spezialisierung in der globalen Arbeitsteilung der Land- und Lebens-mittelwirtschaft, abhängig von politischen Strategien und öffentlichen In-vestitionen in Erzeugung und Vermarktung, haben dazu geführt, dass dieAgrikultur als rein betriebswirtschaftliche Profession betrachtet wird, de-

68 Im Rahmen der WTO gibt es Regelungen zur Zulässigkeit von Handelseinschränkungenaus ebensolchen Gründen.69 Der Terminhandel besteht darin, dass Ernten zu einem Zeitpunkt gekauft und gehandeltwerden, an dem es sie materiell noch gar nicht gibt. Dies ermöglicht einerseits ein Einkommenfür die Produzenten, andererseits werden so Spekulationen aller Art begünstigt.70 Hier geht es um Preisfestsetzungen für Grundnahrungsmittel oder wirtschaftlich besondersbedeutsame Güter.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 63

ren Ergebnisse in Massengütern und Geldeinheiten gemessen werden. Inden spezialisierten Erzeugungssystemen in der Region NAE und teilweisein den Regionen ESAP, CWANA und LAC ziehen die vielfältigen (nichtmonetären und nicht mengenbezogenen) Aufgaben und Funktionen derLandwirtschaft politische Aufmerksamkeit zumeist nur dann auf sich,wenn es um mögliche öffentliche Aufwendungen für indirekte Unterstüt-zungen, Erzeugung oder Handel geht. In den weniger begüterten, aber da-für diversifizierteren Agrikulturen der Welt, besonders in der Region SSAund in großen Teilen der Regionen LAC, ESAP und CWANA wird die Mul-tifunktionalität der Agrikulturen als wichtiger Faktor im Kampf gegen denVerlust von biologischer Vielfalt, als Ermutigung für naturgerechte Erzeu-gung wie von lokalem und traditionellem Wissen, als Weg für gesündereErnährung und Gleichberechtigung der Frauen durch vielfältige Erzeu-gung und Verarbeitung verstanden, die dazu noch einen ganzen Straußvon Lebensgestaltungsmöglichkeiten in ländlichen Räumen eröffnen.

Diese regional jeweils besonderen agrikulturellen Systeme können auf-grund der unausweichlichen Verknüpfungen und Wechselwirkungen derunterschiedlichen Rollen und Funktionen der Landwirtschaft entwedersehr verletzlich oder nachhaltig sein. AWWT hat sich auf institutionellerEbene bisher vor allem an einer verstärkten Spezialisierung der Massengü-terproduktion ausgerichtet, aber so die Optimierung des Gesamtergebnis-ses dynamischer multifunktionaler Systeme, die biophysischen und so-zioökonomischen Komponenten ausgeschlossen. Eine Aufgabe für AWWTbesteht daher darin, den Mangel an Forschungen in den geographischen,sozialen, ökologischen, anthropologischen und anderen evolutionsbezoge-nen Wissenschaften, die sich mit vielfältigen agrikulturellen Ökosystemenbefassen, zu überwinden. Solche Forschungen sind für die Ausarbeitung,Verbesserung und Schaffung von Umgangsmöglichkeiten notwendig. Sieunterstützen die Multifunktionalität und können dazu beitragen, eine lang-fristig naturgerechte Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen und de-ren effizienten Einsatz in der Erzeugung zu verbessern.

Die sozialen und kulturellen Implikationen der Lebensgestaltungsmög-lichkeiten, von Armut, Ernährung und Naturschutz – ob in den hoch pro-duktiven gemischten Verfahren aus pflanzlicher und tierischer Erzeugungin feuchten Regionen oder in den wenig produktiven Systemen von Pflan-zen-, Futter- und Fasererzeugung und solchen mit kleinen Wiederkäuern in

64 Synthesebericht

den ariden Regionen von SSA – unterscheiden sich von den soziokulturel-len Implikationen der Lebensgestaltungsmöglichkeiten und Einkommen,die in Frankreich oder Kalifornien durch kommerzielle Erzeugung bereit-gestellt werden. Ebenso implizieren vorhandene Subventionen, Zölle undInvestitionen für die Landwirtschaft in Ländern wie Indien, China und Ja-pan in der Region ESAP und Ländern wie Tunesien und Syrien in der RegionCWANA unterschiedliche Voraussetzungen, Interessen, Institutionen undRegulierungen im Umgang mit den Wechselbeziehungen zwischen Erzeu-gungs- und Umweltfunktionen der Landnutzung. Wie wir aus der hochumstrittenen Zucker- und Baumwollproduktion und den zugehörigenHandelsstreitigkeiten gelernt haben, bestimmen die relative wirtschaftlicheund ökologische Anfälligkeit, unterschiedliche staatliche Unterstützung,die kommerzielle Struktur von Produktion und Verarbeitung und die je-weiligen Marktordnungen die Beziehungsstruktur zwischen den wirt-schaftlichen, sozialen und ökologischen Funktionen der Landwirtschaft. Esentwickelt sich eine wachsende Anerkennung für die Multifunktionalitätder Landwirtschaft. Diese kann positive Auswirkungen auf die nachhaltigeNutzung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Verringerung der Ar-mut haben und zur Beseitigung von Hunger und Unterernährung beitra-gen. Für AWWT resultieren aus den multifunktionalen landwirtschaftli-chen Systemen wesentliche Fragestellungen: – Wie können wir gleichzeitig eine Produktivitätssteigerung erreichen

bei der Nahrungs- und Futtermittelerzeugung, im Kontext sich än-dernder Ernährungsgewohnheiten, die Faser- und Brennholzpro-duktion sichern und den gegenwärtig und zukünftig wachsendenEnergiebedarf decken sowie auch die Umwelt- und Kulturleistungender Agrarökosysteme gewährleisten ?

– Wie kann die Versorgung mit sauberem Wasser sichergestellt, diebiologische Vielfalt erhalten, wie können die natürlichen Lebens-grundlagen nachhaltig genutzt und die Schäden aus landwirtschaft-lichen Praktiken für Menschen und Umwelt verringert werden?

– Wie können wir die sozialen Wohlfahrtseffekte und die persönlichenLebensgestaltungsmöglichkeiten im Agrarsektor verbessern und dieresultierenden wirtschaftlichen Vorteile für andere Wirtschaftsberei-che ausbauen?

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 65

– Wie können wir Bäuerinnen und Bauern und ländliche Bevölkerungin marginalisierten Gebieten rechtlich und wirtschaftlich in die Lageversetzen, dass sie die Vielfalt agrikultureller Praktiken in der Erzeu-gung und Verarbeitung von Lebensmitteln, einschließlich ihrer kul-turellen Dimensionen, erhalten?

– Wie können wir die Produktivität in ertragsschwachen Gebieten mitRegenfeldbau steigern und sie mit lokalen, nationalen und globalenMärkten verbinden?

Nutzung und Zerstörung der natürl ichen Lebensgrundlagen

In allen Regionen hat es ohne Ausnahme signifikante Veränderungen derLandnutzung gegeben. Während in der Region SSA in den letzten zwanzigJahren mehr Land unter den Pflug gebracht wurde als zu irgendeinemZeitpunkt der Menschheitsgeschichte auf dem Subkontinent, lässt sich inden Regionen NAE, ESAP und LAC eine deutlicher Anstieg der Produk-tion ohne Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche beobachten. Ingroßen Teilen der Region CWANA wird eine solche Ausdehnung durchWassermangel eingeschränkt. In allen Regionen hat die Landwirtschaft zurBodendegradation beigetragen. In Regionen mit intensiven und industriali-sierten Erzeugungssystemen (ESAP, LAC und NAE), ist der relative Anteilder landnutzungsbedingten Verschlechterung höher als in anderen Gebie-ten. Durchschnittlich sind 35 % der weltweit stark degradierten Böden auflandwirtschaftliche Praktiken zurückzuführen.

Nicht hinreichend kodifizierte und administrativ durchgesetzte Besitz-rechte in Bezug auf Gemeinschaftsgüter71 (SSA), fehlende Besitzrechte fürFrauen (CWANA, ESAP, LAC, SSA) und Kastenordnungen oder andere so-ziale Hierarchien, die den Zugang zu Produktionsmitteln erschweren (ESAP,LAC, SSA), haben zu einer Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagenbeigetragen. Insgesamt haben das Bevölkerungswachstum, ein wachsenderDruck, Einkommen aus den natürlichen Quellen (unter Verwendung immerteurerer Dünge- und Pflanzenschutzmittel) zu erzielen und technische Gene-ralrezepturen, die die regionalen Verschiedenheiten der naturräumlichenGegebenheiten nicht berücksichtigen, zu einer Intensivierung von Erzeu-

71 Gemeinschaftsgüter sind vor allem Wasser und Luft, können aber auch Wälder und Weide-flächen sein.

66 Synthesebericht

gung und Entnahme aus den Ökosystemen bei Nutzpflanzen und Massen-gütern, Tierhaltung, Fischerei und Forstwirtschaft geführt. Daraus resultiert,dass Enklaven einer Intensiv-Landnutzung in den Regionen CWANA, ESAPund LAC wie auch in der Region NAE zu einer schleichenden Zerstörungvon Böden und Wasser sowie zu Verunreinigungen beitragen, die den glo-balen Temperaturanstieg fördern. Diese Entwicklungen führen dazu, dassin nicht industrialisierten Ländern die beschränkten staatlichen Mittel auchfür den Umgang mit Folgen des Klimawandels eingesetzt werden müssen(Teil II: Umgang mit natürlichen Ressourcen; Klimawandel).

Die komplexen Zusammenhänge zwischen Armut in ländlichen Räu-men und der Beeinträchtigung von natürlichen Lebensgrundlagen sind fürdie trockenen Zonen der Regionen in SSA, Südasien und CWANA, denÖkosystemen in den bergigen Arealen der Region LAC und den Küstenge-bieten aller Regionen zu beobachten. Vorhandenen Erkenntnissen über etli-che naturgerechte Verfahrensweisen, gemeinschaftliche Nutzungen vonNaturgütern und Verbesserungen bei sozialen Vereinbarungen und institu-tionellen Strukturen zum Trotz wird bislang wenig Mühe von AWWT inseinem institutionalisiertem Sektor darauf verwandt, aus diesen Einsichtenzu lernen und entsprechende Folgerungen für andere agrarökologischeKonstellationen und Gesellschaften abzuleiten. In den Regionen werdenzwar Themen wie die abnehmende Qualität und Verfügbarkeit von Wasser,der Verlust biologischer Vielfalt, der Zugang von Bäuerinnen und Bauernzu Saatgut und anderen genetischen Ressourcen einheimischer Pflanzenund Tiere sowie lokale Institutionen und Regelungen zur Linderung derbzw. Anpassung an die Folgen des Klimawandels diskutiert. Bisher ist je-doch wenig getan worden, um die ursächlichen Faktoren, die eine für dienatürlichen Lebensgrundlagen ausbeuterische Produktion befördern, anzu-gehen (wie das Fehlen von gesicherten Besitz- und Landnutzungsrechten,von Anreizen für Naturschutz und Fördermaßnahmen zum besseren Um-gang mit naturgegebenen Einschränkungen). Umweltfreundlichere Verfah-ren wie integrierter Pflanzenschutz, Agroforstwirtschaft, low input-Land-wirtschaft, schonende Bodenbearbeitung, schädlingsresistente transgeneNutzpflanzen und Anpassung an den Klimawandel sind oft auf politischeBlockaden seitens des institutionellen AWWT, der Zivilgesellschaft, desStaates, der Privatwirtschaft und stark polarisierter Medien getroffen. Daneuerdings Pflanzentreibstoffe und Plantagenwirtschaft die Konkurrenz

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 67

um die begrenzten nutzbaren Flächen noch verstärken, müssen die Wech-selwirkungen zwischen landwirtschaftlicher Erzeugung und Schutz derUmwelt noch sorgfältiger beachtet werden. Das Ziel ist, die produktivenQualitäten der natürlichen Lebensgrundlagen für eine vermehrte Lebens-mittelproduktion und zugleich anderer Güter und Leistungen aufrechtzu-erhalten und zu verbessern.

Soziale Gerechtigkeit

In allen fünf Weltregionen stellt die Zunahme von Einkommensdisparitä-ten eine schwierige und problematische Herausforderung für Agrikultur,Ernährung und AWWT dar. Ungleiche Verteilung der produktiven natürli-chen Lebensgrundlagen und dazu noch fehlender Zugang zu Produktions-mitteln und fairen Märkten für kleinbäuerliche Betriebe und Frauen in derLandwirtschaft ziehen extreme Ungleichheit und zunehmende Armut nachsich. In der Region NAE sind Subsistenzbetriebe und Frauen, die allein ihreFamilien durch Agrikultur ernähren, unüblich. In weiten Teilen der Regio-nen CWANA, ESAP, LAC und SSA hingegen müssen sich Millionen Mittel-loser und Frauen mit ungerechten Produktions- und Marktverhältnissenherumschlagen, die eine Perspektive immer nur von Tag zu Tag eröffnen.Die bestehende Ungleichheit und Ungerechtigkeit wird noch dadurchverschärft, dass die Region NAE die Mittel für Entwicklung in Landwirt-schaft und ländlichen Räumen wie auch die Wissenserzeugung fürAWWT in den institutionalisierten Wissenschaften dominiert. Zum Bei-spiel üben Konzerne72 aus dieser Region machtvollen Einfluss auf die welt-weite Verbrauchernachfrage aus. Sie profitieren direkt oder indirekt vonMassengütern, Landsorten und anderen wertvollen genetischen Ressour-cen (die ex situ in anderen Ländern archiviert werden) sowie von Nützlin-gen für biologischen Pflanzenschutz und Arbeitsmigration. Im übrigen ver-fügen sie über Rechtsvorschriften samt zugehörigen Vollzugsinstitutionenwie geistige Eigentumsrechte, Standards und Marktregulierungen, die invielen nicht industrialisierten Ländern nicht vorhanden sind.

Landlose landwirtschaftliche Arbeitskräfte sind die schwächsten Opferder ungerechten Verteilung von produktiven natürlichen Lebensgrundla-

72 Konzerne agieren heute zumeist global. Sie haben nicht nur immensen wirtschaftlichen,sondern in aller Regel auch großen politischen Einfluss.

68 Synthesebericht

gen, Erzeugungspraktiken und technischen Hilfsmitteln. In allen nicht in-dustrialisierten Ländern existiert eine zunehmende Landflucht der Männerauf der Suche nach Beschäftigung. Einige Länder versuchen, soziale Siche-rungsnetze aufzubauen und Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb derLandwirtschaft sowohl in ländlichen Räumen wie in Städten zu schaffenund führen gleichzeitig proaktive Programme zur Schaffung von Beschäfti-gungs- und Einkommensmöglichkeiten vor Ort durch unter führender Be-teiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Diese Programmesind allerdings in Größe und Umfang begrenzt.

Alle fünf Regionen sind sich deutlich der Verarmung und wachsendensozialen Ausgrenzung etlicher indigener Völker bewusst. Viele dieser Ge-meinschaften sind Quellen traditionellen Wissens – eines rapide unterge-henden, sehr wertvollen Wissens – über lokale Ökosysteme, ihre Verände-rung und den Umgang mit ihnen. Modernes AWWT blendet dieses Wissenzum Großteil aus. Außerdem gerät es zunehmend durch kommerzielleTierhaltung, Fischerei, Nutzpflanzen- und forstwirtschaftliche Produk-tionspraktiken unter Druck (Teil II: Lokales und traditionelles Wissen so-wie gemeinschaftliche Innovationen). AWWT auf institutioneller Ebene er-kennt die Erfordernisse der Lebensgestaltung ebenso wie technische undandere Entwicklungsbedürfnisse von Frauen, Arbeitern und indigenenVölkern nur ungenügend an respektive sucht ungenügend nach Lösungs-wegen hierzu. Im Gegenteil haben in den letzten Jahrzehnten AWWT undmoderne Modelle für landwirtschaftliche Entwicklung zu stärkerer Aus-grenzung indigener Völker beigetragen.

In der Region LAC und in Teilen der Region ESAP haben eine selektiveAuffassung bestimmter Erfordernisse der Erzeugung und die Marginalisie-rung beziehungsweise nicht angemessene Beachtung spezifischer Agraröko-systeme wie Landbau in Trockengebieten, Küstenfischerei, montane Ökosys-teme und Weidewirtschaft die Ungerechtigkeiten noch verstärkt, die ohnehinschon als Mischung aus örtlich herrschender Ausbeutung, überhöhten Pach-ten, Korruption, Aneignung der natürlichen Lebensgrundlagen der armenBevölkerung, insbesondere von gemeinschaftlich genutzten Naturgütern,und sozialen Vorurteilen, zum Beispiel aufgrund von Kastenzugehörigkeitoder Geschlecht, existierten. Für Entwicklungspolitik und AWWT bestehtdaher die Herausforderung darin, die Landbau-, Lebensmittel- und Ernäh-rungsstrukturen aufzubauen, mit denen die Einkommensungleichheiten ver-

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 69

ringert und allen Menschen ein gerechter Zugang zu Produktionsmittelnund Wissen gesichert werden kann. Regierungen und internationale Förder-organisationen beginnen erst jetzt damit, langfristige Verabredungen zu tref-fen, die AWWT in die Programme zur vorrangigen Förderung der mittello-sen Bevölkerung integriert.

AWWT – derzeit ige Beschränkungen, Herausforderungen undChancen

Obwohl vor mehr als fünf Jahrzehnten institutionalisiertes AWWT in fastallen Ländern Einzug gehalten hat, besteht die wirtschaftliche und politi-sche Legitimation für Investitionen in AWWT nach wie vor in den Zielenwie Ernährungssicherheit, Lebensgestaltungsmöglichkeiten und Armutsbe-kämpfung in den nicht industrialisierten Ländern und internationalemHandel und ökologischer Nachhaltigkeit in den industrialisierten Ländern.Während das Syndrom aus Entwicklungspolitik, Armut und Umweltde-gradation in verschiedenen Ländern ganz unterschiedliche Symptomezeigt, ist institutionelles AWWT, mit dem dieses vielgestaltigen Syndromlösungsorientiert bearbeitet werden soll, in Struktur, Inhalt und Art undWeise wissenschaftlichen Arbeitens in nahezu allen Ländern gleich. Institu-tionelles AWWT neigt dazu, sich auf konventionellen, energie- und chemie-intensiven und bewässerten Marktfruchtanbau in Monokultur, hauptsäch-lich Getreideanbau, Tierhaltung und andere handelbare Erzeugnisse zufokussieren und dagegen standortspezifische Erzeugungssysteme, Land-bau in ariden und Trockengebieten oder montane Ökosysteme zu vernach-lässigen. Es ist wichtig festzuhalten, dass diese beschränkte Sichtweise, diemehr oder weniger überall auf institutionellen Ebenen von AWWT anzu-treffen ist, nicht zufällig existiert, sondern Teil eines generellen Entwick-lungsmodells ist, in dem wissenschaftliches Wissen nur in seiner utilitaris-tischen Dimension73 institutionalisiert worden ist. Natürliche und andereProduktionsmittel werden Produktionssystemen zugeordnet, die aus denErträgen von Marktfrüchten beziehungsweise Massengütern den größtenfinanziellen Ertrag erbringen. AWWT kann die drängenden Probleme vonArmut, Existenzsicherung, Gesundheit, Ernährung und Umweltqualität

73 Der Utilitarismus ist eine historisch vor allem in England und Nordamerika verbreitete Leh-re, die menschliche Tätigkeit überwiegend nach materiell verstandener Nützlichkeit bewertet.

70 Synthesebericht

nur lösen, wenn es diese inneren blinden Flecken, Beschränktheiten undProbleme erfolgreich zu behebt.

AWWT in Form öffentlicher Forschung und Entwicklung, Beratung undlandwirtschaftlicher Ausbildung in den Weltregionen basiert darauf, dasstechnologische Innovationen und Informationen vertikal von den Wissen-schaften an Anwender weitergegeben werden. Trotz zunehmender Polari-sierungen in den Debatten über neue Technologien, insbesondere zu Bio-technologie und Transgenen, und trotz langjährig publizierten Wissensüber einen differenzierten Zugang zu Technologie und angemessene institu-tionelle Regelungen muss institutionelles AWWT sich der Frage nach demo-kratischen Abläufen und Entscheidungen bei technologischen Innovationenerst noch stellen. AWWT, wie derzeit im öffentlichen und privaten Sektor or-ganisiert, ist wenig auf Interaktionen mit akademischen Initiativen in denbiologischen, ökologischen und Sozialwissenschaften orientiert, die grund-legend daran arbeiten, Regeln, Normen und Gesetzgebungen zu entwerfenfür marktorientierte Innovationen und nachfragegeleitete Technologieent-wicklungen samt Zugang und Anwendung auf eine Weise, die zur Errei-chung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen beiträgt.

Es gibt für alle Regionen einen beachtenswerten Literaturbestand überdie hohe Profitabilität landwirtschaftlicher Forschung und Entwicklung,insbesondere soweit es um Nutzpflanzen und Anbauregime geht, die imFokus von AWWT gestanden haben. Einige Bedingungen für hohe Rendite-raten liegen außerhalb von Landwirtschaft und AWWT in ergänzenden In-vestitionen wie in landwirtschaftliche Infrastrukturen oder die Verfügbarkeitvon Kleinkrediten, die zu einer Verringerung der Markttransaktionskostenoder zur Bereitstellung angemessener Institutionen oder Normen führen.Eine reine Rentabilitätsanalyse ist für die Ermittlung der Erträge von In-vestitionen in Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele ungenügend; hier-für werden andere wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Methoden be-nötigt.

Rückläufige finanzielle Aufwendungen für institutionelles AWWT durchinternationale Förderorganisationen und eine Reihe nationaler Regierun-gen sorgen für Besorgnis in Industrie- wie nicht industrialisierten Ländern.Die öffentlichen Aufwendungen für landwirtschaftliche Forschung undEntwicklung nehmen immer noch zu, auch wenn die Steigerungsraten seitden 1990er Jahren zurückgegangen sind. Viele Industrieländer haben ihre

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 71

Investitionen eingefroren oder reduziert, wohingegen die Investitionen inder Region ESAP im Verhältnis zu anderen Regionen gestiegen sind (jährli-che Steigungsraten von 3,9 % in den 1990er Jahren). Im Ergebnis ist derAnteil dieser Region an den weltweiten öffentlichen Investitionen in For-schung und Entwicklung von 20 % im Jahr 1981 auf 33 % im Jahr 2000 ge-stiegen. Im Gegensatz zu den 1980er Jahren ist die jährliche Steigungsrateder Gesamtausgaben in der Region SSA in den 1990er Jahren von 1,3 % auf0,8 % gefallen. Eine beunruhigende Entwicklung in den 26 Ländern der Re-gion SSA, für die Daten in längeren Zeitreihen existieren ist, dass der öf-fentliche Sektor im Jahr 2000 weniger in landwirtschaftliche Forschung undEntwicklung investiert hat, als zehn Jahre zuvor. Global gesehen konzen-triert sich die öffentlich finanzierte Forschung und Entwicklung zuneh-mend auf nur eine Handvoll Staaten. Im Jahr 2000 gaben bei den reichenLändern nur zwei Staaten, die USA und Japan, 54 % der öffentlichen Auf-wendungen aus, während drei nicht industrialisierte respektive Schwellen-länder, nämlich China, Indien und Brasilien, 47 % der öffentlichen Ausga-ben aller nicht industrialisierten Länder für landwirtschaftliche Forschungtätigten. Lediglich 6 % der weltweiten Investitionen in landwirtschaftlicheForschung und Entwicklung wurden in 80 Ländern getätigt, von denendie meisten ein niedriges Einkommensniveau aufweisen. Die Gesamtbe-völkerung dieser Länder betrug im Jahr 2000 mehr als 600 MillionenMenschen.

In den Industriestaaten haben die Investitionen des privatwirtschaftli-chen Sektors zugenommen und übersteigen nunmehr die Gesamtausgabendes öffentlichen Sektors. Im Gegensatz dazu sind privatwirtschaftliche In-vestitionen in den nicht industrialisierten Ländern gering, was voraussicht-lich so bleiben wird, da es kaum finanzielle Anreize für private For-schungsfinanzierung gibt. Im Jahr 2000 finanzierten privatwirtschaftlicheUnternehmen nur 6 % der Gesamtausgaben in den nicht industrialisiertenLändern, davon mehr als 50 % in der Region ESAP. Private Investitionen inAWWT beschränken sich bisher und wohl auch zukünftig zumeist auf ei-gentumsrechtlich geschützte Technologien, denn Patente und andere In-strumente zum Schutz geistigen Eigentums können zu bemerkenswertenErträgen auf den Märkten führen.

Akteure und Organisationen von AWWT sind nicht hinreichend in derLage, sich den vor uns liegenden Herausforderungen zu stellen, da sie sich

72 Synthesebericht

zu eng auf einige wenige Massenertragsziele konzentrieren. Die bestehen-de Infrastruktur von Wissen und Wissenschaften, die auf diese Ziele ausge-richtet ist, hat in der Vergangenheit ökologisches, lokales und traditionellesWissen wie auch die Sozialwissenschaften weitestgehend ausgeschlossen.Alle diese Bereiche mit ihrem breiteren Problemverständnis und den ent-sprechenden Daten müssen in die Infrastruktur einfließen und für die Ar-beit verwendet werden, wenn die Herausforderungen, vor denen AWWTsteht, gemeistert werden sollen. Die Wissensinfrastruktur von AWWT isteng mit bestimmten Zweigen der Wirtschaftswissenschaften verbunden,die zwar für die Erreichung von Produktionszielen geeignet sind; dabeiwerden aber andere Wissensareale und Fähigkeiten der Wirtschaftswissen-schaften vernachlässigt, die für die Bewältigung der Herausforderungen imZusammenhang mit AWWT unerlässlich sind.

Diese Bewältigung erfordert auch einen anderen organisatorischen Rah-men als er derzeit in der Grundlagen- wie der angewandten Forschungexistiert. Durchbrüche in fortgeschrittenen Wissenschaftsfeldern werdenerst dann zu entsprechend effektiven und effizienten Anwendungen imSinne sozialer Entwicklung und naturgerechten Wirtschaftens führen,wenn Investitionen in öffentliche, kommerzielle und zivilgesellschaftlicheBereiche auf lokaler Ebene aufrechterhalten oder ausgeweitet werden. Dievor uns liegenden Herausforderungen erfordern eine genauere Betrach-tung von Bewirtschaftungssystemen unterschiedlicher Größenordnungen –von Nutzpflanzen über landwirtschaftliche Betriebe bis zu Habitaten,Landschaften, Flüssen und Wassereinzugsgebieten. Bewirtschaftungssyste-me setzen gründliche Kenntnisse der institutionellen Dimensionen von Be-wirtschaftungspraktiken und Entscheidungsprozessen voraus, die in räum-lichen, zeitlichen und hierarchischen Ebenen koordiniert werden müssen.AWWT-Experten müssen sehr viel genauer die rechtlichen und politischenRahmenbedingungen kennen, die die Entwicklungen in der Land- und Le-bensmittelwirtschaft zunehmendem steuern werden.

Neue Herausforderungen

In allen Teilen der Welt besteht Besorgnis im Hinblick auf die Armut undMittellosigkeit und die Möglichkeiten einer Existenzsicherung der ärmerenBevölkerung, die sich ungleichen und ungerechten Verhältnissen zwischen

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 73

beziehungsweise innerhalb von Regionen ausgesetzt sieht. Die Bereitschaftder verschiedenen Akteure aus den staatlichen, zivilgesellschaftlichen undprivatwirtschaftlichen Bereichen, die grundlegende Frage des Verhältnisseszwischen Produktions-, Sozial- und Ökosystemen zu bearbeiten, wird vongegensätzlichen politischen und wirtschaftlichen Standpunkten gebremst.Erkennt man die aktuellen Herausforderungen an und akzeptiert die verfüg-baren Handlungsoptionen, so ist ein langfristiges verpflichtendes Engage-ment der Entscheidungsträger vonnöten, das auf spezielle Bedürfnisse undeine Vielzahl von Beteiligten eingehen kann. Die Verhältnisse rufen nach derernsthaften Einsicht, dass Wissenschaften, Technologien, Wissen undmenschlicher Einfallsreichtum gefragt sind, um den Herausforderungen,Handlungsmöglichkeiten und Ungewissheiten in Zukunft begegnen zukönnen.

Handlungsmöglichkeiten

Sollen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele erfolgreich umgesetzt undAntworten auf neue Prioritäten und sich ändernde Bedingungen gefundenwerden, so ist in den Wissenschaften und Technologien, in Politik und be-stehenden Institutionen wie auch bei der Entwicklung von Regeln undneuen Institutionen und Investitionen ein grundlegender Richtungswech-sel notwendig. Dieser wird die große Bedeutung der Multifunktionalitätder Landwirtschaft anerkennen, ihnen größeres Gewicht verleihen undgleichzeitig der Komplexität landwirtschaftlicher Systeme in unterschiedli-chen sozialen und ökologischen Kontexten Rechnung tragen. Der Erfolg ei-ner solchen Veränderung hängt auch von der Anpassung und Neugestaltungbestehender institutioneller und organisatorischer Strukturen und derenWeiterentwicklung im Sinne einer integrativen Strategie zur Entwicklungund Umsetzung von AWWT ab. Darüber hinaus sind höhere öffentlicheAusgaben für AWWT und die Ausarbeitung einer unterstützenden Politiknotwendig.

74 Synthesebericht

Armut und Mittel losigkeit und Lebensgestaltungsmöglichkeiten

Damit institutionelles AWWT für Bäuerinnen und Bauern in kleinen Betrie-ben entwickelt, von diesen umgesetzt und nutzbringend angewendet wer-den kann, müssen die vielfältig verschiedenen Bedingungen, unter denendiese Menschen leben und arbeiten, anerkannt werden. Folglich mussAWWT die Lebens- und Handlungsbedingungen wie die Bedürfnisse ken-nen, wie auch partizipatorische Methoden, die die Bäuerinnen und Bauernzu aktiver Teilnahme befähigen und berechtigen. Die Entwicklung stand-ortgerechterer low input-Verfahren, die sich positiv auf Bodenfruchtbarkeit,Nährstoffhaushalt und den Umgang mit Wasser auswirken, ist insbesonde-re für Gemeinschaften mit eingeschränktem Marktzugang entscheidend.Wenn man Bäuerinnen und Bauern, die nur über wenige Produktionsmittelverfügen, in die Lage versetzt, ihr traditionelles und lokales Wissen mitdem von Experten und Wissenschaftlern zusammenzubringen, um innova-tive Umgangsweisen für Bodenfruchtbarkeit, der genetischen Vielfalt vonNutzpflanzen und den natürlichen Lebensgrundlagen zu erarbeiten, gibtman ihnen ein wichtiges Instrument in die Hand, mit dem sie auch Ver-marktungsmöglichkeiten nutzen können.

Technologische Innovationen auf betrieblicher Ebene fußen im positivenFalle auf institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen und unter-stützenden Strukturen wie:– Beteiligung von Produzenten an den Willensbildungs- und Entschei-

dungsverfahren über Finanzierung, Programmatik und Umsetzungdes institutionellen AWWT;

– Verbesserung der Lebensgestaltungsmöglichkeiten der Produzentenmithilfe von abgestimmten und langfristigen vertraglichen Vereinba-rungen, kommerziellem Vertragsanbau oder landwirtschaftlichenGenossenschaften. Diese beinhalten entlang der Produktkette unteranderem Kleinkredite, bäuerliche Kooperation, Versorgung mit Dün-ger, Pflanzenschutzmitteln, Qualitätskontrolle, Lagerung, Sammel-stellen, Verpackung und Transport;

– Investitionen zur Schaffung dauerhafter Beschäftigungsmöglichkei-ten für mittellose Menschen in ländlichen Gebieten, sowohl Landloseals auch Bäuerinnen und Bauern, zum Beispiel durch Aktivitäten mithöherer Wertschöpfung und Beschäftigung außerhalb landwirtschaft-licher Betriebe;

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 75

– Förderung von Innovationen, die auf Interaktionen von Beteiligtenberuhen, die jeweils sich ergänzende Teile der Lösung bereithalten,zum Beispiel Bäuerinnen und Bauern, Technikern, Beauftragten derörtlichen Behörden und kommerziellen Düngemittel- oder Pflanzen-schutzmittelhändlern.

Obgleich solche Interaktionen dezentral auf unterer Ebene stattfinden, er-fordern sie in der Regel entsprechende Rahmenbedingungen auf höhererEbene, zum Beispiel gesetzliche Vorgaben, die einen gesicherten Zugang zuProduktionsmitteln und Land sowie deren Besitz, Möglichkeiten von fairenKonfliktlösungen und andere Mechanismen zur Klärung von Verantwort-lichkeiten einschließen sowie nationale politische Maßnahmen, die aus-kömmliche Erzeugerpreise fördern.

Zu den politischen Handlungsmöglichkeiten für höhere inländische Er-zeugerpreise für kleinbäuerliche Betriebe gehören: – eine öffentliche Ausgabenpolitik, die den Ausbau der Infrastrukturen

fördert (zum Beispiel Zubringerstraßen zu Märkten, Vorratslager fürErntegut und die Herstellung von Produkten mit höherer Wertschöp-fung in ländlichen Gebieten) und die den kleinbäuerlichen Produzen-ten einen größeren Anteil an den Erlösen aus Exporten belässt;

– Gewährung eines Zugangs zu Informationen (über Märkte und poli-tische Fragen), Austausch unter den Bäuerinnen und Bauern, Ausbil-dung, Beratung als öffentliche Dienstleistung und öffentliche Ein-richtungen, die den Zugang zu institutionellem wie lokalem AWWTbereitstellen. In der Region LAC beispielsweise wurden durch denAustausch unter Bäuerinnen und Bauern Erfolge bei der Übernahmeagrarökologischer Praktiken erzielt;

– Vereinbarungen zwischen dem privatwirtschaftlichen und dem öf-fentlichen Sektor, die es Produzenten ermöglichen, ihre Erzeugnissein städtischen Kaufhäusern zu verkaufen;

– Stärkung von Erzeugerorganisationen durch Finanzierung von Rei-sen, Konferenzen und den Aufbau von personellen und organisatori-schen Kapazitäten und dadurch, dass der Beteiligung von Bäuerin-nen und Bauern an Entscheidungsfindung auf lokaler, regionalerund nationaler Ebene mehr Platz eingeräumt wird;

– Abschluss von begünstigenden Handelsabkommen.

76 Synthesebericht

Es hat sich gezeigt, dass Feldschulungen, partizipatorische Züchtung undKultivierung von Pflanzen, bäuerliche Forschungsgruppen und ähnlicheFormen der Zusammenarbeit zur Unterstützung von Fragestellungen, dievon Bäuerinnen und Bauern ausgehen, vielfache Vorteile für mittellose Er-zeuger bringen, zum Beispiel lebenslanges Lernen, Ermutigung und Mitge-staltungsmöglichkeiten und organisatorische Fähigkeiten (siehe Teil II:Umgang mit natürlichen Ressourcen).

Wir brauchen eine Entwicklung, die Vertrauen aufbaut, die das Wissender Bäuerinnen und Bauern ebenso wie die biologische und agrikulturelleVielfalt, die kultivierten Heilpflanzen, lokale Praktiken des Umgangs mitSaatgut und Nutzungsregime für gemeinschaftliche Güter wertschätzt. DerErfolg örtlich durchgeführter Maßnahmen beruht auf wirksamen regiona-len und staatlichen Mechanismen mit klaren Verantwortlichkeiten.

Ernährungssicherheit

Ernährungssicherheit bezeichnet eine Situation, in der alle Menschen zu je-der Zeit physischen, sozialen und wirtschaftlichen Zugang zu genügend si-cheren und nährstoffreichen Nahrungsmitteln haben, um ihre Bedürfnisseund Präferenzen für ein aktives und gesundes Leben zu erfüllen. Ernäh-rungssouveränität bezeichnet das Recht der Bevölkerung und souveränerStaaten, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik auf demokratischeWeise selbst zu bestimmen.

Wenn AWWT in geeigneter Weise genutzt wird, kann dies dazu beitra-gen, die Ernährungssicherheit grundlegend zu verbessern. Dadurch kanndie Produktion gesteigert, die soziale und wirtschaftliche Leistungsfähig-keit von Landnutzungssystemen als Basis von langfristig naturgerechtenund wirtschaftlich auskömmlichen Lebensgestaltungsmöglichkeiten ländli-cher Gemeinschaften verbessert, es können degradierte Böden revitalisiertund Risiken für Gesundheit und Umwelt, die von Erzeugung und Ver-brauch von Nahrungsmitteln ausgehen, verringert werden. Die folgendenHandlungsoptionen können helfen, diese Möglichkeiten zu einer sozialund naturgerechteren Erzeugung landwirtschaftlicher Güter wahrzuneh-men:– AWWT auf institutioneller wie lokaler Ebene breit anzuwenden

(zum Beispiel konventionelle Züchtungsverfahren, dezentrale parti-

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 77

zipatorische Züchtung, Biotechnologie) mit dem Ziel, angepasste Li-nien (Hirsen, Hülsenfrüchte, Ölsaaten usw.) und verbesserte Bearbei-tungspraktiken zu entwickeln und zu nutzen, die an die Bedingungenspezifischer Schläge und Flächen angepasst sind (CWANA; ESAP;SSA);

– Arbeit an der Züchtung und Verbesserung einiger weniger häufiganzutreffenden Nutzpflanzenarten in verschiedenen Teilregionen;

– Verbesserung des Umgangs mit Böden, Wasser und Nährstoffen undSchutz der biologischen Vielfalt (CWANA; ESAP; LAC; SSA; Teil II:Umgang mit natürlichen Ressourcen) und Gewährleistung eines bes-seren Zugangs zu Produktionsmitteln wie zum Beispiel zu Nährstof-fen und Wasser (SSA);

– stärkere Diversifizierung in kleinbäuerlichen Betrieben durch Stär-kung der Rolle von Tierzucht, Aquakultur, Agroforstwirtschaft mitheimischen Früchten, Nüssen und Insekten (CWANA; ESAP; SSA;Teil II: Umgang mit natürlichen Ressourcen);

– Ausgestaltung einer Evaluierungskultur innerhalb von AWWT, dieangemessene Anreize für eine Abschätzung und Bewertung derschon eingetretenen wie der möglichen Implikationen technologi-scher und sozialer Veränderungen im Landbau bereitstellt.

Wenn aufgrund betriebswirtschaftlicher Überlegungen statt Nahrungs-pflanzen solche zur Gewinnung von Pflanzentreibstoffen angebaut werdensollen, so ist es wichtig zu bedenken, welche Auswirkungen großflächigerAnbau von Nutzpflanzen für Treibstoffe auf Ernährungssicherheit undUmwelt haben (ESAP; LAC; SSA; Teil II: Energie aus Biomasse).

Einige mögliche Beiträge von AWWT zur Ernährungssicherheit bein-halten: – Mobilisierung der produktiven Potenziale wie der Nachhaltigkeit in

Gebieten mit Regenfeldbau; – Umgang mit Preisschwankungen und -verfall durch solche Marktin-

strumente, die den wirtschaftlich besonders verletzlichen kleinbäu-erlichen Betrieben das Risiko jedenfalls teilweise abnehmen;

– Verringerung von Transaktionskosten und Schaffung spezieller Zu-gangsrechte zum regionalen und globalen Handel für Millionen vonkleinbäuerlichen Erzeugern;

78 Synthesebericht

– Schaffung sozialer Sicherungsnetze für Frauen und besonders ver-letzliche indigene Völker, um einen Zugang zu erschwinglichen undgesunden Lebensmitteln zu gewährleisten;

– Stärkung lokaler Märkte durch verbesserte Verbindungen zwischenländlichen Räumen und Städten, Erzeugern und städtischen Ver-brauchern von Lebensmitteln sowie Erzeugern innerhalb von undim Einzugsbereich von Städten und Verbrauchern (LAC);

– Erhöhung der Nahrungsmittelsicherheit und -qualität mithilfe ver-besserter Regulierungs- und Überprüfungsverfahren.

Die öffentliche Forschung muss erst noch tragfähige und für mittelloseBäuerinnen und Bauern geeignete Landnutzungsregime und agronomischeMethoden für Pflanzenbau und Tierhaltung in wasserarmen Gebieten ent-wickeln (CWANA; ESAP; SSA). Die privatwirtschaftliche Forschung, diesich auf Nutzpflanzen konzentriert, die im Welthandel eine Rolle spielen,dürfte solche Konzepte als nicht profitabel ansehen – zumindest in dernächsten Zukunft (siehe Abb. 3, S. 246). Aber die öffentliche Finanzierungsolcher Forschung, die sich mit für diese Regionen geeigneten Pflanzenbeschäftigt, ist erforderlich, wenn wir den dringend benötigten organisato-rischen und institutionellen Veränderungen näher kommen wollen, umAntworten auf die aus mangelhaften Nutzungskonzepten resultierendenNöte zu finden. Solche Investitionen werden mit großer Wahrscheinlichkeitdabei helfen, die Degradation der natürlichen Lebensgrundlagen und dieVerarmung der Umwelt einzudämmen und dazu noch die Armut und Mit-tellosigkeit und die Inseln des Hungers, die anhaltend inmitten des Wohl-stands vorhanden sind, zu verringern (ESAP).

Umwelt

Wissen, Wissenschaften und Technologien (lokal und institutionalisiert): „Weiterso !“ ist keine vernünftige Option, wenn wir ökologische Nachhaltigkeit an-streben. Um dieses Ziel erreichen zu können, ist AWWT gefragt, dasNachhaltigkeit befördert und gleichzeitig die Produktivität auf eineWeise sichert, die die natürlichen Lebensgrundlagen und die unerlässlichenökologischen Versorgungsleistungen schützt. Handlungsoptionen sind unteranderem:

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 79

– Steigerung der Effizienz von Energie-, Wasser- und Landnutzungdurch Anwendung lokalen und institutionellen Wissens, um stand-ortgerechte Techniken zu entwickeln und zu verfeinern, die helfenkönnen, Böden zu erhalten, aufzubauen oder zu revitalisieren, Was-ser effizienter zu nutzen und Verunreinigungen durch Agrarchemi-kalien zu vermindern (CWANA; ESAP; Globaler Bericht, Kap. 3; LAC;SSA; Teil II: Umgang mit natürlichen Ressourcen);

– ein besseres Verständnis der Dynamik Boden – Pflanze – Wasser,mithin von ökologischen Prozessen im Boden und in Gewässern undökologischen Wechselwirkungen, die sich auf landwirtschaftlich ge-nutzte wie naturnahe Habitate auswirken (Globaler Bericht, Kap. 3;LAC; NAE);

– Ausarbeitung und Verfeinerung von Umgangsmöglichkeiten zurUnterstützung agrarökologischer Systeme (einschließlich Flächen-mosaike) und der vielfältigen Rollen und Funktionen der Landwirt-schaft; dazu sollten Praktiker der ökologischen und Evolutionswis-senschaften, Pflanzengenetiker, Botaniker, Molekularbiologen u. a.beitragen (Globaler Bericht, Kap. 3; Teil II: Umgang mit natürlichenRessourcen);

– Erweiterung unserer Kenntnis von lokalem und traditionellem Wis-sen, um mehr über Handlungsmöglichkeiten für eine nachhaltigeLandnutzung und -revitalisierung zu lernen (Globaler Bericht, Kap. 3;s. Teil II: Umgang mit natürlichen Ressourcen);

– Verbesserung des Schutzes der agrikulturellen biologischen Vielfaltin situ und ex situ durch umfassende partizipatorische Anstrengun-gen zur Erhaltung von genetischem Material und zur Wiederherstel-lung der Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten, die traditionell an be-stimmten Orten von einheimischen und indigenen Völkern genutztworden sind (Globaler Bericht, Kap. 3; LAC; NAE; SSA; Teil II: Um-gang mit natürlichen Ressourcen);

– Ausbau von Züchtungsprogrammen für Pflanzen und Tiere mit demZiel der Anpassung an absehbaren Bedarf, Standortbedingungenund den Klimawandel (SSA);

– Erweiterung der Kenntnis über und Ausarbeitung von Richtlinienfür nachhaltige Waldnutzung und Fischzucht; dies soll so in betrieb-liche Konzepte eingebaut werden, dass möglichst viel Einkommen

80 Synthesebericht

und Beschäftigung in ländlichen Räumen erzeugt wird (Globaler Be-richt, Kap. 3; Teil II: Umgang mit natürlichen Ressourcen);

– demokratisch angelegte Abschätzungen und Bewertungen vorhande-ner und neu entwickelter Technologien, zum Beispiel transgene Nutz-pflanzen, Pflanzentreibstoffe der ersten und zweiten Generation undNanotechnologien, um deren ökologische, gesundheitliche und so-ziale Implikationen zu klären (Globaler Bericht, Kap. 3; LAC; NAE).

Für Technologien, die erhebliche finanzielle Investitionen voraussetzen undein großes Risiko für die Anwender bergen, zum Beispiel die Biotechnologieund Technologien, wie sie in der Grünen Revolution Anwendung finden(hoher externer Input), sind langzeitige Abschätzungen und Bewertungenerforderlich. Es ist wichtig, auch die Auswirkung und Anwendung andererTechnologien zu untersuchen und unabhängige vergleichende Abschätzun-gen durchzuführen (zum Beispiel ein Vergleich des Einsatzes von transgenenNutzpflanzen mit praktikablen agrarökologischen Verfahren wie biologi-scher Schädlingsbekämpfung). Eine Vertiefung des Verstehens der agrar-ökologischen Funktionsweisen von Flickenteppichen aus landwirtschaftlichenNutzflächen und naturnahen Habitaten ist notwendig, um herauszu-finden, wie diese so bewirtschaftet und betreut werden können, dassKonflikte vermieden und positive Synergien erreicht werden. Eine Förde-rung stärker diversifizierter lokaler Pflanzenbausysteme auf betrieblicherwie Landschaftsebene kann helfen, vielfältigere Lebensräume für wildeArten respektive ökologische Gemeinschaften zu schaffen und Ökosys-temleistungen zu befördern.

Dazu sind institutionelle Innovationen nötig, die eine effiziente Ver-marktung für die diversifizierten Erzeugnisse ermöglichen, ebenso wie dieEntwicklung von dezentralisierten, lokalen und hoch effizienten Energie-systemen und energieeffizienter Landnutzung zur Verbesserung der Le-bensgestaltungsmöglichkeiten und Verringerung von THG-Emissionen(ESAP; LAC). AWWT kann zu einer wirtschaftlich tragfähigen Entwick-lung von Pflanzentreibstoffen und Materialien aus Biomasse mit positivenEnergie- und Umweltbilanzen beitragen, die sich nicht nachteilig auf dieweltweite Nahrungsmittelversorgung auswirken (Globaler Bericht, Kap. 3;NAE; Teil II: Energie aus Biomasse, Umgang mit natürlichen Ressourcen).Es müssen auch Strategien entwickelt werden zur Verminderung des Bei-

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 81

trags der Landwirtschaft zum Klimawandel und zur Abwehr der negativenFolgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft (Globaler Bericht, Kap. 3;Teil II: Umgang mit natürlichen Ressourcen).

Eine Verringerung von THG-Emissionen aus der Landwirtschaft setztÄnderungen in Pflanzenbau, Tierhaltung und Lebensmittelverarbeitung(NAE; LAC) ebenso wie Änderung der Landnutzung zur Erreichung einerSenkenwirkung74 voraus. Substanzielle Reduzierungen der THG-Emissio-nen und eine mögliche Verbesserung der Kohlenstoffbindung in Bödenkönnen durch bessere agronomische Praktiken, insbesondere in Viehhal-tung und Reisanbau, erzielt werden. Dazu gehören unter anderem einenachhaltige und bodenschonende Landnutzung, weniger wasserverbrau-chende Anbaumethoden, besserer Umgang mit Weideland und bessere Füt-terungsverfahren von Wiederkäuern75 und Nutzung von Mist und Gülle76

(CWANA; ESAP). Die Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaftkönnen mithilfe von agrarökologischen Methoden, der Agroforstwirtschaftund der Züchtung salztoleranter Sorten abgemildert werden (ESAP; LAC;SSA; Teil II: Klimawandel). Auf diesen Gebieten gibt es zwar durchaus Wis-sen; allerdings ist es ist wichtig herauszufinden, warum dieses Wissen nurso selten genutzt wird.

Politik und institutionelle Rahmenbedingungen: Handlungsmöglichkeitenin diesen Bereichen müssen die Ziele der Nachhaltigkeit wie auch der Mul-tifunktionalität der Landwirtschaft berücksichtigen, wobei die Schnittstel-len zwischen Institutionen und der Anwendung von AWWT und deren Im-plikationen besonders aufmerksam beobachtet werden müssen. Damit diesePolitikstrategien und institutionellen Veränderungen sowohl für Entwick-lung wie für Nachhaltigkeit wirken, müssen sie in erster Linie auf diejenigenausgerichtet sein, für die bisheriges AWWT am wenigsten nützlich war: diemittellosen und armen Bäuerinnen und Bauern.

Politik, die langfristig umweltgerechte landwirtschaftliche Praktiken för-dert, zum Beispiel die Nutzung von Markt- und anderen Mechanismen zurRegulierung und Schaffung von Anerkennungen für Agrarumweltleistun-

74 Senken sind solche Areale, auf denen mehr Kohlenstoff aus der Luft gebunden als freige-setzt wird, zum Beispiel natürliche Wälder oder Dauergrünland.75 Wiederkäuer, mengenmäßig vor allem Rinder, setzen aus ihrem Verdauungstrakt Methanfrei. Durch geeignete Futtermischungen können diese Emissionen verringert werden.76 Je nach Verwendung von Mist und Gülle wird vor allem Stickstoff an die Luft abgegeben.

82 Synthesebericht

gen oder eine schnellere Umsetzung von AWWT in einen besseren Um-gang mit natürlichen Ressourcen und eine bessere Umweltqualität, solltenals Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung verstanden werden (Globaler Be-richt). Beispiele für nachhaltigkeitsorientierte Initiativen sind politischeMaßnahmen im Sinne von: – Reduzierung des Einsatzes von Agrarchemikalien (insbesondere von

Pestiziden und synthetischen Düngern); – effizientere Nutzung von Energie, Wasser und Böden (nicht nur wie

in der Präzisionslandwirtschaft, sondern auch wie in agrarökologi-schen Kreisläufen);

– Diversifizierung agrikultureller Systeme; – Anwendung agrarökologischer Bewirtschaftungsprinzipien; – Koordination der politischen Maßnahmen zum Umgang mit biologi-

scher Vielfalt und Ökosystemleistungen (CWANA; ESAP; GlobalerBericht Kap. 3; LAC);

– Internalisierung der Umweltlasten nicht nachhaltiger Praktiken (ESAP;Globaler Bericht; LAC; NAE) und Vermeidung eines unangemesse-nen Umgangs mit Pestiziden und Düngemitteln;

– Sicherstellen fairer Kompensationen für Ökosystemleistungen (CWANA;ESAP; Globaler Bericht; LAC; NAE; SSA);

– Regulierung umweltzerstörender Praktiken, Schaffung von Regelun-gen für Institutionen, die die Einhaltung der Bestimmungen überwa-chen und auswerten (ESAP; Globaler Bericht);

– Ermöglichung und Schaffung von Anreizen für neue Märkte, zumBeispiel umweltgerechte Erzeugnisse, Zertifizierung nachhaltigerPraktiken in Forstwirtschaft, Fischerei und für den ökologischenLandbau (CWANA; ESAP; Globaler Bericht; LAC; NAE; SSA) undStärkung lokaler Märkte auch durch Ausbau der Verbindungen zwi-schen Erzeugern in ländlichen Räumen und städtischen Konsumen-ten innerhalb einer Region (LAC);

– Unterstützung von Bäuerinnen und Bauern, die über wenig Produk-tionsmittel verfügen, ihr lokales und traditionelles technisches Wis-sen zu nutzen, um die Bodenfruchtbarkeit, die genetische Vielfaltvon Pflanzen und Tieren und den Naturschutz zu integrieren (zumBeispiel durch Kleinkredite, die eine Umstellung auf agrarökologi-sche Praxis samt Verarbeitung und Erzeugung ermöglichen) mit dem

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 83

Ziel, dass diese Betriebe zugleich langfristig umweltgerecht undwirtschaftlich rentabel arbeiten;

– Novellierung der Regeln zu geistigen Eigentumsrechten und ver-wandter Rechtsvorschriften dergestalt, dass Bäuerinnen und Bauernihr Saatgut und ihre genetischen Materialien so verwenden können,wie sie es für richtig halten.

Um insgesamt einen nachhaltigkeitsorientierten Umgang zu erreichen, sindinstitutionelle und sozioökonomische Maßnahmen für eine weit gefächerteUmstellung auf langfristig umwelt- und sozial gerechte Praktiken erforder-lich. Derartige Umstellungen setzen langfristige Land- und Wassernut-zungsrechte (zum Beispiel Besitzrechte auf Land und Bäume), Maßnahmenzur Risikobegrenzung (soziale Sicherungen, Kredite, Versicherungen usw.)und ertragsfähige Techniken voraus. Für gemeinschaftlich genutzte Natur-güter müssen spezielle Eigentumsregelungen geschaffen werden, die amehesten von den bäuerlichen Gemeinschaften selbst entwickelt werden unddie von geeigneten staatlichen Institutionen unterstützt werden sollten.Bäuerinnen und Bauern muss ein langfristiger Zugang zu denjenigen Pro-duktionsmitteln gesichert werden, die für die Anwendung kulturell undtechnisch angepasster nachhaltiger Praktiken nötig sind (Globaler Bericht,Kap. 3). Ebenfalls notwendig sind neue Willensbildungs- und Entschei-dungsstrukturen auf Regierungsebene, die partizipatorische und demokra-tische Elemente betonen und die Entwicklung innovativer lokaler Netzwerkestimulieren. Auch institutionelle Reformen sind vonnöten, damit institutio-nelles AWWT eine erfolgreiche Partnerschaft mit kleinbäuerlichen Betrie-ben, Frauen, Hirten sowie indigenen Völkern, die alle Quellen des Wissensüber ihre Umwelten sind, entwickeln kann. Die Beobachtung der Umwelt-qualität durch die Beteiligten kann für die Entwicklung von Produk-tionstechniken und zugleich von Leistungen der Umwelt hilfreich sein(ESAP; Globaler Bericht, Kap. 3).

Angesichts schon bestehender und zunehmender Konflikte über Zugän-ge zu natürlichen Lebensgrundlagen und deren ungewissen Entwicklung(zum Beispiel Konflikte über Fischereirechte, die Aufteilung von Wasseroder die Abmilderung der Folgen des Klimawandels) können politischeMaßnahmen, Übereinkommen und Verträge, die eine bessere regionaleund internationale Zusammenarbeit fördern, auch bei der Erreichung von

84 Synthesebericht

Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen hilfreich sein. Zur Erreichungdieser Ziele wären außerdem Konfliktlösungsverfahren bei der Durchfüh-rung von Naturschutzprogrammen, die Beobachtung von Schädlings- undKrankheitsvorkommen ebenso wie von Entwicklungsvorhaben und Umset-zungsvorschriften sinnvoll (ESAP; Globaler Bericht, Kap. 3).

AWWT und begleitende politische Maßnahmen können in erheblichemMaße zu umweltgerechterer Fischerei und Aquakultur beitragen, was wie-derum die Überfischung mindern kann. Allerdings tun sich viele Regierun-gen nach wie vor schwer damit, Richtlinien und Politik in praktisch wirksa-me Interventionen umzusetzen, um eine ökologische Betrachtungsweise inder Fischerei zu etablieren. Zumindest ist eine Politik erforderlich, die dieSubventionen für nicht nachhaltige Methoden (zum Beispiel die Grund-schleppnetzfischerei) abschaffen. Die einfache Fischerei77 muss ausdrück-lich gefördert werden, und es muss ein klareres Bewusstsein für langfristigumwelt- und sozial gerechte Fangmethoden, wie auch für den Umgang mitden Fischen nach dem Fang, gefördert werden. Das gilt auch für die Redu-zierung industrieller Fischerei. Außerdem müssen die Implikationen einerintensivierten Aquakultur (wie Zerstörung küstennaher Habitate und ver-stärkter Einsatz von Antibiotika) und eines intensivierten Fischfangs beob-achtet werden.

Unabhängig von den unterschiedlichen Meinungen zur Verwendunggentechnisch veränderter Organismen in den Regionen anerkennen alle Re-gionalen Berichte die Notwendigkeit der Abschätzung und Bewertung vonpotenziellen ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Wirkungen jegli-cher neuer Technologien ebenso wie eine angemessene praktische Umset-zung gesetzlicher Risikoregulierungen als Ausdruck des Vorsorgeprinzips.Besondere Bedenken bestehen hinsichtlich genetischer Verunreinigungenin Vavilov’schen Zentren der genetischen Vielfalt78 (Teil II: Biotechnologie).

Institutionalisiertes AWWT ist nicht gut gerüstet, den Übergang in Rich-tung Nachhaltigkeit zu befördern. Heutige Methoden zu Entwicklung undTransfer von Technologien werden immer weniger adäquat sein, mit den

77 Das sind Fischer, die mit kleinen Booten und mittels menschlicher Arbeitskraft betriebenenNetzen arbeiten, im Gegensatz zu industriellen Trawlern mit Grundschleppnetzen.78 Der russische Biologe Nikolaj Vavilov hat bei seinen weltweiten Forschungen und Reisen als ers-ter systematisch die Weltgegenden beschrieben, in denen eine besondere genetische Vielfalt vonKulturpflanzen festzustellen ist. Diese werden daher auch als Vavilov’sche Zentren bezeichnet.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 85

auf uns zukommenden Herausforderungen der Umwelterhaltung, derMultifunktionalität der Agrikulturen, der Abnahme von biologischer Viel-falt und dem Klimawandel umzugehen. Eine Orientierung der AWWT-Or-ganisationen und -Akteure auf Nachhaltigkeit erfordert neue Wege, Stra-tegien und eine neue Sicht auf die Welt, einen neuen Kompass, um dieEntwicklung von Wissen, Wissenschaften und Technologien und zugleichder Politik und Institutionen so zu lenken, dass sie gleichberechtigt, sozial,ökonomisch und ökologisch nachhaltig wirken können. Nötig ist auch einneuer Umgang mit den Grundlagen von Wissen; hierfür sind die folgendenOptionen wichtig: – eine Wieder-Wertschätzung von lokalem und traditionellem Wissen

(CWANA; ESAP; Globaler Bericht; LAC; NAE; SSA) und dessenKommunikation mit und in den institutionellen Wissenschaften;

– interdisziplinäres (Sozial- und Naturwissenschaften, Politik- undRechtswissenschaften), holistisches und systemorientiertes Vorgehenbei Wissenserarbeitung, -weitergabe und -austausch (CWANA; ESAP;Globaler Bericht; LAC; NAE; SSA).

Ernährung und Gesundheit

Die Wechselwirkungen zwischen Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaftund AWWT können auf die Erreichung von Entwicklungs- und Nachhal-tigkeitszielen hinderlich oder förderlich wirken. Da in diesen Beziehungenviele Spannungen vorhanden sind, ist ein umfassendes, natürliche Lebens-grundlagen, Agrikultur und Gesundheit verbindendes Konzept nötig, umAWWT zu identifizieren, das die Ernährungs- und Lebensmittelsicherheiterhöhen und zugleich Vorkommen und Häufigkeit einer ganzen Reihe vonInfektions- und chronischen Krankheiten sowie die Häufigkeit berufsbe-dingter Risiken, Verletzungen und Todesfälle verringern kann.

Strategien der Ernährungssicherheit setzen die Kombination verschiede-ner Elemente von AWWT voraus, darunter: – stärkere Diversifizierung von kleinbäuerlichen Betrieben und Förde-

rung der Aufnahme von Mikronährstoffen mit der Nahrung; – Verbesserung von Wirksamkeit und Diversifizierung von Agrikultur

in urbanen Gebieten;

86 Synthesebericht

– Weiterentwicklung und praktische Umsetzung neuer und bestehen-der Techniken für die Erzeugung, Verarbeitung, Konservierung undVerteilung von Lebensmitteln.

Lebensmittelsicherheit kann durch entsprechend effektive, abgestimmteund vorsorgeorientierte nationale und internationale Regelungen und Me-chanismen gefördert werden, darunter: – Ausbau der personellen und institutionellen Kapazitäten im öffentli-

chen Gesundheitswesen und in der Veterinärmedizin samt der recht-lichen Rahmenbedingungen, um biologische und nichtbiologischeGefährdungen besser identifizieren und kontrollieren zu können;

– vertikale Integration entlang der Lebensmittelkette, um Risiken vonKontamination und nachteiliger Veränderung zu verringern;

– Unterstützung für die Kapazitäten von Regierungen, Kommunenund zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht industrialisierter Län-der bei der Ausarbeitung von Mechanismen und Maßnahmen zurÜberwachung und Kontrolle von Gesundheitsrisiken entlang der ge-samten Lebensmittelkette. Ein Beispiel sind Testmethoden, mit de-nen Kommunen Pestizidrückstände bei Obst und Gemüse, die aufdem Markt angeboten werden, überwachen können.

– Aufbau eines Netzwerkes von AWWT auf globaler, nationaler undlokaler Ebene, mit dessen Hilfe Pathogenentwicklungen überwachtund passende und rasche Reaktionen auf die schnelle Evolution vonKrankheitserregern vorbereitet werden können.

Belastungen durch schon verbreitete und wieder neu auftretende Krank-heiten können durch folgende Maßnahmen gemildert werden: – bessere Koordination zwischen Landwirtschaft, Veterinär- und Ge-

sundheitswesen und Stärkung ihrer personellen und institutionellenKapazitäten;

– Integration sektorübergreifender politischer Maßnahmen und Pro-gramme entlang der gesamten Lebensmittelkette, um der Ausbrei-tung von Infektionskrankheiten entgegenzuwirken;

– Entwicklung und praktische Umsetzung von neuen Erkenntnissenbei AWWT zur Erkennung, Beobachtung, Kontrolle und Therapievon Krankheiten;

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 87

– Aufbau eines Netzwerkes von AWWT auf globaler, nationaler undlokaler Ebene, mit dessen Hilfe Pathogenentwicklungen überwachtund passende und rasche Reaktionen auf die schnelle Evolution vonKrankheitserregern und auf den Ausbruch der von Tier auf Menschübertragbaren Krankheiten vorbereitet werden können.

Die Bürden infolge chronischer Erkrankungen können durch folgendeMaßnahmen vermindert werden: – Regulierung der Zusammensetzung von Nahrungserzeugnissen

durch Gesetze, internationale Abkommen und/oder Regelungen zurKennzeichnung von Nahrungsmitteln und das Anbringen von ge-sundheitsbezogenen Angaben;79

– Schaffung von Anreizen zu Erzeugung und Konsum gesundheitszu-träglicher Lebensmittel.

Die Gesundheit bei der Berufsausübung kann durch folgende Maßnahmengefördert werden: – Ausarbeitung und praktische Umsetzung von Gesundheits- und Si-

cherheitsbestimmungen für die Landwirtschaft;– wirksame Bekämpfung von grenzüberschreitenden Praktiken wie

dem illegalen Vertrieb und Einsatz giftiger Agrarchemikalien;– Durchführung von Abschätzungen und Bewertungen gesundheitli-

cher Risiken, die die problematischen Wechselwirkungen zwischenEinkommensmaximierung, Erhaltung der natürlichen Lebensgrund-lagen und Gesundheit offenlegen.

Pol it ik und inst itutionel ler Rahmen

Die gegenwärtigen Folgelasten der mit der Landwirtschaft und AWWTverbundenen Gesundheitsrisiken machen robuste Erkennungs-, Überwa-chungs-, Beobachtungs- und Reaktionsmechanismen erforderlich, mit de-ren Hilfe die tatsächlichen durch Krankheiten und schlechte Gesundheitverursachten Belastungen erkannt und kosteneffektive gesundheitsfördern-de Maßnahmen und Strategien umgesetzt werden können. Dafür sind lang-

79 Gesundheitsbezogene Angaben sind Warnungen oder auch positive Hinweise. Sie sind hef-tig umstritten.

88 Synthesebericht

fristige und substanzielle Investitionen in den Aufbau von personellen undinstitutionellen Kapazitäten erforderlich, um: – sichere Lebensmittel in genügender Menge, guter Qualität und Viel-

falt vorzuhalten, – die Belastungen infolge von Adipositas und anderen chronischen

und Infektionskrankheiten mindern und– Risiken für Umwelt und Gesundheit der Arbeitenden durch land-

wirtschaftliche Praktiken verringern zu können.

Gleichberechtigung

Wissenschaften und Technologien (lokal und institutionell)

Historisch hat institutionelles AWWT Bauern mit Zugang zu Produktions-mitteln, Dienstleistungen, Kapital und Märkten (zum Beispiel Männer undnicht indigene Gruppen) bevorzugt und so die Ungleichheiten in den länd-lichen Räumen noch verstärkt. Zusätzlich haben mittellose und marginali-sierte Teile der Bevölkerung durch die schädigenden Folgen der Umwelt-zerstörung überproportional stark gelitten (CWANA; LAC; SSA). Wennman die Verteilungswirkungen von Investitionen in AWWT erkennt, so fol-gen daraus bewusste politische Entscheidungen für Investitionen inAWWT, das die Bedürfnisse von kleinbäuerlichen Betrieben berücksichtigtund zu mehr Gleichberechtigung führt (Globaler Bericht, Kap. 3 und 7). Einsolches Vorgehen hat durchaus im Blick, dass die kurzfristigen geldwertenRenditen gegebenenfalls nicht so hoch sind wie bei anders ausgerichtetenInvestitionen, dass sie dafür aber langfristig bemerkenswert zur Verringe-rung von Armut und Armut und Mittellosigkeit beitragen können.

Damit AWWT zu mehr Gleichberechtigung beiträgt, müssen Investitio-nen in:– die Entwicklung angepasster Technologien, – den Zugang zu Bildung, Ausbildung und Partizipation in der For-

schung,– neue partnerschaftliche Verbindungen und Netzwerke mit einer grö-

ßeren Anzahl von Akteuren,

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 89

– neue Methoden des Lernens, der Beratung und Anleitung zur Nut-zung von Techniken auch für mittellose und marginalisierte Bevölke-rungsgruppen fließen.

Solche Investitionen erleichtern wahrscheinlich den Zugang zu langfristigsozial und umweltgerechten Technologien, zu Krediten und verbürgtenRechten (darunter Eigentums- und Landbesitzrechten) wie auch zu loka-len, nationalen und regionalen Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnis-se (Teil II: Umgang mit natürlichen Ressourcen).

Institutionelles wie lokales AWWT kann alle landwirtschaftlichen Güterund Dienstleistungen aufwerten und zur Entwicklung solcher ökonomi-scher Instrumente beitragen, die eine angemessene Balance zwischen priva-ten und öffentlichen Gütern befördern. Auf der Ebene von landwirtschaftli-chen Betrieben, Wassereinzugsgebieten, Landkreisen und Bezirken wie aufnationaler Ebene dürften neue Methoden zur Abschätzung, Bewertung undVerbesserung der Leistungen von Bewirtschaftungssystemen im Blick aufdie Multifunktionalität der Landwirtschaft vonnöten sein. Dabei muss fürdie Region CWANA und andere aride Gebiete ein besonderes Augenmerkauf einer integrierten Nutzung der Wasservorkommen und für die RegionSSA und andere Gebiete mit stark degradierten Böden auf einer integrier-ten Förderung der Bodenfruchtbarkeit liegen.

Wenn man die institutionalisierten Wissenschaften und Technologienund lokales und traditionelles Wissen als Teile eines umfassenden AWWT-Systems betrachtet, kann am ehesten ein gleichberechtigter Zugang zuTechnologien für eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Produzenten erleich-tert werden (Globaler Bericht, Kap. 3; Teil II: Umgang mit natürlichen Res-sourcen). Eine derartige Zusammenschau beinhaltet unter anderem die Ab-kehr von der Vorstellung und Praxis eines linearen Technologietransfers,80

der zwar den relativ gut gestellten Produzenten der wichtigsten(Welt-)Marktfrüchte zugute kam, diversifizierten kleinbäuerlichen Betrie-ben sowie mittellosen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen aber nurwenige Erfolge ermöglichte und der Multifunktionalität der Landwirtschaftkaum Beachtung schenkte. Bäuerinnen und Bauern müssen stärker in Ent-scheidungen über Prioritätenfindung und Finanzierung einbezogen wer-

80 Solcher Transfer geht einseitig von den Wissenschaften zu den Anwendern und nimmt oftdie realen Problemstellungen bei den Anwendern gar nicht auf.

90 Synthesebericht

den. Das gilt auch für die Kooperation mit Gesellschaftswissenschaftenund die Etablierung beteiligungsorientierter Forschung in den zentralenForschungsinstitutionen. Netzwerke von kleinbäuerlichen Betrieben för-dern den Austausch von Erfahrungen und AWWT. In diesem Sinne wirkenauch inter- und multidisziplinäre Programme, quer zu den wissen-schaftlichen Fächern verlaufendes Lernen und dessen Qualitätssicherungunter Einbeziehung forschender wie nicht forschender Akteure sowie dieAnerkennung der kulturellen Identität indigener Gemeinschaften.

Alternativen zu den üblichen Beratungspraktiken sind Feldschulungen(SSA) oder etwa die Bewegung Campesino a Campesino81 in der RegionLAC. Eine solche integrierte Vorgehensweise wird aber nur dann praktischaufgegriffen, wenn ergänzende Schritte unternommen werden wie die Ent-wicklung inländischer professioneller Kapazitäten für die Umsetzung inte-grierter Konzepte, Beobachtungs- und Evaluationsverfahren für diese Kon-zepte und Strukturen in dem wissenschaftlich-professionellen Betrieb, diepartizipatorische Forschung auch als Beiträge in den wichtigsten akademi-schen Zeitschriften zulassen. Ein komplementärer Schritt besteht darin, inAWWT-Organisationen interne Ausbildung und Evaluation zu ermögli-chen, insbesondere um die Auswirkungen der eigenen beruflichen Arbeitauf die Gleichberechtigung zu reflektieren.

Politik und institutioneller Rahmen

Eine Verbesserung der Situation schließt einen gleichberechtigten Zugangund die gleichberechtigte Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen ein,bietet Anreize und Honorierungen für Multifunktionalität einschließlichder Ökosystemleistungen und Rücksichtnahme auf die Verletzlichkeit bäu-erlicher Gemeinschaften. Wichtig sind auch Arbeitsprinzipien und Ent-scheidungsstrukturen in AWWT-Organisationen, da diese eine wichtigeRolle bei der Demokratisierung, Dezentralisierung und der Aufnahme vonAnliegen der Bäuerinnen und Bauern bei der Ausgestaltung von Dienstleis-tungen und landwirtschaftlichen Geschäftsfeldern für Bäuerinnen undBauern spielen. Nachfolgend sollen einige Beispiele geschildert werden.

81 Movimiento Campesino a Campesino ist eine bäuerliche Selbsthilfebewegung, bei der Bäuerin-nen und Bauern sich gegenseitig beraten – ohne professionelle Berater aus den institutionellenWissenschaften, vgl. www.foodfirst.org.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 91

Mithilfe von AWWT können Rechte an geistigem Eigentum mit Blickauf Multifunktionalität abgeschätzt und bewertet werden. Es können Rege-lungen von gemeinschaftlichem geistigen Eigentum erwogen werden oderauch andere, nicht eigentumsrechtliche Mechanismen wie Preisgestaltung,Lizenzaustausch und andere Mittel, die Forschung begünstigen. Die Gleich-berechtigung zwischen den Regionen kann verbessert werden. Rechtsset-zungen können die Anerkennung traditionellen Wissens im Kontext gene-tischer Ressourcen und ebenso eine gleichberechtigte Verteilung der Erträgeunter den Hütern dieser Schätze fördern (Globaler Bericht, Kap. 3). Politik –unter anderem rechtliche Vorschriften, die den Zugang zu genetischen Res-sourcen und die gleichberechtigte Verteilung der aus ihrer Nutzung stam-menden Erträge regeln – kann so ausgestaltet werden, dass die ortsansässigenGemeinschaften sowohl ihren angestammten Zugang behalten wie auchdas Recht erhalten, den Zugang durch Andere zu regulieren.

Heute ist unbestritten, dass die Aufwendungen für den Schutz der bio-logischen Vielfalt, wie der agrikulturellen genetischen Vielfalt, von vielenarmen Regionen getragen werden, während die globale Gemeinschaft dieVorteile daraus zieht. Deswegen sollen neue nationale und internationalerechtliche Regelungen und korrespondierende Institutionen den Vorteils-ausgleich sicherstellen, indem ortsansässige Gemeinschaften und einzelneStaaten den Zugang zu wie auch die Erträge von lokalen genetischen Res-sourcen kontrollieren. So ist dies in der UN-Konvention über biologischeVielfalt (CBD) und in dem Internationalen Vertrag über pflanzengenetischeRessourcen für Ernährung und Landwirtschaft durch das multilaterale Sys-tem für Zugang und Vorteilsausgleich geregelt.

Enorme Ungerechtigkeiten bei Besitz von und Zugang zu Wasservor-kommen und fruchtbarem Land verschärfen noch die wirtschaftlichen Dis-paritäten, die für viele Regionen der Welt (LAC, SSA) charakteristisch sind.Landreformen einschließlich verbesserter Landbesitzrechte und ein gerech-ter Zugang zu Wasservorkommen sind nahe liegende Maßnahmen, dienachhaltigen Umgang unterstützen und gleichzeitig eine Antwort auf so-ziale Ungleichheiten sind, die wirtschaftliche Entwicklung bremsen. SolcheInitiativen können der Verdrängung von kleinbäuerlichen Betrieben, campe-sinos und indigenen Völkern in städtische Zentren oder auf schlechte Bödenentgegenwirken. Gemeinschaftliches Eigentum, kommunaler Austauschund gemeinschaftliche Innovationen müssen zunächst besser verstanden

92 Synthesebericht

werden. Ein Nebeneinander von formellen und informellen Rechten zuLandbesitz und -nutzung, wie sie in einigen Agrikulturen existieren, bildenden Mittelpunkt für Strategien zur Neuordnung von Pacht- und Besitzver-hältnissen.

Um ein besseres Umfeld zu schaffen, in dem sich AWWT positiv auf dasErreichen von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen auswirkt, kannglobale Gleichberechtigung verbessert werden, indem kleinbäuerliche Be-triebe vor einem unfairen Wettbewerb geschützt werden, auch vor zumeistsubventionierten Massengütern, die mit den betriebswirtschaftlichen Vor-teilen großer Volumina hergestellt worden sind. Angemessene Erzeuger-preise durch gleichberechtigten und fairen Zugang zu Märkten und Handelsind ebenfalls ein entscheidender Faktor bei der Sicherung von Beschäfti-gung in ländlichen Räumen, der Verbesserung der Lebensgestaltungsmög-lichkeiten und der Ernährungssicherheit. Faire Preise für kleinbäuerlicheBetriebe können dadurch gewährleistet werden, dass die Subventionen derOECD-Länder für industrialisierte landwirtschaftliche Großbetriebe unddas Preisdumping durch Exporterstattungen abgeschafft werden. Ebensodürfen kleinbäuerliche Betriebe dem Wettbewerb mit industrialisierten Be-trieben nicht unangemessen ausgesetzt werden, bevor entsprechende insti-tutionelle und Infrastrukturen geschaffen sind und wirksam arbeiten. Die-se sind zudem Voraussetzung dafür, dass AWWT effektiv genutzt wird.Auf der nationalen und internationalen Ebene müssen Regelungs- und Re-gierungsstrukturen zur Bekämpfung von unfairem Wettbewerb und für ei-ne Verantwortlichkeit der Agrarunternehmen geschaffen werden. Dieskann zum Beispiel durch Gesetze gegen Monopol- und Kartellbildungenfür Finanzinstitutionen und die Agrar- und Lebensmittelindustrie gesche-hen. Eine Möglichkeit besteht darin, das Recht von Bäuerinnen und Bauern,kulturell und den örtlichen Bedingungen angepasstes Saatgut auszu-wählen und auszutauschen, durch die Schaffung bzw. Verbesserung ent-sprechender Voraussetzungen zu garantieren. Ebenso kann die Monopol-stellung, die Pflanzenzuchtunternehmen mit den Ausschließlichkeitsrechtenerlangen, die ihnen die Pflanzenzüchtungs- und Patentrechte gegenwärtiggewähren, beseitigt werden; dazu können beispielsweise verpflichtendeAusgleichsregelungen dienen.

Die globale Gleichberechtigung kann auch befördert werden, indemkleinbäuerlichen Betrieben ein besserer Zugang zu internationalen Märkten

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 93

eröffnet wird. Die heute bestehenden Handelsstrukturen, in denen dieWeltmarktpreise für die wichtigsten agrarischen Massengüter durch Sub-ventionen und eine lange Geschichte von staatlicher Unterstützung derAgrarwirtschaft verzerrt werden, können von Initiativen wie dem fairenHandel, der Zertifizierung des ökologischen Landbaus und der Zertifizie-rung von Holz aus umweltgerechtem Anbau bzw. Einschlag nur profitie-ren. Viele solcher Programme setzen jedoch zusätzliche Fertigkeiten vor-aus, die weniger bemittelte Bauern erst noch erwerben müssen. In diesenFällen kann AWWT kleinbäuerlichen Betrieben die Ausbildung und Unter-stützung bereitstellen, die sie für die Beteiligung an solchen Märkten benö-tigen.

Eine direkte Verbindung zwischen bäuerlichen Betrieben und städti-schen Konsumenten (zum Beispiel durch Direktvermarktung oder gemein-schaftlich unterstützte landwirtschaftliche Initiativen)82 kann dazu beitra-gen, das Gefälle zwischen Stadt und Land zu verringern und zugleich vonVorteil für arme städtische Verbraucher sein. Dies kann erreicht werdendurch Verbesserungen bei Dienstleistungen, Zugang zu städtischen Märk-ten, zentrale Qualitätskontrollen, Verpackung und Vermarktung zur Ver-sorgung urbaner Märkte aus dem umliegenden ländlichen Räumen insbe-sondere durch kleinbäuerliche Betriebe. Diesem Weg ist am ehesten Erfolgbeschieden, wenn die nationalen Erzeugerverbände und deren Dachorga-nisationen ihre Position in der nationalen Politik stärken. AWWT kannauch zum Aufbau von Landwirtschaft in Städten und im Umland von Städ-ten beitragen, die vor allem die ärmsten Stadtbezirke (LAC) im Auge hat,und dadurch Gleichberechtigung fördern, Nachbarschafts- und Gemein-schaftsorganisationen stärken, Gesundheitsförderung betreiben und Ernäh-rungssicherheit und -souveränität unterstützen.

In der Verfolgung von Gleichberechtigung beim Zugang zu Lebensmit-teln, Ernährung, Gesundheit und einer gesunden Umgebung können dieBeteiligten auf vorhandene internationale Abkommen, Vereinbarungen undVerträge zurückgreifen. So kann für die Beseitigung von Hunger das Rechtauf eine ausreichende Ernährung geltend gemacht werden, wie es in Arti-kel 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle

82 Es gibt viele Formen solcher Initiativen, zum Beispiel durch die Beteiligung an der Aufzuchtbestimmter Tiere oder die kontinuierliche Abnahme von pflanzlichen und tierischen Erzeug-nissen.

94 Synthesebericht

Rechte der Vereinten Nationen verbrieft ist. Diese Rechtsvorschrift undder Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sind bedeuten-de Instrumente zur praktischen Umsetzung der Prinzipien der Allgemei-nen Erklärung der Menschenrechte.83 In einer solchen auf Rechte gegründetenKultur sind die Staaten verpflichtet, wohlüberlegte, konkrete und nicht dis-kriminierende Maßnahmen zur Beseitigung von Hunger zu ergreifen. Zumjetzigen Zeitpunkt sind 146 Staaten Mitglieder dieses Paktes und 187 Staa-ten haben die Freiwilligen Richtlinien zum Recht auf Ernährung des FAO-Ra-tes unterzeichnet (LAC).

Obwohl Frauen in vielen Regionen, insbesondere in den RegionenCWANA, LAC und SSA, den größeren und noch zunehmenden Beitrag zurlandwirtschaftlichen Produktion leisten, werden sie marginalisiert bei derInanspruchnahme von Bildung, Beratung und Eigentumsrechten. Außer-dem sind sie in der agrarwissenschaftlichen Lehre ebenso wie in Entwick-lungs- und Beratungsorganisationen unterrepräsentiert (Globaler Bericht,Kap. 3). Es ist durchaus belegt, dass Strategien zur Förderung der Frauen –insbesondere solche, bei denen es um funktionelle Alphabetisierung84 unddie Verbesserung der Allgemeinbildung geht – die Wahrscheinlichkeit,dass die Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele erreicht werden, erhöhen(SSA und andere Regionen). Andere Fördermaßnahmen, die noch nicht sogut dokumentiert sind, beinhalten die Neugestaltung von politischen Kon-zepten und Programmen mit dem Ziel, Frauen in Entscheidungsprozessen,Führungs- und Verwaltungspositionen stärker zu beteiligen und ihre Prä-senz zu erhöhen. Zu den gezielten Aktivitäten, durch die eine angemesseneBeteiligung von Frauen selbstverständlich werden soll, gehören solche, diebei ihnen Interesse für das Studium der Agrar- und Wirtschaftswissen-schaften wecken sollen und dann auch entsprechende Möglichkeiten bietenebenso wie Maßnahmen, die gewährleisten, dass Frauen in Arbeitsberei-chen wie Beratung, Datenerhebungen und -auswertungen sowohl alsDurchführende wie auch als Adressaten vertreten sind. Es hat sich auch ge-zeigt, dass gemischtgeschlechtliche Forschungsgruppen die Bäuerinnenbesser erreichen als konventionelle Beratungsdienste (SSA), woraus sichschließen lässt, dass ähnliche Instrumente erforderlich sind, um marginali-

83 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen stammt von 1948.84 Dies meint eine Alphabetisierung, die an den ganz konkreten Arbeits- und Lebensprozessender Menschen, die in aller Regel schon erwachsen sind, ansetzt.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 95

sierte Gruppen, zum Beispiel Landlose, Hirten und saisonale oder langzei-tige Wandervölker in die Arbeit von Bildungseinrichtungen und politi-schen Institutionen einzubeziehen.

Beteiligungsorientierung und Demokratisierung von AWWT können ge-sellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche (zum Beispiel durch den Auf-bau von Netzwerken) integrieren, die bisher ausgeschlossen waren (Glo-baler Bericht, Kap. 3). Zu solchen Beteiligungsprozessen gehören bessereInformationen und institutionelle Unterstützung beim Zugang zu sowieder Aufbau von Bildung und Ausbildung unter Einbeziehung der Zivilge-sellschaft zwecks größerer Transparenz und klarerer Verantwortlichkeiten.Eine Schlüsselfrage ist, wie Jugendlichen geholfen werden kann, sich in derAgrikultur zu engagieren und derartiges Arbeiten auch im Vergleich mitstädtischer Beschäftigung attraktiv auszugestalten. Es sind langfristige In-vestitionen in landwirtschaftliche Ausbildung, insbesondere von Bäuerin-nen und jungen Menschen erforderlich. Außerdem müssen Bäuerinnenund Bauern im Geschäftsleben ebenso wie bei der Gestaltung von Regelnfür geistige Eigentumsrechte und in anderen Rechtsfragen ein deutlichesWort mitzusprechen haben; zivilgesellschaftliche Organisationen müssen ge-stärkt werden.

Ein höheres Maß von Gleichberechtigung erfordert Synergien zwi-schen diversen entwicklungspolitischen Akteuren, darunter Bäuerinnenund Bauern, Landarbeiterinnen und Landarbeiter, Banken, zivilgesell-schaftliche Organisationen, kommerzielle Unternehmen und Behörden undÄmter (Globaler Bericht, Kap. 3). Die Einbeziehung aller Beteiligten istebenso bei Entscheidungen über Infrastruktur, Zölle und die Internalisie-rung sozialer und ökologischer Kosten von ausschlaggebender Bedeutung.Frauen und andere zumeist ausgeschlossene Akteure (örtliche Gemein-schaften und indigene Völker, Landarbeiterinnen und Landarbeiter) müs-sen eine aktive Rolle bei der Identifizierung von Problem- und Frage-stellungen (Festlegung von Forschungsthemen, Beratungszielen) und beider Gestaltung von politischen Maßnahmen und Projekten spielen. NeueLenkungs- und Regierungsstrukturen, die die Bildung innovativer lokalerNetzwerke und die Dezentralisierung von Verwaltungs- und Regierungs-aufgaben begünstigen und auf die Situation kleinbäuerlicher Erzeuger undmittelloser Menschen in Städten (Nahrungsmittelerzeugung in Städten) ge-

96 Synthesebericht

richtet sind, tragen dazu bei, Synergien und sich ergänzende Kapazitätenzu schaffen und zu stärken (LAC).

Invest it ionen

Wenn AWWT zur Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszie-len beitragen soll, so erfordert dies zusätzliche Mittel und vielfältigereFinanzierungsmechanismen für Forschung und Entwicklung zur Agri-kultur und damit zusammenhängenden Wissensbereichen. Folgendeswäre denkbar: – öffentliche Investitionen zugunsten globaler, regionaler und lokaler

öffentlicher Güter, zur Bearbeitung strategischer Themen wie Ernäh-rungs- und Nahrungsmittelsicherheit, Klimawandel und Nachhaltig-keit, für die privatwirtschaftliche Investitionen nicht zur Verfügungstehen. Gleiches gilt für die effizientere Nutzung des knapper werden-den fruchtbaren Landes und sauberen Wassers wie auch der biologi-schen Vielfalt. Hier sind Investitionen der öffentlichen Hand zurSchaffung geeigneter rechtlicher Bestimmungen und in die Ausbil-dung von angemessenen Nutzungspraktiken nötig.

– Öffentliche Investitionen sind auch gefragt zur Unterstützung wirkli-cher Neuorientierungen in landwirtschaftlichen Wissensstrukturen,die vor allem im Blick haben: – interaktive Wissensnetzwerke (zwischen Bäuerinnen und Bauern,

bäuerlichen Gemeinschaften, Wissenschaftlern, Vertretern aus derIndustrie und Akteuren aus anderen Wissensbereichen) aufzu-bauen und dabei den Zugang aller Akteure zu Informations- undKommunikationstechnologien zu verbessern;

– die Wissenschaften, die sich mit Bereichen wie Ökologie, Evolu-tion, Nahrungsmittel, Ernährung, Gesellschaft, komplexe Systemebefassen, zu fördern – dazu gehört auch eine wirklich interdiszi-plinäre Ausrichtung;85

85 Interdisziplinarität ist ein schillernder Begriff. Er meint ursprünglich eine fachübergreifendeDefinition und Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen. Er wird allerdings oft auchfalsch im Sinne von Multidisziplinarität verwendet. Multidisziplinarität meint lediglich dieAnalyse einer Fragestellung durch unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen.

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 97

– Einrichtungen, Regularien und Angebote zu schaffen, die allen, die imBereich Agrikultur, Ernährung und Lebensmittel tätig sind, lebenslan-ges Lernen ermöglichen.

– Partnerschaften zwischen dem öffentlichen Sektor und der Privatwirt-schaft zur besseren wirtschaftlichen Verwertung von anwendungsnahenKenntnissen und Technologien; Kofinanzierung von Forschung und Ent-wicklung, wenn es hohe Marktrisiken und breit gefächerte Möglichkei-ten gibt, das Wissen zu verwenden;

– angemessene Anreize und Anerkennungen für zivilgesellschaftlicheund privatwirtschaftliche Investitionen in AWWT, die zur Errei-chung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen beitragen.

Es gibt viele Wege, Investitionen gezielt so zu tätigen, dass sie zur Errei-chung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen beitragen. Diese Wegemüssen vor allem daraufhin geprüft werden, inwieweit sie den lokalen undregionalen, sozialen, politischen und ökologischen Kontexten Rechnungtragen, indem sie folgende Ziele verfolgen:

Armutsbekämpfung, Lebensgestaltungsmöglichkeiten und Ernährungssicherheit:Durch Investitionen in AWWT kann eine langfristig sozial und umweltge-rechte Produktivität wichtiger Subsistenz-Nahrungspflanzen86 erhöht wer-den, die züchterisch oft vernachlässigt, aber von mittellosen Menschen vielfachkultiviert und/oder konsumiert werden. Mit entsprechenden Investitionenkönnen auch institutionelle Veränderungen und politische Maßnahmen ver-folgt werden, um Mittellosen besseren Zugang zu Nahrungsmitteln, frucht-barem Land, Wasser, Saatgut, genetischen Ressourcen und verbessertenTechnologien zu ermöglichen, insbesondere solchen, die die Wertschöp-fungskette ergänzen, zum Beispiel durch Qualitätsverarbeitung landwirt-schaftlicher Erzeugnisse.

Nachhaltigkeit: Es sind zusätzliche Investitionen in AWWT erforderlich, um:– landwirtschaftliche Tätigkeiten und Verfahren in Richtung Nachhal-

tigkeit zu lenken und deren schädliche Umweltwirkungen zu ver-

86 Dieses sind Nutzpflanzen, die oft keine Rolle im Welthandel spielen und daher auch seltenangemessen züchterisch bearbeitet werden. Für die reale Ernährungssicherheit sind sie abervon großer Bedeutung.

98 Synthesebericht

mindern, wobei andersartigen Umgangs- und Erzeugungsweisen,zum Beispiel dem ökologischen Landbau und low input-Anbau, be-sondere Beachtung geschenkt werden muss;

– die durch landwirtschaftliche Praktiken verursachten THG-Emissio-nen zu verringern;

– die Anfälligkeit agrarökologischer Systeme gegenüber den erwarte-ten Klimaänderungen und -schwankungen (zum Beispiel durchZüchtung von Nutzpflanzen mit Toleranzen gegenüber höherenTemperaturen und Krankheiten) abzumildern;

– die Wechselbeziehungen zwischen den aus der Agrikultur bereitge-stellten Ökosystemleistungen und deren Wirkungen für das mensch-liche Wohlbefinden besser zu verstehen;

– wirtschaftliche wie nicht ökonomische In-Wert-Setzung von Leistun-gen aus den Ökosystemen zu verbessern;

– bei der Nutzung von Wasser die Effizienz zu erhöhen und Wasser-verschmutzung zu vermeiden;

– vorhandene und neu auftretende Schädlinge und Pathogene mit bio-logischen Verfahren zu kontrollieren und biologische Verfahrenswei-sen als Ersatz für Agrarchemikalien einzuführen;

– die Abhängigkeit des Agrarsektors von fossilen Energieträgern zuvermindern.

Menschliche Gesundheit und Ernährung: Hier sind umfassende öffentlicheund privatwirtschaftliche Investitionen in AWWT vonnöten, um beizutra-gen zu: – einer Reduzierung chronischer Krankheiten mithilfe von wissen-

schaftlichen Programmen zu gesundem Ernährungsverhalten undGesetzgebung zur Zusammensetzung von verarbeiteten Nahrungs-mitteln;

– der Modernisierung der Sicherheitsbestimmungen für Lebensmittelin einer zunehmend von global operierenden Konglomeraten aus Er-zeugung, Verarbeitung und Handel geprägten Lebensmittelindus-trie;

– der Kontrolle von und dem effektiven Umgang mit Infektionskrank-heiten durch Entwicklung neuer Impfstoffe, globale Beobachtungs-,

Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen 99

Überwachungs- und Reaktionssysteme und wirksame rechtliche Be-stimmungen.

Darüber hinaus sind Investitionen in Wissenschaften und Gesetzgebungnötig, die sich auf berufsbedingte Gesundheitsrisiken wie die Verwendungvon Pestiziden beziehen und auf die zugehörigen Sicherheitsvorschriftensamt Gesetzen zur Unterbindung von Kinderarbeit.

Gleichberechtigung: Vorrangige Investitionen in eine gleichberechtigungsori-entierte Entwicklung, zum Beispiel in Alphabetisierung, Bildung und Aus-bildung, die zur Abnahme ethnischer, geschlechtsbezogener und andererUngleichheiten beitragen, würden das Erreichen von Entwicklungs- undNachhaltigkeitszielen voranbringen. Um die Erfolge solcher Investitionenerfassen zu können, sind Indikatoren nötig, die weitergehende Informatio-nen wiedergeben als das BIP, mithin auch Fortschritte in Bereichen wieUmweltschutz und Gleichberechtigung erfassen. Die Verwendung von Un-gleichheits-Indikatoren bei der Durchleuchtung von derartigen Investitio-nen in AWWT und bei der Beobachtung von ihren Ergebnissen wird zu-gleich die Wahrnehmung von Verantwortung stärken. Beispielsweise könnteder Gini-Koeffizient als allgemein verwendetes Kriterium zur Abschätzungund Bewertung von Politik die bislang üblichen Kennzahlen für Wachstum,Inflation und Umweltzustände ergänzen.

In vielen nicht industrialisierten Ländern dürfte es erforderlich sein,die oben genannten Investitionen durch zusätzliche und speziellere In-vestitionen in Infrastruktur in ländlichen Räumen, Erziehung, Bildungund Gesundheit zu ergänzen und die personellen und institutionellenKapazitäten in den Kernbereichen der Agrar- und Nachbarwissenschaf-ten zu verstärken.

Angesichts neuer globaler Herausforderungen ist es dringend erforder-lich, neue zwischenstaatliche, unabhängige wissenschaftsbasierte Netzwer-ke zu stärken, zu reformieren und möglicherweise auch erst aufzubauen,die Fragen wie:– Klimaprognosen für die landwirtschaftliche Erzeugung, – Gefahren für die menschliche Gesundheit durch neu auftretende

Krankheiten wie die Vogelgrippe,

100 Synthesebericht

– Neuschaffung von Lebensgestaltungsmöglichkeiten als Antwort aufveränderte Bedingungen in landwirtschaftlich geprägten Gesellschaf-ten, zum Beispiel durch Wanderungsbewegungen,

– Ernährungssicherheit und– globale Situation der Wälder bearbeiten.

Teil I I : Themen

Energie aus Biomasse

Autoren: Patrick Avato (Deutschland/Italien), Rodney J. Brown (USA), Moses Kairo (Kenia)

Energie aus Biomasse87 ist in jüngster Zeit ein Thema geworden, das auf er-hebliches öffentliches Interesse trifft. Steigende Preise für fossile Brennstof-fe, Fragen der Energiesicherheit, größere Aufmerksamkeit für Folgen desKlimawandels, Interessen von Teilen der Landwirtschaft und mögliche Be-lebungen der wirtschaftlichen Entwicklung tragen dazu bei, dass Energieaus Biomasse für Politiker und private Investoren ein reizvolles Thema ge-worden ist. Energie aus Biomasse meint hier alle Formen von Energie, dieaus Pflanzen und pflanzlichem Material stammen. Energie aus Biomassewird in modern oder traditionell unterschieden, je nachdem, wie sie im Laufeder Geschichte verwandt wurde und welche technologischen Verfahren in-volviert sind. Traditionelle Energie aus Biomasse verwendet wenig Techno-logie, zum Beispiel bei der direkten Verbrennung von Feuerholz, Holzkoh-le oder Dung zur Gewinnung von Wärme. Moderne Energie aus Biomasseumfasst Strom, Licht und Wärme aus fester, flüssiger oder vergorener Bio-masse und flüssige Kraftstoffe für den Verkehr. Letztere werden unterteiltin Treibstoffe der ersten Generation, die aus Stärke, Zucker oder Öl auf derBasis von Nutzpflanzen gewonnen werden, und Treibstoffe der nächstenGeneration. Treibstoffe der nächsten Generation (auch als Kraftstoffe derzweiten, dritten oder vierten Generation bezeichnet) werden aus unter-schiedlicher Art von Biomasse hergestellt, zum Beispiel aus speziell ange-

87 Das englische bioenergy ist der Sammelbegriff für Energie aus Biomasse. Da im Deutschendas Präfix Bio- aber für Produkte aus dem ökologischen Landbau steht, wird hier von Energieaus Biomasse gesprochen.

102 Synthesebericht

bauten Energiepflanzen, land- und forstwirtschaftlichen Reststoffen undanderen zellulosehaltigen Materialien (CWANA Kap. 2; Globaler BerichtKap. 3 und 6; NAE, Kap. 4).

Da Biomasse in weiten Regionen verfügbar ist, stellt daraus gewonneneEnergie eine attraktive Ergänzung zu fossilen Brennstoffen dar, die außer-dem geopolitische und Risiken der Energiesicherheit vermindern kann. Al-lerdings kann nur ein kleiner Teil der global verfügbaren Biomasse aufwirtschaftliche ökologisch und sozial nachhaltige Weise genutzt werden.Derzeit werden ca. 2,3 % des weltweiten Primärenergieverbrauchs durchStoffe wie Ethanol, Pflanzendiesel oder Strom und industrielle Prozesswär-me aus Biomasse gewonnen (Globaler Bericht, Kap. 3).

Die Wirtschaftlichkeit der Energiegewinnung aus Biomasse, insbesonde-re die positiven bzw. negativen sozialen und Umweltkosten, ist sehr unter-schiedlich, je nach verwendeter Biomasse, Umwandlungstechnologien,Verhältnissen vor Ort und Regularien. Viele Aspekte der energetischenNutzung von Biomasse müssen noch erforscht werden. AWWT kann zu ei-ner besseren Nutzung und der Reduzierung möglicher Risiken und Kostenvon erheblicher Bedeutung sein. Aber komplementäre Maßnahmen in ver-schiedenen Politikfeldern, beim Ausbau von Institutionen und Regulierun-gen wie auch Investitionen sind erforderlich, um eine sozial, wirtschaftlichund ökologisch nachhaltige Wirtschaft zu fördern, die sowohl Lebensmittelwie Futter, Textilien und Brennstoffe bereitstellt. Im folgenden Abschnittwerden bestimmte Handlungsmöglichkeiten und Herausforderungen indiesen Feldern behandelt. Querschnittsthemen werden in einem nachfol-genden separaten Abschnitt erörtert.

Tradit ionelle Energie aus Biomasse

Millionen von Menschen in nicht industrialisierten Ländern sind zur Erfül-lung ihrer grundlegenden Bedürfnisse bei Lebensmittelzubereitung undWärmeerzeugung von traditionellen Energien aus Biomasse abhängig(zum Beispiel von Brennholz und Holzkohle für traditionelle Kochstellenoder Öfen). Die Abhängigkeit von traditioneller Energie aus Biomasse kor-reliert zumeist mit niedrigen Einkommen und ist in Afrika südlich der Sa-

Themen: Energie aus Biomasse 103

hara und in Südasien mangels günstiger Alternativen am stärksten verbrei-tet. In einigen Ländern kann der Anteil der Biomasse beim Energieverbrauchbis zu 90 % betragen. Innerhalb der jeweiligen Länder ist die Verwendungvon Biomasse bei den Menschen mit dem niedrigsten Einkommen und inländlichen Räumen am ausgeprägtesten (CWANA, Kap. 2; Globaler Be-richt, Kap. 3; SSA, Kap. 2).

Das Angewiesensein auf traditionelle Energie aus Biomasse kann Ent-wicklungen hemmen, da sie erhebliche Umwelt-, Gesundheits-, wirtschaft-liche und soziale Probleme mit sich bringt. Die traditionelle Nutzung vonBiomasse ist häufig mit zeitaufwändigen und nicht nachhaltigen Ernteme-thoden, gesundheitsgefährdender Verschmutzung und geringer Effizienzbei der Endnutzung verbunden; die Verwendung von Dung und landwirt-schaftlichen Reststoffen impliziert eine Verschlechterung der Bodenfrucht-barkeit, da dem Boden organisches Material zur Humusbildung und Nähr-stoffe entzogen werden. Das Sammeln von Brennstoffen ist zeitaufwändig.Auf diese Weise geht Zeit verloren, die produktiv für Landbau oder Bil-dung und Ausbildung genutzt werden könnte. Aus der offenen Verbren-nung von Biomasse resultierende Luftverschmutzung führt zu Asthma undanderen Atemwegserkrankungen, was 1,5 Millionen Todesfälle pro Jahrzur Folge hat88

(Globaler Bericht, Kap. 3; SSA, Kap. 2). Bisherige Bemühun-gen um verbesserte und effizientere Technologien (zum Beispiel bessereHerde zum Kochen) haben gemischte Ergebnisse gebracht. Daher sindneue und geeignetere Maßnahmen und Ansätze erforderlich, die Aktivitätender Vergangenheit ergänzen. Zusätzlich müssen Alternativen ausprobiertwerden, um die Verfügbarkeit und Verbreitung moderner Energielösungenzu fördern. Diese neueren Technologien unterscheiden sich allerdings starkin ihren wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Implikationen. Dabeikönnen fossile Brennstoffe, der Ausbau von Stromnetzen und dezentraleEnergiebereitstellung, auch durch moderne Biomasse-Energie, eine Rollespielen (Abschnitt über Strom und Wärme aus Biomasse, S. 109 ff.).

88 Eingeschlossen die Todesfälle infolge offener Verbrennung von Kohle in Wohnungen undHäusern.

104 Synthesebericht

Pflanzentreibstoffe der ersten Generat ion

Pflanzentreibstoffe der ersten Generation sind derzeit in erster Linie Etha-nol und Diesel; andere Kraftstoffe wie Methanol, Propanol und Butanolkönnten in der Zukunft eine größere Rolle spielen. Die Herstellung vonEthanol und Diesel, die aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen wie Maisund anderen Getreiden, aus Zuckerrohr, Soja, Maniok, Raps und Ölpalmengewonnen werden, hat in den letzten Jahren stark zugenommen, wobei derAusgangswert sehr gering war – 2005 machten diese Treibstoffmengen zu-sammen nur 1 % aller global verbrauchten Kraftstoffe im Transportsektoraus. Das schnelle Wachstum in diesem Bereich ist hauptsächlich auf politi-sche Fördermaßnahmen für Pflanzentreibstoffe zurückzuführen, die in vie-len Ländern der Erde in der Hoffnung etabliert wurden, Arbeitsplätze inländlichen Räumen zu schaffen und deren wirtschaftliche Entwicklung zufördern, Folgen des Klimawandels zu mildern und Energiesicherheit zu ge-winnen (ESAP, Kap. 4; NAE, Kap. 2; SSA, Kap. 2).

Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Pflanzentreibstoffe derersten Generation wird vor allem durch die folgenden Elemente bestimmt:1. Preise für Rohstoffe, 2. Wert der möglichen Koppelprodukte,89 3. Um-wandlungstechnologien und 4. Preise für Treibstoffe, mit denen die Pflan-zentreibstoffe konkurrieren. Jedes dieser Elemente variiert je nach Ort undZeit. Derzeit stellen die Pflanzentreibstoffe der ersten Generation nur aufden Märkten, auf denen die Rohstoffe am effizientesten hergestellt werdenkönnen, eine preislich konkurrenzfähige Alternative zu fossilen Brennstof-fen dar, und auch nur dann, wenn die Marktbedingungen günstig sind,zum Beispiel in Brasilien, wenn die Preise für pflanzliche Rohstoffe niedrigund die Preise für fossile Brennstoffe hoch sind. Dauerhaft hohe Rohölpreise,wie es sie 2007 und 2008 gegeben hat, würden die wirtschaftliche Konkur-renzfähigkeit der Pflanzentreibstoffe auch in anderen Regionen der Erdeerhöhen. Die Wirtschaftlichkeit flüssiger Pflanzentreibstoffe ist in abgelege-nen Regionen möglicherweise am höchsten, wenn der Zugang zu fossilenEnergieträgern und zugleich der Export von Erzeugnissen aus der Agrikul-tur durch hohe Transportkosten erschwert ist. Nicht industrialisierte Län-der ohne Zugang zum Meer, Inseln und abgelegene Gebiete innerhalb ein-

89 Ein Koppelprodukt ist zum Beispiel der sog. Kuchen, der übrig bleibt, wenn man aus Raps-samen das Öl mechanisch auspresst. Dieser Kuchen ist ein hochwertiges Tierfutter.

Themen: Energie aus Biomasse 105

zelner Länder können auch in diese Kategorie fallen – vorausgesetzt dieRohstoffe können billig und in ausreichenden Mengen bereitgestellt wer-den, ohne die Ernährungssicherheit zu gefährden (Globaler Bericht, Kap. 3und 6; NAE, Kap. 4).

Neben betriebswirtschaftlichen Faktoren beeinflussen auch Überlegun-gen zur Energiesicherheit und zum Verhältnis von ökologischen und sozia-len Vorteilen respektive Kosten die Bedeutung von Pflanzentreibstoffen derersten Generation. Aus ökologischer Sicht wird häufig die Frage diskutiert,ob insbesondere Ethanol überhaupt mehr Energie zur Verfügung stellt, alsfür seine Herstellung aufzuwenden ist; umstritten ist auch die CO2-Bilanz.Beide Fragen sind miteinander verflochten. In der Debatte werden Argu-mente vorgebracht, die zum einen auf unterschiedlichen Erfassungsmetho-den der Emissionen und des Energieaufwands und -ertrags vom Pflanzen-bau bis zum Endverbrauch (Lebenszyklusanalyse/LCA) beruhen und zumanderen auf stark unterschiedlichen standörtlichen Gegebenheiten, zumBeispiel den verwendeten Rohstoffen, der ursprünglichen Nutzung der An-bauflächen, der Mechanisierung der Erzeugung und dem Einsatz von Dün-gemitteln. Wenn die Rohstoffe auf ohnehin landwirtschaftlich genutztenFlächen angebaut werden und keine Waldzerstörung mit sich bringen,kann man allgemein sagen, dass Nutzpflanzenarten mit einem geringenAufwand von externem Input (wie Düngemittel und Pestizide), zum Bei-spiel Zuckerrohr in Regenfeldbaugebieten in Brasilien, eine deutlich besse-re Bilanz ergeben als Nutzpflanzen mit einem hohen Input, wie Mais inNordamerika. Folglich hängt die Antwort auf die Frage, ob Pflanzentreib-stoffe eine ernsthafte Option zur Minderung des Klimawandels sein kön-nen, von den realistischerweise erreichbaren Emissionseinsparungen undzugleich von den relativen Kosten ab, die bei anderen Minderungsmaßnah-men entstehen.90 Abgesehen von THG-Emissionen kann ein starker Ausbauder Erzeugung von Pflanzentreibstoffen auch erhebliche ökologische Kos-ten bedingen. So wird beispielsweise befürchtet, dass ein höherer Bedarfnach begrenzten naturräumlichen Faktoren wie Land und Wasser dazuführen wird, dass ursprüngliche Ökosysteme mit großer biologischer Viel-falt in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden (zum Beispiel

90 Hierzu hat der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Er-nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2007 eine ausführliche Stellungnahme abge-geben, vgl. www.bmelv.de.

106 Synthesebericht

durch die Zerstörung von Wäldern) und dass Wasservorräte geplündertwerden. Solche Entwicklungen lassen sich bereits in verschiedenen Re-gionen beobachten, zum Beispiel die Trockenlegung von Torfböden in In-donesien oder die Abholzung der Cerrados (Savannen) in Brasilien (Globa-ler Bericht, Kap. 4 und 6; NAE, Kap. 4).

Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen solcher Entwicklungen sindkomplex. Eine stärkere Nachfrage kann zu höheren Einnahmen für dieRohstofferzeuger und für andere beteiligte Gewerbe führen, zum Beispielbei Umwandlung in Pflanzentreibstoffe oder Verarbeitung von Nebenpro-dukten wie Presskuchen für die Tierfütterung – alles dies trägt potenziellzu wirtschaftlicher Entwicklung bei. Andererseits führt Konkurrenz um be-grenzte Böden und Wasservorräte unausweichlich zu höheren Lebensmit-telpreisen, was diejenigen zu spüren bekommen, die Lebensmittel kaufenmüssen, einschließlich der Lebensmittelindustrie, der Fleischwirtschaft und –was für die Hungerproblematik und soziale Nachhaltigkeit viel gravierenderist – der armen Bevölkerung. Dazu kann es noch passieren, dass kleinbäu-erliche Betriebe wirtschaftlich geschädigt oder von ihrem Land vertriebenwerden, sofern sie nicht rechtlich und tatsächlich geschützt und in Erzeu-gungsabläufe eingebunden werden. Mittel- bis langfristige Auswirkungenauf die Lebensmittelpreise können möglicherweise schwächer ausfallen,wenn die wirtschaftlich Beteiligten auf höhere Preise durch veränderte Ab-läufe bei der Erzeugung und Investitionen reagieren und wenn darüberhinaus bessere Technologien verwendet werden. Im Ergebnis beeinflussendie sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen in starkem Maße undlangfristig die Verteilungseffekte91 innerhalb der Gesellschaften und zwi-schen unterschiedlichen Akteuren. Je nachdem, wie Regulierungen undInstitutionen ausgestaltet sind, wird sich dies auch erheblich auf die Vertei-lung dieser Effekte, zum Beispiel zwischen kleinbäuerlichen und Großbe-trieben wie zwischen Männern und Frauen, auswirken (Globaler Bericht,Kap. 6).

Neben den direkten Auswirkungen der Pflanzentreibstoffproduktionbringen Politiken, die deren Verwendung fördern sollen, ihre eigenen Be-lastungen und Vorteile mit sich. Da die Pflanzentreibstoffe der ersten Gene-ration wirtschaftlich kaum mit fossilen Treibstoffen konkurrieren können,

91 Hiermit sind vor allem die Verteilung der Vor- und Nachteile gemeint.

Themen: Energie aus Biomasse 107

wird ihre Herstellung in fast allen Ländern durch ein verschachteltes Sys-tem von Subventionen und Regulierungen gefördert. Solche Subventionenbelasten die öffentlichen Haushalte nicht nur direkt. In den meisten Län-dern resultieren daraus auch Marktverzerrungen, zum Beispiel durch obli-gate Beimischungsquoten92, Handelsbeschränkungen und Zölle, die ihrer-seits durch Ineffizienz Kosten verursachen. Diese Praktiken unterminiereneine effiziente Herstellung von Pflanzentreibstoffen in den Ländern mitdem größten Potenzial und den geringsten Kosten, und es entstehen zu-sätzliche Kosten für die Verbraucher.

Die Liberalisierung des internationalen Pflanzenkraftstoffhandels durchWegfall von Beschränkungen und Änderungen bei der Handelsklassifizie-rung von Ethanol und Diesel würde eine effizientere Allokation der Pro-duktion in den Ländern fördern, die bei der Herstellung der Rohstoffe bzw.der Umwandlung zu Treibstoffen komparative Vorteile haben. Allerdingsbleibt unklar, inwieweit kleinbäuerliche Betriebe daraus einen Nutzen zie-hen könnten. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass negative Effekte wieWaldzerstörung, nicht nachhaltige Nutzung von Grenzertragsböden unddie Marginalisierung von kleinbäuerlichen Betrieben noch verstärkt wer-den, solange eine ökologische und soziale Nachhaltigkeit überhaupt nichtgewährleistet ist. Die am häufigsten erörterten Möglichkeiten für sozialund ökologisch nachhaltige Erzeugung von Pflanzentreibstoffen sindNachhaltigkeitsstandards und freiwillige Maßnahmen. Derzeit herrscht je-doch international weder Konsens über den Inhalt derartiger Konzeptenoch darüber, ob sie Nachhaltigkeit effektiv bewirken können. Ebenso un-geklärt bleibt, ob sie überhaupt entwickelt werden sollen (Globaler Bericht,Kap. 7).

AWWT kann zu größerer Ausgewogenheit zwischen sozialen, ökologi-schen und wirtschaftlichen Lasten und Nutzen beitragen, wenn auch nur inGrenzen. Forschung und Entwicklung zur Steigerung der Flächenerträgebei gleichzeitiger Reduzierung des Dünger- und Pestizidbedarfs durch op-timierte Anbauregime, Züchtung ertragreicherer Pflanzenarten und -sortenund Nutzung lokaler Pflanzensorten kann beträchtliche Fortschritte ermög-lichen. Herkömmliche Züchtungsverfahren wie auch genetische Transforma-

92 Die EU hat hier sehr hohe Quoten normiert. Die aktuellen Entwicklungen und Probleme derWirkungen solcher Quoten haben allerdings seit Anfang 2008 zu einer etwas zögerlicherenHaltung geführt – ohne dass die gesetzlichen Vorgaben schon revidiert wären.

108 Synthesebericht

tionen (Gentechnik) werden benutzt, um relevante Nutzpflanzenmerkmaleweiter zu verbessern, zum Beispiel den Stärke-, Zucker-, Zellulose- oderÖlgehalt, mit dem Ziel, günstigere Voraussetzungen für die Umwandlungzu Treibstoffen zu schaffen (Globaler Bericht, Kap. 6). Es wird angenom-men, dass eine Reihe von Pflanzen und Anbauverfahren in unterschiedli-chen Ländern, die jeweils an spezifische ökologische Situationen angepasstsind, großes Ertragspotenzial bergen; aber auch zur Nutzung dieses Poten-zials sind weitere Forschungen erforderlich.

Pflanzentreibstoffe der nächsten Generation

Die Entwicklung neuer Umwandlungstechnologien für die sogenanntenPflanzentreibstoffe der nächsten Generation bringt ein erhebliches Entwick-lungspotenzial mit sich. Die beiden bekanntesten Technologien, die Zellu-lose-Ethanol-Technologie und die BtL-Technologie, können nicht nur dieheute nutzbaren Glukosen und Öle, sondern auch Zellulose, Hemizelluloseund sogar Lignin – die strukturbildenden Materialien im größten Teil derBiomasse – in Pflanzentreibstoffe konvertieren. Auf diese Weise könntenauch vielfach vorhandene und potenziell billigere Rohmaterialien, zumBeispiel Reststoffe, Pflanzenstängel und -blätter, Stroh, Abfälle aus Städten,wild wachsende Kräuter und schnell wachsende Bäume in Pflanzentreib-stoffe umgewandelt werden. In der weiteren Zukunft könnte es möglichsein, Algen oder Cyanobakterien93 zu nutzen, die in Teichen oder Bioreak-toren in Salzwasser unter Einsatz von CO2 aus der Industrie intensiv kulti-viert werden. Forschung gibt es auch in die Richtung, die Herstellung vonPflanzentreibstoffen der nächsten Generation mit der Herstellung von Che-mikalien, Materialien und Strom zu koppeln. Diese sogenannten Bioraffine-rien könnten die Effizienz der Herstellung, die Treibhausgasbilanzen unddie Wirtschaftlichkeit des gesamten Verfahrens verbessern.

Einerseits könnte aufgrund der Vielfalt potenzieller Rohstoffe und ho-her Effizienz bei der Umwandlung der Flächenbedarf pro erzielbarer Ener-gieeinheit drastisch sinken, wodurch der Druck auf Lebensmittelpreise undÖkosysteme, der von Pflanzentreibstoffen der ersten Generation ausgeht,abnehmen würde. Im Vergleich zu Pflanzentreibstoffen der ersten Genera-

93 Dies sind Mikroorganismen, die eine Photosynthese durchführen können, bei der Sauerstofffreigesetzt wird.

Themen: Energie aus Biomasse 109

tion könnten die THG-Emissionen durch den gesamten Lebenszyklus ver-ringert werden. Auf der anderen Seite gibt es aber Bedenken gegenüber ei-ner nicht nachhaltigen Nutzung land- und forstwirtschaftlicher Reststoffeund der Verwendung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen und Enzy-me. Da sich die Pflanzentreibstoffe der nächsten Generation jedoch nocham Anfang ihrer Entwicklung befinden, besteht über wirtschaftliche, sozia-le und ökologische Kosten- und Nutzenannahmen noch große Unsicherheit(Globaler Bericht, Kap. 6 und 8).

Es müssen noch etliche kritische Entwicklungshürden genommen wer-den, bevor Pflanzentreibstoffe der nächsten Generationen eine wirtschaft-lich tragfähige Kraftstoff-Quelle für den Verkehrssektor darstellen können.Noch ist nicht absehbar, wann die entsprechenden technischen Durchbrü-che erzielt und welches Maß an Kosteneinsparungen sie praktisch mit sichbringen werden. Einige Länder wie Südafrika, Brasilien, China und Indienverfügen zwar über die Kapazitäten für eine aktive Erforschung und Ent-wicklung fortgeschrittener Pflanzentreibstoffe – indessen erschwerenAspekte wie hohe Kapitalkosten, der Zwang zu großvolumigen Umwand-lungsanlagen, hohe technologische Anforderungen und Rechtsfragen zugeistigem Eigentum die Herstellung von Pflanzentreibstoffen der nächstenGeneration in den meisten nicht industrialisierten Ländern, selbst wenn dietechnologischen und wirtschaftlichen Hürden in den Industrieländernüberwunden werden können. Daher müssen Verabredungen und Überein-kommen für die Behandlung dieser Probleme in nicht industrialisiertenLändern und für kleinbäuerliche Betriebe getroffen werden (Globaler Be-richt, Kap. 6 und 8).

Strom und Wärme aus Biomasse

Strom und Wärme werden überwiegend aus Abfällen und Resten von Bio-masse erzeugt. In den letzten Jahrzehnten hat die Verwendung sowohlkleiner Fermenter als auch großer industrieller Anlagen zugenommen.Die Erzeugung von Strom (44 GW [24 GW davon in nicht industrialisiertenLändern] im Jahr 2005 oder 1 % des gesamten Stromverbrauchs) und Wär-me (220 GWth im Jahr 2004) aus Biomasse bildet neben der Wasserkraft den

110 Synthesebericht

größten Sektor der erneuerbaren Energien, hauptsächlich gewonnen ausHolz, Rückständen und Abfällen.

Die wichtigsten Umwandlungstechnologien für Biomasse sind thermo-chemische und biologische Verfahren. Die thermochemischen Technologienbeinhalten eine direkte Verbrennung von Biomasse (entweder allein oderzusammen mit fossilen Brennstoffen) und die Vergasung.94 Die biologi-schen Technologien umfassen die anaerobe Vergärung von Biomasse zuBiogas, das in erster Linie Methan und CO2 enthält. Fermenter zum Haus-gebrauch arbeiten mit organischem Material wie Dung. Sie können die inHaushalten in ländlichen Räumen zum Kochen, Heizen und Beleuchten be-nötigte Energie bereitstellen. Sie sind in China, Indien und Nepal weit ver-breitet. Der Klärschlamm und die Abwässer werden als Dünger auf die Fel-der aufgebracht. Ihre Verwendung kann jedoch manchmal mit Problemenbei Technik, Unterhaltung und benötigten Betriebsstoffen verbunden sein(zum Beispiel beim Wasserbedarf der Fermenter). Industrielle Anlagen sindweniger anfällig für technische Probleme und finden in einigen nicht in-dustrialisierten Ländern zunehmend Verbreitung, besonders in China.Ähnliche Technologien werden auch in Industrieländern benutzt, zumeistmit dem Ziel, umweltschädigende Methanemissionen (zum Beispiel ausMülldeponien und Massenviehhaltung) aufzufangen und daraus Energiezu gewinnen.

Einige Nutzungen von Strom und Wärme aus Biomasse können durch-aus wettbewerbsfähige Alternativen zu anderen nicht netzgebundenenEnergiebereitstellungen wie zum Beispiel Dieselmotoren sein, selbst dann,wenn man die potenziellen nicht geldwerten Vorteile wie die Reduzierungder THG-Emissionen außer Acht lässt. Deshalb sind sie tragfähige Alterna-tiven für eine ausgeweitete Energieversorgung unter bestimmten Bedin-gungen. Das größte Potenzial für Strom und Wärme aus Biomasse ist gege-ben, wenn technisch ausgereifte und zuverlässige Generatoren Strom auspreisgünstigen und sicher verfügbaren Rohstoffen erzeugen können unddie Kapitalkosten über eine hohe und gleichmäßige Stromnachfrage ver-teilt werden können. Dies ist manchmal in oder in der Nähe von Industrie-anlagen der Fall, in denen Abfall und Reste anfallen und die zudem selbsteinen dauernden Strombedarf haben, zum Beispiel Zucker-, Reis- und Pa-

94 Dabei geht es um Prozesse der Erzeugung von Gas durch eine Verbrennung unter sauer-stoffarmen Bedingungen.

Themen: Energie aus Biomasse 111

piermühlen. Aus ökologischer und sozialer Sicht sind Strom und Wärmeaus Biomasse meist weniger problematisch als flüssige Pflanzentreibstoffefür Transportzwecke, weil sie in erster Linie aus Abfällen und Resten bezie-hungsweise aus Material aus nachhaltiger Forstwirtschaft gewonnen wer-den. In diesen Fällen sind erhebliche Reduzierungen der THG-Emissionenmöglich, selbst dann, wenn Biomasse zusammen mit Kohle verbranntwird. Darüber hinaus sind die Lebensmittelpreise vermutlich nicht betrof-fen. Die Vorteile für die Gestehungskosten wie die Umwelt sind bei kombi-nierter Wärme- und Krafterzeugung (Kraft-Wärme-Kopplung [KWK]) be-sonders groß, die in etlichen Ländern zunehmend genutzt wird. So decktbeispielsweise Mauritius während der Erntesaison 70 % seines Strom-bedarfs durch KWK mit Hilfe von Bagasse, einem Zwischenprodukt derZuckerrohrverarbeitung. Emissionen wie Staub und Rußpartikel ausSchornsteinen stellen dabei allerdings ein erhebliches Problem dar. Fer-menter und Vergasungsanlagen sind anfälliger für technische Probleme alssolche für direkte Verbrennung, besonders dann, wenn sie in kleinen Be-trieben verwendet werden, die nicht über die nötigen Wartungsmöglichkei-ten verfügen und wenn die Erfahrungen mit ihrem Betrieb stark variieren(ESAP, Kap. 4; Globaler Bericht, Kap. 3, 5 und 6; SSA, Kap. 2).

Kleinvolumige Nutzung von Pflanzentreibstoffen der ersten Generationdirekt am Ort kann manchmal interessante Alternativen bei der Stromer-zeugung bieten, die nicht notwendigerweise die negativen Effekte derGroßproduktion mit sich bringen, da geringere Anforderungen an Flächen,an Wasser und andere Betriebsmittel entstehen. Diesel bietet für kleinvolu-mige Nutzung besondere Vorteile, da er in der Herstellung weniger tech-nologie- und kapitalintensiv ist als Ethanol; wobei das zu seiner Herstel-lung erforderliche Methanol ein Problem darstellen kann. UnraffiniertePflanzenöle für stationäre Zwecke sind in der Herstellung sogar noch weni-ger technologie-intensiv und erfordern kein Methanol. Für Stromerzeu-gung und Wasserförderung verwendete Motoren müssen jedoch auf dieseÖle eingestellt werden. Die Verwendung von Pflanzentreibstoffen in statio-nären Anlagen kann für örtliche Gemeinschaften besonders vorteilhaftsein, wenn sie in die intensive kleinbäuerliche Agrikultur integriert ist, so-dass die Erzeugung von Pflanzen für Nahrungs- wie für energetische Zwe-cke möglich ist. Solche Nutzungsformen werden in mehreren Ländern un-

112 Synthesebericht

tersucht, zum Beispiel mit dem Öl von Jatropha95 und Pongamia96 als Roh-stoff; es gibt aber noch keine belastbaren Schlussfolgerungen (CWANA,Kap. 2; Globaler Bericht, Kap. 6; NAE, Kap. 5).

Mehrere Aktivitäten zur besseren Nutzung des Potenzials von Stromund Wärme aus Biomasse können unternommen werden (Globaler Bericht,Kap. 7):

Förderung von Forschung und Entwicklung: Verbesserungen der Betriebs-zuverlässigkeit und Reduzierung von Kapitalkosten können die energeti-sche Nutzung von Biomasse attraktiver machen, besonders von kleinenund mittelgroßen Fermentern, thermochemischen Vergasungsanlagen undvon stationären Nutzungen nicht raffinierter pflanzlicher Öle. Forschungist auch nötig, um Kosten und Nutzen solcher Anlagen für die Gesellschaftabzuschätzen und zu bewerten, wobei alternative Wege der Energieversor-gung zu berücksichtigen sind (Globaler Bericht, Kap. 6).

Entwicklung von Produktstandards und Verbreitung von Wissen: Eine langeGeschichte fehlgeschlagener politischer Programme und Maßnahmen undeine Vielzahl örtlich produzierter Generatoren, die unterschiedlich gut ar-beiten, haben dazu geführt, dass die energetische Nutzung von Biomassein vielen Ländern recht skeptisch gesehen wird. Die Entwicklung von Qua-litätsstandards und Demonstrationsprojekten wie auch eine verbesserteVerbreitung von Wissen können zu transparenteren Märkten und größe-rem Vertrauen der Verbraucher beitragen.

Aufbau von personellen und institutionellen Kapazitäten vor Ort: Erfahrun-gen aus diversen Programmen zur Förderung der Energienutzung ausBiomasse zeigen, dass fachkundiges Betreiben und Unterhaltung kosten-günstiger und kleinvolumiger Anlagen der Schlüssel zu Erfolg und Nach-haltigkeit ist. Aus diesem Grund müssen Abnehmer wie Erzeuger sorgfältigund dauerhaft in Entwicklung, Überwachung und Wartung der Anlageneingebunden werden.

Zugang zu Finanzierungen: Im Vergleich zu anderen netzunabhängigenEnergielösungen erfordert die Energie aus Biomasse oft höhere anfänglicheKapitalkosten – dafür sind die langfristigen Kosten für die Betriebsstoffe

95 Die Jatropha-Pflanze aus der Gattung der Wolfsmilchgewächse kann auch auf kargen Bödenwachsen. Ihre nussartigen Früchte werden heute schon in etlichen Ländern zur Herstellungvon Ölen für Verbrennungszwecke genutzt, vgl. www.jatropha.de. 96 Pongamia ist ein immergrüner Baum, dessen Samen 30‒40 % Öl enthalten, vgl. www.icrisat.org.

Themen: Energie aus Biomasse 113

niedriger. Diese Kostenstruktur zwingt mittellose Haushalte und dörflicheGemeinschaften oft, Investitionen in moderne Energie aus Biomasse zu un-terlassen – selbst dann, wenn die Kosten im Vergleich wettbewerbsfähigund die Rückzahlungszeiträume für Kredite kurz sind. Ein verbesserterZugang zu Finanzierungen kann diese Probleme mildern.

Querschnittsthemen

Lebensmittelpreise

Die Umwandlung landwirtschaftlicher Nutzpflanzen in flüssige Treibstoffekann sich kurz- bis mittelfristig negativ auf die weltweite Minderung desHungers auswirken, obwohl der Preisanstieg sich längerfristig abschwä-chen könnte. Diese Risikolage besteht insbesondere bei Pflanzentreibstof-fen der ersten Generation, da für diese große Mengen landwirtschaftlicherNutzpflanzen erforderlich sind. Ein Preisanstieg kann direkt durch die ge-steigerte Nachfrage nach pflanzlichen Rohstoffen oder indirekt durch diehöhere Nachfrage nach den Produktionsmitteln (zum Beispiel fruchtbaresLand, Wasser) verursacht werden, sodass die Verwendung von Pflanzen,die dann nicht der Ernährung dienen, das Problem nicht lösen wird. DieRisiken und ihre Implikationen sollten in der Forschung weiter abgeschätztund bewertet werden. Es ist aber offensichtlich, dass mittellose Bevölke-rungsgruppen, wenn sie nur durch Kauf von Lebensmitteln ihre Ernährungsichern müssen, und lebensmittelimportierende nicht industrialisierte Län-der besonders betroffen sind.

Umwelt

Der große Bedarf an zusätzlichen land- und forstwirtschaftlichen Produk-ten für die Erzeugung von Energie aus Biomasse kann auch beträchtlicheAuswirkungen auf die Umwelt haben. Auch hier bergen die Pflanzentreib-stoffe der ersten Generation die größten potenziellen Probleme, zum Bei-spiel durch die weitere Ausdehnung der Erzeugung auf ökologisch fragileund wertvolle Flächen und die Übernutzung und Verschmutzung vonWasservorkommen. Darüber hinaus sind einige der schnell wachsenden

114 Synthesebericht

Pflanzen, die zur Herstellung von Energie aus Biomasse empfohlen wer-den, ökologisch (zum Beispiel weil sie ähnliche Eigenschaften wie Unkräu-ter haben) und sozial problematisch. Andererseits kann sich die Nutzungvon Energie aus Biomasse positiv auf die Minderung der Klimafolgen aus-wirken – wobei dieses Potenzial von Fall zu Fall stark variiert und die da-für aufzuwendenden Kosten mit anderen relevanten Optionen verglichenwerden müssen.

Institutionen und Regeln

Machtbeziehungen und institutionelle Konstellationen beeinflussen die Be-teiligungsmöglichkeiten an der energetischen Nutzung von Biomasse unddie Verteilung von Kosten und Nutzen unter den verschiedenen Beteiligtenstark. Die heutige Zersplitterung von Zuständigkeiten und das Fehlen vonkohärenter Politik quer zu den verschiedenen Politikfeldern, die für dieLandwirtschaft als Erzeuger wie als Konsument von Energie eine Rollespielen, müssen mit Hilfe von lokalen, nationalen und regionalen Regelnund Institutionen überwunden werden.

Gesamtbetrachtung

Das wirtschaftliche Gesamtbild der Energien aus Biomasse und ihre positi-ven wie negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft sind äu-ßerst komplex, hängen in hohem Maße von spezifischen Bedingungen abund bringen erhebliche sozialökonomische Verwerfungen mit sich. Folglichmüssen alle Verantwortlichen die vollen ökologischen, sozialen und ökono-mischen Kosten der bevorzugten Art der Energiegewinnung aus Biomasseund der ins Auge gefassten Fördermaßnahmen sorgfältig gegen realistischerreichbare Vorteile und energietechnische Alternativen abwägen.

Biotechnologie

Autorin und Autoren: Jack Heinemann (Neuseeland), Tsedeke Abate (Äthiopien),Angelika Hilbeck (Schweiz), Doug Murray (USA)

Biotechnologie97 ist definiert als „jede technologische Anwendung, die biolo-

gische Systeme, lebende Organismen oder aus diesen gewonnene Kon-strukte mit dem Ziel verwendet, Produkte oder Verfahren für bestimmteZwecke zu entwickeln oder zu verändern.“ In diesem umfassenden Sinnekann Biotechnologie jede Technik von der Fermentation (etwa zum Bier-brauen) bis hin zur absichtsvollen Auftrennung von Genen einschließen.Sie erfasst damit auch lokales und traditionelles Wissen und die Tätigkei-ten von Bäuerinnen und Bauern wie von bäuerlichen Gemeinschaften inAnbaumethoden, Selektion und Züchtung von Pflanzen und Tieren, dieüber Jahrtausende hinweg weitergegeben wurden (CWANA, Kap. 1; Globa-ler Bericht, Kap. 6). Darüber hinaus sind auch Gewebekultur- und Genom-Techniken gemeint (Globaler Bericht, Kap. 6) sowie die markerunterstützteZüchtung oder Selektion (MAB oder MAS),98 die die bisher angewandtenZüchtungsverfahren ergänzen (Globaler Bericht, Kap. 5 und 6; NAE, Kap. 2).

Der Begriff moderne Biotechnologie ist eine international übliche Bezeich-nung für biotechnologische Verfahren, bei denen genetisches Material ab-sichtlich verändert und Zellen über die natürlichen Grenzen hinweg ver-schmolzen werden (Globaler Bericht, Kap. 6). Das bekannteste Beispielhierfür ist die sogenannte Gentechnik, bei der Organismen mithilfe vonTransformationstechniken genetisch verändert beziehungsweise genetisch

97 Der Synthesebericht stützt sich auf die Convention on Biological Diversity und das Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit, siehe entsprechenden Abschnitt der Kurzdarstellung.98 Es handelt sich hierbei um Beispiele, nicht um eine umfassende Aufzählung aller Formender modernen Biotechnologie.

116 Synthesebericht

konstruiert werden (GMO),99 was die Insertion und Deletion100 von Geneneinschließt. Das Adjektiv modern soll nicht bedeuten, dass diese speziellenVerfahren andere beziehungsweise weniger ausgeklügelte Biotechnologienersetzen.

Seit langem gebräuchliche Methoden der Biotechnologie, wie etwaZüchtungstechniken, Gewebekulturen, Anbauverfahren und Fermentie-rung, werden allgemein akzeptiert und angewandt. Zwischen 1950 und1980 – vor der Entwicklung von GMO – erbrachten moderne Weizensor-ten auch ohne Einsatz von Düngemitteln um bis zu 33 % höhere Erträge.Auch Methoden der modernen Biotechnologie in sogenannten Geschlosse-nen Systemen werden vielfach eingesetzt. So erreichte etwa der Markt fürindustrielle Enzyme im Jahr 2000 einen Umfang von gut 1 Milliarde €.101

Biotechnologien haben generell wichtige Beiträge geleistet, die für land-wirtschaftliche Großbetriebe ebenso wie für kleinbäuerliche Betriebe anhal-tend relevant sind; für die Aufnahme fortgeschrittener Methoden aus denmodernen Biotechnologien und den damit verbundenen Nanotechnologiensind sie von grundlegender Bedeutung102 (Globaler Bericht, Kap. 3, 5 und6). So ist die Pflanzenzüchtung eine grundlegende Voraussetzung für dieEntwicklung örtlich angepasster Arten und Sorten, unabhängig davon, obdiese gentechnisch verändert sind oder nicht. Solche biotechnischen Ver-fahren finden bei den Bäuerinnen und Bauern nach wie vor breite Anwen-dung, da sie auf lokalen Erfahrungen und vorhandenem Wissen beruhenund durch örtliche Forschung gestützt werden.

Der Einsatz moderner Biotechnologie im Freiland – etwa in Form transge-ner Nutzpflanzen – ist wesentlich umstrittener. Dabei spielen technische,soziale, rechtliche, kulturelle und wirtschaftliche Streitpunkte eine Rolle.Die folgenden drei Sachverhalte wurden im Weltagrarrat in diesem Zusam-menhang am häufigsten diskutiert: – Anhaltende Zweifel bestehen an der Angemessenheit von Erfolgs-

und Sicherheitsüberprüfungen beziehungsweise der für die Über-

99 Genetically Modified Organisms (GMO), im Weiteren wird diese Abkürzung verwendet.100 Das ist das Einfügen bzw. Entfernen von genetischen Abschnitten.101 Dabei geht es vor allem um Enzyme, die in Wasch- und Reinigungsmitteln verwendet wer-den.102 Insbesondere die Nanotechnologien, die lebende Organismen oder Teile von diesen nutzen.

Themen: Biotechnologie 117

prüfung von GMO geltenden rechtlichen Vorschriften (CWANA,Kap. 5; ESAP, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 3 und 6; SSA, Kap. 3).

– Kommen GMO den Bedürfnissen der meisten Bäuerinnen und Bau-ern jedenfalls angesichts einiger Regelungen zum geistigen Eigen-tum und zu Haftungsfragen entgegen, ohne anderen zu schaden?(Globaler Bericht, Kap. 3 und 6)

– Können moderne Biotechnologien signifikant zu einer besseren An-passungs- und Gesundungsfähigkeit von kleinbäuerlichen Betriebenund Subsistenzbäuerinnen und -bauern beitragen? (Globaler Bericht,Kap. 2 und 6)

Manche Kontroversen lassen sich teilweise vielleicht darauf zurückführen,dass die modernen Biotechnologien, insbesondere die Verwendung vonGMO, im Vergleich zu älteren und üblichen Biotechnologien erst seit kur-zer Zeit existieren. In vielen Regionen wird zwar aktiv kleinräumig mitGMO experimentiert (ESAP, Kap. 5; SSA, Kap. 3). Der kommerzielle Anbautransgener Pflanzen aber konzentriert sich auf nur wenige Länder (75 % al-lein in den USA und Argentinien und 90 %, wenn man Brasilien und Kana-da noch hinzunimmt).103 Diese Tatsache wird als Indikator für eine nur mä-ßige Diffusion dieser Technik gesehen (Globaler Bericht, Kap. 5 und 6). Inden letzten zehn Jahren mag der Anbau transgener Pflanzen zwar jeweilsum einen zweistelligen Prozentsatz zugenommen haben, aber 93 % derweltweiten landwirtschaftlichen Anbaufläche werden nach wie vor fürkonventionell gezüchtete Nutzpflanzen genutzt.

Der Fundus wissenschaftlicher Beobachtungen zu Nachhaltigkeit undProduktivität von GMO unter unterschiedlichen Bedingungen104 ist bisheute recht uneinheitlich und von Einzelfällen geprägt. Die in unterschied-lichen Kontexten gewonnenen Erkenntnisse variieren zudem (Globaler Be-richt, Kap. 3 und 6). Deshalb können Fürsprecher wie Gegner auch ihrestarren Positionen zur aktuellen und potenziellen Bedeutung von GMO be-harrlich wiederholen. Aus einigen Regionen gibt es Berichte über zuneh-menden Anbau einiger Nutzpflanzen (ESAP, Kap. 5); Studien unter ande-

103 Und es geht um vor allem vier Nutzpflanzen, nämlich Mais, Soja, Baumwolle und Raps mitzwei Eigenschaften, nämlich der Herbizidtoleranz und einer Insektenresistenz.104 Damit sind sowohl die ökologischen wie die wirtschaftlichen und Anbaubedingungen ge-meint.

118 Synthesebericht

rem zu Südafrika, Argentinien, China, Indien und Mexiko vermerken be-triebswirtschaftliche Vorteile durch transgene Baumwolle (Globaler Be-richt, Kap. 3; SSA, Kap. 3). Im Gegensatz dazu sind in den USA und Argen-tinien leichte Ertragsrückgänge bei Soja und im Falle der USA auch beiMais zu verzeichnen (Globaler Bericht, Kap. 3). Einige GMO-Studien habenpotenziell zurückgehenden Insektizidgebrauch gezeigt, andere wiederumbelegen eine Zunahme des Herbizideinsatzes. Es ist unklar, ob die erkann-ten Vorteile für die meisten Agrarökosysteme zutreffen werden und ob sielängerfristig erhalten bleiben, weil sich Resistenzen gegen Herbizide undInsektizide herausbilden werden (Globaler Bericht, Kap. 3).

Die Rechtsregeln zu geistigem Eigentum sollten einen besseren Zugangzu patentierten oder anderweitig geschützten Biotechnologien, insbesonde-re zu Verfahren der modernen Biotechnologie ermöglichen. Dies schließtneue Haftungsfragen für unterschiedliche Erzeuger ein. Der Gebrauchgeistiger Eigentumsrechte zur Stimulierung von Investitionen in die Land-wirtschaft war je nach Technologie und Land unterschiedlich erfolgreich.Insbesondere in nicht industrialisierten Ländern verursachen Rechtsinstitu-te wie etwa Patente oft prohibitive Kosten mit der Folge, dass Experimenteeinzelner Bäuerinnen und Bauern oder auch öffentlicher Forscher behin-dert und gleichzeitig lokale Praktiken potenziell untergraben werden, diewichtig für Nahrungsmittelsicherheit und wirtschaftliche Nachhaltigkeitsind. In dieser Hinsicht gibt es große Bedenken, dass das derzeit geltendeRecht zu geistigem Eigentum letztlich Praktiken wie Aufbewahrung (fürdie kommende Aussaat) und Austausch von Saatgut behindert.105

Moderne Biotechnologie hat sich in einem zu engen sozialen und öko-nomischen Kontext entwickelt, um ihren möglichen Beitrag insbesonderefür kleinbäuerliche Betriebe und Subsistenzbäuerinnen und -bauern entfal-ten zu können (NAE, Kap. 6; Synthesebericht, Kurzdarstellung). Als Werk-zeuge tragen diese Technologien, für sich genommen, nicht zur Erreichungvon Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen bei (CWANA, Kap. 1; Globa-ler Bericht, Kap. 2 und 3). Beispielsweise kann eine neue Züchtungstechnikoder eine neugezüchtete Reislinie allein nicht die Bedürfnisse Not leiden-der Menschen erfüllen; das Getreide muss auch bei den Menschen ankom-

105 Vor allem die Einengung des Landwirte- und des Züchterprivilegs ist hier bedeutsam.Nach diesen Regeln dürfen Bäuerinnen und Bauern ebenso wie Züchter vorhandenes Materialkostenfrei zur Weiterentwicklung und Weiterzüchtung nutzen.

Themen: Biotechnologie 119

men. Aber auch die Verbreitung einer Technik oder einer Sorte allein kanndie Armut und Mittellosigkeit nicht verringern; sie muss nämlich an örtli-che Bedingungen angepasst werden. Aus diesem Grund müssen die Ver-antwortlichen Implikationen biotechnologischer Verfahren holistisch – alsoüber kurzzeitige mengenmäßige Produktivitäts- und Ertragsziele hinaus –beurteilen und die weitergefassten gesellschaftlichen Themen des Aufbausvon personellen und institutionellen Kapazitäten, der sozialen Gerechtig-keit und auch der lokalen Infrastrukturen angehen (SSA, Kap. 3).

Die Herausforderung: Biotechnologie im Sinne der Entwicklungs- und Nachhalt igkeitsziele

Biotechnologie, insbesondere die moderne Biotechnologie, bringt Kostenwie Nutzen mit sich (CWANA, Kap. 5; ESAP, Kap. 5; Globaler Bericht,Kap. 3), je nachdem, wie sie in Gesellschaften und Ökosysteme eingebettetist und abhängig davon, ob die Bereitschaft vorhanden ist, Nutzen undKosten fair zu teilen. Der Anbau moderner Pflanzensorten106 hat beispiels-weise in den meisten Teilen der Erde zu Ertragssteigerungen bei den Ge-treiden geführt, allerdings bisweilen zu Lasten der biologischen Vielfaltoder der Verfügbarkeit traditionell genutzter Lebensmittel (Globaler Be-richt, Kap. 3). Es besteht derzeit der Eindruck, dass weder die Kosten nochdie Vorteile gerecht aufgeteilt sind und dass mittellosen Bevölkerungentendenziell eher Kosten als Vorteile zugemutet werden (Globaler Bericht,Kap. 2).

Hunger, Ernährung und Gesundheit

Biotechnologien beeinflussen die menschliche Gesundheit auf ganz unter-schiedliche Weise. DNS-basierte Technologien, etwa Mikrochips zur Über-wachung und Diagnose von Krankheiten, können wirklich dazu beitragen,Auswirkungen von Infektionskrankheiten zu prognostizieren und dieseeinzugrenzen (NAE, Kap. 6). Biotechnologien würden auf solche Weise di-

106 Das meint hier vor allem Hochertragssorten.

120 Synthesebericht

rekt wie indirekt der menschlichen Gesundheit dienen, da sie auf bekanntemenschliche wie auch auf Tier- und Pflanzenkrankheiten angewendet wer-den könnten, die wiederum Quellen neuer menschlicher Erkrankungen bil-den oder sich negativ auf Qualität und Quantität von Lebensmitteln aus-wirken könnten.

Andere Erzeugnisse der modernen Biotechnologie – zum Beispiel dieEntwicklung von GMO für die Tierfütterung mittels Pflanzen, die auch derErnährung von Menschen dienen, oder die Herstellung pharmazeutischerSubstanzen in Nutzpflanzen, die nicht von Menschen gegessen werdendürften – können die menschliche Gesundheit bedrohen (Globaler Bericht,Kap. 3 und 6). Hinzu kommt, dass die Eingrenzung von Schädigungen um-so schwieriger werden kann, je mehr Produkte mithilfe von Bio- bzw. Na-notechnologien entwickelt werden und je weiträumiger diese verteilt sind(Globaler Bericht, Kap. 6).

Es sind bessere Umgangsweisen mit allen Biotechnologien erforderlich,um mit bestehenden wie neu auftauchenden Problemen fertig werden zukönnen (SSA, Kap. 3). Ganzheitliche Problemlösungen könnten allerdingshinausgezögert werden, wenn GMO als ausreichend für die Erfüllung vonEntwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen betrachtet werden und folglicheinen unverhältnismäßig großen Teil finanzieller Mittel wie von öffentli-cher und wissenschaftlicher Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Entschei-dung, ob GMO genutzt oder nicht genutzt werden sollen, verlangt ein um-fassendes Verständnis der Produkte, der zu lösenden Probleme und ebensoder Gesellschaften, in denen sie verwendet werden könnten (CWANA,Kap. 5). Welche Wahl diesbezüglich auch immer getroffen wird – die Inte-gration der Biotechnologien muss in einer problemlösungsorientierten Um-gebung stattfinden, die durch Forschung vor Ort (Globaler Bericht, Kap. 6)und Bildung und Ausbildung für dörfliche Gemeinschaften unterstütztwird, damit diese ihre Rechte wie auch die Aufgaben wahrnehmen können(CWANA, Kap. 1).

Soziale Gerechtigkeit

Im Weltagrarbericht werden zwei konzeptionelle Perspektiven für die best-mögliche Nutzung moderner Biotechnologien zur Erfüllung von Entwick-lungs- und Nachhaltigkeitszielen gegenübergestellt. Die erste Perspektive

Themen: Biotechnologie 121

(zum Beispiel Globaler Bericht, Kap. 5) argumentiert, dass die moderneBiotechnologie überreguliert ist, weshalb ihre Vorteile zu langsam undnicht in vollem Umfang genutzt werden können. Die Regulierung der Bio-technologie verlangsamt in dieser Sicht eine schnelle Verteilung der Pro-dukte an die Armen (Globaler Bericht, Kap. 5).

Die zweite Perspektive argumentiert, dass die überwiegend privatwirt-schaftliche Kontrolle der modernen Biotechnologie (Globaler Bricht, Kap. 5)sowohl widersinnige Anreizsysteme schafft wie auch die öffentlichen Ka-pazitäten zur Ausarbeitung von AWWT, die dem Gemeinwohl dient,schwächt (zum Beispiel Globaler Bericht, Kap. 2 und 7). Die Integration derBiotechnologie als Teil von AWWT durch Schaffung von Anreizen zu pri-vatwirtschaftlichem Gewinn (oder von Partnerschaften zwischen öffentli-chem und privatwirtschaftlichem Bereich) hat nicht zur Erfüllung von Ent-wicklungs- und Nachhaltigkeitszielen in nicht industrialisierten Ländern(Globaler Bericht, Kap. 7) beigetragen, insbesondere nicht soweit diese eineerfolgreiche Öffnung von Märkten für neue oder kleinere Erzeuger vorse-hen. Die vorrangige Förderung größerer Betriebseinheiten (CWANA, Kap. 1;Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Kap. 2 und 6) kann die Agrobiodiversitäteinschränken (Globaler Bericht, Kap. 3) und Forschungsfragestellungen zusehr einengen (Globaler Bericht, Kap. 2 und 5). Dieser Trend könnte ge-bremst werden, wenn breitere Möglichkeiten für eine auf die standörtli-chen Bedürfnisse abgestimmte Forschung geschaffen würden.

Die stärkere Betonung der geistigen Eigentumsrechte ab den 1970er Jah-ren – insbesondere seit 1980 durch Patente – haben die biotechnische For-schung und den Zugang zu vielen ihrer Produkte verändert (Globaler Be-richt, Kap. 2; NAE, Kap. 2). Es gibt Befürchtungen, dass Rechtsinstitute zugeistigem Eigentum, insbesondere soweit sie das Landwirteprivileg ein-schränken, neue Hürden für Forschung und Produktentwicklungen vorOrt errichten können (Globaler Bericht, Kap. 2 und 6; SSA, Kap. 3). Deswe-gen ist es nicht nahe liegend anzunehmen, dass eine Überregulierung ansich die Diffusion von Produkten der modernen Biotechnologien behindert.Denn auch falls die Sicherheitsvorschriften beseitigt würden, würde derZugang zu und eine schnelle Verbreitung von neuen Produkten wahr-scheinlich durch Rechte an geistigem Eigentum erheblich erschwert. Diestrifft möglicherweise auch auf die zukünftige Entwicklung neuer transge-ner Nutzpflanzen durch die größten Saatgutunternehmen zu, weil die mit

122 Synthesebericht

der Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum verbundenen Auf-wendungen in einigen Fällen bereits die Kosten für Forschung und Ent-wicklung übersteigen (Globaler Bericht, Kap. 6 und 7).

Moderne wie auch konventionelle Erzeugnisse der Biotechnologie könnenhäufig in Kategorien des geistigen Eigentums beschrieben und zunehmendals solches verkauft werden – wobei es sich bei den originären Inhaberndieses geistigen Eigentums107 um multinationale, weitverzweigte Unterneh-men handelt, die zugleich am ehesten in der Lage sind, ihre Produkte welt-weit zu vertreiben (Globaler Bericht, Kap. 2). Auch wenn es Initiativen zurEntwicklung einer Biotechnologie mit für alle zugänglichen Quellen108 oder fürdie Rückführung von heute privatisierten Rechten in Allgemeinbesitz gibt,müssen bei der Entwicklung von neuen Produkten oder Verfahren die geis-tigen Eigentumsverhältnisse sorgfältig dokumentiert werden, damit Drittekeine Rechte beanspruchen und die Nutzung der Innovationen in Zukunftnicht einschränken können.

Eine Entwicklung von Biotechnologien, die ihr Hauptaugenmerk vor al-lem auf die Sicherung von Rechten an geistigem Eigentum richtet, unterbe-wertet womöglich den Beitrag von Bäuerinnen und Bauern wie auch vonGesellschaften zu dem Fundament von Wissen und Fähigkeiten, auf demdie moderne Biotechnologie überhaupt erst aufsetzt (ESAP, Kap. 5; Globa-ler Bericht, Kap. 2, 6 und 7). Aber nicht nur die großen multinationalenWirtschaftsunternehmen sind daran interessiert, Kontrolle über geistigesEigentum zu erlangen und auszuüben. Öffentliche Institutionen, auch Uni-versitäten, sind zu bedeutenden Mitspielern im Rennen um die Sicherungvon privaten Rechten an traditionellem und lokalem Wissen geworden(Globaler Bericht, Kap. 7).

Patentgeschütztes geistiges Eigentum kann Dritten durch Lizenzvergabezugänglich gemacht werden. Gegenwärtig werden die Beziehungen zwi-schen Saatgutfirmen und Bäuerinnen und Bauern vor allem durch Verträgeund Lizenzen geregelt (Globaler Bericht, Kap. 2). So schließen beispielswei-

107 Dass diese Erzeugnisse nicht komplett, sondern nur in einzelnen Teilen neu entwickeltworden sind, ist gerade einer der Gründe für den andauernden Streit um die Angemessenheitdes Patentrechts im Bereich von Lebewesen.108 Eine solche open source biotechnology wäre eine Analogie zur Informatik, wo es eine starkeBewegung gibt, die jeweiligen Quellformeln für Computerprogramme und -betriebssystemeoffenzulegen – und nicht, wie bei dem Weltmarktführer Microsoft, geheim zu halten – und da-durch eine Weiterentwicklung durch alle Interessierten und Kundigen zu ermöglichen.

Themen: Biotechnologie 123

se Bäuerinnen und Bauern oder internationale Agrarforschungsinstitute,die zur Consultative Group of International Agricultural Research (CGIAR)109

gehören, Verträge oder Übertragungsvereinbarungen zu pflanzlichem odergenetischem Material (MTA)110 mit Saatgutunternehmen oder auch einemgemeinschaftlichem Inhaber von traditionellem Wissen ab. Derartige Ver-träge können zwar einige Probleme des Zugangs lösen, gleichzeitig aberauch rechtliche und finanzielle Probleme erst schaffen, die wiederum kom-plexere Lösungen erfordern, als sie das Patentrecht vorgibt (Globaler Be-richt, Kap. 2 und 5).

Technische und Intensivierungsfragen

Da die Agrikultur (ohne Berücksichtigung des Fangs frei lebender Fische)111

bereits fast 40 % der Landfläche der Erde (Globaler Bericht, Kap. 7) nutzt,könnte die Biotechnologie zur Erreichung von Entwicklungs- und Nachhal-tigkeitszielen beitragen, indem sie alle Bäuerinnen und Bauern befähigte,auf den bereits genutzten Land- und Meeresflächen mehr zu produzieren,anstatt die Erzeugung durch Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen zusteigern (SSA, Kap. 1). Der Landwirtschaft wird neben der Ernährungssi-cherung – auch in der Zukunft – zunehmend auch eine Rolle für die Ener-giesicherung (Globaler Bericht, Kap. 6) angetragen, wodurch ein noch grö-ßerer Druck in Richtung höherer Erträge entsteht (ESAP, Kap. 5). Indessenstellt Ernährungssicherung eine mehrdimensionale Aufgabe und Heraus-forderung dar, sodass die Ansprüche an die Biotechnologie langfristig weitüber bloße Ertragssteigerungen hinausgehen werden (NAE, Kap. 6; Syn-thesebericht, Kurzdarstellung).

109 CGIAR umfasst eine ganze Reihe von Agrarforschungszentren in allen Teilen der Welt. Siewerden von der Weltbank und diversen nationalen Regierungen, auch der deutschen, finan-ziert. Gegenwärtig gibt es eine intensive Diskussion in den CGIAR-Gremien um eine Neuaus-richtung, vgl. www.cgiar.org. 110 MTA steht für Material Transfer Agreement, eine Vereinbarung über die Überlassung von ge-netischem, pflanzlichem oder anderem Material.111 Aquakulturen sind hier eingerechnet, der Fang frei lebender Fische in Binnengewässernnicht.

124 Synthesebericht

Agrarökosysteme

Die Art der Landwirtschaft hat Einfluss darauf, was und wie viel eine Ge-sellschaft produzieren kann. Biotechnologie ist nicht abtrennbar vom Er-zeugungssystem. Sie muss mit dem bestmöglichen Produktionssystemzum Wohl der örtlichen Gemeinschaft zusammenwirken (ESAP, Kap. 5).Zum Beispiel verfügen sogar noch die Agrarökosysteme der an Mittelnärmsten Gesellschaften durch eine ökologische Landnutzung und integrier-ten Pflanzenschutz über das Potenzial: – Erträge, wie sie im konventionellen Anbau üblich sind, zu erreichen

oder deutlich zu übertreffen, – Druck zur Umwandlung von naturnahen Arealen in landwirtschaft-

liche Nutzflächen zu verringern, – Ökosystemleistungen wiederherzustellen (insbesondere die Bereit-

stellung sauberen Wassers),– die Verwendung von und den Bedarf an synthetischen, auf der Basis

von fossilen Energieträgern hergestellten Düngemitteln zu verrin-gern sowie

– den Verbrauch besonders schädlicher Insektizide und Herbizide ein-zuschränken (Globaler Bericht, Kap. 3, 6 und 7).

In vergleichbarer Weise muss die Tierhaltung an die lokalen Gegebenheitenangepasst sein (CWANA, Kap. 1). Traditionelle Weideviehgesellschaftenbeispielsweise entwickeln sich auf der Grundlage vielfältiger Interaktionenund Rückkopplungen, in denen verschiedene Werte eine Rolle spielen, diewiederum biologische, soziale, kulturelle, religiöse, rituelle und konfliktbe-zogene Fragen und Gegenstände beinhalten. Dass das Verständnis vonNachhaltigkeit in modernen und traditionellen Gesellschaften unterschied-liche Bedeutungsfacetten hat, muss allgemein anerkannt werden (GlobalerBericht, Kap. 6). Es dürfte nicht ausreichen, beispielsweise mithilfe von Bio-technologie die Zahl von Rindern oder ihrer Zuchtlinien zu erhöhen, wenndadurch genetische Vielfalt oder Verfügungsmöglichkeiten vor Ort redu-ziert, Fähigkeiten zur Erhaltung der am besten angepassten Tiere einge-schränkt oder Ökosystemleistungen zusätzlich negativ beeinflusst werden(CWANA, Kap. 1; Globaler Bericht, Kap. 7).

Agrarökosysteme sind auch durch Ereignisse und Entscheidungen in an-deren gesellschaftlichen Bereichen verletzbar. Zertifizierte Landnutzungssys-

Themen: Biotechnologie 125

teme, zum Beispiel der ökologische Landbau, können durch GMO gefährdetwerden, wenn Kontaminationen auftreten und dadurch Marktzertifizierun-gen und Erlöse beeinträchtigt werden (Globaler Bericht, Kap. 6). Die Ver-fügbarkeit originären Saatguts oder gar Vavilov’sche Zentren der geneti-schen Vielfalt können in Gefahr geraten, wenn in Herkunftsländern nichtgenehmigtes oder auch reguliertes genetisches Material sich einkreuzt (Glo-baler Bericht, Kap. 3).

Bäume und Nutzpflanzen

Pflanzenzüchtung und andere Biotechnologien (ohne die weiter unten be-schriebenen transgenen Nutzpflanzen) haben im Lauf der Geschichte er-heblich zur Ertragssteigerung beigetragen (Globaler Bericht, Kap. 3). Wäh-rend unter idealen Bedingungen maximale Erträge erzielt werden konnten(Globaler Bericht, Kap. 3), waren sie in nicht industrialisierten Länderndurch fehlenden Zugang zu modernen Sorten, Dünger und Pestiziden be-grenzt, nicht aber durch einen Mangel in der Vielfalt von erwünschten Ei-genschaften (Globaler Bericht, Kap. 3). Aus diesem Grund bleibt Pflanzen-züchtung auch weiterhin ein grundlegendes biotechnisches Verfahren imBlick auf die Erfüllung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen.

Biotische und abiotische Stressfaktoren, etwa Pflanzenkrankheiten, Dürreund Versalzung, stellen erhebliche Bedrohungen des Ertrags dar. Diese Be-drohungen werden vermutlich durch Urbanisierung, Nutzung weitererGrenzertragsflächen (SSA, Kap. 1) und Klimawandel (CWANA, Kap. 1;Globaler Bericht, Kap. 7; SSA, Kap. 1) noch verstärkt werden. Neue Pflan-zensorten und -arten können nicht leicht und nur langsam an die veränder-ten Bedingungen angepasst werden. Aber auch in dieser Hinsicht ver-spricht die Pflanzenzüchtung, gegebenenfalls um markergestützte Selektion(MAS) ergänzt, den entscheidenden Beitrag (Globaler Bericht, Kap. 3). Auchdurch Gentechnik könnten solche Pflanzenmerkmale übertragen werden(Globaler Bericht, Kap. 5; NAE, Kap. 6). Dies könnte eine Möglichkeit sein,den Nährwert bestimmter Pflanzen zu erhöhen (ESAP, Kap. 5). Wenn GMOdie Produktivität erhöhen und zugleich die weitere Umwandlung vonLand in landwirtschaftliche Nutzflächen verhindern könnten, so wäre diesein erheblicher Beitrag zum Naturschutz (Globaler Bericht, Kap. 5). Wennallerdings nur bestimmte Eigenschaften neu eingeführt werden, so könnte

126 Synthesebericht

die biologische Vielfalt und die Agrobiodiversität bedroht werden, weilden Bäuerinnen und Bauern nur noch einige wenige ausgewählte Pflanzen-sorten zur Verfügung stünden (ESAP, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 3, 5und 6).

Bei Abschätzungen und Bewertungen der Rolle von Biotechnologien fürEntwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele spielen daher die jeweiligen perso-nellen und institutionellen Kapazitäten der Pflanzenzüchtung eine großeRolle (NAE, Kap. 4 und 6). In nicht industrialisierten Ländern sind öffentli-che Einrichtungen der Pflanzenzüchtung zwar weit verbreitet, die Durch-setzung von Rechten am geistigen Eigentum und die Globalisierung bedro-hen diese aber (Globaler Bericht, Kap. 2 und 6). Privatisierung begünstigtWissenstransfer weg aus dem öffentlichen oder gemeinschaftlichen Be-reich, was wiederum sowohl die Sorten- und Artenvielfalt als auch die Zahlder örtlichen Züchtungsspezialisten, die sich mit diesen Sorten und Artenauskennen, zurückgehen lässt. In vielen Teilen der Welt sind Frauen dieseSpezialistinnen und so besteht die Gefahr, dass die Frauen durch die Priva-tisierung nicht nur wirtschaftliche Einnahmequellen, sondern auch ihre so-ziale Stellung einbüßen, weil ihre Pflanzenzüchtungskenntnisse, -erfahrun-gen und -fertigkeiten von Anderen angeeignet werden. Gleichzeitig müssenganze Gemeinschaften befürchten, die Kontrolle über ihre Ernährungssi-cherheit zu verlieren (CWANA, Kap. 1; Globaler Bericht, Kap. 2).

Die Arbeiten in der Pflanzenzüchtung variieren von Land zu Land, so-dass Investitionen aus öffentlichen Mitteln in bessere Sorten sich auch aufForschungsgruppen aus Bäuerinnen und Bauern respektive bäuerlichenGemeinschaften vor Ort erstrecken müssen (Globaler Bericht, Kap. 2 und6). Konflikte über Prioritätensetzungen, die die Sortenerhaltung durch An-bau auf dem Feld (in situ) als Quelle bedeutsamer Eigenschaften für dieZüchtung gefährden könnten und die auf unterschiedlichen Auffassungenüber den Schutz geistigen Eigentums beruhen, sollten identifiziert und ge-löst werden (Globaler Bericht, Kap. 2). Patentschutz und Sortenschutz räu-men heute Züchtungsunternehmen einen höheren Stellenwert ein als örtli-chen Gemeinschaften, die durch die in situ-Erhaltung ein ganzes Bündelwichtiger Eigenschaften praktisch bewahren112 (Globaler Bericht, Kap. 2).Für die Zukunft ist es wichtig:

112 Indem sie es jährlich anbauen.

Themen: Biotechnologie 127

– ein neues Gleichgewicht zu finden zwischen ausschließlicher unddurch geistige Eigentumsrechte oder andere Instrumente gesicherterVerfügung über Pflanzensorten und genetisches Material und demErfordernis, dass Bäuerinnen und Bauern ebenso wie Forscherinnenund Forscher vor Ort an die Standortverhältnisse angepasste Pflan-zensorten entwickeln;

– eine Situation zu schaffen, in der Anreize, die durch Rechte an geisti-gem Eigentum möglich sind, sich mit den Erfordernissen der Anpas-sung von Sorten an standörtliche Bedingungen und die entsprechen-den Arbeiten der Bäuerinnen und Bauern gegenseitig ergänzen undunterstützen.

Aus dieser Perspektive sollten die heute geltenden Patentregelungen, Aus-nahmen für Pflanzenzüchter und Landwirteprivilegien eingehend über-prüft werden (Globaler Bericht, Kap. 2). Ein wichtiger erster Schritt könnteeine wirksame Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern vor Ort sein.Diese könnte beispielsweise von bäuerlichen NROs geleistet werden, diebeim Aufbau von personellen und institutionellen Kapazitäten helfen odersie könnte darin bestehen, Berater für diese Organisationen bereitzustellen,die mithelfen, möglichst zielgerichtet die örtlichen Arten und Sorten züch-terisch und im Anbau zu verbessern. Partizipatorische Pflanzenzüchtung –die traditionelles Wissen einschließt – ist eine flexible Strategie zur Entwick-lung neuer Linien aus diversen Sorten. Sie hat den zusätzlichen Vorteil,dass Bäuerinnen und Bauern in ihren Fähigkeiten und der Wahrnehmungihrer Rechte gestärkt werden (Globaler Bericht, Kap. 2). Es gibt auch eineReihe von privatwirtschaftlichen ad hoc-Initiativen zur Weitergabe bezie-hungsweise kooperativen Weiterentwicklung rechtlich geschützter Linien(Globaler Bericht, Kap. 2); die Entstehung solcher Initiativen sollte ermutigtwerden.

Das Verschwinden von Pflanzenzüchtungsspezialisten, insbesondere imöffentlichen Sektor, signalisiert eine besorgniserregende Entwicklung für Er-haltung und Erweiterung der weltweiten personellen und institutionellenKapazitäten für die Bereitstellung neuer und verbesserter Pflanzensortenund -linien (Globaler Bericht, Kap. 6). Dies gilt erst recht, weil Züchtungs-methoden wie MAS die Entwicklung verbesserter Nutzpflanzensorten be-

128 Synthesebericht

schleunigen können, was insbesondere für monogene Pflanzenmerkmale113

(Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Kap. 6), aber möglicherweise auch für poly-gene Merkmale gilt (Globaler Bericht, Kap. 6). Anpassungszüchtung und -se-lektion für standörtliche Bedingungen stellen wichtige Handlungsbereichefür die Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen dar. Da-her müssen Vorkehrungen getroffen werden, dass Pflanzensorten im Besitzund Verfügung der Bäuerinnen und Bauern vor Ort114 bleiben und dass dieFähigkeiten, Fertigkeiten und Einrichtungen zur Pflanzenzüchtung ausge-baut werden (Globaler Bericht, Kap. 6; NAE, Kap. 6).

Weitergabe von Genen

Unabhängig von der Züchtungsmethodik ist bei der Nutzung neuer Nutz-pflanzensorten im Freiland besondere Vorsicht geboten. Durch Weitergabevon Genen können die Pflanzen invasive oder unkrautähnliche Eigenschaf-ten entwickeln oder die Gene, die an den gewünschten agronomischen Ei-genschaften beteiligt sind, können auf wild wachsende Pflanzen übergehenund die biologische Vielfalt an dem jeweiligen Standort gefährden (Globa-ler Bericht, Kap. 5). Die Weitergabe von Genen kann bewirken, dass ver-wandte Wildpflanzen oder auch andere Pflanzen toleranter gegenüber ei-ner Reihe von Bedingungen in ihrer Umwelt werden, was sich zusätzlichnachteilig auf eine nachhaltige Erzeugung auswirken kann (Globaler Be-richt, Kap. 3 und 6). Es ist wichtig festzuhalten, dass sowohl biologischeVielfalt als auch Kulturpflanzenvielfalt für eine nachhaltige Landwirtschaftvon großer Bedeutung sind. Das Phänomen der Weitergabe von Genen trittinsbesondere bei transgenen Nutzpflanzen auf. Dies liegt zum einen daran,dass bei deren Züchtung bisher vorrangig ein einzelnes Gen oder wenige,eng miteinander verknüpfte Gene eines Genoms verwendet werden, wasbedeutet, dass es wie jedes andere monogene Merkmal durch Züchtungweitergegeben werden kann (im Gegensatz zu manchen quantitativenMerkmalen, bei denen gleichzeitig Gene, die auf mehreren Chromosomenliegen, weitergegeben werden müssen). Zum anderen ist dieses Problembedeutsam, weil zukünftig einige der wichtigsten Merkmale für die Errei-chung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen auf Genen basieren,

113 Das sind solche, die durch ein Gen bestimmt werden.114 Besitz und Verfügung sind beide wichtig.

Themen: Biotechnologie 129

die Pflanzen eine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen wie Tro-ckenheit oder salzhaltige Böden (Globaler Bericht, Kap. 5) ermöglichen.

Die mit transgenen Organismen verbundene Weitergabe von Genenproduziert auch potenzielle Haftungsprobleme (Globaler Bericht, Kap. 6).Ein Haftungsfall tritt dann ein, wenn die Weitergabe von Genen wirtschaft-liche, ökologische oder Schäden an traditionellem Landbau verursacht. DieWeitergabe von Genen aus GMO, die auch als Lebensmittel genutzt wer-den, auf andere Nahrungspflanzen aufgrund mangelhafter Trennung beiAnbau, Ernte, Transport oder Verarbeitung kann sowohl ökologische alsauch Schäden am traditionellen Landbau verursachen. Eine andere wichti-ge Form potenzieller wirtschaftlicher Schäden resultiert aus Rechtsregelnzu geistigem Eigentum, die in der Rechtsprechung einiger Länder zwar aufGMO, nicht aber auf konventionelle Pflanzen angewendet werden. AufGMO werden eigentumsrechtliche Bestimmungen angewandt, die dasGenkonstrukt schützen und nicht das Merkmal, das durch das modifizierteGen in der Pflanze ausgeprägt wird. In einigen Abkommen zum Sorten-schutz werden Genkonstrukte noch dazu vom Landwirteprivileg ausge-nommen (Globaler Bericht, Kap. 6).

Genetisch veränder te Organismen und Verwendung vonChemikal ien

Es gibt einen manifesten Streit über nachteilige ökologische Auswirkungenvon transgenen Nutzpflanzen (Globaler Bericht, Kap. 3, anders NAE,Kap. 3). Abgesehen von diesem Grundsatzstreit ist es so, dass transgeneNutzpflanzen bislang im Wesentlichen in landwirtschaftlichen Anbauregi-men eingesetzt werden, die durch einen hohen Einsatz von Chemikaliengekennzeichnet sind (Globaler Bericht, Kap. 3). Daher dreht sich die Debattevor allem darum, ob die mit dem Anbau von transgenen Nutzpflanzen ein-hergehenden Veränderungen bei Menge und Art von Pestiziden (GlobalerBericht, Kap. 2; NAE, Kap. 3) im Vergleich zur Praxis vor Verwendung vonGMO unter dem Strich eine Verringerung der Umweltbelastungen bedeu-ten (Globaler Bericht, Kap. 3). Zu welchem Ergebnis diese Debatte letztlichauch führen wird – die Vorteile der derzeit genutzten GMO lassen sichnicht auf alle Agrarökosysteme übertragen. So ergeben sich Vorteile ausder Reduzierung des Einsatzes von chemischen Insektiziden durch den An-

130 Synthesebericht

bau insektenresistenter Nutzpflanzen, die ein Toxin aus dem Bacillus thu-ringiensis (Bt) exprimieren (NAE, Kap. 1), offenkundig in erster Linie fürAgrarökosysteme mit hohem Verbrauch an Agrarchemikalien wie Nord-und Südamerika und China (Globaler Bericht, Kap. 3).

Tierhaltung und Aquakultur zur Steigerung der Lebens-mittelerzeugung und Verbesserung der Ernährung

Vieh-, Geflügel- und Fischzucht haben im Laufe der Geschichte grundle-gend zur Produktivität der Agrikultur beigetragen (Globaler Bericht, Kap. 3,6 und 7). Der vor allem limitierende Faktor zu weiteren Erhöhungen derProduktivität in nicht industrialisierten Ländern besteht augenscheinlichdarin, moderne Züchtungen an die örtlichen Bedingungen anzupassen(CWANA, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 3). Theoretisch können in derVieh- und Fischzucht dieselben technischen Verfahren aus Genomfor-schung und Gentechnik angewendet werden wie in der Pflanzenzüchtung(Globaler Bericht, Kap. 3 und 6; NAE, Kap. 6). Zu den biotechnologischenVerfahren in der Viehzucht gehören außerdem künstliche Befruchtung, Ab-stammungsnachweise, Brunstsynchronisation, Embryotransfer, Gefrierkon-servierung von Gameten und Embryonen und neue Klonierungsmethoden(siehe CWANA, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 6; NAE, Kap. 6 für etlichedieser Themen).

Biotechnologie kann zur Verbesserung bei Tierhaltung und Aquakulturbeitragen durch:– Entwicklung von Diagnostika und Impfstoffen für Infektionskrank-

heiten (Globaler Bericht, Kap. 6; NAE, Kap. 6), – genetische Transformationen zur Ausprägung von Krankheitsresis-

tenzen (Globaler Bericht, Kap. 3) und – Entwicklung von Futtermitteln für eine Verminderung der Stickstoff-

und Phosphorausscheidungen (Globaler Bericht, Kap. 3).

Züchtungsziele wie Wachstumsförderung und Krankheitsresistenzen kön-nen mithilfe von MAS verfolgt werden (Globaler Bericht, Kap. 3; NAE,Kap. 6). Wie bei der Pflanzenzüchtung liegt auch bei der Tierzucht dieSchwierigkeit darin, die für mehrere Merkmalsausprägungen erforderli-chen genetischen Veränderungen alle zugleich in die Nachkommen zu

Themen: Biotechnologie 131

übertragen. Eine präzisere Auswahl von Tieren mit gewünschten Merkma-len könnte durch Verwendung von Genom-Kartierungen115 möglich wer-den, indem dadurch quantitative Merkmale und Wechselwirkungen zwi-schen Genen und der Umwelt identifiziert werden könnten.

Transgene Tiere (ausgenommen Fische) gibt es bislang in der kommer-ziellen Erzeugung nicht, was wahrscheinlich auch in näherer Zukunft sobleiben wird (Globaler Bericht, Kap. 6). Die Weitergabe von Genen transge-ner Fische an frei lebende Populationen könnte erhebliche Probleme auf-werfen, weshalb genetisch veränderte Fische genau beobachtet werdenmüssten116 (CWANA, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 3). Abschätzung undBewertung der ökologischen Folgen der Nutzung transgener Fische gestal-tet sich allerdings noch schwieriger als die von transgenen Pflanzen, daüber marine Ökosysteme noch weniger bekannt ist als über terrestrischeAgrarökosysteme.

Wie es weitergehen könnte

Biotechnologien sollten ganzheitlich betrachtet werden, damit ihr wirkli-cher Beitrag zu AWWT und zur Erfüllung von Entwicklungs- und Nach-haltigkeitszielen aufgegriffen werden kann. Auf der einen Seite könnte diesWiderstand hervorrufen, da einige Biotechnologien, zum Beispiel inge-nieursmäßige Veränderungen von genetischem Material, sehr umstrittensind und diese spezielle Kontroverse viele Menschen veranlassen könnte,den Wert aller biotechnologischer Verfahren grundsätzlich in Frage zu stel-len. Auf der anderen Seite lehnen die Befürworter der sehr häufig durchRechte auf geistiges Eigentum geschützten Technologien eine weit gefassteDefinition von Biotechnologie ab, da in diesem Fall die Ausschließlichkeit ih-rer Ansprüche durch frühere Arbeiten vieler Einzelpersonen, von Institu-tionen und Gesellschaften zunichte gemacht werden könnte.

115 Kartierungen sind Erfassungen der räumlichen Verteilung von Genen im Genom.116 Dies ist recht zurückhaltend formuliert. Durch das Entkommen transgener Zuchtlachse ander Ost- wie der Westküste Nordamerikas gibt es bereits massive Verdrängungen einheimi-scher Lachspopulationen durch die etwa acht Mal schneller wachsenden transgenen Lachse,denen ein menschliches Wachstumshormon übertragen worden ist.

132 Synthesebericht

Ein problemorientierter Ansatz für biotechnische Forschung und Ent-wicklung würde das Hauptaugenmerk der Arbeiten auf Prioritäten fürstandortgerechte Lösungen legen, die durch partizipatorische und transpa-rente Prozesse gefunden wurden und vorrangig multifunktionale Lösun-gen für lokale Probleme bearbeiten (Globaler Bericht, Kap. 2). Eine solcheOrientierung würde eine Sichtweise ersetzen, bei der kommerzielle Interes-sen das Angebot bestimmen. Kommerzielle Organisationen haben übli-cherweise ein Interesse daran, sich die geistigen Eigentumsrechte an Pro-dukten und Verfahren zu sichern. Gesetze zu geistigem Eigentum sind dazugemacht, unbefugte Nutzungen zu verhindern, und nicht dazu, andere zuermuntern und zu berechtigen, auf der Grundlage geschützter Produkteoder Verfahren Weiterentwicklungen vorzunehmen. Daher ist es besonderswichtig, die Rolle der öffentlichen Hand für die Biotechnologie neu zu stär-ken. Es ist klar erkennbar, dass der privatwirtschaftliche Bereich nicht an dieStelle des öffentlichen treten wird, um die Entwicklung von biotechnischenLösungen für kleinvolumige Anwendungen, die Bereitstellung vielseitignutzbarer personeller und institutioneller Forschungs- und Entwicklungs-kapazitäten oder die Erreichung von Zielen, für die es keine kaufkräftigeNachfrage gibt, zu verfolgen (CWANA, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 5und 8). Dies festzustellen bedeutet auch, dass ein allein an geistigen Eigen-tumsrechten orientiertes öffentliches Engagement verfehlt wäre. Die öffent-lichen Institutionen müssen über angemessene Mittel, Kenntnisse und Er-fahrungen verfügen, um vor Ort nachvollziehbare und für die spezifischenStandorte relevante Biotechnologien und Produkte entwickeln zu können(CWANA, Kap. 1).

Eine systematische Neuausrichtung von AWWT erfordert in den kom-menden Jahrzehnten ein ernsthaftes Überdenken der Biotechnologie, undinsbesondere der modernen Biotechnologie. Es sind effektive, langfristigangelegte Umwelt und Gesundheitsbeobachtungs- und Überwachungspro-gramme ebenso wie Ausbildungs- und Bildungsprogramme für Bäuerin-nen und Bauern erforderlich, damit neu auftretende Implikationen für Um-welt und menschliche Gesundheit vergleichend erkannt und rechtzeitigGegenmaßnahmen ergriffen werden können. In den Ländern mit am wei-testen verbreiteten Anbau von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen gibtes derzeit keine langfristig angelegten regionalen Überwachungsprogram-me zu Umwelt- und Gesundheitswirkungen (Globaler Bericht, Kap. 3). Da-

Themen: Biotechnologie 133

her sind heute Langzeitdaten über die ökologischen Implikationen transge-ner Nutzpflanzen im besten Falle abgeleitet oder extrapoliert oder sie feh-len schlicht oder sind spekulativer Natur.

Das durchaus problematische Zusammentreffen von Klimawandel undBevölkerungswachstum könnte das schlummernde Potenzial der Erde,Nahrungsmittel und Materialien bereitzustellen, die menschliches Lebenund Wohlergehen erhalten, überfordern; beiden Kräften könnte eine intelli-gentere Landwirtschaft entgegenwirken. Die derzeit angewandten Anbau-methoden sind energieintensiv und umweltbelastend; Eigenschaften, dieim Laufe der Zeit sowohl zu einer erhöhten Nachfrage nach begrenztenRohstoffen führen wie auch der dauerhaften Produktivität schaden. Esmüssen daher sehr dringend Agrarökosysteme auf- und ausgebaut wer-den, die sowohl die Produktivität erhöhen als auch die Leistungen derÖkosysteme stärken, von denen wir alle leben. Kein einzelner Akteur ver-fügt über alle Antworten oder alle möglichen Werkzeuge für eine globaleLösung. Transgene Nutzpflanzen und transgene Fische mögen in bestimm-ten Umwelten einen langfristig umweltgerechten Beitrag leisten ebenso wieder ökologische Landbau ein besserer Weg sein mag, agrikulturelle Produk-tivität auf ein langfristig umwelt- und sozial gerechtes Niveau anzuheben.

Klimawandel

Autorinnen und Autoren: Gordana Kranjac-Berisavljevic (Ghana), Balgis M. E. Osman-Elasha (Sudan), Wahida Patwa Shah (Kenia), John M. R. Stone (Kanada)

Warum ist der Kl imawandel für die Er fül lung von Ent-wicklungs- und Nachhalt igkeitszielen bedeutsam?

Der drohende Klimawandel kann irreversible Beschädigungen der natürli-chen Lebensgrundlagen, von denen auch die Landwirtschaft abhängt, mitsich bringen. Damit stellt er zugleich eine schwerwiegende Gefahr für jedeArt von sozialer Entwicklung dar. Hinzu kommt, dass die klimatischenVeränderungen zeitlich mit einer wachsenden Nachfrage nach Nahrungs-und Futtermitteln, Textilien und Brennstoffen zusammenfallen (ESAP,Kap. 4; NAE, Kap. 3). Mit diesen Herausforderungen angemessen umzuge-hen erfordert vielfältige Maßnahmen, vor allem solche zur Minderung vonTHG-Emissionen.

Die Thematik Klimawandel stellt diejenigen, die Entscheidungen treffenmüssen, vor eine ganze Reihe beachtlicher Herausforderungen, von denendie innere Komplexität des Klimasystems nicht gerade die geringste dar-stellt (CWANA, Kap. 1; ESAP, Kap. 4; LAC, Kap. 3; NAE, Kap. 3). Zu dieserKomplexität gehören: – die große zeitliche Differenz zwischen der Emission von THG117 und

der Manifestation ihrer Folgen,

117 Treibhausgase und Wolken in der Atmosphäre absorbieren einen Großteil der langwelligenStrahlung, die von der Erdoberfläche abgegeben wird. Dies verändert die Strahlungsbilanzund damit das Klima. Die hauptsächlichen Treibhausgase sind natürlichen wie auch anthro-pogenen Ursprungs. Zu ihnen gehören Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Di-stickstoffoxid (Lachgas/N2O) und Ozon (O3). Halogenierte Kohlenwasserstoffe und anderechlor- und bromhaltige Substanzen sind hingegen ausschließlich anthropogenen Ursprungs.

136 Synthesebericht

– das weltumspannende Ausmaß des Problems mitsamt großen regio-nalen Unterschieden,

– die Notwendigkeit der Untersuchung vieler verschiedener Treibh-ausgase und Aerosole und

– der globale Kohlenstoffzyklus, der bei der Umwandlung von Emis-sionen in atmosphärische Konzentrationen eine wichtige Rolle spielt.

Eine andere große Herausforderung stellt die Geschwindigkeit dar, mit derdie klimatischen Veränderungen stattgefunden haben bzw. stattfinden wer-den (NAE, Kap. 3).

Die Abhängigkeit der Agrikultur von klimatischen Verhältnissen

Die landwirtschaftliche Erzeugung von Lebensmitteln, Textilien, Brennstof-fen und Massengütern zum Verbrauch und zur Nutzung durch Menschenhängt von der Leistungsfähigkeit natürlicher Ökosysteme ab. Hierzu gehö-ren Wasser in ausreichender Menge und Qualität, Nährstoffe in den Böden,biologische Vielfalt und atmosphärisches Kohlenstoffdioxid für das Pflan-zenwachstum. Alle diese Ökosystemleistungen sind direkt wie indirektdurch den Klimawandel berührt (CWANA, Kap. 1; ESAP, Kap. 2 und 4;Globaler Bericht, Kap. 1; SSA, Kap. 4). So kann sich der Klimawandel bei-spielsweise auf die Agrobiodiversität auswirken, die wiederum Vorausset-zung für Verbesserungen bei Nutzpflanzen, Bäumen und Tieren, bei derSchädlingsbekämpfung und den Nährstoffkreisläufen in Böden ist.

Die Agrikulturen wurden schon immer von natürlichen Klimaschwan-kungen beeinflusst, extreme klimatische Ereignisse hatten verheerende Fol-gen für landwirtschaftliche Erzeugung und Lebensgestaltungsmöglichkei-ten. Für ländliche Gemeinschaften bedeuteten sie oft Sorge um die täglicheNahrung und sogar Hunger (CWANA, Kap. 3; ESAP, Kap. 4; LAC, Kap. 3;NAE, Kap. 2 und 3; SSA, Kap. 1). In Jahrtausenden haben Menschen aufder ganzen Welt gelernt, sich an solche Veränderungen des Klimas und anextreme natürliche Ereignisse anzupassen. Die Erfahrungen mit derartigenAnpassungserfordernissen wie die damit verbundenen Risiken sind jedochsehr unterschiedlich – je nach Region, Land oder Kontinent (NAE, Kap. 3).Der Weltagrarbericht nennt viele Beispiele für Wirkungen des Klimawan-dels auf die Erzeugung von Lebensmitteln, die Agroforstwirtschaft, Tier-

Themen: Klimawandel 137

haltung und -züchtung, Fischerei und Forstwirtschaft (CWANA, Kap. 1;ESAP, Kap. 2 und 4; LAC, Kap. 3; NAE, Kap. 1 und 3; SSA, Kap. 4). Mittel-lose und auf den Lebensraum Wald angewiesene Bevölkerungen und Fi-scher mit einfacher Ausrüstung, die keine größeren Entfernungen überwin-den können und die keine anderen Lebensgestaltungsmöglichkeiten zurVerfügung haben, leiden ganz besonders stark unter den Folgen von Kli-maschwankungen. Das als El Niño bekanntgewordene Phänomen, das mitmassiven kurzzeitigen Veränderungen in den Meeresökosystemen an derWestküste Südamerikas verbunden ist, beeinflusst die Fischerei negativund hat dadurch einen furchtbaren sozialen und wirtschaftlichen Tribut inden Gemeinschaften gefordert, die von der Fischerei leben (LAC, Kap. 1).Der Zugang zu Bildung- und Ausbildung, Krediten, Technologien und an-deren Mitteln zur Erzeugung von Nahrung, Kleidung und ähnlichem be-einflusst insbesondere auch die Möglichkeiten von Frauen, mit durch denKlimawandel bedingten ungünstigen Verhältnissen umzugehen.

Die Abhängigkeit des Klimas von den Landnutzungen

Die Beziehung zwischen Klimawandel und Landnutzung (Pflanzenbau,Tierhaltung und Forstwirtschaft) ist keine Einbahnstrasse (Globaler Bericht,Kap. 1; NAE, Kap. 2). Landnutzung trägt auf mehrerlei Weise zum Klima-wandel bei. Wichtige Beispiele sind: – Beim Umbruch von Land und beim Pflügen werden große Mengen

gespeicherten Kohlenstoffs aus Vegetation und Böden als CO2 freige-setzt. Ungefähr 50 % der gesamten Landfläche der Erde sind in Wei-de- und Ackerflächen umgewandelt worden. Dadurch ist mehr alsdie Hälfte der weltweiten Waldflächen verloren gegangen. Kahl-schläge und Degradierung von Wäldern führen dazu, dass aus derZersetzung von Biomasse, durch Moorbrände und den mikrobiellenAbbau trockengelegter Torfböden Kohlenstoff freigesetzt wird.

– CO2 und Rußpartikel werden bei der Verbrennung fossiler Brenn-stoffe freigesetzt, die für den Betrieb von Landmaschinen und Be-wässerungspumpen, zum Trocknen von Getreide wie auch bei derHerstellung von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden ver-wendet werden (NAE, Kap. 2).

138 Synthesebericht

– Die Verwendung von Stickstoff und Gülle wie auch die Zersetzunglandwirtschaftlicher Abfälle führen zur Emission von Lachgas (N2O).

– Methan (CH4) wird durch Verdauungsvorgänge bei Tieren und imAnbau von Nassreis freigesetzt.

– Die Aufnahme von Sonnenenergie wie auch deren Wiederabstrah-lung verändern sich ebenso wie die Verdunstungsmenge aus Böden,die ihre Pflanzen- oder Schneedecke verlieren (Globaler Bericht,Kap. 3).

– Der weltweite Handel von Lebens-, Nahrungs- und Futtermittelnebenso wie die regionale landwirtschaftliche Spezialisierung habendazu geführt, dass mehr Energie für Transportzwecke verbrauchtwird.

Insgesamt resultieren 13,5 % der globalen THG-Emissionen aus der Land-wirtschaft (Pflanzenbau und Tierhaltung), hauptsächlich durch Methanund Lachgas (ca. 47 % bzw. 58 % der gesamten anthropogenen Emissionenvon CH4 und N2O). Andere Berichte gehen sogar davon aus, dass allein dieaus der Tierhaltung resultierenden Emissionen 18 % der Gesamtemissionenausmachen. Diese Zahl berücksichtigt die gesamten Emissionsbilanzen derTierhaltung.118 Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirt-schaft sind für weitere 17,4 % der Emissionen verantwortlich, größtenteilsin Form von CO2. Die meisten THG-Emissionen werden durch Landnut-zungsänderungen und Bodenbearbeitung (40 %), Verdauung bei Tieren(27 %) und Reisanbau (10 %) freigesetzt (siehe Abb. 4, S. 247). VeränderteErnährungsstile und damit steigender Fleischkonsum führen dazu, dassdie von der Landwirtschaft verursachten THG-Emissionen weiter zuneh-men. Der Anteil an den Emissionen variiert je nach Region: In Nordameri-ka und Europa wird der Anteil auf 7–20 % geschätzt (Globaler Bericht,Kap. 1; NAE, Kap. 2). Die höchsten THG-Emissionen sind generell mit denintensivsten Bewirtschaftungssystemen verbunden. Die durch Regenfeld-bau geprägten Länder südlich der Sahara tragen am wenigsten zu denTHG-Emissionen bei, gehören aber gleichzeitig zu den am stärksten vom Kli-mawandel geschlagenen Regionen, was sich in mehreren Belastungen mani-festiert wie in der Abhängigkeit vom Regen, der Armut und Mittellosigkeit,

118 Diese Methode ist eine Anwendung des LCA.

Themen: Klimawandel 139

in schwachen institutionellen und staatlichen Strukturen und geringen Mög-lichkeiten, mit derartigen Problemen umzugehen (NAE, Kap. 3; SSA, Kap. 1).

Landnutzungsänderungen haben die Fähigkeiten von Ökosystemen ne-gativ beeinflusst, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu speichern. So wurdenkohlenstoffreiche Grünlandareale und Wälder in den gemäßigten Zonendurch Ackerflächen ersetzt, die eine wesentlich geringere Kapazität zurSpeicherung von Kohlenstoff haben. Trotz einer bescheidenen Zunahmeder Waldflächen in der nördlichen Hemisphäre gibt es insgesamt keineVerbesserung bei Kohlenstoffeinlagerungen, da tropische Wälder verstärktabgeholzt werden. Es gibt allerdings komplexe Austauschverhältnisse, zumBeispiel wenn Wald durch Ölpalmenplantagen ersetzt wird. Die bindenzwar Kohlenstoff, wirken sich aber negativ auf die biologische Vielfalt aus.Klimawandel wirkt wahrscheinlich auch auf den Kohlenstoffkreislauf, so-dass einige empfindliche natürliche Kohlenstoffspeicher zu Emissionsquel-len werden könnten, zum Beispiel umgenutzte Torfböden (Globaler Be-richt, Kap. 1; NAE, Kap. 3).

Festgestellte Klimaveränderungen und deren Implikationen

Seit den 1970er Jahren wurden insgesamt längere und intensivere Trocken-zeiten, insbesondere in den Tropen und Subtropen, beobachtet. ExtremeWetterereignisse wie Überschwemmungen, Dürren und tropische Wirbel-stürme treten heute mit größerer Intensität als früher auf. Quer durch dieRegion NAE kommt es deutlich öfter zu schweren Waldbränden, die teil-weise auf den Klimawandel, teilweise auf ein großes Angebot an Biomasseund menschliche Aktivitäten auch in entlegenen Waldgebieten zurückzu-führen sind. Die jährliche Wachstumsperiode hat sich um etwa zehn Tageverlängert.

Klimawandel in der Zukunft und dessen projektierte Implikationen

Zunehmende Wachstumsraten und Erträge aufgrund höherer CO2-Konzen-tration und Temperaturen könnten zu längeren Wachstumsperioden füh-ren. Dem IV. Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)119

119 Dieser wurde 2007 veröffentlicht.

140 Synthesebericht

zufolge kann sich ein mäßiger örtlicher Temperaturanstieg von 1–2 °C bei-spielsweise in Regionen mittlerer oder höherer Breitengrade geringfügigpositiv auf die Erträge von Nutzpflanzen auswirken. In Regionen niedrige-rer Breitengrade dürfte sich jedoch selbst ein solch mäßiger Temperaturan-stieg bei den meisten Getreiden negativ auf die Erträge auswirken. Einigenachteilige Folgen insbesondere in den nicht industrialisierten Ländernsind bereits heute sichtbar (ESAP, Kap. 2; Globaler Bericht, Kap. 5; NAE,Kap. 3). Eine stärkere Erwärmung wird zunehmend schädigende Folgenhaben, insbesondere für die Erzeugung in Regionen, die ohnedies schonmit Unsicherheiten der Lebensmittelversorgung zu kämpfen haben. In derRegion NAE wird der Temperaturanstieg eine Verschiebung geeigneterAckerflächen nach Norden und eine kürzere Anbausaison von Nutzpflan-zen wie zum Beispiel Getreiden zur Folge haben. Mittels der heutigen Pro-jektionen lässt sich grundsätzlich sagen, dass die weltweite Lebens-mittelerzeugung bei einem Anstieg örtlicher Durchschnittstemperaturenum 1–3 °C möglicherweise zunehmen wird, während sie bei einem Anstiegoberhalb dieser Werte abnehmen wird.

Aus Sicht der Ökosysteme allerdings kann die Geschwindigkeit vonVeränderungen noch wichtiger sein als das letztliche Ausmaß. Bis 2030wird ein Temperaturanstieg von mehr als 0,2 °C pro Jahrzehnt errechnet.Ein weitergehender Anstieg wird von manchen Experten als gefährlich ein-geschätzt, wiewohl unser gegenwärtiges Verständnis noch unsicher ist(Globaler Bericht, Kap. 5).

Obwohl der Stand des Wissens um Veränderungen bei den Niederschlä-gen nicht genügt, um verlässliche Detailaussagen machen zu können, er-warten wir, dass es bei vielen Nutzpflanzen aufgrund von Wassermangelzunehmend zu Einschränkungen der Erzeugung kommen wird. Der Kli-mawandel erzwingt einen anderen Blick auf die Bevorratung von Wasser,um mit: – den Problemen infolge einer Veränderung der gesamten jährlichen

Niederschlagsmengen, – höheren Verdunstungs- und Transpirationsraten,120

– geänderten Relationen zwischen Schnee- und Regenfällen,– verschobenen Zeiten der Verfügbarkeit von Wasser im Jahresverlauf,

120 Transpiration ist die Abgabe von Wasserdampf aus Pflanzen an die Luft.

Themen: Klimawandel 141

– dem Umstand, dass in Berggletschern immer weniger Wasser gespei-chert wird,

umgehen zu können. Viele Studien aus der Klimafolgenforschung prognos-tizieren globale Probleme der Wasserversorgung schon für die nächste Zeit,wenn nicht durchgreifende Schritte für einen besseren Umgang und eineeffizientere Wassernutzung unternommen werden. Die Prognosen erwar-ten, dass es bis 2050 in einigen Industrieländern eine Zunahme von erneu-erbaren Wasserressourcen geben wird, dafür in den meisten nicht indus-trialisierten Ländern aber eine Verknappung (Globaler Bericht, Kap. 5).

Der Klimawandel wird zu größeren Belastungen durch Hitze und Dürrein vielen der sogenannten Kornkammern Chinas, Indiens, der USA und innoch größerem Ausmaß in den heute schon schwierigen Gebieten der Re-gion SSA führen. Der Regenfeldbau insbesondere von Reis und Weizenwird in der Region ESAP voraussichtlich empfindlich auf die Folgen desKlimawandels reagieren. So könnte ein Temperaturanstieg von 2 °C zu ei-nem Ertragsrückgang beim Regenfeldbau von Reis in China um 5–12 %führen (ESAP, Kap. 4; Globaler Bericht, Kap. 6; NAE, Kap. 3).

Die meisten Klimamodelle zeigen einen stärker ausgeprägten Sommer-monsun und zunehmende Regenfälle in Asien, wohingegen in den semiari-den Regionen Afrikas die absolute Regenmenge möglicherweise abnimmtund es zu stärker ausgeprägten jahreszeitlichen Amplituden und Schwan-kungen von Jahr zu Jahr kommt. Kürzere Dauer oder Verschiebungen dersaisonalen Überflutungen werden sich auf die Terminierung und die Dauervon Anbau- und Erntezeiten auswirken – was wiederum weitreichendeAuswirkungen auf Lebensgestaltung und Erzeugungssysteme insgesamthaben wird. Zum Beispiel beeinträchtigen Dürren, die während der Mon-sunzeit auftreten, den Reisanbau in der Region ESAP erheblich (GlobalerBericht, Kap. 5; ESAP, Kap. 4).

Die Häufigkeit immer extremerer Klimaereignisse wird zunehmen. Inder Folge werden Hochwasser und Dürren, Hitzewellen, tropische Wirbel-stürme und andere ungewöhnliche Wetterereignisse in allen Regionenspürbar sein. Dies wiederum wird sich signifikant auf Lebensmittel- undforstliche Erzeugung und damit die Ernährungssicherheit auswirken. DieHitzewelle in Europa im Sommer 2003 war dafür ein Zeichen. In deren Fol-ge kam es zu einer Dürre und einem Rückgang der Maisernte um 20 %. Inden kommenden Jahrzehnten wird es wahrscheinlich auch zu häufigeren

142 Synthesebericht

und stärkeren Waldbränden kommen, was jedenfalls teilweise auf den Kli-mawandel zurückzuführen ist (NAE, Kap. 2).

Klimaveränderungen werden die Tierhaltung voraussichtlich in vielerleiHinsicht gefährden: Tiere reagieren sehr empfindlich auf Hitzestress, siesind auf verlässliche Wasserversorgung angewiesen und Weideland ist sehrempfindlich gegen längere Trockenperioden. Darüber hinaus werden welt-weit Infektions- und übertragbare Krankheiten in Tierbeständen immerhäufiger auftreten (Globaler Bericht, Kap. 3).

Die Implikationen des Klimawandels für die Erträge von Pflanzen undBäumen, aus Fischerei, Forstwirtschaft und Viehhaltung sind je nach Re-gion recht unterschiedlich (Globaler Bericht, Kap. 1; SSA, Kap. 4). Die Kli-maszenarien gehen davon aus, dass es zu Veränderungen örtlicher Biome121

und ganzer terrestrischer Ökosysteme kommen wird. Klimavorhersagenkönnen zwar nicht sagen, welches genau die Veränderungen sein werden,wo sie auftreten und wann sie offenkundig werden, aber es ist Stand desWissens, dass der Klimawandel die regionalen Temperatur- und Nieder-schlagsmuster überwiegend negativ beeinflussen wird.

Der weltweite Klimawandel wird voraussichtlich auch die Meeres- undSüßwasserökosysteme und Habitate verändern. Ansteigende Meeresspie-gel werden küstennahe Habitate und deren Produktivität verändern, so-dass einige der ertragreichsten Fischfanggebiete der Erde gefährdet seinwerden. Veränderungen der Temperaturen der Ozeane wirken sich aufMeeresströmungen und Verteilung und Artenzusammensetzung der Mee-restiere, einschließlich der Fischpopulationen aus. Die Zunahme atmosphä-rischer CO2-Konzentrationen führt zu einer Versauerung des Meerwassers.Dies wiederum stört die Fähigkeit von Meerestieren (wie Korallen, Mollus-ken und Plankton), Kalkgerüste zu bilden und damit ihre Funktion in be-sonders bedeutsamen Ökosystemen und Nahrungsnetzen (Globaler Be-richt, Kap. 6; SSA, Kap. 4). Ansteigende Meeresspiegel können in einigenKüstengebieten zum Eindringen von Salzwasser in Grundwasser und Bö-den und dadurch zu landwirtschaftlichen Produktivitätseinbußen führen(ESAP, Kap. 2 und 4; Globaler Bericht, Kap. 1; NAE, Kap. 3; SSA, Kap. 3). Esist zu erwarten, dass der Klimawandel die Vielfalt der Fischarten signifi-

121 Biome sind die Grundeinheiten großer ökologischer Systeme wie terrestrischer oder mari-ner Ökosysteme. Sie sind größere Lebensräume mit dem gleichen Klimatyp und der dafür ty-pischen Vegetation und Fauna.

Themen: Klimawandel 143

kant verringern wird. Dadurch werden auch wichtige Veränderungen imVorkommen und in der Verteilung von Süßwasserfischbeständen auftreten –zum Beispiel in den Flüssen und Seen der Region SSA.

Der Klimawandel hat schon heute – und auch zukünftig – Einfluss aufgeographische Verbreitung und Auftreten vieler für Menschen, Tiere wiePflanzen relevanter Schädlinge, Krankheitserreger und eines breiten Spek-trums von invasiven Arten, die sich in neue ökologische Nischen einnistenwerden (ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht, Kap. 1, 5, 6 und 7). Diese zu erwar-tenden Veränderungen dürften die Tätigkeiten in den Agrikulturen schädi-gen, weil sie die Gesundheit von Bäuerinnen und Bauern wie von Ökosys-temen insbesondere in nicht industrialisierten Ländern beeinträchtigenkönnen. So ist beispielsweise zu erwarten, dass durch höhere Temperatu-ren und zusätzliche Niederschläge das Spektrum durch Bakterien oder Vi-ren übertragener Krankheiten größer wird, sodass diese sich über die Gren-zen ihrer derzeitigen Verbreitungsgebiete hinaus und in höher gelegenenRegionen festsetzen können (LAC, Kap. 1). Außerdem kann zusätzlichekünstliche Bewässerung als Reaktion auf klimabedingten Wassermangelzum Beispiel für Nutzpflanzen dazu beitragen, dass die Malaria (GlobalerBericht, Kap. 5) und andere Krankheiten, die Wasser für ihre Verbreitungbenötigen, verstärkt auftreten.

Das Auftreten von Schädlingen und Krankheiten wird stark vom jahres-zeitlichen Wetterverlauf und Klimaverschiebungen beeinflusst. EtablierteSchädlinge können sich aufgrund günstiger Bedingungen wie höhererWintertemperaturen, also einem geringeren Rückgang im Winter, und hö-heren Niederschlagsmengen besser vermehren. Neu auftretende Schäd-lingsarten verändern die Populationsdynamiken in den Beziehungsgefügenzwischen Schädlingen, Räubern und Parasiten durch: – veränderte Wachstums- und Entwicklungsabläufe, – Anzahl der Generationen pro Jahr, – Schadenspotenzial und Dichte von Populationen, – Virulenz eines Schädlings für die Wirtspflanze oder – Anfälligkeit einer Wirtspflanze für einen Schädling.

Veränderte Wettermuster tragen ebenfalls zur Anfälligkeit von Nutzpflan-zen gegenüber Schädlingen, Unkraut und invasiven Pflanzenarten bei. Diesführt zu Ertragseinbußen und verstärktem Einsatz von Pestiziden (Globaler

144 Synthesebericht

Bericht, Kap. 3). Höhere Temperaturen tragen aller Wahrscheinlichkeitnach zu einer weiteren Ausbreitung stark ertragsmindernder Unkrautartenbei, deren Vorkommen derzeit durch kühle Temperaturen begrenzt ist(Globaler Bericht, Kap. 3 und 6).

Klimarechenmodelle weisen auf eine künftig stark zunehmende Boden-erosion hin. Tropische Böden mit ihrem geringen Gehalt an organischenBestandteilen werden voraussichtlich die höchsten erosionsbedingten Pro-duktivitätseinbußen für den Pflanzenanbau erleiden. Wüstenbildung wirddurch Rückgang der durchschnittlichen Regenfälle im Jahresverlauf undeine stärkere Verdunstung und Transpiration besonders in Böden mit ge-ringer biologischer Aktivität, geringem Gehalt an organischen Bestandtei-len und geringer struktureller Stabilität122 stark voranschreiten (CWANA,Kap. 1; Globaler Bericht, Kap. 6).

Als Resultat des Klimawandels bildet sich ein schwerwiegendes Poten-zial für künftige Konflikte, sogar für gewaltsame Auseinandersetzungenum bewohnbares Land und andere natürliche Lebensgrundlagen, zum Bei-spiel sauberes Wasser. Dadurch könnten zugleich die Ernährungssicherheitund die Bekämpfung von Armut und Mittellosigkeit ernsthaft behindertwerden. In jedem Jahr fliehen heute bereits etwa 25 Millionen Menschenvor Katastrophen, die durch das Wetter ausgelöst sind. Die Erwartungengehen dahin, dass sich diese Zahl noch vor dem Jahr 2050 aufgrund derglobalen Erwärmung auf ungefähr 200 Millionen erhöhen wird. Die fort-währende Abwanderung junger Menschen in städtische Agglomerationenkann auch zu einer Degradierung landwirtschaftlicher Böden führen unddie Schäden des Klimawandels noch verstärken, weil die in den ländlichenRäumen Zurückbleibenden meist alte und nicht voll arbeitsfähige Men-schen sind, die die notwendigen Arbeiten nicht oder nur teilweise erledi-gen können.

Die Folgen dieser Flüchtlingsströme und Abwanderungsbewegungensind für semiaride Ökosysteme am bedrohlichsten (Globaler Bericht, Kap. 6).Zusätzlich könnte der Klimawandel in Verbindung mit anderen sozialenund ökonomischen Belastungen die regionale Verteilung von Hunger undUnterernährung verändern. Das wird vor allem Afrika südlich der Saharatreffen.

122 Das meint die Möglichkeiten von Böden, Defizite in einem Bereich auszugleichen.

Themen: Klimawandel 145

Handlungsmöglichkeiten

Das IPCC hat schlussfolgernd konstatiert, dass „die Erwärmung des Klima-systems nicht länger strittig ist“ und dass „der seit Mitte des 20. Jahrhun-derts zu beobachtende globale Anstieg der Durchschnittstemperaturen mitsehr hoher Wahrscheinlichkeit auf den zu beobachtenden Anstieg der men-schengemachten THG-Konzentrationen zurückgeht.“ Diese klaren Feststel-lungen sollten dazu führen, dass wir unsere Aufmerksamkeit nicht längernur Beschreibungen der Bedrohung, sondern vor allem möglichen Lösun-gen widmen sollten.

Überlegungen zu möglichen Reaktionen auf den Klimawandel müssenwichtige politikbezogene Fragen und Themen einbeziehen. Das Angehender Probleme an der Wurzel, das heißt die THG-Emissionen, erforderteinen globalen Ansatz. Je früher und stärker Emissionen verringert werden,desto eher kann erreicht werden, dass die Konzentrationen nicht länger an-steigen. Maßnahmen zu Emissionsreduzierungen sind zweifelsohne unver-zichtbar. Weitere Klimaänderungen allerdings sind bereits jetzt nicht zuumgehen, sodass auch Anpassungen stattfinden müssen. Klimawandel istnicht schlicht eine Umweltthematik, sondern kann auch im Kontext vonThemen wie langfristig umwelt- und sozial gerechter Entwicklung und Si-cherheit gesehen werden. Handlungsvorschläge zur Bekämpfung des Kli-mawandels und Anstrengungen zur Förderung nachhaltiger Entwicklun-gen teilen wichtige gemeinsame Ziele und Bedingungen, zum Beispiel dengleichberechtigten Zugang zu finanziellen oder anderen Mitteln, angepass-ten Technologien und entscheidungsunterstützenden Regeln und Verfahrenzum Umgang mit Risiken. Entscheidungen im Kontext des Klimawandelswerden außerdem zumeist im Zusammenhang mit anderen ökologischen,sozialen und wirtschaftlichen Problemen getroffen.

Die Agrarpolitik muss so neu ausgerichtet werden, dass – Emissionen reduziert, – weitgehend kohlenstoffneutrale Anpassungen an den Klimawan-

del123 ermöglicht, – Spurengasemissionen auf ein Minimum reduziert,

123 In diesem Falle wird nicht mehr Kohlenstoff freigesetzt, als jeweils auch gebunden wird.

146 Synthesebericht

– die Zerstörung des Naturkapitals vermindert wird (Globaler Bericht,Kap. 4).

Wichtige Fragestellungen in diesem Zusammenhang sind: – Wie können die von Land- und Forstwirtschaft ausgehenden Emis-

sionen effizient reduziert werden? – Wie können Lebensmittel mit einer verbesserten Nährstoffeffizienz

und geringeren THG-Emissionen erzeugt werden? – Was muss getan werden, um Agrikultur, Agroforstwirtschaft und

Forstwirtschaft unter den jeweiligen Standortbedingungen am bes-ten an die veränderten Verhältnisse anzupassen?

– Welche Rolle können pflanzliche Energieträger spielen? – Was bedeuten die genannten Herausforderungen und Fragestellun-

gen für die Weiterentwicklung von AWWT (NAE, Kap. 3)?

Wir brauchen die Entwicklung neuer Erkenntnisse und Technologien, ins-besondere für energieeffiziente Landnutzungssysteme. Dazu müssen auchumfassendere Kosten-Nutzen-Analysen erstellt werden, als gegenwärtigverfügbar sind (Globaler Bericht, Kap. 3). Wir müssen uns auch mit damitzusammenhängenden Themenfeldern wie den Implikationen von Land-nutzungsänderungen für Biodiversität und Bodendegradation befassen,um mögliche Synergien zwischen den Zielvorgaben der UN-Konventionenzur biologischen Vielfalt (CBD), zur Bekämpfung der Wüstenbildung(CCD) und zum Klimawandel (FCC) zu nutzen.

Anpassungen an unvermeidliche Konsequenzen und Abmilderungenvon Folgen des Klimawandels sind komplementäre Strategien. Emissions-reduzierungen in der Absicht, die schädlichen Auswirkungen des Tempe-raturanstiegs zu drosseln, werden aufgrund der Trägheit des Klimasystemserst Jahrzehnte später wirksam. Aus diesem Grund sind Anpassungsmaß-nahmen wichtig, um mit den rasch sichtbaren Folgen umgehen zu können.Anpassungsmaßnahmen sind besonders deshalb notwendig, um die ge-waltigen Wirkungen eines ungebremsten Klimawandels auf die Land-wirtschaft, die die Anpassungsfähigkeit bestehender landwirtschaftlicherSysteme übersteigen könnten, abzuwenden. In dieser Hinsicht gibt es be-reits politische Verabredungen und Vereinbarungen sowohl kurz- wie lang-fristiger Natur.

Themen: Klimawandel 147

Wir kennen inzwischen einige Abmilderungen, die für alle Beteiligtenvorteilhaft sind. Dazu gehören Praktiken der Landnutzung wie etwa: – Beendigung der Umnutzung von naturnahen Habitaten für land-

wirtschaftliche Zwecke, – Aufforstung, Wiederaufforstung, Agroforstwirtschaft und Revitalisie-

rung von nicht angemessen genutzten oder degradierten Böden, – Kohlenstoffspeicherung in Böden, – angemessene Nutzung von stickstoffhaltigen Materialien, – effizienterer Einsatz von Dung und Gülle und– Verwendung von Futtermitteln, die die Verdauungseffizienz des

Viehs erhöhen.

Handlungsmöglichkeiten ergeben sich auch bei Regulierungen und Investi-tionen. Dazu gehören finanzielle Anreize zu Erhaltung und Erweiterungvon Waldgebieten durch Einschränkung von Abholzung oder Übernutzungund insgesamt ein verbesserter Umgang mit dem Wald. Hoch effektiv sindAnreize zur stärkeren Nutzung erneuerbarer Energiequellen. Die Nach-Kyoto-Regelungen müssen viel stärker die Gesamtheit der landwirtschaftlichen Ak-tivitäten berücksichtigen, um die Möglichkeiten, die Landnutzung undForstwirtschaft bieten, voll auszuschöpfen (zum Beispiel Reduzierung vonEmissionen durch Wiederaufforstung und Vermeidung von Übernutzun-gen) (Globaler Bericht, Kap. 6).

Lokale, nationale und regionale Regelungen und Bestimmungen für dielandwirtschaftliche Entwicklung werden die Wechselwirkungen zwischennotwendigen Ertragssteigerungen sowie Erhalt und Optimierung der Öko-systemleistungen, die die Landwirtschaft ermöglichen und unterstützen,zu beachten haben (SSA, Kap. 4).

Mögliche Anpassungen

Man kann zwei Arten von Anpassungen unterscheiden: die autonome An-passung und die geplante Anpassung. Bei der autonomen Anpassung han-delt es sich nicht um eine bewusste Reaktion auf Klimasignale. Sie wirdvielmehr durch ökologische Veränderungen in natürlichen Zusammenhän-gen, in menschlichen Gesellschaften durch Veränderungen von Märktenoder Sozialsystemen ausgelöst. Geplante Anpassung ist das Ergebnis einer

148 Synthesebericht

absichtsvollen politischen Entscheidung, die auf der Wahrnehmung be-ruht, dass sich die Bedingungen geändert haben oder im Begriff sind sichzu ändern und daher Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einen ge-wünschten Zustand zu erhalten, zu erreichen oder zu diesem zurückzu-kehren. Geplante Anpassung kann auch auf gemeinschaftlicher Ebene statt-finden, ausgelöst durch das Wissen um die zukünftigen Implikationen desKlimawandels und die Erkenntnis, dass sich extreme Wetterereignisse zu-künftig wiederholen können. Der erste Fall bedeutet die Anwendung vonvorhandenem Wissen respektive Technologien als Reaktion auf erfahreneVeränderungen, wohingegen der zweite Fall eine erweiterte Anpassungs-fähigkeit durch institutionelle und politische Änderungen und Reformenund dazu Investitionen in neue Technologien und Infrastrukturen bedeu-tet, um effektive Anpassungsaktivitäten zu ermöglichen.

Viele Prozesse autonomer Anpassungen sind Erweiterungen oder Inten-sivierungen schon praktizierten Risikomanagements oder von Verbesse-rungen der Erzeugung. Dazu gehören: – Anpassungen von Sorten und Arten an sich verändernde Temperatu-

ren und/oder hydrologische Verhältnisse; – veränderte Zeitplanungen für Bewässerung und Anpassungen der

Nährstoffversorgung; – Nutzung wassersparender Techniken und Förderung der Agrobiodi-

versität mit dem Ziel, resilientere124 agrikulturelle Systeme zu schaf-fen;

– zeitliche oder örtliche Verschiebung von Pflanzenbau und Diversifi-zierung der Landwirtschaft (Globaler Bericht, Kap. 6).

Geplante Anpassungen umfassen auch politische Programme und Maß-nahmen zur: – Verringerung von Armut und Mittellosigkeit, – besseren Sicherung von Lebensgestaltungsmöglichkeiten, – Entwicklung von Infrastrukturen, die integrierte Raumplanungen

unterstützen beziehungsweise erst ermöglichen,

124 Resilienz bezeichnet die Fähigkeit von Ökosystemen, sich nach störenden und zerstörendenEingriffen oder Ereignissen zu regenerieren, vgl. www.umweltrat.de.

Themen: Klimawandel 149

– Erarbeitung und Verbreitung von Wissen, Technologien und Bewirt-schaftungsmethoden, die auf die antizipierten Veränderungen zuge-schnitten sind (NAE, Kap. 3).

Dabei ist wichtig festzuhalten, dass politische Programme und Maßnah-men zur Anpassung an den Klimawandel immer mit anderen Politikberei-chen wie dem Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, der Ge-sundheit von Menschen und Tieren, Regierungsführung samt politischenRechten und vielen anderen verknüpft sind, von diesen abhängen oder die-sen sogar untergeordnet sind. Die genannten Politikbereiche sollen dasmainstreaming der Anpassungspolitik verdeutlichen. Damit ist die Integra-tion der Thematik in alle Politikfelder gemeint mit dem Ziel, die Resilienzin vielen Bereichen des natur-gesellschaftlichen Stoffwechsels zu erhöhen.

Welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Erfüllung von Entwick-lungs- und Nachhaltigkeitszielen haben wird, hängt davon ab, wie gut Ge-sellschaften respektive Gemeinschaften in der Lage sind, mit dem länger-fristigen Klimawandel wie auch mit kurzfristigen klimatischen Extremenumzugehen. Diese gesellschaftliche Handlungsfähigkeit betrifft auch kriti-sche Faktoren wie Bodendegradation, Armut und Mittellosigkeit, einseitigevolkswirtschaftliche Strukturen,125 die Stabilität von staatlichen und gesell-schaftlichen Institutionen und einen deeskalierenden Umgang mit Konflikten(Globaler Bericht, Kap. 6). Die Landwirtschaft der Industriestaaten, zumeistin höheren Breitengraden gelegen, verfügt in der Regel über die betriebs-wirtschaftlichen Vorteile großvolumiger Erzeugung, guten Zugang zu In-formationen, Technologien und Versicherungen ebenso wie über günstigeKonditionen im Welthandel und besitzt für Anpassungen an den Klima-wandel relativ gute Voraussetzungen. Im Gegensatz dazu verfügen klein-bäuerliche Betriebe, die in semiariden oder subhumiden Gebieten126 auf Re-gen angewiesen sind und die ständig erhebliche saisonale Wetterkapriolenwie auch abrupte Veränderungen von Jahr zu Jahr erleben, über eine gerin-ge Anpassungsfähigkeit. Das hat mit den schwierigen Anbau- und Erntebe-

125 Hier sind solche Volkswirtschaften gemeint, die sehr stark von einem Produkt oder Roh-stoff abhängig sind. Ein Beispiel dafür sind viele erdölexportierende Länder, aber auch Länderwie Brasilien mit seinem Sojaexport.126 Semiaride und subhumide Gegenden sind durch ein Ausmaß an Regen gekennzeichnet,das gerade noch Regenfeldbau ermöglicht.

150 Synthesebericht

dingungen wie auch mit Hindernissen zu tun, die aus Armut und Mittello-sigkeit sowie Landdegradationen resultieren (Globaler Bericht, Kap. 6). DieRegionen SSA und CWANA sind besonders verletzliche Regionen (CWANA,Kap. 1; SSA, Kap. 1). Die Regenerationsfähigkeit von Ökosystemen in Tro-ckengebieten bei fehlender Feuchtigkeit, extremen Temperaturen und Ver-salzung wird bislang nicht wirklich verstanden.

Die Wirksamkeit von Anpassungen mit Hilfe von AWWT ist von Regionzu Region wie innerhalb der Regionen wahrscheinlich sehr unterschiedlich.Wesentlich sind dabei der Grad der Exposition gegenüber klimatischenVeränderungen und die institutionellen und personellen Kapazitäten, diefür Anpassungen verfügbar sind. Letztere wiederum hängen in hohem Maßvon volkswirtschaftlicher Diversifizierung, gesellschaftlichem Wohlstandund arbeitsfähigen Institutionen ab. Die Tragfähigkeit traditionell unternom-mener Schritte zur Minderung von Folgen klimatischer Veränderungen inariden und semiariden Gebieten hängt davon ab, inwieweit Gefahrenabläu-fe frühzeitig erkannt werden. Diese werden allerdings immer unregelmäßi-ger. Insofern könnten Früherkennungs- und -warnsysteme, die neuent-wickelte GIS-basierte Methoden127 nutzen, wie sie beispielsweise im ConflictEarly Warning and Response Network (CEWARN)128 und im Global Public HealthIntelligence Network (GPHIN)129 verwendet werden, hilfreich sein.

Um Wettervorhersagen den spezifischen Bedürfnissen der Agrikulturenanzupassen, müssen – in den verletzlichsten Regionen zusätzlich Netzwerke für kontinuier-

liche Beobachtungen geschaffen, – die Genauigkeit von Vorhersagen weiter erhöht, – jahreszeitliche Prognosen mit Informationen zu kürzeren und länge-

ren Zeiträumen verknüpft, – in Klimarechenmodelle Daten zum Pflanzenbau modellhaft einge-

bettet, – Fernerkundungen besser genutzt,– Massengüterhandel und Vorratshaltung verbessert, – sie in landwirtschaftliches Risikomanagement integriert,

127 Dabei werden geographische Informations-Systeme genutzt, vgl. www.gis.com. 128 Vgl. www.cewarn.org.129 Ein Frühwarn- und Informationssystem, das von kanadischen Behörden initiiert wordenist, vgl. www.phac-aspc.gc.ca/media/nr-rp/2004/2004_gphin-rmispbk-eng.php.

Themen: Klimawandel 151

– stärkere Beteiligungsformen für alle Akteure geschaffen werden (Glo-baler Bericht, Kap. 6).

Mögliche Abmilderungen

Ein ganzer Kranz von Handlungsmöglichkeiten, Technologien und techni-schen Verfahren zur Verringerung oder Kompensation von THG-Emissio-nen existiert bereits: – Verringerung der Methan- oder Lachgasemissionen durch effiziente-

re Tierhaltung, bessere Fütterung der Tiere, Verwendung von Futter-mittelzusätzen zwecks effizienterer Futterverwertung, Verringerungvon Gärungsprozessen im Verdauungstrakt und nachfolgender Me-thanemissionen, Belüftung von Gülle und Dung vor der Kompostie-rung, Verwendung von land- und forstwirtschaftlichen Rückständenund Reststoffen zur Herstellung von Brennstoffen;

– Verringerung der Lachgas-Emissionen durch genauer dosierte Ga-ben von Dung, Gülle und mineralischem Dünger gemäß der Aufnah-mefähigkeit der Nutzpflanzen, Optimierung einer effizienten Stick-stoffaufnahme durch Kontrolle der effektiven Aufnahme durch diePflanzen, der Verfahren und des Ausbringungszeitpunktes;

– Verringerung von Emissionen aus Abholzungen und Übernutzungvon Wäldern. Dies beinhaltet politische Maßnahmen, um die treiben-den Faktoren von Waldvernichtungen anzugehen, bessere Bewirt-schaftungskonzepte für Wälder, effektiven Vollzug von Waldgesetzen,Konzepte zum Umgang mit Feuern und Waldbränden, verbessertePraktiken von Waldbau,130 Förderung von Aufforstungen und Wie-deraufforstungen mit dem Ziel, die Kohlenstoffspeicherung in denWäldern zu erhöhen (Globaler Bericht, Kap. 1, 3, 5 und 6; SSA,Kap. 3).

– Verbesserung der Kohlenstoffbindung in Böden. Dies erfordert dieFörderung der biologischen Vielfalt als Instrument zur Minderungvon Klimaänderungen bzw. Anpassung an diese, einen verbessertenUmgang mit Rückständen und Reststoffen, einen Pflanzenbau, deraufs Pflügen ganz oder weitgehend verzichtet, die Einbeziehung von

130 Damit sind Methoden der Erzeugung von Lebensmitteln in bewaldeten Regionen gemeint.

152 Synthesebericht

Leguminosen in die Fruchtfolgen,131 die Abkürzung von Brachepe-rioden und die Nutzung grenzwertiger Böden zum Anbau von Bäu-men oder Gehölzen (Globaler Bericht, Kap. 1, 3, 5 und 6; SSA, Kap. 3).

– Förderung von low input-Agrikulturen, die ganz auf erneuerbarenEnergiequellen fußen.

Bemühungen zu Emissionsminderungen aus der Landwirtschaft müssenalle potenziellen THG-Emissionen berücksichtigen. Zum Beispiel könntenMaßnahmen zur Reduktion von CH4-Emissionen aus Reisanbau zu einemAnstieg der N2O-Emissionen führen, weil sich die Dynamik des Stickstoff-kreislaufs im Boden verändert. Ähnlich könnte eine konservierende Boden-bearbeitung zwecks Kohlenstoffspeicherung im Boden aufgrund eines ver-stärkten Einsatzes von Agrochemikalien oder beschleunigter Denitrifikationin Böden132 höhere N2O-Emissionen zur Folge haben (Globaler Bericht,Kap. 6).

Politische Programme und Maßnahmen, Regulierungen und Investi-tionsmöglichkeiten, die finanzielle Anreize zur Vermehrung von Waldflä-chen, Verminderung von Abholzungen, Erhalt und Bewirtschaftung vonWäldern und zur verstärkten Herstellung erneuerbarer Energien bieten,könnten besonders wirksam sein. In diesem Zusammenhang könnten aller-dings Probleme in nicht industrialisierten Ländern auftreten, weil es anausreichendem Investitionskapital fehlt und Besitz- und Eigentumsfragenin Bezug auf fruchtbares Land ungeklärt sind (Globaler Bericht, Kap. 1, 3und 5; SSA, Kap. 3).

Globale Regime zum Kl imawandel

Das Kyoto-Protokoll dokumentiert bis jetzt den größtmöglichen internatio-nalen Konsens im Umgang mit den Fragen des Klimawandels. Es gibt je-doch Zweifel, inwieweit das Protokoll effektiv die globalen Emissionen so-weit reduzieren hilft, dass ein gefährlicher Klimawandel vermieden wird.Das Kyoto-Protokoll stellt zweifelsohne einen ersten Schritt dar, der Aus-

131 Leguminosen, wie etwa Lupinen oder Klee, können Stickstoff aus der Luft binden und fürdie Bodenfruchtbarkeit verfügbar machen.132 Denitrifikation beschreibt einen Teil des Stickstoffkreislaufs, der oft zu hohen Verlusten die-ses wichtigen Stoffes führt.

Themen: Klimawandel 153

druck des politischen Willens ist und das Ausprobieren verschiedener Maß-nahmen und Mechanismen erlaubt. Tiefere Einschnitte und zusätzliche Stra-tegien in Richtung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und Gesellschaft sindaber erforderlich. Zudem sind Minderungsmöglichkeiten und -maßnah-men aus den und für die Agrikulturen von dem Protokoll nur unzurei-chend abgedeckt. Insoweit ist ein wesentlich umfassenderes und zukunfts-orientiertes Übereinkommen notwendig, um die Handlungsmöglichkeiten,die die Land- und Forstnutzungen bieten, in vollem Umfang nutzen zukönnen.

Um das zu erreichen, wäre ein langfristig (auf 30 bis 50 Jahre) angeleg-tes, umfassendes und faires global verhandeltes Regelwerk nötig, das diffe-renzierte Verpflichtungen und Zwischenziele für die Reduzierung derTHG-Emissionen festlegt. Im Rahmen eines solchen Vertrages könnte einmodifizierter Clean Development Mechanism133 zur Erfüllung von Entwick-lungs- und Nachhaltigkeitszielen beitragen. Dabei müsste eine ganze Reihevon Minderungsmaßnahmen im Bereich der Landnutzungen erfasst wer-den, unter denen je nach regionaler oder nationaler Situation eine Auswahlgetroffen werden kann, wie zum Beispiel – Aufforstungen und Wiederaufforstungen; – Vermeidung von Waldzerstörungen, wobei anstelle eines projektbe-

zogenen ein nationaler sektorbezogener Ansatz134 gewählt werdensollte, um Lücken möglichst zu vermeiden, die wiederum politischeInterventionen ermöglichen;

– eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Praktiken wie ökologischerLandbau und schonende Bodenbearbeitung.

Andere Vertragselemente könnten die Zurücknahme von Subventionensein, die THG-Emissionen fördern, und Mechanismen vorsehen, die dieEntwicklung von Anpassungsstrategien vor allem für verletzliche Regio-nen wie die Tropen und Subtropen unterstützen.

133 Der CDM im Artikel 12 des Kyoto-Protokolls erfasst Maßnahmen von Industriestaaten zuEmissionsreduktionen in nicht industrialisierten Ländern. Dabei werden die Einsparungendem Industriestaat positiv angerechnet.134 Ein solcher Ansatz bezieht alle Wälder eines Landes in Maßnahmen und Programme ein.Davon verspricht man sich eine größere Wirksamkeit.

Menschliche Gesundheit

Autorinnen und Autor: Kristie L. Ebi (USA), Rose R. Kingamkono (Tansania),Karen Lock (Großbritannien), Yalem Mekonnen (Äthiopien)

Vielfältig verflochtene Beziehungen zwischen Gesundheit, Ernährung,Agrikultur und AWWT berühren die Fähigkeiten einzelner Menschen, vonGemeinschaften und Nationen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. In diesenKontext gehören zudem zahlreiche andere Belastungsfaktoren, die die Ge-sundheit von Bevölkerungen beeinflussen. Nicht ausreichende, schlechteoder einseitige Ernährung kann zu vielen Gesundheitsproblemen führen.Diese wiederum führen bei Erwachsenen wie Kindern zur Abnahme ihrerwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, denn Unterernährung und wiederholteInfektionskrankheiten in der Kindheit beeinträchtigen die körperliche undgeistige Entwicklung, was zu einer verminderten Leistungsfähigkeit im Er-wachsenenalter führt (Globaler Bericht, Kap. 1, 3 und 6; SSA). Geringe Ab-wehrkräfte infolge von Unterernährung erhöhen die Anfälligkeit für vieleKrankheiten, auch für AIDS, und können sich erschwerend auf Behand-lung und Rekonvaleszenz auswirken (CWANA; ESAP; Globaler Bericht,Kap. 2, 3 und 5; LAC; SSA). Die Verbesserung der gesundheitlichen Situa-tion durch bessere Kontrolle von chronischen und Infektionskrankheitenkann sich positiv auf Wirksamkeit und Produktivität von Ernährungssyste-men und AWWT auswirken.

Eine Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes war zumeistkein ausdrückliches Ziel landwirtschaftlicher Tätigkeiten. Eine angemesseneund angepasste Nutzung von AWWT kann allerdings die Ernährungssitua-tion quantitativ wie qualitativ verbessern und so auch zu einem besserenGesundheitsniveau in der Bevölkerung beitragen. Hierzu gehören bei-spielsweise: – angemessene und standortgerechte Diversifizierung der Kulturpflan-

zen;

156 Synthesebericht

– Zuführung von zink-, selen- oder jodhaltigen Düngern auf Böden, diewenig von diesen für Menschen essentiellen Nährstoffen aufweisen;

– Entwicklung von Bewirtschaftungsweisen für Agrarökosysteme, diedie Gesundheit von Menschen, Tieren und Böden zugleich unterstüt-zen (Globaler Bericht, Kap. 2, 3, 5, 6 und 8).

Landnutzung und auch Tierhaltung können durch das Entstehen von In-fektionskrankheiten nachteilig auf die menschliche Gesundheit wirken. Sosind etwa 75 % der auftretenden Krankheiten Zoonosen; sie werden vonTier auf Mensch übertragen (Globaler Bericht, Kap. 3, 5, 6 und 9; NAE,Kap. 1 und 4; SSA, Kap. 3). Die Landwirtschaft zählt darüber hinaus zu dendrei gefährlichsten Berufsbereichen (neben Bergbau und Baugewerbe), ge-messen an Todesfällen, Unfällen, Expositionen und berufsbedingten Ge-sundheitsschäden (Globaler Bericht, Kap. 3). Die Verbraucher wiederumsind zunehmend wachsamer geworden gegenüber erhöhten Krankheitsrisi-ken durch Pestizide und andere Agrarchemikalien, Antibiotika, Wachstums-hormone, Zusätze in der Nahrungsmittelverarbeitung und Krankheitser-reger in Lebensmitteln (CWANA, Kap. 5; ESAP, Kap. 2, 3 und 5; GlobalerBericht, Kap. 2, 3, 5, 6 und 8; LAC, Kap. 1; NAE, Kap. 2; SSA, Kap. 2 und 3).

Derzeit ige Situation und Trends

Zusammenhänge von Agrikultur und schlechter Gesundheit

Verletzliche Bevölkerungen, insbesondere dörfliche Gemeinschaften, sindtypischerweise vielfältigen und zusammenhängenden Risiken für ihre Ge-sundheit im Zusammenhang mit der Landbearbeitung ausgesetzt. Zu die-sen gehören mangelhafte Ernährung, geringe Nahrungsmittelsicherheit, Ri-siken bei der Arbeit und aus der Umwelt. Daraus ergeben sich insgesamtoft signifikante Belastungen mit der Folge, dass viele Menschen gesund-heitliche Schäden davontragen.

Diese Schäden wiederum wirken auf viele landwirtschaftliche Arbeits-zusammenhänge und die Ergebnisse der Arbeit zurück. Mangelernährung,chronische und infektiöse Krankheiten drücken die Produktivität durchVerlust von Arbeitskraft, die Notwendigkeit, die angebauten Pflanzensor-

Themen: Menschliche Gesundheit 157

ten zu wechseln oder die bebaute Fläche zu verkleinern. Fehlende Gesund-heit verringert zudem die Fähigkeit von Bäuerinnen und Bauern, ihren Be-trieb weiterzuentwickeln oder neue Methoden der Bewirtschaftung zu erpro-ben. Durch Krankheit bedingte Abwesenheit von Mitgliedern bäuerlicherFamilien kann die Lebensmittelproduktion reduzieren, was zu Einkom-mens- und anderen Einbußen für die Familien führt (CWANA; ESAP; Glo-baler Bericht, Kap. 3; LAC; NAE; SSA). Dies gilt insbesondere für Frauen,die oft die Hauptleistungsträger für Ernährung wie auch Pflege in den Fa-milien sind (siehe Frauen in der Landwirtschaft). Eine niedrigere Lebenser-wartung bedeutet sowohl den Verlust lokalen agrikulturellen Wissens wieeine verringerte Möglichkeit zur Aufnahme und Nutzung von AWWT. Inden nicht industrialisierten Ländern sieht man dies besonders drastisch anden Folgen von AIDS, Malaria und Mangelernährung (CWANA; ESAP;Globaler Bericht, Kap. 1 und 3; LAC; SSA).

Mangelernährung

Global betrachtet resultieren gesundheitliche Schäden infolge einer fal-schen Ernährung aus Unterernährung ebenso wie aus Überernährung; un-ausgewogene Ernährung führt auch zu Adipositas (CWANA; ESAP; Globa-ler Bericht, Kap. 1, 2 und 3; LAC; NAE, Kap. 2; SSA, Kap. 2). Risikofaktorenfür Unterernährung sind: – zu geringe Aufnahme von Makro- und Mikronährstoffen, – Erschöpfung von Nährstoffdepots im Körper infolge von Infektio-

nen, – erhöhter Nährstoffbedarf in der Kindheit, in der Adoleszenz, wäh-

rend der Schwangerschaft und durch schwere körperliche Arbeit.

In vielen Ländern und Regionen ist die anhaltende Mangelernährung Folgeeiner allgemeinen Ernährungsunsicherheit, die wiederum vielfache Ursa-chen hat, zum Beispiel das Fehlen von fruchtbarem Land als Lebensgrund-lage, instabile wirtschaftliche und politische Verhältnisse, Krieg und extre-me Witterungsverhältnisse (Globaler Bericht, Kap. 1 und 3, SSA, Kap. 2).

Im Laufe der letzten 40 Jahre ist die weltweite Nahrungsmittelerzeu-gung und das verfügbare Angebot deutlich angestiegen, in vielen Ländernstärker als das Bevölkerungswachstum (Globaler Bericht, Kap. 1, 2 und 3).

158 Synthesebericht

In der gleichen Zeit ist die Unterernährung weltweit zwar zurückgegangen,stellt aber nach wie vor ein gravierendes Gesundheitsproblem dar. Im Jahr2000 waren schätzungsweise mehr als 15 % der gesamten globalen Krank-heiten auf Unterernährung zurückzuführen, wobei das Ausmaß zwischenund innerhalb von Ländern sehr unterschiedlich war. Zwischen 1981 und2003 standen 97 nicht industrialisierte Länder und 27 Schwellenländer weitunten auf dem Global Hunger Index (GHI)135 (Globaler Bericht, Kap. 2). InAfrika, insbesondere in SSA, war die Mangelernährung eine permanente,noch zunehmende Problematik (SSA, Kap. 1, 2 und 3).

Obwohl die Landwirtschaft weltweit eine hinreichende Versorgung mitProteinen und Energie für mehr als 85 % aller Menschen erzeugt, werdennur 66 % ausreichend mit Mikronährstoffen versorgt (Globaler Bericht,Kap. 1 und 3). In der Ernährung armer und mittelloser Bevölkerungsteilesind die Anteile vieler wichtiger Nährstoffe weniger geworden, weil dieVielfalt der Speisen aufgrund verstärkter Monokultivierung von nur nochwenigen Nutzpflanzen als Grund- und Hauptnahrungsmittel (Reis, Weizenund Mais) zugenommen hat und entsprechend die Verfügbarkeit einer Rei-he von nährstoffreichen ortsangepassten und traditionellen Pflanzen zu-rückgegangen ist. Eine mangelhafte Versorgung mit Mikronährstoffen min-dert die Produktivität in Industrie- wie nicht industrialisierten Ländern,weil dadurch körperliche und geistige Beeinträchtigungen verursacht wer-den können (CWANA; ESAP; Globaler Bericht, Kap. 1, 2 und 3; SSA).

Chronische Krankheiten im Kontext von Ernährung

Der Erfolg der politischen Orientierung wie der Praxis von AWWT, vorrangigMengensteigerungen und rationelle Nahrungsmittelverarbeitung anzustre-ben, hat zur Folge gehabt, dass die Adipositas-Rate ebenso wie chronischeErkrankungen weltweit durch die Abnahme der Qualität der Ernährungangestiegen sind (Globaler Bericht, Kap. 1, 2, 3 und 6; NAE). Der weltweiteWandel in Erzeugung, Verarbeitung und Handel von Lebens-, Nahrungs-und Genussmitteln hat insgesamt zu einer Einschränkung von Vielfalt ge-

135 Der Welthunger-Index Global Hunger Index (GHI) erfasst drei gleich gewichtete Indikatorenfür Hunger: unzureichende Verfügbarkeit von Lebensmitteln (der Anteil der Menschen mit ei-nem Defizit an Nahrungsenergie), ernährungsbedingte Mangelerscheinungen bei Kindern(Anteil der untergewichtigen Kinder unter fünf Jahren) und Kindersterblichkeit (Sterberatebei Kindern unter fünf Jahren), die auf Unterernährung zurückzuführen sind.

Themen: Menschliche Gesundheit 159

führt, sodass wenig Obst und Gemüse aber viel Fett, Fleisch, Zucker undSalz gegessen werden (Globaler Bericht, Kap. 1, 2 und 3; NAE). UngesundeErnährung ist der Hauptrisikofaktor für chronische Syndrome wie Herz-Kreislauferkrankungen, Schlaganfälle, Zuckerkrankheit und Krebs (Globa-ler Bericht, Kap. 1, 3 und 6; NAE, Kap. 2). Diese Krankheitsbilder stellenden Löwenanteil der weltweiten Todesfälle. Zusammen mit grundlegendenVeränderungen in den Lebensumwelten, zum Beispiel einer rapiden Urba-nisierung, die eine bewegungsarme Lebensweise fördern (zum Beispieldurch motorisierte Mobilität), tragen ungünstige Veränderungen der Ess-gewohnheiten zu einem fortwährenden weltweiten Anstieg von chroni-schen Erkrankungen, Übergewicht und Adipositas bei. Diese Plagen treffenreiche wie arme Menschen in Industrie- wie nicht industrialisierten Län-dern. Der steilste Anstieg bei Adipositas ist in Ländern mit niedrigem undmittlerem Einkommen zu verzeichnen (Globaler Bericht, Kap. 1, 2 und 3;NAE, Kap. 2). Chronische Krankheiten, die mit Ernährungsverhalten zu-sammenhängen, treten in vielen Ländern zusammen mit Unterernährungauf, weswegen Länder mit niedrigerem Einkommen höhere Lasten infolgevon Krankheiten zu tragen haben (Globaler Bericht, Kap. 1, 2 und 3). Wenndieser Trend nicht gebrochen wird, wird die gesamtwirtschaftliche Belas-tung in allen Ländern anwachsen, da es zu Produktivitätsverlusten undsteigenden Gesundheits- und Sozialkosten kommen wird, wie dies in denIndustrieländern bereits jetzt zu beobachten ist (Globaler Bericht, Kap. 3;NAE). Viele national und international verantwortliche Stellen haben dieweltweiten Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten und die damitverbundenen gesundheitlichen Folgen nur recht langsam zur Kenntnis ge-nommen und auch ihre Politik nur zögerlich verändert (Globaler Bericht,Kap. 1, 2 und 3; NAE, Kap. 2).

Politische Maßnahmen, Regulierungen und auch die Verbrauchernach-frage haben insbesondere in den USA und Europa dazu beigetragen, dassimmer mehr Nahrungsmittel, die das Risiko chronischer Krankheiten ver-größern (Milcherzeugnisse mit hohem Fettanteil, Fleisch usw.), produziertwurden und es lukrativer wurde, solche Nahrungsmittel zu verarbeiten(Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Kap. 2). AWWT wurde vor allem einge-setzt, um aus der Verarbeitung von Grundnahrungsmitteln einen zusätzli-chen finanziellen Gewinn zu erzielen (zum Beispiel die Verwendung vonKartoffeln für viele verschiedene Knabberprodukte). Deswegen werden bil-

160 Synthesebericht

lige, hoch verarbeitete Nahrungsmittel mit wenig Nährstoffen, aber vielFett, raffiniertem Zucker und Salz hergestellt, die noch dazu lange haltbarsind. Der verstärkte Konsum solcher Produkte, die guten Teils eine vielfäl-tigere traditionelle Ernährung ersetzen, trägt weltweit zu dem Anstieg vonAdipositas und chronischen Erkrankungen bei. Der Einsatz von riesigenGeldbeträgen für Werbekampagnen für ungesunde Nahrungsmittel hatdiese Entwicklung noch verstärkt. Es gibt aber auch einige Beispiele für er-nährungspolitische Initiativen, die Gesundheitsprobleme der Bevölkerungenaufgreifen, zum Beispiel die Agrar- und Verbraucherpolitik der EU, obwohldie ursprüngliche Zielsetzung der EWG rein mengenorientiert gewesen ist.Im Gegensatz dazu berücksichtigen neuere nationale und internationaleAgrar- und Handelsabkommen bzw. -regime die globalen Gesundheitsim-plikationen nicht und legen auch keine klaren gesundheitspolitischen Zielefest.

Nahrungsmittelsicherheit

Obwohl Kontrollen und Standards für Nahrungsmittelsicherheit vorhan-den sind, ergibt sich aus den globalisierten Strömen von Nahrungsmitteln,aus der Unternehmenskonzentration im Nahrungsmitteleinzelhandel wiein der -verarbeitung sowie aus einer gewachsenen Aufmerksamkeit derVerbraucher die Notwendigkeit effektiver, aufeinander abgestimmter undvorsorgeorientierter nationaler Systeme für Nahrungsmittelsicherheit(CWANA, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 2, 3, 5 bis 8; ESAP, Kap. 2, 3 und 5;LAC, Kap. 1; NAE, Kap. 1 und 2; SSA, Kap. 2 und 3). Klärungs- und rege-lungsbedürftige Fragen in diesem Zusammenhang betreffen die Verant-wortlichkeiten und die fehlende Nachverfolgbarkeit von Lebensmittelnvom Hof bis zum Teller. Eine Gefährdung der Lebensmittelqualität rührtvon biologischen, chemischen oder physikalischen Verunreinigungen heroder von Stoffen, die die Bioverfügbarkeit der Nährstoffe beeinträchtigen.Solche Verunreinigungen können an jeder Stelle in die Nahrungsmittelket-te gelangen. Viele entstehen durch Substanzen oder Verfahren in der Verar-beitung oder bei Lagerung und Transport von Massengütern (Globaler Be-richt, Kap. 2). Weil Lebensmittel bei Erzeugung, Verarbeitung, Lagerungund Vertrieb über längere Zeiträume durch viele Hände von Händlern undWiederverkäufern gehen, ist eine Kontrolle schwierig geworden, sodass

Themen: Menschliche Gesundheit 161

das Risiko von Verunreinigungen oder Qualitätsveränderungen zugenom-men hat. AWWT ist in der Lage, die folgenden Probleme anzugehen:Schwermetalle, Pestizide, sichere Verwendung von organischen Düngern,Verwendung von Hormonen und Antibiotika in der Tiermast, Massentier-haltung, Verwendung diverser Zusatzstoffe in der Verarbeitung. Insgesamtist in den Industrieländern trotz langer Wege vom Hof zum Teller ein hoherVerbraucherschutz für importierte wie heimische Nahrungsmittel ge-währleistet. Die institutionellen und personellen Kapazitäten der öffentli-chen Gesundheitssysteme ebenso wie die gesetzlichen Bestimmungen er-möglichen eine schnelle Erkennung und Eindämmung von Krankheitenund Seuchen. In den nicht industrialisierten Ländern werden Sicherheits-probleme von Nahrungsmitteln durch Armut und Mittellosigkeit ungut er-gänzt. Hinzu kommen noch: – zu schwache Infrastrukturen für die Durchsetzung von Lebensmit-

telkontrollsystemen, – unzureichende soziale Dienste und Strukturen zur Gewährleistung

von sauberem Trinkwasser, Gesundheit, Bildung, öffentlichem Ver-kehr,

– starkes Bevölkerungswachstum, – Häufigkeit und Verbreitung von übertragbaren Krankheiten wie AIDS

und– Probleme mit der Erfüllung von Anforderungen des internationalen

Handels (CWANA, Kap. 5; ESAP, Kap. 2, 3 und 5; NAE, Kap. 1 und 2;SSA, Kap. 2 und 3).

Maßnahmen zur Kontrolle von Lebensmittelverunreinigungen nach demStand von Wissenschaften und Technik verursachen soziale und wirtschaft-liche Kosten für Gemeinschaften und deren Gesundheitssysteme durchAufwendungen, die durch Ablehnung verunreinigter Waren auf Märktenund resultierenden Exportverlusten, Probenentnahme und Prüfung, Kos-ten für Lebensmittelverarbeiter und Verbraucher und den damit verbunde-nen Gesundheitskosten entstehen (Globaler Bericht, Kap. 2, 5, 7 und 8). DasVorkommen von Krankheiten, die auf pathogene biologische Lebensmittel-verunreinigungen wie Bakterien, Pilze, Viren oder Parasiten zurückgehen,hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen (Globaler Bericht,Kap. 1, 3 und 5). In den nicht industrialisierten Ländern können Krankhei-

162 Synthesebericht

ten, die von Lebensmitteln herrühren, Mangelernährung verursachen und/oder verschlimmern. Etwa 12 bis 13 Millionen Todesfälle von Kindern sindauf Mangelernährung und durch Lebensmittel hervorgerufene Krankhei-ten zurückzuführen. Viele Überlebende bleiben dauerhaft in ihrer körperli-chen und/oder geistigen Entwicklung und ihrer Lebenssituation beein-trächtigt (Globaler Bericht, Kap. 1).

In der Öffentlichkeit gibt es wachsende Bedenken über neues AWWTwie zum Beispiel GMO oder die radioaktive Bestrahlung von Lebensmit-teln. Ob solche Techniken die Volksgesundheit beeinflussen, darüber gibtes keinen wissenschaftlichen Konsens. Risiken von GMO für die menschli-che Gesundheit lassen sich aufgrund erheblicher Wissenslücken nur be-dingt abschätzen und bewerten. Die radioaktive Bestrahlung von Lebens-mitteln reduziert zwar das Risiko, an mikrobiell verunreinigten Speisen zuerkranken, kann aber die Gesundheit von Verbrauchern, Arbeiterinnen undArbeitern sowie die Umwelt gefährden (Globaler Bericht, Kap. 1, 2 und 5).

Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Arbeit

Weltweit kommt es in der Landwirtschaft zu mindestens 170.000 berufsbe-dingten Todesfällen im Jahr. Dies ist die Hälfte aller tödlichen Unfälle welt-weit. Die tatsächliche Zahl liegt wahrscheinlich noch darüber, weil diemeisten Verletzungen in nicht industrialisierten Ländern gar nicht erfasstwerden (Globaler Bericht, Kap. 3). Die meisten Verletzungen wie Todesfällerühren von Maschinen und Arbeitsgeräten wie Traktoren oder Erntema-schinen her (Globaler Bericht, Kap. 1 und 3). Weitere Gesundheitsgefahrengehen aus von: – Agrarchemikalien, – übertragbaren Tierkrankheiten,– giftigen oder allergenen Stoffen,– Lärm, Vibrationen und ergonomischen Schäden, die durch schwere

Lasten, monotone Arbeitsvorgänge und mangelhafte Arbeitsausstat-tung verursacht werden.

Pestizide und andere Agrarchemikalien stellen ein bedeutendes arbeitsbedingtesindividuelles wie auch ein Risiko für die Gesundheit ganzer Gemeinschaf-ten dar. Die ausgelösten Vergiftungen sind insbesondere für empfindliche

Themen: Menschliche Gesundheit 163

Menschen gefährlich. Sie führen zu akuten, schleichenden und chronischenSyndromen, zum Beispiel für das Nervensystem, die Atemwege und Fort-pflanzungsorgane. Es kommt auch zu Todesfällen und Selbsttötungendurch Agrarchemikalien (Globaler Bericht, Kap. 2 und 3; SSA). Schätzun-gen der Weltgesundheitsorganisation besagen, dass es jedes Jahr zu zweibis fünf Millionen Vergiftungsfällen durch Pestizide und nachfolgend zuetwa 220.000 Todesfällen kommt. Es besteht weithin Einigkeit darüber, dassdiese Schätzungen, die auf empirischen Untersuchungen beruhen, zu nied-rig liegen (Globaler Bericht, Kap. 2, 3 und 7). Selbst wenn Pestizide unterBeachtung der Gebrauchsempfehlungen der Hersteller, bei Anwendungguter Praxis und aller Schutzmaßnahmen benutzt werden, lässt sich eineExposition nicht vollkommen ausschließen, weshalb Risiken, insbesonderebei hoch toxischen Produkten, bestehen bleiben. Das betrifft insbesonderedie nicht industrialisierten Länder, in denen Armut und Mittellosigkeit undfehlende effiziente Kontrollen von gesundheitsgefährdenden Stoffen dieRegel sind (Globaler Bericht, Kap. 1, 2 und 3). In armen Ländern gibt es er-höhte Risiken für diverse schwere Unfälle und Verletzungen, beispielsweise:– die Verwendung toxischer Chemikalien, die in anderen Ländern ver-

boten sind oder Beschränkungen unterliegen, – ungeeignete Techniken beim Umgang mit Chemikalien und Geräten,– fehlende oder schlecht gewartete Geräte und – unzureichende Aufklärung der Arbeiterinnen und Arbeiter über die

gebotenen Vorsorgemaßnahmen, die Risiken im Umgang mit Agrar-chemikalien, Tieren und Maschinen verringern können.

Schätzungsweise arbeiten 70 % aller 150 Millionen Kinder, die zu einerdauernden Arbeit gezwungen werden, in der Landwirtschaft. Dadurchwird deren Bildung und Ausbildung, körperliche und geistige Entwicklungund Gesundheit nachteilig beeinflusst. Es geht also nicht allein darum, dieGesundheits- und Sicherheitsbedingungen bei der Arbeit zu verbessern.Zugleich müssen quer durch alle gesellschaftlichen und politischen Berei-che Maßnahmen ergriffen werden, um Kinder zu schützen und die Kinder-arbeit durch Zugang zu Bildung und Ausbildung, Gesundheitsfürsorge,Armutsminderung und die wirksame Normierung und administrativeUmsetzung von Kinderschutzgesetzen zu reduzieren.

164 Synthesebericht

Alte und neue Infektionskrankheiten

Alte und neu auftretende Infektionskrankheiten wie die Pandemien vonAIDS und Malaria fordern weltweit die meisten Opfer durch Krankheitund Tod (Globaler Bericht, Kap. 1, 3, 5, 6 und 8; SSA, Kap. 3). Vorkommenund geographische Ausbreitung der Infektionskrankheiten werden durchfolgende Umstände und Entwicklungen beeinflusst:– Intensivierung des Nutzpflanzenbaus und der Tierhaltung, – wirtschaftliche Faktoren wie Ausweitung des internationalen Han-

dels und niedrigere Erzeugerpreise, – soziale Faktoren wie veränderte Ernährungsgewohnheiten und Le-

bensstile,– demographische Faktoren wie Bevölkerungswachstum, – ökologische Faktoren wie Landnutzungsänderungen und globaler

Klimawandel,– Mutationen und Evolution von Pathogenen und – die Geschwindigkeit, mit der Menschen um die Welt reisen können.

Wenn sich Krankheiten unter Menschen oder Tieren weit verbreiten wie zumBeispiel die Vogelgrippe mit dem Erreger H5N1 oder wenn sie von Tierenauf Menschen übergehen, so können gravierende sozioökonomische Proble-me entstehen. Solche Risiken werden häufig durch intensivierte Landbau-praktiken verstärkt. In von Weidewirtschaft lebenden Gemeinschaften kön-nen bereits kleinräumige Tierseuchen schwere wirtschaftliche Schäden zurFolge haben.

Zukünftige Herausforderungen und Handlungsoptionenzur Förderung der menschlichen Gesundheit mithi lfevon AWWT

Mangelernährung

Eine vollwertige Ernährung setzt voraus, dass eine ganze Reihe von Um-ständen zusammenkommen wie Ernährungssicherheit, Zugang zu genü-gend sicheren Wasservorkommen, sanitäre Anlagen und Bildungsmöglich-keiten. AWWT sollte als grundlegender Schritt für die Verbesserung von

Themen: Menschliche Gesundheit 165

Ernährung und Nahrungsmittelsicherheit verstanden werden, durch dendie Entwicklung und Anwendung vorhandener und neuer Technologienfür Erzeugung, Verarbeitung, Konservierung und Vertrieb von Nahrungs-mitteln ermöglicht werden kann (CWANA; ESAP; Globaler Bericht, Kap. 2,3, 5 und 8; LAC; NAE; SSA). So häufen sich Erkenntnisse, dass speziell aufhöhere Gehalte von Mikronährstoffen gezüchtete Pflanzensorten136 dazubeitragen können, in manchen Fällen einem Mangel an Mikronährstoffenentgegenzuwirken und den Aminosäuregehalt bei den wichtigsten massen-haft angebauten Nutzpflanzen zu verbessern. Auch eine gezielte Düngungzum Beispiel mit Zink, Selen oder Jod auf Böden, die nur wenige dieser fürMenschen wichtigen Mikronährstoffe enthalten, könnte hilfreich sein. DieEntwicklung von ökologisch nachhaltigen Vorgehensweisen gegen Mange-lernährung mithilfe hochwertiger Nahrung sollte ganz oben auf der Dring-lichkeitsliste stehen. Eine Situation, in der alle Menschen sicheren Zugangzu ausreichender und guter Nahrung haben, kann auf lokaler wie nationa-ler Ebene besser durch politische Entscheidungen, Programme und Maß-nahmen für eine stärkere Diversifizierung des Anbaus von Nahrungspflan-zen und eine abwechslungsreiche Ernährung erreicht werden.

Chronische Krankheiten und Ernährungsverhalten

Zur Erfassung des Ernährungszustandes von Gemeinschaften und Gesell-schaften gibt es gut etablierte Verfahren und Methoden. Diese müssen flä-chendeckend zur Verbesserung der Beobachtung sowohl von Unter- alsauch von Überernährung und von chronischen Erkrankungen eingesetztwerden, um sicherzustellen, dass die Regierungen für ihr Land geeigneteMaßnahmen zum Umgang mit den sich rasch nach Art und Umfang verän-dernden Krankheiten, die einen Bezug zum Ernährungsverhalten aufwei-sen, ergreifen können. In allen Weltregionen ist zielführendes Handeln ge-fragt, um den Anstieg von Übergewicht, Adipositas und nicht übertragbarenKrankheiten in den Griff zu bekommen. Politik, die sich lediglich auf öf-fentliche Gesundheitserziehung und Änderungen im persönlichen Verhaltenverlassen hat, war wirkungslos. Die Minderung chronischer Krankheiten,

136 Die Methodik der sogenannten biofortification soll zu höheren Anteilen an wichtigen Mikro-nährstoffen in Nahrungspflanzen führen. Im Rahmen der CGIAR werden solche Programmeverfolgt, vgl. www.ifpri.org.

166 Synthesebericht

die mit Ernährungsstilen zusammenhängen, braucht koordinierte ressort-übergreifende und gesellschaftsweite politische Maßnahmen, an denen Ge-sundheits-, Landwirtschafts- und Finanzministerien, ebenso aber auch dieLebensmittelindustrie, Verbraucherorganisationen und andere zivilgesell-schaftliche Akteure beteiligt sind (Globaler Bericht, Kap. 3; NAE).

Es gibt häufig Spannungen zwischen den Zielen der Landwirtschaftspo-litik und der Lebensmittelindustrie auf der einen, denen der Gesundheits-politik auf der anderen Seite. Entgegen der landläufigen Meinung, dassVerbraucher den Markt bestimmten, sind die tatsächlichen Gesundheitsbe-lange der Konsumenten selten ein relevanter Faktor bei Entscheidungen inIndustriebetrieben oder in der Landwirtschaftspolitik (Globaler Bericht,Kap. 3; NAE). Zukünftig muss AWWT den Schwerpunkt vorrangig auf dieBedürfnisse und das Wohlergehen der Verbraucher legen. So sollten bei derErzeugung vor allem Qualität und Vielfalt und nicht nur Mengen oderniedrige Preise eine Rolle spielen. Öffentliche Finanzpolitik muss dieAuswirkungen ihrer Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen auf dieGesundheit berücksichtigen. Agrarsubventionen, Umsatz- respektive Mehr-wertsteuer und Anreize beziehungsweise Regulierungen der Lebensmittel-vermarktung könnten unter der Maxime, Ernährung und Gesundheit derBevölkerung zu verbessern, umgestaltet werden. Zu diesem Zweck könn-ten Erzeugung und Verzehr gesünderer Lebensmittel wie Obst und Gemüsegefördert werden. AWWT könnte die Qualität der Nahrungszusammenset-zung durch gesetzliche Vorschriften oder steuerliche Maßnahmen positivbeeinflussen (zum Beispiel durch höhere Mehrwertsteuersätze für Lebens-mittel, die nachweislich ungesund sind oder durch Mengenbeschränkun-gen für bestimmte Inhaltsstoffe). Gesetzliche Normen könnten auch dortnotwendig sein, wo freiwillige Absprachen mit der Industrie erfolglos blei-ben. So war es in Schweden, wo schließlich ein Verbot für bestimmte Typenvon Fettsäuren137 in verarbeiteten Lebensmitteln erlassen wurde und inGroßbritannien, wo auf diesem Wege eine Reduzierung des Salzgehalts inverarbeiteten Lebensmitteln bestimmt worden ist. Weitere Handlungsmög-lichkeiten zur Eindämmung ernährungsbezogener chronischer Krankhei-ten liegen in internationalen Abkommen und/oder Regulierungen zur Le-

137 Die sog. trans fats sind chemisch veränderte pflanzliche Öle, die so aus einem flüssigen ineinen festen Zustand gebracht werden. Diese Fette werden in der Wissenschaft generell alsungesund eingestuft, vgl. www.nhs.uk.

Themen: Menschliche Gesundheit 167

bensmittelkennzeichnung und gesundheitsbezogenen Angaben, um einewissenschaftlich zutreffende und für alle Verbraucherinnen und Verbraucherverständliche Werbung und Kennzeichnung zu gewährleisten (Globaler Be-richt, Kap. 1 und 3; NAE, Kap. 2). Solche ressortübergreifenden politischenMaßnahmen müssen zusammen mit lokalen und nationalen Gesundheits-kampagnen entwickelt und umgesetzt werden, damit eine möglichst großeWirkung erreicht wird.

Lebensmittelsicherheit

AWWT kann im Verbund mit einer Stärkung und Verbesserung der öffent-lichen Gesundheit und der Ökosysteme dazu beitragen, die Gesundheitvon Tieren und Pflanzen sowie die Lebensmittelsicherheit zu gewährleis-ten (CWANA, Kap. 5; ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht, Kap. 2, 5 bis 8; LAC,Kap. 2 und 3; NAE, Kap. 2 und 4; SSA, Kap. 2). Dafür werden abgestimmteAktionen entlang der ganzen Lebensmittelkette benötigt, die einem umfas-senden Verständnis der Zusammenhänge zwischen Agrarökosystemen undGesundheit folgen. Beispiele für solche integrierten Vorgehensweisen sindzum Beispiel Regeln guter landwirtschaftlicher Praxis (glP) oder guter in-dustrieller Verarbeitungs- und Herstellungspraxis, integrierter Pflanzen-schutz, biologischer Pflanzenschutz und der ökologische Landbau. DieseKonzepte können in Kombination mit gesetzlichen Regelungen effektiveund sichere Pflanzenschutz- und Pflanzenbauregime bilden, die auch mitRisiken der Kontamination von Lebensmitteln durch Pathogene umgehenkönnen. Die Umsetzung von glP könnte nicht industrialisierten Ländernhelfen, mit der Globalisierung zurechtzukommen, ohne die Ziele nachhalti-ger Entwicklung zu vernachlässigen. Eine Gefährdungsanalyse, die Risiko-abschätzungen und -bewertungen ebenso wie Rückverfolgbarkeit in dergesamten Lebensmittelkette einschließt, kann: – biologische Sicherheit und Schutz vor biologischen Kontaminatio-

nen, – Beobachtung und Erfassung von Krankheiten, – sichere Verwendung von Düngern und Pflanzenschutzmitteln und

weiterer in Pflanzenbau und Tierhaltung verwendeter Chemikalien, – Kontrollen potenzieller Pathogene in Lebensmitteln und – Rückverfolgbarkeit verbessern.

168 Synthesebericht

Angemessene Hygieneregeln während aller einzelnen Anbau-, Transport-,Lagerungs- und Verarbeitungsschritte sind für einen effektiven Umgangmit den Risiken von Pathogenen unverzichtbar. Gründliche Bildung undErziehung der Konsumenten zu einem richtigen Umgang mit und richtigerZubereitung von Lebensmitteln ist ebenfalls wichtig.

AWWT kann Risiken aber auch erhöhen, wenn Technologien ohne effek-tive Steuerung möglicher gesundheitlicher Risiken genutzt werden. EinBeispiel: In wasserarmen Regionen nicht industrialisierter Länder wird zu-nehmend behandeltes Abwasser zur Bewässerung genutzt. In etlichen Ge-meinschaften ist es nachfolgend zu einer Zunahme von Durchfallerkran-kungen gekommen, weil Techniken oder kontaminierte Abwässer ohneeffektive Kontrollen benutzt wurden.

Eine breiter gestreute Nutzung vorhandener Technologien und politi-scher Maßnahmen zur Verbesserung von Lebensmittelsicherheit und Ge-sundheit der Bevölkerung wird durch viele und komplexe Faktoren (dar-unter markt- und handelsbezogene, wirtschaftliche, institutionelle undtechnische Faktoren) eingeschränkt. Wir brauchen wirksame nationale Re-gulierungsstandards und Haftungsvorschriften, die sich an den weltweitbestmöglichen Praktiken orientieren und zugleich die nötige Infrastrukturzur Sicherung ihrer Einhaltung vorsehen, wie zum Beispiel:– Überwachungsprogramme für Hygiene- und Pflanzenschutzmaß-

nahmen zum Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren, – institutionelle und personelle Kapazitäten für Laboranalysen und

Forschung, also Fachkräfte und Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler in der Forschung,

– bedarfsorientierte und permanente Ausbildungsprogramme,– Programme zur Etablierung von unabhängigen Prüfungsinstanzen138

(CWANA, Kap. 5; ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht, Kap. 6 bis 8; LAC,Kap. 2 und 3; NAE, Kap. 2 und 4; SSA, Kap. 2).

Die Belastung durch Agrarchemikalien bereitet immer mehr Anlass zurSorge (CWANA, Kap. 5; ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht, Kap. 3, 5 bis 8;LAC, Kap. 2 und 3; NAE, Kap. 2 und 4; SSA, Kap. 2). In den nicht indus-

138 Damit sind sog. Audits gemeint (wird auch im deutschen Sprachraum inzwischen so ver-wendet). Dies sind Überprüfungen von Zuständen, Programmen, Maßnahmen etc. durchmöglichst unabhängige außenstehende Fachleute und fachlich qualifizierte Organisationen.

Themen: Menschliche Gesundheit 169

trialisierten Ländern steigt der Gebrauch von Agrarchemikalien schnelleran als in den Industrieländern. Auswirkungen auf Umwelt und Lebensmit-telsicherheit im positiven wie negativen Sinne ergeben sich aus der jeweili-gen Nutzung. Es gibt zwar keine globale Erfassung pestizidbedingterKrankheiten, aber die Schätzungen zu möglichen Krankheitsfällen und Ge-sundheitskosten ergeben hohe Zahlen; dies gilt insbesondere für viele nichtindustrialisierte Länder, in denen es weder Krankenversicherung noch all-gemeine Gesundheitsversorgung gibt.

Ein angepasster Gebrauch von AWWT kann helfen, gesundheitsbeein-trächtigende Wirkungen entlang der ganzen Lebensmittelkette zu vermei-den (CWANA, Kap. 5; ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht, Kap. 6 bis 8; LAC,Kap. 1; NAE, Kap. 2; SSA, Kap. 2). Eine standortgerechte und partizipatori-sche Nutzung verfügbarer Technologien wie Präzisionslandwirtschaft oderFlächensanierung mit biologischen Methoden ebenso wie die Entwicklungneuer Technologien, zum Beispiel von Biosensoren, können zur Minderungder mit Agrarchemikalien verbundenen Risiken beitragen. Der Aufbau ei-nes ganzheitlichen Umgangs mit Lebensmitteln vom Saatgut bis auf denTisch stellt viele der ärmsten Länder vor eine besondere Herausforderung,da die Versorgungskette dort an mangelhafter Koordination zwischenBäuerinnen und Bauern, Händlern und Konsumenten, unzureichenden In-frastrukturen und unzureichender Vorratshaltung mit Kühlvorrichtungenleidet. Andere Herausforderungen liegen in der:– Harmonisierung nationaler und internationaler Regulierungen mit

dem Ziel, die Aufnahme von Nähr- und anderen für die Gesundheitwichtigen Stoffen zu erhöhen,

– Umsetzung internationaler Abkommen und Empfehlungen und – Verbesserung der Lebensmittelsicherheit, ohne dabei neue Hürden

für mittellose Erzeuger wie Konsumenten aufzurichten.

Eine Umsetzung dieser Aufgaben verlangt nach umfassenden öffentlichenwie privatwirtschaftlichen Forschungen und entsprechende Entwicklungs-investitionen.

170 Synthesebericht

Gesundheit und berufliche Arbeit

Agrikulturen sind in vielen Ländern traditionell zu wenig reguliert. DieDurchsetzung jeglicher Sicherheitsvorschriften gestaltet sich oft schwierig,weil landbewirtschaftende Arbeiten sehr dezentral ausgeübt werden undes denen, die es eigentlich angeht, an Bewusstsein für das Ausmaß der Ge-fährdungen mangelt. Nur ganz wenige Länder haben überhaupt Versor-gungsregelungen im Falle berufsbedingter Erkrankungen. Derzeit gültigeVerträge und gesetzliche Bestimmungen, zum Beispiel für Agrarchemika-lien, beziehen diese Fragen gar nicht mit ein. Will man hier eine Besserungerreichen, dann müssen Prävention und Gesundheitsschutz größere Bedeu-tung bekommen. Das kann durch integrierte und ressortübergreifende Po-litik geschehen, die wirksame Gesetze für Gesundheit und Arbeitssicher-heit, nicht zuletzt auch Kinderschutzgesetze durchsetzen muss. AWWT solltevorrangig und explizit eingesetzt werden, um gesundheitliche Risiken fürArbeiterinnen und Arbeiter in der Landwirtschaft auf ein Mindestmaß zureduzieren. Risiken der Nutzung von Pestiziden könnten durch Investitio-nen in Programme zur Rückführung des Pestizideinsatzes gemindert wer-den, unter anderem mit – Anreizen für alternative Erzeugungs- und Anbaumethoden, zum

Beispiel ökologischen Landbau,– Investitionen in praktikable Alternativen wie integrierten Pflanzen-

schutz, – Schadensbegrenzung, zum Beispiel Verboten hoch toxischer Pflan-

zenschutzmittel und wirksamer Durchsetzung nationaler und inter-nationaler Rechtsvorschriften mit dem Ziel, grenzüberschreitendenHandel mit gesundheitsgefährdenden und nicht zugelassenen Pesti-ziden zu unterbinden (Globaler Bericht, Kap. 1, 2, 3, 6 bis 8; NAE,Kap. 2).

AWWT spielt bei Entwicklung und Nutzung weniger unfallträchtiger Ma-schinen und Ausrüstungen auch eine wichtige Rolle. Außerdem könnendurch bessere Wissensvermittlung gängige wie neue Technologien undVerfahren optimaler genutzt werden, zum Beispiel durch sicheren Umgangmit Maschinen und bessere Sicherungen bei der Tierhaltung.

Gesundheitsprobleme, die aus Arbeitsvorgängen resultieren, werdennur dann ernst genommen werden, wenn das ganze Ausmaß der Proble-

Themen: Menschliche Gesundheit 171

matik deutlich wird. Dazu sind insbesondere in den ärmsten Ländern ver-besserte Überwachungs- und Meldesysteme für Berufsunfälle, -verletzun-gen und -krankheiten erforderlich. Entwicklungskonzepte für Agrikulturenund ländliche Räume müssen die akute Notwendigkeit der Abschätzungund Bewertung von beruflichen Gesundheitsrisiken einbeziehen, damit dieSynergien zwischen Verbesserungen in der Erzeugung von Lebensmitteln,der Lebensgestaltungsmöglichkeiten und der Gesundheit von Menschen infunktionierenden Ökosystemen deutlicher erkennbar werden. Diese Ab-schätzungen und Bewertungen sollten alle externen Kosten, auch die Ge-sundheitskosten einbeziehen, die bei Programmen für nachhaltige Exis-tenzsicherung und Armutsbekämpfung anfallen. Die Umsetzung stärkeragrarökologisch ausgerichteter Strategien könnte Synergien ermöglichen,indem Reduzierungen bei den Kosten für Dünger, Maschinen und Pestizi-de gleichzeitig zu besseren Einkommensverhältnissen und einer Verringe-rung gesundheitlicher Beeinträchtigungen führen können (Globaler Be-richt, Kap. 2 und 3).

Infektionskrankheiten

Im 21. Jahrhundert werden die meisten Faktoren, die bislang zur Ausbrei-tung von Infektionskrankheiten beitragen, bestehen bleiben oder sich sogarnoch verstärken. Krankheitserreger, die sich bei verschiedenen Arten ein-nisten können, werden voraussichtlich häufiger auftreten als solche, die aufeine Art spezialisiert sind (Globaler Bericht, Kap. 5 bis 8). Sowohl in nichtindustrialisierten wie in Industrieländern werden Infektionskrankheitenhäufiger auftreten. Eine Integration und Koordination politischer und land-baulicher Maßnahmen und Programme entlang der gesamten Lebensmit-telkette kann der Ausbreitung von Infektionskrankheiten entgegenwirken.Beispiele hierfür sind erweiterte Fruchtfolgen, größere Kulturpflanzenviel-falt und geringere Bestandsdichten, weniger Transport und Austausch vonNutztieren über große geographische Distanzen hinweg. Nur auf einen Ab-schnitt der gesamten langen Lebensmittelkette zu schauen führt möglicher-weise nicht zur effizientesten und wirksamsten Kontrolle von Infektions-krankheiten. Bei Zoonosen ist eine bessere Abstimmung und Ausbildungzwischen tiermedizinischem und allgemeinem Gesundheitswesen notwen-dig. Damit die Ausbreitung von Infektionskrankheiten erkannt und effizient

172 Synthesebericht

bekämpft werden kann, müssen die institutionellen und personellen Kapa-zitäten in der Epidemiologie139 und der Laboranalytik ausgebaut und kor-respondierende Qualifizierungsmaßnahmen bereitgestellt werden (CWANA,Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 5 bis 8; NAE, Kap. 4; SSA, Kap. 3). Jedenfallssind zusätzliche finanzielle Mittel für den Ausbau bestehender Aktivitätenund den Aufbau von institutionellen und personellen Kapazitäten in vielenRegionen der Welt erforderlich.

Erkennungs-, Beobachtungs- und Handlungsprogramme sind die aller-ersten Methoden zur Identifizierung und Kontrolle sich ausbreitender In-fektionskrankheiten. Besonders wichtig sind Früherkennung durch Beob-achtungen auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebene wieauch schnelle und passende Vorbeuge- und Behandlungsmaßnahmen(CWANA, Kap. 5; Globaler Bericht, Kap. 5 bis 8; NAE, Kap. 4; SSA, Kap. 3).Aufbauen sollten diese Aktivitäten auf funktionierenden öffentlichen Ge-sundheitseinrichtungen und entsprechenden Gesetzen, auf zuverlässigenDiagnoseverfahren, qualifizierten Laboren und Forschungseinrichtungensowie sicheren und wirksamen Behandlungsmethoden und/oder Impfstof-fen. Derzeit in der Entwicklung befindliche neuere wissenschaftliche undtechnische Methoden können zwar manche Kontrollmethoden voranbringen,aber die Kapazitäten für deren flächendeckende und gesicherte Verwen-dung sind in vielen wirtschaftlich armen Ländern begrenzt. Für Tierkrank-heiten sind Verfahren der Rückverfolgung, Identifizierung und Markierungwichtig – einschließlich zugehöriger Aus- und Fortbildung. Fortschritte inder Datenerhebung und Fernbeobachtung im Kontext der Klima- und Öko-systemforschungen können genutzt werden, um Prognosen von epidemi-schen Gefährdungen über weite Zeiträume und geographische Regionenhinweg zu entwickeln (Globaler Bericht, Kap. 6). So kann ein zunehmendesVerständnis der Ökologie sich entwickelnder Krankheiten mit Umweltda-ten verknüpft werden, um vorherzusagen, wann und wo wahrscheinlichEpidemien auftreten werden. Wenn dann noch wirksame Vorbeuge- undBehandlungsverfahren verfügbar sind, können derartige Frühwarnmecha-nismen Morbidität und Mortalität bei Menschen und Tieren verringern.

139 Epidemiologie ist die Wissenschaft von der Verteilung und dem quantitativen Auftretenvon Krankheiten in Räumen und über Zeiträume hinweg. Die Epidemiologie gibt oft wichtigeHinweise auf mögliche Zusammenhänge zwischen bestimmten Situationen und dem Auftre-ten von Krankheiten.

Themen: Menschliche Gesundheit 173

Hierfür sind zusätzliche Forschungen, bessere Abstimmungen unter denAkteuren auf allen Ebenen und genaueres Verstehen von effektiven Abläu-fen der administrativen Umsetzung nötig (CWANA, Kap. 5; Globaler Be-richt, Kap. 5 bis 8; LAC, Kap. 2 und 3; NAE, Kap. 4; SSA, Kap. 3). Informa-tions- und Kommunikationstechnologien schaffen neue Möglichkeiten fürzeitnähere und zuverlässigere Kommunikationen über drohende Krankhei-ten und mögliche Gegenmaßnahmen (Globaler Bericht, Kap. 6). Abge-stimmte und aufeinander bezogene Vorgehensweisen gegenüber Krank-heitsüberträgern wie -erregern sind wirksame Instrumente zur Kontrollevieler Infektionskrankheiten. Dazu gehören auch Veränderungen der Um-gebungen wie:– Verfüllen oder Entwässerung kleiner Gewässer, – abwechselnde Be- und Entwässerung von Reisfeldern, – Verringerung der Kontakte zwischen Krankheitsüberträgern und

Menschen, zum Beispiel in einigen Regionen die Nutzung von Rin-dern zur Ablenkung der malariaübertragenden Mücken von Men-schen (Globaler Bericht, Kap. 6 bis 8; NAE, Kap. 4).

Da die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und Infektionskrankhei-ten nicht immer leicht zu erkennen sind, benötigen wir ein besseres Ver-ständnis der direkten wie indirekten Folgen von Veränderungen in agrikul-turellen Systemen und Praktiken für Ökosysteme wie für Gemeinschaftenund Gesellschaften und der Interaktionen zwischen diesen und weiterenFolgen im Blick auf ein höheres oder niedrigeres Risiko von Krankheitsaus-brüchen.

Zukunftsorientierte Wege müssen die menschliche Gesundheit als aus-drückliches Ziel von AWWT definieren. Das gilt für alle Beteiligten. Dieseswiederum erfordert die Einbeziehung und durchgängige Berücksichtigungdes Ziels einer Verbesserung der Gesundheit in allen Bereichen der Agrar-politik und bei allen Praktiken der Landnutzung und Agrikultur.

Umgang mit natürlichen Ressourcen

Autorinnen und Autoren: Lorna Michael Butler (USA), Roger Leakey (Australien), Jean Albergel (Frankreich), Elizabeth Robinson (Großbritannien)

Böden, Wasser, Diversität von Pflanzen und Tieren, Vegetationen, erneuer-bare Energiequellen, Klima und Ökosystemleistungen bilden den Grund-stock allen Lebens auf der Erde (Globaler Bericht, Kap. 1). Alle diese natürli-chen Quellen sind zugleich grundlegend für Aufbau und Funktionsfähigkeitvon Landwirtschaft wie für soziale und ökologische Nachhaltigkeit (Globa-ler Bericht, Kap. 3). Der vorliegende Weltagrarbericht beschäftigt sich inerster Linie mit der agronomischen Nutzung natürlicher Quellen. Extrak-tive Praktiken wie Abholzungen oder ungenehmigte Entnahmen vonFrüchten des Waldes und Meeresfischerei (SSA; Synthesebericht, Kurzdar-stellung) werden zwar auch als bedeutsame Themen- und Problembereichegesehen, aber nur am Rande behandelt, da andere globale Abschätzungs-und Bewertungsstudien sich näher mit ihnen befassen.140

In vielen Teilen der Welt wurde mit den natürlichen Lebensgrundlagenumgegangen, als ob sie unendlich und vollkommen unempfindlich gegendie Ausbeutung durch Menschen wären. Diese Weltanschauung hat die wi-dersprüchlichen Anforderungen der Landnutzung an die Naturquellennoch gesteigert, zusätzlich zu anderen kommerziellen Unternehmungenzur Ausbeutung von Naturgütern (ESAP, Kap. 2 und 4; Globaler Bericht,Kap. 1). Beides hat sich nachteilig auf die kleinräumigen Kulturen in vielenRegionen der Welt und auf die langfristig naturgerechte Nutzung vielerNaturgüter ausgewirkt (NAE, Kap. 4). Die Konsequenzen sehen wir heute:

140 Hier ist vor allem das Millenium Ecosystem Assessment (MA) gemeint, vgl. www.MAweb.org.

176 Synthesebericht

– Bodendegradationen auf mehr als 2 Milliarden Hektar fruchtbaremLand weltweit. Davon sind 38 % der weltweiten Kulturflächen be-troffen.

– Wasser und Nährstoffe sind in geringerer Qualität und Menge ver-fügbar (Globaler Bericht, Kap. 1). Die Landwirtschaft verbrauchtheute 70 % des weltweit abgezweigten und geförderten Süßwassersund erschöpft die Bodennährstoffe (siehe Abb. 5, S. 248). Stickstoff-,Phosphor- und Kaliummangel war auf 59 %, 85 % und 90 % der imJahr 2000 abgeernteten Flächen festzustellen. Daraus resultierte einRückgang der weltweiten Erzeugung von 1,136 Mrd. Tonnen im Jahr(Globaler Bericht, Kap. 3).141

– 10 % der weltweit bewässerten Flächen sind versalzt. – Verluste der biologischen Vielfalt und damit von deren wichtigen

agrarökologischen Funktionen – deren geschätzter volkswirtschaft-lich-monetärer Wert etwa 1,15 Milliarden € im Jahr beträgt (GlobalerBericht, Kap. 9) – beeinträchtigen die Produktivität insbesondere vonökologisch sensiblen Landschaften in den afrikanischen Ländernsüdlich der Sahara und in Lateinamerika (CWANA, Kap. 2; GlobalerBericht, Kap. 1 und 6; LAC, Kap. 1; SSA, Kap. 5).

– Zunehmende Verschmutzung trägt ebenfalls zu Problemen mit derWasserqualität in Bächen, Flüssen und großen Strömen bei. In denUSA sind etwa 70 % aller fließenden Gewässer davon betroffen (Glo-baler Bericht, Kap. 9).

– Pestizide und Düngemittel wirken sich weltweit negativ auf dieQualität von Luft, Böden und Wasserquellen aus. Der Stickstoffauf-wand zum Beispiel, der für den Anbau von Nutzpflanzen getriebenwird, hat zwischen 1961 und 1996 gewaltig zugenommen.

Die Schwere der geschilderten Konsequenzen ist recht unterschiedlich inden Regionen der Welt. Dabei spielt auch der Zugang zu Kapital eine Rol-le.142 Der ganze Komplex von interagierenden Elementen zieht oftmals eineVerschlechterung der Lebensbedingungen und verminderte Ernten nach

141 Das ist etwa ein Sechstel der globalen Erzeugung.142 Damit ist hier gemeint, dass der Zugang zu Kapital technische Möglichkeiten eröffnet, umnatürliche Begrenzungen zu umgehen. Langfristig ist dies allerdings, wie zu sehen ist, auchzweischneidig.

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 177

sich. Das wiederum feuert die Übernutzung der Ökosysteme weiter an, beson-ders in Gebieten, die ohnedies schwierige natürliche Bedingungen aufweisen(CWANA, Kap. 1; ESAP, Kap. 4; Globaler Bericht, Kap. 3 und 6; SSA, Kap. 5).Degradationen der natürlichen Lebensgrundlagen beinhalten biophysika-lisch wie auch gesellschaftlich äußerst komplexe Vorgänge. Ein ganzes Bün-del von Faktoren treibt die schleichenden Zerstörungen voran, zum Beispiel – Geschäftspraktiken, – Bevölkerungswachstum, – Auftrennung von Habitaten und Landschaften, – politische Maßnahmen, die nicht den Standortbedingungen ange-

passt sind, – allgemein übliche Praktiken und Überzeugungen, – Armut und Mittellosigkeit sowie – schwach ausgebildete Institutionen wie Gewohnheits- und Eigen-

tumsrechte, Kredite für arme und mittellose Menschen, Ernte- undTierhaltungsversicherungen (SSA, Kap. 5).

Andererseits haben wir Beispiele dafür gefunden, dass landwirtschaftlichePraktiken zum Schutz von Agrarökosystemen ausgestaltet wurden (LAC,Kap. 1; SSA, Kap. 5), durch die gleichzeitig Erzeugnisse für den Markt her-gestellt werden (Globaler Bericht, Kap. 3). Beispiele hierfür sind – Terrassenbau oder -wiederaufbau, – durchdachte Bewirtschaftungen von Wassereinzugsgebieten und an-

deren Habitaten, – Schutz verletzlicher Landschaften, – Weidewirtschaften (SSA, Kap. 5), – Bewässerungstechniken, die den Verbrauch und die Versalzung mi-

nimieren (Globaler Bericht, Kap. 3), und neuerdings – politische Programme und Maßnahmen zur Förderung des biologischen

Pflanzenschutzes, biologischer Schädlingsbekämpfung, des ökologischenLandbaus und des fairen Handels (CWANA, Kap. 2; LAC, Kap. 1).

Im Übrigen versucht man mit Genbanken und anderen Sammlungen vongenetischem Material, dem Verlust der genetischen Ressourcen zu begeg-nen (Globaler Bericht, Kap. 3). Übernutzung und Raubbau sind aber nachwie vor ideologisch und praktisch dominant.

178 Synthesebericht

Herausforderungen

Um die Produktivität in den Agrikulturen zu verbessern und eine langfristigsozial und umweltgerechte ländliche Entwicklung zu fördern, brauchen wir: 1. Abschätzungen und Bewertungen der Verluste von Naturgütern wie

Böden, Wasser, Pflanzen- und Tiervielfalt, Vegetationen, Energie,Klima- und Ökosystemleistungen, die durch Übernutzung und Raub-bau verursacht werden;

2. die Untersuchung der Bedingungen, die für eine abnehmende Resi-lienz der Ökosysteme und für die Verfehlung guter Erträge bei denarmen und mittellosen Menschen in ländlichen Regionen ursächlichsind;

3. Minderung und Trendumkehr bei den schwerwiegenden Auswir-kungen auf die Ökosysteme und Lebensgrundlagen mittelloser Men-schen durch Lösungen für Probleme wie zum Beispiel – Abnahme der Bodenfruchtbarkeit, – Erosion, – Versalzung, – Qualitätsverluste und geringere Verfügbarkeit von Wasser, – Rückgang der biologischen Vielfalt und der Ökosystemleistungen;

4. Lösungen für die komplexen biophysikalischen und sozialen Proble-me des Umgangs mit natürlichen Ressourcen, indem institutionellesebenso wie traditionelles und lokales Wissen genutzt und ge-meinschaftliche, partizipatorische und zukunftsorientierte Entschei-dungsprozesse unter Einbeziehung einer Vielzahl von Beteiligten ausunterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bereichen durch-geführt werden;

5. die Verfolgung eines holistischen oder systemorientierten Ansatzes,um die Erfordernisse für eine langfristig sozial und umweltgerechteErzeugung wirklich aufzunehmen und mit den komplexen Zusam-menhänge von Lebensmittelerzeugung und anderen Produktions-systemen in unterschiedlichen Ökosystemen, örtlichen und land-schaftlichen Räumen und Kulturen so umgehen zu können, dassErnährungssicherheit und die Anforderungen an den Umgang mitnatürlichen Ressourcen in Einklang gebracht werden können;

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 179

6. die Klärung der Verantwortlichkeiten – auch der finanziellen – fürdie Folgen von Raubbau und/oder Verschmutzung der natürlichenLebensgrundlagen, von denen wir alle leben.

Handlungsmögl ichkeiten zur Er füllung von Entwicklungs- undNachhalt igkeitsz ielen

Das Wissen, das erforderlich ist, um etliche Fragen der Übernutzung natür-licher Güter zu klären, ist durchaus vorhanden. Solche Fragen sind bei-spielsweise – die Minderung der Abnahme von Bodenfruchtbarkeit durch synthe-

tische Stoffe wie durch natürliche Prozesse oder – die nachteiligen Auswirkungen von Pflügen und Bodenbearbeitung

auf Bodenverdichtung und Humusbildung.

Gleichwohl sind weiterreichendes Wissen und Verstehen der Interaktionenzwischen den Landnutzungspraktiken und den natürlichen Umweltenvonnöten. Um die Herausforderungen, vor die uns die Nutzungen der Na-turgüter und Ökosysteme stellen, bewältigen zu können, brauchen wirneue und kreative Ansätze, die von Akteuren mit ganz unterschiedlichenWissenshorizonten, Fähigkeiten und Prioritäten erarbeitet werden. Die in-stitutionellen und personalen Kapazitäten für Zusammenarbeit auf ganzunterschiedlichen politischen und geographischen Ebenen und quer durchverschiedenste soziale und physische Bedingungen und Verhältnisse sindallerdings nicht wirklich entwickelt. Zum Beispiel sind Bäuerinnen undBauern wie auch Mitglieder der Zivilgesellschaften bisher selten an derAgrarforschung beteiligt gewesen. Dies gilt auch für die Gestaltung politi-scher Programme und Maßnahmen zum Umgang mit natürlichen Ressour-cen oder für funktionierende Partnerschaften mit dem privatwirtschaftlichenBereich, um integrierte Bewirtschaftungswege der natürlicher Ressourcenzu erreichen.

Die Gründe für schleichende Zerstörungen an natürlichen Gütern undQuellen und niedrigere Produktivität sind vielfältig und komplex. Wirbrauchen neues AWWT, das multidisziplinären Konzepten (nämlich unterEinbeziehung biophysikalischer, verhaltens- und sozialwissenschaftlicher

180 Synthesebericht

Aspekte) folgt, damit die Komplexitäten des Umgangs mit natürlichen Res-sourcen besser verstanden werden (NAE; SSA, Kap. 5).

Wir sollten die Gründe für Produktivitätsrückgänge als Folge eines un-angepassten Umgangs mit natürlichen Ressourcen durch Nutzungvorhandener Techniken feststellen und beheben und innovative Lösun-gen erarbeiten.

Bodendegradation und Nährstofferschöpfung: Bodendegradationen werdenmeistens Faktoren zugeschrieben wie der Verlust der Pflanzendecke durchAbholzung von Wäldern, Überweidung, Beseitigung des natürlichen Be-wuchses, Aufgabe von Bewirtschaftung und unangepasste landwirtschaft-liche Praktiken. Solche Praktiken wiederum sind oft zurückzuführen auf:– Bevölkerungsdruck, – mangelnde technische Unterstützung und Kenntnisse, – Fehlen von Düngern und Wasser, – konflikthafte soziale Verhältnisse, – betriebswirtschaftliche Anreize, – Subventionen und Zölle, die zerstörerische Praktiken fördern.

Zu den schon bewährten Techniken zur Minderung von Bodendegradatio-nen gehören größere Sorgfalt im Umgang mit Böden, Nutzung syntheti-scher und natürlicher Dünger, Diversifizierung von Bodennutzung, erwei-terte Fruchtfolgen, minimale oder keine aufbrechende Bodenbearbeitung,landschaftsangepasste Schutzhecken, Pflügen, Terrassenbau, agrarforst-wirtschaftliche Praktiken, ökologischer Landbau und nachhaltige und bo-denschonende Landnutzung (CWANA, Kap. 2; ESAP, Kap. 5; Globaler Be-richt, Kap. 3; LAC, Kap. 1; SSA, Kap. 5).

Versalzung und Versauerung: Versalzung folgt regelmäßig auf zu starkeBewässerung, dadurch hervorgerufene Verdunstung von Feuchtigkeit, so-dass Bodenmineralien, insbesondere Salz, an die Oberfläche befördert wer-den (CWANA, Kap. 2). Versauerung geht auf übermäßige Entnahme vonNährstoffen durch einseitige oder monotone Fruchtfolgen und unange-passte Verwendung von Dünger zurück. Versalzungsgefahren können ver-ringert werden, indem die Bewässerung optimiert respektive minimiertund die Bodenfeuchtigkeit durch standortangepasste Bäume, gegebenen-

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 181

falls angemessene Drainage gesenkt wird. Versauerung kann durch Kalk-gaben und organisches Material zur Humusbildung gemindert werden(Globaler Bericht, Kap. 3; LAC, Kap. 4).

Rückgang der biologischen Vielfalt (auch in den Böden) und korrespondieren-der agrarökologischer Funktionen: Abnahmen biologischer Vielfalt sind zu-rückzuführen auf: – monokulturelle Anbauverfahren, – unmäßigen Einsatz von Agrarchemikalien, – Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen auf ökologisch ver-

letzliche Areale, – übermäßige Ausräumung von Landschaften, bei der Inseln mit na-

türlicher Vegetation zerstört werden, – Nichtbeachtung des Wissens der einheimischen Bevölkerung und

der vor Ort bestehenden Prioritäten.

Diese Problematik kann entschärft werden durch:– diversifizierte bäuerliche Betriebsstrukturen und Erzeugungsverfah-

ren, – Mischungen von naturbelassenen und bebauten Flächen in der Land-

nutzung (Mosaike), – gemischte Nutzungssysteme, die perennierende Kulturen (seien es

Marktfrüchte oder für die Landschaft wichtige einheimische Arten)integrieren,

– nachhaltige und konservierende Bewirtschaftungen und ökologi-schen Landbau,

– integrierten Pflanzenschutz, – Erhaltung oder Einführung zusammenhängender Flächen (biologi-

sche Korridore), – Kontrolle von Besatzdichten, – Sicherstellung von Bestäubung, Samenverbreitung, Lebenszyklen

und Nahrungsketten (Globaler Bericht, Kap. 3; SSA, Kap. 5).

Abnahme von Quantität, Qualität und Zugang zu/von Wasser: Ein wesentlichesElement für die Beschädigung der Qualität von Oberflächen- wie Grund-wasser sind diffuse Verschmutzungen aus der Landwirtschaft. Einschrän-kungen in der Verfügbarkeit von Wasser resultieren aus Ableitungen ausFlüssen, Übernutzung von Wasserleitern und Grundwasser, Trockenlegung

182 Synthesebericht

von Feuchtgebieten und Entwaldungen. Wassersicherung kann befördertwerden durch angemessen angelegte Sammelbecken, wassersparende Be-wässerung, Auffangen von Regenwasser, Uferstreifen und Erosionskontrolle,möglichst geringen Einsatz von Agrarchemikalien und effizientere Nut-zung von Viehdung und anderem Dünger (CWANA, Kap. 2; Globaler Be-richt, Kap. 3; NAE, Kap. 6) (siehe Abb. 6, S. 249).

Zunehmende Verschmutzung (Luft, Wasser, Böden): Ursachen hierfür könnenMülldeponien und -ablagerungen, Chemieunfälle, ungeeignete Anbau- undLandnutzungspraktiken sein, bei denen Treibhausgase freigesetzt werden,oder auch Emissionen von Industrien ohne Umweltschutzauflagen. Ver-schmutzungen können verringert werden durch:– gesetzliche Regulierungen (auf lokaler, nationaler und globaler Ebene), – Förderung der besten Praktiken für Boden- und Wassernutzung,

zum Beispiel die Kohlenstoffspeicherung (CWANA, Kap. 2; Synthese-bericht, Teil II: Klimawandel),

– geringeren Pestizideinsatz, – biologischen Pflanzenschutz, – Nutzung sauberer Energien, wie Pflanzenbrennstoffe, Solar- und Wind-

kraft (Globaler Bericht, Kap. 3; Synthesebericht, Teil II. Energie ausBiomasse).

Wir sollten die menschlichen Fähigkeiten und Kapazitäten zu einempfleglichen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen stärkendurch höhere Investitionen in Forschung, Bildung, Ausbildung, Partner-schaften und zielführende Politik mit dem Ziel, das Bewusstsein für diegesamtgesellschaftlichen Kosten einer schleichenden Zerstörung vonÖkosystemen und die wertvollen Leistungen aus diesen zu schärfen.

Investitionen in größere Aufmerksamkeit für Resilienz, Schutz und Erneuerbarkeitvon Ressourcen: Am Beginn größerer Aufmerksamkeit stehen Verständnisund Wachsamkeit in Sachen Nachhaltigkeit und deren Implikationen fürverschiedene Bevölkerungen, ökologische und ökonomische Verhältnissebei politischen Entscheidungsträgern auf nationaler und internationalerEbene, bei Geldgebern, Unternehmensleitungen und Agenturen für Ent-wicklungspolitik. Ebenso wichtig ist ein Bewusstsein für alle diese Fragenund Zusammenhänge in der Öffentlichkeit. Es gibt einige gute Beispiele

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 183

und zwei Arten von Organisationen, die Teile dieser Botschaft in eine brei-tere Öffentlichkeit befördert haben. Der eine Typ sind kleine Netzwerkeund Organisationen wie Fair Trade143 und WWF144, der andere sind Netz-werke globaler Politik, die ihren Ausdruck finden in den Millenniumszie-len (MDG) und dem Kyoto-Protokoll zur Minderung der Folgen des Kli-mawandels. Letztere haben von einem breiten Medieninteresse profitiert.Das Thema Nachhaltige Landbewirtschaftung würde von einem Medienin-teresse, das mehr Verständnis und Unterstützung in der Öffentlichkeit för-dert, ähnlichen Nutzen gewinnen.

Investitionen in die Ausbreitung und konkrete Umsetzung erfolgversprechen-der und wirtschaftlich tragfähiger „Pakete“ aus partnerschaftlichen Netzwerken,Techniken, angemessenen Praktiken und Forschungs- und Ausbildungsprogram-men, die alle wichtigen Ebenen einbeziehen. Beispiele hierfür sind unter ande-rem die Erzeugung von Rohmaterialien wie Gummi, Öl, Harz und Fasernfür die Automobilherstellung von Daimler-Chrysler in ländlichen Gemein-schaften Brasiliens (Globaler Bericht, Kap. 3); Ökolandwirtschaft und Öko-tourismus, bei denen örtliche Gemeinschaften, häufig in Zusammenarbeitmit privatwirtschaftlichen Betrieben, vom Interesse der Touristen an beson-deren Pflanzen- und Tierwelten, einzigartigen Lebensräumen, Wasserläufenund Wäldern profitieren; Nutzung und Schutz des traditionellen Wissenssowie der Rechte der Bäuerinnen und Bauern auf freien Zugang zu ihrentraditionellen Lebensmitteln; hierdurch können die Fähigkeiten und Gestal-tungsmöglichkeiten wie -rechte von Gemeinschaften ebenfalls gestärkt wer-den (LAC, Kap. 1).

Investitionen in Forschungen zu Resilienz und Erneuerbarkeit natürlicher Res-sourcen. Gleichzeitig sollten Fähigkeiten der örtlichen Bevölkerungen undderen Eigentumsrechte auf breiter Basis gestärkt werden. Beispiele hierfürsind unter anderem Wiederherstellung wichtiger natürlicher Lebensgrund-lagen wie Wiederbewaldung in Wassereinzugsgebieten, Wiederherstellungvon Bodenfruchtbarkeit, Wiederanpflanzungen von Bäumen in Landschaf-ten, Schutz von Wasserläufen mithilfe von Uferstreifen als Pufferzonen, ge-meinschaftliche Kultivierung und Züchtung neuer Baumarten als Nutz-

143 Die Fair Trade-Bewegung stammt ursprünglich aus den 1960er Jahren, vor allem getragenvon christlichen Gruppen. Mittlerweile leben weltweit etwa 5 Mio. Menschen durch den fairenHandel in halbwegs gesicherten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, vgl. www.gepa.de.144 Worldwide Fund for Nature, vgl. www.wwf.org.

184 Synthesebericht

pflanzen, Erhaltung von Feuchtgebieten und Mooren, Wiederherstellungnatürlicher hydrologischer Prozesse145 und Aufzeichnung, Archivierungund Nutzung traditionellen Wissens vom Erhalt und Schutz der natürli-chen Ressourcen (ESAP, Kap. 3 und 4; Globaler Bericht, Kap. 3 und 6; LAC,Kap. 1 und 4; NAE, Kap. 6).

Investitionen in Forschungen zur Minderung von Klimaveränderungsfolgenund Abnahme der biologischen Vielfalt (NAE, Kap. 6). Als Beispiele hierfürsind zu nennen die Förderung eines besseren Verständnisses der Rolle vonbiologischer Vielfalt für die Funktionsfähigkeit von Agrarökosystemen undder Schutz der wild lebenden Tiere durch diversifizierte Nutzungen undBewirtschaftungssysteme, die zugleich die örtlichen Lebensgestaltungs-möglichkeiten fördern (Globaler Bericht, Kap. 3; Synthesebericht, Teil II:Klimawandel).

Investitionen zugunsten nationaler, regionaler und globaler politischer und fi-nanzieller Strukturen und Partnerschaften zum Schutz von Datensammlungen zunatürlichen Ressourcen. Beispiele für solch sichere Datenbanken und Daten-sammlungen sind GEMS,146 IPGRI147 und Sammlungen indigenen Wissens(Synthesebericht, Teil II: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemein-schaftliche Innovationen; CWANA, Zusammenfassung; NAE, Kap. 6).

Investitionen zur Förderung von Beratungsqualität und -reichweite. Dabei soll-ten Menschen vor Ort sich zusammen mit Wissenschaftlern in partizipa-torischen Lernprozessen zu Umgang mit natürlichen Lebensgrundlagen en-gagieren. Ebenso könnten verbesserte Techniken an örtliche Gegebenheitenangepasst werden. Auf diese Weise könnten besser unterrichtete Menschenviele Fragen zu und Veränderungen der natürlichen Lebensgrundlagen dia-gnostizieren, steuern und beobachten (LAC, Kap. 5; NAE, Zusammenfas-sung; SSA, Kap. 5).

Investitionen in eine kosteneffiziente Beobachtung des Zustandes der natürli-chen Lebensgrundlagen mit dem Ziel, Wissen über Zustand und langfristigeEntwicklungsrichtungen zu gewinnen.

145 Das betrifft vor allem Flussläufe und Wassereinzugsgebiete.146 Dies ist eine Datensammlung zur Atmosphärenentwicklung, die von der EU unterstütztwird, vgl. http://gems.ecmwf.int. 147 Das International Plant Genetic Resources Institute ist Teil von Bioversity International, zusam-men mit dem International Network for Improvement of Banana and Plantain (INIBAP). BioversityInternational ist Teil des CGIAR-Verbundes, vgl. www.bioversityinternational.org.

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 185

Wir sollten agrikulturelle Erzeugung fördern, die weniger ausbeuterischmit den natürlichen Lebensgrundlagen umgeht und Strategien zumUmgang mit Resilienz, Schutz und Regenerationsfähigkeit von Res-sourcen unter Zuhilfenahme von innovativen Verfahren, Programmen,Politik und Institutionen entwickelt.

Herausragende Forschungszentren für den Umgang mit natürlichen Ressourcenmithilfe von AWWT. Diese Zentren sollen eine weniger ausbeutende Nut-zung ermöglichen und Strategien entwickeln zum Umgang mit Resilienz,Schutz und Regenerationsfähigkeit natürlicher Systeme mithilfe innovati-ven wechselseitigen Lernens in Forschung, Entwicklung, Beobachtung undPolitikgestaltung (CWANA, Kap. 2; NAE, Kap. 6).

Entwicklung eines stärker multifunktional ausgerichteten landwirtschaftlichenKonzepts (NAE, Kap. 6). Hierbei geht es darum, die Erzeugung von Nah-rungsmitteln in integrierten Bewirtschaftungssystemen zu organisieren, diezugleich Ökosystemleistungen wie Kohlenstoffspeicherung, Humusbil-dung in Böden und Wasser- und Nährstoffkreisläufe dauerhaft erhalten(NAE, Zusammenfassung). Eine solche Entwicklung würde Vorteile ziehenaus den Kenntnissen der ortsansässigen Menschen über Besitzverhältnisse,Bewirtschaftungsregime, Zugang zu und Kontrolle von Ressourcen sowieaus partizipatorischen Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen, die alle-samt Fragen der Gleichberechtigung berücksichtigen (ESAP, Kap. 4; Globa-ler Bericht, Kap. 3). Ein Beispiel aus Westafrika zeigt die Möglichkeit, dieLebensbedingungen von kleinbäuerlichen Betrieben durch Einbeziehungvon Bäumen in das Anbauregime zu verbessern (Globaler Bericht, Kap. 3).Ein anderes Exempel ist die partizipatorische Kultivierung und Züchtungtraditionell wichtiger Arten (Globaler Bericht, Kap. 3). Das letztere Beispielweist außerdem daraufhin, dass zusätzlich Arbeit und Einkommen in länd-lichen Räumen durch Verarbeitung im Anschluss an die Ernte geschaffenwerden kann (SSA, Kap. 5).

Förderung politischer Reformen, um langfristige Verbesserungen auf vorhande-nen Nutzflächen anzuregen. Dadurch werden Ökosystemleistungen gestärkt,Abwanderungen in Wald- und/oder auf Grenzertragsgebiete sowie Bra-chen landwirtschaftlicher Nutzflächen verhindert (Globaler Bericht, Kap. 3;LAC, Kap. 5).

186 Synthesebericht

Schaffung respektive Stärkung von Institutionen und Politik zu Landbesitz-rechten. Dazu gehören:– verbesserte Bewirtschaftung und Nutzung von Gemeinschaftsgütern

wie Wasser, Land, Fischerei, Wald,– Schutz vor einem Verlust von Landrechten oder ungeklärten Besitz-

verhältnissen,– Beseitigung ungerechter Besitzverhältnisse und fehlender Rechte ins-

besondere für Frauen und Landlose (Globaler Bericht, Kap. 3 und 7;LAC, Kap. 5; NAE, Zusammenfassung; SSA, Kap. 5),

– geeignete finanzielle und wirtschaftliche Mechanismen bei der Nut-zung natürlicher Ressourcen wie etwa Preisbildungen, Regulierun-gen, Aushandlungsverfahren und administrative Durchsetzungs-maßnahmen,

– langfristige Verbesserungen vorhandener landwirtschaftlicher Nutzflä-chen zur Vermeidung von Abwanderungen in Wald- und/oder Grenzer-tragsgebiete und Landaufgabe (Globaler Bericht, Kap. 3).

Beachtung des Verursacherprinzip bei der Klärung der finanziellen Verantwort-lichkeit für Umweltschädigungen. Dieser Fragenkreis ist allerdings zuneh-mend umstritten, da die wachsende Weltbevölkerung zu sehr auf natürli-che Güter und Leistungen zurückgreift, die globale Gemeinschaftsgütersind. Marktmechanismen zum Umgang mit diesen Herausforderungensind zum Beispiel Ausgleichszahlungen für ökologische Leistungen (PES).Mit diesem Mittel werden verbesserte Umgangsweisen direkt belohnt, in-dem diejenigen, die von den natürlichen Gütern und Leistungen profitie-ren, Zahlungen an diejenigen leisten, die solche Ökosystemleistungenschützen und erhalten. Der Mechanismus für umweltverträgliche Entwick-lung (CDM) im Kyoto-Protokoll verbindet arme und reiche Länder durchden Emissionshandel. Die Kosten für die Teilnahme an derartigen Mecha-nismen und anderen marktorientierten Möglichkeiten wie Zertifizierungsind allerdings für mittellose Bäuerinnen und Bauern oft nicht aufzubrin-gen (CWANA, Kap. 2; Globaler Bericht, Kap. 3; SSA, Kap. 5).

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 187

Wir sollten eine förderliche Umgebung für den Ausbau von personellenund institutionellen Kapazitäten zum Umgang mit natürlichen Ressour-cen schaffen, um abgestimmte und gemeinsame Aktionen der Beteilig-ten samt ihren Organisationen zu ermöglichen.

Diejenigen, die alle Tage Umgang mit den natürlichen Gütern und Leistun-gen pflegen, können die politischen Entscheidungen wahrscheinlich besserbeeinflussen und gestalten, wenn sie ein tieferes Verständnis der damitzusammenhängenden Fragen entwickeln können, die politischen Willens-bildungs- und Entscheidungsabläufe kennen und über Erfahrungen in ko-operativer Arbeit mit Betrieben und Ämtern des öffentlichen und privatenBereichs verfügen (NAE, Zusammenfassung). Interdisziplinäre Arbeits-gruppen haben sich als effektiv erwiesen (CWANA, Kap. 2; ESAP, Kap. 4;LAC, Kap. 4).

Für Gruppen von Menschen, die weitgehend vom allgemeinen gesellschaftli-chen Leben ausgeschlossen sind, zum Beispiel Frauen, Jugendliche, Flüchtlinge,Landlose, von AIDS geplagte Gemeinschaften: Hier sollten Bildungs- undBeratungsprogramme, die auf die Erfahrungen der Beteiligten aufbauen so-wie Grund- und Sekundarschulbildung entwickelt werden, die auf verbes-serte Fähigkeiten und Kenntnisse zum Umgang mit natürlichen Ressour-cen abzielen (Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Zusammenfassung). WichtigeThemen dabei sind: – Nutzung von Informationstechniken für den Zugang zu Wissen, – Wiederherstellung von Naturgütern oder -leistungen, – Methoden zum Sammeln und Speichern von Wasser, – Bodenschutz und umweltschonende Landnutzung, – kooperative Organisation von Nutzungen, – Methoden und Verfahren zur Domestizierung von Pflanzen und Tie-

ren, – integrierte Niedrigenergiekonzepte (integrierter Umgang mit natür-

lichen Ressourcen, integrierter Pflanzenschutz), – Verarbeitung und Vermarktung von Erzeugnissen nach der Ernte

zur Betriebsentwicklung, zur Entwicklung von Finanzmanagement,Unternehmenskonzepten und Schaffung von Beschäftigung (ESAP,Kap. 3; Globaler Bericht, Kap. 3 und 5; LAC, Kap. 5; NAE, Zusam-menfassung).

188 Synthesebericht

Für Repräsentanten von Gemeinschaften und Kommunalverwaltungen: Hier gehtes um die Entwicklung von Fähigkeiten zur Unterstützung beim Aufbauvon Kapazitäten zur Ausgestaltung von Partnerschaften zwischen vielenunterschiedlichen Beteiligten (NAE, Kap. 6) und zur Übernahme von Ver-antwortung beim Umgang mit natürlichen Ressourcen (Globaler Bericht,Kap. 3) einschließlich IT-Kenntnissen.Wichtige Themen hier sind:

– politische Maßnahmen für die Regelung von Landbesitzrechten, – Entwicklung und Vermittlung von Konfliktlösungsverfahren, – Machbarkeitsstudien und -planung, – Folgenabschätzungen und -bewertungen, – partizipatorisch und gemeinschaftlich orientierte Verfahrenswei-

sen zum Umgang mit natürliche Ressourcen, – Wiederherstellung und Wiederverwertung, – Finanzierungsstrategien, Unternehmenskonzepte und Schaffung

von Arbeit, – Strategien und Techniken für den Umgang mit natürlichen Res-

sourcen (Globaler Bericht, Kap. 3 und 5; LAC, Kap. 5; NAE, Zu-sammenfassung).

Für national und international agierende Politiker: Vor allem wichtig ist die In-itiierung von Fortbildungsmöglichkeiten mit dem Ziel, ein besseres Ver-ständnis für die Bedeutung informationstechnischer Vernetzung und derzugehörigen Fertigkeiten ebenso wie von lokalem und traditionellem Wis-sen zu allen Bereichen des Umgangs mit natürlichen Ressourcen für For-schung und Entwicklung zu Landnutzung und Landbau zu erlernen (Globa-ler Bericht, Kap. 3 und 5; Synthesebericht, Teil II: Lokales und traditionellesWissen sowie gemeinschaftliche Innovationen). Zusätzlich ist die Förde-rung von breit angelegten Beratungsstrukturen bedeutsam, die die örtlicheBevölkerung in partizipatorische Lernprozesse zum Umgang mit Naturgü-tern und -leistungen einbezieht und die Anpassung entsprechend verbes-serter Techniken an standörtliche Bedingungen und Erfordernisse verfolgt.Zu beteiligungsorientierten Verfahren vor Ort gehören zum Beispiel die Grün-dung von Bauernorganisationen, gegenseitige Beratung von Bäuerinnen undBauern, partizipatorische Pflanzenzüchtung (Globaler Bericht, Kap. 3).

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 189

Wir sollten Partnerschaften für verschiedene Nutzungen und Umgangs-weisen mit natürlichen Ressourcen aufbauen, um die Erträge an Natur-gütern und aus Naturleistungen für das Gemeinwohl zu erhöhen undnatürlichen Gefährdungen vorzubeugen.

Solche Partnerschaften kommen Landschaftspflege und -planung, Techno-logie- und Marktentwicklungen, politischen Reformen, Forschung und derEntwicklung ländlicher Räume entgegen. AWWT kann dabei helfen, inno-vative und institutionenübergreifende Kooperationen unter Einbeziehungvieler Akteure zustande zu bringen.

Aufbau von Forschungs- und Entwicklungspartnerschaften zwischen lokalenund globalen Akteuren auf lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Ebe-ne, die auf gegenseitigem Verständnis, Vertrauen und gemeinsamen Zielen basie-ren. Geeignete Partner könnten auch Vertreter des öffentlichen und privat-wirtschaftlichen Bereichs sein. Von Seiten kommerzieller Unternehmensollten geistige Eigentumsrechte und andere Mechanismen anerkannt wer-den, die den ortsansässigen Beteiligten und Gemeinschaften zugutekom-men (ESAP, Kap. 3 und 4; Globaler Bericht, Kap. 3; LAC, Kap. 4).

Wir sollten Partnerschaften und Netzwerke zwischen NROs, Gruppie-rungen aus der Zivilgesellschaft, Feldschulen für Bäuerinnen und Bauern, Regierungsvertretern und Vertretern des privatwirtschaftlichenSektors schaffen, um auf gemeinsamem Wissen und gemeinsamenEntscheidungsfindungen aufbauen zu können.

Dazu gehören auch Ausbildung und Mentoren, um bestmögliche Umset-zung und Ergebnisse zu erzielen. Langfristig angelegte Partnerschaftensind besonders wichtig, um sicherzustellen, dass sich dauerhafte personelleund institutionelle Kapazitäten zur Förderung des Gemeinwohls etablierenkönnen (Globaler Bericht, Kap. 3; LAC, Kap. 4; NAE, Zusammenfassung).

Die Beiträge aller Partner zusammengenommen müssen das gesamte Spektrumder Bedürfnisse, für die die Partnerschaft gegründet worden ist, abdecken. Qualifi-zierte Moderatorinnen und Mediatoren können wichtig sein für die Stär-kung von Partnerschaften mit vielen Beteiligten.

Prüfung und Nutzung solcher politischer Maßnahmen, die gelingende Part-nerschaften zum Umgang mit natürlichen Ressourcen fördern. Politische Ent-

190 Synthesebericht

scheidungen oder Maßnahmen, die solche Partnerschaften behindern, soll-ten begrenzt oder abgeschafft werden (LAC, Kap. 4; NAE, Kap. 6).

Wir sollten die Wege von Globalisierung und Lokalisierung verknüpfen,um durch die Verbindungen von vor Ort erarbeitetem Wissen und Inno-vationen zum Umgang mit natürlichen Ressourcen und öffentlichem wie privatwirtschaftlichem AWWT dem Ziel einer gerechteren und nachhaltigeren Entwicklung ländlicher Räume näherzukommen.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts war die Globalisierung eine treibende Kraftinstitutioneller Bereiche von AWWT. Öffentlich finanzierte Agrarforschung,internationaler Handel und Marketing ebenso wie internationale Politik ha-ben wesentlich zur Formierung der Globalisierung beigetragen. Lokalisie-rung (Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Kap. 6) hingegen ist aus zivilgesell-schaftlichen Netzwerken initiiert worden. Sie stützt sich auf Innovationen,die die Bedürfnisse der Menschen und Gemeinschaften vor Ort im Blickhaben. Einige Initiativen, die gegenwärtig tätig sind, verbinden beide Wege,indem sie lokal-globale Partnerschaften fördern und so erweiterte wirtschaft-liche Möglichkeiten schaffen. Dies trifft insbesondere auf nicht industriali-sierte Länder und eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Grundlagen derLandwirtschaft zu (Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Kap. 6). Initiativen, diezeigen, wie Lokalisierung und Globalisierung miteinander verknüpft wer-den können, richten sich unter anderem auf:– Förderung traditionell verwendeter Lebensmittel, um Bedürfnisse und

Prioritäten der örtlichen Bevölkerung nach Selbstversorgung, gesi-cherter und gesunder Ernährung, Sicherung des Lebensunterhalts undSchaffung von Arbeit zu befriedigen (Globaler Bericht, Kap. 3);

– Kultivierung, Züchtung und Kommerzialisierung indigener Nah-rungspflanzen und Tierarten (Globaler Bericht, Kap. 3).

Weltweite Initiativen für nachhaltige Entwicklung haben lokal wie globalAufmerksamkeit auf Fragen des Umgangs mit natürlichen Ressourcen ge-lenkt. Sie haben zugleich die Entstehung zivilgesellschaftlicher Organisa-tionen befördert und so neue Verbindungen zu regionalen und/oder globa-len Partnern angeregt. Seit Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts sinddies unter anderem folgende Initiativen:

Themen: Umgang mit natürlichen Ressourcen 191

– das Protokoll von Cartagena zu biologischer Sicherheit im Rahmender UN-Konvention über biologische Vielfalt (Montreal, Kanada)von 2001,

– der Internationale Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen fürErnährung und Landwirtschaft (Rom, Italien) von 2001,

– der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (Johannesburg, Südafrika)von 2002,

– der Welternährungsgipfel (Rom, Italien) von 2002, – ein Welttreffen anlässlich des G8-Gipfels (L’Aquila, Italien) von 2009.

Ähnlich haben verschiedene internationale und regionale Abschätzungenund Bewertungen im Zusammenhang mit Nutzung und Erhaltung natürli-cher Ressourcen langfristig umwelt- und sozial gerechte Praktiken und aufdie Grundbedürfnisse der Menschen gerichtete Politik zur Bewältigung dervielfältigen Herausforderungen gefördert. Dazu gehören: – das Millenium Ecosystem Assessment (MA) 2005,148 – die IPCC-Assessments 1990, 1992, 1994, 2001 und 2007,149 – das Comprehensive Assessment of Water Management in Agriculture

(CAWMA) 2007,150 – der Global Environmental Outlook (GEO 4),151 – die Wasserinitiative der Europäischen Union (European Union Water

Initiative)152 und – die Bodeninitiative der Europäischen Union (European Union Soil

Initiative).153

148 www.MAweb.org. 149 www.ipcc.ch. 150 www.earthscan.co.uk. 151 www.unep.org/geo/. 152 www.euwi.net. 153 http://eusoils.jrc.ec.europa.eu.

192 Synthesebericht

Wege in die Zukunft

Umgang mit natürlichen Ressourcen ist elementar für landwirtschaftlicheErzeugung und Produktivität, den Erhalt wichtiger Ökosystemleistungenund nachhaltige Lebensbedingungen in ländlichen Räumen. Agrikulturenstellen eine wichtige Bewirtschaftungsmöglichkeit dar, zum Wohl vieler Be-teiligter auf allen Ebenen der Gemeinschaften und Gesellschaften – wenndie Agrikultur im Einklang mit der Natur betrieben wird (NAE, Zusam-menfassung). Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass eine unkontrol-lierte Ausbeutung von Naturgütern und -leistungen weitreichende negati-ve Auswirkungen auf die Existenzgrundlage sowohl der ländlichen alsauch der städtischen Bevölkerung hat. Indem wir den Grundstock der Na-tur substanziell angreifen, anstatt von seinen Erträgen zu leben, gefährdenwir die Lebensgestaltungsmöglichkeiten unserer Kinder und Kindeskinder.Diese gewaltigen Herausforderungen können bewältigt werden, wennAWWT auf kreative Weise und unter aktivem Mittun verschiedener Betei-ligter auf unterschiedlichen Ebenen genutzt und weiterentwickelt wird.Das Ziel dieser Anstrengungen muss sein, die Übernutzung der natürli-chen Lebensgrundlagen umzukehren und einen klugen Umgang mit Gewäs-sern, Böden, biologischer Vielfalt, Ökosystemleistungen, fossilen Brennstof-fen und der Luft zum Atmen und zugleich deren Erneuerung für zukünftigeGenerationen zu gewährleisten.

Handel und Märkte

Autorinnen und Autor: Dev Nathan (Indien), Erika Rosenthal (USA), Joan Kagwanja (Kenia)

Wir stehen vor der unmittelbar drängenden Herausforderung, die Politikzur Einrichtung und Ausgestaltung von Märkten und Handelsbeziehungenso auszurichten, dass Landnutzung, Lebensmittelerzeugung und AWWT – Ernährungssicherheit gewährleisten, – ökologische Nachhaltigkeit möglichst weitgehend praktizieren und – kleinbäuerliche Betriebe darin unterstützen, Armutsbekämpfung und

Entwicklung zu fördern.

Agrikulturen sind fundamentale Instrumente für alle langfristig sozial undumweltgerechte Entwicklungen. Etwa 70 % der mittellosen Bevölkerungder Welt leben in ländlichen Räumen, und der größte Teil davon hat mitLandnutzung und Erzeugung von Lebensmitteln zu tun. Nationale Politikmuss ein Gleichgewicht finden zwischen höheren Preisen, die den Produ-zenten zugute kommen und eine dynamischere ländliche Ökonomie beför-dern, und niedrigeren Preisen, die, trotz internationaler Marktschwankungen,armen Verbrauchern Zugang zu Lebensmitteln erleichtert. Der jahrzehnte-lange starke Verfall der Preise für landwirtschaftliche Massengüter und dieungleichen Handelsbedingungen für landwirtschaftlich geprägte Volks-wirtschaften haben schwerwiegende negative Folgen für Millionen vonmittellosen Bäuerinnen und Bauern gehabt (ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht,Kap. 7). Strukturelle Überproduktion in den Ländern Nordamerikas undEuropas hat zu diesem enormen Verfall der Weltmarktpreise für landwirt-schaftliche Massenerzeugnisse beigetragen. Diese Problematik finden wirauch auf vielen Märkten in nicht industrialisierten Ländern, wo eine Über-produktion von Erzeugnissen aus tropischen Gebieten – insbesondere ver-ursacht durch neue Produzenten, die im Vergleich zu etablierten Erzeugern

194 Synthesebericht

niedrigere Erzeugerpreise akzeptieren – zu Preisverfall bis zum Zusam-menbruch geführt hat.

Unter diesen Bedingungen ist die Fortführung der alten Markt- undHandelspolitiken – ein „Weiter so!“ – kein Beitrag zur Beförderung der Zieledes vorliegenden Weltagrarberichts. Es besteht die zunehmende Besorgnis,dass die nicht industrialisierten Länder ihre Agrarökonomien zu weitge-hend und zu rasch für den internationalen Wettbewerb geöffnet haben, ohnezuvor wichtige Institutionen und grundlegende Infrastrukturen geschaffenzu haben. Das wiederum hatte einen Anstieg von Armut und Mittellosig-keit und negative Wirkungen für Ernährungssicherheit und Ökosystemezur Folge. Eine rechnerisch gleiche Öffnung von Märkten unterschiedlicherLänder, deren Landwirtschaften extrem unterschiedlich entwickelt sind,führt keineswegs zu wirklich gleichen Chancen und Handlungsmöglich-keiten (ESAP, Kap. 3).

Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen bietet nicht industrialisier-ten Ländern Möglichkeiten, Vorteile aus größervolumiger Erzeugung fürglobale Märkte zu ziehen, bestimmte Massengüter billiger zu importieren,und Zugang zu neuen Formen von AWWT, Ausrüstungen und Produk-tionsmitteln wie zum Beispiel Dünger, Hochertragssorten, Bewässerungs-technik zu erlangen, die im Inland nicht hergestellt werden. Grenzüber-schreitender Agrarhandel kann armen Bevölkerungsgruppen durchausVorteile eröffnen. Aber wir können erhebliche Verteilungswirkungen zwi-schen und in Ländern beobachten, die in vielen Fällen ungünstig für klein-bäuerliche Betriebe und ländliche Lebensbedingungen sind. Die ärmstennicht industrialisierten Länder sind in Folge der allermeisten Handelslibe-ralisierungsmaßnahmen unter dem Strich Verlierer.

Reformen der Handelspolitik, die faire globale Handelsbeziehungen an-strebt, können hingegen positiv zur Bekämpfung von Armut und Mittello-sigkeit und Hunger beitragen. Konzepte, die für die spezifischen Bedingun-gen eines Landes und unterschiedliche Entwicklungsstadien maßgeschneidertsind und eine wirtschaftliche Stärkung vor allem für kleinbäuerliche Betriebevorsehen, können effektiv Armut und Mittellosigkeit in nicht industrialisier-ten Ländern verringern (CWANA; ESAP; Globaler Bericht; LAC; SSA).

Flexible und differenzierende handelspolitische Rahmensetzungen (dasheißt: „spezielle und differenzierte Behandlung“) vergrößern die Vorteile,die nicht industrialisierte Länder aus dem Agrarhandel ziehen können. Sie

Themen: Handel und Märkte 195

haben Anliegen im Auge wie Ernährungssicherheit, Armutsreduzierungund umfassende Entwicklungsziele und reduzieren weitgehend möglicheschädliche Umbrüche als Folgen einer Liberalisierung der Handelsbezie-hungen. Das Prinzip eines rechnerisch nicht gleichen Marktzugangs,das heißt dass Industrie- und wohlhabendere nicht industrialisierte Länderwirtschaftlich schwächeren Ländern einen vorteilhaften Zugang zu ihrenMärkten gewähren, hat im Lauf der Geschichte bemerkenswerte Fortschrit-te ermöglicht und sollte eine wichtige Rolle spielen in den Handelsregi-men, die sich an Entwicklungszielen orientieren. Vorzugsbedingungen fürwirtschaftlich schwächere nicht industrialisierte Länder, für die ärmstenLänder und die kleinen Inselstaaten sind dabei wichtig.

Globale Herausforderungen

In vielen nicht industrialisierten Ländern hängt jede Art nachhaltiger Er-nährungssicherheit von der Erzeugung von Lebensmitteln vor Ort ab, wo-hingegen in einigen Ländern in ariden und semiariden Regionen, die nurüber begrenzte natürliche Möglichkeiten der Erzeugung verfügen, verbes-serte Ernährungssicherheit verstärkten Handel bedingt. All diesen Ländernsollte ein ausreichender politischer Handlungsraum sicher sein, damit diePreise für Agrarerzeugnisse, die wichtig für Ernährungssicherheit undländliche Lebensbedingungen sind, stabil gehalten werden können. DieAgrarpolitik der Industrieländer samt Exportsubventionen haben die Prei-se für Massengüter gedrückt und damit Kosten für Lebensmittelimporteverringert. Dies hat jedoch die Entwicklung des Agrarsektors in den nichtindustrialisierten Ländern unterminiert und damit zugleich den erhebli-chen potenziellen Multiplikationseffekt der Landwirtschaft für die gesamteVolkswirtschaft. Die Rückführung der Agrarsubventionen in den Indus-trieländern und anderer handelsverzerrender politischer Maßnahmen istvorrangig, insbesondere für Massengüter wie Zucker, Erdnüsse und Baum-wolle, bei denen nicht industrialisierte Länder untereinander im Wettbe-werb stehen. Gleich wichtig sind Verpflichtungen gegen Dumpingprakti-ken oder den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu einemPreis unterhalb der Herstellungskosten, da solche Praktiken einheimischeLebensmittelerzeugung und Marktstrukturen behindern.

196 Synthesebericht

Der internationale Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen wirdzunehmend in globalen Ketten organisiert, bei denen nur mehr einige we-nige transnationale Großaufkäufer (Handelsgesellschaften, industrielleVerarbeiter und Unternehmen, die sich auch in der Erzeugung betätigen)die Märkte beherrschen. In diesen globalisierten Strukturen können die ei-gentlichen Produzenten oft nur einen kleinen Anteil des internationalenPreises eines Massenguts ergattern (siehe Abb. 7 und 8, S. 250 f.). Deshalbhat sich ein Einfügen in globale Nachschubketten für Lebensmittel alles an-dere als optimal auf Armutsminderung und die Entwicklung ländlicherRäume ausgewirkt (ESAP; NAE; Globaler Bericht). Der Aufbau von Gegen-macht für Verhandlungen, zum Beispiel von Agrargenossenschaften und-netzwerken, stellt daher ein wichtiges Mittel dar, um Bäuerinnen und Bau-ern, die über geringe Ressourcen verfügen, einen größeren Anteil an denvon ihnen erarbeiteten Werten zu verschaffen.

Die Landwirtschaft verursacht große externe Umwelt-Effekte, zum Bei-spiel beschleunigte Verarmung der biologischen Vielfalt, von Ökosystem-leistungen wie Wasserkreisläufen und Wasserqualität, wachsende Energie-kosten und THG-Emissionen sowie Gesundheitsschäden durch synthetischePestizide (ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht; NAE). Viele dieser schädlichenWirkungen rühren daher, dass ökologische und soziale Schäden von denMärkten nicht in Wert gesetzt und in Preisen landwirtschaftlicher und an-derer Erzeugnisse nicht berücksichtigt werden, beziehungsweise darauf,dass von den Märkten keine Anreize für einen nachhaltigen Umgang aus-gehen. AWWT bietet viele Möglichkeiten zur Umkehr dieses Zustandes, in-dem es bei einem besserem Umgang mit natürlichen Ressourcen und derBereitstellung agrarökologischer Dienstleistungen hilft.

Schließlich können verbesserte staatliche politische, rechtliche und ad-ministrative Strukturen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene dazubeitragen, dass AWWT die Rolle der Landwirtschaften als Antriebskraft fürsoziale und umweltgerechte Entwicklungen deutlich vergrößern kann. Diestaatlichen Strukturen und Prinzipien einer guten Regierungsführung sindin vielen landwirtschaftlich geprägten nicht industrialisierten Ländern amschwächsten. Zusätzlich sind politische und administrative Strukturen imAgrarsektor im Vergleich zu anderen Sektoren nur schwach ausgeprägt.Gute Regierungsführung und funktionierende politische und adminis-

Themen: Handel und Märkte 197

trative Institutionen auf globaler Ebene sind im Übrigen wichtig zur Unter-stützung nationaler Programme für nachhaltige Entwicklung.

Zusammenfassung der vordr inglichsten regionen-übergreifenden Herausforderungen

Viele der dringenden Herausforderungen, über die wir berichten, betreffendie meisten der nicht industrialisierten Regionen oder sogar, wie im Falleder Klima- und Wasserproblematik, die gesamte Welt. Ernährungssicherheitist eine vorrangige, die Handelspolitik mit Nahrungsmitteln betreffendeHerausforderung für alle nicht industrialisierten Länder des Südens. Han-delspolitik zur Sicherung einer ausreichenden einheimischen Lebensmit-telerzeugung (nicht nur ausreichender Devisenreserven zur Einfuhr vonLebensmitteln) sind in vielen Ländern ein wichtiger Mosaikstein für Ernäh-rungssicherheit und Ernährungssouveränität (CWANA; ESAP; LAC). Inder Region ESAP gibt es Maßnahmen, um ein ausgeglichenes Verhältnisvon einheimischer Erzeugung, Lebensmittelbevorratung und Devisenreser-ven zu erreichen. Einige Regionen zeigen sich ernstlich besorgt, ob kleinereVolkswirtschaften ausreichend hohe Devisenreserven vorhalten können,um größere Lebensmittelimporte finanziell abzusichern angesichts sichverschlechternder Handelsbedingungen und stark schwankender Welt-marktpreise (ESAP; SSA).

Nicht industrialisierte Länder sehen sich zusätzlich mit bedeutendenneuen Transaktions-Kosten aufgrund von Regulierungen des internationa-len Handels konfrontiert.154 Verluste bei Zolleinnahmen konnten nichtdurch andere inländische Steuereinnahmen wettgemacht werden. Zollein-nahmen machten nämlich in vielen nicht industrialisierten Ländern einengroßen Anteil der gesamten Steuereinnahmen aus. Nun gibt es Befürchtun-gen, dass hohe Kosten für die Einhaltung sanitärer und phytosanitärerStandards dazu führen werden, dass die für nationale Sicherheitsprogram-me für Lebensmittel und Fleisch vorgesehenen Ressourcen umgeleitet wer-den. Investitionen zur Umsetzung internationaler Standards sollten als Teilder notwendigen Verbesserungen angelegt werden, um die einheimischen

154 Dies betrifft vor allem Qualitäts- und Nahrungsmittelsicherheitsbestimmungen.

198 Synthesebericht

Bevölkerungen vor lebensmittelbedingten Krankheiten schützen, und nichtnur, um die Einhaltung von Welthandelsbestimmungen zu sichern.

Bessere technische und finanzielle Unterstützung, wie sie in dem GATT-SPS-Abkommen155 in Erwägung gezogen werden, ist erforderlich, damitnicht industrialisierte Länder ihre eigenen Systeme zur Qualitätskontrolleaufbauen beziehungsweise verbessern und Gesundheits- und Sicherheits-standards erfüllen können. Insbesondere kleinbäuerliche Betriebe bedürfender technischen, finanziellen und organisatorischen Unterstützung, damitsie in ihrer Erzeugung Gesundheits- und Sicherheitsstandards einhaltenkönnen.

Bessere Verbindungen von kleinbäuerlichen Betrieben zu örtlichen, städti-schen und regionalen Märkten, aber auch zum Weltmarkt können wir querdurch die nicht industrialisierten Regionen beobachten. Eine bessere Abstim-mung und Zusammenarbeit der regionalen Märkte, um größere Märkte mitkonstanterer Nachfrage und geringeren Preisschwankungen und gemein-same Verhandlungsplattformen zu schaffen, ist vorrangiges Ziel in den Re-gionen SSA, LAC und ESAP. Unterstützung der kleinbäuerlichen Betriebebeim Zugang zu Märkten zu günstigeren Konditionen und bei der Erzie-lung fairerer Erzeugerpreise bei Lieferungen an globale Handels- und Ver-arbeitungsketten ist sehr wichtig (CWANA; ESAP; LAC; SSA).

Die Ankurbelung von Investitionen zur Verarbeitung von Lebensmittelnvor Ort tragen zu stärkerer Diversifizierung und Wettbewerbsfähigkeit derErzeugnisse bei und eröffnen Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeitenim ländlichen Raum außerhalb des Lebensmittelanbaus; dies steht ganzoben auf der Dringlichkeitsliste in allen nicht industrialisierten Regionen.Es ist vielfach festzustellen, dass die in Industrieländern betriebene Eskala-tion von Zöllen Investitionen zur höherer Wertschöpfung in ländlichenRäumen erschwert und ohnehin bestehende Probleme ungerechter Han-delsbedingungen noch verschärft (ESAP; LAC; SSA). Die Aufweichung vonVorzugsabkommen bereitet vielen Regionen Sorge (CWANA; Globaler Be-richt; LAC; SSA).

Eine gemeinsame Problematik in allen Regionen ist: – die Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen in Waldgebiete,

155 Dies ist das WTO-Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures (SPSAgreement), vgl. www.wto.org.

Themen: Handel und Märkte 199

– der Anbau von Nutzpflanzen für energetische statt für Nahrungs-zwecke,

– die zunehmende Waldzerstörung zum Anbau von Pflanzenrohstof-fen zur Gewinnung von Treibstoffen.

Klare globale Prioritäten sind: – die Anfälligkeit der Agrikultur gegenüber Klima- und Wasserkrisen, – gerechte Risikomanagement- und Anpassungsstrategien sowie – die dringende Notwendigkeit der Ausrichtung von AWWT auf die

Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Landwirtschaften(CWANA; ESAP; Globaler Bericht; LAC; NAE; SSA).

In vielen Regionen wird Kritik daran geübt, dass die bestehenden Regimezu geistigen Eigentumsrechten dazu beigetragen haben, dass Forschungund Entwicklungsarbeiten im Bereich AWWT nicht mehr darauf orientiertsind, ihre Ergebnisse als öffentliche Güter zur Verfügung zu stellen. Geisti-ge Eigentumsrechte können den Zugang zu Forschung, Technologien undgenetischen Materialien behindern, was sich wiederum auf Ernährungssi-cherheit und Entwicklungspotenziale auswirken kann (ESAP; Globaler Be-richt; LAC). Eine gerechtere Verteilung der Vorteile aus AWWT ist in derRegion LAC und in anderen Regionen von prioritärer Bedeutung. Häufiggibt es Konflikte zwischen geistigen Eigentumsrechten als Anerkennungfür die Erarbeitung von AWWT einerseits und der Behinderung von derenVerbreitung und Nutzung andererseits. Länder könnten auf regionaler undbilateraler Ebene zusammenarbeiten, um nationale Rechtsetzungen zugeistigen Eigentumsrechten zu formulieren und diese damit aus dem Gel-tungsbereich der WTO-Regulierung ausnehmen. Die Erfüllung von Ent-wicklungs- und Nachhaltigkeitszielen würde vorangebracht, wenn interna-tionale Regulierungen der geistigen Eigentumsrechte größeren Spielraumfür effektiven Umgang mit Situationen böten, in denen traditionelles Wis-sen und genetische Ressourcen eine Rolle spielen.

Schließlich haben wir in nicht industrialisierten Ländern der südlichenHemisphäre beobachtet, dass es einen deutlichen Veränderungsbedarf beider Innenpolitik in Richtung Förderung von nachhaltiger Entwicklung derLandwirtschaften gibt, um bei den Zielen des Weltagrarberichts Fortschrit-

200 Synthesebericht

te zu erreichen (CWANA; ESAP; Globaler Bericht; LAC; SSA). Dies beinhal-tet auch: – sichereren Zugang zu Land, dessen Besitz und anderen Produktions-

mitteln, – die Ausrichtung von AWWT in Forschung, Entwicklung und Ver-

breitung auf die Bedürfnisse von kleinbäuerlichen Betrieben und – stärkere Investitionen in Infrastrukturen wie Lagerungskapazitäten

von Erntegut, Straßenverbindungen zu Märkten und Informations-dienste.

Kollektive und individuelle gesetzliche Rechte zum Besitz von Land undanderen Produktionsmitteln sind insbesondere für Frauen, indigene Völkerund Minderheiten bedeutsam, damit diese Gruppen aus den Möglichkei-ten, die Handel mit Lebensmitteln bietet, überhaupt einen Vorteil erlangenkönnen.

Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf die Förderung von Entwicklungs- und Nachhalt igkeitszielen

Im folgenden Abschnitt werden Strategien dargelegt, wie handels- undmarktpolitische Optionen bestmöglich für zielgerichtetes AWWT genutztwerden kann, damit der Agrarsektor in die Lage versetzt wird, möglichstvielfältige Funktionen zur Bereitstellung öffentlicher Güter zu erfüllen. Esgibt wichtige positive wie negative Wechselwirkungen zwischen einzelnenOptionen, die sorgfältig betrachtet werden müssen. Ein markantes Beispielhierfür ist die mögliche Liberalisierung des globalen Pflanzentreibstoff-Handels, die zu Ziel-Interferenzen zwischen Ernährungssicherheit, Redu-zierung von THG-Emissionen und Sicherung der Lebensgestaltungsmög-lichkeiten in ländlichen Räumen führt. Alle diese Aspekte und Interessenmüssen für unterschiedliche Technologien (Anbau, Konversion) und Regio-nen sorgfältig untersucht werden (Teil II: Energie aus Biomasse).

Themen: Handel und Märkte 201

Optionen der internat ionalen Handelspoli t ik

Handelspolitische Optionen zugunsten nicht industrialisierter Länder um-fassen unter anderem: – die Beseitigung von Hemmnissen für Produkte, bei denen diese Län-

der einen komparativen Vorteil haben, – Zollbegünstigungen für verarbeitete Erzeugnisse, – besondere Vorzugsregelungen für den Zugang zu Märkten für die

ärmsten Länder und – ein auf kleinbäuerliche Betriebe zugeschnittenes AWWT (Forschung,

Entwicklung und Vermittlung), um Entwicklungs- und Nachhaltig-keitsziele zu erreichen.

Für die Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen ebenfallsvon großer Bedeutung sind flexible Vorgehensweisen, die es nicht indus-trialisierten Ländern ermöglichen, bestimmte Erzeugnisse, die für ihre Er-nährungssicherheit, Existenzsicherung und Entwicklung unabdingbar sind,als Besondere Erzeugnisse zu kennzeichnen, für die die üblichen niedrigenZollsätze nicht angesetzt werden. Solche Vorgehensweisen geben nicht in-dustrialisierten Ländern so lange ein wichtiges Instrument zum Schutz die-ser Massengüter vor einem übermäßigen Importdruck in die Hand, bis ver-bessertes AWWT und infrastrukturelle und institutionelle Kapazitäten dieeinheimische Landwirtschaft international eher wettbewerbsfähig gemachthaben. Ähnlich stellt der Besondere Schutzmechanismus (SSM), mit dem nichtindustrialisierte Länder auf Preisverfall durch Importdruck reagieren kön-nen, ein wichtiges handelspolitisches Instrument dar, mit dem möglichenSchäden für die einheimische Erzeugung begegnet werden kann. In denprivaten Haushalten kann Preisverfall bewirken, dass AWWT nicht über-nommen werden kann, dass wertvolle Produktionsmittel verkauft werdenmüssen oder dass Schulgeld nicht bezahlt werden kann (ESAP, Globaler Be-richt). Eine Einordnung der Länder durch die WTO, die die ganz unter-schiedliche Lage in nicht industrialisierten Länder bei der Ernährungssi-cherheit realistischer widerspiegelt, könnte dazu beitragen, dass keinemLand mit einer ungesicherten Ernährungssituation die Anwendung der ge-nannten Mechanismen verwehrt werden kann.

Abschaffung oder substanzielle Reduktion der Subventionen und Ab-schottungen der Industrieländer insbesondere bei solchen Erzeugnissen,

202 Synthesebericht

bei denen nicht industrialisierte Länder untereinander konkurrieren wieZucker, Erdnüsse und Baumwolle, ist für kleinbäuerliche Betriebe weltweitvon großer Bedeutung. Ähnlich wichtig sind multilaterale Abkommen zwi-schen wichtigen Exportländern, die sicherstellen, dass Produkte nicht zueinem Preis gehandelt werden, der nicht die tatsächlichen Erzeugungskos-ten widerspiegelt. Dadurch könnte Preisdumping mit seinen großen Schä-den für kleinbäuerliche Betriebe eingegrenzt werden. Es sollte mehr Au-genmerk darauf gelegt werden, alternative Verwendungsformen für dieseProdukte zu finden, zum Beispiel Baumharze als Schutzmantel für Obstund Früchte oder Pflanzenbrennstoffe aus Palmöl. Zur Vermeidung einespreismindernden strukturellen Überangebots gewinnen Instrumente wieinternationale Abkommen über Massengüter und bessere Angebotskoordi-nation bei tropischen Massengütern erneut Aufmerksamkeit. Gleichzeitigmüssen dann bessere Regierungsverfahren und -institutionen entwickeltwerden, um Nebenwirkungen wie die Umgehung von Bestimmungen oderQuotenmissbrauch unterbinden zu können. Internationale Handelspolitikwie Innenpolitik muss einen geordneten Wechsel von Erzeugungsstand-orten koordinieren, um Produzenten in kostenintensiven Standorten einenWechsel ohne den Absturz in Armut und Mittellosigkeit zu ermöglichen,die durch rein marktbestimmte Standortverlagerungen verursacht werdenkann. Die Abschaffung eskalierender Zölle in den Industrieländern könntehöhere Wertschöpfungen durch Verarbeitung landwirtschaftlicher Produk-te fördern, sodass Arbeit und Beschäftigung außerhalb der engeren Land-wirtschaft und bessere Lebensbedingungen im ländlichen Raum geschaffenwerden könnten. Solche Strategien können auch zur Diversifizierung in derFischerei und beim Export hin zu höherwertigen Erzeugnissen beitragen.Dadurch würde zugleich der Druck auf die ohnehin überfischten Beständereduziert.

Zur Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen ist eswichtig, die öffentlich finanzierte Forschung stärker zu fördern, damitAWWT als öffentliches Gut verfügbar ist. Ebenso müssen den Bäuerinnenund Bauern ihre Rechte und Privilegien zum Umgang mit Saatgut garan-tiert werden, um den Erhalt der biologischen Vielfalt in den Agrikulturenund das damit zusammenhängende informelle AWWT zu begünstigen. Diejuristische und administrative Umsetzung effektiver Mechanismen zum

Themen: Handel und Märkte 203

Schutz traditionellen und lokalen Wissens bleibt eine ungelöste Herausfor-derung (ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht; LAC).

Der Ausgleich von Einnahmeverlusten durch verminderte Importzölleist für Fortschritte der Entwicklungsagenda essenziell. Sind Länder nicht inder Lage, den Verlust durch andere Steuern, das heißt Verbrauchssteuern,die wirtschaftlich effektiver, aber verwaltungstechnisch und politischschwieriger einzutreiben sind, auszugleichen, könnte die Absenkung derEinfuhrzölle verlangsamt werden. Unterstützungen beim Umgang mitHandelsfragen wie auch Verpflichtungen zur Mitarbeit an der Erreichungvon Entwicklungszielen sind ebenfalls notwendig. Die Prioritäten solltenLand für Land festgelegt werden. AWWT kann zur Erhöhung der Wettbe-werbsfähigkeit beitragen. Der Ausbau der institutionellen Kapazitäten fürhandelspolitische Analysen und Verhandlungsprobleme und -verfahren istwichtig. Kosten für Anpassungen von bereits durchgeführten Maßnahmenmüssen berücksichtigt werden. (Industrieländer haben genauso das Rechtund die Verpflichtung, diejenigen zu entschädigen, die durch solche Maß-nahmen Einbußen erleiden.)

Themen der nationalen Handels- und Marktpol i t iken

Die jeweilige nationale Handelspolitik im Sinne einer Förderung von Ent-wicklungs- und Nachhaltigkeitszielen hängt von der Wettbewerbsfähigkeitund der Zusammensetzung des Sektors ab. Bisher sind nicht industriali-sierte Länder in erster Linie dahingehend beraten worden, Exporte von tra-ditionellen und anderen Marktfrüchten auf die Weltmärkte zu verstärken.Weit weniger wurde dazu geraten, die Wettbewerbsfähigkeit heimischerErzeugnisse als Importsubstitution oder auch Vermarktungsmöglichkeitenauf nationalen und regionalen Märkten zu erhöhen. Ein ausgewogeneresVerhältnis dieser politischen Strategien dürfte angezeigt sein.

Zunehmend wird allgemein anerkannt, dass nicht industrialisierte Län-der, deren landwirtschaftliche Entwicklung sich in einem noch frühen Sta-dium befindet, eines gewissen Außenschutzes zugunsten ihrer Erzeuger(bei gleichzeitigen Investitionen in Verbesserungen der Wettbewerbsfähig-keit) bedürfen. Staatliche Handelsunternehmen in nicht industrialisiertenLändern (mit verbesserten Führungs- und Verantwortungsstrukturen zurReduzierung kleptokratischer und korrupter Tendenzen) können kleinbäu-

204 Synthesebericht

erlichen Betrieben mit ungünstigen Produktionsvoraussetzungen bessereMarktzugänge eröffnen und Wettbewerb auf konzentrierten Exportmärk-ten156 schaffen.

Für nicht industrialisierte Länder sind sicherer Zugang zu Land sowie Be-sitz von Land und natürlichen und technischen Produktionsmitteln sehr vonVorteil (was die Regulierung und Ausweitung der Landbesitzrechte vonkleinbäuerlichen Betrieben und Landarbeiterinnen und Landarbeitern ein-schließt). Das gilt auch für verstärkte Forschung, Entwicklung und Vermitt-lung von AWWT, das auf die Bedürfnisse von Betrieben mit wenigen Pro-duktionsmitteln ausgerichtet ist. Stärkung der sozialen Netze und derMitglieder der Gemeinschaft ebenso wie politische Beteiligung mittelloserund verletzlicher Teile der Gesellschaften bietet erhebliche Potenziale zurReduzierung von Armut und zur Verbesserung der Lebensbedingungen.Gesetzlich garantierte Rechte und tatsächlicher Zugang zu Land und Pro-duktionsressourcen wie Kleinkrediten und AWWT sind Schlüsselaspektefür verbesserte Gleichberechtigung und reale Möglichkeiten für Frauen, in-digene Völker und andere benachteiligte Gruppen der Gesellschaften, auswirtschaftlichen Möglichkeiten des Handels Vorteile ziehen zu können.

Optionen für Marktzugänge unter günst igeren Bedingungen

Besserer Zugang zu finanziellem Kapital, größere Wertschöpfung in ländli-chen Räumen, Diversifizierung der gesamten Tätigkeiten vom Anbau biszur Vermarktung, bessere Infrastrukturen, auf ressourcenarme Bäuerinnenund Bauern ausgerichtetes AWWT, die Förderung von Bauernverbänden,gemeinschaftliche Aktionen zur Nutzung größervolumiger Verarbeitungoder Vermarktung und alternative Vertriebswege können die Verhand-lungsposition von kleinbäuerlichen Betrieben gegenüber globalen Handels-ketten verbessern (ESAP; Globaler Bericht; LAC; SSA).

Verstärkte Verfügbarkeit von Mikrofinanzierungen ist eine Möglichkeitfür kleinbäuerliche Betriebe, AWWT zu nutzen und Investitions- und Ver-mögensbildung zu fördern. Dazu gehören Produkte und Dienstleistungenvon Finanzinstituten ebenso wie Kredite und andere Angebote, die von Ak-teuren aus der Wertschöpfungskette bereitgestellt werden. Neuere Dienst-leistungsprodukte, zum Beispiel Versicherungen gegen Ernteausfall oder

156 Dies sind Märkte, die von nur wenigen, meist großen Unternehmen dominiert werden.

Themen: Handel und Märkte 205

Regenschäden, können dazu beitragen, Risiken der Anwendung neuerTechniken, beim Übergang zu agrarökologischen Praktiken oder bei Inno-vationen von Erzeugung und Vermarktung zu mindern.

Die Förderung des fairen Handels und des zertifizierten ökologischen Land-baus bietet andere Handelsstandards als die auf den Weltmärkten für Mas-sengüter üblichen. Diese Regeln können die ökologischen und sozialenBilanzen der Landwirtschaften verbessern und zu mehr Gerechtigkeit iminternationalen Handel führen, da Bäuerinnen und Bauern und Landar-beiterinnen und Landarbeiter stabile und für sie vorteilhafte Einkommenerzielen können. Verpflichtungen für den Bezug von fair gehandelten Pro-dukten, Unterstützung von Netzwerken für fairen Handel von Grundnah-rungsmitteln und Süd-Süd-Zusammenarbeit sind viel versprechendeAnsätze. Zertifizierter ökologischer Landbau ist eine Betriebsweise mit hö-herer Wertschöpfung für an Ressourcen arme Bäuerinnen und Bauern, dieja über umfassende Kenntnisse der standörtlichen Verhältnisse und überInnovationspotenzial verfügen. Zu den Optionen zur Förderung des ökolo-gischen Landbaus gehören der Ausbau von entsprechenden Kapazitäten inForschungseinrichtungen, Ernteversicherungen und günstige Kredite undSteuererleichterungen für Produktionsmittel und Verkauf. Neue Geschäfts-modelle und Initiativen des privatwirtschaftlichen Sektors für nachhaltigen Han-del wenden die Standards aus fairem Handel und ökologischem Landbaumit dem Ziel an: – Handelsabläufe durch Reduzierung der Kosten für Zertifizierungen

und Einhaltung der Sicherheits- und Qualitätsbestimmungen fürGruppen von kleinbäuerlichen Betrieben zu verringern,

– finanzielle Nachhaltigkeit zu verbessern, indem Risiken, Verantwor-tung und Vorteile zwischen den Akteuren der Wertschöpfungsketteausgeglichener verteilt werden und

– Informationsaustausch und Aufbau von institutionellen und perso-nellen Kapazitäten zu verstärken, um die Professionalisierung vonErzeugerorganisationen zu verbessern.

206 Synthesebericht

Marktmechanismen zur Internal is ierung negat iver und Anerkennung posit iver externer Umwelteffekte

Zu den wichtigsten handels- und marktpolitischen Maßnahmen, die dengroßen ökologischen Fußabdruck der Landwirtschaft mithilfe von AWWTreduzieren sollen, gehören die Abschaffung verkehrter Subventionen fürsynthetische Dünger, Pestizide, Energie und Maschinerie, die Besteuerungexterner Effekte, eine klarere Bestimmung und Durchsetzung von Besitz-rechten, die Anerkennung von Leistungen und Bildung von Märkten füragrarökologische Dienstleistungen.

Zahlungen und Anerkennung für Umweltdienste (PES) sollen Ökosystem-leistungen, die durch nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken bereitge-stellt werden, wertschätzen und belohnen. Zu solchen Praktiken gehörenlow input- und low emission-Erzeugung, konservierende Bodenbearbeitung,vorsorgender Umgang mit Wassereinzugsgebieten, agroforstwirtschaftli-che Praktiken und Kohlenstoffspeicherung. Hauptziel von PES ist dieSchaffung regelmäßiger Einnahmen, die zu einer langfristig sozial undumweltgerechten Nutzung des Ökosystems beitragen, das die jeweiligeLeistung zur Verfügung stellt. Um die Lebensbedingungen und die Um-weltsituation zu verbessern, müssen die Maßnahmen so angelegt sein, dasskleinbäuerliche Betriebe und kleinbäuerliche Gemeinschaften und nichtnur Großgrundbesitzer profitieren (Globaler Bericht; LAC; NAE).

Andere Maßnahmen zur Minderung der externen Effekte der Landwirt-schaften umfassen Kohlenstoff- und Pestizidsteuern, die Anreize zur Erfül-lung international oder national vereinbarter Minderungsziele erzeugen,Steuerbefreiungen für biologische Pflanzenschutzmaßnahmen zur Förde-rung des integrierten Pflanzenschutzes und Anreize zur Nutzung vielfälti-ger Funktionen fruchtbaren Landes mit dem Ziel, breitere Einkommens-quellen für Bäuerinnen und Bauern zu schaffen (ESAP; Globaler Bericht;LAC; NAE). Kennzeichnungen für den Kohlenstoff-Fußabdruck sind eine Mög-lichkeit, Energiekosten der landwirtschaftlichen Erzeugung durch Anwen-dung von Marktstandards zu internalisieren.157 Von besonderer Bedeutungist auch hier die Unterstützung von kleinbäuerlichen Betrieben, insbeson-dere in den Tropen, bei der Erfassung ihres Kohlenstoffumsatzes. In vielen

157 Damit werden die wirklichen Kosten für die Erzeugung von bestimmten Gütern undDienstleistungen erfasst.

Themen: Handel und Märkte 207

Fällen wird eine integrierte Analyse des Energieaufwandes und der THG-Emissionen von Erzeugnissen aus weit entfernten nicht industrialisiertenLändern zu günstigen Ergebnissen kommen (Globaler Bericht).

Erkennung und Abschaffung von umweltzerstörenden Subventionen,einschließlich solchen für die Fischerei ist grundlegend wichtig. Fischereisub-ventionen zum Beispiel fördern Überfischung und bedrohen viele Beständefrei lebender Fische und damit die Lebensgrundlagen von Gemeinschaften,die vom Fischfang leben. Zu den Handlungsoptionen gehören Investitio-nen in wertschöpfende Verarbeitung und Subventionen für Fangbegren-zungen und die Abfederung von negativen sozialen und wirtschaftlichenWirkungen der Umstrukturierung der Fischereiwirtschaft (Globaler Be-richt, Kap. 7).

Schlussendlich ist zur Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltig-keitszielen eine erweiterte fach- und behördenübergreifende internationaleZusammenarbeit bei vielen landwirtschaftlichen und ökologischen Fragenausschlaggebend. So könnte ein umfassenderes Abkommen zum Klima-wandel einen modifizierten Mechanismus für umweltverträgliche Entwick-lung (CDM) umfassen, damit die vielfältigen Möglichkeiten des land- undforstwirtschaftlichen Bereichs zur Minderung des Klimawandels besser ge-nutzt werden können. Das Abkommen sollte einen umfassenden Katalogvon wählbaren Maßnahmen beinhalten, zum Beispiel: – Aufforstung und Wiederaufforstung, – Vermeidung von Waldvernichtung durch Befolgung eines gesamt-

staatlichen anstelle eines projektbasierten Ansatzes, um Schlupflö-cher möglichst klein zu halten und

– eine ganze Reihe landwirtschaftlicher Praktiken, zum Beispiel Bo-denbearbeitung ohne beziehungsweise mit nur geringer Nutzungvon Pflügen, umweltschonende Tierhaltung und Nassreisanbau.

Andere Maßnahmen wären unter anderem die Reduzierung landwirt-schaftlicher Subventionen, die THG-Emissionen fördern. Ein Nach-Kyoto-Abkommen könnte auch Mechanismen beinhalten, die Anpassungen anveränderte klimatische Bedingungen fördern und unterstützen, insbeson-dere in sehr verletzlichen Regionen wie den Tropen und Subtropen, sowieMechanismen zur Förderung nachhaltiger Entwicklungen (Globaler Be-richt; NAE). Wirksame Abstimmungs- und Entscheidungsverfahren zwi-

208 Synthesebericht

schen multilateralen Umwelt- und Handelsabkommen sind erforderlich,damit Handelsregelungen nicht Umwelt- und Entwicklungsbelange domi-nieren.

For tentwicklung von Regierungsführung , Ver walt ungs- und Verantwor tungsstrukturen

Will man die in den internationalen Handelsbeziehungen bestehenden Un-gleichgewichte zwischen kleinbäuerlichen Betrieben und einer winzigenGruppe mächtiger global agierender Handelsunternehmen verändern,dann ist die Bildung einer internationalen Wettbewerbspolitik vonnöten. Dazugehören multilaterale Regeln für restriktive Geschäftspraktiken und ein in-ternationaler Überprüfungsmechanismus für Fusionen und Übernahmenvon Unternehmen der Agrarindustrie, die in vielen Ländern gleichzeitig tä-tig sind. Die Schaffung einer unabhängigen Agentur, die das Mandat desZentrums für transnationale Korporationen der Vereinten Nationen (UNCTC)fortführt, könnte für die Agenda nachhaltiger Entwicklung dringend not-wendige Informationen und Analysen erarbeiten.

Qualität der Führung und Transparenz der Verantwortlichkeiten in Ent-scheidungsprozessen zu AWWT sind sehr wichtig. Dies umfasst die Bereit-stellung von mehr Informationen und Analysen für Entscheidungsträgerund eine sinnvolle Partizipation aller für die jeweiligen Fragen relevantenBeteiligten. Ausbau und Stärkung der institutionellen und personellen Kapazitä-ten nicht industrialisierter Länder für Analyse und Identifikation der für sievorteilhaftesten Handlungsoptionen und zur Wahrnehmung einer vollwer-tigen und wirksamen Rolle in Verhandlungsprozessen sind grundlegendeVoraussetzungen für positive und gerechte Ergebnisse von Handelsgesprä-chen. Zusätzliche Unterstützung in diesem Sinne und andere unterstützen-de Maßnahmen sind erforderlich. Auch der Aufbau nationaler und regio-naler Expertengruppen, die die Interessenkonstellationen aller Beteiligtenanalysieren und Verhandlungspositionen empfehlen, sollte in Betracht ge-zogen werden.

Häufig sind nur begrenzte Informationen über die möglichen sozialen,ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen vorgeschlagener Han-delsabkommen und neuer Technologien auf unterschiedliche Gesellschafts-bereiche und Weltregionen verfügbar. Im Bereich des Handels sollten For-

Themen: Handel und Märkte 209

derungen nach einem besseren Zugang zu Informationen umgesetzt wer-den, damit die Zivilgesellschaft stärker an der Politikformulierung teilha-ben kann (Globaler Bericht). Analysen, die auf Länder mit verschiedenenEntwicklungsstadien und auf unterschiedlich gestaltete Landwirtschaftenund verschiedene Situationen von Haushalten zugeschnitten sind, bildenbessere Informationsgrundlagen für politische Entscheidungen im Sinneder Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele. Eines der Instrumente, mit de-nen sich Zielkonflikte von vorgeschlagenen Handelsabkommen besser ab-schätzen und bewerten lassen, ist die Strategische Folgenabschätzung und-bewertung (SIA).158 Das befördert bei den Verhandlungspartnern und ande-ren interessierten Beteiligten ein weitergehendes Verständnis der mögli-chen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Risiken und Vorteile, be-vor verbindliche Festlegungen erfolgen.

Mithilfe einer zwischenstaatlichen Rahmenvereinbarung zur Durchfüh-rung vergleichender Technikfolgenabschätzungen und -bewertungenkönnten politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern mehr In-formationen über neuentwickelte Technologien für die Landwirtschaft zurVerfügung gestellt werden, unter anderem auch über Nanotechnologien. Indiesem Kontext könnten dann unabhängige internationale, regionale odernationale Agenturen geschaffen werden, die bedeutsame neue Technolo-gien abschätzen und bewerten und damit ein Früherkennungs- und Früh-warnsystem bereitstellen. Ebenso könnte ein multilaterales Abkommen fürfrühzeitige vergleichende Technikfolgenabschätzung und -bewertung inBezug auf Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele ausgearbeitet werden.

158 Strategic Impact Assessment ist der Versuch, vor dem Treffen einer Entscheidung möglichstalle Folgen-Dimensionen zu erkennen und zu analysieren, soweit möglich auch quantitativ.Hauptanwendungsgebiet des SIA sind Umweltfolgen. Es gibt diesbezüglich keine einheitlicheTerminologie oder auch Methodik. Nicht selten wird synonym zu SIA EIA verwendet, das En-vironmental Impact Assessment oder SEA, das Strategic Environmental Assessment, vgl. Fischer,Thomas B. (2007): Theory & Practice of Strategic Environmental Assessment. Towards a MoreSystematic Approach, London, Earthscan und Gibson, Robert B. (2005): Sustainability Assess-ment. Criteria and Processes, London: Earthscan.

Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen

Autorinnen und Autoren: Satinder Bajaj (Indien), Fabrice Dreyfus (Frankreich),Tirso Gonzales (Peru), Janice Jiggins (Großbritannien)

Traditionelles und lokales Wissen stellt eine schier unermessliche Quellegesammelten praktischen Wissens dar, das Entscheidungsträger nicht igno-rieren können, wenn Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele erreicht wer-den sollen (ESAP, Zusammenfassung; Globaler Bericht, Zusammenfassung,Kap. 3, 7 und 8; NAE, Zusammenfassung; LAC, Kap. 1). Wir finden welt-weit zahlreiche Beispiele für effektive und langfristig sozial und umweltge-rechte Techniken in unterschiedlichsten Bereichen. Sie alle beruhen auf tra-ditionellem und lokalem AWWT. Dazu gehören – die Nutzung von Weber-Ameisen159 als biologischer Pflanzenschutz

in Zitrus- und Mangopflanzungen (Bhutan, Vietnam und seit kur-zem mit Unterstützung der Vereinigung für die Entwicklung des Reis-anbaus [WARDA] auch in Westafrika),

– Steinreihen und Pflanzfurchen zum Auffangen von Regenwasserund um die Bodenfeuchtigkeit zu erhalten (Savannengürtel Westafri-kas),

– unterirdische Wasserrinnen (Qanats) und ähnliche Techniken zurSpeicherung von Wasser und zur Bewässerung (Iran, Afghanistanund andere aride Gebiete) (CWANA, Kap. Zusammenfasung),

– Bewässerung aus Vorratsbehältnissen (Indien, Sri Lanka),

159 Weberameisen sind eine der vielen Spezies der Ameisen mit ganz erstaunlichen Fähigkei-ten, vgl. Hölldobler, Bert & Edward O.Wilson (1990): The Ants, Cambridge/MA: Harvard Uni-versity Press, S. 618 ff.

212 Synthesebericht

– viele Aspekte der Agroforstwirtschaft (allein 3 Millionen Hektaragroforstwirtschaftliche Gebiete für Kautschuk, Zimt und Dammar-harz160 in Indonesien) und

– diverse Initiativen zur Kultivierung und Züchtung indigener Baum-arten, die Früchte, Nüsse, Arzneien und andere Erzeugnisse für Haus-halte hervorbringen (Globaler Bericht, Kap. 3).

Viele Nutzungsformen von traditionellem und lokalem AWWT unterstüt-zen frei lebende Tiere, biologische Vielfalt und Kohlenstoff- und Methan-speicherung in Böden (Globaler Bericht, Kap. 2 und 3).

In zahlreichen Fällen stärkt und befähigt traditionelles und lokalesAWWT in Verbindung mit institutionellem AWWT und geeigneter Unter-stützung örtliche Gemeinschaften, sodass sie ihre traditionellen Kulturenund Ernährungsgewohnheiten beibehalten können und sich zugleich loka-le Nahrungsmittelsouveränität, Einkommen, Ernährungsvielfalt und -si-cherheit verbessern (Globaler Bericht, Kap. 3). Weil zahllose und vielfältigeInnovationen, die auf traditionellem und lokalem Wissen basieren, zumTeil kaum in Form von statistischen Datenreihen, die Entscheidungen zuForschungsgebieten und -prioritäten häufig zugrunde liegen, darzustellensind, werden diese in der Regel nicht beachtet, unterbewertet oder nicht indie Modellannahmen aufgenommen (ESAP, Zusammenfassung; GlobalerBericht, Kap. 2 und 3).

Auf traditionellem und lokalem Wissen beruhende Agrikulturen arbei-ten mit genetischem Material, das sich durch zufällige Mutationen, natürli-che oder kultivierende Selektion und gemeinschaftliche sorgfältige Pflegeentwickelt (Globaler Bericht, Kap. 2). Selbst auf kargen Böden und unterschwierigen topografischen Bedingungen wie in den Hochlagen der Andenist traditionelles und lokales Wissen die Grundlage für Pflege und Umgangmit genetischen Ressourcen, deren Gesamtheit heute als Ursprungszen-trum für genetische Vielfalt anerkannt ist. Standortgerechte und traditio-nelle Strategien für in situ-Erhaltung können sich als besonders wirksamfür Robustheit und Vielfalt von Saatgut, Wurzeln, Knollen und Tierartenüber Generationen hinweg erweisen (Globaler Bericht, Kap. 3). Diese Viel-falt wiederum eröffnet standortbezogene Möglichkeiten und Voraussetzun-

160 Dieses Harz kann für vielerlei Verwendungen gebraucht werden, zum Beispiel für Lackevon Musikinstrumenten.

Themen: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen 213

gen für Anpassungen, die auch im Blick auf den Klimawandel sehr wichtigsind (CWANA, Zusammenfassung; Globaler Bericht, Kap. 2 und 3).

Aus der Nutzung dieser Kapazitäten in Zusammenarbeit mit institutio-nellen Wissenschaften kann AWWT hervorgehen, das weit über bloß lokaleBedeutung hinausreicht (Globaler Bericht, Kap. 3). Es ist robuster Stand desWissens, dass die Wirksamkeit des so erarbeiteten AWWT für Entwick-lungs- und Nachhaltigkeitsziele vor allem von der Art der Zusammenar-beit bestimmt wird (Globaler Bericht, Kap. 2, 3 und 4).

Charakteristika und Natur traditionellen und lokalen Wissens

Tradit ionel les Wissen

(Globaler Bericht, Kap. 7). Die Konvention der Vereinten Nationen überBiologische Vielfalt (CBD) anerkennt traditionelles Wissen, Innovationenund Praktiken indigener und örtlicher Gemeinschaften mit ihren spezifi-schen traditionsgebundenen Lebensstilen als bedeutsam für Schutz undnachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt (Globaler Bericht, Kap. 2). Allge-meiner gesprochen kann man traditionelles Wissen als Interaktion zwischenden materiellen und immateriellen Welten verstehen, die in ortsgebundeneKulturen und soziale Identitäten eingebettet sind (LAC, Zusammenfas-sung).

Die andine Pachamama (Mutter Erde) etwa ist ein Mikrokosmos, ein Ab-bild des großen Kosmos. Sie ist beseelt, heilig, allumfassend, allem inne-wohnend, vielfältig, vielgesichtig und wohlgeordnet. Innerhalb der örtli-chen Pachamama gibt es die Ayllu (Gemeinschaften).161 Das Ayllu umfasstdrei Bestandteile: Menschen, Natur und Geister. Während des agrikulturel-len Jahreslaufs finden Interaktionen innerhalb des Ayllu in Form von Ritenund Zeremonien statt. Der Ort für Interaktionen der drei Bestandteile istdie Chacra, ein Hof mit der Fläche von 1 bis 2 Hektar. Harmonie ist nichtohne weiteres gegeben, sondern muss regelmäßig durch Dialog, Reziprozi-tät, Umverteilung und Freude unter den drei Gemeinschaften herbeige-führt werden. Fürsorge und Respekt sind wesentliche Grundsätze dieses

161 Der Begriff stammt aus den Sprachen Quechua und Aymara.

214 Synthesebericht

Austausches. Wissen, das von außerhalb kommt und eingebracht werdensoll, muss im Dialog mit den Mitgliedern des Ayllu und im Einklang mitentsprechenden Ritualen und Zeremonien, die diesen Dialog unterstützen,in die Chacra aufgenommen werden (siehe Abb. 9, S. 252).

Lokales Wissen

Dies ist eine funktionelle Beschreibung von Fähigkeiten und Fertigkeiten,durch die sich die Akteure ländlicher Gebiete auf der ganzen Welt, ein-schließlich der OECD-Länder, auszeichnen (Globaler Bericht, Kap. 2; LAC,Zusammenfassung). Die lokalen Akteure engagieren sich in der Regel fürAWWT, um entweder eine Anerkennung ihres Wissens und ihrer Fähigkei-ten zu selbst erarbeiteten Entwicklungen durch externe Organisationenund Akteure zu erreichen oder um von Beziehungen mit Organisationenund Akteuren Vorteile zu gewinnen, die auf kontext- und ortsbezogenesWissen angewiesen sind, um Aufgaben effizient und profitabel erfüllen zukönnen (Globaler Bericht, Kap. 2). Ein Beispiel für ersteres sind Kennzeich-nungen zur geographischen Herkunft; ein Beispiel für das letztere ist dieZusammenarbeit von kommerziellen Züchtern und Organisationen, etwain den Niederlanden, mit einheimischen Hobby-Kartoffelzüchtern beiZucht und Sortenwahl; die Bäuerinnen und Bauern handeln Verträge aus,die ihnen Anerkennung und gebührende Honorierung ihres geistigen Bei-trags an allen vermarkteten Sorten garantieren (Globaler Bericht, Kap. 2).

Dynamik tradit ionel len und lokalen Wissens

Traditionelles und lokales Wissen entwickelt sich gemeinsam mit seinenmateriellen und nicht materiellen Umgebungen. Alle inneren und äußerenKräfte und treibenden Faktoren, auch Wetter- und Klimaereignisse, die zueinem Verlust der materiellen Grundlagen traditioneller und lokaler Kultu-ren und Identitäten führen können, gefährden zugleich zwangsläufig tradi-tionelles und lokales Wissen (CWANA, Zusammenfassung; ESAP, Zusam-menfassung; Globaler Bericht, Kap. 3).

Themen: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen 215

Begegnungen und Konfl ikte zwischen Akteuren tradit ionellen und lokalen Wissens und anderen Akteuren

Begegnungen im Sinne von Nachhalt igkeit und Entwicklung

Es gibt einen reichhaltigen Stand des Wissens von Begegnungen zwischenWissensakteuren, die zur Erfüllung von Entwicklungs- und Nachhaltig-keitszielen beigetragen haben (ESAP, Kap. 2; Globaler Bericht, Kap. 2 bis 4;LAC, Zusammenfassung; NAE, Zusammenfassung, Kap. 1 und 4).

Partizipatorische und kooperative Methoden und Problemzugänge waren inBegegnungen zwischen Akteuren traditionellen und lokalen Wissens unddenjenigen institutioneller Ebenen von AWWT für beide vorteilhaft undwertvoll. So haben beispielsweise bäuerliche Forschungsgruppen in denAnden sich mit Mitarbeitenden des internationalen Kartoffel-Forschungs-instituts (CIP)162 zur Entwicklung und Prüfung von Maßnahmen und ge-eigneten Sorten zur Eindämmung der Kartoffelkrautfäule zusammengetan.Dadurch wurde nicht allein eine Produktivitätssteigerung erzielt, sondernes kamen auch Fragen der Generationengerechtigkeit und nachhaltigenUmgangs mit Böden zur Sprache. Kooperation von Wissensakteuren beiZüchtung, Kultivierung und Vermarktung unter anderem von wilden undhalbwilden Baumarten im Zuge partizipativer Pflanzenzüchtung (PPB)und bei wertschöpfender Verarbeitung schafft neue ökonomisch vorteilhaf-te Abläufe für den Vertrieb auf Nischen- wie auf Massenmärkten (GlobalerBericht, Kap. 2 bis 4). In einer Reihe von Ländern sind Initiativen ergriffenworden, in denen Menschen, die über traditionelles und lokales Wissenverfügen, als Lehrende an Schulen in ländlichen Räumen und Ausbilder insitu (zum Beispiel in Thailand) und Universitäten (zum Beispiel in Peru,Costa Rica) gearbeitet haben. Oder lokales AWWT wurde in Lehrpläne undExperimente von gemeindlichen Einrichtungen der Erwachsenen- respekti-ve beruflichen Bildung aufgenommen (zum Beispiel in Indien). Oder eswurden andere Möglichkeiten einer auf praxisnahen Untersuchungen ba-sierenden und auf Bäuerinnen und Bauern orientierten Ausbildung erwei-tert (Globaler Bericht, Kap. 2). Moderne Informations- und Kommunika-

162 Das CIP gehört auch zum CGIAR-Verbund, vgl. www.cipotato.org.

216 Synthesebericht

tionstechniken stellen viele Werkzeuge für Ausbau und Erweiterung derar-tiger Initiativen zur Verfügung (Globaler Bericht, Kap. 2).

Begegnungen nur unter Akteuren traditionellen Wissens können ebenfalls zuNachhaltigkeit und Entwicklung beitragen (Globaler Bericht, Kap. 3). EinBeispiel für solche fruchtbaren Begegnungen ist die Ausdehnung des Reis-anbaus in Brackwasserflächen an den Küstengebieten der beiden Guinea-Staaten in Westafrika. Migranten der Sussu trafen sich um 1920 mit Vertre-tern der einheimischen Balante in Guinea-Bissau, und später stellten Sussu(und die verwandten Baga) wiederum Migranten der Balante ein, um Reis-anbau in Guinea zu praktizieren, wo er inzwischen auch zum traditionellenWissen gehört (Globaler Bericht, Kap. 2).

Begegnungen, d ie Nachhaltigkeit und Entwicklung bedrohen

Unerquickliche Begegnungen ergaben sich meist, wenn AWWT für Zielegenutzt wurde, die von der örtlichen Bevölkerung nicht geteilt werden.Solche konflikthaften und negativen Begegnungen sind typischerweise inSituationen wie den nachfolgenden zu finden:

Kolonialistische Brüche und Konstellationen, die in einigen Teilen der Weltimmer noch starken Einfluss ausüben, wenn auch heute zumeist verdeckt.In manchen Fällen tragen sie zur Unterminierung der Bewirtschaftung vongemeinschaftlichem Besitz bei, was dazu führt, dass natürliche Ressourcenunkontrolliert genutzt und zerstört werden (Globaler Bericht, Kap. 4) oderLand, das dörflichen Gemeinschaften gehört, privatisiert wird (GlobalerBericht, Kap. 7).

Kapitalistische Akteure handeln auf Kosten der Multifunktionalität. Mecha-nismen, die zu größerer Verantwortung mächtiger kommerzieller Akteurefür Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele führen sollten, waren langerecht schwach ausgeprägt. In den letzten Jahrzehnten allerdings haben öf-fentliche Aufklärungskampagnen, Aktionen von Aktionären und bessereDokumentation und Veröffentlichung von schlechten Praktiken dazu ge-führt, dass ein gewisser Veränderungsdruck entstanden ist. Informations-und Kommunikationstechniken unterstützen solche Entwicklungen zwar,doch mittellose und weitgehend von gesellschaftlicher Teilhabe ausge-schlossene Bevölkerungsgruppen haben nur beschränkt Zugang zu derarti-gen Mitteln (Globaler Bericht, Kap. 2).

Themen: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen 217

Technische Entwicklungen, bei denen ohne Realitätstest eine Überlegenheit ex-ternen Wissens und externer Technologien unterstellt wird. Solche Abläufe zei-gen sich in Technologietransfer-Strukturen, die einseitig von der Wissen-schaft zum Berater und weiter zu Bäuerinnen und Bauern verläuft (ESAP,Kap. 2; Globaler Bericht, Kap. 3, 7 und 8). Forschungsagenturen und Uni-versitäten haben es versäumt, Kriterien und Verfahren für die Priorisierungund Evaluierung von Forschungen zu entwickeln, die über die üblichenPerformanzindikatoren163 hinausgehen und weitergehende Kriterien vonGerechtigkeit, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit umfassen, die vonVölkern und örtlichen Akteuren entwickelt wurden, denen ihre Traditio-nen wichtig sind (LAC, Kap. Zusammenfasung). In den Führungsstruk-turen und Entscheidungsabläufen von Forschungs- und Wissenschaftsein-richtungen haben in aller Regel Vertreter oder Gesandte solcher Völker,armer dörflicher Gemeinschaften oder von Frauen (LAC, Zusammenfas-sung) weder Platz noch Stimme; nur in Ausnahmefällen hatten sie ein Mit-spracherecht in Vorständen, Ausschüssen für Folgenabschätzung und-bewertung, Beiräten oder bei der Entwicklung von Zukunftsszenarienund -visionen. Ihre Einbeziehung erforderte sorgfältig geplante und dauer-hafte methodische Innovationen, institutionelle Veränderungen und denAufbau von entsprechenden institutionellen und personellen Kapazitäten(Globaler Bericht, Kap. 2).

Missbräuchliche Aneignung. In einigen Fällen haben externe Akteure bio-logische Materialien, die dörfliche und traditionell geprägte Gemeinschaf-ten gepflegt und entwickelt hatten, ohne direkte Kompensation genutzt,dabei größtenteils jedoch Wissen und Verständnis um die in situ-Entwick-lung der genetischen Ressourcen ignoriert. Die wichtige gemeinwohlorien-tierte Rolle von Genbanken, örtlichen Gemeinschaften traditionell verfüg-bares genetisches Material, das möglicherweise vor Ort verloren gegangenwar, wieder zur Verfügung zu stellen, ist durch eine Fixierung auf geistigeEigentumsrechte zunehmend eingeschränkt worden. Vereinbarungen zurÜberlassung genetischen Materials können – de facto oder auch de jure –ebenfalls dazu beitragen, dass mächtige öffentliche oder privatwirtschaftli-che Akteure einen privilegierten Zugang zu genetischen Ressourcen gewin-nen (Globaler Bericht, Kap. 2).

163 Das sind Publikationshäufigkeiten, Veröffentlichungen in referierten Journalen etc.

218 Synthesebericht

Unterdrückung lokalen Wissens, Weisheit und Identität. In den schlimmsten,aber keineswegs seltenen Fällen sind Unterrichtspläne bewusst dazu ge-nutzt worden, traditionelles und lokales Wissen und zugehörige Identitä-ten zu unterdrücken. Unangemessene Inhalte wie auch Strukturen von Ein-richtungen schulischer Bildung haben in einigen Fällen ohnedies bestehendeVorurteile gegen eine Teilnahme von Mitgliedern alteingesessener Bevölke-rungsgruppen oder von Mädchen und Frauen verstärkt (CWANA, Zusam-menfassung; LAC, Zusammenfassung).

Machtungleichgewichte in den Inst itutionen von AWWT

In den geschilderten Bewertungen der Kooperationen wie der Konfronta-tionen unterschiedlicher Wissensakteure hat sich gezeigt, dass ungleicheMachtverhältnisse viele Situationen und Abläufe mit Blick auf Nachhaltig-keits- und Entwicklungsziele erklären können. Die institutionelle Ebenevon AWWT, vor allem die CGIAR-Zentren (CWANA, Zusammenfassung;ESAP, Zusammenfassung; LAC, Zusammenfassung), haben den konventio-nellen Erzeugungspraktiken eine Vorzugsbehandlung in Forschung undEntwicklung zukommen lassen. Agrarökologische und traditionelle Erzeu-gungspraxis hingegen wurde nur randständig behandelt (CWANA, Zu-sammenfassung; Globaler Bericht, Kap. 3). Akteure aus den etablierten For-schungseinrichtungen haben die Fragen nach der Verantwortung für diegesundheitlichen, sozialen und ökologischen Kosten bestimmter Techni-ken – zum Beispiel von hoch toxischen Herbiziden und Pestiziden untertatsächlichen Verwendungsbedingungen (CWANA, Zusammenfassung;ESAP, Zusammenfassung) – nicht gestellt oder vernachlässigt. Diese Kos-ten sind jedoch zum allergrößten Teil auf lokaler Ebene und von denschwächsten Bevölkerungsgruppen getragen worden (Globaler Bericht,Kap. 2; NAE).

Eine Welt im Werden

Das, was als Globalisierung bezeichnet wird, eröffnet Handlungsmöglich-keiten, die von traditionell geprägten Bevölkerungsgruppen und dörflichenGemeinschaften begrüßt und aktiv wahrgenommen werden. Diese Prozessebringen aber auch neue Risiken, insbesondere für verletzliche und darauf

Themen: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen 219

nicht vorbereitete Bevölkerungsgruppen mit sich. Wechselseitige Missver-ständnisse durch Sprach- oder andere Hindernisse können Möglichkeitender Zusammenarbeit auch untergraben. Das gilt insbesondere dann, wennnicht persönliche Beziehungen entwickelt und gepflegt werden, sondernunpersönliche Bürokratien, Unternehmen oder Geschäftsinteressen im Vor-dergrund stehen.

Zu den Dauerproblemen, für die es bis jetzt keine tragfähigen Lösungengibt, gehören: – zunehmende Konkurrenzen um Grundwasser und ganze Flussläufe

zwischen ortsansässigen und fremden Nutzern (CWANA, Zusam-menfassung) ebenso wie

– ein Übergang von Land in fremde Hände und dadurch beschränkterZugang zu Habitaten, die Grundlage und Nährboden für die Wis-sensentwicklung traditioneller und dörflicher Gemeinschaften dar-gestellt haben (ESAP, Zusammenfassung; Globaler Bericht, Kap. 3).

Jahrelange Proteste indigener Völker, von Gemeinschaftsnetzwerken undAktionsgruppen in den 1990er Jahren haben immerhin dazu beigetragen,dass Grundsätze eines Vorteilsausgleichs bei Nutzung lokaler und traditio-neller Naturgüter im Rahmen internationaler Übereinkommen wie derUN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD) schriftlich fixiert wurden.Konkrete Festlegungen zur administrativen Durchsetzung der Grundsätzefehlen jedoch. Die Rechte von Gemeinschaften, Bäuerinnen und BauernSaatgut produzieren, tauschen und verkaufen zu können, wurden fort-schreitend eingeschränkt. Das UPOV-Übereinkommen von 1991164 erlaubtes nationalen Regierungen nur bedingt, solche Rechte anzuerkennen. Ein-flussreiche kommerzielle und Regierungsvertreter wollen sogar noch wei-tergehende Einschränkungen durchsetzen. Das Schneckentempo, in demnationale Sortenschutzgesetze die Arbeiten von bäuerlichen Vereinigungenund partizipatorischer Pflanzenzüchtung respektieren und wertschätzen,bringt weitere Probleme mit sich (Globaler Bericht, Kap. 2 bis 4).

164 UPOV ist der internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen, vgl. www.upov.int.

220 Synthesebericht

Herausforderungen

Inst i tut ional is ierung und Bestät igung von tradit ionel lem undlokalem Wissen

(Globaler Bericht, Kap. 7 und 8). Betroffene und interessierte Akteure in ei-ner Reihe von Ländern haben Strategien zur Institutionalisierung und Be-stätigung traditionellen und lokalen Wissens von der lokalen bis zur natio-nalen Ebene entwickelt. Damit wird ein ganzes Zielbündel verfolgt vonlangfristig umweltgerechter Modernisierung der Agrikultur über Nutzungder natürlichen Güter und Leistungen, soziale Gerechtigkeit bis zur Ver-mehrung des Wohlergehens und der Lebensgestaltungsmöglichkeiten(Globaler Bericht, Kap. 3; LAC, Zusammenfassung und Kap. 5). Gut funk-tionierende Beispiele hierfür sind die gram panchayat (Dorfräte) in Indien(ESAP, Zusammenfassung) und lokale Vereinigungen von Wassernutzern(Globaler Bericht, Kap. 3). Gegenwärtig entwickeln einige Länder (zumBeispiel Mali und Thailand) politische Regulierungen und Institutionen,die zwar mit allgemeinen Zielen einer marktorientierten nachhaltigen Ent-wicklung übereinstimmen aber gleichzeitig die Wichtigkeit traditionellerund lokaler AWWT-Kapazitäten anerkennen. Weitergehende und großräu-migere Anwendung solcher Rahmensetzungen und Regulierungen stößt al-lerdings anhaltend auf starken Widerstand (Globaler Bericht, Kap. 2).

Bi ldung und Erziehung

Weiter gefächerte Nutzung kooperativer Ansätze für AWWT erfordert: – zusätzliche Investitionen in die Ausbildung von Technikern und

Wissenschaftlern, um das Verständnis lokaler und indigener Men-schen und Gemeinschaften sowie Fähigkeiten für eine Zusammenar-beit mit diesen zu stärken;

– Unterstützung bei der Erarbeitung von Unterrichtsplänen, die An-bauerfahrungen und unterschiedliche Wissensformen wertschätzenund einsetzen, wobei die Bildungs- und Erziehungsangebote sich anden Bedürfnissen der Gemeinschaften ausrichten;

– Zugang von Bäuerinnen und Bauern zu institutionellen Ausbildun-gen,um ihnen Anschluss an agrarökologische Innovationen zu er-

Themen: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen 221

möglichen (CWANA, Zusammenfassung; ESAP, Kap. 4; Globaler Be-richt, Kap. 2; LAC, Zusammenfassung).

Wer tschätzung der tradit ionellen und lokalen Ebene von AWWT

(Globaler Bericht, Kap. 7; NAE, Zusammenfassung und Kap. 1). Zertifizie-rungen und ähnliche Instrumente, die eine Beziehung von Verbrauchernund Erzeugern zu traditionellen und lokalen Eigenheiten und Weltan-schauungen vermitteln sollen, sind eingeführt worden, um auch auf Märk-ten traditionelles und lokales Wissen sowie traditionelle und lokale Lebens-mittel wertzuschätzen (ESAP, Zusammenfassung; Globaler Bericht, Kap. 3und 4). Einige der heute erhältlichen zertifizierten Lebensmittel enthaltenauch Elemente von Werten wie Lebensqualität, die für traditionelle Erzeugerund örtliche Gemeinschaften von Bedeutung sind (Globaler Bericht,Kap. 3). Immer mehr kommerzielle Akteure aus Landwirtschafts-, Lebens-mittel- und agrarchemischer Industrie zeigen ebenfalls Engagement fürnachhaltige Erzeugung und Vermarktung durch Betriebszulassungen, un-abhängige Überprüfungen und Maßnahmen zur Rückverfolgbarkeit (Glo-baler Bericht, Kap. 2 und 3; LAC, Zusammenfassung).

Themen von Gesetzgebung , Regulierung und Rechten

Wenngleich noch nicht auf allen politischen Ebenen akzeptiert, so wirddoch allgemein anerkannt, dass Innovationen zur Sicherung der Rechtevon Bäuerinnen und Bauern, traditionellen Gemeinschaften und Bürgerin-nen und Bürgern an genetischen Ressourcen, Lebensmitteln, natürlichenGütern und Leistungen, Land und Landschaften unabdingbar sind, um so-wohl Entwicklungs- wie Nachhaltigkeitsziele zu erreichen (ESAP, Kap. 3;Globaler Bericht, Kap. 3 und 7). Einige Länder (zum Beispiel Mali), indige-ne Völker (zum Beispiel die Awajun in Peru) und lokale Verwaltungen(zum Beispiel verschiedene Kommunen auf den Philippinen) habenGrundsätze der Ernährungssouveränität und normative politische Rah-menbedingungen und Regulierungen eingeführt, die ihre eigenen Bedürf-nisse und Umstände in den Mittelpunkt stellen und sich von den dominie-renden globalen Marktarrangements abgrenzen (Globaler Bericht, Kap. 2;LAC, Zusammenfassung).

222 Synthesebericht

Handlungsmöglichkeiten

Wir haben vier Schlüsselfelder für Handlungsmöglichkeiten gefunden:

1. Bestätigung und Anerkennung von traditionellem und lokalem Wissen (NAE, Zusammenfassung und Kap. 4) durch Investitionen inwissenschaftsgestützten, lokalen und traditionellen Schutz sowieEntwicklung und Nutzung einheimischer, traditioneller Pflanzen,Tiere und weiterer nützlicher biologischer Materialien. Dazukönnen fortgeschrittene Techniken ebenso wie gut durchdachtepartizipatorische und kooperative Ansätze genutzt werden.

(Globaler Bericht, Kap. 8). Spezielle Investitionen sollten dem Ausbau derfachlich-personellen und organisatorischen Kapazitäten auf allen Ebenenvon Forschung und Entwicklung zugunsten und unter Einbeziehung loka-ler und traditioneller Bevölkerungen und ihrer Organisationen zugutekom-men (ESAP, Zusammenfassung; LAC, Zusammenfassung; NAE, Zusam-menfassung).

Ebenso sollten Foren für AWWT mit breitestmöglicher Beteiligung aufallen Ebenen unterstützt werden mit dem Ziel, ein gemeinsames Verständ-nis und eine gemeinschaftliche Vision trotz divergierender Interessenlagenzu erarbeiten (Globaler Bericht, Kap. 7; LAC, Zusammenfassung; NAE, Zu-sammenfassung). Zu den Handlungsmöglichkeiten in diesem Zusammen-hang gehören auch Dokumentation und „Archivierung“ von Wissens-erzeugnissen,165 Methoden und Techniken zur Erarbeitung von Wissen inlokalen und traditionellen Bevölkerungen. Das kann in institutionellenWissensarchiven oder -datenbanken ebenso wie in gemeinschaftlich ver-walteten „Katalogen“ von Praktiken, Anlagen, Entwürfen und alten pflanz-lichen und tierischen genetischen Materialien passieren. Ebenso muss in einezielführende Unterstützung von in situ- wie ex situ-Erhaltung genetischerRessourcen von Pflanzen, Fischen, Bäumen und Tieren investiert werden(LAC, Zusammenfassung).

165 Es muss sich nicht unbedingt um für europäische Verhältnisse übliche Archive handeln.

Themen: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen 223

2. In Bildung und Erziehung sollten agrarökologische und integrierteAnsätze von der Grundschule bis zu den Hochschulen und in derForschung viel wichtiger genommen werden.

(Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Zusammenfassung und Kap. 4). Breiteressozialwissenschaftliches Wissen sollte gefördert werden, um kreative undkonstruktive Lösungen für die Machtungleichgewichte bezüglich AWWTzu entwickeln. Wichtig ist das Zustandebringen von effektiven Begegnun-gen zwischen Wissensakteuren und Wissensorganisationen (Globaler Be-richt, Kap. 2). Die Mitarbeit lokaler und traditioneller Ausbilder sollte inden Unterrichtsplänen viel stärker vorgesehen werden. Erziehungs- undBildungsangebote sollten ausgebaut und gestärkt werden. Investitionensind erforderlich in berufliche Bildung und in auf Bäuerinnen und Bauernzugeschnittene Lernangebote, die zugleich traditionellen und indigenenVölkern zugänglich und für deren Bedürfnisse relevant sind. Wir solltenInformationsnetzwerke und Informations- und Kommunikationstechnolo-gien auch für traditionelle und lokale Wissensakteure verfügbar machen(Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Zusammenfassung und Kap. 4). Alle hieraufgeführten Maßnahmen und Handlungsmöglichkeiten müssen in deut-lich größeren Regionen zum Tragen kommen.

3. Innovationen von Einrichtungen wie dem fairen Handel, geogra-phischen Herkunftsbezeichnungen oder kurzen Wertschöpfungs-ketten zwischen Erzeugern und Endverbrauchern sollten fortge-führt werden.

(ESAP, Kap. 3; Globaler Bericht, Kap. 3; NAE, Zusammenfassung). DieWertschätzung traditionellen und lokalen Wissens ist jede Unterstützungwert. Wir benötigen kulturell angemessene Abschätzungs- und Bewer-tungsverfahren für den Einfluss traditioneller und lokaler Ebene vonAWWT auf die Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen(Globaler Bericht, Kap. 6). Die Bemühungen zur Schaffung von Möglichkei-ten vor Ort zur Kultivierung und Züchtung wilder und halbwilder Artensollten ausgeweitet werden (Globaler Bericht, Kap. 3). Ebenso wichtig sindUnterstützung und Hilfe bei Schutz und Entwicklung lokaler und traditio-neller Heilpflanzen, Heilmethoden und Gesundheitsfürsorge (ESAP,Kap. 3). Zertifizierungen, Regulierungen und Vermarktungspläne, die den

224 Synthesebericht

Kriterien und Normen traditioneller und lokaler Bevölkerungen Rechnungtragen – all diese aufgeführten Handlungsmöglichkeiten machen aufMarktplätzen, in Gesellschaften und verschiedenen politischen Sphärenden Wert lokalen und traditionellen Wissens und Könnens kenntlich.

4. Institutionen, Gesetzgebung und Regulierungen bieten wesentlicheHandlungsmöglichkeiten.

– Dezentralisierung und Stärkung lokaler Autonomie bei Dienstleis-tungen, Unterstützung gemeinschaftlicher Entwicklungsvorhabendurch Kommunalverwaltungen (Globaler Bericht, Kap. 7);

– Investitionen in Forschungen, die Methoden- und Verfahrensent-würfe zu einer vernetzten und integrierten Entscheidungsfindungzu AWWT in unterschiedlichen geographischen Größenordnungenfördern (Globaler Bericht, Kap. 8; NAE, Zusammenfassung, Kap. 3und 4);

– Umsetzung der Gemeinsamen Erklärungen indigener Völker von 1999und 2007;166

– regionale Vernetzung von Gemeinschaften und Bewegungen tradi-tioneller Völker zum Umgang mit Pestiziden und Herbiziden (Glo-baler Bericht, Kap. 2);

– Förderung gemeinsamer Verantwortung für Ergebnisse von AWWTund Schaffung schlagkräftiger und wirksamerer Umsetzungsmecha-nismen;

– Entwicklung von Maßnahmen und Verfahren nach dem Vorbild derjeweils besten Praxis mit dem Ziel, traditionelle und lokale Bevölke-rungen in Forschungsprioritätenbildung, Technikfolgenabschätzungund -bewertung und Evaluationen einzubeziehen (Globaler Bericht,Kap. 3);

– Ausarbeitung von Konzepten, Regeln und Verfahren zu geistigen Ei-gentumsrechten, die mit Entwicklungszielen wie mit Rechten lokalerund traditioneller Bevölkerungen im Einklang stehen (ESAP, Zusam-menfassung; Globaler Bericht, Kap. 3 und 7; NAE, Zusammenfas-sung);

166 Diese wurde am 13. September 2007 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen ver-abschiedet, vgl. www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/DRIPS_en.pdf.

Themen: Lokales und traditionelles Wissen sowie gemeinschaftliche Innovationen 225

– institutionelle Innovationen auf politischer Ebene zur Umsetzungder Konvention über biologische Vielfalt (CBD). Die UNESCO könn-te hier im Rahmen ihrer Tätigkeiten zu Erhalt und Förderung kultu-reller Vielfalt eine Rolle spielen.167

– Etablierung von Abkommen über Zugangsrechte und Vorteilsaus-gleich (Globaler Bericht, Kap. 3) sowie anderer Regelungen zumSchutz der Rechte von Bäuerinnen und Bauern (Globaler Bericht,Kap. 7) und stärkere Abstimmung zwischen solchen Initiativen.

167 Vgl. http://portal.unesco.org.

Frauen in der Weltlandwirtschaft

Autorinnen: Alia Gana (Tunesien), Thora Martina Herrmann (Deutschland), Sophia Huyer (Kanada)

Gender, die gesellschaftlich konstruierten Beziehungen zwischen Männernund Frauen, ist ein strukturelles Element der landwirtschaftlichen Systemeweltweit und auch ein bestimmender Faktor bei Umstrukturierungen inlandwirtschaftlichen Sektoren. Aktuelle Veränderungen durch Liberalisie-rung von Agrarmärkten und Umgestaltung der Arbeitsabläufe in der Land-wirtschaft und die wachsende Bedeutung von Umwelt- und Nachhaltig-keitsproblemen tragen dazu bei, dass auch die Beziehungen der Geschlechteruntereinander und das Verhältnis zu menschlicher, wirtschaftlicher und so-zialer Entwicklung neu definiert werden. Frauen spielen weltweit nach wievor die entscheidende Rolle in bäuerlichen Familienbetrieben. Darüber hin-aus stellen sie einen immer größeren Teil der landwirtschaftlichen Lohnar-beitskräfte.

Seit der ersten Welt-Frauenkonferenz der Vereinten Nationen (1975) ha-ben Entscheidungsträger zunehmend die Notwendigkeit von Politik er-kannt, geschlechtsspezifischen Fragen als festem Bestandteil aller Entwick-lungsprozesse mehr Bedeutung beizumessen. Auch wenn Fortschritte beider Öffnung von Bildung, Erziehung und Beschäftigung für Frauen erzieltworden sind, müssen wir erkennen, dass weltweit die meisten Frauen inländlichen Räumen nach wie vor:– miserablen Gesundheits- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, – nur beschränkten Zugang zu Erziehung und Bildung haben, – kaum Kontrolle über die natürlichen Güter und Leistungen ausüben,– kaum rechtlich verbrieften Besitz an Grund und Boden, Technolo-

gien oder Kredite erwerben können, – ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse und niedriges Einkommen

ertragen müssen.

228 Synthesebericht

Diese Situation ist auf vielfältige Ursachen zurückzuführen, unter anderemauf wachsenden Bedarf an flexiblen und billigen landwirtschaftlichen Ar-beitskräften, zunehmenden Druck auf und Konflikte über natürliche Res-sourcen und Umverteilungen ökonomischer Ressourcen zugunsten groß-volumiger Agrarunternehmen. Zu weiteren Ursachen gehören zunehmendeGefährdungen durch Naturkatastrophen und Umweltveränderungen,schlechterer Zugang zu Wasser und wachsende gesundheitliche Gefahrenund Risiken bei der Arbeit. Weil diese Verhältnisse fortdauern, sind drin-gend Maßnahmen im Sinne von Geschlechter- und sozialer Gerechtigkeitauch bei Politik und Praxis von AWWT geboten.

Veränderungen der Rol le von Frauen bei Landarbeitenund Umgang mit natürl ichen Ressourcen

Der Anteil der Frauen in landwirtschaftlicher Erzeugung und Verarbeitungnach der Ernte reicht von 20 % bis 70 %. Die Arbeitsleistungen von Frauenwachsen in vielen nicht industrialisierten Ländern. Dabei gibt es Unter-schiede und Veränderungen in der Art ihrer Einbindung und ihres Status.Die Rollen von Frauen in der Landwirtschaft variieren tatsächlich stark jenach Wirtschaftsweise des bäuerlichen Betriebes, Rechtssystem, kulturellenNormen und Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des landwirtschaftli-chen Betriebes. Im Kontext lokaler wie globaler sozioökonomischer Verän-derungen werden sie in wesentlichen Punkten neu gestaltet.

In Industrieländern war es lange Zeit üblich, dass Ehefrauen oder Part-nerinnen im landwirtschaftlichen Betrieb mithalfen oder eine Beschäfti-gung außerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes annahmen. In jüngererZeit hat die Arbeit von Frauen teilweise professionellen Charakter ange-nommen, indem sie auch formal in Leitung und Organisation des Betriebseingebunden sind und deshalb Renten- und andere Leistungsansprücheaus beruflicher Tätigkeit erwerben. Die Diversifizierung landwirtschaftli-cher Erzeugung und die Tatsache, dass immer mehr Menschen über Hoch-schulabschlüsse verfügen, haben ebenfalls dazu beigetragen, dass Frauenneue wirtschaftliche Aktivitäten als selbständige Unternehmerinnen (Di-rektverkauf, Ferien auf dem Bauernhof usw.) aufgenommen haben. In den

Themen: Frauen in der Weltlandwirtschaft 229

sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas wurden formal Unterschie-de zwischen den Geschlechtern in der Landwirtschaft eingeebnet. Die wirt-schaftliche Liberalisierung nach 1989 hat diese Gleichberechtigung wiederin Frage gestellt. Privatisierungen staatlicher und genossenschaftlicher Be-triebe bedeuteten tatsächlich nämlich den Verlust der beruflichen Arbeitfür sehr viele Frauen. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union konntenLänder wie zum Beispiel Polen von Unterstützungen und Ausbildungspro-grammen der EU profitieren, die auch neue Tätigkeiten für Frauen imländlichen Raum vorsehen, zum Beispiel Verarbeitung von Erzeugnissenauf dem Hof, Direktverkauf oder Agrartourismus.

In bestimmten Industrieländern wie Spanien oder Frankreich und invielen nicht industrialisierten Regionen trägt die Herausbildung großer ex-portorientierter Agrarunternehmen dazu bei, dass die Zahl der Arbeiterin-nen zunimmt, auch von Wanderarbeiterinnen, zum Beispiel im Garten-oder Blumenanbau. Diese Feminisierung landwirtschaftlicher Lohnarbeithängt in einigen Regionen direkt mit dem Auftreten solch großer, export-orientierter Agrarunternehmen und einer von daher wachsenden Nachfra-ge nach billigen Arbeitskräften zusammen. In den nicht industrialisiertenLändern zeigt dieser Prozess darüber hinaus eine Verarmung kleinbäuerli-cher Betriebe an, die dazu führt, dass männliche Familienmitglieder Arbeitin städtischen Zentren suchen. Er hängt auch damit zusammen, dass Frauenweniger Zugang zu Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalbder Landwirtschaft haben (CWANA, Kap. 2; ESAP, Kap. 1; Globaler Be-richt, Kap. 3).

In einigen Ländern wie Tunesien oder Marokko haben Fortschritte beiBildung und Ausbildung dazu geführt, dass mehr Frauen einen Hoch-schulabschluss in Agrarwissenschaften machen und dann Unternehmerinbeziehungsweise Managerin in der Landwirtschaft werden konnten. DerAnteil der Agrarunternehmerinnen ist gleichwohl in den meisten nicht in-dustrialisierten Ländern nach wie vor sehr gering (6 % in Tunesien), unddie Arbeit der Frauen erfolgt weiterhin auf der Basis ihres Status als Fami-lienmitglied, wobei kaum zwischen häuslichen und Erzeugungsarbeitenunterschieden wird.

Zusätzlich zu Hausarbeit und Kinderbetreuung und -erziehung sindFrauen und Mädchen in der Regel dafür zuständig, Wasser zu holen undFeuerholz zu sammeln. Frauen und Mädchen übernehmen regelmäßig

230 Synthesebericht

Aufgaben wie Pflanzen, Umpflanzen, Jäten von Unkraut, Pflücken vonObst und Gemüse, Aufzucht von Kleintieren und Tätigkeiten nach der Ern-te wie Dreschen, Auswahl und Vorratshaltung von Saatgut. MechanisierteArbeiten hingegen wie Bodenvorbereitung, Bewässerung, maschinelle Ern-te und Vermarktung werden üblicherweise von Männern übernommen.Diese Art der Arbeitsteilung kann dazu beitragen, dass die körperliche undzeitliche Belastung von Frauen und Mädchen zunimmt, Mädchen nicht zurSchule gehen können und dadurch die Entfaltung ihrer produktiven Fähig-keiten unterhalb ihrer Möglichkeiten bleibt.

Infolge der Auswanderung der Männer und der Entwicklung arbeitsin-tensiver Bewirtschaftungssysteme hat die Arbeitsteilung unter den Geschlech-tern im landwirtschaftlichen Bereich wichtige Veränderungen erfahren und wirdtendenziell flexibler gehandhabt. In einigen afrikanischen Ländern südlichder Sahara übernehmen Frauen nun Arbeiten, die zuvor ausschließlichMännern vorbehalten waren, beispielsweise Bodenvorbereitung, Pflanzen-schutz und Verkauf. Dies wiederum erfordert zusätzliche Qualifikationenvon Frauen und Mädchen, bringt für diese allerdings auch neue Risikenmit sich, zum Beispiel Gesundheitsrisiken durch unkontrollierten Ge-brauch von Chemikalien, insbesondere von Pestiziden.

Abwanderung in städtische Zentren und Auswanderung von Männernund jungen Menschen (darunter in einigen Fällen auch jungen Frauen), ins-besondere in den Regionen CWANA, ESAP, LAC und SSA, hat dazu ge-führt, dass die Zahl der Haushalte unter weiblicher Führung zugenommen hatund das Durchschnittsalter der ländlichen Bevölkerung gestiegen, die Zahlder ländlichen Arbeitskräfte hingegen erheblich gesunken ist. In einigenFällen beeinträchtigt dies landwirtschaftliche Erzeugung, Ernährungssi-cherheit und Bereitstellung von Dienstleistungen (Globaler Bericht, Kap. 3).Bei Entscheidungsbefugnissen hat sich die Stellung der Frauen in manchenFällen aufgrund der Auswanderung der Männer verbessert: Frauen verwal-ten Haushaltseinkommen und sind mobiler, da sie manchmal zum Marktgehen, um Erzeugnisse zu verkaufen, wenn sie sich auch nach wie vor beiwichtigen Entscheidungen, etwa dem Verkauf eines großen Tieres (Kuh,Kalb), bei männlichen Verwandten rückversichern (CWANA, Kap. 2; Glo-baler Bericht, Kap. 6). In Asien sowie den Regionen SSA und LAC kommtes verstärkt zur Migration von Frauen sowohl innerhalb der Länder als

Themen: Frauen in der Weltlandwirtschaft 231

auch in andere Länder auf der Suche nach Lebensunterhalt, um der Armutzu entkommen (ESAP, Kap. 1).

Schranken, Herausforderungen und Möglichkeiten

Der Zugang von Frauen zu fruchtbarem Land und Landbesitz ist nach wie vordurch gesetzliche (zum Beispiel Simbabwe, Jemen) und soziokulturelleFaktoren eingeschränkt. In Burundi etwa ist das Recht der Frauen aufLandbesitz zwar gesetzlich festgeschrieben, aufgrund gängiger Praxis kön-nen Frauen landwirtschaftliche Nutzflächen und andere Naturgüter abernur beschränkt kaufen oder erben (CWANA, Kap. 1; SSA, Kap 2). Agrarre-formen sehen in der Regel für Männer den Grundbesitz vor, insbesonderein den Regionen CWANA und LAC (CWANA, Kap. 2; LAC, Kap. 5). In denmeisten patriarchalischen Gesellschaften verlieren Frauen bei Scheidungoder Tod des Ehemannes automatisch ihre Rechte am Land (SSA, Kap. 2).In Nordafrika schreibt das Erbrecht Frauen nur die Hälfte des Landbesitzes zu,der Männern zusteht. Oft treten Frauen ihre Landbesitzrechte an ihre Brü-der ab. Wenn sie nicht über Land verfügen können und ihre Landbesitz-rechte begrenzt sind, so hat das häufig zur Folge, dass Frauen nur einge-schränkten Zugang zu Darlehen und sozialen Sicherheitssystemen haben,Autonomie und Entscheidungsmöglichkeiten eingeschränkt sind und letzt-lich sogar die Ernährungssicherheit eingeschränkt ist. Einige wenige Län-der (zum Beispiel Republik Südafrika und Kenia) haben die individuellenLandbesitzrechte von Frauen inzwischen anerkannt (Globaler Bericht, Kap. 5;SSA, Kap. 2). Dieses Thema ist besonders drängend, weil Märkte nur jene be-lohnen, die über Produktionsfaktoren verfügen. Eine verstärkte Öffnung zumMarkt wird Männern und Frauen erst dann gleichermaßen nutzen, wenn dieinstitutionellen, rechtlichen und normativen Hindernisse für Frauen in geeig-neter Weise und wirksam beseitigt worden sind (siehe Abb. 10, S. 253).

Unzureichende ländliche Infrastrukturen wie fehlender Zugang zu saube-rem Wasser, Elektrizität oder Brennstoffen führen dazu, dass Frauen größe-re Arbeitslasten tragen müssen und ihre Möglichkeiten zu beruflicher Aus-bildung, Kinderbetreuung oder Einkommensbeschaffung eingeschränktwerden. Fehlende Vorratsmöglichkeiten und Straßen tragen zu hohen Le-

232 Synthesebericht

bensmittelpreisen und niedrigen Erzeugerpreisen bei. Liberalisierung undPrivatisierung in den Bereichen Wirtschaft und Handel haben zur Folge, dassviele Vermarktungsdienste, die Bäuerinnen und Bauern zuvor zur Verfü-gung standen, abgeschafft wurden. Darunter haben insbesondere die Bäue-rinnen zu leiden. Rückläufige Investitionen in ländliche Infrastrukturenwie Straßen, die ländliche Räume mit Märkten verbinden, und beschränk-ter Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien wirkensich negativ auf die Marktteilhabemöglichkeiten von Frauen aus. FehlenderZugang zu Mitgliedschaften in Vertriebsorganisationen schränkt Frauen inihren Absatzmöglichkeiten ein.

In der Landwirtschaft arbeitende Frauen und Mädchen haben insbeson-dere in den nicht industrialisierten Ländern in der Regel weniger Bildungs-und Informationsmöglichkeiten als Männer, beziehungsweise. Möglichkeiten,sich im Gebrauch neuer Technologien kundig zu machen. Dies wiederumhat zur Folge, dass sie weniger in der Lage sind, informierte Entscheidun-gen zur Auswahl von Nutzpflanzen zum Anbau, zur Lebensmittelerzeu-gung oder zur Vermarktung zu treffen. Ungeachtet der Tatsache, dass dieZahl der Frauen, die weltweit eine Karriere in den biologischen Wissen-schaften anstreben, gestiegen ist, sind Forscherinnen in Agrarwissenschaf-ten wie überhaupt in leitenden wissenschaftlichen Positionen nach wie vorunterrepräsentiert. Lediglich 15 % der landwirtschaftlichen Beratungs-kräfte des öffentlichen Dienstes sind Frauen (Globaler Bericht, Kap. 3). DerZugang von Frauen zu Beratungstätigkeiten wird durch fehlende Möglich-keiten der Mitgliedschaft in entsprechenden Organisationen, die häufig Aus-bildungsmaßnahmen zuteilen oder durchführen, ebenso wie durch gleich-stellungsblinde Agrarpolitik eingeschränkt, die Bedürfnisse von Bäuerinnennach Nutzpflanzenmaterial und Techniken nicht angemessen berücksichtigen.In Unterrichtsplänen und Ausbildung von Beratern ist die Analyse von Ge-schlechterrollen und unterschiedlichen Belangen häufig nicht vorgesehen,also sind Frauen nach wie vor von Ausbildung ausgeschlossen und könnendie Vorteile von Beratungsleistungen nicht nutzen (siehe Abb. 11, S. 254).

Obwohl Frauen in den meisten Ländern weniger Zugang zu Informa-tions- und Kommunikationstechnologien haben, gibt es zunehmend Beispieledafür, dass Frauen diese Technologien nutzen, um Einkommen zu erwirt-schaften (zum Beispiel durch Verkauf von Telefonzeiten in Bangladesch),Informationen abzurufen, mit Verwaltungen zu kommunizieren und ihre

Themen: Frauen in der Weltlandwirtschaft 233

Meinung zu Gehör zu bringen. In Indien nutzen Frauen Video- und Rund-funkgeräte zur Aufzeichnung der Botschaften, die andere Mitglieder ihrerGemeinschaften hören sollen (zum Beispiel in der Deccan Development So-ciety). Das Projekt Farmwise in Malawi nutzt Computer-Datenbanken mitInternetzugang und E-Mail, um Bäuerinnen dabei zu unterstützen, heraus-zufinden, welche Ernte sie erwarten können, welche Nutzpflanzen sie aufihrem Bodentyp anbauen können und welche Dünger oder Pflanzen-schutzmittel sie verwenden sollten (Globaler Bericht, Kap. 6).

Zugang zu Informationen entscheidet auch über Möglichkeiten vonBäuerinnen und Bauern zur Einflussnahme in ihren dörflichen Gemein-schaften sowie zur Teilnahme an Entscheidungsprozessen zu AWWT. Der An-teil von Frauen in Entscheidungsprozessen zu AWWT ist auf allen Ebenennach wie vor gering. Zum Beispiel haben Frauen in Benin nur 2,5 % der hö-heren Entscheidungspositionen in der Regierung inne (Globaler Bericht,Kap. 1 und 2). Der Zugang von Bäuerinnen zu Mitgliedschaften und Füh-rungspositionen in ländlichen Organisationen wie Genossenschaften, Er-zeugerorganisationen oder Bauernvereinigungen wird häufig durch Gesetzoder Tradition eingeschränkt, was wiederum den Zugang zu Produktions-mitteln, Krediten, Informationen und Ausbildungen wie auch Möglichkei-ten, ihre Meinungen Politikern oder Planern mitzuteilen, beschränkt. Diewachsende Zahl von Selbsthilfegruppen von Frauen bzw. von Frauengrup-pen, die Mikrokredite aufnehmen (zum Beispiel in Indien), hat dazu ge-führt, dass Frauen in einem gewissen Maß einen dauerhaften Beitrag zumFamilieneinkommen leisten und somit weniger abhängig von den männli-chen Verdienern sind (ESAP, Kap. 5).

Obwohl es zunehmend nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten und Studienzu landwirtschaftlicher Erzeugung und Ernährungssicherheit gibt, existierennach wie vor keine ausreichenden Daten oder fundierte wissenschaftlicheUntersuchungen über die von Frauen angewandten Praktiken und derenspezifische Bedürfnisse. Indirekte Wirkungen von AWWT für Eigentums-verhältnisse, Beschäftigung im landwirtschaftlichen Sektor und außerhalb,soziale Verletzlichkeit, Geschlechterrollen, Arbeitsbedingungen und Ar-beitskräftenachfrage, Lebensmittelpreise, ausgewogene Ernährung undMöglichkeiten für gemeinschaftliche Aktionen sind weniger eingehend er-forscht worden als finanzielle und wirtschaftliche Folgewirkungen. ErstFolgeabschätzungen und -bewertungen aus jüngerer Zeit haben mittels

234 Synthesebericht

partizipatorischer Methoden diese Fragen umfassender behandelt (Globa-ler Bericht, Kap. 3).

Auch die Agrarforschungspolitik hat primär die intensive Landwirt-schaft und Marktfrüchte für den Export im Blick und berücksichtigt kaumNahrungspflanzen für den einheimischen Bedarf, die aber für Ernährungs-sicherheit der Familien und Umweltschutz von wesentlicher Bedeutungsind (Globaler Bericht, Kap. 2). Kleinbäuerlichen Betrieben, insbesonderesolchen von Frauen, kommt eine Schlüsselrolle bei nachhaltigen Anbaume-thoden auf der Basis traditionellen Wissens und traditioneller Praktiken zu.Frauen verfügen oft in ihren Rollen als Familienfürsorgerinnen, Pflanzen-sammlerinnen, Gärtnerinnen, Kräuterspezialistinnen, Saatgut-Pflegerinnenund inoffizielle Pflanzenzüchterinnen über Wissen von Wert und Nutzunglokaler Pflanzen- und Tiersorten für Ernährung, Gesundheit und Fami-lieneinkommen (Globaler Bericht, Kap. 2). Frauen experimentieren zudemhäufig mit einheimischen Sorten, passen sie an die örtlichen Bedingungenan und sind so Expertinnen für genetische Pflanzenressourcen (SSA,Kap. 2).

Klimawandel. Überschwemmungen, Dürren, Verschiebungen von Wachs-tums- und Erntezeiten und temperaturbedingte Ernteverluste können Er-zeugung und Beschaffung von Nahrungsmitteln deutlich erschweren – Ar-beiten, die oft von Frauen durchgeführt werden. Häufig sind Frauen durchVerlust von Saatgut, Tieren, Werkzeugen und ertragreichen Gärten nurnoch begrenzt in der Lage, den Unterhalt ihrer Familien zu sichern (ESAP,Kap. 4). Häufiger auftretende extreme Wettereignisse wie Überschwem-mungen und Wirbelstürme, insbesondere in der Region ESAP, haben zurFolge, dass die Belastung für Frauen, die Folgen von Katastrophen undZerstörungen zu bewältigen, weiter zunimmt.

Frauen sind in Entscheidungsprozessen wie -gremien des öffentlichenwie des privatwirtschaftlichen Bereichs in Bezug auf Klimawandel, THG-Emissionen und Anpassungsmaßnahmen deutlich unterrepräsentiert. Be-grenzter Zugang zu Ausbildungen, Erziehung, Bildung und Technologienwirkt sich negativ auf ihre Fähigkeiten aus, die Folgen klimatisch bedingterProbleme zu bewältigen.

Frauen in gebährfähigem Alter und Kinder leiden am stärksten unterden Folgen zunehmender Infektionskrankheiten wie der Malaria. Die sich oh-nehin verschlechternde gesundheitliche Konstitution wird durch eine hohe

Themen: Frauen in der Weltlandwirtschaft 235

Unterernährungsrate bei Kindern insbesondere in Regionen wie SSA, in de-nen es immer wieder zu Dürren, Kriegen und Konflikten kommt, zusätz-lich geschwächt. Innerhalb der Familien werden Männer bei der Verteilungvon Lebensmitteln häufig bevorzugt, was bei Frauen und Kindern zur Un-terversorgung mit Mikronährstoffen führen und die geistige Entwicklungkleiner Kinder und das Wachstum beeinträchtigen sowie die Kinder- unddie Müttersterblichkeit während der Geburt erhöhen kann (Globaler Be-richt, Kap. 3). Mangelernährung von Frauen und Kindern in Südasien hatinzwischen ebenfalls kritische Ausmaße angenommen (ESAP, Kap. 1). Diedesaströsen Folgen von AIDS-Erkrankungen führen in immer mehr Länderndazu, dass die Zahl der von Frauen oder Kindern geführten Haushalteschnell steigt und dass Abhängigkeit von der Arbeit älterer Menschen ent-steht, die immer größeren Belastungen ausgesetzt sind, wenn sie die Ver-antwortung für immer mehr AIDS-Waisen übernehmen (SSA, Kap. 3). Inder Region SSA beträgt der Anteil von Frauen an den HIV- Infizierten 66 %.Dadurch sind Frauen in ihrer Rolle als Lebensmittelerzeugerinnen und Fa-milienverantwortliche zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Arbeitsausfälleaufgrund von Krankheit, der Notwendigkeit, Familienmitglieder pflegenzu müssen oder einer bezahlten Arbeit nachzugehen, um Kosten für medi-zinische Behandlungen tragen zu können, haben unter Umständen zur Fol-ge, dass Familien ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten einschränken. DieSchäden und Belastungen durch AIDS für das Gemeinwesen führen außer-dem dazu, dass die Weitergabe von Wissen zwischen Haushalten und Ge-meinschaften unterbrochen wird und damit die Lebensgestaltungsmöglich-keiten der nachfolgenden Generation reduziert werden (Globaler Bericht,Kap. 6).

Handlungsmöglichkeiten im Sinne stärkerer Betei l igung von Frauen bei AWWT

In Anbetracht der andauernden Benachteiligung von Frauen in ländlichenRäumen und der gegenwärtig stattfindenden Umstrukturierungen, die dieGesundheits- und Arbeitsbedingungen von Frauen in der Landwirtschaftwahrscheinlich noch verschlechtern werden, sind sofortige Maßnahmen für

236 Synthesebericht

eine geschlechtsspezifische und soziale Gleichstellung in Bezug auf Politikund Praxis von AWWT notwendig.

Dazu gehören die folgenden Handlungsmöglichkeiten: – Ausbau der institutionellen und personellen Kapazitäten öffentlicher

Einrichtungen und NROs mit dem Ziel, bessere Kenntnisse der Rol-len von Frauen in den Arbeitsprozessen auf den Höfen und ihr Ver-hältnis zu AWWT zu erarbeiten;

– besserer Zugang zu Erziehung, Bildung, Informationen, Wissen-schaften, Technologien und Beratungsdiensten muss ganz oben aufder Tagesordnung stehen;

– Gesetzgebung, geeignete Kreditvergaben, Unterstützung von Frauenbei der Einkommenserzielung sowie Stärkung von Frauenorganisa-tionen und -netzwerken sind geboten, damit Frauen wirtschaftlicheund natürliche Güter und Leistungen besser nutzen, sie besitzen undkontrollieren können;

– Marktregulierungen und Marktpolitiken, die Bäuerinnen in Wert-schöpfungsketten ausdrücklich die höchste Priorität einräumen, da-mit Frauen besser von Möglichkeiten der Märkte profitieren können;

– Förderung von öffentlichen Dienstleistungen und Investitionen inländlichen Räumen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedin-gungen von Frauen;

– politische Bevorzugung solcher technologischen Entwicklungen, dieauf Bedürfnisse von Frauen in ländlichen Gebieten und bäuerlichenBetrieben orientiert sind und die die spezifischen Kenntnisse, Fähig-keiten und Erfahrungen von Frauen bei Herstellung von Lebensmit-teln und Schutz der biologischen Vielfalt anerkennen;

– Abschätzung und Bewertung der Implikationen von Anbauprakti-ken und -technologien, zum Beispiel des Einsatzes von Pestiziden,für die Gesundheit von Frauen; Durchführung von Maßnahmen zurAufwands- und Expositionsminderung;

– Gewährleistung der Gleichstellung auf allen Ebenen bei Entschei-dungen zu AWWT;

– Einführung von Mechanismen, die an Entwicklung von AWWT be-teiligten Organisationen veranlassen, Rechenschaft über Fortschrittein den oben genannten Bereichen abzulegen.

Themen: Frauen in der Weltlandwirtschaft 237

Die Erfüllung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielen kann durchpolitische Maßnahmen befördert werden, die die Rolle der bäuerlichen Familien-betriebe und der Frauen in ländlichen Räumen für Erzeugung, Einkommens-sicherung und ausreichende Versorgung der Haushalte mit Lebensmitteln anerkennenund berücksichtigen. Eine Stärkung der kleinbäuerlichen Betriebe, in deneninsbesondere Frauen arbeiten, erfordert AWWT, das ausgerichtet ist auf – züchterische Bearbeitung einheimischer Nahrungspflanzen, damit

inländische Märkte besser bedient werden können, – Entwicklung dürreresistenter Züchtungen, damit Menschen in Gren-

zertragsgebieten eine beständigere Ernte möglich ist und – stärkere Aufmerksamkeit für neue Geschäftsfelder in bäuerlichen Be-

trieben, zum Beispiel saisonale Fischbecken, die den wirtschaftlichenBeitrag von Frauen zur Existenzsicherung der Familie erhöhen.

Eine verstärkte Kontrolle von Gütern und Leistungen durch Frauen ebenso wieÄnderungen diskriminierender Gesetze, die Frauen bislang Landbesitz, Zu-gang zu Trinkwasser, Darlehen oder Eröffnung von Bankkonten verwei-gern, sind für die Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszielenvon wesentlicher Bedeutung. Gleicher Lohn für Frauen in der Landwirt-schaft und innovative kostengünstige und nachhaltige Technologien undDienstleistungen zur Wasserversorgung gehören zu den Maßnahmen, diegleichberechtigten Vorteilsausgleich aus Investitionen in AWWT und besse-ren Zugang zu Leistungen gewährleisten, die Männern wie Frauen zugutekommen. Regierungen können für Frauen und Frauengruppen Zugang zuForschungsgeldern oder Krediten auf Konzessionsbasis168 ermöglichen.

Es besteht eine drängende Notwendigkeit zur Prioritätensetzung in derForschung, damit Frauen von modernen landwirtschaftlichen Technologien(zum Beispiel zur Verminderung schwerer körperlicher Arbeit oder von ge-sundheitlichen Risiken) profitieren und nicht, wie dies in der Vergangen-heit häufig der Fall war, bei der Entwicklung von Technologien schlichtübersehen werden (Globaler Bericht, Kap. 3). Im Sinne sozialer und wirt-schaftlicher Nachhaltigkeit ist es wichtig, dass Technologien an verschiede-ne Konstellationen von Gütern und Leistungen angepasst sind, einschließ-lich derjenigen von Frauen, und für Andere keine Anreize bieten, Frauen

168 Konzession ist ein zeitlich befristetes Nutzungsrecht, für das bestimmte Gebühren gezahltund gegebenenfalls andere Auflagen beachtet werden müssen.

238 Synthesebericht

ihr Land zu entziehen oder Kontrolle über ihre Arbeit und ihr Einkommenauszuüben. Die Entwicklung von Techniken, die Arbeitsbelastungen undGesundheitsrisiken verringern und den sozialen und körperlichen Belan-gen von Frauen gerecht werden, können die negativen Auswirkungen dergeschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in vielen Regionen der Welt mil-dern.

Moderne Agrartechnologie sollte die Autonomie von Frauen und ihrewirtschaftliche Position nicht untergraben. Dazu sind gezielte Maßnahmenerforderlich. AWWT, das die spezifischen Rollen von Frauen und ihreGleichberechtigung respektiert, würde sich in einem erweiterten Angebotvon Marktfrüchten, Gartenpflanzen, Heilpflanzen und Tierarten und Sor-ten niederschlagen, die für Ernährung der Familien und Verkauf auf denMärkten verfügbar sind. So geartetes AWWT würde alle Phasen des Pflan-zenbaus und der Arbeiten nach der Ernte im Blick haben. Politiker wie For-scherinnen und Forscher müssten sich nämlich mit den komplexen sozialen,gesundheitlichen und ökologischen Implikationen der Nutzung technischveränderter Nutzpflanzen (Hochertragssorten, GMO) auseinandersetzenund diese gegen die Vorteile abwägen, die verloren gehen, wenn die Auf-merksamkeit der institutionellen Wissenschaft sich nicht auf bewährteagrarökologische Konzepte mit niedrigem externen Input und den Ausbauvon bäuerlichen Netzwerken für die Bewahrung von Saatgut richtet. Wennlokales und geschlechtsspezifisches Verständnis von Saatgut und die kul-turellen Werte von Konservierung, Zubereitung und Aufbewahrung vonLebensmitteln wirklich einbezogen werden, kann AWWT auch dazu beitra-gen, dass Technologien erfolgreicher genutzt werden. Auf diese Weise kön-nen auch die Lebensbedingungen in ländlichen Räumen effektiver verbes-sert werden.

Geistige Eigentumsrechte, die das technologische Wissen von Frauen unddie von ihnen bearbeiteten biologischen Materialien anerkennen, sind Vor-aussetzung für die Erreichung von Entwicklungs- und Nachhaltigkeitszie-len. Die geistigen Eigentumsrechte von Frauen an ihrem Wissen über einhei-mische Pflanzensorten und deren Kultivierung müssen geschützt werden.Förderung von Dokumentation und Verbreitung des Wissens von Frauenist ein wichtiger Aspekt eines geschlechtsdifferenzierten Umgangs mit geis-tigen Eigentumsrechten (Globaler Bericht, Kap. 2) und Voraussetzung fürden Erhalt des Wissens von Frauen wie Männern.

Themen: Frauen in der Weltlandwirtschaft 239

Weil katastrophenbedingte, komplexe Notsituationen immer häufigerund in größerem Ausmaß vorkommen werden, sind Forschungen für einbesseres Verständnis davon, wie Fragen der Geschlechterverhältnisse die Verletz-lichkeit von Gemeinschaften und deren Reaktionsfähigkeit beeinflussen, vor-rangig wichtig. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Verletzbarkeit undAnpassungsmöglichkeiten müssen intensiver erforscht und bei der Ent-wicklung von Techniken zur Minderung von THG-Emissionen berücksich-tigt werden, um erfolgreiche Anpassungen zu erreichen.

Gemeinschaften und Zivilgesellschaften müssen stärker dabei unterstütztwerden, ihre Forderungen nach geschlechtsspezifischen landwirtschaftlichenLeistungen zu äußern. Sie können dabei helfen, Informationen zusammenzu-tragen zu den Rollen von Männern und Frauen sowie deren Zugangsmög-lichkeiten und Bedürfnisse in Bezug auf AWWT in unterschiedlichenGesellschaften (darunter Nomadengesellschaften). Die entsprechenden In-formationen können dann auf größeren Plattformen bereitgestellt und ab-gerufen werden, damit geschlechtsspezifische Fragen bei Entwurf undAusarbeitung von Entwicklungsplänen und landwirtschaftlichen Dienst-leistungen ernsthaft thematisiert werden. Zur Erreichung von Entwick-lungs- und Nachhaltigkeitszielen müssen Agrarprogramme zur Förderungvon Einkommen und besseren Möglichkeiten für Frauen zur Ernährung ih-rer Familien den kulturellen Kontext der Arbeit von Frauen wesentlichstärker berücksichtigen ebenso wie die Nahrungsmittelverteilung inner-halb von Familien und den Zugang zu natürlichen und technischen Res-sourcen (Globaler Bericht, Kap. 3).

In diesen Zusammenhang gehört auch eine vorrangige Förderung desZugangs von Frauen zu Erziehung, Bildung und Informationen. Gezielte Unter-stützung von Schülerinnen für ein Studium der Agrarwissenschaften oderanderer Wissenschaftszweige und Änderung der Lehrinhalte, damit mehrfür Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele relevantes Wissen vermitteltwird, ist ein wichtiger Ausdruck dieser Priorität. Diese sollte in einem grö-ßeren sozialen, ökologischen und Lebens-Kontext gesehen werden: DieEARTH-Universität in Costa Rica169 verbindet praktische Erfahrungen ausder Feldarbeit mit theoretischem Wissen nicht nur aus den Agrarwissen-schaften, sondern auch aus Betriebswirtschaftslehre, unternehmerischem

169 Dies ist eine private Universität, die sich einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben hat,vgl. www.earth.ac.cr.

240 Synthesebericht

Handeln und Denken, Ökologie, Ressourcenbewirtschaftung, Forstwirt-schaft, Anthropologie und Soziologie.

Die Ausbildung von Bäuerinnen zu Ausbilderinnen von Frauen bietet Mög-lichkeiten der Weitergabe ihres Wissens und ihrer Erfahrungen. Ausbil-dungs- und Mikrokredit-Programme müssen miteinander verknüpft wer-den, damit Bäuerinnen Agrartechniken auf wirksame Weise kennenlernenkönnen. Vermarktung, Verarbeitung und Nach-Ernte-Behandlungen sindgeeignete Wissenschaftsgebiete für Frauen, die eine Karriere als Beraterinanstreben. Entsprechende Strategien können darauf zielen, Frauen die Bera-tungstätigkeit näher zu bringen und Ausbildung und Rekrutierung von Frauenals Beraterinnen zu fördern. Zu dem relevanten Expertinnenwissen gehö-ren auch optimierte Nach-Ernte-Behandlungen auf lokalen Märkten, woFrauen ihre Waren verkaufen oder Nahrungsmittel einkaufen (Globaler Be-richt, Kap. 6).

Geschlechtsdifferenzierte Kommunikationsstrategien für den Umgang mitnatürlichen Ressourcen (zum Beispiel von Gebirgslandschaften, Bäumenaußerhalb des Waldes, Wäldern) können sicherstellen, dass Frauen undMädchen effektiv und gleichberechtigt in entstehenden Wissensnetzwer-ken mitarbeiten können. Frauenspezifische Inhalte und die Auswahl geeig-neter Vermittler und Partnerschaften können dazu beitragen, dass Frauenund Mädchen besser auf IKT zugreifen und deren Vorteile nutzen können(Globaler Bericht, Kap. 5). Zu den weiteren Vorzügen der IKT gehört dieVerknüpfbarkeit von Ausbildungs- und Mikrokredit-Programmen, land-wirtschaftliche Techniken unter Bäuerinnen zu vermitteln. Der Zugang vonBäuerinnen zu Märkten und die Verwendung effektiver, angemessener undkostengünstiger IKT können bewirken, dass diese besser mit den IKT um-gehen können. Mobiltelefone sind ein Beispiel für eine Informationstechno-logie, die in vielen Entwicklungsregionen exponentielle Verbreitung beiden Frauen findet. Mobiltelefone zum Beispiel sind auch tragbare Markt-forschungsinstrumente, die es Erzeugerinnen ermöglichen, aktuelle Markt-preise für ihre Erzeugnisse zu finden und zu vergleichen und so größerenGewinn zu erzielen (Globaler Bericht, Kap. 2 und 6).

Ausweitung geschlechtsspezifischer Analysen im alternativen Handelssektor,insbesondere durch Fair-Handels-Organisationen und NROs, können einweitergehendes Verständnis von Kosten und Nutzen, die für Männer undFrauen durch die Teilnahme an alternativen Handelsstrukturen entstehen,

Themen: Frauen in der Weltlandwirtschaft 241

fördern. Bewertungen der geschlechtsspezifischen Auswirkungen liefernwiederum Erzeugerorganisationen und Organisationen des alternativenHandels Informationen darüber, wie sie diese Wirkungen verbessern kön-nen und auf wen sie ihre weiteren Maßnahmen zur Kapazitätsbildung rich-ten sollen. Das kann zu dem Ergebnis führen, dass es mehr Beraterinnengeben sollte, geschlechtsspezifische Technologien, Vermarktungsstrategienoder männer- bzw. frauenbezogenes Wissen.

Eine stärkere Befähigung der Frauen, von Möglichkeiten der Märkte zu profi-tieren, und zwar mithilfe von Marktinstitutionen und -politik die Bäuerinnenin Wertschöpfungsketten Priorität einräumen, ist von wesentlicher Bedeu-tung. Dies hätte zur Folge, dass Frauen größeren Anteil an der Wertschöp-fung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen erhielten. Die Gründung vonlandwirtschaftlichen Betrieben im Besitz und unter der Leitung von Frauen,die Förderung von Frauenorganisationen und -genossenschaften und vongemeinschaftsunterstützten Formen der Agrikultur und Bäuerinnen- undBauernmärkte (das heißt Märkte von Erzeugerinnen) haben Einkommens-möglichkeiten und die Unternehmenskapazitäten von Frauen nachweislichverbessert.

Stärkung der Beteiligung von Frauen an Entscheidungen in den Institutionenvon AWWT auf allen Ebenen, einschließlich der internationalen agrarwissen-schaftlicher Forschungszentren (CGIAR) und nationalen agrarwissen-schaftlichen Forschungseinrichtungen, ist von existenzieller Bedeutung.Außerdem müssen spezifische Mechanismen entwickelt werden, nach de-nen die Organisationen für Fortschritte in den oben genannten BereichenVerantwortung tragen und diese dokumentieren. Die Anwendung von In-strumenten wie einer geschlechtssensiblen Haushaltspolitik in Landwirt-schaftsministerien beziehungsweise -programmen würde helfen, öffentli-che und private Gelder so einzusetzen, wie es für die Erreichung (wie auchAbschätzung und Bewertung) von Geschlechter- und sozialer Gerechtig-keit in den Politiken zu AWWT notwendig ist.

Abbildungen

Abbildung 1a: Die Verknüpfungen zwischen den verschiedenen natur-gesellschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft

244 Synthesebericht

Abbildungen 245

Abbildung 2: D

ie 10 größten Lebensmittelkonglom

erate

246 Synthesebericht

Abbildungen 247

Abbildung 4: Treibhausem

issionen aus Landnutzung und Landwirtschaft

248 Synthesebericht

Abbildungen 249

Abbildung 6: Veränderung der W

asserverfügbarkeit in Afrika vom

Ende des 20. zum Ende des 21. Jahrhunderts

250 Synthesebericht

Abbildung 7: Der Kaffeepreis vom Erzeuger bis zum Coffee Shop

Abbildungen 251

Abbildung 8: Konzentrierte Märkte schließen kleinbäuerliche Betriebe aus

252 Synthesebericht

Abbildung 9: Die Kosmovision aus den Anden

Abbildungen 253

Abbildung 10: Frauen üben kaum Kontrolle über die Produktionsmittel aus

254 Synthesebericht

Abbildung 11: Arbeitsanteil der Frauen im Vergleich zum Anteil weiblichen Beratungspersonals in afrikanischen Ländern

Anhang 1

Sekretariat und Anlaufstellen der mit-finanzierenden Organisationen

Sekret ariat

WeltbankMarianne Cabraal, Leonila Castillo, Jodi Horton, Betsi Isay, Pekka Jam-sen, Pedro Marques, Beverly McIntyre, Wubi Mekonnen, June RemyUNEPMarcus Lee, Nalini Sharma, Anna StabrawaUNESCOGuillen Calvo

Mit besonderem Dank an die Gruppe, die die Veröffentlichung vorbereitethat: Audrey Ringler (Logodesign), Pedro Marques (Korrekturfahnen undGrafiken), Ketill Berger und Eric Fuller (Grafikdesign)

Regionale Inst itute

SSA – Afrikanisches Zentrum für Technologiestudien (ACTS)Ronald Ajengo, Elvin Nyukuri, Judi WakhunguCWANA – Internationales Zentrum für Landwirtschaftliche Forschung in denTrockenzonen (ICARDA)Mustapha Guellouz, Lamis Makhoul, Caroline Msrieh-Seropian, AhmedSidahmed, Cathy FarnworthLAC – Interamerikanisches Institut für die Zusammenarbeit in der Landwirt-schaft (IICA)Enrique Alarcon, Jorge Ardila Vásquez, Viviana Chacon, Johana Rodrí-guez, Gustavo Sain

256 Synthesebericht

ESAP – WeltfischereizentrumKaren Khoo, Siew Hua Koh, Li Ping Ng, Jamie Oliver, Prem ChandranVenugopalan

Anlaufstel len der mitfinanzierenden Organisationen

GEFMark ZimskyUNDP Philip DobieUNEPIvar BasteUNESCO Salvatore Arico, Walter ErdelenWHO Jorgen SchlundtWeltbank Mark Cackler, Kevin Cleaver, Eija Pehu, Jürgen Vögele

Anhang 2

Lenkungsgruppe und Beirat

Lenkungsgruppe

Die Lenkungsgruppe wurde eingesetzt, um die Beratungsprozesse zu lei-ten und eine Empfehlung zu erarbeiten, ob eine internationale Abschät-zung und Bewertung notwendig wäre. Falls die Antwort positiv ausfiele,sollte sie empfehlen, was das Ziel sein sollte, welchen Umfang die Arbeitenhaben sollten und welche Ergebnisse zu erwarten wären. Ebenfalls vor-schlagen sollte sie die Steuerungs- und Geschäftsführungsstrukturen, denSitz des Sekretariats und eine Finanzierungsstrategie.

Co-Vorsitzende

Louise Fresco, stellvertretende Generaldirektorin der FAO zuständig fürLandwirtschaftSeyfu Ketema, Geschäftsführer der Vereinigung zur Stärkung landwirt-schaftlicher Forschung in Ost- und Zentralafrika (ASARECA)Claudia Martinez Zuleta, ehemalige stellvertretende Umweltministerin,KolumbienRita Sharma, Erste Sekretärin und Kommissarin für ländliche Infrastruk-tur, Regierung des Bundesstaates Uttar Pradesh, IndienRobert T. Watson, Leitender Wissenschaftler, Weltbank

Nichtregierungsorganisationen

Benedict Haerlin, Berater, Greenpeace InternationalMarcia Ishii-Eiteman, Leitende Wissenschaftlerin, Pestizid-Aktionsnetz-werk Nordamerikanisches Regionalzentrum (PANNA)

258 Synthesebericht

Monica Kapiriri, Verantwortliche für das Regionalprogramm zur Stär-kung von NRO und ländlicher Entwicklung, Aga KhanRaymond C. Offenheiser, Präsident, Oxfam AmerikaDaniel Rodriguez, Internationale Technologie Entwicklungsgruppe (ITDG),Lateinamerika Regionalbüro, Peru

UN-Einrichtungen

Ivar Baste, Leiter der Abteilung Umweltbewertung des UNEPWim van Eck, Leitender Berater, Nachhaltige Entwicklung und GesundeUmwelt, WHOJoke Waller-Hunter, Geschäftsführer, UN-Rahmen-Konvention zum Kli-mawandelHamdallah Zedan, Geschäftsführer, UN-Konvention zur biologischen Vielfalt

Wissenschaftler

Adrienne Clarke, Professorin für Botanik, Universität Melbourne,AustralienDenis Lucey, Professor für Ernährungswirtschaft, Abteilung für Lebens-mittelwirtschaft und Entwicklung, Universität Cork, Irland, Vo-tong Xuan, Rektor, Angiang Universität, Vietnam

Privatwirtschaft

Momtaz Faruki Chowdhury, Direktorin des Zentrums für Wettbewerbsfä-higkeit und Geschäftsentwicklung im Agrarhandel, BangladeshSam Dryden, Geschäftsführender Direktor, Emergent GeneticsDavid Evans, ehemaliger Leiter Forschung und Technologie, SyngentaInternationalSteve Parry, Leiter Programm zur Nachhaltigen Landwirtschaftsfor-schung und Entwicklung, UnileverMumeka M. Wright, Direktor, Bimzi Ltd., Sambia

Verbraucherorganisationen

Michael Hansen, Consumers International

Anhang 2 259

Greg Jaffe, Direktor, Biotechnologie Projekt, Zentrum für Wissenschaftim Öffentlichen InteresseSamuel Ochieng, Hauptgeschäftsführer, Konsumenten-Informationsnetzwerk

Erzeugerorganisationen

Mercy Karanja, Chief Executive Officer, Kenianische Nationale Bauern-unionPrabha Mahale, Weltdirektorium, Internationale Föderation ÖkologischeLandwirtschaftsbewegungen (IFOAM)Tsakani Ngomane, Direktor für landwirtschaftliche Beratungsdienstleis-tungen, Abteilung für Landwirtschaft, Limpopo-Provinz, SüdafrikaArmando Parades, Präsident, Nationaler landwirtschaftlicher Beirat (CNA),Mexiko

Wissenschaftsorganisationen

Jorge Ardila Vásquez, Direktor Bereich Technologie und Innovation, Inter-Amerikanisches Institut zur Zusammenarbeit in der Landwirtschaft (IICA)Samuel Bruce-Oliver, Leitender Wissenschaftler des Sekretariats des welt-weiten Forums für landwirtschaftliche Forschung, NARSAdel El-Beltagy, Vorsitzender, Komitee der Zentrumsdirektoren, Bera-tungsgruppe für Internationale Agrarforschung (CGIAR)Carl Greenidge, Direktor, Zentrum für ländliche und technische Zusam-menarbeit, NiederlandeMohamed Hassan, Geschäftführender Direktor, Dritte Welt Akademie derWissenschaften (TWAS)Mark Holderness, Leiter Pflanzen- und Krankheitsmanagement, CAB In-ternationalCharlotte Johnson-Welch, Expertin für Gender und öffentliche Gesundheitund Nata Duvvury, Direktorin soziale Konflikte und Transformations-team, beide Internationales Zentrum für Frauenforschung (ICRW)Thomas Rosswall, Geschäftsführender Direktor, Internationaler Rat derWissenschaftsorganisationen (ICSU)Judi Wakhungu, Geschäftsführende Direktorin, Afrikanisches Zentrumfür Technologiestudien

260 Synthesebericht

Regierungen

Australien: Peter Core, Direktor, Australisches Zentrum für Internationa-le Landwirtschaftliche ForschungChina: Keming Qian, Generaldirektor, Institut für Agrarwissenschaften,Abteilung für Internationalel Zusammenarbeit, Chinesische Akademiefür Landwirtschaftliche ForschungDeutschland: Hans-Jochen de Haas, Leiter, Landwirtschaftliche undLändliche Entwicklung (BMZ)Finnland: Tiina Huvio, Leitende Beraterin, Landwirtschaft und ländlicheEntwicklung, AußenministeriumFrankreich: Alain Derevier, Leitender Berater, Forschung zur nachhalti-gen EntwicklungGroßbritannien: Paul Spray, Forschungsleiter, DFIDIrland: Aidan O’Driscoll, stellvertretender Generalsekretär, Ministeriumfür Ernährung und LandwirtschaftMarokko: Hamid Narjisse, Generaldirektor, INRARussland: Eugenia Serova, Leiterin, Abteilung für Landwirtschaftspoli-tik, Institut für WirtschaftswandelUganda: Grace Akello, Staatsministerin für Wiederaufbau für das nörli-che UgandaUngarn: Zoltan Bedo, Direktor, Landwirtschaftliches Forschungsinstitut,Ungarische Akademie der WissenschaftenUSA: Rodney Brown, stellvertretender Unterstaatssekretär für Land-wirtschaft und Hans Klemm, Direktor des Büros für Landwirtschaft,Biotechnologie und Textilhandelsangelegenheiten, Außenministerium

Stiftungen und Vereinigungen

Susan Sechler, Leitende Beraterin für Biotechnologiepolitik, RockefellerFoundationAchim Steiner, Generaldirektor, Weltvereinigung für Naturschutz (IUCN)Eugene Terry, Direktor, Afrikanische Landwirtschaftliche Technologie-Stiftung

Anhang 2 261

Beirat

Nichtregierungsver treter

Verbraucherorganisationen

Jaime Delgado, Peruanische Vereinigung für VerbraucherschutzGreg Jaffe, Zentrum für Wissenschaft im öffentlichen InteresseCatherine Rutivi, Consumers InternationalIndrani Thuraisingham, Südostasien-Rat für Ernährungssicherheit undHandelJose Vargas Niello, Consumers International, Chile

Internationale Organisationen

Nata Duvvury, Internationales Zentrum zur FrauenforschungEmile Frison, CGIARMohamed Hassan, Dritte Welt-Akademie der WissenschaftenMark Holderness, GFARJeffrey McNeely, IUCNDennis Rangi, CAB InternationalJohn Stewart, ICSU

Nichtregierungsorganisationen

Kevin Akoyi, Vredeseilanden, NiederlandeHedia Baccar , Vereinigung zum Schutz der Umwelt, Kairouan, TunesienBenedict Haerlin, Greenpeace InternationalJuan Lopez, Friends of the Earth InternationalKhadouja Mellouli, Frauen für Nachhaltige Entwicklung, TunesienPatrick Mulvaney, Praktische Aktion, GroßbritannienRomeo Quihano, Pestizid Aktionsnetzwerk (PAN)Maryam Rahmaniam, Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt(CENESTA)Daniel Rodriguez, Internationale Technologie-Entwicklungsgruppe

262 Synthesebericht

Privatwirtschaft

Momtaz Chowdhury, Landwirtschaftliche Technologie- und Industrieent-wicklungGiselle L. D’Almeida, InterfaceEva Maria Erisgen, BASF AGArmando Paredes, Nationaler Landwirtschaftsrat, MexicoSteve Parry, UnileverHarry Swaine, Syngenta (ausgeschieden)

Erzeugerorganisationen

Shoaib Aziz, Aktionsgruppe Nachhaltige Landwirtschaft, PakistanPhilip Kiriro, Ostafrikanische Föderation der LandwirteKristie Knoll, Knoll-FarmenPrabha Mahale, IFOAMAnita Morales, Apit Tako, Bäuerliche Allianz der Kordilleren Nizam Selim, Pioneer Hatchery

Regierungsver treter

CWANA

Ägypten: Ahlam Al NaggarIran: Hossein AskariKirgisische Republik: Djamin AkimalievSaudi-Arabien: Abdu Al Assiri, Taqi Elldeen Adar, Khalid Al GhamediTürkei: Yalcin Kaya, Mesut Keser

ESAP

Australien: Simon HearnChina: Pujun YangIndien: PK JoshiJapan: Ryuko InouePhilippinen: William Medrano

Anhang 2 263

LAC

Brasilien: Sebastiao Barbosa, Alexandre Cardoso, Paulo Roberto Galer-ani, Rubens NodariDominikanische Republik: Rafael Perez DuvergéHonduras: Arturo Galo, Roberto Villeda ToledoUruguay: Mario Allgeri

NAE

Österreich: Hedwig WoegerbauerKanada: Iain MacGillivrayFinnland: Marja-Liisa Tapio-BistromFrankreich: Michel DodetIrland: Aidan O’Driscoll, Tony SmithRussland: Eugenia Serova, Sergey AlexanianGroßbritannien: Jim Harvey, David Howlett, John BarretUSA: Christian Foster

SSA

Benin: Jean Claude CodjiaGambia: Sulayman TrawallyKenia: Evans MwangiMosambik: Alsácia Atanásio, Júlio McholaNamibia: Gillian Maggs-KöllingSenegal: Ibrahim Diouck

Abkürzungsverzeichnis

AbL Arbeitsgemeinschaft bäuerliche LandwirtschaftACTS African Center for Technology StudiesASARECA The Association for Strengthening Agricultural

Research in Eastern and Central Africa AWWT Agrikulturelles Wissen, inklusive Wissenschaften und

TechnologienBMI Body Mass IndexBMZ Bundesministerium für Wirtschaftliche ZusammenarbeitBtL Biomass to LiquidBUND Bund für Umwelt und Naturschutz DeutschlandCAB Commonwealth Agricultural BureauxCAWMA Comprehensive Assessment of Water Management in

AgricultureCBD Convention on Biological DiversityCCD Convention to Combat DesertificationCDM Clean Development MechanismCENESTA Centre for Sustainable Development & EnvironmentCGIAR Consultative Group of International Agricultural ResearchCIP Centro Internacional de la PapaCNA Consejo Nacional AgropecuarioCWANA Central and West Asia and North AfricaDFID Department for International DevelopmentDNS Desoxyribonukleinsäureeed Evangelischer EntwicklungsdienstESAP East and South Asia and PacificFAO Food and Agricultural OrganizationFCC Framework Convention on Climate ChangeFIAN FoodFirst Informations & Aktions-NetzwerkGATT General Agreement on Tariffs and TradeGEF Global Environment FacilityGEMS Global Monitoring for Environment and SecurityGEO Global Environmental OutlookGFAR Global Forum on Agricultural ResearchGHI Global Hunger Index

Abkürzungsverzeichnis 265

glP gute landwirtschaftliche PraxisGMO Genetically Modified Organismsgtz Gesellschaft für technische ZusammenarbeitIAASTD International Assessment of Agricultural Knowledge,

Science and Technology for DevelopmentICARDA International Center for Agricultural Research in the Dry

AreasICRW International Center for Research on WomenICSU International Council for ScienceIFOAM International Federation of Organic Agriculture MovementsIICA Instituto Interamericano de Cooperación para la AgriculturaIKT Informations- und KommunikationstechnologienINIBAP International Network for Improvement of Banana and

PlantainINRA Institut National de la Recherche AgronomiqueIPCC Intergovernmental Panel on Climate ChangeIPGRI International Plant Genetic Resources Institute ITDG International Technology Development GroupIUCN International Union for Conservation of NatureKWK Kraft-Wärme-KopplungLAC Latin America and CaribbeanLCA Life Cycle AssessmentMA Millennium Ecosystem AssessmentMAB Marker-assisted breedingMAS Marker-assisted selectionMDG Millennium Development GoalsMTA Material Transfer AgreementNABU Naturschutzbund Deutschland e.V.NAE North America and EuropeNARS National Agricultural Research SystemNRO NichtregierungsorganisationOECD Organisation for Economic Co-operation and DevelopmentPANNA Pesticide Action Network North America PES Payment for Ecosystem ServicesPPB Participatory Plant BreedingRNS Ribonukleinsäure

266 Synthesebericht

SIA Strategic Impact AssessmentSPS Sanitary and Phytosanitary MeasuresSSA Sub-Saharan AfricaSSM Spezieller SchutzmechanismusTHG TreibhausgasTWAS Third World Academy of SciencesUN United NationsUNCTAD United Nations Conference on Trade and DevelopmentUNCTC United Nations Centre on Transnational CorporationsUNDP United Nations Development ProgrammeUNEP United Nations Environment ProgrammeUNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural

OrganizationUPOV International Union for the Protection of New Varieties of

PlantsVDW Vereinigung Deutscher WissenschaftlerWARDA Africa Rice Center (bis 2003 West Africa Rice Development

Association)WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale

UmweltveränderungenWHO World Health OrganizationWWF World Wide Fund for Nature

ISBN 978-3-937816-68-5

Hamburg University PressVerlag der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky

Der 2008 in Johannesburg (Republik Südafrika) verabschiedete

Weltagrarbericht (International Assessment of Agricultural

Knowledge, Science and Technology for Development [IAASTD])

ist Resultat einer bislang einmaligen kooperativen Anstrengung

von UN- und anderen internationalen Organisationen, 60 Regie-

rungen und mehr als 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-

lern aus allen Erdregionen.

Ein Globaler Bericht u nd fünf Regionale Berichte stellen die we-

sentlichen heutigen Probleme von Landwirtschaft, Ernährung,

Umwelt und menschlicher Gesundheit dar und zeigen Möglich-

keiten auf, wie die dringend gebotene Wende zu langfristig um-

welt- und sozial gerechter Entwicklung und zur Sicherung der

Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung praktisch zu errei-

chen ist. Der jetzt in deutscher Sprache veröffentlichte Synthese-

bericht fasst die zentralen Analysen und Optionen zusammen.