Vor Leningrad

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    Vor Leningrad

    Mge doch nun bald die Stunde geschlagen haben,wo dies unglckliche Land von dem Fluch und dem Schrecken

    befreit wird, von denen es in Bann gehalten wird.Ich hoffe, dass dieses entsetzliche Geschehen der letzte Akt

    des furchtbaren Kriegsdramas und sein Ende nahe sei.

    Kriegstagebuch Ost

    29. September 1941 - 1. September 1942

    von Wolfgang Buff

    Unteroffizier im Artillerie-Regiment 227)

    Bearbeitet von seinem Bruder Joachim Buff

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    Herausgegeber:Volksbund Deutsche Kriegsgrberfrsorge e. V.Werner-Hilpert-Strae 2, 34112 KasselInternet: www.volksbund.de

    E-Mail: [email protected]: Commerzbank Kassel 3 222 999 BLZ 520 400 21

    Verantwortlich: Rainer Ruff, GeneralsekretrRedaktion: Fritz KirchmeierMitarbeit: Dr. Martin Dodenhoeft, Detlef Kroll, Christina KopplinDruck und Bindung: GGP Media, Pneck, 2009-2.2Fotos: Joachim Buff

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    Der Volksbund Deutsche Kriegsgrberfrsorge bergibt die Aufzeich-nungen und Briefe von Wolfgang Buff der ffentlichkeit aus Anlader feierlichen Einweihung des grten deutschen Soldatenfriedhofs inSt. Petersburg/Sologubowka am 8./9. September 2000. Hier hat auchihr Autor inmitten seiner 80 000 Kameraden seine letzte Ruhestttegefunden. Wir geben ihm das Wort, um seine Gedanken, seine Erinner-ungen, seine Schmerzen, Gefhle und Hoffnungen, aber auch seineLiebe zu diesem Land und seinen Menschen einer breiten ffentlichkeitin Deutschland und in Ruland bekannt zu machen. UnteroffizierWolfgang Buff ist nicht weit von hier am 1. September 1942 gefallen, alser einem schwerverletzten russischen Soldaten zu Hilfe kam.

    Seine Aufzeichnungen entziehen sich jeder vordergrndigen oder vor-schnellen Beurteilung. So folgt er - wie Millionen seiner Kameraden -dem Einberufungsbefehl zur Artillerie innerlich widerstrebend. DerPropaganda der NSDAP widerspricht er als berzeugter Christ mitgroem Mut und bezeichnet die Erziehung zum Ha - eine der zen-tralen militrischen und politischen Thesen der Nazis im Krieg gegendie Sowjetunion - als "undeutsch".

    Er ist einer der zahllosen Soldaten der Wehrmacht, die sich ihreMenschlichkeit gegenber den Kameraden und auch gegenber den

    Gegnern nicht nehmen lassen. So spricht fr alle, die still auf diesemgroen Totenacker ruhen, und er ruft uns mit seinen Aufzeichnungenin Erinnerung, da jeder seiner Kameraden - wie er selbst - eine unver-wechselbare, reich begabte, Persnlichkeit gewesen ist. Jedes Grab und

    jeder Name auf den Gedenktafeln soll uns und die nach uns kommen-den Generationen daran und an ihr so frh verlorenes Leben erinnern.

    Wiederholt wandern die Gedanken von Wolfgang Buff in das belagerteLeningrad mit der bangen Frage, wie es den Menschen in der Millionen-stadt angesichts der nahezu totalen Einschlieung und der Unter-

    brechung fast aller Nachschubwege im Winter 1941/42 ergehen mge.Danil Granin, in dieser Zeit als russischer Panzersoldat ein Gegner vonWolfgang Buff an der Leningrader Front und spterer Chronist der 900Tage dauernden Belagerung der Stadt durch die deutschen Truppen,erzhlt uns in seinem berhmten "Blockadebuch" die Geschichte vonder jungen Russin Dussja. Und seine Stimme mag uns eine Antwort aufdie Frage des jungen deutschen Unteroffiziers geben.

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    Zum Geleit

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    Wenige Tage vor dem Tod von Wolfgang Buff, schenkt im hungernden,zerstrten, und alle Hllenqualen erleidenden Leningrad, die durcheinen Granatsplitter schwer verletzte Dussja in den Trmmern ihresHauses mitten in einem heftigen Angriff der deutschen Artillerie einemSohn das Leben. Wie durch ein Wunder berstehen beide Hunger undKrieg, erleben die Befreiung ihrer Stadt und den Frieden.

    Betrachtet man beide Geschichten gemeinsam, die vom Tode WolfgangBuffs und die vom berleben Dussjas und ihres Sohnes, dann ffnen sieuns die Augen fr das Geheimnis der Vershnung und des Friedens:- Vershnung gelingt, wenn die Liebe den Ha besiegt - Frieden istmglich, wenn die Kraft zum Leben den Tod bezwingt.

    Mge dieses Tagebuch von Wolfgang Buff eine weite Verbreitung findenund der europaweiten Friedens- und Vershnungsarbeit des Volks-

    bundes Deutsche Kriegsgrberfrsorge viele neue Freunde gewinnen.

    Zum Geleit

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    Der Autor des Kriegstagebuch Ost vor Leningrad wurde am erstenMobilmachungstag des Zweiten Weltkrieges durch Stellungsbefehl zuden Waffen gerufen. So geriet der 24-jhrige kaufmnnische AngestellteWolfgang Buff aus der behteten Welt einer kinderreichen Familie ziem-lich unvorbereitet in ein Kriegsgeschehen, von dessen Hrte, Dauer undFolgen jene Generation keine Vorstellung hatte. Dabei fhlte er sich vonder Familie und vom Willen des deutschen Volkes getragen. WieMillionen seiner Altersgenossen wurde Kanonier Wolfgang Buffwie Walter Flex im Ersten Weltkrieg als winziges Glied einer groenSchicksalsgemeinschaft ein Wanderer zwischen zwei Welten, der seinenEltern und Geschwistern in Form regelmiger Feldpostbriefe nachHause schrieb, was er drauen im Felde dachte und erlebte: Meine

    liebste Beschftigung und meine grte Freude ist immer, meineGedanken, die so oft zu Euch schweifen, zu Papier zu bringen und Euchzu schreiben. Und immer sind es die beiden Welten, die er aus seinerSicht beschreibt: die zerstrende kriegerische und getreu seinemGrundsatz, Leben aufzurichten die ersehnte Welt des Friedens mitihren Menschen in ihrem angestammten Lebensraum.

    So gesehen handelt es sich bei diesen privaten und ursprnglich nur dereigenen Familie zugedachten Aufzeichnungen um ein Tagebuch eineseher friedfertigen Frontsoldaten, bei dem Frieden und Vershnung

    Vorrang hatten. So sah es auch die nordfranzsische Presse 1994 nachder ffentlichen bergabe einer ins Franzsische bersetzten Abschriftseines Franzsischen Kriegstagebuches in Le Havre: Ein Zeugnis imDienst des Friedens nach mehr als 50 Jahren eine Botschaft an dieknftigen Generationen! Wenige Jahre spter kam das Vershnungs-zentrum St. Petersburg zu einem hnlichen Urteil und veranlasste einerussische bersetzung von Wolfgang Buffs Kriegstagebuch Ost.

    Unteroffizier Wolfgang Buff fiel am 1. September 1942 vor Leningrad, alser im Verlauf der schweren Abwehrkmpfe der 1. Ladoga-Schlacht nacheinem Einbruch russischer Infanterie in seine Artillerie-Feuerstellung beiSinjawino trotz dringender Warnrufe seiner Kameraden einem schwer-verwundeten Kriegsgegner Erste Hilfe leisten wollte.

    Besonderer Dank gebhrt dem Volksbund Deutsche Kriegsgrberfr-sorge dafr, dass dieses bei der Belagerung von Leningrad entstandeneZeugnis fr Frieden und Vershnung durch Herausgabe eines Ab-druckes in deutscher und russischer Sprache knftigen Generationenhben und drben erhalten bleibt.

    Im Juni 2000 Joachim Buff

    Vorwort

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    Ein kurzes Leben 15.11.1914 1.9.1942

    Wolfgang Buff wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges als ltester Sohnder Eheleute Walther und Martha Buff, geb. Alpers, geboren und ver-

    brachte seine Kindheit im einsamen, noch weitgehend unberhrtengrnen Land der Niers des niederrheinischen Grenzkreises Kleve. Nachprivater Grundschulausbildung besuchte er die Gymnasien in Goch undin Kleve, wo er 1933 das Abitur ablegte.

    Geprgt wurde seine Jugend durch eine groe kinderreiche Familie, einetiefglubige christliche Erziehung und das Leben in einem zumindest

    bis zur Inflation 1923 wohlhabenden Elternhaus in Asperden in un-mittelbarer Nhe des historischen Klever Reichswaldes. Von dort ver-

    waltete sein Vater sein bei Well/Holland an der Maas gelegenes, zumTeil bewaldetes Landgut, das im Gefolge der wirtschaftlichen Wirrenund politischen Restriktionen der Nachkriegszeit verloren ging und zuheute kaum vorstellbaren Einschrnkungen der materiellen Lebensver-hltnisse der inzwischen auf zwlf Kinder angewachsenen Familie fhr-te.

    Wolfgangs Wunsch, Theologie zu studieren, stie unter den erwhntenwirtschaftlichen Verhltnissen vor allem auf finanzielle Schwierigkeiten.Dazu erklrte der 18jhrige Abiturient in seinem Zulassungsantrag:

    Meine Absicht, die theologische Laufbahn einzuschlagen, wozu ichmich hingezogen fhle, muss zurcktreten, falls das Wohl der Familie,deren Glied ich bin, eine anderweitige Berufswahl erfordern sollte.

    So kam es, dass er nach der Reifeprfung unverzglich ins Berufslebeneintrat und nach Ableistung des damals noch freiwilligen Reichsarbeits-dienstes eine kaufmnnische Lehre absolvierte, um bereits im folgenden

    Jahr als kaufmnnischer Angestellter in der Krefelder Seidenindustriettig zu werden.

    Nach Wiedereinfhrung der allgemeinen Wehrpflicht wurde WolfgangBuff 1937 zu einer militrischen Kurzausbildung in Glogau/Schlesienund bereits zwei Jahre spter bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegeszum neu aufgestellten Artillerieregiment 227 in Krefeld einberufen.Schon am zweiten Mobilmachungstag rckte der nur sehr bedingt aus-gebildete Kanonier mit der Rheinisch-Westflischen 227. Infanterie-division zu Grenzschutzaufgaben in die Eifel aus. Im Verlauf des West-feldzuges stie die Division 1940 durch Holland und Belgien bis an dieKanalkste im Raum Le Havre vor, wo sie bis zu ihrem Abtransport

    1941 an die Ostfront die Sicherung der Kanalkste bernahm. Aus

    Lebenslauf von Wolfgang Buff

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    dieser Zeit stammt Wolfgang Buffs Kriegstagebuch West, von demeine Abschrift 1994 im Rahmen einer ffentlichen Veranstaltung derStadt Le Havre bergeben wurde, die es ins Franzsische bersetzenlie.Seit Herbst 1941 befand sich die Division im sog. Flaschenhals derEinschlieungsfront von Leningrad zwischen Schlsselburg und Mga,wo sie ziemlich unvorbereitet in die harten Winterkmpfe verwickeltwurde. Bei den Abwehrkmpfen der 1. Ladoga-Schlacht fand WolfgangBuff am 1. September 1942 den Tod, als er einem schwerverwundetenrussischen Soldaten Erste Hilfe leisten wollte. In den zehn Monaten vorLeningrad entstand sein Kriegstagebuch Ost, das vom Vershnungs-zentrum St. Petersburg ins Russische bersetzt wurde.

    Uffz. Wolfgang Buff gehrt zu den ersten Kriegstoten, die 1997 vom ehe-maligen Heldenfriedhof der 227. Infanteriedivision. bei Mga, der nachdem Krieg eingeebnet wurde, auf dem neuen Sammelfriedhof des Volks-

    bundes Deutsche Kriegsgrberfrsorge St. Petersburg-Sologubowka,umgebettet wurden.

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    2. Vielleicht ists Nacht, vielleicht ists Tag,Wenn wir stehn angetreten.Vielleicht weckt uns der Drossel SchlagBeim Schein der Morgenrten.

    3. Zum Tor hinaus geht dann der Zug,Der Rosse Hufe blinken.Nun ist der Ruhezeit genug,Und neue Taten winken.

    4. Bereite Dich, die Stunde naht,Wir mssen uns bewhren.Die Frucht der lang verborgnen SaatWird uns die Zukunft lehren.

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    29. September 1941

    Von unserem lieben Drflein Petit Roeulx/Belgien, wo wir nun mit eini-gen Unterbrechungen drei Monate lang gewesen sind, nehmen wir nurungern Abschied. Die franzsisch sprechende Bevlkerung (Wallonen)war recht freundlich zu uns, und ich glaube, auf beiden Seiten hat manin der ganzen Zeit unseres Hierseins keinen Grund zur Klage gehabt.Allgemein bedauert man unseren Weggang und erwartet uns gern indrei Wochen zurck, wie gesagt wird, aber daraus wird wohl nichtswerden.

    Fr uns findet mit dem heutigen Tag die lange Zeit der Ruhe den lngstgeahnten Abschluss. Nun beginnt fr uns der weite Weg, und wir sind

    angetreten zu unserer Bewhrungsprobe. Gott gebe, dass sie bestandenwerde!

    Nach Erledigung der letzten Vorbereitungen kam in der Nacht zum 30.der Abmarsch. Es war eine warme September-Nacht, und die Grillen imGrase, begleitet von sanftem Suseln der Pappeln am Bachufer, zirptenzum Abschied ihr leises Lied.

    30. September 1941

    Verladen in Brssel L.C. - Brssel - Mecheln - Antwerpen - Rosendaal -Tilburg s-Hertogenbosch - Utrecht. Dann kam die Nacht, und amMorgen sahen wir uns in der Bielefelder Gegend (Gohfeld).

    1. Oktober 1941

    Minden - Stadthagen - Hannover- Stendal - Rathenow - ringsum Berlingefahren. Von der Stadt selbst sahen wir kaum etwas, denn es wurdegerade dort Nacht. Auf den weiten Feldern von Brandenburg war dieKartoffelernte im vollen Gange, und die Leute hielten jedes Mal in ihrereifrigen Arbeit inne, wenn unser Transportzug vorbeikam, und winktenuns mit Bewegung zu.

    2. Oktober 1941

    Beim Tagesgrauen um 6 Uhr standen wir in Schneidemhl. Von da ausFahrt durch den Polnischen Korridor bis Dirschau. Eine de Sand- undHeidelandschaft mit drren Grasflchen, mageren Kiefernwldern undkrglichen sandigen Feldern. Die Huser der Polen meist aus Holz mit

    flachem Dach aus Teerpappe. Kmmerlich und unschn angelegt. Da-

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    zwischen groartige, moderne Anlagen des polnischen Staates, die inmerkwrdigem Kontrast zu den armseligen Wohnungen der Brgerstehen. Heute sind die meisten Bewohner Deutsche, die uns von ihrenFeldern freundlich zuwinken. Auf den Tmpeln und Bchen und anden Mooren tummeln sich die berhmten fetten Gnse des Ostens.Viele neu erbaute deutsche Siedlungshuser. Die Orte tragen nun fastalle deutsche Namen (Knigswiese). Herrliche Fahrt von Dirschau(altes deutsches Stadtbild an der Weichsel) nach Elbing. Ungefhr aufhalbem Wege liegt an der Nogath das alte Deutsch-OrdensschlossMarienburg. Ein trutziger, gotischer Backsteinbau, der weit ber dieflache Marschlandschaft ragt. Elbing erreichten wir gegen Abend. Dort

    beginnt das ostpreuische Hgelland, ber dem wir die Abendsonneuntergehen sehen. Kameraden, die Trompete ruft.

    3. Oktober 1941

    Als der Tag anbrach, lag in tiefen Nebel verhllt das russische Landvor uns oder vielmehr Litauen, dessen Grenze wir vor einigen Stundenberschritten hatten. Doch wenn man von Ostpreuen nach Litauenkommt, dann hat man mit einem Schlage die Grenze von Mitteleuropazum Osten berschritten. Weit und eben dehnt sich die de mit spr-lichem Gras- und Rasenwuchs bekleidete Ebene ringsumher aus. Da-zwischen Wald und Moorflchen und berall Findlinge und rundge-

    schliffene Steinblcke, die an die Eiszeit erinnern und der ganzen Land-schaft etwas Vorweltliches, Urwchsiges und Befremdendes geben. Mansprt, dass man in einem ganz anderen Lebenskreis hineingestellt ist.

    Die menschlichen Siedlungen sind sprlich. Auf der mehr als 100 Kilo-meter langen Strecke bis Schaulen sah man keine geschlossene Ort-schaft, aber viele einzelne Bauernhfe, das heit Holzhuser mit spitzemStrohdach, Viehzucht und etwas Ackerbau. Die Leute sehen dem vorbei-fahrenden Zug freudig nach und oft wird lebhaft gewinkt. Tauroggen,Schaulen, je mehr wir nach dem Osten kommen, desto herbstlicher wirdes. In Flandem war noch alles im satten Grn. In Deutschland sahen wirdie ersten Herbstfarben, und hier in den Baltenlndern ist der Sommerschon vorbei. Die Wiesen sind schon ohne Leben, und die Bume begin-nen sich zu entlauben, und des Morgens liegt auf den schon erstorbenenGrasflchen dick der weie Reif.

    In unseren Waggons haben wir uns zu der langen Fahrt gut eingerichtet.Ein Uffz., drei Mann und sechs Reitpferde sind die Besatzung, die sichrecht gut untereinander vertrgt. Ein Sack Hafer, vier Ballen Stroh und

    drei Ballen Heu sind unser erster Reisevorrat fr die vierbeinigen Rei-

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    senden, aber uns selbst dienen diese Dinge natrlich auch des Nachts,um ein warmes Lager daraus zu machen, und tagsber werden jeweilszwei vor die offene Wagentr gestellt und durch berziehen mit einemWoilach (Pferdedecke, Anm. d. Red.) in den feinsten Diwan verwandelt.Der Rest der Ballen liegt vor der geschlossenen Wagentr, und darauf ist

    bis unter die Decke der ganze Haufen unseres Gepcks und der sechsSttel aufmontiert. In die Decke haben wir Ngel eingeschlagen unddaran unsere Kochgeschirre, Feldflaschen, Brotbeutel, Gasmasken unddie Fressbeutel der Pferde aufgehngt. Diese Dinge mssen nmlichstets griffbereit sein. Denn wenn es heit: Portionen empfangen, Kaffeeempfangen, usw. beginnt stets der allgemeine Wettlauf zur Feldkche,die gegen Schluss des Zuges auf einem offenen Wagen steht, und umnicht zu spt zu kommen und bei Abfahrt des Zuges unverrichteter

    Dinge wieder abziehen zu mssen, heit es dann jedes Mal wie ver-fault loswetzen. Aber in den kurzen Pausen gibt es ja auch noch allerleianderes fr uns zu tun: Da heit es vor allem, die Pferde trnken, die beidem langen Stehen in dem engen, heien Waggon stets einen unerstt-lichen Durst entwickeln. Da gibt es dann jedes Mal einen Kampf um diewenigen Wasserstellen, der aber oft der Heiterkeit und des Humorsnicht entbehrt. Besonders, wenn wir uns an die groen Wasserkrne frdie Lokomotiven heranmachen und an dem Schraubenrad verwegendrehen und dann pltzlich von sintflutartigen Wasserfllen berraschtwerden, so dass die Bahnbeamten in heller Verzweiflung herbeigelaufen

    kommen, denn die Lokomotive will ja auch noch tanken.

    Unseren Pferden ist die Reise bis jetzt gut bekommen. Drei stehen rechtsund drei stehen links an den Schmalseiten des Wagens, jedes Mal durcheinen eisernen Flankierbaum von der Mitte abgetrennt. Es sind ruhigePferde, die sich untereinander nicht schlagen. Wenn sie nicht im Strohknabbern, was meistens unausgesetzt ihre Beschftigung ist, dannglotzen sie uns mit ihren groen Augen an, spitzen die Ohren, wendenden Kopf zur offenen Tr und lassen verdutzt die Unterlippe hngen.Die Ergebnisse ihrer Philosophie scheinen ihrem Pferdeverstand dochrecht sonderbar vorzukommen. Jedenfalls haben sie sich an ihre neuar-tige Umgebung gut gewhnt, und die Angst, mit der Aurora sich zuerstin den hintersten Winkel verdrckte und sie sogar das Fressen vergessenlie, ist inzwischen lngst verschwunden. Mein Reitpferd heit Jennyund zeichnet sich dadurch aus, dass es den ganzen Tag im Stroh frisstund wenig philosophiert oder vielmehr diese Beschftigung auf dieNachtstunden verlegt, das heit sie steht dann recht ruhig. Beim Reitenist sie sehr verstndig. Bei Marsch geht sie ganz von selbst los und beiHalt wei sie, was sie zu tun hat, und stellt sich gleich quer, wie es

    Vorschrift ist.

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    Tagsber sitzen wir geschtzt von einem eisernen Flankierbaum vor deroffenen Wagentr und schauen hinaus oder lesen. Zwischendurch wirdmal ein Spielchen gemacht. Am schnsten aber ist es, die weite Land-schaft in all ihren verschiedenen Formen zu erleben. Meist ist sie hieroben wild und herrenlos, als wre sie noch kaum von eines MenschenHand berhrt. Im Westen ist der Mensch Herr ber die Erde, und esgibt kaum einen Fleck, der durch seine ordnende Hand nicht irgendwiegestaltet ist. Hier dagegen scheinen Raum und Ebene ber denMenschen die Herrschaft zu haben, und seine sprlichen Wohnungenfgen sich schchtern in die unendliche Weite ein, die sie niemals zuumfassen vermgen.

    Gegen 6 Uhr wird es dunkel. Wenn dann die Sonne im Westen unter-

    gegangen ist und der Mond sein zauberhaftes Licht ber die weitenEbenen ergiet, dann sitzen wir still und schauen hinaus. Gegen 9 Uhrwird es kalt. Dann wird die Tr geschlossen, ein Strohlager zurechtgemacht, in einen Woilach eingedreht und gepennt bis zum Morgen-grauen. Die Pferde klappern wohl ein wenig mit den Hufen, und zu-weilen sprt man einen warmen Pferdeatem und ein feuchtes Pferde-maul in der Nhe des Gesichtes, aber man wei sich dagegen zu helfen,und wenn ihre Gefrigkeit allzu zudringlich ist, bekommen sie einenleeren Futterbeutel umgehngt, dann hrt das Fressen und Knabbernvon selbst auf.

    4. Oktober 1941

    Tauroggen-Schaulen Litauen eine weite, de Gras-, Sumpf- und Wald-flche. Die Huser aus Holz und recht primitiv angelegt. Einzelsied-lungen. Von Tauroggen bis Schaulen etwa 100 Kilometer kaum eine ge-schlossene Ortschaft, nur einzelne Stationen im Walde, wo man wenigeHuser erblickt. Litauische Posten mit Gewehr. Mitau: grere Stadt inLettland. Malerisch gelegen an der Aar. Riga erreichten wir in derAbenddmmerung. Eine groe, schne Stadt an der Dna mit groenIndustrie- und Bahnanlagen. Allgemein machen die Drfer und Stdtein Lettland einen viel fortschrittlicheren Eindruck. Bei Wenden-Walk

    beginnt Estland, auch ein Land, das mit Seen, Hgeln und schnemWald schon einen mehr nordischen Eindruck macht. Des Abends langerAufenthalt auf einem russischen Grenzbahnhof Joboda. Gesprche mitVerwundeten, die von der Front zurckkamen und nach Riga fuhren.Sie machten uns natrlich die Hlle hei. Des Nachts ber Luga weiterin nrdlicher Richtung und durch endlose Wlder und de Steppen.Zuweilen Hgel und Seen. Den Peipus-See sahen wir jedoch nicht.

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    5. Oktober 1941 (Sonntag)

    Nach gut verbrachter Nacht zog ein kalter Herbstmorgen herauf. Wirsattelten und schirrten unsere Pferde. Gegen Mittag Ausladung in einerkleinen Station etwa 60 Kilometer sdlich Leningrad. UnbehelligterMarsch durch mehrere kleine Dorfsiedlungen bis zum Walddorf S.(Sinjawino), wo wir des Abends ankamen und uns notdrftig in leer-stehenden Husern einrichteten. Pferde drauen im Wald angebunden.In der mondhellen Nacht, die schon erhebliche Klte brachte, dreiStunden Wache.

    6. Oktober 1941

    Im Walde notdrftig ein Gehege gezimmert zum Anbinden der Pferde.Den ganzen Tag hrt man in der Ferne den Kanonendonner von Lenin-grad her. Es sind vielleicht die schweren Geschtze der FestungsinselKronstadt, auf der die Russen hundert Batterien gegen uns feuernlassen. Doch ist die Lage der Stadt, von der unsere Truppen zum Teilnur zehn Kilometer entfernt sind, mehr als verzweifelt. Hunger undSeuchen wten dort. Die Zivilisten hatten die Russen hinausgeschickt,aber von uns wurden sie wieder zurckgeschickt. Denn die Stadt solldurch Hunger und Munitionsmangel gezwungen werden, nicht durcheinen verlustreichen Sturm.

    Aufruf des Fhrers an die Soldaten: Die letzte groe Schlacht, die dieEntscheidung im Osten noch vor Beginn des Winters bringen soll, hat

    begonnen. Mit Gottes Hilfe wird sie zum Siege fhren.

    7. Oktober 1941

    Ich liege hier auf einem Strohlager, in das wir uns zu sechs Mann ineinem kleinen Zimmerchen teilen. Unser Haus, das zur notdrftigenUnterkunft fr 80 Mann dient, ist ein ebenerdiges Eisenbahner-Erhol-ungsheim, das zu den acht oder zehn greren Holzbauten gehrt, ausdenen unsere Waldsiedlung an der Eisenbahnlinie nach Leningrad

    besteht. Einige Russen, mit denen wir uns durch Zeichen verstndigen,fanden wir noch vor. Sie sind uns in allen Dingen behilflich, so dass wirden Generator fr die Lichtanlage in Gang bringen konnten und einkleines Sgewerk betrieben. Mit dem reichlich vorhandenen Holzknnen wir gut einheizen.

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    Bis jetzt haben wir noch keine besonderen Erlebnisse gehabt. Die Frontist noch 50 Kilometer von uns entfernt, und wir hren nur ihren Donner,aber wir sind bereit darauf, dass jede Stunde der Einsatzbefehl kommenkann.

    8. Oktober 1941

    Erstes Ausreiten im russischen Gelnde, wobei einige Pferde gleich imSumpf versanken. Aber man bekam sie wieder heraus. Heute hat manmir Jenny abspenstig gemacht. Uffz. W. hat es mir abgenommen, weiler Fritz nicht mehr reiten mochte. Nun muss ich mich damit herum-schlagen.

    9. Oktober 1941Ich sitze in einem Blockhuschen in einem Walddrfchen nicht weit vonLeningrad. Heute sind wir dorthin marschiert, ber weite schlechteStraen durch de Waldgegenden. berall die Spuren des Kampfes undlange Reihen von deutschen Soldatengrbern. Weie Kreuze aus jungenBirkenstmmen sind ihr Schmuck.

    Wir sind auf dem Wege zum Einsatzgebiet, das wir in zwei Tagen er-reichen werden. Falls der Feind bis dahin nicht die Waffen gestreckt hat,

    werden auch wir noch Anteil haben an dieser letzten groen Vernich-tungsschlacht, von der der Nachrichtendienst heute berichtet. Ebenwurde ich zum Hauptmann gerufen. Ich bin zum Unteroffizier be-frdert. Es kam berraschend, und ich wei, dass ich in manchem nochunvollkommen bin. Aber mit Gottes Hilfe werde ich dies auch nach

    bestem Vermgen auszufllen trachten und mich im Einsatz bewhren.

    10. Oktober 1941

    Marsch durch weite Wlder, ber schlechte Straen und kilometerlangeKnppeldmme nach Leningrad. Ein Drfchen mit vielen Holzhusernund eine schn gelegene Kirche. Sie ist vllig demoliert und war kaumnoch gut genug, als Pferdestall zu dienen. Unser Wachlokal, wo ichheute nacht Wachhabender bin, ist auf einem Sller, aber wie berallhier mit einem Holzofen gut geheizt. Holz gibt es ja in Hlle und Flle.Nebenan wohnt der Dorfpope mit seiner Familie. Ich stand vor derHerrgottsecke in seinem Zimmer, und er gab mir zu verstehen, er seiPastor. Das Haus war sauber und ordentlich eingerichtet, er ernhrt sichvon kleiner Landwirtschaft und macht auch den Eindruck eines

    biederen Bauers.

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    Wir konnten uns leider kaum verstndigen, ich lieh ihm meine Bibel,aber er konnte keinen Buchstaben daraus lesen. Schlielich erkannte ersie an den Bildern von Palstina und Jerusalem.

    11. Oktober 1941

    Wir sind in N. angekommen, ein Drfchen mit finnischem Namen,finnischen Holzhusern und den berhmten Badestuben, wo die Dorf-leute gerade bei der Samstag-Wsche, dem Saunabad waren. In einemhalbzerfallenen Stall ohne Dach gab es eine gute Unterkunft fr diePferde. Fr uns allerdings war es in den kleinen Wohnungen mit zweiZimmern pro Familie reichlich eng, so dass wir eng wie in der Herings-tonne auf dem Boden rumlagen, und die junge Frau mit ihrem schreien-

    den Kind sich bald weinend in eine Ecke zurckzog. Wir wussten nicht,wie wir sie beruhigen sollten, denn die Worte fehlten, und so machtenwir ihr zum Trost ein groes Wurstebrot und boten es ihr mit einer TasseTee an. Ihr Mann, ein Eisenbahnmaschinist in Tossno, war mit seinerLokomotive durch Bomben zerschmettert worden, und sie erwartet nunihr zweites Kind. H., S., M. und ich beschlossen, der Enge halber, danndoch noch auszuziehen. Jetzt haben wir unsere Lagerstatt in einemBadehuschen aufgeschlagen, wo es vom Bad vor einigen Stunden nochrecht gemtlich warm ist. Im brigen bin ich wohlauf; heute ein langerRitt ber staubige Straen immer durch Wald und durch den hei

    umkmpften und vllig zerstrten Ort Tossno. Wir haben bis jetzt nochkeine Kmpfe mitgemacht. Heute ein wenig Schnee.

    19. Oktober 1941 (Sonntag)

    Nachdem eine groe Kanonade unserer Geschtze ihren Abschlussgefunden hat, bleibt jetzt noch etwas Zeit fr einen kurzen Bericht berdie vergangenen Tage. Am 12.10. erreichten wir nach lngerem Mar-schieren durch Wlder und Smpfe, in denen die Straen kilometerweiterst durch Knppeldmme fahrbar gemacht worden waren, den vielumkmpften Ort Petrowo. Dort kamen wir erstmalig mit dem Feind inBerhrung, und zwar durch Flugzeuge, die das Dorf gerade whrendunseres Durchmarsches mit Bomben und Bordwaffen zum Ziel nahmen.Auer einigen toten Pferden hatten wir glcklicherweise nur vier Ver-wundete, whrend bei unseren anderen Einheiten die ersten Toten zu

    beklagen waren. Die Flugzeuge kamen so niedrig, dass man sie erst frdeutsche hielt.

    Ich ritt gerade allein einige Meter vor der Batterie zur Wegeerkundung.

    Erst an dem eiligen Hin- und Herlaufen der Russen erkannte ich die

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    So zh wie der Russe Leningrad verteidigt, hat er sich auch hier ge-halten. Unsere vielen Verluste an diesem Abschnitt zeugen davon, unddas Vernichtungswerk, das sich hier abgespielt hat und noch abspielt,ist grauenhaft.

    Brandsttten, Zerstrungen und Friedhfe ringsumher, whrend dieZahl der Toten auf der anderen Seite einfach ins Unfassbare geht. Es istein Segen, dass der Schnee als mitleidiges Leichentuch sie zudeckt.Einiges hatte ich ja vom Krieg im Westen schon gesehen, aber hier beimendlosen Donner der Front und dem vom Brande einer sehr groenStadt bestndig errteten Abendhimmel erlebt man ihn in seiner ganzenGre und Furchtbarkeit.

    Mge doch nun bald die Stunde geschlagen haben, wo dies unglck-liche Land von dem Fluch und dem Schrecken befreit wird, von denenes in Bann gehalten wird. Ich hoffe, dass dieses entsetzliche Geschehender letzte Akt des furchtbaren Kriegsdramas und sein Ende nahe sei.

    20. Oktober 1941

    Gestern erhielten wir erstmalig Post. Ihr braucht Euch keine groe Sorgezu machen! Ich bin wohlauf und fhle mich gesund. Das Reiten hat bis

    jetzt auch gut geklappt, obwohl ich beim nchtlichen Ausrcken aus

    Petit Roeulx zum ersten Mal mit Sporen auf ein schwer gesatteltes Pferd,das heit mit dem ganzen Gepck gestiegen bin, aber ich habe einruhiges Pferd und erfahrene Kameraden neben mir im Batterie-Trupp,und so geht es schon. Wenn ich so ber die russischen Straen ritt, danndachte ich oft daran, dass Vaters Wunsch, den er mir in Krefeld immernahgelegte, nun in Erfllung gegangen ist. Zwar nicht in der KrefelderReitbahn, aber in Frankreich und in Russland habe ich das Reiten ge-lernt und bin nun zum Reiter geworden.

    Ab 25.10. werden nun auch Feldpostpckchen bis ein Kilogramm nachRussland befrdert. Schickt mir doch bitte einige wollene Untersachen,vielleicht auch meinen roten Pullover und eine warme Unterhose. Aber

    bitte nicht zuviel vorerst, denn ich hoffe sehr, dass wir den Winter nichtganz hier verbringen werden. Aber ein kleiner mglichst unzerbrech-licher Rasierspiegel fehlt mir auch noch. Man rasiert sich zwar hier nurselten, da man, wenn kein Schnee und Feuer da ist, den kostbarenKaffee dazu verwenden muss, aber von Zeit zu Zeit muss man dochetwas daran tun, um nicht ganz zu verwildern. Mit Handschuhen undPulswrmern bin ich versehen.

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    Im brigen ist hier alles sehr knapp, aber wir kommen noch soeben hin.Nur das Futter und die Unterkunft fr die armen Pferde mangelt sehr,und sie sterben wie Fliegen dahin. Die gesammelten Briefmarken schickt

    bitte an Madame Dupues, Petit-Roeulx-les-Braines und bestellt von mir,dass es mir gut ginge und ich in Russland wre. Ich hoffe nur, dass wirnicht allzu lange in diesem ungastlichen Lande bleiben und warte aufein baldiges frohes Wiedersehen.

    20./21. Oktober 1941

    Gestern und heute Grokampftage. Der Russe schiet mit allen Kali-bern, und wir antworten. Seine Infanterie greift an, untersttzt vonPanzern. Unsere Infanterie hat einen schweren Stand. Wir feuern, was

    die Rohre hergeben, kaum kann genug Munition herangeschafft werden,am schwersten haben es die Fernsprecher, die vorne im Feuer dauerndLeitungen flicken mssen. Unser ganzes Gelnde wird dauernd von derrussischen Artillerie beschossen. Beinahe htten wir noch mitten ineinen Hexenkessel hinein Stellungswechsel machen mssen, aber daseine Geschtz, das dort stand, kam wieder heraus. Wie durch einWunder ist der Mannschaft jedoch nichts passiert.

    Uffz. Ltz ist heute auf der Strungssuche von einem Granatsplittertdlich getroffen. Die Lage ist ernst, doch wir hoffen, dass wir standhal-

    ten knnen.

    22. Oktober 1941

    Auch heute, wie gestern Grokampftag. Der Russe versucht mit allenMitteln und Panzern durch unsere vorderen Linien durchzubrechen.Unsere Infanterie und die Leute aus Kreta haben einen schweren Stand.Verstrkungen kommen herangerollt. Uffz. Heier als VB (Vorgeschobe-ner Beobachter, Anm. d. Red.) verwundet. Unser Chef in vordersterLinie, ein Vorbild von Besonnenheit und Mut. Tag und Nacht liegt unserGelnde unter Artilleriebeschuss. Die Granaten pfeifen ber uns hin-weg. Bis jetzt, wie durch ein Wunder, noch keine Verluste.

    24. Oktober 1941

    Heute Morgen ist es stiller geworden. Ich sitze mit B. im Rechenbunkeram Plantisch, und wir nutzen rasch die Zeit, um einige Zeilen zuschreiben. Ich glaube, die Krise der letzten Tage ist berstanden; derrussische Angriff ist zum Stocken gekommen, und eben trifft die

    Nachricht von einem geglckten Gegenangriff unsererseits ein. Eine

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    bewundernswerte Leistung unserer Infanterie. Ein allgemeines Auf-atmen geht durch unsere Reihen. Gerade kam der Chef von vornezurck. Er war allerdings zu abgespannt, um viel zu erzhlen, und legtesich zum Schlafen. Aber seine Rckkehr alleine ist uns eine groeBeruhigung. Wir hatten uns Sorge um ihn und seine Begleiter gemacht.Er geht in vorbildlicher Weise trotz seines Alters (53 Jahre) in dieschwierigsten und gefhrlichsten Linien vorne, und wenn er auchmanchmal durch sein aufgeregtes und berstrztes Wesen sich einigesverdirbt, so ist er doch ein Hauptmann von echtem Schrot und Korn,vor dem jeder aufrichtig Denkende Hochachtung haben muss.

    In den letzten Tagen war die Klte etwas gewichen, und Regen undSchnee mit aufgeweichten Wegen und Schlamm war an ihre Stelle ge-

    treten. Die Fahrer und Pferde, die Munition auf weite Strecken fr unsheranfuhren, haben Groes geleistet. Unsere Pferde sind sehr mitgenom-men, dass man sie kaum wiedererkennen kann. Aber auch die Leute,

    brtig und beranstrengt, haben das Letzte hergegeben.

    Unsere Verpflegung ist weiter ausreichend. Nur einige warme Sachenknnte ich gebrauchen. Vielleicht irgendeine Pelzweste, die man unterder Uniform tragen kann, oder etwas hnliches. Man hat hier kaumGelegenheit, sich zu waschen. In unserer Stellung gibt es berhaupt keinWasser, und um sich zu rasieren, muss man schon ein wenig Tee opfern.

    Sonst ist es hier aber zum Aushalten. Wir haben Holz im Wald undmachen uns die Bunker mit einem Feuerchen gemtlich warm. Derrussische Beschuss in unserem Gelnde scheint nun nachzulassen.

    Heute bewegt uns die Nachricht von der Absetzung der drei Sowjet-marschlle Woroschilow, Timoschenko und Budjonny. Ist es ein Zeichenfr den Zusammenbruch des russischen Widerstandes? Oder ist StalinsMacht immer noch ungebrochen? Es muss doch einmal ein Ende haben,dies furchtbare Morden, und es ist mir ein groes Anliegen, dass dies

    bald der Fall sei.

    26. Oktober 1941

    Heute ist Sonntag. Es gab allerhand aus den Rohren zu feuern, undder Russe funkte auch hin und wieder. Er versuchte in den vergangenenTagen immer wieder anzugreifen, aber bisher ohne greren Erfolg.Auch in der vergangenen Nacht waren harte Kmpfe. In allen Rich-tungen ringsumher donnerten die Fronten unablssig.

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    Bei Tagesgrauen erschien pltzlich Oberst F. in der Feuerstellung unduerte sich sehr anerkennend dem Hauptmann gegenber ber dessenund der Batterie Leistungen. Auch fr meine Arbeit als Rechentrupp-fhrer fiel dabei ein besonders Lob ab.

    Heute Nachmittag war es bis auf einige Feuerberflle, die wir aus-lsten, und bis auf einige Beunruhigungen durch feindliche Fliegerruhig, aber es gab noch allerhand auszuarbeiten und vorzubereiten,das mit meinen treuen Kameraden Marstaller und Linden - Lotte kenntsie beide - freudig geschafft wurde. Morgen frh gehen der Hauptmannund Uffz. Stegberg wieder nach vorne. Beide bekamen heute fr ihrenletzten Einsatz das Eiserne Kreuz. Das Wetter ist immer noch regnerischund patschig. Man wird zwar nass dabei, aber man friert nicht so. Wir

    haben uns jetzt an unser Hhlenleben gewhnt und uns in den kleinenBunkern gemtlich eingerichtet. Wenn ich des Abends mit Sigberg undden beiden Rechnern eng ums Feuer gedrngt zusammensitze, dannerleben wir oft schne Stunden. Es sind Kameraden, wie man sie sichnach dem Herzen wnscht. Auch kleine Haustierchen haben wir unsinzwischen zugelegt. Es sind die Feldmuse, die es bei uns doch wohn-licher finden, als drauen. Sie rascheln und quieken umher, aber manlsst sie ruhig gewhren, denn man freut sich ber jedes Lebewesen indieser groen Einde, in der es nichts zu geben scheint als denunbarmherzigen Krieg. Drauen ist es heute Abend ruhiger als gestern.

    Nur vereinzelt hrt man das Rattern eines MG oder das Krachen einesKanonenschusses. Sonst tiefe Ruhe. Wenn ich allein in meinemRechenbunker bin und die Arbeit getan ist, dann wird mir meine kleineBehausung zu einem feierlichen Gebetskmmerlein.

    27. Oktober 1941

    Die Nacht war ruhig, und heute Morgen ist von uns aus noch keinSchuss gefallen. Der erste Vormittag ohne Kanonendonner. Drauenhrt man die Front nur hin und wieder, und ber Nacht ist hoherSchnee gefallen, aber Pappschnee, der alle Unternehmungen zu behin-dern scheint. So wurde der Vormittag dazu ausgenutzt, um unserenBunker etwas wohnlicher herzurichten. In einer Kartuschhlse wurdeein wenig warmes Wasser aufgesetzt, um Strmpfe und Halsbinden zuwaschen. Im brigen wurde gehrig Holz klein gemacht als Vorrat frdie langen Abende.

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

  • 8/9/2019 Vor Leningrad

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    28. Oktober 1941

    Gestern Nachmittag gab es noch einige Schsse fr unsere Rohre, abersonst war es der stillste Tag, den wir in der Stellung bis jetzt hatten. AmAbend sa ich am Feuer und schrieb ein Krtchen an Lotte. Die Nachtverlief ungestrt und auch heute Morgen ist es in unserem Abschnittruhig. An den anderen Abschnitten dagegen rumpelt es gewaltig. DieRussen versuchen anscheinend immer wieder, ber den Fluss zu kom-men. Nun habe ich noch einige kleine Wnsche. Was uns an den langenAbenden fehlt, ist Licht. Knnt Ihr mir nicht laufend einige Kerzenschicken, auch Batterien? Dann bitte von Zeit zu Zeit etwas Briefpapierund Umschlge, ferner Rasierklingen. Man kann ja hier absolut nichtskaufen in dieser Einde. Bitte schickt mir auch ein gutes dauerhaftes

    Messer zum Brot schneiden und schmieren. Ferner noch eine Ein-schmierbrste und Schuhcreme, wenn mglich, auch etwas Schuhfett.Das Schuhwerk hat bei der Dauernsse viel Pflege notwendig, wennman vor nassen Fen bewahrt werden soll.

    Heute Nachmittag war es wieder ziemlich still bei uns. Nur wenigeSchsse gingen heraus. Drauen wird es ungemtlich. Der nasse Schneeliegt schon fuhoch, und der Wind pfeift kalt aus dem Westen.

    Nun wei man ein Erdloch zu schtzen, wie ich Pit philosophierend

    sagen hrte, als er in kalter Nacht auf Posten am Bunker vorbeikam:So ein kleiner Bunker und so viel Glck!

    Die Post, die bewundernswerter Weise fast tglich kommt, bedachtemich heute besonders reichlich. Briefe von Lotte und Thekla, Marzipanvon Tante Maria, Kruterkse von Mechthild und eine Karte vonDr. Schnzeler und Joachim. Fr alles herzlichen Dank. Es ist immereine Feierstunde, wenn man eure Briefe und Gre lesen kann, zumalwo man fr die guten Nachrichten stets so freudig danken kann.

    Inzwischen bekam ich auch schon zwei Briefe aus Belgien. Den einenauf franzsisch von meinen Quartiersleuten (Dupuis) in Petit Roeulxund den anderen auf flmisch von Herrn van den Heuvel in Antwerpen.Ich habe ihm gleich ausfhrlich zurckgeschrieben. Es geht mir weitergut. Verluste haben wir in den letzten Tagen nicht mehr gehabt. Nur dasWetter und die mangelnde Unterkunft setzen Mensch und Tier hart zu.Ich fhle mich jedoch gesund - nicht einmal erkltet, nur die Fe habenein wenig Frost mitbekommen. Unsere Verpflegung ist jetzt gut undausreichend. Im Anfang war sie - wohl nur aus Grnden des Nach-

    schubs - zeitweise knapp, aber jetzt ist wieder alles in Ordnung.

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    Heute Abend schiet der Russki wieder ein wenig nach uns. Aber seineSchsse liegen weit hinter uns im Gelnde.

    29. Oktober 1941

    Die vergangene Nacht verlief wieder ungestrt, und auch tagsber gabes fr unsere Rohre nur wenig zu tun. Der Hauptmann kam von vornezurck und berichtet von einer unheimlichen Kirchhofsruhe in den rus-sischen Grben. Doch man zweifelt daran, dass sie wirklich echt ist. Wirsind auf der Hut, um einem neuen Angriff zu begegnen. Heute ist esdrauen wirklich winterlich geworden.

    Feiner Pulverschnee liegt fuhoch, und der Wald liegt in seiner schn-sten Winterpracht um uns. Da ist es immer eine schne Abwechslung,wenn ich morgens und gegen Abend mit der Axt in das umliegendeGehlz gehe, um das notwendige Holz fr die Feuerung zu holen. Wirschlagen uns mit Vorliebe die kleinkrppeligen Birken, mit denen derBusch- und Tannenwald durchsetzt ist. Birkenholz brennt prachtvoll imOfen, sogar wenn es frisch geschlagen und feucht ist.

    Wenn des Abends ein zartes Abendrot die Wlkchen am Westhimmelpurpurn frbt, und die ersten Sterne zu funkeln beginnen, dann ergreift

    mich oft die Weise des Vespergesanges: Horch, die Wellen tragenbebend sanft und rein den Vesperchor.

    Heute erfhrt man, dass Stalin sich endlich aus Moskau zurckgezogenund nach Stalingrad an der Wolga begeben hat. Dort gedenkt er, seinenWiderstand mit englischer und amerikanischer Hilfe fortzusetzen.Besorgt mir bitte auf meine Rechnung eine Schneebrille in unzerbrech-lichem Etui.

    30. Oktober 1941

    Die Nacht war ruhig, aber kalt. Auch heute Morgen kalter Nordostwindund fuhoher Schnee. Es scheint, dass der russische Winter in diesenBreiten nun eingesetzt hat. Die schne Jahreszeit des Herbstes haben wirnun berschlagen. Als wir am 24. September in Petit Roeulx abrckten,war noch alles in sommerlicher Farbe und Wrme. Unterwegs grtenuns in Ostdeutschland die ersten Herbsttnungen und weiter die kahlenBume. Bei unserer Ankunft in den russischen Weiten war schon allesgrnende Leben gewichen, und Wald und Wiese zur winterlichen Leb-

    losigkeit erstarrt. Auch bei euch werden jetzt mit dem Allerheiligenfest

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    die letzten Bltter fallen, und nach trben regnerischen Novembertagenwird der Winter einziehen. Mge er mitleidig und milde sein.

    Da der Tag heute ruhig verlief und nur wenig geschossen wurde, habeich mir die notwendige Bewegung durch Holz-klein-machen verschafft.Bei diesem Winterwetter und unter unseren Verhltnissen die ange-nehmste Beschftigung, die man sich denken kann. Diese Nacht werdeich im warmen Offiziersbunker verbringen, denn der Chef ist nicht da,und Wm. (Wachtmeister, Anm. d. Red.) Opladen hat mich gerade aufge-fordert, dorthin zu kommen. Noch ein dritter Schlafgeselle ist dort, nm-lich Papa Richters zotteliges Hndchen, aber wir drei werden uns sichervertragen.

    31. Oktober 1941Nach ungestrter Nacht hatten wir einen richtigen Wintermorgen mithohem Schnee und mildem Frost. Mit Schneewasser ein wenig ge-waschen und rasiert; ich liebe es nicht, mit ellenlangem Bart herumzu-laufen, wie es hier allgemein Mode ist. An den Fronten ist es heute Vor-mittag still, auch in der Luft. Wir haben noch keinen Schuss abgegeben.Es schneit immerzu, und ich glaube, in diesem Jahr geht der Schneenicht mehr fort. Wenn nicht geschossen wird, hocken wir viel am Feuerin unseren Erdlchern. Dann sitzen wir (Pitt Linden, Marstaller und ich)

    zusammen und erzhlen im Gedenken der vergangenen Zeiten undmachen Plne fr die Zukunft.

    1. November 1941 - (Allerheiligen)

    Heute Morgen um 6 Uhr gab es einige Arbeit fr unsere Rohre, da derRusse sich wieder regte. Es war ein recht bewegter Allerheiligentag. Ichsa viel beim Hauptmann im Bunker am Telefon, da er heute allein war.Am Nachmittag wurde es wieder etwas ruhiger und am Abend ist esganz ruhig. Wir drei saen wieder am Feuer zusammen und unterhiel-ten uns ber den Festtag.

    2. November 1941 (Sonntag)

    Die Nacht war wieder ungestrt, und obschon man sich heute ein wenigsonntglich einrichten wollte, war allerhand zu tun: Munitionieren,Bunker ausbessern - die Kamine fallen immer mal wieder ein, Holz be-schaffen usw. Dazwischen dann von Zeit zu Zeit Feuerkommandos undFeuerberflle, die wir auslsen mussten. Der Chef war heute allein,

    und ich musste meistens um ihn sein, bei ihm im Bunker und ihn am

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    Apparat vertreten, wenn er sich drauen mal vertreten wollte. Auch ihmfllt es schwer. Mit seinen 53 Jahren kein Wunder. Vom schlechten Lichtschmerzen ihm die Augen, vom Frost die Fe. Im allgemeinen Umganglsst er sich ja nichts anmerken, aber wenn er allein ist, hre ich ihn oftsthnen: Mir ist es mau. Ich halte es kaum noch aus! Der dauerndeAufenthalt in den engen verqualmten Bunkern, wo man gerade aufrechtsitzen kann, bedrckt und wirkt nachteilig. Er ging dann einmal heraus,um sich etwas Bewegung zu verschaffen und half sogar Granatenschleppen. Aber das ging ber seine Krfte, und er fiel gleich mit seinerGranate der Lnge nach hin. Zum Glck passierte ihm aber nichts.Eine schlimme Kalamitt ist heute die Lichtfrage. Ich warte sehnschtigauf die Kerzen und Batterien, die ihr mir schicken wollt soviel ihr knntund egal, wieviel sie kosten. Tagsber hat man hier Arbeit genug zu tun,

    und gegen 16 Uhr wird es schon dunkel. Kerzen und Batterien sindknapp und sie reichen kaum fr die dringendsten Dienstangelegen-heiten. So sitzen wir denn im Dunkeln, das heit im Zwielicht odervielmehr schemenhaft erleuchtet von der Flamme unserer Feuerung.Mit dem ntigen Fingerspitzengefhl kann man gerade dabei noch seinEssen und die sonstigen notwendigsten Hantierungen verrichten, sonstaber nichts, und man kann die langen Abendstunden weder zum Lesennoch Schreiben benutzen. Selbst am Tage ist es in unseren Lchern,deren Eingnge wir zum Schutz vor Klte anstelle von Tren mit Sckenund Zeltplanen abdichten mssen, dunkler Dmmerschein. Es ist finster

    in unseren Behausungen wie im Bauch des Walfisches beim ProphetenJonas.

    Das Wetter war heute mild, nur wenige Grad unter Null und ein gleich-mig bewlkter, schneebeladen scheinender Himmel, wie man es beiuns selten sieht. Zwei Dinge sind es sonst nur, deren Eindruck immerwieder vor uns hintritt: der weie Winterwald und die weite schneebe-deckte russische Ebene. Darin nur einige kleine Schneedcher und ganzzaghaft das Trmchen der Kirche von S. (Sinjawino), sonst ist rings-herum in dieser winterstillen Landschaft nichts Lebendiges zu sehenund zu vernehmen, und doch erbebt sie unaufhrlich vom Donnern undBlitzen der Geschtze und Lrmen der Fronten, ber denen des NachtsLeuchtkugeln emporsteigen und rote Brnde sich geisterhaft abheben.

    3. November 1941

    Ein Tag mit viel Aufregung, Arbeit und Schieerei schon seit 5 Uhr.Drauen nimmt die Klte zu, der Schnee knirscht unter den Fen undin den Bunkern muss man ordentlich feuern, um es warm zu bekom-

    men. Heute kamen 28 Postenmntel in der Stellung an, von denen ich

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    einen erhielt, obwohl ich mit Posten stehen ja nichts mehr zu tun habe,aber im kalten Bunker beim Rechnen und des Nachts wird er mir guteDienste tun.

    4. November 1941

    Gestern kam Mutters Karte vom 22.10. aus Krefeld, die erste Anschriftmit Uffz. Buff adressiert und zugleich der erste Glckwunsch, nachdemich nun schon vier Wochen das Lametta trage. Allerdings ist es bei mirnur feldmig und nicht silbernglnzend, sondern nur matt, und aucham Kragen ist mir eine einfache matte Litze aus den beiden Ecken auf-genht. So ist es aus begreiflichen Grnden zweckmiger, und im bri-gen war ich damals froh, berhaupt die notwendigen Litzen usw. zur

    Vorstellung auftreiben zu knnen. Ich musste manchen Weg dafrmachen, bis ich in dem nchtlichen Wyritza den Schneider mit diesenDingen fand. Im brigen sind das alles ja nur uerlichkeiten. Ich hoffe,dass ich meine Pflichten als Unteroffizier hier im Feld voll erflle undVorgesetzten und Untergebenen ein gutes Beispiel gebe. Im Verhltniszu meinen Untergebenen soll Gerechtigkeit und Liebe mein Leitspruchsein. Hier im Felde werde ich als Rechentruppfhrer mein Amt so gutich kann ausfllen. In der Kaserne wrde es mir schwerer fallen, aberhoffentlich kommt das nicht mehr in Frage.

    Eben komme ich vom Gang durch die winterliche Stellung in meinenRechenbunker zurck. Mein Feuerchen brennt heute Abend schlecht,aber den Eingang zu meiner Klause unter der Erde habe ich mit Zelt-planen und einem leeren Hafersack gut abgedichtet, und das Letzte tundann die Decken und der Woilach, so dass ich trotz scharfer Winterkltedes Nachts nicht zu frieren brauche. Gleich werde ich meine Lagerstattaus Heu auf der Erde ein wenig zurechtmachen und mich eindrehen.Mit den Fen stoe ich dann an meinen kleinen Holzvorrat an derWand, und an der gegenberliegenden ruht mein Kopf auf dem Reiter-futtersack, der ein ausgezeichnetes Kopfkissen darstellt.

    Recht aufmunternd sind die Berichte ber die groartigen Fortschritteunserer Truppen im Sdosten auf der Krim und am Asowschen Meer.Auch hier oben im Norden hren wir von einschneidenden Erfolgen,und die Hoffnung belebt sich aufs Neue, dass wir hier nicht den Winterverbringen werden.

    Ich schreibe jetzt nur noch jeden zweiten Tag, da meine Briefumschlgezu Ende gehen und ich nicht wei, wann neue eintreffen. Schreibt auch

    ihr bitte oft, ich freue mich so ber jedes Lebenszeichen aus der Heimat.

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    6. November 1941

    Der heutige Tag begann frh. Lange ehe der Morgen graute, donnertenunsere Geschtze. Es galt, einen feindlichen Angriff im Keime zu er-sticken, was auch gelang. Heute Nacht wird es wohl auch nicht ohneStrungen abgehen.

    7. November 1941

    Die Nacht brachte ein wenig Schieerei, aber ich brauchte nicht heraus.Die Telefonanlage, die ich neuerdings im Bunker habe, tat mir bei derbermittlung der Feuerkommandos gute Dienste.

    Laut hherem Befehl sollen Truppenrzte auch der hiesigen Bevlker-ung behilflich sein. An unserem Truppenverbandsplatz hat unser Stabs-arzt, der glcklicherweise mit uns nicht allzuviel zu tun hat, ein Schildanbringen lassen, das auf russisch seine Sprechstunden anzeigt. Als Be-zahlung ist Kleinholz mitzubringen, was die Patienten reichlich besitzen.Wie man hrt, wird von dem Angebot reger Gebrauch gemacht.

    Leider gab es heute wieder keine Post. Wie es heit, sei die Bahnliniebombardiert, aber es sollen nun LKWs eingesetzt werden zur Postbe-frderung. Hoffentlich ist das mglich.

    8. November 1941

    Heute haben wir nur wenig gearbeitet, das heit geschossen. Nur 16Schsse gingen heraus. Bisher ein Minimalrekord. An den Fronten wares auch ziemlich ruhig, sogar in der Luft. Nun, jetzt am Abend, legt dieRussen-Artillerie uns noch einige Brocken als Abendgre hin. Aber siesind weit im Gelnde niedergegangen.

    Das Wetter drauen ist milde und angenehm. Es schneit ein wenig.Temperatur minus 3 , whrend es die letzten Tage um minus 10 bisminus 15 kalt war. Aber jetzt haben wir auch Windrichtung aus demSden. Ach lieber Sdwind blas noch mehr.. Die freie Zeit haben wirheute zum Ausbau unseres Rechenbunkers benutzt. Den Eingang zumFuchsbau haben wir etwas erweitert und vertieft und zum Schutz gegendie Klte eine Art Vorhalle geschaffen, die sich durch eine Zeltbahnabdichten lsst.

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    Heute gab es eine ganz romantische Abendmahlzeit, Pferdefleisch amFeuer gebraten und Brot dazu gerstet. Es schmeckte uns vortrefflich.Anschlieend saen wir wieder zusammen und lebten in Erinnerungenund Hoffnungen.

    9. November 1941

    Heute kam die so lang ersehnte Post endlich wieder an und erfreutemich mit einem Briefchen von Bruno vom 27.10. Die letzte Nachrichtvorher war Mutters Karte vom 22.10. Was dazwischen liegt, fehlt undkommt wohl noch spter an, wenn es nicht verlorengegangen ist. DieRussen sollen mehrfach die Bahnlinie bombardiert haben. Fr BrunosZeilen und Geburtstagswnsche und fr die beiden entzckenden

    Karten herzlichen Dank. Das Pckchen Tabak an deinen Meister inRheinhausen war meine letzte Sendung aus Belgien von Petit Roeulx,dem kleinen paradis perdu.

    Erfreulich, dass die Gartenarbeit so reiche Frchte trgt. Je mehr destobesser. Smtliche Unkosten, die dadurch entstehen, will ich gerne ber-nehmen. Ich werde jetzt ohnehin ein kleiner Krsus. Heute kam eineAbrechnung der Heeresstandortverwaltung, wonach fr die Monate Juli

    bis September und fr November je 75,50 RM (Reichsmark, Anm. d.Red.), also insgesamt 301,50 RM berwiesen worden sind. Es fehlt noch

    die berweisung fr Oktober, die ich Morgen reklamieren werde.Auerdem wird sich dies Gehalt bei einer Befrderung zum Uffz. nochetwas erhhen. Bei der Deutschen Bank werde ich einen Kontoauszugerbitten.

    Heute war es an unserer Front ganz still. Zum ersten Mal in unseremnun fast vierwchigem Hiersein haben unsere Geschtze den ganzenTag geschwiegen. Hptm. Richter kam von vorne zurck und berichtetegnstig ber seine Eindrcke. Der Russe scheint mrbe geworden zusein. Heute in der Frhe erreichte uns auch die glckliche Nachricht,dass der wichtige Eisenbahnknotenpunkt Tichvin, der im Rckenunserer Gegner liegt, von Panzertruppen genommen worden ist. FroheZuversicht beseelt uns wieder: Es geht vorwrts! Nichts desto wenigerwird weiter am Ausbau der Stellung gearbeitet, und die Ruhezeit wirdgleich wieder ausgenutzt, um die Zgel der Disziplin und der Ordnung,die etwas nachgelassen hatte, von Neuem anzuziehen. So merkte mannicht viel vom Sonntag. Doch war ich mit euch im Geist vereint undtrstete mich mit der Frbitte des heutigen Evangeliums, das in unserenBunkern mit Andacht gelesen wird. Abends besuchte mich mein alter

    Kamerad Thevissen, mit dem ich schon in Glogau gedient hatte. Wir

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    schwelgten zusammen in Erinnerungen an die Heimat, an die ver-gangenen schnen Zeiten in Le Havre und Petit Roeulx und in Hoff-nungen fr eine bessere Zukunft.

    10. November 1941

    Der Sdwind hatte so stark geblasen, dass gestern mildes Tauwettereintrat und der Schnee ein wenig zu schmelzen begann, aber heute ister schon wieder einem scharfen Ostwind gewichen, der klirrenden Frost

    bei sternklarem Himmel mitbringt. In unserer Stellung war es wiederstill, und ehe neue Dinge sich anbahnen, konnte man etwas fr dieallmhlich notwendig werdende Krperpflege tun. Gefreiter HubertSchmitz tat sich als Hoffriseur auf. Auf einer leeren Kartuschenkiste -

    die sich berhaupt fr alles eignet - sa ich in der Schneelandschaftund lie mir, wie daheim beim Friseur, die Wolle stutzen. Dann wurdedie seit acht Tagen fllige Bartabnahme mal wieder vorgenommen,wonach ich mich bedeutend wohler fhle, wenn auch die meisten derKameraden hier mit ganz erschrecklichen Rbezahlbrten herumlaufen,weil es wrmer sein soll. Ich kann mich dafr nicht begeistern.

    Gegen Abend marschierten wir in kleinen Gruppen zum nchsten Dorf.Dort sollte ein Sauna-Bad genommen werden. Aber aus Mangel anKenntnissen ber diese Badeart und auch aus Mangel an Feuer und

    Wasser wurde unser Bad kein reines Vergngen. Halb erstickt vorQualm und Rauch, kamen wir aus der bauflligen Bretterbude wiederheraus und schnappten trnenden Auges - das Birkenholz hat einen

    beienden Geruch - nach frischer Luft. Das Waschen war mit einigenTropfen geschehen, aber man hatte wenigstens mal wieder reine Wscheam Leibe. Im brigen werde ich es weiter vorziehen, mich morgens,wenn mglich, mit einer Kartuschhlse voll Schnee abzureiben.

    Heute erhielt ich wieder eure Briefe. Wie lieb und trstend ihr schreibt,das ist mir eine rechte Strkung. Es sind nun schon Geburtstagsbriefe,die hier eintreffen. Wie freue ich mich auf das Pckchen und die war-men Sachen, die sicher schon unterwegs sind. Von Lotte kam dergewnschte russische Sprachfhrer. Ich habe inzwischen schon aller-hand Russisch gelernt und kann mich damit sicher weiterbilden. Ach,nein, mit wem soll ich denn reden? Mit den Bumen des Waldes, deruns umschliet und den ich heute fr zwei Stunden zum ersten Malnach vier Wochen verlassen habe? Aber doch, da stand ein blonder

    blauugiger Junge mit breiten Backenknochen an der Saunabude. Dazog ich mein Heftchen heraus und fragte ihn: Kak wi pogima jetje?

    (Wie geht es Ihnen?) Worauf die erwartete Antwort kam: Spassibo

    Wolfgang Buff, Vor Leningrad

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    choroscho!- Danke, gut! Als wir ber die weite Schneeflche gingen,neigte sich der Tag zu Ende. Wie so oft lag wieder ein zartes, duftendesRosa am westlichen Abendhimmel. So vershnend und milde strahlte esber der strengen, wunderbaren Landschaft auf, ehe das Dunkel derNacht sich herabsenkte. Da kam mir das schne Verslein von PeterRosegger in den Sinn: Aus der Heimat kommt der Schein, musslieblich in der Heimat sein! Und ich wanderte meinen Weg wiederfrhlich.

    11. November 1941

    Heute ein Tag, der viel Unruhe, Aufregung und Klte -16 brachte.Dazu ein noch nicht gekanntes Artilleriefeuer der Russen. Es ist eine

    sprbare Bewahrung und Gnade, dass bei uns nichts passiert ist.12. November 1941

    Ein Tag voller Unruhe, Aufregung, Arbeit und Winterklte. Aber es gehtvorwrts, wie wir spren und hoffen. Nach allen Himmelsgegendendrhnen unsere Schsse. Was in den letzten Tagen war, ist die Ruhe vordem Sturm gewesen. Gebe Gott, dass es gelinge.

    13. November 1941

    Heute kam viel rckstndige Post an. Briefe von Mutter vom 13.10. undein wunderschnes selbst gestricktes Paar Strmpfe. Solche Sachen kannman jetzt hier gut gebrauchen. Allerherzlichsten Dank. Die Briefe, dieich heute wieder von vielen Seiten erhielt, sind mir mit dem Essen einerechte Freude und Aufmunterung. Zeit ist fr Lesen und Schreibenfters, aber es fehlt an Licht.

    14. November 1941

    Das pfelchen, das die liebe Mutter mir schickte, war steinhart gefroren,aber ein wenig aufgetaut schmeckte es kstlich. Schade, dass die Erntenur so klein war. Sie reicht ja nun kaum noch fr den Tannenbaum unddie Weihnachtsteller. Aber dafr ist eure Gemseernte, wie Joachimschreibt, ja nun besser ausgefallen.

    Des Abends bestreiten wir unsere Mahlzeit jetzt des fteren mit Pferde-fleisch. So manches arme Tier muss erschossen werden, und da schafftdie Protze (rckwrtige Versorgungseinheit, Anm. d. Red.) uns denn

    auch mal etwas davon hinauf. Mit einigen Krnern Salz, etwas Butter

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    und aufgetautem Schneewasser am Feuerloch gebraten, ist es eine sehrwillkommene Zugabe. Es schmeckt hnlich wie Rindfleisch, und da manes ohne Marken bei euch haben kann, wrde ich sehr empfehlen, es zuprobieren.

    Eben gab mir der Chef fr die Rechenstelle voll Stolz eine wunder-schne Karbid-Lampe. Sie brennt herrlich, eine Wohltat fr die gequl-ten Augen, aber woher Karbid bekommen? Jetzt ist sie noch gefllt undwird einige Stunden brennen, aber dann ist es wieder zu Ende. Ich weikeinen anderen Rat, als Euch zu bitten. Schickt mir laufend Karbid inKilo-Paketen. Mglichst jede Woche zwei, mindestens aber ein Paket.Das wre eine dankenswerte Aufgabe fr einen meiner Brder, denneine schlecht beleuchtete Rechenstelle ist nicht nur eine Qual fr ber-

    anstrengte Augen, sondern auch eine bse Fehlerquelle bei verantwor-tungsreicher Arbeit.

    15. November 1941

    Ein Tag mit viel Feuerttigkeit und Kanonendonner, aber ein Abend imFrieden, an dem Peter Lindens Erzhlungen aus seiner Klosterzeit inGeilenkirchen den Krieg und Russland ganz vergessen lie. AuchMarstaller ist in einer solchen Klosterschule erzogen worden. Beide sindaber zum Schluss vom geistlichen Beruf doch abgegangen.

    Heute ist mein Geburtstag. Fr wie vieles habe ich zu danken und zuloben. Ihr werdet ja in meinem Namen gesungen haben Lobe denHerrn, den mchtigen Knig der Ehren, und ich habe es hin undwieder spren drfen, dass bei aller meiner Schwachheit seine gndigeund bewahrende Hand mich leitet. Ihr will ich auch weiterhin ver-trauen, und wenn auch die irdischen Hoffnungen verblassen und sichals eitel und trgerisch erweisen, so wird die ewige Hoffnung meinLicht, meine Kraft und mein Trost sein.

    Eure lieben Geburtstagsbriefe und Glckwnsche, die rechtzeitig an-kamen, waren mir eine rechte Freude. Ich danke euch allen herzlich!Das Pckchen, wovon Mutter schrieb, wird wohl noch folgen. Seid herz-lich gegrt ihr Lieben alle, die ihr in dieser Abendstunde an michdenkt. Es umarmt und ksst Euch in Gedanken herzlich euer 27-jhrigesGeburtstagskind Wolfgang.

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    16. November 1941

    Heute war nicht allzuviel los bei uns. Einige Schieerei, aber sonstsprte man auch hier ein wenig Sonntagsstimmung. Die Sonne strahlteso leuchtend und feierlich ber dem prachtvollen Winterwald, und dieweie Schnee-Ebene lie jedem von uns das Herz aufgehen. Auch trafdie langersehnte Feldpost mit einem groen Sack voller Briefe undPckchen in unserer Weltabgeschiedenheit wieder ein.

    17. November 1941

    Fr Mutters Brief und Joachims Gru vom 2. November herzlichenDank. Wie freut es mich, dass ich euch im schnen Niersheim sicher

    geborgen wei und dass es euch bis auf einige Unannehmlichkeiten gutgeht und alles seinen geregelten Gang luft. Wie dankbar will ich fralles sein, wenn ich mal wieder aus diesem Urzustand und aus demschrecklichen Krieg herauskomme. Und doch wie wenig haben wir auchhier zu klagen oder vielmehr zu ertragen, im Verhltnis zu dem, wasandere durchmachen bzw. schon lange Zeit hindurch mitgemacht haben.Seit fnf Wochen sind wir in der gleichen Stellung, haben uns mit primi-tiven Mitteln etwas einrichten knnen und uns an das Leben in unserenErdlchern schon ziemlich gewhnt. Die Nchte sind in der letzten Zeitruhiger geworden, und man kann sie meist im tiefen Schlaf ungestrt

    verbringen. Der Beschuss durch feindliche Artillerie und durch Fliegerhat sehr nachgelassen, und wir haben seit Wochen keine Verluste mehrgehabt. Viel Grund zur Dankbarkeit fr gndige Bewahrung.

    Wir liegen zwar vor der belagerten Stadt Leningrad, jedoch nicht so, wieihr euch das vorstellt. Unsere Geschtze schieen nicht dort hinein, undwir hren nur ganz aus der Ferne den Donner der schwersten Artillerie,die dort Ziele unter Feuer nimmt.

    Unsere Verpflegung kommt pnktlich und ist ausreichend, vor allemwas Butter und Aufschnitt anbetrifft. Man entwickelt allerdings bei derKlte hier auch einen kolossalen Appetit.

    19. November 1941

    Heute wieder ein ruhiger Tag. Nur vier Schuss gingen heraus, sonst ge-schah nichts. Man hackt eifrig Holz, man hat mal Zeit, seine Sachenwieder in Ordnung zu bringen, den Bunker etwas zu verbessern und imNu ist der Tag auch schon um. Kurz nach 3 Uhr wird es dunkel, dann ist

    man froh, wenn man in sein warmes Loch kriechen kann.

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    Fr Joachims schnen Geburtstagsbrief nachtrglich noch besonderenDank. Wenn du Zeit hast, schreib mir nur oft. Gre Herrn Dr. Schn-zeler von mir. Sage ihm, der Westfeldzug wre im Vergleich zu hier eine

    bessere Wandertour gewesen. Aber er wird es schon wissen, und imbrigen wnsche ihm gute Besserung von mir. Bei Gelegenheit werdeich ihm mal schreiben.

    20. November 1941

    Wie wohl tut mir die Ruhe der letzten Tage, wenn es vielleicht auch nurdie Ruhe vor dem Sturm ist, aber man lebt wieder ordentlich auf undkommt zu sich selber. Meine Gedanken schweifen unablssig zur fernenHeimat, zu euch allen, und ich spre, wie innig ich mit euch verbunden

    bin.Bei meinem Dauerlauf ber die Schneefelder heute Morgen sah icheinen Russen mit der Axt eifrig im Schnee hacken. Was hackte er? Ausden gefrorenen berresten eines lngst verendeten Pferdes schlug ersich noch einige Brocken heraus und fragte mich klglich durch Zeichen,ob wir nicht auch noch solch ein gefallenes Tier htten? Ich konnte michleider nicht weiter mit ihm verstndigen. Nur das Kreuzeszeichen, dasich in den Schnee malte, konnte er begreifen und das Wort Christoswiederholte er mit Andacht, whrend seine Hnde in die Rocktasche

    nach dem Rosenkranz fuhren. Ich bin bisher ja nur in wenigen rus-sischen Husern gewesen, aber wo ich war, sah ich noch immer in einerZimmerecke ein Heiligenbild, die Ikonen, meistens mit einem brennen-den llicht davor. So auch heute in S., wo ich bei einer Russenfamiliemeine schmutzige Wsche abgab. Fr ein Stck Seife, ein PaketchenTabak und ein Stck Brot fr die groe Kinderschar bekomme ich alles

    bis bermorgen gewaschen. Das wre eine fabelhafte Errungenschaftund Wohltat.

    21. November 1941

    Fr Theklas liebe Briefe wollte ich nochmals herzlich danken. ZuWeihnachten wnsche ich mir nur einige warme Sachen und vielleichtdiese praktischen Ohrenklappen. Und im brigen wnsche ich mirLicht, wie ihr ja wisst. Es bedrckt mich, dass es an Kohlen bei euchmangelt. Knnte ich euch nur mal Holz schicken! Ich wrde in jederfreien Stunde fr euch Birken hacken. So aber kann ich euch nichtsanders zu Weihnachten schicken als diesen kleinen Gru aus dem rus-sischen Winterwald. Das Tannengrn ist das gleiche wie bei uns, nur

    die Tannenzapfen werden euch fremd sein. Legt sie dahin auf den Weih-

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    nachtstisch, wo sonst mein Platz neben Lotte und Albrecht war unddenket mein.

    Bis auf einige Feuerttigkeit war auch der heutige Tag ruhig und ohneEreignis. Ich las die Rede des Fhrers vom 9. November, in der uns dieStelle ber Leningrad besonders berhrte. Ja, diese Stadt wird und mussfallen, und befreit aus der Nacht der Gottlosigkeit wird St. Petersburgwieder zu einem Ort des Segens und der Gnadenwirkungen fr dasganze Land werden. Denn die Stadt war ein Metropoliten-Sitz und istals solcher mit groer Bedeutung fr den Osten bezeichnet worden.

    22. November 1941

    Eine ordentliche Zusatzportion in Gehalt von Pferdefleisch wurde aus-geteilt. Zwei herrenlose Panjepferde strichen schon Wochen durch unserGelnde, aber trotz aller Lockungen war es nicht mglich, sie einzufan-gen. So haben wir sie uns denn mit der Kugel geholt, wir das eine unddie Nachbar-Batterie das andere, und heute Abend ist in allen Bunkerngroes Kochen und Braten von Pferdefleisch. Auch das lernt man inRussland.

    Im brigen war heute wieder ein ruhiger Tag mit nur geringer Feuer-ttigkeit. Gang mit L. nach S. (Sinjawino). Der Wind kommt aus Sd-

    westen aus der Heimat. Dann lsst die Klte immer nach, der Himmelbedeckt sich, und es fllt Schnee. So auch heute Abend. Nur 2 Klte.Rostow genommen. Damit ist die zehntgrte Stadt Russlands, wichtigeHafenstadt am Asowschen Meer an der Mndung des Donez, in unsererHand. Ob man es noch bis Astrachan bringt?

    23. November 1941

    Bei uns verlief der Sonntag, abgesehen von der blichen Feuerttigkeit,recht ruhig, und man darf sagen friedlich. Ich konnte mich in meinemBunker still in die Lektionen und Psalmen des heutigen Tages vertiefenund erfuhr etwas von Gottes trostreicher Nhe und Gegenwart. AmNachmittag ging ich dann noch durch die Schneelandschaft zum nch-sten Dorf und holte meine Wsche, die mir eine Russenfrau gegen einStck Brot, ein Paket Tabak und eine Hand voll Bonbons fr ihreKleinen sehr ordentlich gewaschen hatte, wieder ab. Reine Wsche, dasist hierzulande eine groe Errungenschaft. Dem heutigen Brief fge ichnun nochmals 20 Reichsmark bei. Sie sind fr das Weihnachtsfest be-stimmt, bzw. fr das, was die Familie dafr ntig hat. Mutter wird mit

    ihrer einst allerkleinsten und jetzt schon groen Tochter ja wie gewohnt

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    einiges backen und braten wollen. Kerzen und Lichter werdet ihr ntighaben und auch einen Tannenbaum. Wie schn wird es dann wieder inNiersheim sein. Ich werde in Gedanken dann mit euch sein und feiernund mich der seligen Botschaft von der Geburt des Erlsers undFriedefrsten mit euch freuen.

    25. November 1941

    Lebhafter Morgen, aber tagsber still. Reine Wsche, die Ihr schicktet,angezogen, whrenddessen gerade rumnische Offiziere unserenRechenbunker besichtigen wollten. Morgen soll es zum VorgeschobenenBeobachter gehen.

    30. November 1941 (1. Advents-Sonntag)In den letzten Tagen habe ich keine Aufzeichnungen machen knnen,weil ich dort war, wo man weder ein Tagebuch besitzen noch fhrensoll. In der vordersten Linie bei der Infanterie als Mitbeobachter in denVerteidigungsgrben, knapp hundert Meter vor dem Feind. DurchGottes Gnade behtet, komme ich heute Abend zur Feuerstellungzurck. Viele liebe Gre und Pckchen warteten hier, und beim Scheinder ersten gesandten Adventskerze hatte ich mit S. und mit denRechnern noch einen schnen Adventsabend. Wohltuend der helle

    Schein der Adventskerze fr Augen und Seele in der Wildnis. Mir gehtes gut, Mutters Rat wegen der Frostfe werde ich befolgen. Die letztenTage hat die Klte auch hier abgenommen. Nur einige Grad unter Null.Im brigen habe ich den Eindruck, dass wir hier dennoch, wenn auchmit groen Schwierigkeiten, weiter kommen.

    Die fnf Tage, die ich als VB in den vordersten Linien verbrachte, warenmir ein ganz besonderes Erlebnis. Ich fhle mich jetzt nicht in der Lage,viel darber zu schreiben als nur, dass ich in diesen Tagen das Gefhlhatte, noch einige Stufen weiter in die Tiefe abgestiegen zu sein. Nichtnur das Hhlendunkel, woran ich Tag und Nacht gefesselt war, warundurchdringlicher und tiefer, sondern auch Gottes belebende Nheund Gegenwart schienen mir ferne, und es war, als wenn mein Rufenund Seufzen nicht aufsteigen wollte. Herr, erbarme dich unser!

    Es steigt hinauf unser Gebet, es steigt hinab Gottes Erbarmen.

    Heute habe ich in S. (Sinjawino) meine Wsche noch mal abgeholt. Siewar wieder schn gewaschen und sogar gebgelt. Aber die Wscherin

    ist tot. Im Bunker, wohin sie sich geflchtet hatte, schlug eine Granate

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    ein. Ihr kleines Kind konnte noch geborgen werden, obwohl verletzt.

    2. Dezember 1941

    Stiller Tag ohne besondere Ereignisse. Gang nach S. (Sinjawino), dorthabe ich von der Lagekarte des Majors eine Abzeichnung des Front-verlaufes in unserem Abschnitt angefertigt. Auch hierbei konnte ichmich des Eindrucks nicht erwehren, dass es auch bei uns noch ein Vor-wrts geben muss. Hoffentlich kommt es bald.

    4. Dezember 1941

    Ein eisiger Nordwest-Wind brachte heute Freund und Feind in die

    Lcher. Es blieb ziemlich ruhig den Tag ber. Erst am Abend gab esein Salven-Schieen zu Ehren der Heiligen Barbara, das dem Russenwohl einen kleinen Schrecken beigebracht hat. Minus 11. Die armenInfanteristen in ihren Stellungen, wo man sich kaum bewegen und Holzzum Heizen beschaffen kann, sind mehr zu bedauern als wir.

    6. Dezember 1941

    Es geht mir gut. Aber es ist schrecklich kalt; minus 20. Kalte Fe.Drauen an der Front scheint es lebhafter zuzugehen. Sonst alles beim

    Alten.

    7. Dezember 1941 (2. Advents-Sonntag)

    Endlich, nach acht Tagen wieder ein wenig Post. Ich kann nicht vielschreiben. Augen schmerzen. Drauen eisige Klte. Nun sind wir mittenim russischen Winter. Mge der Herr uns beistehen. Gestern kamMutters lieber, ausfhrlicher Brief. Da es mir mit dem Beitrag fr dieAugenoperation Vaters doch zu lange dauert, habe ich heute schon derDeutschen Bank geschrieben, dass sie monatlich einen Betrag von 40Reichsmark auf Vaters Konto bertrgt. Dieses Geld soll nach meinemWunsch in erster Linie zur Bestreitung der Haushaltskosten dienen undder Mutter im Wirtschaftsbetrieb unter die Arme greifen. Wenn sonstmal irgend eine Notwendigkeit vorliegt, schreibt nur. Ich habe nicht dieAbsicht, groe Reichtmer auf der Bank anzuhufen.

    Heute Abend ist Festbeleuchtung bei mir im Bunker. Denn auer denbeiden Benzinfunzeln, die ich mir am 1. Advents-Sonntag aus Hand-granaten der Infanterie konstruiert hatte, brennt noch eine Kerze von

    euch. Denn heute kamen drei groe und ein kleines Pckchen an. Wenn

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    ich es euch nur schreiben knnte, welche Freude sie mir gemacht haben.All die guten Sachen und das prchtige Stckchen Speck! Tausend Dankfr alles.

    Aber um etwas htte ich noch zu bitten: Ich schrieb neulich um Puls-wrmer fr die Fe. Macht sie doch bitte recht warm und lang, alseine Art Wadenstrmpfe. Meine Reithose ist nmlich zu kurz und soeng, dass man sie nicht zuknpfen kann. Macht auch bitte so etwashnliches fr Handpuls und Unterarm. Sonst bitte ich noch um Streich-hlzer, am liebsten htte ich ein gut funktionierendes Feuerzeug, daman Zndhlzer ja eigentlich nicht schicken darf. Aber was soll manmachen, wenn der Nachschub, wie so manches, auch dies fehlen lsst.Aber es geht noch, wir sind noch immer satt geworden. Ich schreibe

    euch nun meine Lage ganz offen, damit ihr euch keine unntige Sorgemacht.Die Gefahrenlage hat bei uns in der letzten Zeit sehr nachgelassen. Wirhaben seit Wochen auer den Pferden, deren wir 60 verloren haben,keine Verluste mehr gehabt. Der Winter bringt auch die Kmpfe zumErstarren. Aber wir liegen jetzt acht Wochen in unseren Erdwohnungen,und da machen uns Engigkeit, Dunkelheit und Klte sehr zu schaffenund zehren an Krper und Geist. Ich meine manchmal, als wenn michmein Kopf im Stich liee, und ich fhle mich leicht gereizt und nervs inallem; das macht gewiss auch das schlechte Licht, die Luft und der Ru

    und Qualm im Bunker. Aber wir wollen froh und dankbar sein, dass wirnoch solch sicheren Unterschlupf haben. Und es ist mein Trost, dassauch diese Zeit, wie die drei Tage des Jonas im Walfisch, von Gott be-stimmt, nur eine gewisse Dauer hat.

    13. Dezember 1941

    In den letzten Tagen viel Klte und Schnee. Heute Morgen ein kleinerSchneesturm, der gleich einige Bunker zuschneite, so dass sich dieInsassen wie Maulwrfe herausbuddeln mussten. Glcklicherweisehrte er gegen mittag wieder auf. Klarer Himmel und starker Frost -minus 16. An den Fronten ist es Gott sei Dank ruhig. Es wird weniggeschossen.

    Gestern und heute kam wieder die ersehnte Post. Die Todesnachrichtvon Onkel Heinrich hat mich sehr betroffen. Als Trost bleibt mir seinletztes Wort, das er mir auf meine zweifelnde Frage nach dem Wieder-sehen in den aus Freiburg abfahrenden Zug 1938 zurief: Dass wir unswiedersehen, wissen wir!

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    14. Dezember 1941 (3. Advents-Sonntag)

    Ein gesegneter Advents-Sonntag in der Ferne und Entlegenheit Russ-lands und der verschneiten Kampfgebiete. Schon die Natur hatte heuteein festliches Kleid angelegt. Gestern Abend waren es noch minus 26

    bei frostklarem Wetter, heute Morgen nur minus 16 und der Himmeldster mit schneebeladenen Wolken bedeckt.

    Aber der Wald ringsum war ein wunderbarer Weihnachtswald gewor-den. Jeder Ast, jeder Zweig dick mit Raureif bedeckt, glitzerte geheim-nisvoll in der trben Luft, die heute kein Sonnenstrahl durchbrach. Weiles windstill war, schien die Klte mild und ertrglich, und alles freutesich des schnen Weihnachtswetters.

    Mit wenigen Schssen war unser kriegerisches Tagewerk getan, unddann gegen Mittag kam mit der Feldkche der groe Freudenbringer inunsere Eiswste: Die Post mit zwei groen Scken voll Briefen undPaketen. Da war ich wieder rhrend bedacht. Am Abend gab es dannein groes Postlesen und Pckchenauspacken und anschlieend einadvents - und weihnachtliches Beisammensein mit M. und L. DasRechentrio feierte Advent im Rechenbunker. Eine schne Adventskerzezndeten wir an, stellten das Transparent auf, das Tante Maria gesandthatte:

    Ehre sei Gott in der Hhe, und Frieden auf Erden, an den Menschenein Wohlgefallen und lasen dazu Weihnachtsgeschichten.

    Auch euer liebes Paket mit Kerzen und Wsche und eure verschiedenenBriefe verschnten den Abend. Nun bin ich mit Wsche wirklich gutversehen, auch die Schafswollweste tut wunderbare Dienste. Ichtrage sie immer und kann mich mit ihr selbst bei den jetzt blichenTemperaturen (-20 bis -26) im Freien ohne Mantel bewegen. Nur mitden Fen klappt es noch nicht so recht, aber durch eifriges Reiben mitSchnee und Einpinseln mit Onkel Hermanns Frostmittel hoffe ich, auchhierin bald zurecht zu kommen. Man muss im russischen Winter ebenerst allerhand Erfahrungen sammeln, um vor Schden bewahrt zu

    bleiben, und da heit es, einiges Lehrgeld zu bezahlen. Aber bis jetzt istes gut gegangen, und wenn es auch schwer werden mag, so hoffen wirdoch, auch die restlichen Wintermonate noch zu berstehen. Aber jedervon uns wird es wissen, dass es eine besondere Gnade bedeuten wird,sie heil berstanden zu haben.

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    Wir mssen ja froh und dankbar sein, dass die Kampfttigkeit bei dieserKlte verhltnismig gering geworden ist, und dass man wirklich das

    beruhigende Gefhl haben darf, dem Gegner, der noch viel schlimmerist als der hrteste Winter, in unserer Lage und in unseren Stellungenberlegen zu sein. Obzwar die Front natrlich nie schweigt und ihrDonner bei Tag und die Leuchtzeichen bei Nacht von ihrem unerbitt-lichem Dasein Kunde geben, rhrt sich der Russe doch nicht mehr viel.Auch hier gilt wie berall an der groen russischen Front der Satz desOKW (Oberkommando der Wehrmacht, Anm. d. Red.) vor einigenTagen: Unter der Einwirkung des russischen Winters sind von jetzt abgrere Kampfhandlungen im Osten nicht mehr mglich. Man richtetsich, so gut und so schlecht es geht, auf den Winter ein und erwartet dasFrhjahr. Dazu gehren auch wir. Allerdings ist man sich dessen be-

    wusst, dass auch die schlimmste Wintersklte berraschungen, sei esangenehmer, sei es unangenehmer Art, nicht unmglich macht.

    Wie wohl tut mir das reine leuchtende Kerzenlicht. Wohl ein gutesDutzend dieser gesegneten Lichtspender sind mit den vielen Paketender letzten Tage eingetroffen. Sie werden fr die nchsten 12 - 14 Tagegengen, um tagsber und des Abends meinen Bunker, der wegenseines Lichtes schon allgemeines Ziel von Besuchern geworden ist,ein wenig zu erleuchten. So haben wir in dieser Advents- und Weih-nachtszeit so richtig die Bedeutung des Lichtes erlebt. All die l- und

    Benzinfunzeln, die wir uns aus Handgranaten, Konservendosen undGewehrhlsen gefertigt hatten, sind ein erbrmlicher, schdlicher Ersatz.Sie leuchten trb. Ihr Qualm schlgt beiend auf die Augen und ver-schmutzt Atemorgane und Lunge. Aber in dem stillen leuchtendenKerzenlicht lebt man ordentlich wieder auf, und was mir in den letztenTagen schwerfiel, ja fast unmglich geworden war, das tue ich jetztwieder mit Lust und Liebe: Meine Gedanken, die so oft zu euchschweifen, zu Papier zu bringen und euch zu schreiben. Das ist immermeine liebste Beschftigung und meine grte Freude.

    17. Dezember 1941

    In den letzten Tagen hat die grimmige Klte ziemlich nachgelassen.Temperaturen von -16 bis -11 empfinden wir als mild und angenehm.Der Himmel ist wolkenverdeckt, ein schwacher Sdwind blst, aberzum Glck bis jetzt noch kein weiterer Schneefall, den wir so sehr

    befrchten. Jetzt liegt der Schnee etwa 30 cm hoch, das tut uns nichts,aber was soll werden, wenn er bis zu einen Meter und mehr ansteigtund Schneeverwehungen unsere Bunker zuschneien? Zum Glck sind

    wir durch den zwar sprlichen, aber doch schtzenden Waldbestand,

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    den wir noch knstlich verdichtet haben, etwas gesichert und geborgen.Der Russe lie uns in der letzten Zeit weiter ziemlich in Ruhe, und wirlieen ihm dasselbe angedeihen. Keiner hat anscheinend an groenVernderungen Interesse, und man ist froh, wenn man da bleiben kann,wo man ist, und man sich so gut es geht eingerichtet hat.

    Wie mag es nur in Leningrad aussehen, der groen, seit dem8. September belagerten Stadt, dem Tor Russlands zum Westen? InFriedenszeiten zhlt es drei Millionen Einwohner, dazu kommen jetztnoch eine Million Soldaten. Bereits im Oktober hrte man, dass Seuchen,Hunger und Mangel aller Art in der bedrngten und zum Teil zerstrtenStadt furchtbar wten. Wie mag es aber jetzt in der kalten Jahreszeit dortzugehen? Wird die Stadt, die noch tglich unter dem Feuer unserer

    Geschtze und Flugzeuge liegt, sich den Winter ber halten knnen?Wir wissen es nicht; die Aussagen der berlufer sind in dieser Hinsichtsehr widerspruchsvoll.

    Drei russische Gefangene kommen jetzt jeden Tag von der Gefangenen-Sammelstelle, um in unserer Stellung zu arbeiten. Sie sind willig, anstel-lig und geschickt, allerdings sehr langsam in der Arbeit. Wir haben vonihnen gelernt, wie man mitten im Schnee aus drrem Holz und etwasZigarettenpapier ein wrmendes Feuer entfacht. Sie kochen sich ansolchen Feuerstellen mit Begier das Pferdefleisch, das sie irgendwo auf-

    getaut haben. Mit dem Hunger ist es bei ihnen besonders schlimm be-stellt. ber einen Bissen Brot, den man ihnen gibt, geraten sie geradezuin Verzckung, entblen den Kopf und bekreuzigen sich andchtig.Ihre Kleidung ist nicht schlecht. Vor allem haben sie gute Pelzmtzenund dauerhaftes Schuhzeug und warme Handschuhe. Aber eine guteWinterausrstung ist ja auch das Mindeste, was ein russischer Soldathaben muss.

    Und noch eine Sache mchte ich euch gegenber klarstellen: Wenn es inder vergangenen Zeit in Briefen des fteren hie, dass schwere ArtillerieZiele in Leningrad unter Feuer nahm, so waret ihr vielleicht der Ansicht,dass wir daran beteiligt waren. Das ist nicht der Fall. Wohl haben wirwochenlang an der Abwehr der sich immer wiederholenden Durch-

    bruchsversuche der Russen in der Umgebung von Leningrad mitunseren Geschtzen mitgewirkt.

    Die vielen Briefe, die ich in der letzten Zeit von euch erhielt, waren mirjedes Mal eine rechte Freude und ein strkender Unterpfand dafr, dasswir uns einmal wieder vereinigen werden. Hier, wo man nun so weit

    entfernt ist, merkt man erst, wie lieb man einander hat und was man fr

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    einander bedeutet. Ja, man merkt berhaupt erst, was Heimat heit undwie man mit allen Fasern mit ihr verbunden ist. Unsere Vorfahren setzenAusland gleich mit dem Wort Elend, und was sie damit meinten, ist mir

    jetzt richtig klar geworden. Nicht irgendwo im Westen, weder inHolland, Belgien noch in Frankreich, sondern hier, wo es auer gleich-frmigem Wald, eintniger Ebene, einigen windschiefen Holzhusern, inderen Mitte eine entweihte Kirche verlassen dasteht, hier ist Ausland imwahrsten Sinne des Wortes, und ich kann nur denken, dass es noch vielschlimmeres Ausland gibt, wo weder Eisenbahn noch Straen hin-fhren, in diesem endlosen und grenzenlosen Russland.

    Wie traurig muss erst das Los unserer Kriegsgefangenen (30 000 Ver-misste wurden krzlich erwhnt) sein und wie beraus verlassen

    mssen sich diese bedauernswerten Kameraden vorkommen. Ihrer undall der Gefangenen - es sind viele Millionen, die ihr Los teilen - mgeman tglich in Frbitte gedenken.

    Inzwischen habe ich Vater ja Vollmacht zur Verfgung ber meinBankkonto erteilt. Ich brauche darber ja nicht viel zu schreiben. Ichhabe das Geld ja jetzt nicht ntig, bin auch zu weit entfernt von euch,um jedes Mal, wenn notwendig, darber selbst zu verfgen. Darum solles euch in meinem Sinne dienen, d.h. in dieser Zeit, wo alle Welt undauch ihr in so vielem Mangel und Entbehrung leidet, soll es euch zu

    jeder nur mglichen Erleichterung und Verbesserung eurer Lage dienenund euch dadurch helfen, diese schwere Zeit zu berstehen. Fr mich istjetzt hier beim Militr gesorgt, und was bei dem ersehnten Danach wer-den wird, das berlasse ich dem morgigen Tag, fr den man nichtngstlich sorgen soll.

    Nun wnsche ich euch alles Gute zum Neuen Jahr. Ich sehe ihm zuver-sichtlich und froh entgegen und nehme gerne von der VergangenheitAbschied, wenn auch im Bunker unter der winterlichen Erde Russlands.

    19. Dezember 1941

    Heute verlassen uns die zwei Glcklichen, die anstatt so wie wir denWinter in der Eiswste Russlands, mit Studienurlaub an einer deutschenUniversitt verbringen werden. Aber man muss fr diese besondereVergnstigung drei Jahre bei der Wehrmacht sein und darf noch keinenanderen Beruf eingeschlagen haben. Werner Behler und Peter Lindenvom Rechentrio sind somit die ersten von uns, die die Heimat wiederse-hen werden. Fr Behler als R II wird nun bald Fresenius hier eintreffen,

    der von seiner langwierigen Gelbsucht genesen ist. Ein zweiter Rechner

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    wird wohl bis zum 15. Mrz, wenn Pitt wiederkommen soll, flach-fallen. Aber bis dahin drfte es auch nicht allzu viel zu tun geben, sodass ich mit Alfred Marstaller die Arbeit des Rechentrupps gut geschafftkriege. Der heutige Tag, wo unser Rechenklub zum ersten Mal ge-sprengt ist, kam uns ganz komisch vor.

    Ein Wachtmeister, der Kchen-Uffz. und ein Gefreiter wurden nachRiga geschickt, um fr die Batterie Weihnachtseinkufe zu machen.sJa, aber hier ist Russland. Nach fnf Tagen kamen sie ganz gerdertwieder. Waren unter Benutzung aller denkbaren Verkehrsmittel bis S. ,100 Kilometer von hier, gekommen. Der Frost bringe alles zum Stocken,selbst die Eisenbahn. Es fehlt anscheinend an Lokomotiven.

    21. Dezember 1941 (4. Advents-Sonntag)Ein trauriger Tag fr uns. Bei einem Angriff fiel als VB durch Kopf-schuss Wm. Opladen. Ein junger hoffnungsvoller Mensch, von jeder-mann in der Batterie geschtzt und geachtet, hat uns nun pltzlich ver-lassen. Nach langen Wochen ohne Verluste steht nun wieder der ganzeErnst des Krieges vor uns. Die beginnende Weihnachtsfreude ist einerallgemeinen Trauer und Betrbnis gewichen.

    22. Dezember 1941

    Nach dem gestrigen Sturmtag heute Grabesruhe. Der tote KameradOpladen, der durch einen Kopfschuss grsslich entstellt wurde, ist vonvorne geholt und liegt im Schnee von Tannenzweigen bedeckt. Das warein trauriger Advents-Sonntag. Ich leide etwas an den Fen. Marstallerwird mich ein wenig vertreten. Aus der Heimat die unbegreiflicheNachricht vom Rcktritt Brauchitschs.

    23. Dezember 1941

    Im Bunker gelegen wegen meiner Fe und sonst ein wenig marode.Aber ich hoffe, dass es nach einigen Tagen Ruhe wieder gehen wird.

    24. Dezember 1941

    Gestern waren nur noch einige Schsse gefallen, dann war Grabesruhe,und eine totenhnliche Erschpfung befiel Offiziere und Mannschaftnach den bermenschlichen Anstrengungen und Aufregungen derletzten Tage. Alle Vorfreude auf das Fest schien vorber und Weih-

    nachten fr uns alle vllig zerstrt. Das war also unser Weihnachts-

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    geschenk: 80 Tote in unserem Abschnitt und mehrere hundert Ver-wundete. Dazu so gut wie kein Erfolg, und man ist froh, dass manwieder zu den Ausgangsstellungen zurckgehen konnte. Jetzt wird derRusse natrlich unsere Situation ausnutzen und durch Gegenangriffeund Artilleriefeuer uns den letzten Rest des Weihnachtsfestes vergllen.So war unsere Lage, unsere Gedanken und unsere Aussichten fr dasChristfest, und zu allem berfluss schien auch die hei ersehnte Postaus der Heimat auszubleiben.

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    Und doch zeigte sich auch hier, dass die Weihnachtsfreude eine Machtund ein Licht ist, das auch die strkste und tiefste Niedergeschlagenheitdurchbricht und in der dunkelsten Finsternis leuchtet. Die Finsternishat es nicht begriffen, das heit auszulschen vermocht.

    Ich wei nicht, wie es kam, aber gegen Mittag, als die Kche mit demEssen ber die weie Schneeflche heranrollte, da sah man hinter ihreinen weiteren, schwer beladenen Wagen dreinfahren. Und siehe da,was man kaum noch zu erwarten gewagt hatte, war Tatsache geworden:Mit selbstverstndlicher Pnktlichkeit kam dort die Weihnachtsbe-scherung des Heeres fr die Soldaten an der Front herangefahren. Undschau hin, sie war reichlich ausgefallen. Wieder viel grer, als man er-wartet hatte. In Westfalen 1939 gab es eine Tte voll Gebck und pfel,

    in Le Havre 1940 auerdem eine Flasche Sekt und Kuchen, aber was hierzum dritten Kriegs-Weihnachten auf den Schneefeldern der Ostfrontbeschert wurde, das bertraf doch alles: Man ging mit Munitionskistenan dem Verteiler vorbei, und dann strmte der Segen hinein: fr jeden1 Flasche Rotwein, 1 Flasche Cognac, 1/3 Flasche Sekt, 1 Dose einge-machte Frchte, 2 pfel, 60 Zigaretten, davon 40 deutsche, Tabak,Zigarren, eine Packung Rasierklingen, 27 Tafeln Schokolade, Trller-Keks, 4 Beutel Bonbons und fast 1 ganzes Pfund wohlschmeckendesWeihnachtsgebck. Und auerdem waren zwei groe Scke Post ange-kommen, es hagelte nur so Paketchen und Briefe von den Lieben

    daheim. Da sah man dann bald einen jeden mit seinen Schtzen zumBunker laufen, ans Auspacken gehen und dann berlegen, ob man nichtdoch ein wenig Weihnachten feiern knne. Und so geschah es. Im Waldwurde ein kleines Bumchen gesucht, und bald fand sich auch im engenBunker noch ein Pltzchen dafr. Eine Weihnachtskerze und etwasSchmuck fand sich in einem Paket, vielleicht auch ein kleines Trans-parent. Dann breitete man seine Gab