Warum Design Thinking?

Beschreibung des Makrozyklus

Bernd NötscherWS 2017/18

Requirements Engineering und Management

EinleitungDesign Thinking ist ein Ansatz, der hilft Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln. Ziel ist es, Lösungen zu finden, die aus Sicht des Anwenders (aus der Nutzerperspektive) überzeugen.

Viele internationale Unternehmen und Organisationen aller Größenordnungen nutzen Design Thinking als Projekt-, Innovations-, oder Entwicklungsmethode.

Zentrale Aspekte sind dabei, dass die Ideen von Neugierde getrieben entwickelt werden. Man möchte von einer Anfangsidee zum einem guten Ergebnis kommen. Dazu probiert man sehr viele verschiedene Ideen aus und bewertet sie. Wichtig ist hier, dass bei den Ideen der Nutzer und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Es werden nur Ideen generiert, die sich ausschließlich am Nutzer orientieren.

Agiles Requirements Engineering

Die Ideen des Design Thinkings lassen sich auf die Softwareentwicklung übertragen um den Entwicklungsprozess zu optimieren. Insbesondere im Requirements Engineering, welches als eine der größten Herausforderungen in der Software gilt, kann damit agil gearbeitet werden.

MotivationBeim Design Thinking wird ein Problem betrachtet und analysiert um dafür die passende Lösung zu entwickeln und zu verstehen. In der Softwareentwicklung ordnen wir dem Problem die Anforderungen zu. Die Lösung ist die zu entwickelnde Software.

getrieben, der Nutzer steht im Mittelpunkt und gibt Feedback während des gesamten Prozesses. Anforderungen und Prototypen der Software werden iterativ ermittelt.

Bei der heute häufig angewendeten agilen Entwicklungsmethode Scrum habe wir drei Rollen. Zum einen das Entwicklungsteam, welches das Product Backlog (die Anforderungen) nach und nach in Sprints abarbeitet. Zum anderen gibt es noch den Scrum Master, der ähnlich einem Projektmanager dem Team zuarbeitet und eine Schnittstelle zum Product Owner darstellt.

Der Product Owner als dritte Rolle ist alleinig verantwortlich für vollständige und korrekte Anforderungen. Diese Rolle wird oft auch direkt von den Nutzern (stakeholder) ausgefüllt. Scrum als Projektmanagement lagert also die Verantwortung für die Requirements aus. Da richtige und vollständige Requirements ein zentrales Element für eine erfolgreiche Software darstellen (falsche Anforderungen sind teuer, gefährlich und dauerhaft), muss dafür gesorgt werden, dass zusammen mit dem Product Owner die richtigen und vollständigen Anforderungen ermittelt werden.

Abbildung 2: Projektmanagement mit Scrum: Das Requirements sind außerhalb des Prozesses ermittelt worden und haben im Product-Backlog vorzuliegen. Durch lauffähige, inkrementell verbesserte Software entsteht eine Feedbackschleife um Anforderungen neu zu bewerten und neue zu entdecken, was aber keinen optimalen Ablauf und Ergebnis gewährleistet. Es besteht die Möglichkeit die iterative und inkrementelle Entwicklung bei Scrum zu verbessern: Am Ende eines Design Thinking Projekts haben wir als Ergebnis einen finalen Prototypen, der aus vorher zusammen mit dem von uns und dem Nutzer getesteten Prototypen besteht und unsere Anforderungen widerspiegelt, zum anderen aber auch mögliche Teile der Software als Prototypen zur Verfügung stellt. Diese Anforderungen und Prototypen können dann in einem Product Backlog in Sprints abgearbeitet werden um die endgültige Lösung zu entwickeln.

Bestes Ergebnis, aber mit möglichst wenig Aufwand

Das Ziel des Design Thinking ist eine möglichst bestes Ergebnis mit möglichst wenig Aufwand zu bekommen, was übertragen auf die Softwareentwicklung bedeutet: Möglichst wenig Entwicklungskosten und Zeitaufwand für eine möglichst gute Software.

Problem space und Solution space

Man betrachten einen Problemraum und Lösungsraum (Problem space und Solution space). Beide Räume werden möglichst groß ausgestaltet und versucht dabei das Problem und die Lösung aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten. Es gibt einen Zeitpunkt während des Design Thinking Prozessen, ab dem umgeschaltet wird und man von der divergierenden Sammelphase zur konjugieren Konsolidierungsphase übergeht. Sowohl Problem space als auch Solution space werden ab diesem Zeitpunkt wieder kleiner um letztendlich als Ergebnis die Anforderungen und Softwareprototypen zu bekommen.

Im sogenannten Problem space werden die Anforderungen nach und nach ermittelt. Es wird versucht möglichst viele Ideen (Anforderungen) zu sammeln und zu evaluieren (von Neugierde getrieben sowohl auf der Nutzerseite als auch auf der Entwicklerseite). Im Solution space werden dafür mögliche Softwarelösungen als Prototypen entwickelt.

Iterationen ergeben Prototypen und Anforderungen

Die Zwischenergebnisse der einzelnen Iterationen sind Prototypen, die mehrere Vorteile aufweisen. Sie dienen als gemeinsame Sprache, denn sie sollen greifbar und verständlich sein. Sie helfen damit einen kontinuierlichen Dialog zwischen Nutzer und Entwickler während des gesamten Design Thinking Prozesses zu etablieren.

Beides, Anforderungen und Softwareprototypen, werden gemeinsam mit den Nutzern iterativ entwickelt (am Nutzer orientiert).

The Best Code is No Code At All

Zwei Probleme aus der Softwareentwicklung werden berücksichtigt: Der Ansatz vermeidet „analysis paralysis“, denn Entscheidungen werden gezielt herbeigeführt und hilft Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Auch „design overkill“ wird vermieden, da unnötige Entwicklung reduziert wird.

MakrozyklusAblaufplan auf Grundlage des Makrozyklus

Der typische Design Thinking-Ablaufplan für ein Entwicklungsprojekt richtet sich an den Phasen des Makrozyklus aus. Der Makrozyklus ist zweigeteilt. Die linke Hälfte gehört zum divergierenden Abschnitt und die rechte zum konvergierenden Abschnitt. Der Übergang vom ersten Abschnitt erfolgt beim Funky-Prototyp. Der Ablauf gewährleistet, dass über das gesamte Projekt an Prototypen gearbeitet wird.

Abbildung 5: Makrozyklus: Unser Ausgangspunkt ist links, der Endpunkt rechts. Die Y-Achse steht für Anzahl der Anforderungen bzw. Prototypen. Das Ergebnis jeder einzelnen Phase sind Prototypen und entspricht einer oder mehrere meistens vielen Iterationen (des Mikrozyklus). Ziel ist es mit Prototypen so viele Annahmen wie möglich zu testen. Anfangs sind es niedrig aufgelöste, später möglichst hochaufgelöste Prototypen.

Die Projektplanung für ein Design Thinking-Projekt orientiert sich an den klassischen Vorgehensweisen. Dazu gehört:

• einen Projektauftrag anzulegen

• einen Ablaufplan zu erstellen,

• eine Terminierung des Projekts durchzuführen,

• die Projektaufwände einzuschätzen

• eine Finanz- und Risikoplanung aufzustellen,

• Personal zu planen

In Entwicklungsprojekten wird sich mit konkreten Problem- und Aufgabenstellungen für Kunden und weitere Stakeholder befasst.

Design Thinking Projektschritte sind:

1) Projektplanung

2) Divergieren

◦ entdecke und kreiere viele neue Ideen (auch außerhalb der Komfortzone)

◦ Denken außerhalb des Üblichen

◦ möglichst breites Verständnis durch Entwickeln vieler Prototypen

◦ schnelles Prototyping und testen für weitere Prototype und Nutzerfeedback

3) Konvergieren

◦ Auswertung der vorherigen divergierenden Abschnitts

◦ kombiniere die vielversprechendsten Ansätze zu einer einzigen Lösung

◦ Ideen werden konkreter, Entscheidungen müssen getroffen werden um den

finalen Prototypen zu entwicklen

4) Lösung entwickeln anhand der jetzt ermittelten Anforderungen, z. B. mit Scrum

Ist der Ausgangspunkt für ein Design Thinking-Projekt. Fragen werden gestellt und versucht Antworten dazu zu finden: Welche Stakeholder und welche Technologien und Konkurrenten muss ich berücksichtigen?

Diese Phase dient der Erkundung und Definition des Problem- und Lösungsraums mit einer starken Betonung der Need finding des Nutzers.

Ergebnisse sind: Kunden-/Stakeholder-Interviews, erste Insights, Definition der Critical Functions und Benchmarks.

Man möchte versteckte Kundenbedürfnisse und einen möglichst breiten Horiziont der Möglichkeiten herausfinden.

Hier werden i. d. R. interdisziplinäre Teams eingesetzt um möglichst kreativ zu sein.Auch kommen Kreativtechniken (wie z. B. Brainstorming) zum Einsatz.

Die Anforderungen und Einsichten aus der ersten Phase werden transferiert und als kritische Funktionalitäten festgelegt.

Es geht darum kritischste Funktionen erlebbar und testbar zu machen mit einem niedrig aufgelöstePrototypen (deshalb zügig umsetzbar) .

Dieser stellt nur einen kleinen Teilausschnitt einer möglichen Lösung dar.

Beispiel: Test für griffige Dosen mit Schulknete und Haushaltsgummis schnell umgesetzt.

Der Begriff kommt aus dem Pferderennsport: Niemand hat auf dark horse gesetzt, es gewinnt aber doch am Ende das Rennen.

Hier geht es darum frühere Annahmen überprüfen, noch offener für Neues zu sein auch wenn es zuerst unrealistisch scheint.

Ziel: Visionäre, verworfene und radikale und verrückte Ideen als greifbare Prototypen.

Selbst wenn wahrscheinlich keine sinnvolle Idee für die Lösung, hilft es die Perspektive zu erweitern → es könnte eine unmögliche, radikale und bessere Lösung ergeben

Auch hier der Prototyp soll möglichst einfach, schnell und kostengünstig sein.

Beispiel: Wie wäre es wenn ich meine „digitalen memories“ löschen könnte?

Zusammenführung der erfolgreichsten und interessantesten Prototypen der Vorphasen (Kundenfeedback, Testergebnisse und Beobachtungen der Kunden und Kundeninterviews) zu komplexeren Prototypen mit dem Ziel verschiedene Stoßrichtungen zur Umsetzung aufzuzeigen.

→ Berücksichtigung der vielversprechenden Elemente der vorherigen entwickelten Prototypen

Es geht mehr um Funktionalität, weniger um eine ästhetisch ansprechende Lösung.

Beispiel: Kombination von Prototypen aus „Ellas Day 2020“

Ziel: Proof of concept der Kernideen in einem erlebbaren Prototypen. Arbeitet zwei bis drei bedeutende Elemente des Funky Protoypen heraus um diese mit Kunden zu testen.

Beispiel: Die Deutsche Bank hat 2009 Design Thinking angewandt um ein Softwareprodukt zu entwicklen. Ein digitales Anlageberatungstool: “Mein Zukunftsplaner”. Hier wurde kein Code geschrieben, sondern ein klickbares PowerPoint mock up verwendet um eine Timeline zu simulieren.

Eine Funktion des zukünftig finalen Prototypen muss voll funktionsfähig sein (wie es im finalen Prototype vorkommen soll).

Hilft den Aufwand für die notwendigen Schritte um Komplettlösung zu entwicklen abschätzen und managen zu können.

User feedback: Testen des Prototyps→ identifizieren und optimieren letzter technischer Probleme um die user experience zu verbessern.

Beispiel: Deutsche Bank 2009 mit iphone mockup um eine Bestellung durchzuführen

Vollständig ausgearbeiteter Prototyp. Dieser zeigt möglichst realitätsnah alle wichtigen Schlüsselfunktionen um das volle Kundenerlebnis zu garantieren.

Dieser Prototyp ist der Ausgangspunkt für die finale Lösung → gebraucht werden Bewertung und Kommentare zu den individuellen Funktionen des finalen Prototyps.

Mikrozyklus / IterationBeim Mikrozyklus geht es um einzelne Aufgaben, die innerhalb eines Makroprozess-Schritts durchgeführt werden können (es müssen nicht immer alle Aufgaben durchgeführt werden).

Start von oben, rechts herum:

1. Verstehen und BeobachtenWorum geht es überhaupt? Was sind die Probleme, zu denen Lösungen gefunden werden müssen? Welche Fragen müssen beantwortet werden? Hat sich die Problemstellung durch erste Erkenntnisse wieder verändert?

2. Point of ViewWelche Bedürfnisse gibt es, die befriedigt werden sollen? Festlegen der Kundengruppen, Durchführung von Beobachtungen, Interviews mit möglichen Kunden und Ausprobieren bestehender Lösungen, Analyse der gesammelten Informationen.

3. IdeengenerierungIdeen werden auf Basis der gesammelten Erkenntnisse generiert. Dazu können Workshops und verschiedene Kreativtechniken genutzt werden.

4. PrototypingEs werden Prototypen erstellt, um die Ideen auszuprobieren und evaluieren zu können. Je weiter der Makroprozess fortgeschritten ist, umso weniger Prototypen entstehen, dafür aber komplexere.

5. TestenMit einer Testgruppe werden nun die entwickelten Prototypen ausprobiert.

FazitIn Kombination mit Design Thinking wird agile Software-Entwicklung zu einer echten Alternative zum klassischen Software Engineering.

Beide Ansätze teilen die iterative Grundidee, werden aber an anderer Stelle im Projekt eingesetzt. Design Thinking wird für Ideenfindung verwendet (Anforderungen und welche Ziele mit der Software erreicht werden sollen und erste Prototypen), während agile Entwicklung mit Scrum eine Methode des Projektmanagements ist um die ermittelten Anforderungen abzuarbeiten.

Erfahrene Teams wissen welche Schritte des Makrozyklus im jeweiligen Projekt wirklich notwendig sind bzw. welche gegebenenfalls übersprungen werden können.

Design Thinking wird verwendet unter anderem von der Deutsche Bank, SAP und der Universität St. Gallen.

Quellen

Bücher:

Falk Uebernickel, Walter Brenner), Therese Naef, Britta Pukall, Bernhard Schindlholzer - Design Thinking: Das Handbuch, Frankfurter Allgemeine Buch, 2015

Michael Lewrick, Patrick Link, Larry Leifer (Hrsg.) - Das Design Thinking Playbook: Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren, Vahlen, 2017

Internet:

https://hpi.de/giese/lehre/bachelorprojekte/dt-meets-re.html (Sichtdatum 1.12.2017)

https://www.microtool.de/requirements/design-thinking/ (Sichtdatum 1.12.2017)

https://www.dev-insider.de/design-thinking-in-der-softwareentwicklung-a-633682/ (Sichtdatum 1.12.2017)

https://de.wikipedia.org/wiki/Design_Thinking (Sichtdatum 1.12.2017)

https://www.slideshare.net/DTHSG/design-thinking-method-cards (Sichtdatum 1.12.2017)

https://sovanta.com/loesungen/design-thinking/ (Sichtdatum 12.12.2017)

https://innovationpov.com/avoid-analysis-paralysis-make-decisions-with-less-data/ (Sichtdatum 12.12.2017)

http://www.incas-training.de/schulung/weitere-themen/requirements-engineering-kompakt-seminar-4083 (Sichtdatum 12.12.2017)

http://www.preneur.de/was-ist-design-thinking/ (Sichtdatum 12.12.2017)