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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen Say first, of God above, or Man below, What can we reason, but from what we know? Of Man, what see we but his Station here. From which ro reason, or to which refer? Through worlds unnumber'd though the God be known, 'Tis ours, to trace him only in our own. Pope Essay on Man Ep. I, 17. sq. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie

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35463 1Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Vom Ichals Prinzip der Philosophieoder über das Unbedingteim menschlichen Wissen

Say first, of God above, or Man below,What can we reason, but from what we know?Of Man, what see we but his Station here.From which ro reason, or to which refer?Through worlds unnumber'd though the God be

known,'Tis ours, to trace him only in our own.

Pope Essay on Man Ep. I, 17. sq.

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Vorrede zur ersten Auflage1

Statt aller der Bitten, mit welchen ein Schriftstellerseinen Lesern und Beurteilern entgegenkommen kannhier nur eine einzige an die Leser und Beurteiler die-ser Schrift, sie entweder gar nicht oder in ihrem gan-zen Zusammenhang zu lesen, und entweder alles Ur-teils sich zu enthalten, oder den Verfasser nur nachdem Ganzen, nicht nach einzelnen aus dem Zusam-menhang gerissenen Stellen, zu beurteilen. Es gibtLeser, welche in jede Schrift nur einen flüchtigenBlick werfen, um in der Schnelligkeit irgend etwasaufzufassen, das sie dem Verfasser als Verbrechenaufbürden, oder eine außer dem Zusammenhang un-möglich verständliche Stelle zu finden, mit der siejedem, der die Schrift nicht selbst gelesen hat, bewei-sen können, daß der Verfasser Unsinn geschriebenhabe. So könnten z.B. Leser jener Art bemerken, daßin der vorliegenden Schrift von Spinoza sehr häufignicht »wie von einem toten Hunde« (um LessingsAusdruck zu gebrauchen) geredet werde, und dann dieLogik solcher Leute ist ja bekannt den schnellenSchluß machen, der Verfasser suche die längst wider-legten spinozistischen Irrtümer aufs Neue geltend zumachen. Für solche Leser (wenn man anders diesenAusdruck hier gebrauchen darf) bemerke ich

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einerseits, daß diese Schrift gerade dazu bestimmt sei,das nicht schon längst widerlegte spinozistische Sy-stem in seinem Fundament aufzuheben, oder vielmehrdurch seine eignen Prinzipien zu stürzen, andrerseitsaber, daß mir das spinozistische System mit allen sei-nen Irrtümern doch durch seine kühne Konsequenzunendlich achtungswürdiger sei, als die beliebten Ko-alitionssysteme unserer gebildeten Welt, die, aus denLappen aller möglichen Systeme zusammengeflickt,der Tod aller wahren Philosophie werden. Zugleichräume ich solchen Lesern recht gerne ein, daß diejeni-gen Systeme, die nur immer zwischen Erde und Him-mel schweben, und nicht mutvoll genug sind, auf denletzten Punkt alles Wissens hinzudringen, vor den ge-fährlichsten Irrtümern weit sicherer sind, als das Sy-stem des großen Denkers, dessen Spekulation denfreiesten Flug nimmt, alles aufs Spiel setzt, und ent-weder die ganzeWahrheit in ihrer ganzen Größe,oder gar keine Wahrheit will; dagegen bitte ich siehinwiederum zu bedenken, daß, wer nicht kühn genugist, die Wahrheit bis auf ihre ganze Höhe zu verfol-gen, zwar den Saum ihres Kleides hie und da berüh-ren, sie selbst aber niemals erringen kann, und daß diegerechtere Nachwelt den Mann, der, das Privilegiumtolerierbarer Irrtümer verachtend, der Wahrheit freientgegenzugehen den Mut hatte, weit über die Furcht-samen hinaufsetzen wird, die, um nicht auf Klippen

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und Sandbänke zu stoßen, lieber ewig vor Ankerlägen.

Für Leser der anderen Art, die durch herausgeris-sene Stellen beweisen, daß der Verfasser Unsinn ge-schrieben habe, erinnere ich, daß ich auf die Ehre ge-wisser Schriftsteller, bei denen jedesWort, in undaußer seinem Zusammenhange, gleich viel bedeutet,Verzicht tue. Bei aller Bescheidenheit, die mir ge-bührt, bin ich mir doch bewußt, daß ich die hier vor-getragnen Ideen meinem eignen Nachdenken verdan-ke, und glaube daher keine unbillige Forderung zutun, wenn ich nur von selbstdenkenden Lesern beur-teilt sein will. Überdies geht die ganze Untersuchungauf Prinzipien, sie kann also auch nur nach Prinzipiengeprüft werden. Ich habe versucht, die Resultate derkritischen Philosophie in ihrer Zurückführung auf dieletzten Prinzipien alles Wissens darzustellen. Die ein-zige Frage also, die sich Leser dieser Schrift beant-worten müssen, ist die: ob jene Prinzipien wahr oderfalsch seien, und (sie mögen nun wahr oder falschsein) ob durch sie wirklich die Resultate der kriti-schen Philosophie begründet seien. Eine solche aufdie Prinzipien selbst gehende Prüfung wünschte ichdieser Schrift; erwarten kann ich sie nur von solchenLesern nicht, denen alle Wahrheit gleichgültig ist,oder die voraussetzen, daß nach Kant keine neue Un-tersuchung der Prinzipien möglich sei, und die

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höchsten Prinzipien seiner Philosophie schon von ihmselbst aufgestellt seien. Jeden ändern Leser - sein Sy-stem sei, welches es wolle - muß die Frage über diehöchsten Prinzipien alles Wissens interessieren, weilauch sein System, selbst wenn es das System desSkeptizismus ist, nur durch seine Prinzipien wahrsein kann. Mit Leuten, die alles Interesse an Wahrheitverloren haben, läßt sich deswegen nichts anfangen,weil man ihnen nur mit Wahrheit beikommen könnte;hingegen glaube ich, gegen solche Anhänger Kants,die voraussetzen, daß er selbst schon die Prinzipienalles Wissens aufgestellt habe, bemerken zu dürfen,daß sie wohl den Buchstaben, aber nicht den Geistihres Lehrers gefaßt haben, wenn sie nicht einsehenlernten, daß der ganze Gang der Kritik der reinen Ver-nunft unmöglich der Gang der Philosophie als Wis-senschaft sein könne, daß das Erste, wovon sie aus-geht, das Dasein ursprünglicher, nicht durch Erfah-rung möglicher Vorstellungen, selbst nur durch hö-here Prinzipien erklärbar sein muß, daß z.B. jene Not-wendigkeit und Allgemeingültigkeit, die Kant alsihren auszeichnenden Charakter aufstellt, schlechter-dings nicht auf das bloße Gefühl derselben gegründetsein könne (was doch notwendig der Fall sein müßte,wenn sie nicht durch höhere Grundsätze bestimmbarwäre, die selbst der Skeptizismus, der durch keinebloß gefühlte Notwendigkeit umgestürzt werden

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kann, voraussetzen muß); daß ferner Raum und Zeit,die doch nur Formen der Anschauung sein sollen, un-möglich vor aller Synthesis vorhergehen, und alsokeine höhere Form der Synthesis voraussetzen kön-nen2 daß ebensowenig die untergeordnete, abgelei-tete Synthesis durch Verstandesbegriffe ohne eine ur-sprüngliche Form und einen ursprünglichen Inhalt,der aller Synthesis, wenn sie Synthesis sein soll, zu-grunde liegen muß, gedenkbar sei. Dies fällt destomehr auf, da die kantischen Deduktionen selbst es aufden ersten Anblick verraten, daß sie höhere Prinzipienvoraussetzen. So nennt Kant als die einzig möglichenFormen sinnlicher Anschauung Raum und Zeit, ohnesie nach irgend einem Prinzip (wie z.B. die Kategori-en nach dem Prinzip der logischen Funktionen desUrteilens) erschöpft zu haben. So sind zwar die Kate-gorien nach der Tafel der Funktionen des Urteilens,diese selbst aber nach gar keinem Prinzip, angeord-net. Betrachtet man die Sache genauer, so findet sich,daß die im Urteilen enthaltene Synthesis zugleich mitder durch die Kategorien ausgedrückten nur eine ab-geleitete ist, und beide nur durch eine ihnen zugrundeliegende ursprünglichere Synthesis (die Synthesis derVielheit in der Einheit des Bewußtseins überhaupt),und diese selbst wieder nur durch eine höhere abso-lute Einheit begriffen wird, daß also die Einheit desBewußtseins nicht durch die Formen der Urteile,

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sondern umgekehrt diese zugleich mit den Kategoriennur durch das Prinzip jener Einheit bestimmbar seien.Ebenso lassen sich die vielen scheinbaren Widersprü-che der kantischen Schriften, die man den Gegnernder kritischen Philosophie schon lange (besonders in-sofern sie die Dinge an sich betreffen) hätte einräu-men sollen, schlechterdings nur durch höhere Prinzi-pien schlichten, die der Verfasser der Kritik der reinenVernunft überall nur voraussetzte. Endlich gesetztauch, daß die theoretische Philosophie Kants überallden bündigsten Zusammenhang behauptete, so istdoch seine theoretische und praktische Philosophieschlechterdings durch kein gemeinschaftliches Prinzipverbunden, die praktische scheint bei ihm nicht einund dasselbe Gebäude mit der theoretischen, sondernnur ein Nebengebäude der ganzen Philosophie zu bil-den, das noch dazu beständigen Angriffen vomHauptgebäude aus bloßgestellt ist, dagegen, wofernedas erste Prinzip der Philosophie gerade wieder ihrletztes ist, wenn das, womit alle, auch theoretische,Philosophie anfängt, selbst wieder letztes Resultat derpraktischen ist, in dem sich alles Wissen endet, dieganze Wissenschaft in ihrer höchsten Vollendung undEinheit möglich werden muß.

Man darf, denke ich, alles Bisherige nur nennen,um das Bedürfnis einer durch höhere Prinzipien gelei-teten Darstellung der kantischen Philosophie

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begreiflich zu machen; ja ich glaube, daß gerade beieinem solchen Schriftsteller der Fall eintritt, da manihn einzig und allein den Prinzipien gemäß, die ervorausgesetzt haben muß, erklären, und selbst gegenden ursprünglichen Sinn seiner Worte den noch ur-sprünglicheren der Gedanken behaupten muß. Dervorliegende Versuch nun soll diese Prinzipien aufstel-len. Ich wüßte mir für diesen Versuch kein größeresGlück zu versprechen, als Prüfung der in ihm aufge-stellten Prinzipien; selbst die strengste Prüfung, wennsie nur diesen Namen verdient, würde ich mit einerDankbarkeit aufnehmen, die gewiß mit der Wichtig-keit des Gegenstandes, den sie betreffen müßte, imVerhältnis stünde. Der achtungswerte Rezensent derAbhandlung über die Möglichkeit einer Form der Phi-losophie überhaupt in den hiesigen gel. Anz. (1795.12tes Stück) hat über das dort aufgestellte Prinzipeine Beimerkung mitgeteilt, die gerade den eigentli-chen Hauptpunkt der ganzen Untersuchung trifft. Ichglaube aber seinen Zweifeln in der folgenden Abhand-lung Genüge getan zu haben. Wäre freilich das aufge-stellte Prinzip ein objektives Prinzip, so würde manunmöglich begreifen können, wie dieses Prinzip vonkeinem hohem abhängig sein sollte; das Unterschei-dende aber des neuen Prinzips liegt gerade darin, daßes gar kein objektives Prinzip sein soll. Darüber binich mit dem Rezensenten einverstanden, daß ein

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objektives Prinzip nicht das höchste sein könne, weilein solches nur wieder durch ein anderes Prinzip ge-funden werden muß; die einzige zwischen ihm undmir streitige Frage ist also nur die: ob es kein Prinzipgeben könne, das schlechterdings nicht objektiv sei,und doch die gesamte Philosophie begründe? Wennwir freilich das, was das Letzte in unserm Wissen ist,nur als ein stummes Gemälde außer uns (nach Spino-zas Vergleichung) betrachten müßten, so würden wirniemals wissen, daß wir wissen; wenn dieses aberselbst Bedingung alles Wissens, ja Bedingung seinereigenen Erkenntnis, also das einzige Unmittelbare inunserm Wissen ist, so wissen wir eben dadurch, daßwir wissen, wir haben das Prinzip gefunden, von demSpinoza sagen konnte, es sei das Licht, das sich selbstund die Finsternis erhelle.3

Es steht der Philosophie überhaupt übel an, das Ur-teil über die Prinzipien durch vorangehende Aufzäh-lung der Resultate zu bestechen, oder überhaupt sichgefallen zu lassen, daß man ihre Prinzipien nur andem materialen Interesse des gemeinen Lebens messe.Indes, da ein wohlmeinender Mann denn doch in guterAbsicht die Frage tun kann, wohin eigentlich solcheGrundsätze, die man als ganz neue aufstellt, führensollen, ob sie ein bloßes Eigentum der Schule bleibensollen, oder ins Leben selbst übergehen werden, sokann man ihm, wenn man nur nicht sein Urteil über

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die Prinzipien selbst zum voraus dadurch bestimmenwill, immerhin auf die Frage antworten. Nur in dieserHinsicht allein, und nur in bezug auf gewisse Leser,sei es mir erlaubt, in Ansehung der Prinzipien, die derfolgenden Abhandlung zugrunde liegen, zu bemerken,daß eine Philosophie, die auf das Wesen des Men-schen selbst gegründet ist, nicht auf tote Formeln, alseben so viele Gefängnisse des menschlichen Geistes,oder nur auf ein philosophisches Kunststück gehenkönne, das die vorhandenen Begriffe nur wieder aufhöhere zurückführt und das lebendige Werk desmenschlichen Geistes in tote Vermögen begräbt; daßsie vielmehr, wenn ich es mit einem Ausdruck Jaco-bis sagen soll, darauf geht, Dasein zu enthüllen undzu offenbaren, daß also ihr Wesen, Geist, nicht For-mel und Buchstabe, ihr höchster Gegenstand abernicht das durch Begriffe Vermittelte, mühsam in Be-griffe Zusammengefaßte, sondern das unmittelbarenur sich selbst Gegenwärtige im Menschen seinmüsse; daß ferner ihre Absicht nicht bloß auf eine Re-form der Wissenschaft, sondern auf gänzliche Umkeh-rung der Prinzipien, d.h. auf eine Revolution dersel-ben, gehe, die man als die zweite mögliche im Gebie-te der Philosophie betrachten kann. Die erste erfolgte,da man als Prinzip alles Wissens Erkenntnis der Ob-jekte aufstellte; bis zu der zweiten Revolution waralle Veränderung nicht Veränderung der Prinzipien

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selbst, sondern Fortgang von einem Objekt zum än-dern, und da es zwar nicht für die Schule, aber dochfür die Menschheit selbst gleichgültig ist, welchemObjekt sie diene, so konnte auch der Fortgang derPhilosophie von einem Objekte zum ändern nichtFortgang des menschlichen Geistes selbst sein. Darfman also noch von irgend einer Philosophie Einflußauf das menschliche Leben selbst erwarten, so darfman dies von der neuen nur durch gänzliche Umkeh-rung der Prinzipien möglichen Philosophie.

Es ist ein kühnes Wagestück der Vernunft, dieMenschheit freizulassen und den Schrecken der objek-tiven Welt zu entziehen; aber das Wagestück kannnicht fehlschlagen, weil der Mensch in dem Maßegrößer wird, als er sich selbst und seine Kraft kennenlernt. Gebt dem Menschen das Bewußtsein dessen,was er ist, er wird bald auch lernen, zu sein, was ersoll: gebt ihm theoretische Achtung vor sich selbst,die praktische wird bald nachfolgen. Vergebenswürde man vom guten Willen der Menschen großeFortschritte der Menschheit hoffen, denn um besser zuwerden, müßten sie schon vorher gut sein; eben des-wegen aber muß die Revolution im Menschen vomBewußtsein seines Wesens ausgehen, er muß theore-tisch gut sein, um es praktisch zu werden, und die si-cherste Vorübung auf eine mit sich selbst überein-stimmende Handlungsweise ist die Erkenntnis, daß

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dasWesen des Menschen selbst nur in der Einheitund durch Einheit bestehe; denn der Mensch, der ein-mal zu dieser Überzeugung gekommen ist, wird aucheinsehen, daß Einheit des Wollens und des Handelnsihm ebenso natürlich und notwendig sein müsse, alsErhaltung seines Daseins: und - dahin soll ja derMensch kommen, daß Einheit des Wollens und desHandelns ihm so natürlich wird, als der Mechanismusseines Körpers und die Einheit seines Bewußtseins.

Einer Philosophie nun, die als ihr erstes Prinzip dieBehauptung aufstellt, daß das Wesen des Menschennur in absoluter Freiheit bestehe, daß der Menschkein Ding, keine Sache, und seinem eigentlichen Seinnach überhaupt kein Objekt sei, sollte man freilich ineinem erschlafften Zeitalter wenig Fortgang verspre-chen, das vor jeder aufgeregten, dem Menschen eigen-tümlichen Kraft zurückbebt, und bereits das erstegroße Produkt jener Philosophie, das den Geist desZeitalters für jetzt noch schonen zu wollen schien, zurhergebrachten Unterwürfigkeit unter die Herrschaftobjektiver Wahrheit, oder wenigstens zu dem demuti-gen Bekenntnis, daß die Grenzen derselben nichtWirkung absoluter Freiheit, sondern bloße Folgen deranerkannten Schwäche des menschlichen Geistes undder Eingeschränktheit seines Erkenntnisvermögensseien, herabzustimmen versucht hat. Aber es wäreeine der Philosophie unwürdige Verzagtheit, wenn sie

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nicht selbst hoffte, mit dem neuen großen Gang, densie zu nehmen beginnt, auch dem menschlichen Geisteine neue Bahn vorzuzeichnen, den Erschlafften Stär-ke, den zerknirschten und zerschlagenen Geistern Mutund Selbstkraft zu geben, den Sklaven objektiverWahrheit durch Ahnung der Freiheit zu erschüttern,und den Menschen, der in nichts als in seiner Inkonse-quenz konsequent ist, zu lehren, daß er sich nur durchEinheit seiner Handlungsweise und durch strengeVerfolgung seiner Prinzipien retten könne.

Es ist schwer, der Begeisterung zu widerstehen,wenn man den großen Gedanken denkt, daß, so wiealle Wissenschaften, selbst die empirischen nicht aus-genommen, immermehr dem Punkt vollendeter Ein-heit entgegeneilen, auch die Menschheit selbst, dasPrinzip der Einheit, das der Geschichte derselben vonAnfang an als Regulativ zugrunde liegt, am Ende alskonstitutives Gesetz realisieren werde; daß, so wiealle Strahlen des menschlichen Wissens und die Er-fahrungen vieler Jahrhunderte sich endlich in einemBrennpunkte der Wahrheit sammeln und die Idee zurWirklichkeit bringen werden, die schon mehreren gro-ßen Geistern vorgeschwebt hat, daß nämlich aus allenverschiedenen Wissenschaften am Ende nur eine wer-den müsse - ebenso auch die verschiedenen Wegeund Abwege, die das Menschengeschlecht bis jetztdurchlaufen hat, endlich in einem Punkte

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zusammenlaufen werden, an dem sich die Menschheitwieder sammeln und als eine vollendete Person dem-selben Gesetze der Freiheit gehorchen werde. Magdieser Zeitpunkt noch so entfernt, mag es auch nochso lange möglich sein, über die kühnen Hoffnungenvom Fortgang der Menschheit ein vornehmes Geläch-ter aufzuschlagen, so ist doch für diejenigen, denendiese Hoffnungen keine Torheit sind, das große Werkaufbehalten, durch gemeinschaftliches Arbeiten an derVollendung der Wissenschaften jene große Periodeder Menschheit wenigstens vorzubereiten. Denn alleIdeen müssen sich zuvor im Gebiete des Wissens rea-lisiert haben, ehe sie sich in der Geschichte realisie-ren; und die Menschheit wird nie eines werden, eheihr Wissen zur Einheit gediehen ist.

Die Natur hat für menschliche Augen weislichdurch die Einrichtung gesorgt, daß sie nur durchDämmerung zum vollen Tag übergehen. Was Wunderauch, daß noch in den untern Regionen kleine Nebelzurückbleiben, während die Berge schon im Son-nenglanze dastehen. Wenn aber die Morgenröte ein-mal da ist, kann die Sonne nicht ausbleiben. Diesenschöneren Tag der Wissenschaft wirklich heraufzu-führen, ist nur wenigen - vielleicht nur einem - vor-behalten, aber immerhin mög' es dem Einzelnen, derden kommenden Tag ahnet, vergönnt sein, sich zumvoraus desselben freuen.

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Was ich in dem folgenden Versuche und auch inder Vorrede gesagt habe, ist, wie ich wohl weiß, fürViele zu viel, für mich selbst zu wenig; desto größeraber ist der Gegenstand, den beide betreffen. Ob es zugroße Kühnheit war, über einen solchen Gegenstandmitzusprechen, darüber kann nur der Versuch selbstRechenschaft geben - sie mag nun ausfallen, wie siewill, so wäre jede vorher gegebene Antwort verlerneMühe gewesen. Daß ein Leser, der auf Verdrehungenund Mißverständnisse ausgeht, Mängel genug findenkann, ist natürlich; daß ich aber nicht zum vorausjeden Tadel als ungerecht, jede Belehrung als zweck-los ansehe, glaube ich durch bescheidene Bitte umstrenge Prüfung deutlich genug zu erklären. Daß ichWahrheit gewollt habe, weiß ich ebenso gut, als ichmir bewußt bin, in einer Lage, die fragmentarischesArbeiten in diesem Felde nicht notwendig macht,mehr tun zu können; und hoffen darf ich es, daß mirnoch irgend eine glückliche Zeit vorbehalten ist, inder es mir möglich wird, der Idee, ein Gegenstück zuSpinozas Ethik aufzustellen, Realität zu geben.4Tübingen, den 29. März 1795.

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[Übersicht]

1. Deduktion eines letzten Realgrunds unseres Wis-sens überhaupt, § 1.

2. Bestimmung desselben durch den Begriff des Un-bedingten. Das Unbedingte nämlich kanna. weder in einem absoluten Objekt,b. noch in dem durchs Subjekt bedingten Objekt,

oder dem durchs Objekt bedingten Subjekt,c. überhaupt nicht in der Sphäre der Objekte, § 2.d. also nur im absoluten Ich gefunden werden. Rea-

lität des absoluten Ichs überhaupt, § 3.3. Deduktion aller möglichen Ansichten des Unbe-

dingten a priori.a. Prinzip des vollendeten Dogmatismus, § 4.b. Prinzip des unvollendeten Dogmatismus undKritizismus, § 5.

c. Prinzip des vollendeten Kritizismus, § 6.4. Deduktion der Urform des Ichs, der Identität, und

des obersten Grundsatzes, § 7.5. Deduktion der Form seines Gesetztseins - durch

absolute Freiheit - in intellektualer Anschauung, §8.

6. Deduktion der untergeordneten Formen des Ichs.a. Der Quantität nach - Einheit, und zwar abso-

lute, im Gegensatz

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aa. gegen Vielheit,bb. gegen empirische Einheit, § 9.

b. Der Qualität nachaa. absolute Realität überhaupt im Gegensatz

α. gegen die behauptete Realität der Dinge ansich, oderβ. eines objektiven Inbegriffs aller Realität, §10.

bb. als absolute Realität auch absolute Unend-lichbarkeit.cc. als absolute Realität auch absolute Unteil-barkeit.dd. als absolute Realität auch absolute Unverän-derlichkeit, § 11.

c. Der Relation nachaa. absolute Substantialität, im Gegensatz gegenabgeleitete, empirische, § 12.bb. absolute Kausalität, und zwar immanente, §13, im Gegensatz

α. gegen Kausalität des moralischen undβ. des vernünftig-sinnlichenWesens, insofernes nach Glückseligkeit strebt. Deduktion derBegriffe von Moralität und Glückseligkeit, §14.

d. der Modalität nach - reines absolutes Sein imGegensatz gegen empirisches Sein überhaupt,und zwar:

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aa. gegen empirische Ewigkeit,bb. gegen bloß logischecc. oder dialektischeWirklichkeit,dd. gegen alle empirische Bestimmung desSeins, Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit(Dasein überhaupt),ee. gegen das behauptete absolute Sein derDinge an sich - (im Vorbeigehen Bestimmungder Begriffe von Idealism und Realism),ff. gegen das Dasein der empirischen Welt über-haupt, § 15,

7. Deduktion der durchs Ich begründeten Formenaller Setzbarkeit.a. Form der thetischen Sätze überhaupt.b. Bestimmung derselben durch die untergeordne-ten Formen.aa. Der Quantität nach - Einheit.bb. Der Qualität nach - Bejahung.cc. der Modalität nach - reines Sein, wobei ins-besondere die Urbegriffe des Seins, desNicht-Seins und des Daseins von den abgeleite-ten der Möglichkeit, der Wirklichkeit und Not-wendigkeit getrennt, diese aber überhaupt inbezug auf das endliche Ich betrachtet, und zwar:

α. auf das moralische angewandt, undαα). der Begriff von praktischerMöglichkeit,Wirklichkeit und Notwendigkeit,

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ββ). aus diesen Begriffen der Begriff vontranszendentaler Freiheit deduziert, und dieProbleme, denen er zugrunde liegt, erörtertwerden.β. auf das theoretische Subjekt - in bezug aufZweckverknüpfung in der Welt. § 16.

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§ 1.

Wer etwas wissen will, will zugleich, daß seinWissen Realität habe. Ein Wissen ohne Realität istkein Wissen. Was folgt daraus?

Entweder muß unser Wissen schlechthin ohne Rea-lität - ein ewiger Kreislauf, ein beständiges wechsel-seitiges Verfließen aller einzelnen Sätze ineinander,ein Chaos sein, in dem kein Element sich scheidet,oder -

Es muß einen letzten Punkt der Realität geben, andem alles hängt, von dem aller Bestand und alle Formunsers Wissens ausgeht, der die Elemente scheidetund jedem den Kreis seiner fortgehenden Wirkung imUniversum des Wissens beschreibt.

Es muß etwas geben, in dem und durch welchesalles, was da ist, zum Dasein, alles, was gedacht wird,zur Realität, und das Denken selbst zur Form der Ein-heit und Unwandelbarkeit gelangt. Dieses Etwas (wiewir es für jetzt problematisch bezeichnen können)müßte das Vollendende im ganzen System desmenschlichen Wissens sein, es müßte überall, wounser letztes Denken und Erkennen noch hinreicht -im ganzen kosmos unseres Wissens - zugleich alsUrgrund aller Realität herrschen.

Gibt es überhaupt ein Wissen, so muß es ein

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Wissen geben, zu dem ich nicht wieder durch ein an-deres Wissen gelange, und durch welches allein allesandere Wissen Wissen ist. Wir brauchen nicht einebesondere Art von Wissen vorauszusetzen, um zu die-sem Satze zu gelangen. Wenn wir nur überhauptetwas wissen, so müssen wir auch Eines wenigstenswissen, zu dem wir nicht wieder durch ein anderesWissen gelangen, und das selbst den Realgrund allesunseres Wissens enthält.

Dieses Letzte im menschlichen Wissen kann alsoseinen Realgrund nicht wieder in etwas anderem su-chen müssen, es ist nicht nur selbst unabhängig vonirgend etwas Höherem, sondern, da unser Wissen nurvon der Folge zum Grund aufsteigt und umgekehrtvom Grund zur Folge fortschreitet, muß auch das,was das Höchste und für uns Prinzip alles Erkennensist, nicht wieder durch ein anderes Prinzip erkennbarsein, d.h. das Prinzip seines Seins und das Prinzipseines Erkennens5 muß zusammenfallen, muß Einessein, denn nur, weil es selbst, nicht weil irgend etwasanderes ist, kann es gedacht werden. Es muß also ge-dacht werden, nur weil es ist, und es muß sein, nichtweil irgend etwas anderes, sondern weil es selbst ge-dacht wird: sein Bejahen muß in seinem Denken ent-halten sein, es muß sich durch sein Denken selbst her-vorbringen. Müßte man, um zu seinem Denken zu ge-langen, ein anderes denken, so wäre dieses höher als

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das Höchste, was sich widerspricht: um zum Höch-sten zu gelangen, brauche ich nichts, als dieses Höch-ste selbst - das Absolute kann nur durchs Absolutegegeben werden.

Unsere Untersuchung wird also nun schon be-stimmter. Wir setzten ursprünglich nichts, als einenletzten Grund der Realität alles Wissens: nun habenwir durch das Merkmal, daß er letzter, absoluterGrund sein müsse, schon zugleich sein Sein be-stimmt. Der letzte Grund aller Realität nämlich ist einEtwas, das nur durch sich selbst, d.h. durch sein Seindenkbar ist, das nur insofern gedacht wird, als es ist,kurz, bei dem das Prinzip des Seins und des Den-kens zusammenfällt. Unsere Frage läßt sich nunschon ganz bestimmt ausdrücken, und die Untersu-chung hat einen Leitfaden, der sie niemals verlassenkann.

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§ 2.

Ein Wissen, zu dem ich nur durch ein anderes Wis-sen gelangen kann, heiße ich ein bedingtesWissen.Die Kette unseres Wissens geht von einem Bedingtenzum ändern; entweder muß nun das Ganze keine Hal-tung haben, oder man muß glauben können, daß es soins Unendliche fortgehe, oder es muß irgend einenletzten Punkt geben, an dem das Ganze hängt, deraber eben deswegen allem, was noch in die Sphäredes Bedingten fällt, in Rücksicht auf das Prinzip sei-nes Seins geradezu entgegengesetzt, d.h. nicht nurunbedingt, sondern schlechthin unbedingbar seinmuß.

Alle möglichen Theorien des Unbedingten müssensich, wenn die einzig-richtige einmal gefunden ist, apriori bestimmen lassen; solange diese selbst nochnicht aufgestellt ist, muß man dem empirischen Fort-gang der Philosophie folgen; ob in diesem alle mögli-chen Theorien liegen, muß sich am Ende erst ergeben.

Sobald die Philosophie Wissenschaft zu werdenanfängt, muß sie auch einen obersten Grundsatz undmit ihm irgend etwas Unbedingtes wenigstens vor-aussetzen.

Das Unbedingte im Objekt, im Ding suchen, kannnicht heißen es im Gattungsbegriff von Ding suchen.

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Denn daß ein Gattungsbegriff nichts Unbedingtes seinkönne, springt in die Augen. Mithin muß es so vielheißen, als das Unbedingte in einem absoluten Ob-jekt suchen, das weder Gattung, noch Art, noch Indi-viduum ist - (Prinzip des vollendeten Dogmatismus).

Allein, was Ding ist, ist zugleich selbst Objekt desErkennens, ist also selbst ein Glied in der Kette un-sers Wissens, fällt selbst in die Sphäre der Erkennbar-keit, und kann also nicht den Realgrund allesWis-sens und Erkennens enthalten. Um zu einem Objekt,als solchem, zu gelangen, muß ich schon ein anderesObjekt haben, dem es entgegengesetzt werden kann,und wenn das Prinzip alles Wissens im Objekt liegt,so muß ich selbst wieder ein neues Prinzip haben, umdieses Prinzip zu finden.

Ferner das Unbedingte soll (§ 1) sich selbst reali-sieren, sich selbst durch sein Denken hervorbringen;das Prinzip seines Seins und seines Denkens soll zu-sammenfallen. Allein ein Objekt realisiert sich nie-mals selbst; um zur Existenz eines Objekts zu gelan-gen, muß ich über den Begriff des Objekts hinausge-hen: seine Existenz ist kein Teil seiner Realität: ichkann seine Realität denken, ohne es zugleich als exi-stierend zu setzen. Man nehme z.B. an, daß Gott, in-sofern er als Objekt bestimmt ist, Realgrund unsersWissens sei, so fällt er ja, insofern er Objekt ist,selbst in die Sphäre unsers Wissens, kann also für uns

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nicht der letzte Punkt sein, an dem diese ganze Sphärehängt. Wir wollen auch nicht wissen, was Gott fürsich selbst ist, sondern was er für uns in bezug aufunser Wissen ist; Gott kann also immerhin für sichselbst Realgrund seinesWissens sein, aber für uns ister es nicht, weil er für uns selbst Objekt ist, also inder Kette unsers Wissens selbst irgend einen Grundvoraussetzt, der ihm seine Notwendigkeit für dasselbebestimmt.

Objekt überhaupt bestimmt sich als solches, ebendeswegen, weil, und insofern, als es Objekt ist, seineRealität niemals selbst; denn es ist nur insofern Ob-jekt, als ihm seine Realität durch etwas anderes be-stimmt ist: ja insofern es Objekt ist, setzt es notwen-dig etwas voraus, in bezug auf welches es Objekt ist,d.h. ein Subjekt.Subjekt nenne ich vorjetzt das, was nur im Gegen-

satz, aber doch in bezug auf ein schon gesetztes Ob-jekt, bestimmbar ist. Objekt das, was nur im Gegen-satz, aber doch in bezug auf ein Subjekt, bestimmbarist. Wenn also das Objekt überhaupt nicht das Unbe-dingte sein kann, weil es notwendig ein Subjekt vor-aussetzt, das ihm durch das Herausgehen aus derSphäre seines bloßen Gedachtwerdens sein Daseinbestimmt, so ist der nächste Gedanke, das Unbedingtein dem durchs Subjekt bestimmten, nur in bezug aufdieses denkbaren Objekt, oder, da Objekt notwendig

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Subjekt, Subjekt notwendig Objekt voraussetzt, indem durchs Objekt bestimmten, nur in bezug auf die-ses denkbaren Subjekt zu suchen. Allein dieser Ver-such, das Unbedingte zu realisieren, schließt einenWiderspruch in sich, der auf den ersten Blick ein-leuchtet. Eben deswegen, weil das Subjekt nur inbezug auf ein Objekt, das Objekt nur in bezug auf einSubjekt denkbar ist, kann keines von beiden das Un-bedingte enthalten; denn beide sind wechselseitigdurcheinander bedingt, beide einander gleichgesetzt.Auch muß, um das Verhältnis beider zu bestimmen,notwendig wieder ein höherer Bestimungsgrund vor-ausgesetzt werden, durch den sie beide bedingt sind.Denn man kann nicht sagen, daß das Subjekt das Ob-jekt allein bedinge; denn Subjekt ist ebenso gut nur inbezug auf ein Objekt, als Objekt nur in bezug auf einSubjekt denkbar, und es wäre gleichviel, ob ich dasdurch ein Objekt bedingte Subjekt, oder das durch einSubjekt bedingte Objekt zum Unbedingten machenwollte, ja das Subjekt ist selbst zugleich als Objektbestimmbar, und insofern fiele auch dieser Versuch,das Subjekt zum Unbedingten zu machen, ebenso un-glücklich aus, als der andere mit dem absoluten Ob-jekt angestellte.

Unsere Frage: wo das Unbedingte zu suchen sei,klärt sich nun allmählich und von selbst auf. Anfäng-lich fragten wir nur: in welchem bestimmten Objekt in

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der Sphäre der Objekte das Unbedingte zu suchen sei;nun zeigt es sich, daß es überall nicht in der Sphäreder Objekte, und selbst nicht im Subjekt, das gleich-falls als Objekt bestimmbar ist, zu suchen sei.

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§ 3.

Die philosophische Bildung der Sprachen, die vor-züglich noch an den ursprünglichen sichtbar wird, istein wahrhaftes durch den Mechanismus des menschli-chen Geistes gewirktes Wunder. So ist unser bisherunabsichtlich gebrauchtes deutsches Wort Bedingennebst den abgeleiteten in der Tat ein vortrefflichesWort, von dem man sagen kann, daß, es beinahe denganzen Schatz philosophischer Wahrheit enthalte. Be-dingen heißt die Handlung, wodurch etwas zum Dingwird, bedingt, das was zum Ding gemacht ist, worauszugleich erhellt, daß nichts durch sich selbst als Dinggesetzt sein kann, d.h. daß ein unbedingtes Ding einWiderspruch ist. Unbedingt nämlich ist das, was garnicht zum Ding gemacht ist, gar nicht zum Ding wer-den kann.

Das Problem also, das wir zur Lösung aufstellten,verwandelt sich nun in das bestimmtere, etwas zu fin-den, das schlechterdings nicht als Ding gedachtwerden kann.

Das Unbedingte kann also weder im Ding über-haupt, noch auch in dem was zum Ding werden kann,im Subjekt, also nur in dem was gar kein Ding wer-den kann, d.h. wenn es ein absolutes ICH gibt, nur imabsoluten Ich liegen. Das absolute Ich wäre also

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vorerst als dasjenige bestimmt, was schlechterdingsniemals Objekt werden kann. Weiter soll es vorjetztnoch nicht bestimmt werden.

Daß es ein absolutes Ich gebe, das läßt sichschlechterdings nicht objektiv, d.h. vom Ich als Ob-jekt, beweisen, denn eben das soll ja bewiesen wer-den, daß es gar nie Objekt werden könne. Das Ich,wenn es unbedingt sein soll, muß außer aller Sphäreobjektiver Beweisbarkeit liegen. Objektiv beweisen,daß das Ich unbedingt sei, hieße beweisen, daß es be-dingt sei. Beim Unbedingten muß das Prinzip seinesSeins und das Prinzip seines Denkens zusammenfal-len. Es ist, bloß weil es ist, es wird gedacht, bloß weiles gedacht wird. Das Absolute kann nur durch dasAbsolute gegeben sein, ja, wenn es absolut sein soll,muß es selbst allem Denken und Vorstellen vorherge-hen, also nicht erst durch objektive Beweise, d.h. da-durch, daß man über seinen Begriff hinausgeht, son-dern nur durch sich selbst realisiert werden (§ 1).Sollte das Ich nicht durch sich selbst realisiert sein,so müßte der Satz, welcher sein Sein ausdrückte, die-ser sein: wenn Ich bin, so bin Ich. Allein die Bedin-gung dieses Satzes schließt selbst schon das Bedingtein sich: die Bedingung ist selbst nicht ohne das Be-dingte denkbar, ich kann nicht mich unter der Bedin-gung meines Seins denken, ohne mich als schon sei-end zu denken. In jenem Satz also bedingt nicht die

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Bedingung das Bedingte, sondern umgekehrt das Be-dingte die Bedingung, d.h. er hebt sich selbst als be-dingter Satz auf, und wird zum unbedingten: Ich bin,weil ich bin.6

Ich bin! Mein Ich enthält ein Sein, das allem Den-ken und Vorstellen vorhergeht. Es ist, indem es ge-dacht wird, und es wird gedacht, weil es ist; deswe-gen, weil es nur insofern ist und nur insofern gedachtwird, als es sich selbst denkt. Es ist also, weil es nurselbst sich denkt, und es denkt sich nur selbst, weil esist. Es bringt sich durch sein Denken selbst - aus ab-soluter Kausalität - hervor.

Ich bin, weil Ich bin! das ergreift jeden plötzlich.Sagt ihm: das Ich ist, weil es ist, er wird es nicht soschnell fassen; deswegen, weil das Ich nur insoferndurch sich selbst, nur insofern unbedingt ist, als eszugleich unbedingbar ist, d.h. niemals zum Ding,zum Objekt werden kann. Was Objekt ist, erwartetseine Existenz von etwas, das außer der Sphäre seinesbloßen Gedachtwerdens liegt; das Ich allein ist nichts,ist selbst nicht denkbar, ohne daß zugleich sein Seingesetzt werde, denn es ist gar nicht denkbar, als in-sofern es sich selbst denkt, d.h. insofern es ist. Wirkönnen also auch nicht sagen: Alles was denkt ist,denn dadurch würde das Denkende als Objekt be-stimmt, sondern nur: Ich denke, Ich bin. (Eben hier-aus erhellt aber, daß, sobald wir das, was niemals

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Objekt werden kann, zum logischen Objekt machen,und Untersuchungen darüber anstellen wollen, dieseUntersuchungen eine ganz eigene Unfaßlichkeithaben müssen. Denn es ist als Objekt schlechterdingsnicht zu fesseln, und käme uns nicht eine Anschauungzu Hilfe, die uns, insofern wir mit unserm Erkennenan Objekte gebunden sind, ebenso fremd ist, als dasIch, das niemals zum Objekt werden kann, so würdenwir gar nicht darüber sprechen, einander gar nichtverständlich werden können).

Das Ich ist also nur durch sich selbst als unbedingtgegeben7. Jedoch, wenn es zugleich als dasjenige be-stimmt ist, was durch das gesamte System meinesWissens hindurch herrscht, so muß auch ein Regres-sus möglich sein, d.h. ich muß, selbst vom unterstenbedingten Satz, zum Unbedingten aufsteigen können,wie ich umgekehrt vom unbedingten Satz zum unter-sten in der Reihe der bedingten herabsteigen kann.

Man mag also in der Reihe der bedingten Sätzeherausnehmen, welchen man will, so muß er im Re-gressus auf das absolute Ich führen. So muß, um zueinem der vorigen Beispiele zurückzukehren, der Be-griff von Subjekt auf das absolute Ich leiten. Gäbe esnämlich kein absolutes Ich, so wäre der Begriff vonSubjekt, d.h. der Begriff des durch ein Objekt beding-ten Ichs, der höchste. Allein, da der Begriff von Ob-jekt eine Antithesis enthält, so muß er ursprünglich

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35494 32Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

selbst nur im Gegensatz gegen ein anderes, das seinenBegriff schlechthin ausschließt, bestimmt sein, kannalso nicht bloß im Gegensatz gegen das Subjekt be-stimmbar sein, das nur in bezug auf ein Objekt, alsonicht mit Ausschließung desselben, denkbar ist; mit-hin muß der Begriff von Objekt selbst, und der nur inbezug auf diesen Begriff denkbare Begriff von Sub-jekt auf ein Absolutes leiten, das schlechthin allemObjekt entgegengesetzt ist, alles Objekt ausschließt.Denn, setzet, es sei ein Objekt ursprünglich gesetzt,ohne daß vor allem ändern Setzen ein absolutes Ichschlechthin gesetzt sei, so kann jenes ursprünglich ge-setzte Objekt nicht als Objekt, d.h. als dem Ich entge-gengesetzt, bestimmt werden, weil dem, das nicht ge-setzt ist, nichts entgegengesetzt werden kann. Mithinwäre ein vor allem Ich gesetztes Objekt kein Objekt,d.h. jene Annahme hebt sich von selbst auf. Oder set-zet, es sei zwar ein Ich, aber als schon aufgehobendurch das Objekt, also ein Subjekt ursprünglich ge-setzt, so zerstört sich diese Annahme abermals selbst;denn, wo kein absolutes Ich gesetzt ist, da kann esnicht aufgehoben werden, und gäbe es kein Ich vorallem Objekt, so gäbe es auch kein Objekt, wodurchdas Ich als schon aufgehoben gesetzt werden könnte.(Wir stellen uns eine Kette des Wissens vor, diedurchaus bedingt ist, und nur in einem obersten unbe-dingten Punkte Haltung bekommt. Nun kann das

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Bedingte in der Kette überhaupt nur durch Vorausset-zung der absoluten Bedingung, d.i. des Unbedingten,gedacht werden. Mithin kann das Bedingte nicht vordem Unbedingten (Unbedingbaren), sondern nurdurch dieses, in der Entgegensetzung gegen dasselbe,als bedingt gesetzt werden, ist also, da es nur als be-dingt gesetzt ist, nur durch das, was gar kein Ding,d.h. unbedingt ist, denkbar). - Das Objekt selbst istalso ursprünglich nur im Gegensatz gegen das abso-lute Ich, d.h. bloß als das dem Ich Entgegengesetzte,als Nicht-Ich, bestimmbar: und die Begriffe von Sub-jekt und Objekt sind selbst Bürgen des absoluten, un-bedingbaren Ichs.

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§ 4.

Wenn einmal das Ich als das Unbedingte immenschlichen Wissen bestimmt ist, so muß sich derganze Inhalt alles Wissens durch das Ich selbst, unddurch Entgegensetzung gegen das Ich bestimmen las-sen: und so muß man auch alle möglichen Theoriendes Unbedingten a priori entwerfen können.

Wenn nämlich das Ich das Absolute ist, so kanndas, was nicht Ich ist, nur im Gegensatz gegen dasIch, also nur unter Voraussetzung des Ichs, bestimmtwerden, und ein schlechthin gesetztes, nicht entge-gengesetztes Nicht-Ich ist ein Widerspruch. Wirdhingegen das Ich nicht als das Absolute vorausge-setzt, so kann das Nicht-Ich entweder vor allem Ich,oder dem Ich gleichgesetzt werden. Ein Drittes istnicht möglich.

Die beiden Extreme sind Dogmatismus und Kriti-zismus. Prinzip des Dogmatismus ist ein vor allemIch gesetztes Nicht-Ich, Prinzip des Kritizismus einvor allem Nicht-Ich, und mit Ausschließung allesNicht-Ichs gesetztes Ich. Mitten inne zwischen beidenliegt das Prinzip des durch ein Nicht-Ich bedingtenIchs, oder, was dasselbe ist, des durch ein Ich beding-ten Nicht-Ichs.

1. Das Prinzip des Dogmatismus widerspricht sich

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selbst (§ 2), denn es setzt ein unbedingtes Ding, d.h.ein Ding, das kein Ding ist, voraus. Man gewinnt alsobeim Dogmatismus durch Konsequenz (das erste Er-fordernis einer wahren Philosophie) nichts, als daßdas, was nicht Ich ist, Ich, das, was Ich ist, Nicht-Ichwerde, wie dies auch bei Spinoza der Fall ist. Abernoch hat kein Dogmatist bewiesen, daß ein Nicht-Ichsich selbst Realität geben, und außer der bloßen Ent-gegensetzung gegen ein absolutes Ich noch irgendetwas bedeuten könne. Auch Spinoza hat nirgends be-wiesen, daß das Unbedingte im Nicht-Ich liegenkönne und liegen müsse; vielmehr setzt er, nur durchseinen Begriff des Absoluten geleitet, dieses geradezuin ein absolutes Objekt, gleichsam als ob er voraus-setzte, daß jeder, der ihm nur einmal den Begriff desUnbedingten eingeräumt hätte, ihm darin von selbstfolgen würde, daß es notwendig in ein Nicht-Ich ge-setzt werden müsse. Dabei aber erfüllte er, nachdemer einmal diesen Satz, nicht bewiesen, sondern vor-ausgesetzt hatte, die Pflicht der Konsequenz so stren-ge, als sie vielleicht kein einziger seiner Gegner er-füllt hat. Denn es offenbart sich plötzlich, daß er -gleichsam wider seinen Willen, durch die bloßeMacht seiner vor keiner Folge aus angenommenenGrundsätzen zurückbebenden Konsequenz, dasNicht-Ich selbst zum Ich erhob, das Ich zum Nicht-Ich herabsetzte. Die Welt ist bei ihm nicht mehr

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Welt, das absolute Objekt nimmer Objekt; keine sinn-liche Anschauung, kein Begriff erreicht seine EinigeSubstanz, nur der intellektuellen Anschauung ist siein ihrer Unendlichkeit gegenwärtig. Sein System kanndaher überall und bei unsrer ganzen Untersuchung andie Stelle des vollendeten Dogmatismus überhauptsubstituiert werden. Kein Philosoph war so würdig,wie Er, den großen Mißverstand einzusehen: ihn ein-sehen und am Ziele sein, wäre - für Ihn Eins gewe-sen. Kein Vorwurf ist unerträglicher, als der, den manihm so oft gemacht hat, daß er die Idee von absoluterSubstanz willkürlich, und wohl gar nur durch willkür-liche Worterklärung voraussetze. Aber freilich ist esleichter, ein ganzes System durch eine kleine gramma-tikalische Bemerkung umzuwerfen, als auf sein letztesFundament, das, selbst wenn es noch so irrig ist, dochirgendwo im menschlichen Geiste entdeckbar seinmuß, anzudringen. - Der Erste, der es einsah, daßSpinozas Irrtum nicht in jener Idee, sondern darinliege, daß er sie außerhalb alles Ichs setzte, hatte ihnverstanden und den Weg zur Wissenschaft gefunden.

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35499 37Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 5.

2. Das System, das vom Subjekt, d.h. von dem nurin bezug auf ein Objekt denkbaren Ich, ausgeht, dasalso weder Dogmatismus noch Kritizismus sein soll,widerspricht sich in seinem Prinzip, insofern es höch-stes Prinzip ist, so gut als der Dogmatismus. Es istaber wohl der Mühe wert, dem Ursprung dieses Prin-zips weiter nachzugehen.

Man setzte - freilich etwas schnell - voraus, dasoberste Prinzip aller Philosophie müsse eine Tatsacheausdrücken. Verstand man, allem Sprachgebrauch zu-folge, unter Tatsache etwas, das außer dem reinen, ab-soluten Ich (also in der Sphäre des Bedingten) liegt,so mußte notwendig die Frage entstehen: was sollPrinzip dieser Tatsache sein? - Eine Erscheinungoder ein Ding an sich? - war die nächste Frage, dieman, da man einmal in der Welt der Objekte war, nuntun konnte. - Eine Erscheinung? - Was sollte Prinzipdieser Erscheinung sein? - (z.B. wenn die Vorstel-lung, die doch selbst nur Erscheinung ist, als Prinzipaller Philosophie aufgestellt wurde). Wieder eine Er-scheinung, lind so ins Unendliche? - Oder wollteman, daß jene Erscheinung, die Prinzip der Tatsachesein sollte, keine andere Erscheinung mehr voraus-setze? - Oder ein Ding an sich? - Laßt uns die Sache

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35500 38Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

genauer betrachten!Das Ding an sich ist das vor allem Ich gesetzte

Nicht-Ich. - (Die Spekulation verlangt das Unbe-dingte. Ist nun einmal die Frage, wo das Unbedingteliege, vom einen fürs Ich, vom ändern fürs Nicht-Ichentschieden, so müssen die Systeme beider ganzgleich fortgehen: was der eine vom Ich behauptet,muß der andere vom Nicht-Ich behaupten und umge-kehrt: kurz, man muß alle ihre Sätze durchaus ver-wechseln können, wenn man nur beim einen statt desIchs Nicht-Ich, beim ändern statt des Nicht-Ichs Ichsetzt: wo man dies nicht ohne Schaden des Systemstun könnte, müßte einer von beiden inkonsequent ge-wesen sein.) - Erscheinung ist das durchs Ich be-dingte Nicht-Ich.

Soll nun das Prinzip aller Philosophie eine Tatsa-che, und das Prinzip dieser ein Ding an sich sein, soist eben dadurch alles Ich aufgehoben, es gibt keinreines Ich mehr, keine Freiheit, keine Realität - nichtsals Negation im Ich. Denn es ist ursprünglich aufge-hoben, wenn ein Nicht-Ich absolut gesetzt ist, so wieumgekehrt, wenn das Ich absolut gesetzt ist, allesNicht-Ich ursprünglich aufgehoben und als bloße Ne-gation gesetzt wird. (Das System, das vom Subjekt,d.i. vom bedingten Ich, ausgeht, muß also notwendigein Ding an sich voraussetzen, das jedoch in der Vor-stellung, d.h. als Erscheinung, vorkommen kann,

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kurz, es verfällt in einen Realismus, der der unbe-greiflichste, inkonsequenteste von allen ist.)

Soll das letzte Prinzip jener Tatsache eine Erschei-nung sein, so hebt es sich selbst unmittelbar als höch-stes Prinzip auf; denn eine unbedingte Erscheinungwiderspricht sich, und alle Philosophen, die einNicht-Ich zum Prinzip ihrer Philosophie machten, er-hoben dasselbe zugleich zu einem absoluten, unab-hängig von allem Ich gesetzten Nicht-Ich, d.i. zueinem Ding an sich.

Befremdend würde es also allerdings sein, aus demMunde solcher Philosophen, die eine Freiheit des Ichsbehaupten, zugleich die Behauptung, daß das Prinzipaller Philosophie eine Tatsache sein müsse, zu hören,wenn man wirklich voraussetzen dürfte, daß sie alsnächste Folge jener Behauptung auch die Behauptunggedacht hätten, daß das Prinzip aller Philosophie einNicht-Ich sein müsse.

(Diese Folge ist notwendig. Denn das Ich ist nurals Subjekt, d.h. bedingt, gesetzt, kann also nicht dasPrinzip sein. Also muß entweder zugleich mit diesemPrinzip, insofern es das höchstmögliche sein soll, allePhilosophie als unbedingte Wissenschaft aufgehoben,oder das Objekt als ursprünglich und unabhängig vonallem Ich vorausgesetzt, das Ich selbst also als nur imGegensatz gegen ein absolutes Etwas setzbar, d.h. alsabsolutes Nichts, bestimmt werden.)

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35502 40Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Allein jene Philosophen wollten wirklich das Ich,und kein Nicht-Ich zum Prinzip der Philosophie, aberder Begriff von Tatsache sollte deshalb nicht aufgege-ben werden. Um sich aus dem Dilemma, das sie vorsich sahen, herauszuhelfen, mußten sie also zwar dasIch, aber nicht das absolute, sondern das empi-risch-bedingte, als Prinzip aller Philosophie wählen.Was konnte auch näher liegen? Sie hatten nun dochein Ich zum Prinzip der Philosophie - ihre Philoso-phie war kein Dogmatismus, zugleich aber hatten sieeine Tatsache, denn daß das empirische Ich Prinzipeiner Tatsache sei, wer wollte das leugnen?

Allein freilich konnte man sich damit nur eine Zeit-lang zufriedenstellen. Denn, die Sache näher betrach-tet, war nun entweder gar nichts, oder nur das gewon-nen, daß man wieder ein Nicht-Ich zum Prinzip derPhilosophie hatte. Denn, daß es gleichviel ist, ob ichvon dem durchs Nicht-Ich bedingten Ich, oder vondem durchs Ich bedingten Nicht-Ich ausgehe, leuchtetvon selbst in die Augen. Auch ist gerade das durchsNicht-Ich bestimmte Ich etwas) worauf der Dogmatis-mus auch, nur etwas später, kommen muß, ja, woraufalle Philosophie notwendig hinführt. Auch müßtennotwendig alle Philosophen das durchs Nicht-Ich be-dingte Ich auf dieselbe Weise erklären, wenn sie nichtvor dieser Tatsache (dem Bedingtsein des Ichs) etwasHöheres, worüber sie versteckter Weise uneinig sind,

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als Bedingung (Erklärungsgrund) des bedingten Ichsund Nicht-Ichs aufstellten; was nun nichts anderesmehr sein kann, als entweder ein nicht durchs Ich be-dingtes absolutes Nicht-Ich, oder ein nicht durchsNicht-Ich bedingtes (absolutes) Ich. Allein dieses wareben dadurch schon als aufgehoben gesetzt, daß dasSubjekt als Prinzip der Philosophie aufgestellt war;mithin mußte, wenn man konsequent sein wollte, ent-weder alle weitere Bestimmung dieses Grundsatzes,d.h. alle Philosophie, aufgegeben, oder ein absolutesNicht-Ich, d.h. das Prinzip des Dogmatismus, alsowieder ein sich selbst widersprechendes Prinzip (§ 4),angenommen werden. Kurz, das Prinzip, wenn es dashöchste sein sollte, mußte, es mochte sich hinwenden,wo es wollte, auf Widersprüche stoßen, die auch nurdurch Inkonsequenz und prekäre Beweise einigerma-ßen versteckt werden konnten. Und so wäre denn frei-lich, wenn die Philosophen einmal über dieses Prin-zip, als das höchste, einig gewesen wären, Friede inder philosophischen Welt entstanden; denn über diebloße Analyse desselben wäre man bald einig gewor-den, und sowie irgend einer über diese hinauszuge-hen, und die aus demselben analysierte Tatsache einerBestimmung des Ichs durchs Nicht-Ich und desNicht-Ichs durchs Ich (denn weiter wäre man durchbloße Analyse nicht gekommen) synthetisch zu erklä-ren versucht hätte, hätte er den Vertrag gebrochen und

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ein höheres Prinzip vorausgesetzt.

Anmerkung. Diesen Versuch, das empi-risch-bedingte (im Bewußtsein vorkommende) Ichzum Prinzip der Philosophie zu erheben, hat bekann-termaßen Reinhold gemacht. Man würde sehr wenigEinsicht in den notwendigen Gang aller Wissenschaf-ten verraten, wenn man dieses Versuchs, auch dann,wann die Philosophie weiter vorgerückt ist, nicht mitder größten Achtung erwähnen wollte. Er war nichtdazu bestimmt, das eigentliche Problem der Philoso-phie zu lösen, aber dazu, es auf die bestimmteste Artvorzustellen, und wer weiß nicht, welche große Wir-kung eine solche bestimmte Vorstellung des eigentli-chen Streitpunkts gerade in der Philosophie hervor-bringen muß, wo diese Bestimmung gewöhnlich nurdurch einen glücklichen Vorblick auf die zu ent-deckende Wahrheit selbst möglich wird. Auch derVerfasser der Kritik der reinen Vernunft wußte beiseiner Absicht, endlich den Streit der Philosophennicht nur, sondern sogar der Philosophie selbst zuschlichten, nichts eher zu tun, als den eigentlichenStreitpunkt, der ihm zugrunde lag, in einer allesbefas-senden Frage zu bestimmen, die er so ausdrückte; wiesind synthetische Urteile a priori möglich? Es wirdsich im Verlauf dieser Untersuchung zeigen, daß dieseFrage, in ihrer höchsten Abstraktion vorgestellt, keine

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andere, als diese ist: wie kommt das absolute Ichdazu, aus sich selbst herauszugehen und sich einNicht-Ich schlechthin entgegenzusetzen? Es war ganznatürlich, daß die Frage, solange sie nicht in ihrerhöchsten Abstraktion vorgestellt war, so wie die Ant-wort darauf, mißverstanden werden mußte. Das näch-ste Verdienst also, das ein denkender Kopf sich ma-chen konnte, war offenbar dieses, die Frage selbst ineiner höhern Abstraktion vorzustellen, und so dieAntwort darauf auf eine sichere Art vorzubereiten.Dieses Verdienst hat sich auch der Verfasser derTheorie des Vorstellungsvermögens durch Aufstel-lung des Grundsatzes des Bewußtseins wirklich er-worben; in ihm war die letzte Stufe der Abstraktionerstiegen, auf der man stehen mußte, ehe man zudemkommen konnte, das höher ist denn alle Abstraktion.

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35506 44Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 6.

Das vollendete System der Wissenschaft geht vomabsoluten, alles Entgegengesetzte ausschließenden Ichaus. Dieses als das Eine Unbedingbare bedingt dieganze Kette des Wissens, beschreibt die Sphäre allesDenkbaren, und herrscht durch das ganze System un-sers Wissens als die absolute alles begreifende Reali-tät. Nur durch ein absolutes Ich, nur dadurch, daß die-ses selbst schlechthin gesetzt ist, wird es möglich,daß ein Nicht-Ich ihm entgegengesetzt, ja daß Philo-sophie selbst möglich werde; denn das ganze Ge-schäft der theoretischen und praktischen Philosophieist nichts als Lösung des Widerstreits zwischen demreinen und empirisch-bedingten Ich8. Jene nämlichgeht, um diesen Widerstreit zu lösen, von Synthesiszu Synthesis fort, bis zu der höchstmöglichen, in derIch und Nicht-Ich gleich gesetzt wird (Gott), wo dannda die theoretische Vernunft sich in lauter Widersprü-chen endet, die praktische eintritt, um den Knotenzwar nicht zu lösen, aber durch absolute Forderungenzu zerhauen.

Sollte demnach das Prinzip aller Philosophie dasempirisch-bedingte Ich sein (worin im Grunde derDogmatismus und der unvollendete Kritizismus über-einkommen), so wäre alle Spontaneität des Ichs,

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35507 45Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

theoretische und praktische, ganz unerklärbar. Dastheoretische Ich nämlich strebt, Ich und Nicht-Ichgleichzusetzen, also das Nicht-Ich selbst zur Formdes Ichs zu erheben; das praktische strebt nach reinerEinheit, mit Ausschließung alles Nicht-Ichs - beidenur insofern, als das absolute Ich absolute Kausalitätund reine Identität hat. Das letzte Prinzip der Philoso-phie kann also schlechterdings nichts außer dem ab-soluten Ich liegendes, es kann weder Erscheinungnoch Ding an sich sein.

Das absolute Ich ist keine Erscheinung; denn demwiderspricht schon der Begriff des Absoluten; es istaber weder Erscheinung noch Ding an sich, weil esüberhaupt kein Ding, sondern schlechthin Ich, undbloßes Ich ist, das alles Nicht-Ich ausschließt.

Der letzte Punkt, an dem unser ganzes Wissen unddie ganze Reihe des Bedingten hängt, muß schlechter-dings durch nichts weiter bedingt sein. Das Ganze un-sers Wissens hat keine Haltung, wenn es nicht durchirgend etwas gehalten wird, das sich durch eigeneKraft trägt, und dies ist nichts, als das durch FreiheitWirkliche. Der Anfang und das Ende aller Philoso-phie ist - Freiheit!

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§ 7.

Wir haben das Ich bis jetzt bloß als dasjenige be-stimmt, was für sich selbst schlechterdings nicht Ob-jekt, und für etwas außer ihm weder Objekt nochNichtobjekt, d.h. gar nichts sein kann, was also seineRealität nicht, wie die Objekte, durch etwas außer sei-ner Sphäre liegendes, sondern einzig und allein durchsich selbst erhält. Dieser Begriff des Ichs ist auch dereinzige, wodurch es als das Absolute bezeichnet wird,und unsere ganze weitere Untersuchung ist nun nichtsmehr als bloße Entwicklung desselben.

Ist das Ich sich nicht selbst gleich, ist seine Urformnicht die Form reiner Identität, so ist eben dadurchwieder alles aufgehoben, was wir bisher gewonnen zuhaben schienen. Denn das Ich ist, nur weil es ist.Wäre es also nicht reine Identität, d.h. schlechthin nurdas, was es ist, so könnte es auch nicht durch sichselbst gesetzt sein, d.h. es könnte sein, auch, weil esdas ist, was es nicht ist. Das Ich aber ist entweder garnicht, oder nur durch sich selbst. Also muß die Ur-form des Ichs reine Identität sein.

Nur das, was durch sich selbst ist, gibt sich selbstdie Form der Identität, denn nur das, was schlechthinist, weil es ist, ist seinem Sein selbst nach durch Iden-tität, d.h. durch sich selbst, bedingt; da hingegen die

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35509 47Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Existenz jedes ändern Existierenden nicht bloß durchseine Identität, sondern durch etwas außer derselbenbestimmt ist. Gäbe es aber nicht etwas, das nur durchsich selbst ist, dessen Identität einzige Bedingung sei-nes Seins ist, so wäre auch überall nichts identischmit sich selbst; denn nur das, was durch seine Identi-tät ist, kann allem ändern, was ist, Identität verleihen;nur in einem Absoluten, durch sein Sein selbst alsidentisch Gesetzten, kann alles, was ist, zur Einheitseines Wesens kommen. Wie sollte überhaupt etwasgesetzt werden, wenn alles Setzbare wandelbar wäre,und nichts Unbedingtes, Unwandelbares anerkanntwürde, in welchem und durch welches alles SetzbareBestand und Unwandelbarkeit erhielte; was sollte esheißen, etwas setzen, wenn alles Setzen, alles Dasein,alle Wirklichkeit unaufhörlich fort sich ins Unendli-che zerstreute, und nicht ein gemeinsamer Punkt derEinheit und der Beharrlichkeit wäre, der nicht wiederdurch irgend etwas anderes, sondern nur durch sichselbst, durch sein bloßes Sein absolute Identität erhal-ten hätte, um alle Strahlen des Daseins im Zentrumseiner Identität zu sammeln, und alles, was gesetzt ist,im Kreise seiner Macht zusammenzuhalten.

Nur das Ich also ist es, das allem, was ist, Einheitund Beharrlichkeit verleiht; alle Identität kommt nurdem im Ich Gesetzten, und diesem nur insofern zu,als es im Ich gesetzt ist.

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35510 48Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Mithin wird selbst alle Form der Identität (A = A)erst durch das absolute Ich begründet. Ginge dieseForm (A = A) dem Ich selbst voran, so könnte Anicht das im Ich, sondern nur das außer dem Ich Ge-setzte ausdrücken, mithin würde jene Form zur Formder Objekte, als solcher, und selbst das Ich würdeunter ihr, als ein durch sie bestimmtes Objekt, stehen.Das Ich wäre nicht das Absolute, sondern bedingt,und als einzelne Unterart dem Gattungsbegriff derObjekte (den Modifakationen des allein identisch ab-soluten Nicht-Ichs) untergeordnet.

Da das Ich seinem Wesen selbst nach, durch seinbloßes Sein, als absolute Identität gesetzt ist, so ist esgleichviel, ob der oberste Grundsatz so ausgedrücktwird:Ich bin ich, oder: Ich bin!

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35511 49Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 8.

Das Ich läßt sich anders nicht, als bloß insofern esunbedingt ist, bestimmen, denn es ist bloß durchseine Unbedingtheit, bloß dadurch, daß es schlechter-dings nicht zum Ding werden kann, Ich. Es ist alsoerschöpft, wenn seine Unbedingtheit erschöpft ist.Denn, da es bloß durch seine Unbedingtheit ist, sowürde es eben dadurch aufgehoben, wenn irgend einvon ihm denkbares Prädikat anders als durch eine Un-bedingtheit denkbar wäre, also dieser entweder wider-spräche, oder noch irgend etwas Höheres, in dem siebeide, das Unbedingte und das vorausgesetzte Prädi-kat, vereinigt wären, voraussetzte.Das Wesen des Ichs ist Freiheit, d.h. es ist nicht

anders denkbar, denn nur insofern es aus absoluterSelbstmacht sich, nicht als irgend Etwas, sondern alsbloßes Ich setzt. Diese Freiheit läßt sich positiv be-stimmen, denn wir wollen keinem Ding an sich, son-dern dem reinen, durch sich selbst gesetzten, sich al-lein gegenwärtigen, alles Nicht-Ich ausschließendenIch Freiheit zuschreiben. Dem Ich kommt keine ob-jektive Freiheit zu, weil es gar kein Objekt ist; sowiewir das Ich als Objekt bestimmen wollen, zieht essich in die beschränkteste Sphäre und unter die Be-dingungen der Wechselbestimmung zurück - seine

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35512 50Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Freiheit und Selbständigkeit verschwindet. Objekt istnur durch Objekt, und nur insofern, als es an Bedin-gungen gefesselt ist, möglich - Freiheit ist nur durchsich selbst, und umfaßt das Unendliche.

Wir sind also in Ansehung objektiver Freiheitennicht unwissender, als wir es in Rücksicht auf jedenBegriff sind, der sich selbst widerspricht. Unfähigkeitaber, einen Widerspruch zu denken, ist keine Unwis-senheit. Jene Freiheit des Ichs läßt sich also auch po-sitiv bestimmen. Sie ist für das Ich nichts mehr undnichts weniger, als unbedingtes Setzen aller Realitätin sich selbst durch absolute Selbstmacht. - Negativbestimmbar ist sie als gänzliche Unabhängigkeit, jasogar als gänzliche Unverträglichkeit mit allemNicht-Ich.

Ihr verlangt, daß ihr euch dieser Freiheit bewußtseid? Aber bedenkt ihr auch, daß erst durch sie alleuer Bewußtsein möglich ist und daß die Bedingungnicht im Bedingten enthalten sein kann? Bedenkt ihrüberhaupt, daß das Ich, insofern es im Bewußtseinvorkommt, nicht mehr reines absolutes Ich ist, daß esfür das absolute Ich überall kein Objekt geben, unddaß es also noch viel weniger selbst Objekt werdenkann? - Selbstbewußtsein setzt die Gefahr voraus,das Ich zu verlieren. Es ist kein freier Akt des Unwan-delbaren, sondern ein abgedrungenes Streben deswandelbaren Ichs, das, durch Nicht-Ich bedingt, seine

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35513 51Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Identität zu retten und im fortreißenden Strom desWechsels sich selbst wieder zu ergreifen strebt9;(oder fühlt ihr euch wirklich frei beim Selbstbewußt-sein?). Aber jenes Streben des empirischen Ichs, unddas daraus hervorgehende Bewußtsein wäre selbstohne Freiheit des absoluten Ichs nicht möglich, unddie absolute Freiheit ist als Bedingung der Vorstel-lung ebenso notwendig, wie als Bedingung der Hand-lung. Denn euer empirisches Ich würde niemals stre-ben, seine Identität zu retten, wenn nicht das absoluteursprünglich durch sich selbst aus absoluter Machtals reine Identität gesetzt wäre.

Wollt ihr diese Freiheit als eine objektive errei-chen, so schlägt euch dies immer fehl, ihr mögt siedadurch begreifen oder widerlegen wollen; denn ebendarin besteht sie, daß sie alles Nicht-Ich schlechthinausschließt.

Das Ich kann durch keinen bloßen Begriff gegebensein. Denn Begriffe sind nur in der Sphäre des Be-dingten, nur von Objekten möglich. Wäre das Ich einBegriff, so müßte es etwas Höheres geben, in dem erseine Einheit - etwas Niedereres, in dem er seineVielheit erhalten hätte, kurz: das Ich wäre durchgän-gig bedingt. Mithin kann das Ich nur in einer An-schauung bestimmt sein. Aber das Ich ist nur dadurchIch, daß es niemals Objekt werden kann, mithin kannes in keiner sinnlichen Anschauung, also nur in einer

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35514 52Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

solchen, die gar kein Objekt anschaut, gar nicht sinn-lich ist, d.h. in einer intellektualen Anschauung be-stimmbar sein. - Wo Objekt ist, da ist sinnliche An-schauung, und umgekehrt. Wo also kein Objekt ist,d.i. im absoluten Ich, da ist keine sinnliche Anschau-ung, also entweder gar keine, oder intellektuale An-schauung. Das Ich also ist für sich selbst als bloßesIch in intellektualer Anschauung bestimmt.

Ich weiß es recht gut, daß Kant alle intellektualeAnschauung geleugnet hat; aber ich weiß auch, wo erdies getan hat, in einer Untersuchung, die das abso-lute Ich überall nur voraussetzt, und aus vorausge-setzten höheren Prinzipien nur das empirisch-bedingteIch, und das Nicht-Ich in der Synthesis mit dem Ich,bestimmt. Ich weiß es ebenso, daß diese intellektualeAnschauung, sobald man sie der sinnlichen verähnli-chen will, durchaus unbegreiflich sein muß, daß sieüberdies ebensowenig als die absolute Freiheit im Be-wußtsein vorkommen kann, da Bewußtsein Objektvoraussetzt, intellektuale Anschauung aber nur da-durch möglich ist, daß sie gar kein Objekt hat. DerVersuch also, sie aus dem Bewußtsein zu widerlegen,muß ebenso sicher fehlschlagen, als der Versuch, ihrdurch dasselbe objektive Realität zu geben, wasnichts anderes hieße, als sie schlechterdings aufheben.

Das Ich ist nur durch seine Freiheit, mithin mußalles, was wir vom reinen Ich aussagen, durch seine

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Freiheit bestimmt sein.

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35516 54Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 9.

Das Ich ist schlechthin Einheit. Denn, wäre esVielheit, so wäre es nicht durch sein bloßes Sein, son-dern durch die Wirklichkeit seiner Teile. Es wäre be-dingt nicht bloß durch sich selbst, durch sein bloßesSein (d.h. es wäre gar nicht), sondern es wäre bedingtdurch alle einzelnen Teile der Vielheit, weil, woferneiner derselben aufgehoben würde, es eben dadurchselbst (in seiner Vollendung) aufgehoben wäre. Aberdies widerspricht dem Begriff seiner Freiheit, mithin(§ 8) kann das Ich keine Vielheit enthalten, es mußschlechthin Einheit - nichts als Ich schlechthin sein.

Wo Unbedingtheit, durch Freiheit bestimmt, ist, daist Ich. Das Ich ist also schlechthin Eines. Denn soll-te es mehrere Ich, sollte es ein Ich außer dem Ichgeben, so müßten diese verschiedenen Ich durch ir-gend etwas unterschieden werden. Allein das Ich istbloß durch sich selbst bedingt, und nur in intellektua-ler Anschauung bestimmbar, es muß sich also selbstschlechthin gleich (gar nicht durch Zahl bestimmbar)sein; mithin fiele das Ich außer dem Ich mit diesemzusammen, wäre gar nicht von ihm unterscheidbar.Also kann das Ich schlechterdings nur Eines sein.(Wäre das Ich nicht Eines, so läge der Grund, warummehrere Ich wären, nicht im Wesen des Ichs selbst,

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35517 55Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

denn dieses ist gar nicht als Objekt bestimmbar (§ 7)- also außer dem Ich, was nichts anderes hieße, alsdas Ich selbst aufheben (das.). - Das reine Ich istüberall dasselbe, Ich überall = Ich. Wo sich ein Attri-but des Ichs findet, da ist Ich. Denn die Attribute desIchs können nicht voneinander verschieden sein, dasie alle durch dieselbe Unbedingtheit bestimmt (alleunendlich) sind. Denn sie wären als verschieden von-einander bestimmt, entweder durch ihren bloßen Be-griff, was unmöglich ist, da das Ich absolute Einheitist, oder durch irgend etwas außer ihnen, wodurch sieihre Unbedingtheit verlören, was abermals ungereimtist; das Ich ist überall Ich, es füllt, wenn man sosagen darf, die ganze Unendlichkeit.

Diejenigen, die von keinem Ich als dem empiri-schen wissen (das doch ohne Voraussetzung des rei-nen Ichs schlechterdings unbegreiflich ist), die sichnoch nie zur intellektualen Anschauung ihres Selbstserhoben haben, müssen diesen Satz, daß das Ich nurEines sei, freilich ungereimt finden. Denn, daß dasempirische Ich Vielheit sei, muß die vollendete Wis-senschaft selbst beweisen. (Denket euch eine unendli-che Sphäre [eine unendliche Sphäre ist notwendig nurEine], in dieser endliche Sphären, so viel ihr wollt.Diese aber sind selbst nur in der Einen unendlichenmöglich; zernichtet jene, so ist nur Eine Sphäre).Jenen scheint es daher nach ihrer bisherigen

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35518 56Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Gewohnheit, bloß das empirische Ich zu denken, not-wendig, daß es mehrere Ich gebe, die wechselseitigfüreinander Ich und Nicht-Ich seien, ohne zu beden-ken, daß ein reines Ich nur durch Einheit seines We-sens denkbar sei.

Ebensowenig werden sich diese Anhänger des em-pirischen Ichs den Begriff von reiner absoluter Ein-heit (unitas) denken können, weil sie, wo von absolu-ter Einheit die Rede ist, schlechterdings nur an empi-rische, abgeleitete Einheit (des durch das Schema vonZahl versinnlichten Verstandesbegriffs) denken kön-nen.

Dem Ich kommt Einheit im empirischen Sinne(unicitas) so wenig zu, als Vielheit. Es ist ganz außerder Sphäre der Bestimmung dieses Begriffs; es istnicht - eines, nicht - vieles im empirischen Sinne,d.h. beides widerspricht seinem Begriff, sein Begriffliegt nicht nur außerhalb aller Bestimmbarkeit durchdiese beiden Begriffe, sondern selbst in einer ganzentgegengesetzten Sphäre. - Wo von numerischerEinheit die Rede ist, setzt man irgend etwas voraus,in bezug auf welches das numerisch Einzige als sol-ches gedacht wird; man setzt einen Gattungsbegriffvoraus, unter dem es als das Einzige seiner Art be-griffen ist, wobei aber doch die (reale und logische)Möglichkeit übrig bleibt, daß es nicht das einzigewäre, d.h. es ist nur seinem Dasein, nicht seinem

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35519 57Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Wesen nach Eines. Allein das Ich ist gerade nicht sei-nem Dasein (was ihm gar nicht zukommt), sondernseinem bloßen, reinen Sein nach schlechthin Eines;auch kann es überall nicht in bezug auf etwas Höhe-res gedacht werden, es kann unter keinem Gattungs-begriff stehen. - Begriff überhaupt ist etwas, dasVielheit in Einheit zusammenfaßt: das Ich kann alsokein Begriff sein, weder ein reiner noch ein abstra-hierter, denn es ist weder zusammenfassende noch zu-sammengefaßte, sondern absolute Einheit. Es ist alsoweder Gattung, noch Art, noch Individuum. DennGattung, Art und Individuum sind nur in bezug aufVielheit denkbar. Wer das Ich für einen Begriff hal-ten, oder von ihm numerische Einheit oder Vielheitaussagen kann, weiß nichts vom Ich. Wer es in einendemonstrierbaren Begriff verwandeln will, der muß esnicht mehr für das Unbedingte halten. Denn das Ab-solute kann nimmer vermittelt werden, also nimmerins Gebiet erweisbarer Begriffe fallen. Denn alles De-monstrierbare setzt etwas schon Demonstriertes, oderdas höchste nicht mehr Demonstrierbare voraus. Weralso das Absolute demonstrieren will, hebt es ebendadurch auf, und mit ihm alle Freiheit, alle absoluteIdentität usw.

Anmerkung. Man könnte die Sache auch wohl um-kehren. »Eben weil das Ich nichts Allgemeines ist,

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35520 58Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

kann es nicht Prinzip der Philosophie werden.«Soll die Philosophie vom Unbedingten ausgehen,

was wir jetzt voraussetzen, so kann sie von nichtsAllgemeinem ausgehen. Denn das Allgemeine ist be-dingt durch das Einzelne, und ist nur in bezug auf be-dingtes (empirisches) Wissen überhaupt möglich.Deswegen auch das konsequenteste System des Dog-matismus, das Spinozistische, sich gegen nichts stär-ker erklärt, als dagegen, daß man die einige, absoluteSubstanz für ein Ens rationis, für einen abstraktenBegriff halte. Spinoza setzt das Unbedingte ins abso-lute Nicht-Ich, nicht aber in einen abstrakten Begriff,oder in die Idee der Welt, ebensowenig in ein einzel-nes existierendes Ding; vielmehr erklärt er sich miteiner Art von Heftigkeit - wenn man anders diesenAusdruck von einem Spinoza gebrauchen darf - dage-gen10, und erklärt, daß, wer Gott im empirischenSinne Einen nenne, oder für ein bloßes Abstraktumhalte, keine Ahnung von seinem Wesen habe. Freilichbegreift man nicht, wie das Nicht-Ich außer aller nu-merischer Bestimmung liegen soll, aber im Grundesetzte Spinoza das Unbedingte nicht ins Nicht-Ich, erhatte das Nicht-Ich selbst zum Ich gemacht, indem eres zum Absoluten erhoben hatte.Leibniz soll vom Gattungsbegriffe des Dings über-

haupt ausgegangen sein: es käme darauf an, die Sachegenauer zu untersuchen, wozu hier der Ort nicht ist.

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35521 59Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Aber gewiß ist es, daß seine Schüler von diesem Be-griff ausgingen, und dadurch ein System des unvollen-deten Dogmatismus begründeten.

(Frage: Wie lassen sich jetzt die Monaden erklä-ren, und die prästabilierte Harmonie? - Wie die theo-retische Vernunft dem Kritizismus zufolge damitendet, daß das Ich = Nicht-Ich wird, so muß sie um-gekehrt dem Dogmatismus zufolge damit enden, daßNicht-Ich = Ich wird. Die praktische Vernunft mußdem Kritizismus zufolge auf Wiederherstellung desabsoluten Ichs, dem Dogmatismus zufolge auf Wie-derherstellung des absoluten Nicht-Ichs gehen. Eswäre interessant, ein konsequentes System des Dog-matismus zu entwerfen. Vielleicht geschieht es noch.)

... »Das höchste Verdienst des philosophischenForschers ist nicht, abstrakte Begriffe aufzustellen,und aus ihnen Systeme herauszuspinnen. Sein letzterZweck ist reines absolutes Sein; sein größtes Ver-dienst das, was sich nimmer auf Begriffe bringen,erklären, entwickeln läßt - kurz, das Unauflösliche,das Unmittelbare, das Einfache - zu enthüllen undzu offenbaren«...

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35522 60Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 10.

Das Ich enthält alles Sein, alle Realität. Sollte eseine Realität außerhalb des Ichs geben, so würde siemit der im Ich gesetzten entweder übereinstimmenoder nicht. Nun ist alle Realität des Ichs bestimmtdurch seine Unbedingtheit; es hat keine Realität, alsinsofern es unbedingt gesetzt ist. Gäbe es also eineRealität außer dem Ich, die mit der Realität im Ichübereinstimmte, so müßte diese Realität gleichfallsUnbedingtheit haben. Nun erhält aber das Ich alleseine Realität nur durch Unbedingtheit, mithin müßteEine Realität des Ichs, die außer ihm gesetzt wäre, zu-gleich alle Realität desselben enthalten, d.h. es würdeein Ich außer dem Ich geben, was (§ 9) ungereimtist. - Würde aber jene Realität außer dem Ich seinerRealität widerstreiten, so würde durch das Setzenjener eine Realität im Ich, und, da das Ich schlechthinEinheit ist, das Ich selbst mit aufgehoben, was unge-reimt ist. (Wir sprechen vom absoluten Ich. Diesessoll Inbegriff aller Realität sein, und alle Realität sollihm gleich gesetzt, d.h. seine Realität sein. Es soll dieData, die absolute Materie der Bestimmung allesSeins, aller möglichen Realität enthalten.) Will manEinwürfe antizipieren, so müssen wir auch Antwortenantizipieren. Unser Satz nämlich wäre freilich sehr

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35523 61Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

bald widerlegt, wenn entweder ein vor allem Ich ge-setztes Nicht-Ich denkbar, oder das dem Ich ursprüng-lich und schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich alsabsolutes Nicht-Ich realisierbar, kurz, wenn die Rea-lität der Dinge an sich in der bisherigen Philosophiebeweisbar wäre; denn alsdann würde alle ursprüngli-che Realität ins absolute Nicht-Ich fallen.Ding an sich nämlich wäre entweder das vor allem

Ich gesetzte Nicht-Ich; allein es ist schon bewiesen,daß ein vor allem Ich gesetztes Nicht-Ich schlechter-dings keine Realität habe, ja nicht einmal denkbarsein könne, weil es sich nicht, wie das Ich selbst, rea-lisiert, und nur in der Entgegensetzung gegen das Ich,und zwar nicht gegen das bedingte (denn dieses istnur Korrelatum des Objekts), sondern gegen das ab-solute Ich gedenkbar ist.

Oder wäre das Ding an sich das dem Ich in seinerEndlichkeit schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ichin seiner bloßen Entgegensetzung. Nun ist es zwarrichtig, daß das Nicht-Ich ursprünglich dem Ichschlechthin, und bloß als solches, entgegengesetztwird11, weswegen auch das ursprüngliche Nicht-Ichkein bloß empirischer, abstrahierter Begriff sein kann(denn um einen solchen Begriff in der Erfahrung zufinden, müßte Erfahrung selbst, d.h. das Dasein einesNicht-Ichs, vorausgesetzt werden), ebensowenig einallgemeiner Begriff a priori, (denn es ist zwar nicht

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35524 62Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

schlechthin gesetzt, aber schlechthin entgegengesetzt,muß also) als ein Entgegengesetztes, in der Qualitätseines Entgegengesetztseins ebenso absolut (entge-gengesetzt) sein, als das Ich gesetzt ist). Dieses ur-sprüngliche Entgegensetzen des Nicht-Ichs schlecht-hin kann es auch allein möglich gemacht haben, sichein absolutes Nicht-Ich vor allem Ich einzubilden.Denn, obgleich der Dogmatismus sich anstellt, als ober imstande wäre, ein Nicht-Ich vor allem Ich, nichtentgegengesetzt, sondern schlechthin gesetzt zu den-ken, so wäre ihm doch selbst das bloße Denken einesabsolut-gesetzten Nicht-Ichs unmöglich gewesen,hätte ihm nicht das absolut-entgegengesetzte vor-schwebt, dem er dann überdies noch unvermerkt die-jenige Realität lieh, die nicht dem schlechthin entge-gengesetzten, sondern dein im Ich gesetzten Nicht-Ichzukommt.

Jenes schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich näm-lich ist zwar nicht schlechterdings undenkbar, wiedas schlechthin (d.i. vor allem Ich) gesetzte Nicht-Ich,aber es hat als solches schlechterdings keine, auchnicht einmal denkbare, Realität. Denn es ist eben des-wegen, weil es dem Ich schlechthin entgegengesetztist, nur als bloße Negation, als absolutes Nichts ge-setzt, von dein sich also auch nichts, schlechterdingsnichts, als seine bloße Entgegensetzung gegen alleRealität aussagen läßt. Sowie wir ihm Realität

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35525 63Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

mitteilen wollen, versetzen wir es aus der bloßenSphäre des absoluten Entgegensetzens in die Sphäredes Bedingten, im Ich Gesetzten. Entweder ist esnämlich dein Ich schlechthin entgegengesetzt, alsoabsolutes Nicht-Ich, d.h. absolutes Nichts, oder eswird zum Etwas, zum Ding, d.i. es wird nicht mehrschlechthin entgegengesetzt, sondern bedingt, ins Ichgesetzt, d.h. es hört auf, Ding an sich zu sein.

Will man also das dem Ich ursprünglich undschlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich Ding an sichnennen, so geht das recht gut an, sobald man nurunter Ding an sich absolute Negation aller Realitätversteht; will man ihm aber als schlechthin entgegen-gesetztem Nicht-Ich Realität beilegen, so ist dies nurdurch eine Täuschung der empirischen Einbildungs-kraft möglich, die ihm diejenige Realität leiht, diedem Nicht-Ich nur in der Qualität seines Gesetzt-seins im Ich zukommt. Da nämlich dem ursprünglichentgegengesetzten Nicht-Ich schlechterdings keineRealität, sondern bloße Negation, weder reines nochempirisches Sein, sondern gar kein Sein (absolutesNichtsein) zukommt, so muß es, wenn es Realität be-kommen soll, dem Ich nicht schlechthin entgegen,sondern in ihm selbst gesetzt sein. Insofern nämlichdas Ich sich ursprünglich ein Nicht-Ich entgegensetzt(dasselbe nicht bloß ausschließt, wie das absoluteIch), setzt es sich selbst als aufgehoben. Da es aber

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35526 64Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

zugleich sich selbst schlechthin setzen soll, so setzt eshinwiederum das Nicht-Ich als schlechthin aufgeho-ben = 0. Setzt es also das Nicht-Ich schlechthin, sohebt es sich auf, setzt es sich schlechthin, so hebt esdas Nicht-Ich auf - und doch sollten beide gesetztsein. Dieser Widerspruch ist nicht lösbar, als nur da-durch, daß das Ich sich das Nicht-Ich gleich setzt. Al-lein dem widerstrebt die Form des Nicht-Ichs. Mithinkann es dem Nicht-Ich nur Realität mitteilen, es kanndas Nicht-Ich nur setzen als Realität, verbunden mitNegation. Das Nicht-Ich hat also so lange keine Rea-lität, als es dem Ich nur entgegengesetzt, d.h. reines,absolutes Nicht-Ich ist; sobald ihm Realität mitgeteiltwird, muß es in den Inbegriff aller Realität, ins Ich,gesetzt werden, d.i. es muß aufhören, reines Nicht Ichzu sein. Um es nämlich in sich setzbar zu machen(was notwendig ist, da es zwar dem Ich entgegen -aber doch gesetzt sein soll), ist das Ich schlechthingenötigt, ihm seine Form, die Form des Seins und derRealität, der Unbedingtheit und der Einheit mitzutei-len. Dieser Form aber widerstrebt die Form des ur-sprünglich entgegengesetzten Nicht-Ichs; mithin istdie Übertragung der Form des Ichs an das Nicht-Ichnur durch Synthesis beider möglich, und aus dieserübertragenen Form des Ichs, der ursprünglichen Formdes Nicht-Ichs, und der Synthesis dieser beiden ent-stehen die Kategorien, durch welche allein das

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35527 65Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

ursprüngliche Nicht-Ich Realität erhält (vorstellbarwird), eben deswegen aber aufhört, absolutesNicht-Ich zu sein.

Mithin ist die Idee von Ding an sich schlechter-dings nicht, weder durch ein vor allem Ich gesetztes,noch durch das dem Ich ursprünglich entge-gengesetzte Nicht-Ich zu realisieren. Aber ebensoleicht könnte der Satz, daß im Ich alle Realität enthal-ten sei, umgestoßen werden, wenn die theoretischeIdee eines objektiven, außer dem Ich vorhandenen In-begriffs aller Realität realisierbar wäre. Wir räumenes ein, daß die höchste Synthesis, durch welche dietheoretische Vernunft den Widerstreit zwischen Ichund Nicht-Ich zu lösen versucht, irgend ein x ist, inwelchem diese beide Realitäten, das Ich und das imIch gesetzte Nicht-Ich, als einem Inbegriff aller Reali-tät, vereinigt werden sollen, daß demnach dieses x alsetwas außer dem Ich, also = Nicht-Ich, aber ebenso-wohl als etwas außer dem Nicht-Ich, also = Ich, be-stimmt ist, kurz, daß die theoretische Vernunft sichgenötigt sieht, zu einem absoluten Inbegriff aller Rea-lität = Ich = Nicht-Ich seine Zuflucht zu nehmen, undeben dadurch das absolute Ich als Inbegriff aller Rea-lität aufzuheben.

Aber die höchste Synthesis der theoretischen Ver-nunft, die anders nichts, als der letzte Versuch, denWiderstreit zwischen Ich und Nicht-Ich beizulegen,

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35528 66Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

ist, wird für uns, obgleich sie die absolute Realitätdes absoluten Ichs geradezu aufzuheben scheint, dochzugleich selbst der vollgültigste Bürge derselben, weildas Ich niemals genötigt sein könnte, jenen Wider-streit durch die Idee eines objektiven Inbegriffs allerRealität beizulegen, wäre nicht dieser Widerstreit erstdadurch möglich geworden, daß das Ich ursprünglichund vor allem Nicht-Ich als Inbegriff aller Realität ge-setzt ist. Denn wäre dieses nicht der Fall, so könntedas Nicht-Ich eine vom Ich unabhängige und mit derRealität des Ichs zugleich setzbare Realität haben,mithin gäbe es keinen Widerstreit zwischen beiden,also wäre auch keine Synthesis und kein objektiverInbegriffs widerstreitender Realität notwendig. Eben-so wäre ohne jene Voraussetzung, daß das absoluteIch Inbegriff12 aller Realität sei, keine praktischePhilosophie denkbar, deren Ende Ende alles Nicht-Ichs und Wiederherstellung des absoluten Ichs in sei-ner höchsten Identität, d.h. als Inbegriffs aller Reali-tät, sein muß13.

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35529 67Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 11.

Enthält das Ich alle Realität, so ist es unendlich.Denn wodurch anders sollte es begrenzt werden, alsentweder durch eine Realität außer ihm, was (§ 10)unmöglich ist, oder durch eine Negation außer ihm,was abermals unmöglich ist, ohne es selbst vorher alsschlechthin nichtbegrenzt zu setzen, da Negation alssolche nur im Gegensatz gegen ein Absolutes be-stimmbar ist, oder durch sich selbst, dann wäre esnicht schlechthin, sondern unter Bedingung einerGrenze gesetzt, was abermals unmöglich ist. - DasIch muß schlechthin unendlich sein. Wäre eines sei-ner Attribute endlich, so wäre es diesem Attribute zu-folge selbst endlich, also zugleich unendlich und end-lich. Demnach müssen auch alle Attribute des Ichsunendlich sein. Denn das Ich ist nur durch das, wases ist, d.h. durch seine Attribute, unendlich. - Könnteman die Realität des Ichs in mehrere Teile zerlegen,so würden diese Teile entweder die Unendlichkeit derRealität beibehalten oder nicht. Im ersteren Falle gäbees ein Ich außer dem Ich (denn wo Unendlichkeit ist,da ist Ich), eine Unendlichkeit außer der Unendlich-keit, was ungereimt ist; im anderen Falle könnte dasIch durch Teilung aufhören, d.h. es wäre nicht unend-lich, es wäre nicht absolute Realität. Das Ich ist also

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35530 68Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

unteilbar. Ist es unteilbar, so ist es auch unveränder-lich. Denn da es durch nichts außer sich verändertwerden kann (§ 8), so müßte es durch sich selbst ver-ändert werden, also müßte ein Teil desselben den an-deren bestimmen, d.h. es wäre teilbar. Das Ich sollaber immer sich selbst gleich, und absolute außerhalballes Wechsels gesetzte Einheit sein.

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35531 69Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 12.

Wenn Substanz das Unbedingte ist, so ist das Ichdie einige Substanz. Denn gäbe es mehrere Substan-zen, so gäbe es ein Ich außer dem Ich, was ungereimtist. Demnach ist alles, was ist, im Ich, und außerdem Ich ist nichts. Denn das Ich enthält alle Realität(§ 8), und alles, was ist, ist durch Realität. Also istalles im Ich. - Ohne Realität ist nichts, nun ist keineRealität außer dem Ich, also ist nichts außer dem Ich.Ist das Ich die einzige Substanz, so ist alles, was ist,bloßes Akzidens des Ichs.

Wir stehen an der Grenze alles Wissens, über wel-che hinaus alle Realität, alles Denken und Vorstellenverschwindet. Alles ist nur im Ich und für das Ich.Das Ich selbst ist nur für sich selbst. Um irgend etwasanderes zu finden, müssen wir schon vorher etwas ge-funden haben; zu einer objektiven Wahrheit gelangenwir nur durch eine andere Wahrheit - aber zum Ichnur durch das Ich, deswegen, weil es nur insofern ist,als es nur für sich selbst, und für alles, was außerihm ist, nichts, d.h. gar kein Objekt ist; denn es istbloß, nicht insofern es gedacht wird, sondern insofernes sich selbst denkt.

Um Wahrheit zu finden, mußt du ein Prinzip allerWahrheit haben: setze es so hoch als du willst, es

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35532 70Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

muß doch im Lande der Wahrheit liegen, im Lande,das du erst suchen willst. Wenn du aber alle Wahrheitdurch dich selbst hervorbringst, wenn der letztePunkt, an dem alle Realität hängt, das Ich ist, und die-ses nur durch sich selbst und für sich selbst ist, so istalle Wahrheit und alle Realität dir unmittelbar gegen-wärtig. Du beschreibst, indem du dich selbst als Ichsetzst, zugleich die ganze Sphäre der Wahrheit, derWahrheit, die nur durch dich und für dich Wahrheitist. Alles ist nur im Ich und für das Ich. Im Ich hat diePhilosophie ihr Hen kai pan gefunden, nach dem siebisher als dem höchsten Preise des Sieges gerungenhat14.

Anmerkung. Ihr wollt mit eurem abgeleiteten Be-griff von Substantialität des Nicht-Ichs die höchstedes absoluten Ichs messen. Oder glaubt ihr, daß ihrden Urbegriff der Substantialität im Nicht-Ich gefun-den habt?

Freilich hat die Philosophie schon längst einen Be-griff von Substantialität des Nicht-Ichs aufgestellt.Um die unwandelbare Identität eures Ichs zu retten,müßt ihr notwendig auch das Nicht-Ich, dessen Ur-form Vielheit ist, zur Identität erheben und dem Ichgleichsam assimilieren. Damit es nicht als Nicht-Ich,d.h. als Vielheit, mit eurem Ich zusammenfalle, setztes eure Einbildungskraft in den Raum; damit aber

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35533 71Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

euer Ich, indem es, um die Synthesis zu vollbringen,die Vielheit aufnimmt, nicht ganz zerstreut werde,setzt ihr die Vielheit selbst in Wechsel (Sukzession),und für jeden Punkt des Wechsels wieder dasselbe,durch ein identisches Streben bestimmte, Subjekt; soerhaltet ihr vermittelst der Synthesis selbst und dermit der Synthesis zugleich hervorgebrachten Formendes Raums und der Zeit ein in Raum und Zeit beiallem Wechsel beharrendes Objekt - eine übergetra-gene (gleichsam geliehene) Substantialität, die abereben deswegen nicht begreiflich ist, ohne eine ur-sprüngliche, nicht übergetragene Substantialität desabsoluten Ichs vorauszusetzen, deren Begriff auch al-lein der kritischen Philosophie möglich machte, denUrsprung der Kategorie der Substanz ins Reine zubringen.Spinoza war es, der vorher schon jenen Urbegriff

der Substantialität in seiner ganzen Reinheit gedachthatte. Er erkannte, daß ursprünglich allem Dasein einreines unwandelbares Ursein, allem Entstehenden undVergehenden etwas durch sich selbst Bestehendes zu-grunde liegen müßte, in welchem und durch welcheserst alles, was Existenz hätte, zur Einheit des Daseinsgekommen wäre. Man bewies ihm nicht, daß dieseunbedingte, unwandelbare Urform alles Seins nur ineinem Ich gedenkbar sei. Man hielt ihm den abstra-hierten Begriff von Substantialität der Erscheinungen

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35534 72Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

entgegen - (denn, solange der Urbegriff nicht ent-deckt war, war der abgeleitete, übergetragene, ob-gleich vor aller Erfahrung, doch nur in bezug auf siemögliche Begriff von Substantialität der Erscheinun-gen ein bloß abstrahierter Begriff) - als ob Spinozadiesen nicht recht gut gekannt und unzähligemal er-klärt gehabt hätte, daß es ihm nicht um das in Zeitund Wechsel Beharrende, sondern um das außer allerZeit unter der Urform der Unwandelbarkeit Gesetztezu tun sei, daß jener abgeleitete Begriff selbst ohneden Urbegriff keinen Sinn und keine Realität habeusw. Man suchte also, das Unbedingte durchs Be-dingte zu widerlegen. Der Erfolg ist bekannt.

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§ 13.

Wenn außer dem Ich nichts ist, so muß das Ichalles in sich, d.h. sich gleich setzen. Alles, was essetzt, muß nichts, als seine eigene Realität in ihrerganzen Unendlichkeit sein. Das absolute Ich kannsich zu nichts bestimmen, als überall unendliche Rea-lität, d.h. sich selbst zu setzen.

Wollen wir das Setzende, weil wir kein anderesWort haben, Ursache, und eine Ursache, die nichtsaußer sich, alles in sich selbst, sich gleich setzt, im-manente Ursache nennen, so ist das Ich immanenteUrsache alles dessen, was ist. Was also ist, ist nurdadurch, das es Realität hat. Sein Wesen (Essentia)ist Realität, denn es verdankt sein Sein (Esse) nur derunendlichen Realität; es ist nur insofern, als die Ur-quelle aller Realität ihm Realität mitgeteilt hat. DasIch ist also nicht nur Ursache des Seins, sondernauch des Wesens alles dessen, was ist. Denn alles,was ist, ist nur durch das, was es ist, d.i. durch seinWesen, durch seine Realität, und Realität ist nur imIch. (Wer alle diese Sätze mit Sätzen widerlegen will,auf die wir selbst späterhin kommen müssen, mag esimmerhin tun. Er wird aber finden, daß er sich dieMühe hätte ersparen können, und daß der Wider-spruch, der die hier aufgestellten Sätze erwartet,

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gerade Problem der ganzen Philosophie ist. Dochwird er einräumen, daß vor der Antithesis Thesis, undbeide vor der Synthesis vorhergehen müssen).

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§ 14.

Die höchste Idee, welche die Kausalität der abso-luten Substanz (des Ichs) ausdrückt, ist die Idee vonabsoluter Macht.

Kann man das Reine mit empirischem Maße mes-sen? Könnt ihr euch nicht von allen empirischen Be-stimmungen jener Idee, die eure Imagination euch zu-führt, losreißen, so suchet die Schuld eures Mißver-ständnisses nicht in der Idee, sondern in euch selbst.Diese Idee ist so ferne von allem Empirischen, daß siesich nicht nur darüber erhebt, sondern es sogar ver-nichtet. - Auch für Spinoza war sie einzige Bezeich-nung der Kausalität der absoluten Substanz. Die ab-solute Macht der einigen Substanz ist ihm das Letzte,ja vielmehr das Einige. In ihr ist, nach Spinoza, keineWeisheit, denn ihr Handeln selbst ist Gesetz; keinWille, denn sie handelt aus der Selbstmacht ihres We-sens, aus der Notwendigkeit ihres Seins. Sie handeltnicht zufolge einer Bestimmung, durch irgend eineaußer ihr vorhandene Realität (ein Gut, eine Wahr-heit); sie handelt nach ihrem Wesen, nach der unend-lichen Vollkommenheit ihres Seins aus unbedingterMacht. Ihr Wesen selbst ist nur diese Macht15.

Diese erhabenste Idee im Systeme Spinozas fandman nicht nur theoretisch falsch, sondern auch durch

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praktische Gründe widerlegbar. Diese Idee, sagteman, hebe alle Begriffe von freier, obwohl durch Ge-setze bestimmter Weisheit auf, weil man sich nämlicheinerseits nicht zu der reinen Vorstellung einer abso-luten Macht, die nicht nach Gesetzen außer sich, son-dern nur durch die Gesetze ihres Seins, durch ihr Seinselbst, als solches, handelt, erhoben hatte, und ande-rerseits, weil man nicht bedachte, daß jener Begriffvon Weisheit, da er nur unter Voraussetzung einerEinschränkung denkbar ist, selbst ein Unding seinmüßte, wenn nicht als das letzte Ziel ihres Strebensabsolute Macht, die aus innerer Notwendigkeit ihresWesens schlechthin handelt, die nicht mehr Wille,nicht mehr Tugend) nicht mehr Weisheit, nicht mehrGlückseligkeit, sondern Macht schlechthin ist, vor-ausgesetzt wird.

Anmerkung. Freilich hat Kant von Moralität undverhältnismäßiger Glückseligkeit als dem höchstenGut und dem letzten Endzwecke gesprochen. Aber erwußte es selbst am besten, daß Moralität ohne höhe-ren Endzweck selbst keine Realität habe, daß sie Ein-schränkung, Endlichkeit voraussetze und nicht alsletztes Ziel selbst, sondern nur als Annäherung zudemselben denkbar sei. Ebenso vermied er überall,sich über das Verhältnis von Glückseligkeit zur Mo-ralität bestimmt zu erklären, unerachtet er wohl

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35539 77Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

wußte, daß Glückseligkeit als bloßes Ideal der Einbil-dungskraft nichts als ein Schema sei, durch welchesdie praktische Vorstellbarkeit des Nicht-Ichs vermit-telt werde16, also nicht zum letzten (Endzweck) ge-hören könne, da dieser auf Identifikation desNicht-Ichs mit dem Ich, d.h. auf gänzliche Zernich-tung desselben als Nicht-Ichs, geht, daß demnach dasStreben nach empirischer Glückseligkeit (als einerdurch Natur bewirkten Übereinstimmung der Objektemit dem Ich) selbst unvernünftig sei, ohne vorauszu-setzen, daß das letzte Ziel alles Strebens nicht sieselbst, sondern gänzliche Erhebung über ihre Sphäresei17, daß wir also ins Unendliche fort streben müs-sen, nicht glückselig zu werden, sondern der Glückse-ligkeit gar nicht mehr zu bedürfen, ja ihrer ganz unfä-hig zu werden, und unser Wesen selbst zu einer Formzu erheben, die der Form der Glückseligkeit sowohl,als der ihr entgegengesetzten Form geradezu wider-spricht.

* * *

Das absolute Ich nämlich fordert schlechthin, daßdas endliche Ich ihm gleich werde, d.h. daß es alleVielheit und allen Wechsel in sich schlechthin zer-nichte. Was für das endliche, durch ein Nicht-Ich be-schränkte, Ich moralisches Gesetz ist, ist für das

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unendliche Naturgesetz, d.h. es ist zugleich mit undin seinem bloßen Sein gegeben. Das unendliche Ichist bloß insofern, als es sich selbst gleich, als es durchseine bloße Identität bestimmt ist; es soll nicht erstsein Sein bloß durch Identität mit sich selbst bestim-men. Das unendliche Ich also kennt gar kein Moralge-setz, und ist seiner Kausalität nach bloß als absolute,sich selbst gleiche, Macht bestimmt. Aber morali-sches Gesetz, obgleich es bloß in bezug auf Endlich-keit stattfindet, hat doch selbst keinen Sinn und Be-deutung, wenn es nicht als Endzweck alles StrebensUnendlichkeit des Ichs und seine eigene Umwandlungin ein bloßes Naturgesetz18 des Ichs aufstellt. - Dasmoralische Gesetz im endlichen Wesen ist also vor-erst Schema des Naturgesetzes, wodurch das Sein desUnendlichen bestimmt ist; was durch dieses als Sei-end vorgestellt wird, muß jenes als Gefordert vorstel-len. Da nun das höchste Gesetz, wodurch das Sein desunendlichen Ichs bestimmt ist, das Gesetz seiner Iden-tität ist (§ 7), so muß das Moralgesetz im endlichenWesen diese Identität nicht als Seiend, sondern alsGefordert vorstellen, und das höchste Gesetz für dasendliche Wesen ist demnach dieses: Sei absolut -identisch mit dir selbst19.

Allein insofern dieses Gesetz auf ein moralischesSubjekt, d.h. auf ein durch Wechsel und Vielheit be-dingtes Ich angewandt werden soll, widerstrebt dieses

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jener Form der Identität schlechthin, und das Gesetzwird nur durch einen neuen Schematismus anwendbarauf dasselbe. Dem moralischen Urgesetz des endli-chen Ichs: Sei identisch, widerstrebt nämlich das Na-turgesetz desselben Ichs, kraft dessen es nicht iden-tisch - d.h. Vielheit - nicht sein soll, sondern - ist.Dieser Widerstreit zwischen demMoral- und zwi-schen dem Naturgesetz der Endlichkeit kann nurdurch ein neues Schema, nämlich das des Hervor-bringens in der Zeit vermittelt werden, so daß nunjenes Gesetz, das auf eine Forderung des Seins geht,zu einer Forderung desWerdens wird. Das morali-sche Urgesetz, in seiner ganzen Versinnlichung aus-gedrückt, lautet daher so: werde identisch, erhebe (inder Zeit) die subjektiven Formen deines Wesens zuder Form des Absoluten. (Das reine moralische Urge-setz schließt schon alle subjektiven Formen [alle For-men, die nur dem durch Objekte bedingten Ich ange-hören] aus, und fordert geradezu: sei identisch! Die-sem Gesetz aber widerstreben eben jene Formenschlechthin, mithin ist eine Synthesis notwendig, indie sie selbst, aber nicht mehr als Formen des Sub-jekts [des Endlichen], sondern als Formen des Abso-luten aufgenommen werden20).

(Durch diesen Schematismus des moralischen Ge-setzes wird die Idee von moralischem Fortschritt, undzwar von Fortschritt ins Unendliche möglich. Das

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absolute Ich ist das einige Ewige, aber eben deswegenmuß das endliche Ich, da es strebt identisch mit ihmzu werden, auch nach reiner Ewigkeit streben, also,da es das, was im unendlichen Ich als Seiend gesetztist, in sich alsWerdend ausdrückt, in sich selbst auchwerdende, d.i. empirische Ewigkeit, unendlicheDauer setzen. Das letzte Ziel des endlichen Ichs istalso Erweiterung bis zur Identität mit: dem Unendli-chen. Im endlichen Ich ist Einheit des Bewußtseins,d.h. Persönlichkeit. Das unendliche Ich aber kennt garkein Objekt, also auch kein Bewußtsein und keineEinheit des Bewußtseins, Persönlichkeit. Mithin kanndas letzte Ziel alles Strebens auch als Erweiterung derPersönlichkeit zur Unendlichkeit, d.h. als Zernichtungderselben vorgestellt werden. - Der letzte Endzweckdes endlichen Ichs sowohl als des Nicht-Ichs, d.h. derEndzweck der Welt ist ihre Zernichtung, als einerWelt, d.h. als eines Inbegriffs von Endlichkeit (desendlichen Ichs und des Nicht-Ichs). Zu diesem End-zweck findet nur unendliche Annäherung statt - daherunendliche Fortdauer des Ichs, Unsterblichkeit.

Gott in theoretischer Bedeutung ist Ich = Nicht-Ich,in praktischer absolutes Ich, das alles Nicht-Ich zer-nichtet. Insofern das unendliche Ich schematisch alsletztes Ziel des endlichen, also außer demselben vor-gestellt wird, kann Gott in der praktischen Philoso-phie zwar als außer dem endlichen (schematisch),

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aber nur als identisch mit dem unendlichen vorgestelltwerden.[)]

* * *

Aus diesen Deduktionen erhellt, daß die Kausalitätdes unendlichen Ichs schlechterdings nicht als Mora-lität, Weisheit usw., sondern nur als absolute Macht,die die ganze Unendlichkeit erfüllt, und nichts Wider-strebendes, selbst nicht das als unendlich vorgestellteNicht-Ich, in ihrer Sphäre duldet, vorgestellt werdenkann: daß also auch das Moralgesetz, selbst in seinerganzen Versinnlichung, nur in bezug auf ein höheresGesetz des Seins, das, im Gegensatz gegen das Ge-setz der Freiheit, Naturgesetz heißen kann, Sinn undBedeutung erhalte. Freilich werden diejenigen mitdiesen Deduktionen nicht zufrieden sein, die das Zielunseres moralischen Strebens so nah und so tief alsnur immer möglich zu stecken bemüht sind - auchnicht diejenigen, die an den kantischen Buchstabenund an den einzigen Punkt ihres empirischen Systems,den er scheinbar noch übrig ließ, schon wieder eine sogroße Menge von Postulaten der Glückseligkeit ange-hängt haben, da doch, wenn Glückseligkeit nicht alsidentisch mit dem letzten Endzweck, d.h. als gänzli-che Erhebung über alle Sphäre empirischer Glückse-ligkeit, gedacht wird, sie selbst nicht einmal zu den

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Forderungen der moralischen Vernunft gehören kann,und doch nur dieser Forderungen erlaubt sind; -ebensowenig diejenigen, die glauben konnten, daßKant eine Erkenntnis, die er in der theoretischen Phi-losophie für unmöglich hielt, in der praktischen fürmöglich halten, und also in dieser die übersinnlicheWelt (Gott usw.) wieder als etwas außer dem Ich, alsObjekt aufstellen könne, als ob nicht, was Objekt ist,möge es nun zum Objekt geworden sein wodurch eswolle, auch für die theoretische Philosophie Objekt)d.h. erkennbar, werden müßte. (Was nur Objekt ist,muß auch erkennbar sein im kantischen Sinne desWortes, d.h. sinnlich anschaubar und durch Kategori-en denkbar. - Siehe unten). - Freilich führt nachKant das Übersinnliche in der theoretischen Philoso-phie auf Widersprüche, weil diese alles Absolute(alles Ich) zernichtet; freilich führt nach eben demsel-ben die praktische Philosophie ins übersinnliche Ge-biet, weil sie umgekehrt alles Theoretische vernichtet,und das, was allein intellektual angeschaut wird (dasreine Ich), wiederherstellt, aber da wir nur durch Wie-derherstellung des absoluten Ichs in die übersinnlicheWelt kommen, was wollen wir dann in ihr anders, alsnur das Ich, wieder finden? - also keinen Gott alsObjekt, überhaupt kein Nicht-Ich, keine empirischeGlückseligkeit usw., bloßes reines absolutes Ich!

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35545 83Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

§ 15.

Das Ich ist, weil es ist, ohne alle Bedingung undEinschränkung. Seine Urform ist die des reinen, ewi-gen Seins; von ihm kann man nicht sagen: es war, eswird sein, sondern schlechthin: es ist. Wer es andersdenn nur durch sein Sein schlechthin bestimmen will,muß es in die empirische Welt herabziehen. Es istschlechthin, also außer aller Zeit gesetzt, die Formseiner intellektualen Anschauung ist Ewigkeit. Es istunendlich durch sich selbst; auch nicht eine vage Un-endlichkeit, dergleichen die Einbildungskraft, als andie Zeit gebunden, sich vorstellt, vielmehr ist es diebestimmteste, in seinem Wesen selbst enthaltene, Un-endlichkeit, seine Ewigkeit ist selbst die Bedingungseines Seins. Insofern das Ich ewig ist, hat es garkeine Dauer. Denn Dauer ist nur in bezug auf Objek-te denkbar. Man spricht von einer Ewigkeit der Dauer(aeviternitas), d.i. von einem Dasein in aller Zeit,aber Ewigkeit im reinen Sinne des Wortes (aeternitas)ist Sein in keiner Zeit. Die reine Urform der Ewigkeitliegt im Ich: dieser widerstrebt das Dasein desNicht-Ichs in bestimmter Zeit, welchen Widerstreitdann die transzendentale Einbildungskraft durch dasDasein zu aller Zeit, d.h. durch die Vorstellung empi-rischer Ewigkeit, vereiniget21 Allein diese empirische

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Ewigkeit (figürlich durch eine immerfort verlängerteLinie darstellbar) ist selbst ohne den Urbegriff reinerEwigkeit nicht gedenkbar, und kann also unmöglichauf das absolute Ich, das die Urform alles Seins ent-hält, übergetragen werden. Das Endliche dauert; dieSubstanz schlechthin ist, durch ihre unendlicheMacht, zu sein.

Anmerkung 1. Auch Spinoza hatte gegen diesenBegriff von Dauer, als Form des absoluten Seins, zukämpfen. Ewigkeit ist ihm Form reiner intellektualerAnschauung, aber nicht relative, empirische, sondernabsolute, reine Ewigkeit, Dauer, selbst Dauer in allerZeit nichts als eine Form des (empirisch-bedingten)Subjekts, die aber selbst nur durch die höhere Formdes ewigen Seins möglich wird. Versteht man unterEwigkeit empirische Ewigkeit, so war ihm die abso-lute Substanz nicht - ewig, d.h. überall nicht durchdiese Form bestimmbar, weder in bestimmter, noch inaller Zeit, sondern in gar keiner Zeit existierend22

Anmerkung 2. Nun ist es auch Zeit, das Ich selbstvollends ganz zu bestimmen, und allen möglichenVermengungen mit anderen Begriffen vorzukommen.Oben bestimmten wir das Ich bloß als das, wasschlechterdings niemals Objekt werden kann. Wolltenwir also vom Ich als Objekt etwas aussagen, so wür-den wir allerdings in einen dialektischen Schein

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verfallen. Denn insofern es Objekt einer bloßen Ideewäre, hätte es allerdings keine Realität, und insofernes überhaupt Objekt wäre, müßten wir, um es als sol-ches zu realisieren, auf eine objektive Anschauunghinausgehen, was notwendig auf Widersprüche führ-te.

Allein wir haben das Ich selbst bloß dadurch be-stimmt, daß es schlechterdings nicht Objekt werdenkönne; wir haben ferner gezeigt, daß es ebensowenigeine bloße Idee sein kann, daß also hier die einzig-mögliche intellektuale Anschauung gegeben sei. Ichwünschte sehr, irgend eine Deduktion des absolutenIchs aus Begriffen zu sehen. Eben deswegen behaup-tete Kant, daß keine Philosophie aus Begriffen mög-lich sei, weil er wußte, daß die einzig mögliche Philo-sophie, die kritische, auf einem letzten Grund beruhe,der durch keine objektiven Begriffe erreicht wird. Daßeine Deduktion des Ichs aus bloßen Begriffen unmög-lich sei, hat Kant schon dadurch angedeutet, daß erden ursprünglichen Satz: Ich bin! der keine Folge desSatzes: Ich denke, sondern in diesem enthalten ist23,als vor allen Begriffen vorhergehend, und sie nur,gleichsam als Vehikel, begleitend, aufgestellt hat.Will man aber, daß es gar kein absolutes Ich gebe, somuß nach dem Obigen nicht nur alle Freiheit, sondernselbst alle Philosophie geleugnet werden. Denn selbstder niedrigste Grad von Spontaneität in der

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theoretischen Philosophie offenbart eine ursprüngli-che Freiheit des absoluten Ichs so gut, als der höchst-mögliche in der praktischen Philosophie. Auch istdurch Leugnung des absoluten Ichs der Dogmatismusförmlich begründet. Denn, wenn das Dasein eines em-pirisch-bedingten Ichs nicht durch Voraussetzungeines absoluten Ichs erklärt werden kann, so bleibtkeine andere Erklärung übrig, als aus dem absolutenNicht-Ich, d.h. aus dem Prinzip alles Dogmatismus,das sich selbst widerspricht. Mithin ist mit Aufhe-bung eines absoluten Ichs nicht nur eine bestimmte,sondern alle Philosophie aufgehoben. Die Behaup-tung eines absoluten Ichs ist

1. nichts weniger als transzendente Behauptung,so wenig als der praktische Übergang ins übersinnli-che Gebiet transzendent ist. Vielmehr, da gerade die-jenige Behauptung transzendent ist, die das Ich über-fliegen will, so muß die Behauptung eines absolutenIchs die immanenteste aller Behauptungen, ja die Be-dingung aller immanenten Philosophie sein. Die Be-hauptung eines absoluten Ichs würde allerdings tran-szendent, wenn sie über das Ich hinausginge, d.i.wenn sie ihm zugleich sein Dasein als Objekt bestim-men wollte. Allein der Sinn jener Behauptung ist jagerade der, daß das Ich schlechterdings kein Objektsei, und daß es also unabhängig von allem Nicht-Ich,ja sogar alles Nicht-Ich ursprünglich ausschließend,

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35549 87Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

sein Sein in sich selbst habe, sich selbst hervorbringe.In der transzendentalen Dialektik bleibt der von Kantaufgedeckte Paralogismus nicht beim reinen Ich ste-hen, vielmehr sucht er das durch Nicht-Ich bedingte,also selbst zum Objekt gewordene Ich als Objekt ei-nerseits und doch andererseits als Ich, d.h. als abso-lute Substanz, zu realisieren. Das absolute Ich aberrealisiert sich selbst; ich darf, um zu seinem Sein zugelangen, nicht über seine Sphäre hinausgehen, undder Satz: Ich bin! unterscheidet sich eben dadurch alsder einzige, mit keinem anderen vergleichbare, vonallen Existentialsätzen. Der ganze Paralogismus dertranszendentalen Psychologie beruht also gerade dar-auf, daß man das, was bloß dem absoluten Ich zu-kommt, durch ein Objekt realisieren will. (Denn dieganze Dialektik geht auf Zerstörung des absolutenIchs und Realisierung des absoluten Nicht-Ichs [=Ich], d.i. des Dings an sich).

»Ich denke. Ich bin!« das sind lauter analytischeSätze. Aber die transzendentale Dialektik macht dasIch zum Objekt, und sagt: was denkt, ist; was als Ichgedacht wird, ist Ich. Dies ist: ein synthetischer Satz,wodurch ein Denkendes überhaupt als Nicht-Ich ge-setzt wird. Ein Nicht-Ich aber bringt sich nicht selbstdurch sein Denken hervor, wie Ich!

Das absolute Ich ist2. ebensowenig gleichbedeutend mit dem logischen

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Ich. Im bloß empirischen Denken komme ich auf dasIch überhaupt nur als auf logisches Subjekt und aufBestimmbarkeit meines Daseins in der Zeit; dagegenin der intellektualen Anschauung das Ich sich als ab-solute Realität außerhalb aller Zeit hervorbringt.Wenn wir also vom absoluten Ich sprechen, wollenwir nichts weniger als das logische im Bewußtseinenthaltene Subjekt bezeichnen. Allein dieses logischeSubjekt ist doch selbst nur durch die Einheit des ab-soluten Ichs möglich. (Mein empirisches Ich wird inWechsel gesetzt, damit es aber doch wenigstens imWechsel sich gleich bleibe, strebt es, die Objekteselbst, durch die es in Wechsel gesetzt wird, zur Ein-heit zu erheben - [Kategorien] - und bestimmt durchdie Identität seines Strebens die Identität seines Da-seins als eines im Wechsel der Zeit beharrenden Prin-zips der Vorstellungen). Die Einheit des Bewußtseinsbestimmt also nur Objekte, kann aber nicht hinwie-derum das Ich als Objekt bestimmen; denn als reinesIch kommt es im Bewußtsein gar nicht vor, und kämees darin vor, so könnte es doch als reines Ich nie zumNicht-Ich werden; als empirisches Ich aber hat es garkeine Realität, als nur in der Einheit der Apperzepti-on, und bloß in bezug auf Objekte. Ich denke! ist blo-ßer Ausdruck der Einheit: der Apperzeption, die alleBegriffe begleitet, also nicht in intellektualer An-schauung, wie der Satz: Ich bin! sondern nur in bezug

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auf Objekte, d.i. nur empirisch, bestimmbar. Es istAusdruck nicht einer absoluten, sondern nur in bezugauf Vielheit denkbaren Form der Einheit, dadurch dasIch weder als Erscheinung, noch als Ding an sich(also überhaupt nicht als Ding), aber ebensowenig alsabsolutes Ich, sondern nur als Prinzip eines in derbloßen Einheit des Denkens bestimmten, also außerdem Denken alle Realität verlierenden Etwas be-stimmt wird. Dagegen ist doch dieses bloß denkbare,nur in der Einheit des Bewußtseins enthaltene Ich ein-zig nur durch eine ursprünglich und absolut vorhan-dene Einheit eines absoluten Ichs begreiflich. Denngibt es kein absolutes Ich, so begreift man nicht, wieein Nicht-Ich ein logisches Ich, eine Einheit des Den-kens hervorbringen solle, überhaupt aber nicht, wienur überhaupt Nicht-Ich möglich sein solle, woher esauch kommt, daß jeder, der es versucht das absoluteIch in Gedanken aufzuheben, sich alsobald genötigtfühlt das Nicht-Ich selbst zum Ich zu erheben. (Wiedies auch bei Spinoza der Fall war). Denn es gibtschlechterdings nichts Denkbares für mich ohne Ich,wenigstens ohne logisches Ich, und logisches Ichkann unmöglich durch Nicht-Ich, also nur durch abso-lutes Ich hervorgebracht sein.

Wenn also vom absoluten Ich die Rede ist, soreden wir

1. nicht vom logischen Ich, denn dies ist bloß in

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bezug auf Objekt denkbar, und bloßer Ausdruck desStrebens des Ichs, seine Identität im Wechsel der Ob-jekte zu erhalten. Eben deswegen aber, da es nurdurch jenes Streben denkbar ist, ist es selbst Bürgedes absoluten Ichs und seiner absoluten Identität.

2. Ebensowenig vom absoluten Subjekt in dertranszendentalen Dialektik, wodurch das logischeSubjekt, das ursprünglich nichts als bloß formalesPrinzip der Einheit des Denkens, bloßes Korrelatumder Apperzeption ist, als Objekt realisiert werdensoll, was sich unmittelbar widerspricht. Das dialekti-sche Subjekt entsteht durch bloße Abstraktion, unddurch die paralogistische Voraussetzung, daß das Ichim Bewußtsein als unabhängig vom Bewußtsein be-stimmbares Objekt denkbar sei. Dadurch unterschei-det sich das dialektische Ich ebensowohl vom logi-schen als vom reinen Ich. Denn keines von diesen bei-den ist durch Abstraktion entstanden. Jenes ist nichtsals formales Prinzip der Einheit des Denkens (undalso der Abstraktion selbst), dieses ist höher denn alleAbstraktion, und nur durch sich selbst setzbar.

Das absolute Ich ist also weder bloß formales Prin-zip, noch Idee, noch Objekt, sondern reines Ich in in-tellektualer Anschauung als absolute Realität be-stimmt. Wer also einen Beweis fordert, »daß ihmaußer unserer Idee etwas entspreche«, der weiß nicht,was er fordert; denn 1. ist es durch keine Idee

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gegeben, 2. realisiert es sich selbst, es bringt sichselbst hervor, und braucht also nicht erst realisiert zuwerden. Denn, sollte es auch realisierbar sein, sowürde die Handlung selbst, durch die es realisiertwerden sollte, es schon voraussetzen, d.h. seine Reali-sierung, als eines außer sich selbst gesetzten Etwas,hebt sich selbst auf. Es ist entweder nichts, oder durchsich selbst und in sich selbst - nicht als Objekt, aberals Ich realisiert.

Die Philosophie wird also gerade dadurch, daß dasabsolute Ich als Prinzip aufgestellt wird, vor allemSchein gesichert. Denn das Ich, als Objekt, ist, wiewir selbst erwiesen haben, nur durch dialektischenSchein möglich, das Ich in logischer Bedeutung aberhat keine Bedeutung, als bloß insofern es Prinzip derEinheit des Denkens ist, verschwindet also mit demDenken selbst, und hat gar keine als bloß denkbareRealität24. - Oder soll das Prinzip aller Philosophieein Nicht-Ich sein, so muß man eben damit auf allePhilosophie Verzicht tun. Denn Nicht-Ich selbst istursprünglich gar nicht als nur im Gegensatz gegendas Ich bestimmbar, und hat keine Realität, wenn dasabsolute Ich keine Realität hat.Anmerkung 3. Es ist auffallend, daß die meisten

Sprachen den Vorteil haben, das absolute Sein vonjedem bedingten Existieren unterscheiden zu können.Ein solcher Unterschied, der durch alle

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ursprünglichen Sprachen hindurchgeht, weist aufeinen ursprünglich vorhandenen Grund zurück, derschon bei der ersten Bildung der Sprache, ohne daßman es sich bewußt war, denselben bestimmte. Aberebenso auffallend ist es, daß der größte Teil der Phi-losophen diesen Vorteil, den ihnen ihre Spracheanbot, noch nicht benutzten. Fast alle gebrauchen dieWorte: Sein, Dasein, Existenz, Wirklichkeit, beinaheganz gleichbedeutend. Offenbar aber drückt das WortSein das reine, absolute Gesetztsein aus, dagegen Da-sein schon etymologisch ein bedingtes, eingeschränk-tes Gesetztsein bezeichnet. Und doch spricht man z.B.allgemein vom Dasein Gottes25, als ob Gott wirklichdasein, d.h. bedingt und empirisch gesetzt sein könn-te. (Das wollen übrigens die meisten Menschen, und,wie es scheint, selbst Philosophen aller Zeiten undParteien). Wer vom absoluten Ich sagen kann: es istwirklich, weiß nichts von ihm26. Sein drückt das ab-solute, Dasein aber überhaupt ein bedingtes, Wirk-lichkeit ein auf bestimmte Art, durch eine bestimmteBedingung, bedingtes Gesetztsein aus. Die einzelneErscheinung im ganzen Zusammenhang der Welt hatWirklichkeit, dieWelt der Erscheinungen überhauptDasein, das Absolutgesetzte aber, das Ich, ist. Ichbin! ist alles, was das Ich von sich aussagen kann.

Man dachte wohl sonst, das reine Sein komme denDingen an sich zu. - Ich glaube aber, daß das, was

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35555 93Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Kant von Dingen an sich sagt, sich schlechterdingsnicht anders denn nur aus seinem durchgängig beob-achteten Herablassungssystem erklären läßt. Denndie Idee von Ding an sich muß nach den kantischenDeduktionen selbst eine widersprechende Idee sein.Denn Ding an sich heißt nichts mehr und nichts weni-ger, als ein Ding, das kein Ding ist. Wo sinnliche An-schauung ist, da ist Nicht-Ich, und wo Nicht-Ich ist,sinnliche Anschauung. Intellektual wird gar keinNicht-Ich, sondern bloßes Ich angeschaut. Man kannalso z.B. nicht sagen, Gott schaue die Dinge an sichan. Freilich schaut Gott keine Erscheinungen, aberebensowenig Dinge an sich, sondern gar kein Ding,bloß sich selbst, und alle Realität als sich gleich ge-setzt, an (woraus erhellt) daß Gott Etwas ist, das wirnur ins Unendliche fort zu realisieren streben kön-nen). Ist Gott (nach Spinoza) als Objekt, aber unterder Form der Unendlichkeit bestimmbar, so müssenalle Objekte in ihm enthalten sein, und der Spinozis-mus ist nur dadurch widerlegbar, daß Gott als mitdem absoluten Ich (das alles Objekt ausschließt)identisch vorgestellt wird. Freilich hat Kant seinemAkkommodationssystem zufolge von den Formen dersinnlichen Anschauung als bloßen Formen dermenschlichen Anschauung gesprochen; allein dieFormen der sinnlichen Anschauung und der Synthesisdes Mannigfaltigen derselben sind Formen der

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35556 94Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

Endlichkeit überhaupt, d.h. sie müssen aus dem blo-ßen Begriff des durch ein Nicht-Ich bedingten Ichsüberhaupt deduziert werden, woraus folgt, daß, woObjekt ist, auch sinnliche Anschauung sein muß, undalso Nicht-Ich außerhalb aller sinnlichen Anschauung(Ding an sich) sich selbst aufhebt, d.h. gar kein Ding,bloßes Nicht-Ich, also schlechthin nichts ist. - Mansagte wohl auch sonst, es sei Schuld der Schwächeder menschlichen Vernunft (ein Wort, womit man vonjeher viel Mißbrauch getrieben hat), daß wir dieDinge an sich nicht erkennen; man könnte noch ehersagen, die Schwäche liege darin, daß wir überhauptObjekte erkennen.

[Die Begriffe vom Idealismus und Realismus wer-den nun erst, nachdem der Begriff von Nicht-Ich imGegensatz gegen das absolute Ich bestimmbar ist,ihre richtige Bedeutung erhalten. Man verwechseltbeide in empirischer und reiner Bedeutung. ReinerIdealismus und Realismus hat gar nichts mit Bestim-mung des Verhältnisses des vorgestellten Objektszum empirischen Subjekt zu tun. Beide bekümmernsich nur darum, die Frage zu lösen: wie es möglichsei, daß dem Ich überhaupt etwas ursprünglich entge-gengesetzt, d.h. daß es überhaupt empirisch sei. -Die Antwort darauf nun könnte beim Idealisten nurdiese sein, daß das Ich gar nicht empirisch sei, inwelchem Fall also die Nötigung desselben, sich etwas

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35557 95Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie

schlechthin entgegenzusetzen, mithin die Befugnis zurtheoretischen Philosophie überhaupt geleugnet würde27. Dieser Idealismus ist aber nur als Idee (des letztenEndzwecks) in praktischer Absicht (als praktischesRegulativ) denkbar, denn als theoretischer Idealismushebt er sich selbst auf. Mithin gibt es keinen reinentheoretischen Idealismus, und da der empirische keinIdealismus ist, überhaupt keinen Idealismus in dertheoretischen Philosophie.

Der reine Realismus setzt das Dasein desNicht-Ichs überhaupt, und dieses entweder gleichdem reinen absoluten Ich, wie man allenfalls denIdealismus Berkleys deuten könnte - (sich selbst auf-hebender Realismus).Oder unabhängig vom Ich überhaupt, wie bei

Leibniz und Berkley, der sehr fälschlich unter dieIdealisten gezählt wird (transzendenter Realismus).Oder abhängig vom Ich, durch die Behauptung,

daß überhaupt nichts existiere als was das Ich setze,und daß das Nicht-Ich nur unter Voraussetzung einesabsoluten, noch durch kein Nicht-Ich bedingten, Ichsdenkbar, also selbst nur durch das Ich setzbar sei.(Nämlich um 1. das Nicht-Ich überhaupt setzen zukönnen, muß das absolute Ich zuvor gesetzt sein, weiljenes nur im Gegensatz gegen dieses bestimmbar ist.Im ursprünglichen Setzen aber ist es eben deswegenbloßes Entgegensetzen mit absoluter Negation. Um

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es also 2. überhaupt setzbar zu machen und ihm Rea-lität mitzuteilen, muß es ins absolute Ich, durch wel-ches allein alles, was ist, setzbar ist, gesetzt, d.h. zurRealität erhoben werden. Realität aber kann es nurdurch einen absoluten Inbegriff aller Realität erhal-ten - immanenter kantischer Realismus28).

Oder endlich zwar ursprünglich unabhängig vomIch, aber in der Vorstellung nur durch und für das Ichvorhanden - (transzendent-immanenter [unbegreifli-cher] Realismus vieler Kantianer, und namentlichReinholds29, der sich übrigens den SektennamenKantianer selbst verbeten hat).Empirischer Idealismus ist entweder ohne Sinn,

oder nur in bezug auf reinen transzendenten Realis-mus denkbar. So war Leibniz (auch Descartes),indem er das Dasein der äußern Gegenstände als Kör-per leugnete, dagegen aber das Dasein einesNicht-Ichs überhaupt unabhängig vom Ich annahm, inRücksicht auf jenes empirischer Idealist, in Rücksichtauf dieses reiner, objektiver Realist.Transzendenter Realismus ist notwendig empiri-

scher Idealismus und umgekehrt. Denn da der trans-zendente Realismus die Objekte überhaupt als Dingean sich ansieht, kann er das Wandelbare und Bedingtean ihnen nur als Produkt des empirischen Ichs anse-hen, und sie nur, insofern sie die Form der Identitätund Unwandelbarkeit haben, als Dinge an sich

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betrachten. So mußte Leibniz, um die Identität undUnwandelbarkeit der Dinge an sich zu retten, zur prä-stabilierten Harmonie seine Zuflucht nehmen. Kurz zusagen, muß der Dogmatismus (der das Nicht-Ich alsdas Absolute behauptet) die Dinge an sich unter den-jenigen Formen vorstellen, die nach dem Kritizismusdem Ich (als dem einigen Absoluten) eigentümlichsind, und erst von diesem (in der Synthesis) aufsNicht-Ich übergetragen werden (identische Substan-tialität, reines Sein, Einheit usw.); dagegen er diejeni-gen Formen, welche das Objekt in der Synthesis vomursprünglichen Nicht-Ich erhält (Wechsel, Vielheit,Bedingtheit, Negation usw.) als bloß der Erscheinungdes Dings an sich zugehörig betrachten muß30. Des-wegen die leibnizischen Monaden die Urform des Ichs(Einheit und Realität, identische Substantialität undreines Sein, als vorstellende Wesen) haben; dagegenalle diejenigen Formen, welche vom Nicht-Ich aufsObjekt übergehen (Negation, Vielheit, Akzidentalität,Kausalität in passiver Bedeutung, d.i. Bedingtheit),als bloß in der sinnlichen Vorstellung desselben vor-handen empirisch-idealistisch erklärt werden muß-ten. - Im konsequenten Dogmatismus hat also derempirische Idealismus Sinn und Bedeutung, denn erist notwendige Folge des transzendenten Realismus.Soll er aber als Erklärungsgrund des Nicht-Ichs über-haupt gedacht werden, so hebt er sich selbst auf.

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Denn es ist lächerlich, das Nicht-Ich seinem Daseinnach bloß als Produkt eines empirischen Vermögens,z.B. der Einbildungskraft, begreiflich machen zu wol-len. Denn man will ja wissen, wie Nicht-Ich über-haupt, d.h. wie empirisches Vermögen überhauptmöglich werde].Leibniz, oder besser noch, der konsequente Dog-

matismus, sieht die Erscheinungen als ebenso vieleEinschränkungen der unendlichen Realität desNicht-Ichs an; nach dem kritischen System sind sieebenso viele Einschränkungen der unendlichen Reali-tät des Ichs. (Erscheinungen also sind vom Ich nichtder Art [Realität], sondern nur der Quantität nachverschieden. Leibniz hatte wohl recht) wenn er sagte,die Erhaltung der Welt der Erscheinungen sei dersel-be Akt des absoluten Objekts, wie die Schöpfung.Denn die Welt der Erscheinungen entsteht und beharrtdem Dogmatismus zufolge bloß in der Einschränkungdes absoluten Nicht-Ichs. - Schöpfung ist also nachdem kritischen System, das nur immanente Behaup-tungen zuläßt, nichts als Darstellung der unendlichenRealität des Ichs in den Schranken des Endlichen. Be-stimmung derselben durch eine außer dem absolutenIch wirkliche Kausalität - durch ein Unendlichesaußer dem Unendlichen - hieße das Ich überfliegen.)Bei Leibniz ist alles, was da ist, Nicht-Ich, selbstGott, in dem alle Realität, aber außerhalb aller

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Negation vereinigt ist; nach dem kritischen System(das von einer Kritik der subjektiven Vermögen, d.h.vom Ich ausgeht) ist das Ich alles; es befaßt Eine un-endliche Sphäre, in welcher sich endliche Sphären(durchs Nicht-Ich beschränkt) bilden, die gleichwohlnur in der unendlichen Sphäre und durch sie möglichsind, auch alle Realität nur von dieser und in diesererhalten31 (Theoretische Philosophie.) In jener un-endlichen Sphäre ist alles intellektual, alles absolutesSein, absolute Einheit, absolute Realität, in diesenalles Bedingtheit, Wirklichkeit, Einschränkung:durchbrechen wir diese Sphären (praktische Philoso-phie), so sind wir in der Sphäre des absoluten Seins,in der übersinnlichen Welt, wo alles Ich außer demIch nichts, und dieses Ich nur Eines ist.

* * *

... Ich wünschte mir Platons Sprache oder die sei-nes Geistesverwandten, Jacobis, um das absolute, un-wandelbare Sein von jeder bedingten, wandelbarenExistenz unterscheiden zu können. Aber ich sehe, daßdiese Männer selbst, wenn sie vom Unwandelbaren,Übersinnlichen sprechen wollten, mit ihrer Sprachekämpften - und ich denke, daß jenes Absolute in unsdurch kein bloßes Wort einer menschlichen Sprachegefesselt wird, und daß nur selbsterrungenes

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Anschauen des Intellektualen in uns dem Stückwerkunsrer Sprache zu Hilfe kommt.Selbsterrungenes Anschauen. Denn das Unbe-

dingte in uns ist getrübt durch das Bedingte, das Un-wandelbare durch das Wandelbare, und - wie, wenndu hoffst, daß das Bedingte dir selbst wieder das Un-bedingte, die Form der Wandelbarkeit und des Wech-sels die Urform deines Seins, die Form der Ewigkeitund der Unwandelbarkeit, darstellen werde? -

Weil du mit deiner Erkenntnis an Objekte gebun-den bist, weil deine intellektuale Anschauung getrübtund dein Dasein selbst für dich in der Zeit bestimmtist, wird selbst das, wodurch du allein zum Dasein ge-kommen bist, in dem du lebst und webst, denkst underkennst, am Ende deines Willens nur ein Objekt desGlaubens für dich - gleichsam ein von dir selbst ver-schiedenes Etwas, das du ins Unendliche fort in dirselbst als endlichem Wesen darzustellen strebst, unddoch niemals als wirklich in dir findest - der Anfangund das Ende deines Wissens dasselbe - dort An-schauung, hier Glaube!

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§ 16.

Das Ich setzt sich selbst schlechthin und alle Reali-tät in sich. Es setzt alles als reine Identität, d.h. allesgleich mit sich selbst. Die materiale Urform des Ichsist demnach die Einheit seines Setzens, insofern esalles sich gleich setzt. Das absolute Ich geht niemalsaus sich selbst heraus.

Durch diese materiale Urform aber ist notwendigzugleich eine formale Form des Setzens im Ich über-haupt bestimmt. Das Ich nämlich ist als Substrat derSetzbarkeit aller Realität überhaupt bestimmt. Denn,wenn das Ich materialer Inbegriff aller Realität ist (§8), so ist es zugleich auch formale Bedingung desSetzens überhaupt, und so erhalte ich eine bloße Formder Setzbarkeit im Ich überhaupt, die aber durch jenemateriale Urform der Identität des Ichs (mittelst wel-cher es alle Realität sich selbst gleich, d.h. in sichselbst setzt) notwendig bestimmt ist. Setzte nämlichdas Ich nicht ursprünglich alles seiner Realität gleich,d.h. identisch mit sich, sich selbst aber als die reinsteIdentität, so könnte im Ich schlechterdings nichtsidentisch gesetzt werden, und es wäre möglich, daß A= nicht A gesetzt würde. Das Ich sei was es wolle (esist aber nichts, wenn es nicht sich selbst absolutgleich ist, weil es nur durch sich selbst gesetzt ist), so

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ist, wenn es nur überhaupt identisch mit sich selbstgesetzt ist, der allgemeine Ausdruck des Setzens inihm: A = A. Ist das Ich als identisch mit sich selbstgesetzt, so ist, abgesehen von allem dem, was das Ichist, alles, was im Ich gesetzt ist, nicht als verschiedenvon sich selbst, so wie es gesetzt ist, sondern als indemselben Ich gesetzt bestimmt. Durch die reineIdentität des Ichs, oder, da das Ich nur durch seineIdentität ist, durch das Sein des Ichs überhaupt, wirdalso ein Setzen im Ich überhaupt möglich. Wäre dasIch nicht mit sich selbst gleich, so wäre alles, was imIch gesetzt ist, zugleich gesetzt und nicht gesetzt, d.h.es wäre gar nichts gesetzt, es gäbe keine Form desSetzens.

Allein, da das Ich alles, was es setzt, seiner Reali-tät gleichsetzt, so wird, insofern die Form des Setzensim Ich bloß durch das Ich bestimmt ist, das Gesetztenur in der Qualität seines Gesetztseins im Ich, d.h.nicht als etwas dem Ich Entgegengesetztes betrachtet;das Ich bestimmt durch seine Urform der Identitätnichts als Realität überhaupt, und schlechterdingskein Objekt als solches, insofern es dem Ich entgegen-gesetzt ist. Der Satz Ich = Ich ist also die Grundlagealles Setzens. Denn das Ich selbst heißt nur insoferngesetzt, als es nur für sich selbst und durch sich selbstgesetzt ist; alles andere aber, was gesetzt ist, ist es nurinsofern, als das Ich zuvor gesetzt ist; was aber

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gesetzt ist, ist schlechthin gesetzt, nur insofern es deinschlechthin-gesetzten Ich gleich gesetzt, und also, dadas Ich nur sich selbst gleich gesetzt sein kann, mitsich selbst identisch ist. A = A ist insofern die allge-meine Formel des schlechthin-Setzens, weil dadurchnichts ausgesagt wird, als das, was gesetzt ist, gesetztsei.

Nun kann ich ins Ich setzen nach freier Willkür,ich kann nur das nicht setzen, was ich nicht setze. Ichsetze also A, und, da ich es ins Ich setze, gleich ir-gend einer Realität = B, aber notwendig als etwassich selbst Gleiches, d.h. entweder als B oder als - B= C. Würde es als B und als - B = C gesetzt, so wäredas Ich selbst aufgehoben. Insofern geht der Satz A =A als allgemeine Formel (des sich selbstgleich-Setzens) allen ändern formalen Grundsätzenvoraus; insofern er ein besonderer Satz - (von beson-derem Inhalt) - ist, steht er unter der allgemeinenGattung der schlechthin gesetzten, durch ihn, insoferner bloße Formel ist, bedingten Sätze.

Alle unbedingt-gesetze, alle, deren Setzen bloßdurch die Identität des Ichs bedingt ist, können analy-tische heißen, weil ihr Gesetztsein aus ihnen selbstentwickelt werden kann, besser noch, thetische Sätze.Thetische Sätze sind alle, die bloß durch ihr Gesetzt-sein im Ich bedingt, d.h. da alles ins Ich gesetzt wird,die unbedingt gesetzt sind. (Ich sage, gesetzt sind.

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Denn nur das bloße Gesetztsein gehört zur formalenForm.)

Eine einzelne Art thetischer Sätze sind identischeSätze, dergleichen A = A als besonderer Satz betrach-tet ist (d.h. solche, in denen Subjekt und Prädikat das-selbe sind, deren Subjekt nur sich selbst zum Prädikathat. So ist das Ich nur Ich, Gott nur Gott, alles aber,was in der Sphäre der Existenz liegt, hat Prädikate,die außer seinem Wesen liegen). Daß sie thetischeSätze sind, gehört zur formalen Form, daß sie identi-sche sind, zur materialen. Identische Sätze sind not-wendig thetische, weil in ihnen A schlechthin als sol-ches, und, weil es A ist, gesetzt wird. Aber thetischeSätze sind nicht notwendig identische, denn thetischeSätze sind alle, deren Gesetztsein nicht durch ein an-deres Gesetztsein bedingt ist. So kann A = B ein the-tischer, obwohl kein identischer Satz sein, wenn näm-lich durch das bloße Setzen von A, B, aber nicht um-gekehrt durch das bloße Setzen von B, A gesetzt ist.

Die Form der thetischen Sätze ist bloß bedingtdurch die reine Identität des Ichs. Da sie also überallnur die materiale, durchs Ich bestimmte Form der Un-bedingtheit formal ausdrücken, so muß auch die for-male Form derselben durchaus parallel sein der mate-rialen Form des Ichs.

Das Ich ist bloß dadurch, daß es ist, d.h. daß essich selbst gleich ist, also durch die bloße Einheit

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seiner Anschauung. Nun sind die thetischen Sätzebloß bedingt durch ihr Gesetztsein im Ich. Das Ichaber ist bloß durch Einheit seiner Anschauung. Mit-hin muß das im thetischen Satze Gesetzte bloß be-dingt sein durch die im Ich bestimmte Einheit seinerAnschauung. (Wenn ich urteile, A = B, so urteile ichnicht von A, insofern es durch irgend etwas außersich, sondern insofern es bloß durch sich selbst, durchEinheit seines Gesetztseins im Ich, nicht als bestimm-tes Objekt, sondern als Realität überhaupt, als im Ichüberhaupt setzbar bestimmt ist. Ich urteile also nicht,dieses oder jenes A in diesem oder jenem bestimmtenPunkt des Raums oder der Zeit, sondern A, als sol-ches, ist, insofern es A ist, durch eben die Bestim-mung, durch die es A, d.h. sich selbst gleich ist, = B.- Alle numerische Bestimmung von A ist also ebendadurch ausgeschlossen, sei es nun numerische Be-stimmung der Einheit oder der Vielheit. NumerischeEinheit kann zwar im thetischen Satze vorkommen,aber nicht als zur Form desselben gehörig. So kannman z.B. urteilen: der Körper A ist ausgedehnt. Solldieser Satz ein thetischer sein, so muß der Körper Abloß in der Einheit seines Gesetztseins im Ich, nichtals bestimmtes Objekt, in bestimmtem Raum, gedachtwerden; oder vielmehr, insofern der Satz thetisch ist,wird A wirklich bloß in der Einheit seines Gesetzt-seins gedacht. Das, was ihn zum thetischen Satz

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macht, ist nicht der bestimmte Körper A, sondern dasDenken desselben in seiner Einheit. - Das A im theti-schen Satze überhaupt ist seinem bloßen Gesetztseinnach, also weder als Gattung, noch als Art, noch alsIndividuum bestimmt. Vielheit ist gesetzt, weil einsmehrmals, also nicht weil es schlechthin gesetztist.[)] Der Satz also, der eine Vielheit aussagt, istnicht nur seinem Inhalt, sondern auch der bloßenForm seines Gesetztseins nach ein antithetischerSatz. Nur dadurch, daß dem Ich ursprünglich etwasentgegengesetzt, daß das Ich selbst als Vielheit (inZeit) gesetzt wird, ist es möglich, daß das Ich über dieEinheit des bloßen Gesetztseins in ihm hinausgehe,und z.B. dasselbe Gesetzte mehrmals setze, oder zweiBegriffe, die nichts miteinander gemein haben, dieunter keiner Einheit denkbar sind, z.B. Körper undSchwere zugleich setze.Allgemeinheit ist empirische, d.h. durch Vielheit

hervorgebrachte Einheit, also Form einer Synthesis.Allgemeine Sätze sind also weder thetische, noch an-tithetische, sondern synthetische Sätze.

Das Ich ist bloß dadurch, daß es alle Realität setzt.Sollen also thetische Sätze (d.h. solche, die durch ihrbloßes Setzen im Ich bestimmt sind) möglich sein, somüssen sie schlechthin etwas setzen (bejahen). Sowiesie verneinen, ist ihr Setzen nicht durchs bloße Ich,denn das enthält keine Verneinung, sondern durch

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etwas außer demselben (ihm Entgegengesetztes) be-dingt. (Der bejahende Satz setzt überhaupt etwas ineine Sphäre der Realität - der thetisch-bejahende Satznur in die Sphäre der Realität überhaupt. Der vernei-nende Satz setzt nur überhaupt nicht in eine bestimm-te Sphäre; allein da er das, was er in der einen Sphärewegnimmt, in keine andere setzt, so nimmt er es ausder Sphäre der Realität überhaupt weg. - Das the-tisch-verneinende [sonst unendliche] Urteil nimmt Anicht mir aus einer bestimmten Sphäre weg, sondernsetzt es zugleich in eine andere, jener entgegenge-setzte. So z.B. der Satz: Gott ist nicht wirklich,nimmt Gott aus der Sphäre der Wirklichkeit, ohne ihnin eine andere zu setzen; der Satz aber: Gott ist nicht- wirklich, setzt ihn zugleich in eine andere, der Sphä-re der Wirklichkeit widersprechende Sphäre. Eskommt aber, um ein thetisch-verneinendes Urteil her-vorzubringen, nicht nur darauf an, daß man die Nega-tion mit dem Prädikat willkürlich verbindet, sonderndarauf, daß das Subjekt schon durch sein bloßes Set-zen im Ich in eine dem Prädikat entgegengesetzteSphäre gesetzt werde. So kann ich z.B. den vernei-nenden Satz: ein Zirkel ist nicht viereckig, in kein the-tisch-verneinendes Urteil verwandeln; denn das Sub-jekt Zirkel ist nicht schon durch sein bloßes Gesetzt-sein in eine der Sphäre des Viereckigen schlechthinentgegengesetzte Sphäre gesetzt; der Zirkel könnte

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eben auch fünf- oder vieleckig sein. Dagegen ist derSatz: ein Zirkel ist nicht süß, notwendig ein unendli-ches Urteil; denn das Subjekt Zirkel ist schon durchsein bloßes Gesetztsein außer der Sphäre des Süßen,also in eine jener Sphäre geradezu entgegengesetzteSphäre gesetzt. Deswegen auch im the-tisch-verneinenden Urteil die Negation nicht bei derKopula, sondern beim Prädikat steht, d.h. das Subjektwird nicht nur aus der Sphäre des Prädikats hinweg-genommen, sondern in eine ganz andere, jener entge-gengesetzten Sphäre von Prädikat gesetzt. - Maimonwar, soviel ich weiß, bis jetzt derjenige, der am be-stimmtesten auf diese Unterscheidung des unendli-chen Urteils vom bejahenden und verneinenden ge-drungen hat.)

Das Ich ist bloß durch sich selbst. Seine Urformist die des reinen Seins. Soll etwas im Ich gesetzt wer-den, bloß weil es gesetzt ist, so muß es durch nichtsaußer dem Ich bedingt sein; denn es ist bloß durchsein Gesetztsein im Ich bedingt, und das Ich enthältnichts außer der Sphäre seines Wesens Liegendes.Thetische Sätze setzen also ein Sein, das bloß durchsich selbst bedingt ist (keine Möglichkeit, Wirklich-keit, Notwendigkeit, sondern bloßes Sein).

Die Bestimmung der Formen der Modalität ist bis-her noch nicht ganz ins Reine gebracht. Die Urformendes Seins und des Nicht-Seins liegen zwar allen

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ändern Formen zugrunde. Denn in ihnen ist Thesisund Antithesis (der Widerspruch zwischen Ich undNicht-Ich) ganz allgemein und bloß formal enthalten:sie müssen also, wenn dieser Widerspruch durch Syn-thesis vermittelt wird, diese Synthesis ebenfalls ganzallgemein, und bloß formal, ausdrücken. Eben deswe-gen aber gehört materiale (objektive) Möglichkeit,Wirklichkeit, Notwendigkeit, gar nicht zu jenen ur-sprünglichen, aller Synthesis vorhergehenden Formen;denn sie drücken das, was jene bloß formal aus-drücken, material, d.i. in bezug auf schon vollbrach-te Synthesis, aus. Also sind sie, da Kategorien eigent-lich diejenigen Formen sind, durch welche die Synthe-sis des Ichs und Nicht-Ichs bestimmt wird, keine Ka-tegorien, sondern sie enthalten alle zusammen die Syl-lepsis, aller Kategorien. Denn da sie selbst das bloßeSetzen ausdrücken, durch die Kategorien aber (derRelation, der Quantität und der Qualität) die Setzbar-keit des Nicht-Ichs im Ich vermittelt ist, so können sienicht mehr selbst Bedingungen dieser Setzbarkeit,sondern nur Resultat der Synthesis, oder sylleptischeBegriffe aller Synthesis sein.Reines Sein nämlich ist ursprünglich nur im Ich,

und es kann nichts unter dieser Form gesetzt werden,als was dem Ich gleich gesetzt ist; weswegen aucheinzig und allein in thetischen Sätzen reines Sein aus-gedrückt wird, weil nämlich in diesen das Gesetzte

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gar nicht als etwas dem Ich Entgegengesetztes, alsObjekt, sondern nur als Realität des Ichs überhauptbestimmt ist.

Die eigentliche Formel für thetische Sätze ist diese:A ist - d.h. es hat eine eigne identische Sphäre desSeins, in die nun alles gesetzt werden kann, was bloßdurch das Sein von A, durch sein Gesetztsein im Ichbedingt ist. Dagegen muß es ebenso eine allgemeineFormel für die Antithesis geben, die, weil A das Seinüberhaupt ausdrückt, diese sein muß; A > - A. Da-durch nämlich wird, da A im Ich gesetzt ist, - A not-wendig außer dem Ich, unabhängig vom Ich, unterder Form des Nichtseins gesetzt. Wie nun die erstereFormel eine ursprüngliche Thesis möglich macht, somacht diese eine ursprüngliche Antithesis möglich.

Nun ist aber eben diese ursprüngliche Thesis undAntithesis das Problem der gesamten Synthesis derPhilosophie32 und so, wie die reinen Formen der Mo-dalität die Form der Thesis und Antithesis ursprüng-lich und allgemein ausdrücken, müssen sie auch dieForm möglicher Synthesis ursprünglich und vor allerSynthesis enthalten. Diese Form ist Bestimmung desNichtseins durch das Sein, und diese liegt als ur-sprüngliche Form der Bestimmung aller möglichenSynthesis zugrunde.

Reines Sein ist nämlich nur im Ich denkbar. DasIch ist schlechthin gesetzt. Das Nicht-Ich aber ist

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entgegengesetzt dem Ich, mithin ist es seiner Urformnach reine Unmöglichkeit, d.h. schlechterdings nichtim Ich setzbar. Nun soll es aber doch im Ich gesetztwerden, und dieses Setzen des Nicht-Ichs im Ich ver-mittelt nun die Synthesis dadurch, daß sie die Formdes Nicht-Ichs selbst mit der Form des Ichs zu identi-fizieren, d.h. das Nicht-Sein des Nicht-Ichs durch dasSein des Ichs zu bestimmen strebt.

Da nun reines Sein Urform aller Setzbarkeit im Ichist, die Setzbarkeit des Nicht-Ichs im Ich aber nurdurch Synthesis vermittelt wird, so ist die Form desreinen Seins, insofern sie dem Nicht-Ich zukommensoll, nur als Angemessenheit zur Synthesis überhauptdenkbar (nach kantischer Sprache: objektive Möglich-keit, d.i. Möglichkeit [Setzbarkeit im Ich], die einemObjekt, als solchem, zukommt, ist nur in der Ange-messenheit zur Synthesis enthalten). Das Nicht-Ichnämlich ist ursprünglich für das Ich logisch unmög-lich; denn für das Ich gibt es keine als thetische Sätze,das Nicht-Ich aber kann nie Inhalt eines thetischenSatzes werden, sondern widerspricht der Form desIchs geradezu. Nur insofern das Nichtsein desNicht-Ichs durch das Sein des Ichs bestimmt, d.h. in-sofern eine Synthesis des Seins und Nicht-Seins vor-genommen wird, wird das Nicht-Ich setzbar im Ich,also kann seine Möglichkeit nur als Angemessenheitzur Synthesis überhaupt vorgestellt werden: mithin

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wird die logische Möglichkeit des Nicht-Ichs durchdie objektive, die formale durch die materiale bedingt.Problematische Sätze sind daher solche, deren lo-

gische Möglichkeit durch die objektive bedingt ist,stehen aber in der Logik selbst nur unter der reinen,aller Synthesis vorangehenden Form des Seins, undkönnen unmöglich selbst als besondere Gattung auf-gestellt werden. Denn da sie bloß eine Aussage derdurch objektive Möglichkeit vermittelten logischenMöglichkeit sind, logische Möglichkeit aber überalldieselbe ist, so gehören sie nur in Rücksicht auf das,wodurch sie problematische Sätze sind, zur Logik. -Ich will die objektive Möglichkeit, insofern sie die lo-gische vermittelt (Schema der logischen ist), objek-tiv-logischeMöglichkeit, Sätze, die bloß reines Sein,reineMöglichkeit33 ausdrücken, Essentialsätze, sol-che aber, die eine objektiv-logische Möglichkeit aus-drücken, problematische nennen. Die problemati-schen Sätze kommen also in der Logik nur insofernvor, als sie zugleich Essentialsätze sind.Existentialsätze sind durch die ursprüngliche Ent-

gegensetzung des Nicht-Ichs bestimmt, bekommenaber nur erst durch die Synthesis Möglichkeit. Siesind also bedingt durch objektiv-logische Möglich-keit, obgleich sie nicht bloße Möglichkeit aussagen.Durch objektiv-logische Möglichkeit nämlich wirddas Nicht-Ich nur in Synthesis überhaupt gesetzt, ein

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Existentialsatz aber setzt es in bestimmte Synthesis.Nun soll aber das Nichtich, als zur Form des Ichs er-hoben, nur durch das Schema des reinen Seins, durchseine bloße Möglichkeit, d.h. durch Synthesis über-haupt, gesetzt sein, so wie das Ich durch Thesis über-haupt gesetzt ist (denn wo Thesis ist, da ist Ich, undwo Ich ist, da ist Thesis). Allein die Urform des Ob-jekts ist Bedingtheit. Mittelst dieser, insofern siedurch das Schema der Zeit darstellbar ist, bekommendie Objekte nur dadurch Dasein, daß sie einanderwechselseitig ihre Stelle in der Zeit bestimmen; ihrDasein überhaupt ist nur bestimmt durch ihreWirk-lichkeit, d.h. durch ihr Dasein in einer bestimmtenSynthesis. Mithin muß hier eine neue Synthesis ein-treten, die, so wie Sein und Nichtsein ursprünglichnur dadurch vermittelt werden konnten, daß dasNicht-Sein durch das Sein bestimmt wurde, nun hin-wiederum objektive Möglichkeit (das Resultat jenerSynthesis) mit Wirklichkeit nur dadurch vermittelt,daß sie diese durch jene bestimmt. Nun ist objek-tiv-logische Möglichkeit Gesetztsein in der Synthesisüberhaupt, Wirklichkeit Gesetztsein in bestimmterSynthesis: also muß das Nicht-Ich nur insofern in be-stimmter Synthesis gesetzt sein, als es zugleich inSynthesis überhaupt gesetzt ist, d.h. es muß in allerSynthesis gesetzt sein, denn alle Synthesis ist gleichder Synthesis überhaupt sowohl als der bestimmten

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Synthesis.

* * *

Ich glaube, daß der ganze Fortgang dieser Synthe-sis, in einer Tafel vorgestellt, dem Leser deutlicherwird.

Hier ist eine

Tafel aller Formen der Modalität

I.

1. Thesis.Absolutes Sein, bloß in und durch das Ich ursprüng-lich bestimmte absolute Setzbarkeit.

2. Antithesis.Absolutes Nicht-Sein, absolute Unabhängigkeit vomIch, und nur im Gegensatz gegen dasselbe bestimm-bare, absolute Nichtsetzbarkeit.

3. Synthesis.Bedingte, durch Aufnahme ins Ich bestimmbare Setz-barkeit, d.h.Möglichkeit des Nicht-Ichs34. (DieseMöglichkeit heißt, weil das Nicht-Ich nur durch Auf-nahme ins Ich Objekt wird, objektiv-logische

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Möglichkeit, und weil jene Aufnahme ins Ich nurdurch vorangegangene Synthesis [mittelst der Katego-rien] möglich wird, Angemessenheit zur Synthesis[den Kategorien] überhaupt, Dasein in der Zeit über-haupt.)

II.

1. Thesis.Bedingtsein durch die Synthesis überhaupt, d.h.durch die objektive Aufnahme ins Ich. Objek-tiv-logische Möglichkeit, Dasein in der Zeit über-haupt.

2. Antithesis.Objektives, nicht bloß durchs Ich bestimmtes Be-dingtsein, Dasein in bestimmter Synthesis (Zeit), d.h.Wirklichkeit.

3. Synthesis.Bedingtsein des (durchs Objekt bestimmten) Gesetzt-seins in bestimmter Synthesis durch das (durchs Ichbestimmte) Gesetztsein in der Synthesis überhaupt,Dasein35 in aller Synthesis. Bestimmung der Wirk-lichkeit durch die objektiv-logische Möglichkeit -Notwendigkeit. (Mithin geht der ganze Progressus derSynthesis 1. von Sein und Nicht-Sein zu Möglichkeit,

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2. von Möglichkeit und Wirklichkeit zu Notwendig-keit.)

[Da Zeit Bedingung aller Synthesis ist, und ebendeswegen von der transzendentalen Einbildungskraftdurch und in der Synthesis hervorgebracht wird, sokann man das Ganze auch so darstellen. Das Schemades reinen (außerhalb aller Zeit gesetzten) Seins istDasein in Zeit überhaupt (d.i. in der Handlung derSynthesis überhaupt). Objektive Möglichkeit ist alsoGesetztsein in der Zeit überhaupt. Da das Dasein inder Zeit wechselt, so ist das Objekt, obgleich in derZeit überhaupt gesetzt, doch zugleich setzbar undnicht setzbar. Um ein Objekt zu setzen, muß ich es inbestimmte Zeit setzen, was nur dadurch möglich wird,daß ein andres ihm seine Stelle in der Zeit bestimmt,und sich die seine wieder von ihm bestimmen läßt.Nun soll aber das Nicht-Ich bloß durch seineMög-lichkeit, bloß durch das Schema des reinen Seins, ge-setzt werden.

Diesem Setzen durch bloße Möglichkeit aber wi-derstrebt das Schema seiner eigenen Form, mittelstdessen es nur als in bestimmter Zeit gesetzt gedachtwerden kann. Nun ist, so wie Zeit überhaupt Schemader gänzlichen Zeitlosigkeit ist, alle Zeit (d.h. diewirkliche ins unendliche fortgehende Synthesis) hin-wiederum Darstellung (Bild)36 der Zeit überhaupt

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(d.i. der Handlung der Synthesis überhaupt), wodurchDasein in der Zeit überhaupt mit Dasein in bestimm-ter Zeit vermittelt wird. Alle Zeit also ist nichts alsBild der Zeit überhaupt, und zugleich bestimmte Zeit,weil alle Zeit so gut bestimmt ist, als ein einzelnerZeitteil. Insofern nun das Nicht-Ich in bestimmte Zeitgesetzt ist, erhält es seine ursprüngliche Form (desWechsels, der Vielheit, der Negabilität), insofern esin Zeit überhaupt gesetzt ist, drückt es die schemati-sche Urform des Ichs aus, Substantialität, Einheit,Realität. Aber es ist in bestimmte Zeit nur insoferngesetzt, als es zugleich in Zeit überhaupt gesetzt ist)und umgekehrt. Seine Substantialität ist nur in bezugauf Wechsel, seine Einheit nur in bezug auf Vielheit,seine Realität nur in bezug auf Negation (d.h. mit Ne-gation - aber ins Unendliche) denkbare37.]

Anmerkungen. 1. Das Ich setzt ursprünglich, und,da es die reinste Einheit ist, alles sich gleich, nichtssich entgegen. Der thetische Satz hat also eigentlichgar keinen ändern Inhalt als das Ich, denn was in ihmgesetzt ist, ist nur als Realität überhaupt als = demIch, in der Form seiner Identität mit dem Ich gesetzt, i- Die Vernunft geht im theoretischen sowohl als prak-tischen Gebrauche auf nichts als absolut-thetischeSätze, = dem Satz: Ich = Ich. Im theoretischen Ge-brauche strebt sie, das Nicht-Ich zur höchsten Einheit

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zu erheben, also seine Existenz in einem thetischenSatze zu bestimmen, = dem Satze: Ich = Ich. Bei die-sem nämlich fragt es sich nicht: Ist das Ich gesetzt?sondern es ist gesetzt, weil es gesetzt ist. Also strebtdas Ich, das Nicht-Ich zu setzen, weil es gesetzt ist,d.h. es zur Unbedingtheit zu erheben. Diese materialeForm des Strebens der Vernunft bestimmt die formaleim syllogistischen Regressus; beide gehen auf einStreben nach thetischen Sätzen. Die theoretische Ver-nunft nämlich strebt in ihrem materialen Gebrauchenotwendig nach einem material-thetischen Satz, der-gleichen bloß der Satz Ich = Ich ist, und niemals einandrer, der vom Nicht-Ich etwas aussagt, sein kann,weswegen auch jenes Streben auf Widersprüche füh-ren muß; in ihrem formalen Gebrauche aber strebt sienach formal-thetischen Sätzen, die eine ganze Reihevon Episyllogismen begründen. - Was der theoreti-schen Vernunft unmöglich war, indem sie durch einNicht-Ich beschränkt war, das tut nun die praktische,sie erreicht den einzigen absolut- (d.h. formal- undmaterial-) thetischen Satz: Ich = Ich.

2. Die Form der Identität bestimmt schlechterdingskein Objekt als solches38. Daß aber Leibniz, und alledie Männer, die in seinem Geiste dachten, das Prinzipder Identität als Prinzip der objektiven Realität ansa-hen, ist bei weitem so unbegreiflich nicht, als es vieleseinwollende Kenner der Philosophie zu finden

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schienen, von denen man es schon gewohnt ist, daßsie nichts begreiflicher finden, als was ihr Meistersagt, und nichts unbegreiflicher, als was diejenigensagen, auf deren Wort sie nicht geschworen haben.Die Form der Identität ist für die kritische, d.h. dieje-nige Philosophie, die alle Realität ins Ich setzt, Prin-zip aller Realität des Ichs, eben deswegen aber keinPrinzip objektiver, d.h. nicht im Ich enthaltener Reali-tät39; dagegen dem Dogmatismus eben dieselbeForm gerade umgekehrt - Prinzip der objektiven,aber nicht der subjektiven Realität sein muß. Durchdie Form der Identität bestimmt Leibniz das Ding ansich überhaupt) ohne Bezug auf ein Entgegengesetz-tes (das Ich), Kant hingegen die Realität des Ichs,ohne Bezug auf ein Entgegengesetztes, d.h. einNicht-Ich. Daß aber durch die Form der Identität zwardas Ding an sich überhaupt, die objektive Realitätdesselben, nicht aber die subjektive, d.h. die Erkennt-nis des Dings an sich (das Herausgehen aus der blo-ßen Sphäre des Dings an sich überhaupt), bestimmtsei, erklärte Leibniz so stark und so auffallend) alsKant umgekehrt erklärte, daß durch die Form derIdentität zwar die subjektive, d.h. die bloß im Ich ge-setzte Realität, nicht aber die objektive, nur durch einHerausgehen aus der Sphäre des Ichs bestimmbareRealität, bestimmt sei. Für den Dogmatismus müssenthetische Sätze nur durchs Nicht-Ich, antithetische

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aber und synthetische nur durchs Ich, für den Kritizis-mus umgekehrt thetische nur durchs Ich, antithetischeund synthetische nur durchs Nicht-Ich möglich wer-den. Leibniz bestimmt die absolute Sphäre durchs ab-solute Nicht-Ich, hebt aber dadurch nicht alle Formsynthetischer Sätze auf, sondern braucht sie, um ausseiner absoluten Sphäre herauszukommen, so gut alssie Kant braucht. Beide haben, um aus dem Gebietdes Unbedingten in das des Bedingten zu kommen,dieselbe Brücke nötig. Um aus der Sphäre des Dingsan sich, des schlechthin Gesetzten, in die Sphäre desbestimmten (vorstellbaren) Dings zu kommen,brauchte Leibniz den Satz des zureichenden Grundes;eben diesen - (d.h. eine Urform der Bedingtheit über-haupt) - braucht Kant, um aus der Sphäre des Ichsheraus in die Sphäre des Nicht-Ichs zu treten. Leibnizhat also den Satz der Identität so gut verstanden alsKant, und ihn für sein System so gut als dieser für dasseinige zu brauchen gewußt: das, worin beide uneinigsind, ist nicht der Gebrauch desselben, sondern seinehöhere Bestimmung durchs Absolute im System un-sers Wissens.40

3. Für das absolute Ich gibt es keine Möglichkeit,Wirklichkeit und Notwendigkeit; denn alles, was dasabsolute Ich setzt, ist durch die bloße Form des rei-nen Seins bestimmt. Für das endliche Ich aber gibt esim theoretischen und praktischen Gebrauche

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Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit. Undda die höchste Synthesis der theoretischen und prakti-schen Philosophie Vereinigung der Möglichkeit mitder Wirklichkeit - Notwendigkeit ist, so kann auchdiese Vereinigung als eigentlicher Gegenstand (wenn-gleich nicht als letztes Ziel) alles Strebens aufgestelltwerden. Für das unendliche Ich nämlich würde, wennes überhaupt Möglichkeit und Wirklichkeit für das-selbe gäbe, alle Möglichkeit Wirklichkeit, und alleWirklichkeit Möglichkeit sein. Für das endliche Ichaber gibt es Möglichkeit und Wirklichkeit, mithinmuß sein Streben in bezug auf dieselbe so bestimmtwerden, wie das Sein des unendlichen Ichs bestimmtwäre, wenn es mit Möglichkeit und Wirklichkeit zutun hätte. Also soll das endliche Ich streben, alles,was in ihm möglich ist, wirklich, und was wirklichist, möglich zu machen. Nur für das endliche Ich gibtes ein Sollen, d.h. praktische Möglichkeit, Wirklich-keit und Notwendigkeit, weil nämlich das Handelndes endlichen Ichs nicht durch bloße Thesis (Gesetzdes absoluten Seins), sondern durch Antithesis (Na-turgesetz der Endlichkeit) und Synthesis (moralischesGebot) bedingt ist. Also ist praktische MöglichkeitAngemessenheit der Handlung zur praktischen Syn-thesis überhaupt, praktische Wirklichkeit Angemes-senheit der Handlung zur bestimmten moralischenSynthesis, praktische Notwendigkeit endlich - (die

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höchste Stufe, die ein endliches Wesen erreichenkann) - Angemessenheit zu aller Synthesis (in einemSystem des Handelns, in welchem alles, was prak-tisch-möglich ist, wirklich, alles, was wirklich ist, zu-gleich auch möglich sein muß41). Dagegen beim ab-soluten Ich gar kein Sollen stattfindet, weil, was demendlichen Ich praktisches Gebot ist, jenem konstituti-ves Gesetz sein muß, durch welches weder Möglich-keit, noch Wirklichkeit, noch Notwendigkeit, sondernabsolutes Sein, nicht imperativ, sondern kategorisch,ausgesagt wird.

Jener Begriff des Sollens aber und der praktischenMöglichkeit setzt einen ändern Begriff voraus, der zuden schwersten Problemen der ganzen Philosophieden Stoff hergegeben hat. Diese müssen hier wenig-stens noch kurz berührt werden.

Gibt es nämlich für das endliche Ich eine prakti-scheMöglichkeit, d.h. ein Sollen, so ist dies schlech-terdings nicht ohne den Begriff der Freiheit des empi-rischen Ichs denkbar. Schon oben (§ 8) wurde demabsoluten Ich absolute Freiheit beigelegt, d.h. Frei-heit, die bloß auf sein Sein selbst gegründet ist, dieihm nur insofern zukommt, als es Ich schlechthin ist,das alles Nicht-Ich ursprünglich ausschließt. Dieseabsolute Freiheit des Ichs ist nur durch sich selbst be-greiflich. Denn ein absolutes Ich, das alles Nicht-Ichausschließt, hat insofern absolute Freiheit, die so bald

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aufhört unbegreiflich zu sein, als das Ich aus derSphäre aller Objekte, also auch aus der Sphäre allerobjektiven Kausalität hinweggenommen ist. Aber dasIch in die Sphäre der Objektivität versetzen, und ihmdoch noch Kausalität durch Freiheit zuschreiben wol-len - dies scheint ein gewagtes Unternehmen zu sein.

Die Rede ist also hier nicht von der absoluten Frei-heit des absoluten Ichs (§ 8), denn diese realisiert sichschlechthin selbst, weil sie dieselbe Kausalität desIchs ist, mittelst welcher es sich schlechthin als Ichsetzt. Das Ich ist aber nur insofern Ich, als es durchsich selbst, d.h. durch absolute Kausalität gesetzt ist.Also setzt das Ich, indem es sich selbst setzt, zugleichseine absolute, unbedingte Kausalität. Hingegen kannsich Freiheit des empirischen Ichs unmöglich selbstrealisieren, denn das empirische Ich, als solches, exi-stiert nicht durch sich selbst, durch eigne freie Kausa-lität. Auch könnte diese Freiheit des empirischen Ichsnicht, wie die des absoluten Ichs, absolut sein, denndurch diese wird schlechthin und zwar bloße Realitätdes Ichs gesetzt, durch die Kausalität jener aber sollerst die absolute Realität des Ichs hervorgebrachtwerden. Jene ist durch sich selbst, und abso-lut-unendlich, diese empirisch-unendlich, weil, eineabsolute Realität hervorzubringen, eine empi-risch-unendliche Aufgabe ist. Jene ist schlechthin im-manent, denn sie ist nur insofern, als das Ich reines

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Ich, und nicht genötigt ist aus sich selbst herauszuge-hen, diese ist nur als transzendentale Freiheit be-stimmbar, d.h. als Freiheit, die nur in bezug auf Ob-jekte, obgleich nicht durch sie, wirklich ist.

Das Problem der transzendentalen Freiheit hat vonjeher das traurige Los gehabt, immer mißverstandenund immer wieder aufgeworfen zu werden. Ja, selbstnachdem die Kritik der reinen Vernunft so großesLicht darüber verbreitet hat, scheint doch bis jetztnoch der eigentliche Streitpunkt nicht scharf genugbestimmt zu sein. Der eigentliche Streit betraf niemalsdie Möglichkeit absoluter Freiheit; denn ein Absolu-tes schließt schon durch seinen Begriff jede Bestim-mung durch fremde Kausalität aus; die absolute Frei-heit ist nichts anders, als die absolute Bestimmungdes Unbedingten durch die bloßen (Natur-) Gesetzeseines Seins, Unabhängigkeit desselben von allennicht durch sein Wesen selbst bestimmbaren Geset-zen, von allen Gesetzen, die etwas in ihm setzen wür-den, was nicht schon durch sein bloßes Sein, durchsein Gesetztsein überhaupt, gesetzt wäre (Moralgeset-zen). Die Philosophie mußte also entweder das Abso-lute überhaupt leugnen, oder, wenn sie dieses einge-räumt hatte, ihm auch absolute Freiheit beilegen. Dereigentliche Streit konnte also nie absolute, sondernnur transzendentale Freiheit, d.h. die Freiheit einesdurch Objekte bedingten empirischen Ichs betreffen.

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Das Unbegreifliche ist nicht, wie ein absolutes, son-dern wie ein empirisches Ich Freiheit haben, solle,nicht wie ein intellektuales Ich42 intellektual, d.h. ab-solut-frei sein könne, sondern wie es möglich sei, daßein empirisches Ich zugleich intellektual sei, d.h.Kausalität durch Freiheit habe.

Das empirische Ich existiert nur mit und durch Ob-jekte. Aber Objekte allein würden niemals ein Ichhervorbringen. Daß das empirische Ich empirisch ist,muß es den Objekten, daß es überhaupt Ich ist, nureiner hohem Kausalität verdanken. In einem System,das die Realität der Dinge an sich behauptet, ist selbstdas empirische Ich unbegreiflich; denn da durch dasSetzen eines absoluten, allem Ich vorhergehendenNicht-Ichs alles absolute Ich aufgehoben ist, so be-greift man nicht, wie durch dieselben Objekte nun einempirisches Ich hervorgebracht werden soll. Nochviel weniger aber kann von transzendentaler Freiheiteines empirischen Ichs in einem solchen Systeme dieRede sein. Wenn aber Ich als das Absolute, allesNicht-Ich schlechthin ausschließende, gesetzt ist, sokommt ihm nicht nur ursprünglich eine absolute Kau-salität zu, sondern es wird auch begreiflich, wie einempirisches Ich, und in diesem transzendentale Frei-heit wirklich sei.

Daß nämlich das empirische Ich Ich ist, verdanktes derselben absoluten Kausalität, durch welche das

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absolute Ich Ich ist; den Objekten aber verdankt esnichts als seine Schranken und die Endlichkeit seinerKausalität. Also ist die Kausalität des empirischenIchs von der des absoluten schlechterdings nicht demPrinzip (der Qualität), sondern nur der Quantitätnach verschieden. Daß sie Kausalität durch Freiheitist, verdankt sie ihrer Identität mit der absoluten, daßsie transzendentale (empirische43) Freiheit ist, nurihrer Endlichkeit; sie ist also im Prinzip, von dem sieausgeht, absolute Freiheit, und wird nur erst, wennsie auf ihre Schranken stößt, transzendental, d.h.Freiheit eines empirischen Ichs.

Die Freiheit des empirischen Ichs ist also nur durchihre Identität mit der absoluten begreiflich, und kanndemnach durch keine objektiven Beweise erreichtwerden, denn sie kommt dem Ich zwar in bezug aufObjekte, aber doch nur insofern es in der absolutenKausalität des absoluten Ichs befaßt ist, zu. Aberebensowenig realisiert sie sich selbst, denn als trans-zendentale Freiheit ist sie nur im empirischen Ichwirklich, nichts Empirisches aber realisiert sichselbst. Da sie aber nur durch die absolute Kausalitätmöglich ist, so ist sie im empirischen Ich nur durchirgend ein Faktum realisierbar, durch welches sie alsidentisch mit der absoluten gesetzt wird. Allein dasempirische Ich ist gerade nur durch Einschränkungdes Absoluten, d.h. durch Aufhebung desselben als

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eines Absoluten wirklich. Insofern also das empiri-sche Ich bloß in bezug auf Objekte als Schranken desabsoluten betrachtet wird (theoretische Philosophie),kann seine Kausalität schlechterdings nicht als iden-tisch mit der absoluten gedacht werden; soll dies ge-schehen, so muß die Kausalität des empirischen Ichsin bezug (nicht auf Objekte, sondern) auf Negationaller Objekte gedacht werden. Denn Negation der Ob-jekte ist gerade dasjenige, worin beide, absolute undtranszendentale Freiheit, zusammenstimmen können.Denn empirische Freiheit kann zwar nur auf empiri-sche (empirisch-hervorzubringende), nicht auf abso-lute Negation der Objekte gehen, wie die Kausalitätdes absoluten Ichs, aber doch treffen beide in der Ne-gation zusammen, und wenn sich eine solche Kausali-tät des empirischen Ichs aufzeigen läßt, so ist auch er-wiesen, daß sie von der absoluten Kausalität nicht derArt, nicht dem Prinzip, sondern nur der Quantitätnach (durch ihre Schranken) verschieden ist. AbsoluteKausalität kann im empirischen Ich nicht kategorischgesetzt werden, denn sonst hörte es auf empirisch zusein, also kann sie nur imperativ in ihm gesetzt seindurch ein Gesetz, das Negation aller Objekte, d.h. ab-solute Freiheit fordert; denn absolute Kausalität kannnur von einer solchen Kausalität gefordert werden,die nicht selbst absolute Freiheit ist, aber doch vonder absoluten nicht der Qualität, sondern nur der

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Quantität nach verschieden ist.Transzendentale Freiheit ist also nicht bloß durch

die Form des moralischen Gesetzes, sondern auchdurch dieMaterie desselben realisiert. Denn das mo-ralische Gesetz, das nur im endlichen Ich möglich ist,weil nur von diesem Identität mit dem Unendlichengefordert werden kann, geht zwar nicht auf absoluteNegation aller Objekte (konstitutiv), aber doch impe-rativ auf bedingte, d.h. empirisch- (progressiv-) her-vorzubringende Negation derselben, also auf absoluteKausalität des Ichs, zwar nicht als auf etwas katego-risch Gesetztes, aber doch als auf etwas Hervorzu-bringendes. Solche Forderungen aber können nur aneine Kausalität gemacht werden, die von der absolu-ten bloß durch Schranken verschieden ist, weil siedas, was diese schlechthin setzt, in sich selbst hervor-bringen, d.h. durch Aufhebung ihrer Schranken set-zen, soll44.

Nun ist zwar eine transzendentale Kausalität desempirischen Ichs wohl begreiflich, wenn sie die un-endliche selbst, nur unter den Bedingungen der End-lichkeit gedacht, ist; allein, da das empirische Ichselbst nur erscheinende Realität hat, und unter dem-selben Gesetze der Bedingtheit steht, unter welchemalle Erscheinungen stehen, so tritt die neue Frage ein:wie die transzendentale (durch absolute Kausalität be-stimmte) Kausalität des empirischen Ichs mit der

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Naturkausalität desselben Ichs übereinstimmenkönne?

In einem System, das die Realität der Dinge an sichbehauptet, kann diese Frage schlechterdings nicht ge-löst, ja nicht einmal aufgeworfen werden.

Denn das System, das vor allem Ich ein absolutesNicht-Ich setzt, hebt eben dadurch das absolute Ichauf45, weiß also nicht einmal von einer absolutenFreiheit des Ichs, geschweige denn von einer trans-zendentalen. Wenn aber ein solches System inkonse-quent genug ist, einerseits Dinge an sich, andrerseitseine transzendentale Freiheit des Ichs zu behaupten,so wird es niemals, selbst nicht durch eine prästabi-lierte Harmonie, die Zusammenstimmung der Natur-kausalität mit der Kausalität durch Freiheit begreiflichmachen; denn auch eine prästabilierte Harmonie kannnicht zwei schlechthin entgegengesetzte Absoluta ver-einigen, was doch der Fall sein müßte, da einerseitsein absolutes Nicht-Ich, andrerseits ein empirischesIch angenommen wird, das ohne ein Absolutes unbe-greiflich ist.

Wenn aber die Objekte selbst nur durchs absoluteIch (als den Inbegriff aller Realität) Realität erhalten,und daher nur in und mit dem empirischen Ich existie-ren, so ist jede Kausalität des empirischen Ichs (des-sen Kausalität überhaupt nur durch die Kausalität desUnendlichen möglich, und von dieser nicht der

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Qualität, sondern nur der Quantität nach verschiedenist) zugleich eine Kausalität der Objekte, die ihreRealität gleichfalls nur dem Inbegriff aller Realität,dem Ich, verdanken. Dadurch erhalten wir ein Prinzipprästabilierter Harmonie, das aber bloß immanent,und nur im absoluten Ich bestimmt ist. Weil nämlichnur in der Kausalität des absoluten Ichs eine Kausali-tät des empirischen möglich ist, und die Objektegleichfalls ihre Realität nur durch die absolute Reali-tät des Ichs erhalten, so ist das absolute Ich das ge-meinschaftliche Zentrum, in welchem das Prinzipihrer Harmonie liegt. Denn die Kausalität der Objekteharmoniert mit der Kausalität des empirischen Ichsnur deswegen, weil sie nur in und mit dem empiri-schen Ich existieren; daß sie aber nur in und mit demempirischen Ich existieren, kommt bloß daher, daßbeide, die Objekte und das empirische Ich, ihre Reali-tät nur der unendlichen Realität des absoluten Ichsverdanken.

Durch eben diese prästabilierte Harmonie läßt sichnun auch die notwendige Harmonie zwischen Sittlich-keit und Glückseligkeit begreifen. Denn da reineGlückseligkeit, von der allein die Rede sein kann, aufIdentifizierung des Nicht-Ichs und des Ichs geht, soist, da Objekte überhaupt nur als Modifikationen derabsoluten Realität des Ichs wirklich sind, jede Erwei-terung der Realität des Ichs (moralischer Fortschritt)

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Erweiterung jener Schranken und Annäherung dersel-ben zur Identität mit der absoluten Realität, d.h. zuihrer gänzlichen Aufhebung. Wenn es also fürs abso-lute Ich kein Sollen, keine praktische Möglichkeitgibt, so würde, wenn das Endliche jemals seine ganzeAufgabe lösen könnte, das Freiheitsgesetz (des Sol-lens) die Form eines Naturgesetzes (des Seins) erhal-ten; und umgekehrt, da das Gesetz seines Seins nurdurch Freiheit konstitutiv geworden wäre, dieses Ge-setz selbst zugleich ein Gesetz der Freiheit sein46.Also ist das letzte, worauf alle Philosophie hinführt,kein objektives, sondern ein immanentes Prinzip prä-stabilierter Harmonie, in welchem Freiheit und Naturidentisch sind, und dieses Prinzip ist nichts anderes,als das absolute Ich, von dem alle Philosophie aus-ging.

Gibt es für das unendliche Ich keine Möglichkeit,Notwendigkeit und Zufälligkeit, so kennt es auchkeine Zweckverknüpfung in der Welt. Gäbe es für dasunendliche Ich Mechanism oder Technik der Natur, sowäre ihm Technik Mechanism und Mechanism Tech-nik, d.h. beide fielen in seinem absoluten Sein zusam-men. Demnach muß selbst die theoretische Nachfor-schung das Teleologische als mechanisch, das Mecha-nische als teleologisch, und beides als in Einem Prin-zip der Einheit befaßt betrachten, das sie zwar nir-gends (als Objekt) zu realisieren imstande, doch aber

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vorauszusetzen genötigt ist, um die Vereinigung derbeiden widerstreitenden Prinzipien (des mechanischenund teleologischen), die in den Objekten selbst un-möglich ist, in einem über alle Objekte erhabenenPrinzip begreifen zu können. So, wie die praktischeVernunft genötigt ist, den Widerstreit zwischen Frei-heits- und Naturgesetzen in einem höheren Prinzip zuvereinigen, in welchem Freiheit selbst Natur undNatur Freiheit ist47, muß die theoretische Vernunft inihrem ideologischen Gebrauche auf ein höheres Prin-zip kommen, in welchem Finalität und Mechanismzusammenfallen48 das aber eben deswegen schlech-terdings nicht als Objekt bestimmbar sein kann.

Was für das absolute Ich absolute Zusammenstim-mung ist, ist für das endliche hervorgebrachte, unddas Prinzip der Einheit, das für jenes konstitutivesPrinzip immanenter Einheit ist, ist für dieses nur re-gulatives Prinzip objektiver Einheit, die zur imma-nenten werden soll. Also soll auch das endliche Ichstreben, in der Welt das hervorzubringen, was imUnendlichen Wirklich ist, und der höchste Beruf desMenschen ist - Einheit der Zwecke in der Welt zumMechanism, Mechanism aber zur Einheit der Zweckezu machen.

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Fußnoten

1 Nach dem Wiederabdruck derselben im ersten Bandder philosophischen Schriften (Landshut 1809). A. d.O.

2 Ich finde, daß Beck in der Vorrede zum zweiten Teilseines Kommentars über Kant einen ähnlichen Ge-danken äußert. Ich kann aber noch nicht beurteilen,wie nahe oder entfernt die Gedanken dieses, in denGeist seines Schriftstellers so sichtbar eingedrunge-nen, Kommentators den meinigen verwandt seien.

3 In der Originalauflage folgen hier einige Bemerkun-gen gegen eine in Jacobs philos. Annalen (Jan. 1794,4. Stück) erschienene Rezension der Schrift »Über dieMöglichkeit usw.«, sie enthalten einen Nachweis derInsinuationen und Verdrehungen, die sich der Rezen-sent erlaubt hatte, gegen die der Verfasser bereits einevorläufige Erklärung ins Intelligenzbl. der A. Lit. Z.1795, Nr. 31, hatte einrücken lassen. A. d. O.

4 Die Vorrede zum ersten Band der philosophischenSchriften charakterisiert diese Schrift vom Ich mit denWorten: »Sie zeigt den Idealismus in seiner frische-sten Erscheinung, und vielleicht in einem Sinn, den er

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späterhin verlor. Wenigstens ist das Ich noch überallals absolutes, oder als Identität des Subjektiven undObjektiven schlechthin, nicht als subjektives genom-men.« A. d. O.

5 Man verstatte diesen hier in der allgemeinsten Be-deutung gebrauchten Ausdruck, solange das Etwas,das wir suchen, nur noch problematisch bestimmt ist.(Anmerkung der ersten Auflage.)

6 Ich bin! ist das Einige, wodurch es sich in unbe-dingter Selbstmacht ankündigt. (Zus. der ersten Aufl.)

7 Vielleicht kann ich die Sache noch deutlicher ma-chen, wenn ich das oben gebrauchte Beispiel wiederaufnehme. - Gott kann für mich schlechterdings nichtRealgrund meines Wissens sein, insofern er als Ob-jekt bestimmt ist, weil er dadurch selbst in die Sphäredes bedingtenWissens fällt. Würde ich hingegenGott gar nicht als Objekt, sondern als = Ich bestim-men, so wäre er allerdings Realgrund meines Wis-sens. Aber eine solche Bestimmung Gottes ist in dertheoretischen Philosophie unmöglich. Ist aber selbstin der theoretischen Philosophie, die Gott als Objektbestimmt, doch zugleich eine Bestimmung seines We-sens = Ich notwendig, so muß ich allerdings anneh-men, daß Gott für sich absoluter Realgrund seines

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Wissens sei, aber nicht für mich, denn für mich ist erin der theoretischen Philosophie nicht bloß als Ich,sondern auch als Objekt bestimmt, da er hingegen,wenn er = Ich ist, für sich selbst gar kein Objekt, son-dern nur Ich ist. Beiläufig zu sagen, sieht man hier-aus, daß man den ontologischen Beweis fürs DaseinGottes sehr fälschlich als bloß künstliche Täuschungdarstellt: vielmehr ist die Täuschung ganz natürlich.Denn was zu sich selbst: Ich! sagen kann, sagt auch:Ich bin! Nur schade, daß Gott in der theoretischenPhilosophie nicht als identisch mit meinem Ich, son-dern in bezug auf dieses als Objekt bestimmt, und einontologischer Beweis vom Dasein eines Objekts einwidersprechender Begriff ist.

8 Das Wort empirisch wird gewöhnlich in einem garzu eingeschränkten Sinne genommen. Empirisch istalles, was dem reinen Ich entgegengesetzt ist, alsoüberhaupt in bezug auf ein Nicht-Ich steht, selbst dasursprüngliche, im Ich selbst begründete. Entgegenset-zen eines Nicht-Ichs, durch welche Handlung diesesüberall erst möglich wird. Rein ist, was ohne allenBezug auf Objekte gilt. Erfahrungsmäßig, was nurdurch Objekte möglich wird. - A priori, was nur inbezug auf Objekte (nicht durch sie) möglich ist. -Empirisch das, wodurch Objekte möglich sind.

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9 Der Charakter der Endlichkeit ist, nichts setzen zukönnen, ohne zugleich entgegenzusetzen. Diese Formder Entgegensetzung ist ursprünglich bestimmt durchdie Entgegensetzung des Nicht-Ichs. Es ist nämlichdem endlichen Ich notwendig, indem es sich als sichselbst absolut gleich setzt, zugleich alles Nicht-Ichsich entgegenzusetzen: was nicht möglich ist, ohnedas Nicht-Ich selbst zu setzen. Das unendliche Ichwürde alles Entgegengesetzte ausschließen, ohne essich entgegenzusetzen: es würde überhaupt alles sichschlechthin gleich setzen, also, wo es setzt, nichts alsseine Realität setzen, es würde also in ihm auch keinStreben vorhanden sein, seine Identität zu retten, alsokeine Synthesis des Mannigfaltigen, keine Einheit desBewußtseins usw. Das empirische Ich ist daher nurdurch die ursprüngliche Entgegensetzung bestimmt,also außer dieser schlechterdings nichts. Es verdanktalso auch seine Realität, als empirisches Ich, nichtsich selbst, sondern einzig und allein seiner Ein-schränkung durch ein Nicht-Ich. Es kündigt sich nichtdurch das bloße: Ich bin, sondern durch das: Ichdenke, an, d.h. es ist nicht durch sein bloßes Sein,sondern dadurch, daß es Etwas, daß es Objekte denkt.Um nämlich die ursprüngliche Identität des Ichs zuretten, muß die Vorstellung des identischen Ichs alleanderen Vorstellungen begleiten, um so die Vielheitderselben in bezug auf Einheit denken zu können. Das

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empirische Ich existiert also nur durch und in bezugauf die Einheit der Vorstellungen, hat also außer die-ser schlechterdings keine Realität in sich selbst, son-dern verschwindet, sowie man Objekte überhaupt unddie Einheit seiner Synthesis aufhebt. Seine Realitätals empirisches Ich, ist ihm also durch etwas außerihm Gesetztes, durch Objekte bestimmt, sein Seinwird ihm nicht schlechthin, sondern durch objektiveFormen - als ein Dasein - bestimmt. Jedoch ist esselbst nur in dem unendlichen Ich, und durch dassel-be; denn bloße Objekte könnten niemals die Vorstel-lung vom Ich, als einem Prinzip ihrer Einheit, hervor-bringen.

10 Siehe einige Stellen bei Jacobi über SpinozasLehre S. 179 ff. Noch gehören zu diesen mehrere an-dere, vorzüglich Eth. L. II, Prop. XL. Schol. und S.467 seiner Briefe. Hier sagt er: »Cum multa sint, quaenequaquam in imaginatione, sed solo intellectu asse-qui possumus, qualia sunt Substantia, Aeternitas etal. si quis talia ejusmodi notionibus, quae duntaxataxilia imaginationis sunt, explicare conatur, nihiloplus agit, quam si det operam, ut sua imaginationeinsaniat«. Man muß, um diese Stelle zu verstehen,wissen, daß er die abstrahierten Begriffe für bloßeProdukte der Einbildungskraft hielt. Die transzenden-talen Ausdrücke (so nennt er die Ausdrücke Ens, Res

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usw.), sagt er, entstehen daher, daß der Körper nureiner gewissen bestimmten Quantität von Eindrückenfähig ist, und also, wenn er mit allzu vielen überhäuftwird, die Seele sie nicht anders als verworren, undohne alle Unterscheidung - alle zusammen unterEinem Attribut - imaginieren kann. Ebenso erklärt erdie Allgemeinbegriffe, z.B. Mensch, Tier usw. - Manvergleiche die angegebene Stelle der Ethik, und insbe-sondere auch seine Abh. de intellectus Emendationein den Opp. posth. - Die niedrigste Stufe der Er-kenntnis ist ihm bloße Imagination der einzelnenDinge, die höchste - reine intelektuale Anschauungder unendlichen Attribute der absoluten Substanz,und die dadurch entstehende adäquate Erkenntnis des»Wesens der Dinge. Dies ist der höchste Punkt seinesSystems. Bloße verworrene Imagination ist ihm Quel-le alles Irrtums, intellektuale Anschauung GottesQuelle aller Wahrheit und Vollkommenheit im ausge-dehntesten Sinn des Worts. - »Quid, sagt er im zwei-ten Buch seiner Ethik Prop. XLIII. Schol., quid ideavera clarius et certius dari potest, quod norma sit veri-tatis? Sane, sicut lux se ipsam et tenebras manifestat,ita veritas norma sui et falsi est«. - Was geht über diestille Wonne dieser Worte, das Hen kai pan unseresbesseren Lebens?

11 Insofern das Nicht-Ich dem Ich ursprünglich

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entgegengesetzt wird, setzt es das Ich notwendig vor-aus. Aber die Entgegensetzung selbst geschiehtschlechthin, so gut als das Setzen des Ichs: eben des-wegen aber ist das der Realität schlechthin Entge-gengesetzte notwendig absolute Negation. Daß dasIch sich ein Nicht-Ich entgegengesetzt, dafür läßt sichso wenig weiter ein Grund angeben, als davon, daß essich selbst schlechthin setzt, ja eins schließt unmittel-bar das andere ein. Das Setzen des Ich ist absolutesEntgegensetzen, d.h. Negieren dessen, was Nicht =Ich ist. Aber ursprünglich kann überhaupt nichts,noch viel weniger aber etwas schlechthin entge-gengesetzt werden, wie doch geschieht, ohne daßzuvor etwas schlechthin gesetzt ist. - Der zweiteGrundsatz der Wissenschaft, der das Nicht-Ich demIch schlechthin entgegensetzt, erhält in sofern seinenInhalt (das Entgegengesetzte) schlechthin, seineForm aber (das Entgegensetzen selbst) ist nur durchden ersten Grundsatz bestimmbar. - Der zweiteGrundsatz soll aber nicht aus dem ersten analytischhergeleitet werden, denn aus dem absoluten Ich kannkein Nicht-Ich hervorgehen, vielmehr findet ein Pro-gressus von Thesis zu Antithesis, und von da zu Syn-thesis statt. Es wäre freilich nicht zu begreifen, wiedie gesamte Wissenschaft auf einen Grundsatz ge-gründet werden könnte, wenn man annähme, daß siein demselben gleichsam eingeschachtelt wäre; allein

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dies hat auch, soviel ich weiß, kein Philosoph be-hauptet.

12 kein docheion (Zusatz der ersten Auflage).

13 Man kann sich die Sache versinnlichen. - Das ab-solute Ich beschreibt eine unendliche Sphäre, die alleRealität befaßt. Dieser wird nun erst eine andere,gleichfalls unendliche Sphäre entgegengesetzt (nichtnur ausgeschlossen), die alle Negation befaßt (abso-lutes Nicht-Ich). Diese Sphäre ist also schlechthin =0; jedoch erst dann, wann die absolute Sphäre derRealität schon beschrieben ist, und nur im Gegensatzgegen diese möglich. Denn absolute Negation bringtsich nicht selbst hervor, sondern ist nur im Gegensatzgegen absolute Realität bestimmbar. Eine unendlicheSphäre außer einer, vorher gesetzten, gleichfalls un-endlichen, ist schon ein Widerspruch, und ihr Ge-setztsein außer dieser schließt es schon in sich, daßsie absolute Negation sein muß. Denn wäre sie diesnicht, so wäre sie nicht außer jener unendlichen Sphä-re, sondern fiele mit ihr zusammen. Die absoluteSphäre des Nicht-Ichs also, wenn sie bloß schlecht-hin gesetzt würde, müßte das Ich ganz aufheben, denneine unendliche Sphäre duldet keine andere außer ihr.Aber eben deswegen müßte umgekehrt auch die Sphä-re des Ichs die des Nicht-Ichs aufheben, wenn jene als

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unendlich gesetzt ist. Und doch sollen beide gesetztsein. Mithin bleibt zunächst nichts übrig, als ein Stre-ben des Ichs, jene unendliche Sphäre des Nicht-Ichsin seine Sphäre zu ziehen, denn sie soll gesetzt wer-den, und Setzen überhaupt ist nur im Ich möglich. Al-lein dem widerstrebt die absolute Negation dieserSphäre, mithin ist sie nur mit Negation jener setzbar.Also wird die unendliche Sphäre der Negation, wennsie in die unendliche Sphäre der Realität gesetzt wer-den soll, eine endliche Sphäre der Realität, d.h. sie istnotwendig nur als Realität, mit Negation verbunden,in derselben setzbar. Dadurch entsteht also zugleichEinschränkung des Ichs; die Sphäre des Ichs wirdzwar nicht ganz aufgehoben, aber es ist notwendig,daß Negation, d.h. Schranke in sie gesetzt werde. Nunkann die endliche Sphäre streben, selbst die unendli-che in sich zurückzuziehen und sich zum Mittelpunktder gesamten Sphäre zu machen, von dem aus dieStrahlen der Unendlichkeit so gut als die Sehrankender Endlichkeit ausgehen, was sich widerspricht. Istnur der Widerstreit zwischen Ich und Nicht-Ich in derhöchst möglichen Synthesis (Ich = Nicht-Ich) ausge-drückt, so bleibt, um ihn zu lösen, nichts mehr übrig,als gänzliche Zerstörung der endlichen Sphäre, d.h.Erweiterung derselben bis zum Zusammenfallen mitder unendlichen (praktische Vernunft). (Anmerkungder ersten Auflage.)

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14 Auf meinem Ich ruht alles Dasein: mein Ich istalles, in ihm und zu ihm ist alles, was ist: ich nehmemein Ich hinweg und alles, was ist, ist nichts. (Zusatzder ersten Auflage.)

15 Eth. Lib. I, Prop. XXXI. - Prop. XXXII: Deusnon agit ex ratione boni, sed ex naturae suae perfec-tione. Qui illud statuunt, videntur aliquid extra Deumponere, puod a Deo non dependet, ad quod Deus tan-quarn ad exemplar in operando attendat, vel ad quodtanquam ad certum scopum collimat, quod profectonihil aliud est, quam Deum fato subjicere. - Prop.XXXIII: Dei potentia est ipsius essent a.

16 Da das Nicht-Ich Gegenstand eines durch Freiheitbestimmten Strebens des Ichs werden soll, so muß esvon der Form der Bedingtheit zur Form der Unbe-dingtheit gesteigert werden. Allein, da das Nicht-Ichals Nicht-Ich Gegenstand dieses Strebens sein soll, sokann dadurch nur sinnliche, d.h. imaginierbare Unbe-dingtheit, d.h. Erhebung des Nicht-Ichs selbst zueiner Form, die durch keine Form des Verstandes oderder Sinnlichkeit erreichbar ist, entstehen.Eine solche Vermittlung des Bedingten und Unbe-dingten ist nur durch die Einbildungskraft gedenkbar.Die Idee von Glückseligkeit entsteht also ursprüng-lich durch eine bloß theoretische Operation.

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Praktisch vorgestellt aber ist sie nichts als notwen-dige Zusammenstimmung des Nicht-Ichs mit dem Ich,und da diese Zusammenstimmung eine unendlicheAufgabe für das Ich ist, bleibt sie selbst in praktischerBedeutung eine Idee, die nur in unendlichem Fort-schritt realisiert wird. Aber in praktischer Bedeutungist sie auch ganz identisch mit dem letzten Endzweckdes Ichs, und insofern, da Moralität stufenweise An-näherung zum letzten Endzweck ist, kann sie freilichals das, nur durch Moralität realisierbare, mit Morali-tät immer in gleichem Verhältnis stehende, vorgestelltwerden. Und in dieser Bedeutung allein kann KantGlückseligkeit im Verhältnis mit Moralität gedachthaben. Man kann empirische Glückseligkeit als zufäl-lige Übereinstimmung der Objekte mit unserm Ich er-klären. Empirische Glückseligkeit kann also unmög-lich als im Zusammenhang mit Moralität gedacht wer-den. Denn diese geht nicht auf zufällige, sondern aufnotwendige Übereinstimmung des Nichts-Ichs mitdem Ich. Reine Glückseligkeit besteht also gerade inErhebung über die empirische Glückseligkeit, diereine schließt die empirische notwendig aus. Aber esist sehr begreiflich, warum man bei Kant, so oft vonGlückseligkeit die Rede war, immer empirischeGlückseligkeit verstand; aber zu verwundern ist, daß,soviel ich weiß, noch niemand die moralische Ver-derblichkeit eines solchen Systems gerügt hat, das

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empirische Glückseligkeit als mit Moralität, nichtdurch inneren Zusammenhang, sondern bloß durchäußere Kausalität verbunden vorstellt.

17 Wäre nicht der letzte Endzweck alles Strebens desIchs Identifizierung des Nicht-Ichs mit sich selbst, sowürde die zufällige, durch Natur bewirkte Überein-stimmung der Objekte mit unserem Ich gar keinenReiz für uns haben. Nur indem wir eine solche Über-einstimmung in bezug auf unsere ganze Tätigkeit (dievom untersten Grade an bis zum höchsten auf nichtsanderes denn Übereinstimmung des Nicht-Ichs mitdem Ich geht) denken, betrachten wir jene zufälligeÜbereinstimmung als Begünstigung (nicht als Beloh-nung), als ein freiwilliges Entgegenkommen derNatur, als eine unerwartete Unterstützung, die sie un-serer gesamten (nicht nur unserer moralischen) Tätig-keit angedeihen läßt.

18 Man kann also auch sagen, der letzte Endzweckdes Ichs sei, die Freiheitsgesetze zu Naturgesetzen,und die Naturgesetze zu Freiheitsgesetzen zu machen,im Ich Natur, in der Natur Ich hervorzubringen.

19 Dieses Gesetz läßt sich durch alle der Urform derIdentität untergeordneten Formen verfolgen. DerQuantität nach ausgedrückt heißt es: sei schlechthin

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Eines. Der Qualität nach: setze alle Realität in dich,d.h. alle Realität dir gleich. Der Relation nach: seivon aller Relation, d.i. von aller Bedingtheit, frei. -Der Modalität nach: setze dich außer aller Sphäre desDaseins, setze dich in die Sphäre des reinen absolutenSeins (unabhängig von aller Form der Zeit usw.).

20 Verfolgen wir dieses schematisierte Gesetz wieder-um durch die untergeordneten Formen, so erhält manfolgende Gesetze: der Quantität nach: werde schlecht-hin Eines. (Was erst Einheit wird, setzt Vielheit insich voraus, und wird es nur durch Erhebung dersel-ben zur Einheit; also ist jener Ausdruck: identisch mitdiesem: erhebe die Vielheit in dir zur Einheit, d.h.werde eine in dir selbst beschlossene Totalität). DerQualität nach: werde Realität schlechthin. (Was Rea-lität wird, wird es im Streit gegen Negation, also kannes auch so ausgedrückt werden: erhebe die Negationin dir zur Realität, d.h. gib dir eine Realität, die insUnendliche fort [in der Zeit] nie aufgehoben werdenkann). - Der Realität nach: werde absolut unbedingt,strebe nach absoluter Kausalität - abermals Aus-druck. eines ursprünglichen Widerstreits, also ebenso-viel als: mache die passive Kausalität in dir identischmit der aktiven (bringe Wechselwirkung hervor,mache, daß, was passive Kausalität in dir ist, zugleichaktive, und was aktive ist, passive werde). Der

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Modalität nach: strebe, dich in die Sphäre des absolu-ten Seins, unabhängig vom Zeitwechsel, zu setzen.Streben ist nur in der Zeit möglich, mithin ist einStreben, sich außer alles Zeitwechsels zu setzen, einStreben in aller Zeit. Also kann jenes Gesetz auch soausgedrückt werden: Werde ein notwendigesWesen,ein Wesen, das in aller Zeit beharrt.

21 Der Gang aller Synthesis ist der, daß sie, was imabsolut Gesetzten absolut gesetzt ist, im Entgegenge-setzten bedingt (mit Einschränkung) setzt. So ist dasNicht-Ich in seiner ursprünglichen Entgegensetzungabsolut, deswegen aber auch als schlechthin = 0 ge-setzt, denn ein unbedingtes Nicht-Ich ist ein Wider-spruch, d.h. schlechthin nichts. Nun erhält zwar dasNicht-Ich in der Synthesis Realität, verliert aber ebendadurch seine Unbedingtheit, d.h. es wird Realität mitNegation verbunden, bedingte (limitierte) Realität. Soist das Nicht-Ich ursprünglich außerhalb aller Zeitgesetzt, wie das Ich, dafür aber auch schlechthin = o;erhält es Realität, so verliert es dadurch sein Gesetzt-sein außer aller Zeit, und wird in bestimmte Zeit,durch eine neue Synthesis endlich in alle Zeit gesetzt,d.h. die absolute Ewigkeit des Ichs wird im Nicht-Ich, sofern es Realität durchs Ich erhält, empirischeEwigkeit.

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22 Eth. L. V., Prop. XXIII. Schol.: - aeternitas nectempore definiri, nec ullam ad tempus relationemhabere potest. At nihilominus sentimus experimur-que, nos aeternos esse. Nam mens non minus res illassentit, quas intelligendo concipit, quam quas in me-moria habet.Mentis enim oculi, quibus res videt ob-servatque, sunt ipsae demonstrationes. Quamvis igi-tur non recordemur, nos ante corpus extitisse, senti-mus tamen, mentem nostram, quatenus corporis es-sentiam sub aeternitatis specie involvit, aeternamesse, et hanc ejus existentiam tempore definiri s. perdurationem explicari non posse. Mens igitur nostraeatenus tantum dici potest durare, ejusque existentiacerto tempore definiri, quatenus actualem corporisexistentiam involvit, et eatenus tantum potentiamhabet, rerum existentiam tempore determinandi eas-que sub duratione concipiendi.Ebenso stark erklärt sich auch in seinen Briefen gegendiese Verwechslung der Ewigkeit und der Dauer,sowie überhaupt gegen alle Vermischung der reinenUrbegriffe des Seins mit den abgeleiteten Formen derempirischen Existenz. S. vorzüglich Opp. posth. p.467.

23 Das absolute Ich ist ohne allen Bezug auf Objekte,also nicht dadurch, daß es überhaupt denkt, sonderndadurch, daß es nur sich selbst denkt. Eben

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deswegen konnte Cartesius mit seinem Cogito, ergosum, nicht weit kommen. Denn er setzte dadurch alsBedingung des Ichs sein Denken überhaupt, d.h. erhatte sich nicht bis zum absoluten Ich erhoben.

24 Dadurch fällt der Satz des Bewußtseins als Prinzipder Philosophie von selbst. Denn es zeigt sich, daßdurch ihn weder Objekt noch Subjekt anders als bloßlogisch bestimmt sind, daß er also wenigstens, solan-ge er höchstes Prinzip sein soll, gar keine reale Be-deutung hat. Kein Philosoph hat auf diesen Mangel anRealität im Satz des Bewußtseins stärker hingedrun-gen, als SalomoMaimon.

25 In der theoretischen Philosophie soll Gott alsNicht-Ich realisiert werden, hier ist also jener Aus-druck an seiner Stelle. Dagegen er in der praktischenPhilosophie anders nicht denn nur polemisch gegendiejenigen, die Gott zum Objekt machen wollen, ge-braucht werden kann.

26 Auch das Streben des moralischen Ichs kann nichtals Streben nach Wirklichkeit vorgestellt werden, des-wegen, weil es strebt, alle Realität in sich zu setzen.Vielmehr strebt es, umgekehrt alle Wirklichkeit zumreinen Sein, und sich selbst, da es, durchs Nicht-Ichbedingt, in die Sphäre des Daseins herabfällt, wieder

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aus dieser zu erheben. Aber das reine Sein kann alsObjekt des Strebens eines moralischen Subjektes, d.h.eines bedingten Ichs, nur schematisch, d.h. als Daseinin aller Zeit, dargestellt werden. Darin liegt eben dieunendliche Aufgabe der praktischen Vernunft, absolu-tes Sein und empirisches Dasein in uns identisch zumachen. Weil empirisches Dasein in alle Ewigkeitnicht zu absolutem Sein erhoben, dieses aber niemalsim Gebiete der Wirklichkeit, als wirklich uns, darge-stellt werden kann, fordert die Vernunft unendlichesDasein für das empirische Ich; denn das absolute hatEwigkeit in sich selbst, und kann durch den Begriffvon Dauer, selbst unendlicher Dauer, niemals erreichtwerden.

27 Transzendenter und immanenter Idealismus fallenzusammen, denn immanenter Idealismus könntenichts als das Dasein der Objekte in den Vorstellun-gen leugnen, was der transzendente gleichfalls leug-nen muß. Denn eben, weil er Idealismus ist, und keineobjektive Welt zuläßt, müßte er auch die Gründe sei-ner Behauptung nur im Ich suchen, also im Grundeimmanenter Idealismus sein.

28 Durch diesen Realismus wird zugleich der Natur-forschung ihr eigentümliches Gebiet bezeichnet, daßsie nämlich schlechterdings nicht darauf gehen kann,

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»in das Innere der Objekte einzudringen«, d.h. dieErscheinungen als ihrer Realität nach unabhängigvom Ich bestimmbar anzunehmen, sondern die ge-samte Realität, die ihnen zukommt, bloß als Realitätüberhaupt, die keinen in den Objekten selbst gegrün-deten Bestand hat, sondern nur in Beziehung (aufsIch) denkbar ist, zu betrachten, also auch den Objek-ten keine von dieser geliehenen Realität unabhängigeRealität zuzuschreiben, und sie selbst als außerderselben vorhanden vorauszusetzen, da sie vielmehr,wenn man von jener übergetragenen Realität abstra-hiert, schlechterdings = o sind; weswegen auch ihreGesetze schlechterdings nur in bezug auf ihre erschei-nende Realität bestimmbar sind, und nicht vorausge-setzt werden kann, daß die Realität in der Erschei-nung noch durch die Kausalität irgend einer ändernnicht in der Erscheinung enthaltenen Realität, durchein noch außer der Erscheinung wirkliches Substratdes Objekts bestimmbar sei; vielmehr würde man,wenn man noch gleichsam hinter der erscheinenden(übergetragenen) Realität eine andere, dem Objekt ur-sprünglich zukommende suchen wollte, auf nichts alsNegation stoßen.

29 Anders kann ich mir wenigstens den Ausdrucknicht erklären: die Dinge an sich geben den Stoff zuden Vorstellungen. (Die Dinge an sich geben nichts

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als die Schranken der absoluten Realität in der Vor-stellung). - Man sehe statt alles ändern den 29. Para-graph der Theorie des Vorstellungsvermögens, wie-wohl dieser nach spätem Erklärungen des Verfasserseine philosophische - Exkursion sein soll!

30 Das Nicht-Ich ist nur in der absoluten Entgegen-setzung gegen das Ich bestimmbar, eben deswegenaber absolute Negation der Relation nach ist es in derursprünglichen Entgegensetzung als absolute Be-dingtheit bestimmt, denn es ist dem Absoluten entge-gengesetzt, also dieses bedingt, zugleich aberschlechthin entgegengesetzt, d.h. unbedingt. Was demAbsoluten schlechthin entgegengesetzt ist, ist alsonotwendig zugleich bedingt und unbedingt, d.h.schlechthin = o. Der Quantität nach ist es als abso-lute Vielheit bestimmt, absolute Vielheit aber ist einWiderspruch, denn Vielheit ist bedingt durch Einheit.Der Modalität nach ist es als Sein, das dem absolutenSein schlechthin entgegengesetzt ist, d.h. absolutesNichtsein, der Qualität nach als Qualität, die der ab-soluten Realität schlechthin entgegengesetzt ist, d.h.absolute Negation bestimmt. Soll also das absoluteNicht-Ich Realität erhalten, so ist dies nur dadurchmöglich, daß es dem Absoluten nicht schlechthin ent-gegen - d.h. in den absoluten Inbegriff aller Realitätselbst gesetzt wird. Nun ist der Gang aller Synthesis

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dieser, daß, was in der Thesis und Antithesisschlechthin gesetzt ist, in ihr mit Einschränkung, d.h.bedingt, gesetzt werde. Also wird die absolute Einheitdes Ichs in der Synthesis zu empirischer, d.h. nur inbezug auf Vielheit denkbarer Einheit (Kategorie derEinheit), die absolute Vielheit des Nicht-Ichs zur em-pirischen, nur in bezug auf Einheit denkbaren Vielheit(Kategorie der Vielheit), die absolute Realität desIchs zur bedingten, nur in Bezug auf einschränkendeNegation denkbaren Realität (Kategorie der Realität),die absolute Negation des Nicht-Ichs zur nur in bezugauf Realität denkbaren Negation (Kategorie der Nega-tion), die absolute Unbedingtheit des Ichs zur empiri-schen, nur in bezug auf Bedingtheit denkbaren Unbe-dingtheit (Kategorie der Substanz), das absolute Seindes Ichs zu einem nur in bezug auf Nichtsein be-stimmbaren Sein (Kategorie der Möglichkeit), das ab-solute Nichtsein des Nicht-Ichs zu einem nur in bezugauf Sein bestimmbaren Nichtsein (Kategorie des Da-seins).(Diese Anmerkung ist im zweiten Abdruck wegge-blieben, vielleicht nur aus Versehen, da sie in der Ori-ginalausgabe auch nicht im Texte, sondern im Ver-zeichnis der Verbesserungen und Zusätze stand. A. d.O.)

31 Der Ausdruck vieler Schwärmer: das Sinnliche sei

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im Übersinnlichen, das Natürliche im Übernatürli-chen, das Irdische im Himmlischen befaßt, leidet alsoeine sehr vernünftige Deutung. Überhaupt enthaltenihre Ausdrücke sehr häufig einen Schatz geahneterund gefühlterWahrheit. Sie sind, nach LeibnizensVergleichung, die güldnen Gefäße der Ägypter, dieder Philosoph zu heiligerem Gebrauche entwendenmuß.

32 Unter den Kategorien jeder einzelnen Form ist je-desmal die erste Ausdruck der Urform des Ichs, diezweite Ausdruck der Urform des Nicht-Ichs, die dritteendlich die Synthesis, in welcher die beiden erstenvereinigt werden, und nun erst Sinn und Bedeutung inbezug aufs Objekt erhalten. Beiläufig zu sagen be-zieht sich die Form der Qualität auf die der Modalität,die Form der Quantität auf die der Relation, also sinddie mathematischen Kategorien durch die dynami-schen, nicht umgekehrt, bestimmt

33 Man sollte das Wort logische, reine Möglichkeituntergehen lassen: der Ausdruck veranlaßt notwendigMißverständnis. Es gibt eigentlich nur reale, objekti-ve Möglichkeit; die sogenannte logische Möglichkeitist nichts als reines Sein, sowie es in der Form desthetischen Satzes ausgedrückt ist. Wenn man z.B.sagt, der Satz: Ich ist Ich, habe die Form reiner

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Möglichkeit, so ist dies leicht mißzuverstehen, nichtso, wenn man sagt: seine Form sei die des reinenSeins (im Gegensatz gegen Dasein, oder gegen logi-sche Möglichkeit, die nur durch objektiveMöglich-keit bedingt ist).

34 Das Nicht-Ich ist in der ursprünglichen Entgegen-setzung (Antithesis) absolute Unmöglichkeit, nun er-hält es in der Synthesis zwarMöglichkeit, aber nurunbedingte, also tauscht es bedingte Möglichkeitgegen unbedingte Unmöglichkeit ein. »Entwederkeine Möglichkeit, dafür aber Unbedingtheit, oderkeine Unbedingtheit, dafür aber Möglichkeit! - Solltedas Nicht-Ich das Unbedingte im menschlichen Wis-sen sein, so könnte es dieses nur in der ursprüngli-chen Entgegensetzung, d.h. insofern es schlechthinNichts ist, sein.« (Zusatz in der ersten Aufl.)

35 Dasein ist die gemeinschaftliche Form, unter wel-cher Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeitstehen. Der Unterschied bei diesen ist nur die Zeitbe-stimmung selbst, nicht das Setzen oder Nichtsetzen inZeit überhaupt. Dasein überhaupt ist also Resultatder ersten Synthesis. In der zweiten wird es in derThesis als Möglichkeit, in der Antithesis als Wirk-lichkeit, in der Synthesis als Notwendigkeit bestimmt.

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36 Das, was ein Schema mit seinem Gegenstand ver-mittelt, ist immer ein Bild. Schema ist das in der Zeitüberhaupt Schwebende, Bild das in bestimmter ZeitGesetzte, und doch für alle Zeit Setzbare, da hingegender Gegenstand selbst für mich nur in bestimmte Zeitgesetzt ist.

37 Das Resultat dieser Deduktionen ist, daß nur dieFormen des Seins, des Nichtseins und des durch Seinbestimmten Nicht-Seins, insofern sie vor aller Synthe-sis vorhergehen, aller Synthesis zugrunde liegen unddie Urform enthalten, nach der sie allein entworfenwerden kann, in die Logik gehören können, daß aberdie erst durch schon geschehene Synthesis möglichgewordenen schematisierten Formen der Möglichkeit,der Wirklichkeit und der Notwendigkeit nur insofernin die Logik gehören, als sie selbst durch jene ur-sprünglichen Formen bestimmt sind. So gehören z.B.problematische Sätze nicht insofern in die Logik, alssie objektive Möglichkeit, sondern nur insofern als sieobjektiv-logischeMöglichkeit ausdrücken, nicht in-sofern als sie ein Gesetztsein in der Synthesis über-haupt ausdrücken, sondern nur insofern, als durchdiese Synthesis ihre logische Denkbarkeit überhauptvermittelt worden ist. Kurz, die drei Formen der pro-blematischen, assertorischen und apodiktischen Sätzegehören nur insofern in die Logik, als sie zugleich die

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bloße formale Form der ursprünglichen Synthesis (dieBestimmung des Nicht-Seins durch das Sein, Daseinüberhaupt), nicht insofern sie die materiale Form -das Dasein in der Synthesis überhaupt, in der be-stimmten Synthesis und in aller Synthesis aus-drücken.(Zusatz der ersten Aufl.:) Deswegen ist auch oben er-innert worden, daß Dasein Resultat der ersten Synthe-sis überhaupt sei, und der zweiten nur formal zuGrunde liege. In dieser nämlich wird es erst materialbestimmt nach seinem Verhältnis zu der durch dieKategorien vermittelten Synthesis. Mithin können dieFormen der zweiten Synthesis nicht, insofern sie ma-terial, sondern nur insofern sie formal bestimmt sind,d.h. die ursprüngliche Form der ersten Synthesis, Da-sein überhaupt - gleichviel ob in Zeit überhaupt, inbestimmter Zeit, oder in aller Zeit - ausdrücken, inder Logik vorkommen.

38 Der Grundsatz der Identität ist A = A. Nun könnteja aber A auch gar nicht wirklich sein, also erhellt,daß A durch die Form der Identität gar nicht seinemGesetztsein außer dem Ich zufolge bestimmt, sondernnur insofern es durch das Ich, d.h. gar nicht als Ob-jekt gesetzt ist, betrachtet wird.

39 Sie kann Prinzip auch der objektiven Realität

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werden, aber nur, insofern das Setzen derselben imIch schon vermittelt ist, bestimmt aber alsdann diesedoch nicht als objektive Realität, sondern nur in derQualität ihres Gesetztseins im Ich. - Der Satz des zu-reichenden Grundes, sagt Kant, kann gar nicht in derübersinnlichen Welt gebraucht werden, um irgend einObjekt derselben zu bestimmen - deswegen, weil indieser alles absolut ist, und jener Satz nur die Formder Bedingtheit ausdrückt. Enthielte die übersinnlicheWelt wirklich Objekte, und mehr als nur absolutesIch, so würde dieser Grundsatz in ihr so gut als in derWelt der Erscheinungen anwendbar sein. Kantbraucht also auch diesen Grundsatz im übersinnlichenGebiet nur polemisch, oder dann, wann er seinem Ak-kommodationssystem zufolge von Objekten der über-sinnlichen Welt spricht.

40 Kant war der Erste, der nirgends unmittelbar, aberüberall wenigstens mittelbar das absolute Ich als dasletzte Substrat alles Seins und aller Identität aufstellteund zuerst das eigentliche Problem der Möglichkeiteines noch über die bloße Identität hinaus bestimmtenEtwas fixierte - auf eine Art, die - (wie soll man siebeschreiben? - wer seine Deduktion der Kategorienund die Kritik der teleologischen Urteilskraft mit demGeiste gelesen hat, mit dem alles von ihm gelesenwerden muß, sieht eine Tiefe des Sinns und der

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Erkenntnis vor sich, die ihm beinahe unergründlichscheint) - auf eine Art, die nur einem Genius möglichscheint) - beinahe unergründlich scheint) - auf eineArt, die nur einem Genius möglich scheint, der,gleichsam sich selbst voraneilend, von dem höchstenPunkt aus nun über eben die Stufen herabsteigt, überwelche andere allmählich emporsteigen müssen. (Zu-satz der ersten Aufl.)

41 Auf dem Begriff der praktischenMöglichkeit (An-gemessenheit zur Synthesis überhaupt) beruht der Be-griff des Rechts überhaupt und das ganze System desNaturrechts, auf dem Begriff praktischerWirklichkeitaber der Begriff von Pflicht und das ganze System derEthik. Nun ist für das endliche Wesen alles, waswirklich ist, auch möglich, mithin muß, wo Pflicht:eintritt, auch ein Recht zu handeln eintreten, d.h. wasder bestimmten (moralischen) Synthesis angemessenist, muß auch der Synthesis überhaupt angemessensein, aber nicht umgekehrt. Hingegen ist im absolutenIch gar keine Synthesis, also auch der Begriff vonPflicht und Recht nicht denkbar; allein das endlichemuß denn doch so handeln, als ob es für das absoluteIch Recht und Pflicht gäbe, also seine Handlungswei-se gerade so bestimmen, wie das Sein des Unendli-chen bestimmt wäre, wenn es für dasselbe Pflicht undRecht gäbe. Nun würde im absoluten Ich Pflicht und

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Recht identisch sein, weil in ihm alles Mögliche wirk-lich, und alles Wirkliche möglich wäre. Also kann dereigentliche Gegenstand alles moralischen Strebensauch als Identifizierung von Pflicht und Recht vorge-stellt werden. Denn, wenn jede Handlung, wozu dasfreie Wesen als solches ein Recht hätte, zugleich auchPflicht wäre, so würden seine freien Handlungenkeine andre Norm mehr voraussetzen als die des mo-ralischen Gesetzes. Deswegen auch insbesondere dashöchste Ziel, worauf alle Staatsverfassungen (die aufden Begriff von Pflicht und Recht gegründet sind)hinwirken müssen, nur jene Identifizierung der Rechteund Pflichten jedes einzelnen Individuums sein kann;denn woferne jedes einzelne Individuum nur durchVernunftgesetze regiert würde, gäbe es im Staateschlechterdings keine Rechte, die nicht zugleichPflichten wären, weil keiner auf irgend eine HandlungAnspruch machen würde, die nicht durch eine allge-meingültige Maxime möglich wäre, und das Individu-um, wenn alle Individuen nur allgemeingültige Maxi-men befolgten, selbst nichts als seine Pflicht vorAugen hätte. Denn, wenn alle Individuen ihre Pflichterfüllten, so würde kein einzelnes Individuum mehrfordern können, noch ein Recht haben, das durch dieallgemeine Erfüllung der Pflicht nicht schon realisiertwäre. Recht aber hört sobald auf, als die Pflicht, dieihm entspricht, erfüllt ist; denn Möglichkeit

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überhaupt gilt nur so lange, als sie nicht von Wirk-lichkeit verdrungen ist, und, wer im Besitz der Wirk-lichkeit (der erfüllten Pflicht) ist, bekümmert sichnicht mehr um Möglichkeit (sein Recht). - Diese Ideelag auch der platonischen Republik zugrunde; dennauch in dieser sollte alles Praktisch-Mögliche wirk-lich, alles praktisch-wirkliche möglich sein; eben des-wegen sollte in ihr aller Zwang aufhören, weil Zwangnur gegen ein Wesen eintritt, das sich der praktischenMöglichkeit verlustig macht. Aufhebung der prakti-schen Möglichkeit aber in einem Subjekt ist Zwang,denn praktische Möglichkeit ist nur durch Freiheitdenkbar.

42 Kant bemerkt sehr richtig, daß sich der Ausdruckintellektual nur auf Erkenntnisse beziehe, was abernur Gegenstand dieser Erkenntnisse sei, intelligibelgenannt werden müsse. Diese Bemerkung gilt demDogmatismus, der, da er intelligible Objekte zu er-kennen vermeint, allerdings von diesen Objekten denAusdruck intellektual nicht gebrauchen sollte; für denKritizismus aber (wenigstens den vollendeten) bedarfes dieser Unterscheidung nicht, da er gar keine intelli-giblen Objekte zuläßt, und nur dem, was gar nichtObjekt werden kann, dem absoluten Ich, Intellektuali-tät beilegt. Beim absoluten Ich nämlich, das nie zumObjekt werden kann, fällt das Principium essendi und

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cognoscendi zusammen; mithin muß man ebenso-wohl vom Ich als z.B. von seiner Anschauung denAusdruck intellektual gebrauchen. Hingegen kann dasempirische Ich, insofern seine Kausalität in der Kau-salität des Absoluten befaßt ist, intelligibel heißen,weil es einerseits als Objekt, andererseits als durchabsolute Kausalität bestimmbar betrachtet werdenmuß.

43 Es ist schon oben § 6, Anm. bemerkt worden, daßdas Wort empirisch gewöhnlich in einem viel einge-schränktem Sinne genommen wird.

44 Den Unterschied der obigen Darstellung von derReinholdischen Theorie der Freiheit wird jeder vonselbst einsehen, der dem Faden unserer Untersuchungbis hierher gefolgt ist. Reinholds Theorie hat sehrgroße Verdienste, aber in seinem System (das nurvom empirischen Ich ausgeht) ist sie unbegreiflich,und es würde ihrem scharfsinnigen Urheber selbstschwer fallen, seinem Systeme Einheit und seinerTheorie der Freiheit einen durch das oberste Prinzip(das nicht nur dem Ganzen zugrunde liegen, sonderndurch alle einzelnen Teile des Systems hin durchherrschen soll) begründeten Zusammenhang mit sei-nem übrigen Systeme zu geben. - Die vollendeteWissenschaft scheut alle philosophischen

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Kunststücke durch die das Ich selbst gleichsam zer-legt und in Vermögen, die unter keinem gemeinschaft-lichen Prinzip der Einheit denkbar sind, zerspaltetwird. Die vollendete Wissenschaft geht nicht auf toteVermögen, die keine Realität haben und nur in derkünstlichen Abstraktion wirklich sind; vielmehr gehtsie auf lebendige Einheit des Ichs, das in allen Äuße-rungen seiner Tätigkeit dasselbe ist; in ihr werden alledie verschiedenen Vermögen und Handlungen, die diePhilosophie von jeher aufgestellt hat, nur Ein Vermö-gen, nur Eine Handlung desselben identischen Ichs. -Selbst die theoretische Philosophie ist nur in bezugauf dieselbe Kausalität des Ichs möglich, die in derpraktischen realisiert wird; denn sie dient nur dazu,die praktische Philosophie vorzubereiten und derdurch diese bestimmten Kausalität des Ichs ihre Ob-jekte zu sichern. Endliche Wesen müssen existieren,damit das Unendliche seine Realität in derWirklich-keit darstelle. Denn auf diese Darstellung der unendli-chen Realität in der Wirklichkeit geht alle endlicheTätigkeit; und die theoretische Philosophie ist nurdazu bestimmt, dieses Gebiet der Wirklichkeit für diepraktische Kausalität zu bezeichnen und gleichsamabzustecken. Die theoretische Philosophie geht nurdarum auf Wirklichkeit, damit die praktische Kausali-tät ein Gebiet finde, worin jene Darstellung der un-endlichen Realität - die Lösung ihrer unendlichen

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Aufgabe - möglich ist.

45 Es ist unmöglich, daß zwei Absoluta nebeneinan-der bestehen. Wird also das Nicht-Ich vor allem Ichabsolut gesetzt, so kann ihm das Ich nur als absoluteNegation entgegengesetzt werden. Zwei Absolutakönnen unmöglich als solche in einer ihnen vorherge-henden oder nachfolgenden Synthesis befaßt werden;weswegen auch, wenn das Ich vor allem Nicht-Ich ge-setzt wird, dieses in keiner Synthesis als absolut (alsDing an sich) gesetzt werden kann.

46 Hierdurch läßt sich auch die Frage beantworten,welches Ich denn eigentlich ins Unendliche fortschrei-ten soll? Die Antwort ist: das empirische, das abernicht in der intelligibeln Welt fortschreitet; dennsowie es in dieser wäre, hörte es auf, empirisches Ichzu sein, weil in der intelligibeln Welt alles absoluteEinheit, also kein Fortschritt, keine Endlichkeit ge-denkbar ist. Das endliche Ich ist also zwar nur durchintelligible Kausalität Ich, aber als endlichesWesen,solange es endliches Wesen ist, seinem Dasein nachnur in der empirischen Welt bestimmbar. Nun kannzwar das endliche Wesen, da seine Kausalität selbstin die Linie der unendlichen fällt, die Schranken sei-ner Endlichkeit immer mehr erweitern; allein, da die-ser Progressus die Unendlichkeit vor sich hat, ist eine

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immerfort größere Erweiterung derselben möglich,weil, wenn diese irgendwo aufhören könnte, das Un-endliche selbst Schranken haben müßte.

47 Hieraus erhellt auch, wie und inwiefern Teleologiedas verbindende Mittelglied zwischen theoretischerund praktischer Philosophie sein könne.

48 Auch Spinoza wollte, daß im absolutem PrinzipMechanism und Finalität der Ursachen als in dersel-ben Einheit befaßt gedacht werden. Aber, da er dasAbsolute als absolutes Objekt bestimmte, konnte erfreilich nicht begreiflich machen, wie teleologischeEinheit im endlichen Verstande nur durch ontologi-sche im unendlichen Denken der absoluten Substanzbestimmt sei, und Kant hat ganz recht, wenn er sagt,der Spinozism leiste nicht, was er wolle. - Vielleichtaber sind nie auf so wenigen Blättern so viele tiefeGedanken zusammengedrängt worden, als in der Kri-tik der teleologischen Urteilskraft § 76 geschehen ist.(Statt »Finalität« Z. 1 und »Finalität der Ursachen« Z.13 steht in der ersten Auflage »Teleologie«. A. d. O.)

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