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198 Versuch einer kreislauftheoretischen Analyse der bankmässigen Geld- und «Kreditschöpfung» Von P.D. Dr. G e r t r u d N e u h a u s e r , Innsbruck-St. Gallen I. In der Wirtschaftswissenschaft hat die Auffassung, dass besonders bei der Untersuchung dynamischer Probleme die kreislauftheoretische Betrachtung die markttheoretische ergänzen muss, in den letzten Jahren weite Verbreitung ge- funden. Die Markttheorie beschäftigt sich mit den Tauschvorgängen, mit dem Markt- geschehen; sie untersucht die Tauschwertbildung und - soweit die Geldwirtschaft in Betracht gezogen wird - die Preisbildung und die Preisfunktionen. Bei der markttheoretischen Analyse wird der Blick auf das Verhalten der einzelnen Wirt- schaftssubjekte (Betriebe und Haushalte), die Tauschpartner sind, gerichtet. Die Kreislauftheorie hat den volkswirtschaftlichen Kreislauf zum Gegenstand: den Fluss der Güter von der Produktion zur Konsumtion, den Weg der Arbeits- kräfte von den Haushalten in die Betriebe, die Wanderung der Produktionsmittel von der Stätte der Erzeugung zur Stätte des Einsatzes und die entgegengerichte- ten Bewegungen des Geldes, das allein wirklich «im Kreise läuft»: von den Be- trieben in die Haushalte und von dort zurück in den Produktionsbereich. In einem komplizierteren Kreislaufschema werden der Staat und die Banken, die Aufenthalte der Ströme sowie die «stocks» (Lager, Horte usw.) berücksichtigt. Die Kreislauftheorie fasst die auf einen gemeinsamen Nenner - meistens das Geld - gebrachten mikroökonomischen Einzelgrössen, wie z.B. die von den Betrieben und Haushalten erzielten Einkommen, die Produktionsausstösse, das Sparen und Investieren usw. vom jeweilig eingenommenen Standpunkt aus zu volkswirt- schaftlichen Gesamtgrössen zusammen ; diese monetären und realen Gesamt- oder Globalgrössen werden auf ihrem Weg durch den Kreislauf verfolgt und auf ihre Bestimmungsfaktoren, Beziehungen, Veränderungen und Wirkungen hin unter- sucht 1 . Die seit Keynes rasch vorangetriebene Vervollkommnung der in ihren An- fängen weit zurückliegenden kreislauftheoretischen Betrachtung war zweifellos für die Weiterentwicklung sowohl der dynamischen Untersuchungsmethode (Prozessanalyse) als auch der Theorie der dynamischen Wirtschaft von entschei- 1 Über die Beziehungen zwischen Markttheorie und Kreislauftheorie vgl. W.A. Jo/ir, Die Konjunkturschwankungen. (Theoretische Grundlagen der Wirtschaftspolitik, Band II). Tübingen- Zürich 1952. S. 195 ff.

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Page 1: Versuch einer kreislauftheoretischen Analyse der

198

Versuch einer kreislauftheoretischen Analyse

der bankmässigen Geld- und «Kreditschöpfung»

Von P.D. Dr. Gertrud Neuhauser , Innsbruck-St. Gallen

I.

In der Wirtschaftswissenschaft hat die Auffassung, dass besonders bei der Untersuchung dynamischer Probleme die kreislauftheoretische Betrachtung die markttheoretische ergänzen muss, in den letzten Jahren weite Verbreitung ge­funden.

Die Markttheorie beschäftigt sich mit den Tauschvorgängen, mit dem Markt­geschehen; sie untersucht die Tauschwertbildung und - soweit die Geldwirtschaft in Betracht gezogen wird - die Preisbildung und die Preisfunktionen. Bei der markttheoretischen Analyse wird der Blick auf das Verhalten der einzelnen Wirt­schaftssubjekte (Betriebe und Haushalte), die Tauschpartner sind, gerichtet.

Die Kreislauftheorie hat den volkswirtschaftlichen Kreislauf zum Gegenstand: den Fluss der Güter von der Produktion zur Konsumtion, den Weg der Arbeits­kräfte von den Haushalten in die Betriebe, die Wanderung der Produktionsmittel von der Stätte der Erzeugung zur Stätte des Einsatzes und die entgegengerichte­ten Bewegungen des Geldes, das allein wirklich «im Kreise läuft»: von den Be­trieben in die Haushalte und von dort zurück in den Produktionsbereich. In einem komplizierteren Kreislaufschema werden der Staat und die Banken, die Aufenthalte der Ströme sowie die «stocks» (Lager, Horte usw.) berücksichtigt. Die Kreislauftheorie fasst die auf einen gemeinsamen Nenner - meistens das Geld - gebrachten mikroökonomischen Einzelgrössen, wie z.B. die von den Betrieben und Haushalten erzielten Einkommen, die Produktionsausstösse, das Sparen und Investieren usw. vom jeweilig eingenommenen Standpunkt aus zu volkswirt­schaftlichen Gesamtgrössen zusammen ; diese monetären und realen Gesamt- oder Globalgrössen werden auf ihrem Weg durch den Kreislauf verfolgt und auf ihre Bestimmungsfaktoren, Beziehungen, Veränderungen und Wirkungen hin unter­sucht1.

Die seit Keynes rasch vorangetriebene Vervollkommnung der in ihren An­fängen weit zurückliegenden kreislauftheoretischen Betrachtung war zweifellos für die Weiterentwicklung sowohl der dynamischen Untersuchungsmethode (Prozessanalyse) als auch der Theorie der dynamischen Wirtschaft von entschei-

1 Über die Beziehungen zwischen Markttheorie und Kreislauftheorie vgl. W.A. Jo/ir, Die Konjunkturschwankungen. (Theoretische Grundlagen der Wirtschaftspolitik, Band II). Tübingen-Zürich 1952. S. 195 ff.

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dender Bedeutung. Die neuen Perspektiven, die sie eröffnet, stellen auch die Geld- und Kredittheorie vor neue Aufgaben.

In der Theorie der dynamischen Wirtschaft spielt die sogenannte Kredit­schöpfung der «privaten» (d.h. nicht-notenausgebenden) Banken sowohl hin­sichtlich der konjunkturellen Schwanken gen als auch der langfristigen Entwick­lung eine wichtige Rolle. Unter «Kreditschöpfung» wird üblicherweise die Ge­währung von Krediten über das Mass der den Banken zugeflossenen Mittel hinaus verstanden; die Auszahlung dieser «geschöpften» oder «zusätzlichen» Kredite geschehe mit Hilfe von ad hoc geschaffenem Giralgeld. Es wird also mit rein banktechnischen Begriffskriterien gearbeitet. Unserer Ansicht nach kann aber die Kreditgewährungs- und Giralgeldschöpfungstätigkeit der Banken in ihrer Bedeutung für die Dynamik nur erfasst werden, wenn man sie kreislauftheoretisch betrachtet und sich zuerst über ihre Beziehungen zu den geld- und güterwirt­schaftlichen Kreislaufgrössen klar wird.

Im folgenden soll daher versucht werden, aufbauend auf den grundlegenden Untersuchungen von V. F. Wagner * und unter Berücksichtigung der von Forst-mann und Voigt geleisteten Vorarbeiten 2, die Kreditgewährungs- und Giralgeld­schöpfungstätigkeit der Banken in die Kreislaufbetrachtung einzubauen und zu einem geschlossenen Begriffssystem zu kommen. Es geht darum, aufzuzeigen, unter welchen Voraussetzungen die Kreditgewährungstätigkeit der Banken im Sinne der Kreislauftheorie als Geld- bzw. «Kreditschöpfung» anzusehen ist und welche Bedeutung die Unterscheidung von Geldschöpfung und « Kreditschöpfung» hat; schliesslich ist auch die Frage zu beantworten, wie die Verwendung des Aus­druckes « Schöpfung» von Geld bzw. Kredit sinnvoll begründet werden kann 3.

Einige Bemerkungen über die bisher vorliegenden Arbeiten werden dem Ver­ständnis unseres Versuches dienlich sein. Auf eine ausführliche Argumentation muss hier verzichtet werden; es kann nur auf die Lücken und problematischen Seiten hingewiesen werden, die unserer Ansicht nach von unserem Blickwinkel aus sichtbar werden.

Von grundlegender Bedeutung für die kreislauf theoretische Betrachtung der «Kreditschöpfung» ist die Analyse des Zusammenhanges zwischen dem Repro-duktionsprozess der Güter und der Kreditgewährung und Giralgeldschöpfung der Banken, die V. F. Wagner vorgenommen hat. Wagner weist nach, dass der statische Reproduktionskredit zu regelmässigen Schwankungen der Giralgeld-summe und der aushaftenden Kredite führt, ohne dass bei einmal eingespielten Kreditvorgängen die sich wiederholende Schaffung und Vernichtung von Giral­geld die Struktur des Gesamtgeldstromes (Stückgeld- und Giralgeldstrom) ver-

1 Vgl. V.F. Wagner, Geschichte der Kredittheorien. Wien 1937. 2 Vgl. A.Forstmann, Geld und Kredit. 2 Bde. (Grundriss der Sozialwissenschaft, Bd. 3/I/II),

Göttingen 1952 und F. Voigt, Der volkswirtschaftliche Sparprozess. Berlin 1950. 3 Wir setzen die Bezeichnung «Kreditschöpfung» in Anführungszeichen, um anzudeuten,

dass wir damit nicht den oben genannten banktechnischen Sachverhalt meinen; ausserdem er­scheint uns der Ausdruck nicht gut gewählt und soll daher nur als vorläufige Bezeichnung ver­wandt werden.

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ändert oder eine Erweiterung bzw. Verengung des Gesamtgeldstromes herbei­führt. Wagner hat als erster den Weg des Giralgeldstromes verfolgt und kommt zu dem Ergebnis, dass «girale Kreditschöpfung» nur dann und soweit möglich ist, als der Giralgeldstrom geschlossen ist. Da in der wachsenden, dynamischen Wirt­schaft der Bedarf an Einkommensgeld, das ist in der Regel Stückgeld der Zentral­notenbank, steigt, kann nach Wagner die fortschreitende Wirtschaft nicht durch girale Kreditschöpfung finanziert werden. Es besteht nur die Möglichkeit der «kassenmässigen Kreditschöpfung», wenn infolge zahlungstechnischer Verände­rungen der Stückgeldbedarf sinkt und entsprechende Bestände in den Bank­kassen zusammenlaufen.

Hinsichtlich der prinzipiellen Fassung des Kreditvermittlungs- und «Kredit-schöpfungs »-Begriffes bei Wagner haben wir einige Bedenken. Wagner scheint uns hier im Grunde über formal-banktechnische Kriterien doch nicht hinauszu-gelangen. Kreditvermittlung wird definiert als «Wiederausleihen von Erspar­nissen»1; es handelt sich hierbei, entsprechend der Auffassung von der Aus­schliesslichkeit der Stückgeldverwendung im Einkommensbereich, um Ein­kommensteile, die in Form von Stückgeld zu den Banken gewandert sind. Dazu möchten wir folgendes sagen. Ganz abgesehen davon, dass unserer Ansicht nach das Giralgeldsparen als eine in der modernen Volkswirtschaft gegebene Realität beachtet werden müsste, bleibt diese Begriffsbestimmung insofern an der Ober­fläche haften, als auf die Problematik des Begriffes «Ersparnisse» nicht ein­gegangen wird und insbesondere die Beziehungen zu güterwirtschaftlichen Kate­gorien nicht genauer untersucht werden. Ahnliches gilt für den Begriff der «giralen Kreditschöpfung». Die «Auszahlung von Krediten in von der Bank ad hoc geschaffenem Giralgeld»2 ist ein bloss banktechnischer Sachverhalt, der aller­dings insofern ein geldtheoretisches Element enthält, als die Geldform, in der ein Kredit gewährt wird, zum entscheidenden Kriterium wird. In funktioneller Hin­sicht besteht nun zweifellos ein gewisser Unterschied zwischen Giralgeld und Stückgeld, wenn auch die Grenzen unserer Ansicht nach nicht so scharf sind, wie Wagner annimmt; die Form des die Banken verlassenden Geldes muss daher den Geldstrom und die von ihm ausgehenden Wirkungen beeinflussen. Aber das gilt für das gesamte, die Banken verlassende Giralgeld - nicht nur für das kredit-mässig entstandene. Wir glauben weiter, dass die Gewährung von Giralkrediten von ganz verschiedener volkswirtschaftlicher Bedeutung sein kann: sie kann sowohl Kreditvermittlung sein - als Pendant zum Giralgeldsparen — als auch Kompensation von Verringerungen der Kreislaufgeschwindigkeit oder anderer Geldstromschrumpfungen 3, oder aber unter Umständen eine echte Ausweitung des Geldstromes, für deren volkswirtschaftliche Bedeutung wiederum entschei­dend ist, ob und wieweit eine güterwirtschaftliche Entsprechung vorhanden ist.

Im Hinblick auf eine kreislauftheoretische Betrachtung der Geld- und «Kreditschöpfung» scheint uns also Wagner den eingeschlagenen Weg nicht ganz

1 Vgl. V.F. Wagner, a.a.O., S. 189. 2 Siehe ebenda S. 480 u. a. a. Stellen. 8 Diese Möglichkeit wird auch von Wagner zugegeben.

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zu Ende gegangen zu sein und insbesondere darauf verzichtet zu haben, die Be­griffe Kreditvermittlung und Kreditschöpfung durch eine eingehende Analyse der güterwirtschaftlichen Bestimmungsgrtinde allseitig zu vertiefen, d. h. von allen banktechnisch-formalen Elementen zu befreien und zu rein ökonomischen Kategorien zu erheben.

Einen Versuch in dieser Richtung stellt die Begriffsfassung A.Forstmanns dar, die nach geld- und güterwirtschaftlichen Begriffskriterien orientiert ist. «Die hier relevanten Kriterien können nur dadurch ermittelt werden, dass der Kredit­umfang in Beziehung zu jenem Gütervorrat gesetzt wird, über den mit Hilfe der ,Kapitaldispositionen' verfugt werden soll, die im Kreditvorgang übertragen werden x. » « Kreditschöpfung - oder, in Forstmanns Terminologie : »zusätzliche6

Kreditgewährung - liegt vor, ,wenn die Banken mehr Kredite gewähren als ihnen aus eigenen und fremden Mitteln zur Verfügung steht 2. » Andernfalls handelt es sich um blosse Kreditvermittlungstätigkeit, wobei die Geldform, in der ein Kredit ausgezahlt wird, völlig irrelevant ist. Entscheidend für die Beurteilung dieser Begriffe ist nun aber, dass die aus « Einzahlungen, Überweisungen und eigenen flüssigen Mitteln» stammenden Beträge von Forstmann insgesamt als «Erspar­nisse» aufgefasst werden, und zwar in dem Sinn, dass sie «ein durch wirtschaft­liche Vorleistung erworbener Anspruch auf bereits in einem dieser Vorleistung ent­sprechenden Umfang vorhandene Güter» darstellen 3. Güterwirtschaftlich gesehen stammen die «Mittel, die im zusätzlichen' Kredit übertragen werden, . . . , nicht aus Ersparnissen, die seitens der Einkommensempfänger aus ihren Einkommen gemacht worden sind, also aus Produktionskosten, die der Ausdruck einer ent­sprechenden Vermehrung der volkswirtschaftlichen Gütervorräte sind, die als Realkapital zur Verfügung stehen, sondern die Kapitaldispositionen, die im zu­sätzlichen' Kredit übertragen werden, treten zu den aus ,echtem' Geldkapital stammenden wirtschaftlich legitimen Ansprüchen zusätzlich hinzu, ohne dass eine ihnen korrespondierende Zunahme im Umfange der benötigten Güter eingetreten wäre» 4.

Diese begriffliche Abgrenzung scheint uns vor allem problematisch durch die Übereinstimmung der «geldseitigen» und «güterwirtschaftlichen» Begriffs­kriterien; diese Übereinstimmung ist eine logische Folge der Auffassung, dass die den Banken zur Verfügung stehenden eigenen und fremden Mittel den realen Effekt von Sparvorgängen monetär repräsentieren, also güterwirtschaftlich «gedeckt» sind, und dass ihre Weitergabe daher die Ausnützung der durch dieses Sparen geschaffenen güterwirtschaftlichen Reserve ermöglicht. Wir müssen in

1 Siehe A.Forstmann, a .a .O. , S. 21. 2 Siehe a. a. O., S. 264. 8 Siehe ebenda. 4 Siehe ebenda S. 263. Ein ähnlicher Gedanke findet sich schon bei Schumpeter, der zwischen

«normalem)» und «abnormalem» Kredit unterscheidet. Das im «normalen Kredit» weiter­gegebene Geld ist sowohl Anweisung auf das Sozialprodukt als auch Repräsentant einer volks­wirtschaftlichen Leistung; das im «abnormalen Kredit» zur Verfügung gestellte üb t dagegen nur die erste Funktion aus. (Vgl. J.Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Leipzig 1912. S. 206 f.)

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diesem Zusammenhang auf die Analyse des volkswirtschaftlichen Sparprozesses von Voigt verweisen, auf die wir uns im folgenden stützen. Erstens wäre grund­sätzlich zu bemerken, dass, gesamtwirtschaftlich gesehen, Sparkapitalbildung aus nichtausgegebenen Einkommensteilen und volkswirtschaftlicher Sparpro-zess, das ist der Vorgang im realen Bereich, die Schaffung einer «volkswirt­schaftlichen Leistungsreserve», sich nicht notwendig und immer decken K Im Falle einer durch direkte Preispolitik zurückgestauten Inflation werden die den Banken übergebenen Ersparnisse real nicht voll gedeckt sein, während ihnen bei Unterbeschäftigung und « Sparkapitalschwund» in der Regel - bei bestehenden Preisen - eine grössere volkswirtschaftliche Leistungsreserve gegenüberstehen wird, selbst wenn sämtliche nicht ausgegebenen Einkommensteile in die Banken gelangten. Zweitens fallen bei Forstmann offenbar unter den Begriff der bei den gegebenen Preisverhältnissen güterwirtschaftlich genau gedeckten «Erspar­nisse» nicht nur Geldersparnisse im Sinn von nichtkonsumierten, nichtausgegebe­nen Einkommensteilen, sondern alle den Banken zur Verfügung stehenden Mittel, also auch die Geldansammlungen anderer kreislaufmässiger Herkunft. Es sind dies vor allem aus dem Hortungsmotiv gehaltene Kassenbestände der Bankkunden und Überschüsse der Kassenführungsguthaben wie auch der Bank­kassen, die durch Veränderungen der Bestimmungsfaktoren des technischen Geldbedarfes entstanden sind. Alle diese Beträge repräsentieren aber dann keine Leistungsreserve, wenn sich die Volkswirtschaft auf ihre Absorption bereits ein­gestellt hat. Kassenbestände und Horte, «deren Verzögerungstendenz im nor­malen Geldumlauf mit berücksichtigt ist, . . .„ haben den Charakter von ,leeren;

Ersparnissen . . . Ihnen entspricht kein Anteil an der Sozialleistung. Die Wirt­schaft hat sich vielmehr darauf eingestellt, dass die in ihnen latent enthaltenen Ansprüche nie geltend gemacht werden. Das Sozialprodukt wird demgegenüber von der ,wirksamen6 Geldmenge, der sie also nicht mit zugehören, bereits ge­deckt' ; sie . . . dienen nur dem Liquiditätsbedürfnis und dem Ausgleich tech­nischer Verzögerungsmomente 2.» Die Wirtschaft kann sich an ihre Bildung und Existenz z. B. durch Geldschöpfung oder Änderungen der Zahlungssitten u.a.m. anpassen 3.

Auf Grund dieser Überlegungen über die Beziehungen zwischen den mone­tären und den realen Vorgängen muss der Kreditschöpfungsbegriff Forstmanns als nicht voll befriedigend bezeichnet werden; er ist, güterwirtschaftlich gesehen, zu eng, und der Kreditvermittlungsbegriff dementsprechend grundsätzlich zu weit. Wir dürfen sagen, dass Forstmann im Geldmengendenken bleibt und nicht zum Geldstromdenken vordringt; sein Lösungsversuch, einen so grossen Fort­schritt er auch darstellt, ist unseres Erachtens doch nicht voll gelungen. In einer Hinsicht scheint uns Forstmann sogar einen Schritt zurückzugehen: die von V. F. Wagner in ihrer grundsätzlichen Eigenart bereits erkannte, wenn auch nicht

1 Vgl. F. Voigt, a.a.O., S. 25. 2 Siehe F. Voigt, a.a.O., S. 245. 8 Freilich kann einem Absorptionsfonds eine unabhängig von dessen Entstehung gebildete

Leistungsreserve in der Volkswirtschaft gegenüberstehen. Hier fehlt aber die für unsere Über­legung relevante kausale Beziehung.

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genau analysierte und daher generell als «kassenmässige Kreditschöpfung» auf-gefasste Weitergabe von dauernden Stückgeldüberschüssen der Bankkassen gehört bei Forstmann gänzlich zur Ejreditvermittlung.

Unserer Meinung nach darf man nicht die Menge des den Bankbereich be­tretenden bzw. verlassenden Geldes als Mass für die empfangene, real gedeckte und die weitergegebene Kapitaldisposition ansehen. Es muss auch die Geschwin­digkeit, mit der die Geldmenge den Kreislauf vollzieht und insbesondere die Banken durchläuft, berücksichtigt, also der Geldstrom einschliesslich seiner Be­wegungen und Veränderungen betrachtet werden.

II.

Um die Geldschöpfung und «Kreditschöpfung» als kreislauftheoretische Grössen und rein material-volkswirtschaftlich, d. h. von allen technisch-formalen Relikten bereinigt, in den Griff zu bekommen, muss zunächst der in die Banken fliessende Geldstrom im Hinblick auf seine güterwirtschaftlichen Beziehungen analysiert werden. Von diesem Ansatzpunkt aus hoffen wir zu einer verfeinerten kreislauftheoretischen Betrachtung zu gelangen.

Es ist gezeigt worden, dass der Ersparnisbegriff als Angelpunkt für die Ab­grenzung von Kreditvermittlung und Kreditschöpfung entscheidend ist. Daher muss von der Frage ausgegangen werden, was vom Standpunkt einer auch das güterwirtschaftliche Geschehen miteinbeziehenden Betrachtung aus als « Sparen» und «den Banken zufliessende Ersparnisse» anzusehen ist.

Aus allem, was bisher ausgeführt wurde, geht hervor, dass die Bestimmung von Sparen als Konsumaufschub mit dem monetären Effekt eines Nichtausgebens von Einkommensteilen für unsere Zwecke unzulänglich erscheint. Diese Be­schränkung auf das monetäre Geschehen führt, wenn man nur das Banksparen betrachtet, zum Begriff der bankmässigen Geldkapitalbildung. Mit der Zurück­weisung dieses «monetären Sparbegriffes» fällt auch der darauf bezogene Kredit­vermittlungsbegriff dahin. Daraus folgt, dass nicht schon dann von Kredit­schöpfung gesprochen werden kann, wenn - um hier nur eine grobe Umschreibung zu geben - das bankmässige Kreditvolumen das jeweilige den Banken über-gebene oder Eigenkapital darstellende Geldkapital, d. h. Sparkapital im formalen Sinn, übersteigt. Übrigens kann es sich auch bei dieser Unterscheidung nur um eine theoretische, praktisch nie erkennbare handeln; denn die banktechnische Grösse «Spareinlagen» deckt sich nicht mit den der Bank zufliessenden Erspar­nissen in diesem Sinne.

Wir müssen uns also nach einem geeigneteren Sparbegriff umschauen. Von der rein güterwirtschaftlichen Betrachtung aus gelangt man zum

anderen Extrem: zur Gleichsetzung von Sparen mit «Schaffung einer volks­wirtschaftlichen Leistungsreserve» - gleich welcher Art und Weise. Sparen um-fasst dann nicht nur die «volkswirtschaftlichen Sparprozesse» Voigts, d.h. das «weniger verbrauchen als verbraucht werden könnte»1. Eine volkswirtschaft­liche Leistungsreserve kann auch in vielen anderen Fällen entstehen; Voigt

1 Siehe F. Voigt, a.a.O., S. 486.

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nennt u. a. : technische Neuerungen, Bevölkerungswachstum, Entdeckung neuer Rohstoffquellen, aber auch Unterbeschäftigung mit Einkommensschwund, Er­höhung der Zeitspanne zwischen Sparen und Investieren.

Dieser rein reale Sparbegriff führt zu einem Kreditschöpfungsbegriff, dessen Bezugspunkt ausserhalb des Bankenbereichs liegt. Kreditschöpfung, so betrachtet, wäre die Gewährung von Krediten über das Mass einer insgesamt in der Volks­wirtschaft vorhandenen ausnutzbaren (und komplementären) Leistungsreserve hinaus — bei gegebenen Preisverhältnissen. Auszahlungsart der Bankkredite und Herkunft der zur Auszahlung dienenden Mittel sind dabei ohne jede Bedeutung. Dieser wegen seiner volkswirtschaftlichen Reinheit sehr bestechende Kredit­schöpfungsbegriff scheint uns aber als analytisches Instrument nicht sehr brauch­bar und zweckmässig zu sein. Denn erstens erfolgt die Abgrenzung der beiden Bankkreditalten nicht mehr auf Grund von Gesichtspunkten, die in Beziehung zu bankmässigen Vorgängen liegen, sondern auf der «höheren Ebene» allgemein volkswirtschaftlichen Geschehens. Und zweitens wird unserer Ansicht nach damit die Sicht auf entscheidende Probleme der Kreditschöpfungsdiskussion verdeckt; es ist dies vor allem die Frage, ob, wieweit und unter welchen Bedingungen die Banken in der Lage sind, eine vorhandene volkswirtschaftliche Leistungsreserve, die über keine monetäre Entsprechung in Form von Geldkapital verfügt, aus­nutzbar zu machen. Dies müsste durch Bereitstellung von zusätzlicher Kapital­disposition mit Hilfe von Geldschöpfung im umfassenden Sinne von Geldstrom­erweiterung geschehen. Gerade hier liegt aber der Kern des Problems.

Nun lässt sich aber unserer Meinung nach eine Synthese der beiden bisher besprochenen Betrachtungsweisen vornehmen, die eine Schliessung der Lücken, die im Lösungsversuch Forstmanns aufgezeigt wurden, möglich macht. In einer die geld- und güterwirtschaftlichen Gesichtspunkte integrierenden Sicht liegt Sparen nur dann vor, wenn das Nicht-Ausgeben von Einkommensteilen tatsäch­lich Teile des Sozialproduktes bzw. Produktionsfaktoren freisetzt und damit eine Leistungsreserve schafft. Ausschlaggebend ist der reale Effekt des Nicht-Aus­gebens von Einkommensteilen, ganz gleich, aus welchen Motiven heraus dieses « Sparen» erfolgt. Einkommen muss hier in dem weiten Sinne verstanden werden, der sich auch bei Forstmann findet; es sind auch alle Unternehmererlöse darin eingeschlossen, die nicht gleich wieder verwendet werden. Ersparnisse im hier gemeinten Sinn sind also alle jene Einlagen - gleich welcher bankmässigen Form -und alle Eigenkapitalien der Bank, die Ausdruck eines realen volkswirtschaft­lichen Sparprozesses sind. Sie bilden das «echte Sparkapital». Die leeren Er­sparnisse, die immer dann Zustandekommen, wenn das verfügbare Sozialprodukt hinter den Geldeinkommen zurückbleibt, ohne dass die entsprechenden Preis­ausgleichsbewegungen erfolgen, sind damit ausgeschieden1; und auch die Horte und Kassenbestände (Absorptionsfonds), an die der Kreislauf angepasst ist, fallen ausserhalb der Betrachtung. Gegenstand der Kreditvermittlung sind nur die «echten» Sparkapitalien. Geben die Banken mehr Kredite als sie an echtem Sparkapital besitzen, also an Verfügungsrechten über Kaufkraft, die nicht aus-

1 Vgl. F. Voigt, a.a.O., S. 240.

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genützt wurde, so haben wir es mit Kreditschöpfung zu tun. Das Ausleihen von leeren Ersparnissen oder von Bestandteilen des Absorptionsfonds, auf dessen Existenz der Kreislauf eingespielt ist, stellt «Kreditschöpfung» dar, obwohl es sich um blosse Weitergabe von bereits existierendem Geld und nicht um Neu­schöpfung von Geld handelt. Ob dieses bereits existierende Geld Stückgeld oder Giralgeld ist, bleibt hier unwesentlich. Gleicherweise ist es für die globale Be­trachtung des Geldstromes zunächst unbedeutend, ob ein Bankkredit - sei es ein vermittelter, sei es ein «zusätzlicher» - in Stückgeld oder in Giralgeld aus­bezahlt wird; das gilt allerdings nur solange, als es um die begriffliche Klar­stellung geht.

Unsere Betrachtung berücksichtigt - im Gegensatz zu Forstmann — die durch­schnittliche Kreislaufgeschwindigkeit, auf die sich die Volkswirtschaft eingespielt hat. Bei einem als «Normalfall» angenommenen eingespielten Zustand der Volks­wirtschaft, bei dem die globalen Grössen sich bestimmt verhalten, repräsentiert bei gegebenen Preisen jede Geldeinheit einen Anspruch an das Sozialprodukt; entscheidend ist dabei die Berücksichtigung der «normalen Aufenthalte» des Geldes1. Sobald durch Aktivierung (Auflösung) von Absorptionsfonds die durchschnittliche Kreislaufgeschwindigkeit erhöht wird, wirkt das genau so, wie wenn durch Geldschöpfungsakte die Geldmenge vermehrt worden wäre: der Geldstrom wird erweitert. Die aus den aufgelösten Absorptionsfonds stammenden Geldeinheiten sind ceteris paribus genau so wenig «real gedeckt», genau so wenig «Repräsentanten einer wirtschaftlichen Vorleistung» wie von der Notenbank neu geschaffenes Stückgeld oder echt «zusätzliches» bankgeschaffenes Giralgeld. Um es noch einmal kurz zu sagen: die Begriffe Kreditvermittlung und Kredit­schöpfung, die hier entwickelt worden sind, beruhen nicht allein auf der Geld­mengenvorstellung, sondern auf der Vorstellung des Geldstromes, d. h. einer aus Geldmenge und Kreislaufgeschwindigkeit zusammengesetzten globalen wirt­schaftlichen Grösse. Kreditschöpfung liegt dann vor, wenn die Banken auf dem Wege der Kreditgewährungstätigkeit den aus dem Bankenbereich niessenden Geldstrom im Vergleich zu dem einfiiessenden erweitern; anders ausgedrückt: wenn sie mehr Kaufkraft durch Kredite zur Verfügung stellen, als sie an real­gedeckten Einlagen erhalten haben. Das kann geschehen sowohl durch Ein­pumpen neu geschaffenen, zusätzlichen Giralgeldes, als auch durch Wiederein­gliederung aus dem Kreislauf gezogener Beträge «bereits existierenden Geldes» aus Absorptionsfonds, also aus bisher «normalen» Kassenbeständen einschliess­lich Horten, oder aus mangels realer Deckung ausgeschleuderten leeren Er­sparnissen.

Das Ergebnis unserer Analyse liegt damit im Grundsätzlichen fest. Eine Präzisierung und Hinweise auf problematische Punkte erscheinen notwendig.

III. Erstens muss betont werden, dass unter «den Banken zur Verfügung

stehende echte, d. h. real gedeckte Ersparnisse» nicht die nach Abzug der Liqui-1 Es kann also nicht einfach vom Geldmengendenken aus jede bereits existierende Geld­

einheit als monetäre Verkörperung einer realen Grösse angesehen werden.

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ditätsreserven aus diesen Sparkapitalien verfügbaren Beträge verstanden werden dürfen; es handelt sich vielmehr um die Summe dieser sich im Besitze der Bank befindlichen echten Sparkapitalien; der Gesamtbetrag repräsentiert die Leistungs­reserve, die freigesetzt wurde.

In diesem Zusammenhang können gleich zwei weitere Fragen aufgeworfen werden: einmal die Frage der «Indifferenz» der Kreditvermittlung und zum an­deren die Frage der «Bewertung», d. h. der nominell-geldwertmässigen Er­fassung der volkswirtschaftlichen Leistungsreserve. Zum Indifferenzproblem wäre zu sagen, dass - ganz abgesehen von der schon alten Erkenntnis, dass infolge der Nachfrageverschiebung eine vollkommene Indifferenz nie gegeben erscheint -zumindest theoretisch auch quantitative Veränderungen von der blossen Weiter­gabe echter Kapitaldisposition ausgehen. Man muss nämlich berücksichtigen, dass eine Divergenz besteht zwischen der Kassenhaltung, die sich ergeben hätte, wenn diese Beträge ausgegeben statt gespart worden wären, und der Kassen­haltung, die nun von den kreditnehmenden Empfängern der Ersparnisse tat­sächlich ausgeübt wird x. Daraus ergibt sich eine Veränderung der durchschnitt­lichen Kreislaufgeschwindigkeit, und zwar vermutlich in Richtung einer Ver­kleinerung, weil die Investitionsausgaben verzögert erfolgen. Das bedeutet aber nichts anderes als eine Schrumpfung des Geldumlaufs mit Schaffung einer volks­wirtschaftlichen Leistungsreserve, deren Ausnutzung ceteris paribus der Bereit­stellung zusätzlicher Kapitaldisposition bedarf. Durch die Reservehaltung der Bank tritt ein weiterer Verzögerungsfaktor hinzu.

Ein recht schwieriges Problem stellt die Bewertung der Leistungsreserve dar. Hier ist zunächst einmal zu beachten, «dass der Grad der Ausnutzbarkeit den Wert der Leistungsreserve für Investitionen erheblich beeinflusst. Nicht immer setzt ein Sparen gerade diejenigen produktiven Kräfte frei, die für die Durch­führung von Investitionen benötigt werden» 2. Es können sich unabsetzbare Lagervorräte bilden 3; die Umstellung von Produktionsfaktoren auf andere Ver­wendungen ist je nach dem Elastizitätsgrad mehr oder weniger schwierig, zeit­raubend oder unmöglich. « Je spezialisierter, je kapitalintensiver eine Produktion ist, um so unbeweglicher und gebundener werden Kapital und Arbeitskräfte sein. Dabei sind die Grundstufen der Produktion gewöhnlich beweglicher als die Endstufen.» Freilich wird bei «stabilen» Verhältnissen aus der Erfahrung heraus sich ein «ungefähres Verhältnis zwischen Konsumgüterproduktion und der­jenigen für die Kapitalgütererzeugung herausgebildet» haben. Dagegen wird das Sparen zu «Kapitalverlust» führen, «wenn die Sparquote starken Schwankungen unterliegt» 4. Diese Überlegungen zeigen, dass schon real zwischen freigesetzter und verwertbarer Leistungsreserve eine Differenz besteht, wobei auch die Art der Verwendung (Investition) durch den Kreditnehmer eine Rolle spielt. Schliess­lich ist es auch eine Frage der Preise, bzw. der Preisentwicklung, wieweit das

1 Dazu kommen noch die weiteren Verzögerungen durch den Zeitbedarf der organisatorischen Vermittlungsleistung der Bank.

2 Siehe F. Voigt, a.a.O., S. 49. 8 Vgl. ebenda, S. 95. 4 Siehe ebenda.

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dem Kreditnehmer (Investor) übertragene Geldkapital die freigesetzte Leistungs­reserve aufsaugen kann, bzw. eventuell überschüssig bleibt. Die Elastizität des Preissystems ist hiebei von entscheidender Bedeutung K Wie oben bei der «re­alen» Problematik, gilt, dass der Grad der Schwankungen von Spar- und In­vestitionsvolumen bestimmend dafür ist, ob und wieweit es zu Preisanpassungen kommen muss, d. h. ob und wieweit erfahrungsgemäss von vorneherein die richtigen Mengendispositionen getroffen werden. Jedenfalls zeigt sich, dass es eine Tatfrage ist, ob und inwieweit die echten Ersparnisse die durch den Spar-prozess entstandene Leistungsreserve decken oder übersteigen, d. h. also, inwie­weit die Kreditvermittlung in unserem Sinn wirklich geld- und güterseitig über­einstimmt. Man kann unserer Ansicht nach ruhig sagen, dass sich de facto immer Diskrepanzen ergeben werden; was zunächst als Kreditvermittlung erscheint, kann volkswirtschaftlich zum Teil Kreditschöpfung werden und umgekehrt.

In einer weiteren wichtigen Hinsicht ist unser Ergebnis zu präzisieren. Er­innern wir uns daran, was oben über den statischen Reproduktionskredit, den V. F. Wagner herausgearbeitet hat, gesagt wurde. Die Wanderung des Umlaufs­kapitals, besser «Betriebskapitals», im Rahmen des statischen Reproduktions­prozesses führt in der modernen bankmässig organisierten Wirtschaft zur Er­scheinung des bankmässigen «Kassenüberschusskredites», der nichts mit Kredit­schöpfung zu tun hat 2. Veränderungen im Grad seiner Ausprägung führen, wie Wagner herausgearbeitet hat, zu Veränderungen der in der Volkswirtschaft durchschnittlich vorhandenen Giralgeldbeträge und des durchschnittlichen Kreditvolumens. Hand in Hand damit geht aber eine Veränderung der Menge des erforderlichen Stückgeldes. Es handelt sich hier jedoch um einen zahlungstech­nischen Vorgang, der keine globale Erhöhung oder Verminderung des Geld­bedarfes herbeiführt, sondern lediglich eine strukturelle Verschiebung des Geld­stromes hinsichtlich seiner Zusammensetzung aus Giralgeld und Stückgeld. Kassenüberschusskreditgewährung im Sinne Wagners ist immer als Kreditver­mittlung anzusehen; Vermehrung oder Verminderung des Kassenüberschuss­kredites ist niemals monetärer Ausdruck realwirtschaftlicher Vorgänge, also kein Anzeichen für Veränderungen der durch echtes Sparen gebildeten und durch Investitionen wieder ausgenützten Leistungsreserve. Das Ausmass des Kassen-Überschusskredites ist durch Zahlungssitten und Gewohnheiten bestimmt. Ver­ändern sie sich, so fuhrt das zu Wandlungen in der Kassenhaltung und damit zu entsprechend grösserem oder kleinerem Geldmengenbedarf bei ebenfalls ver­ändertem Verhältnis zwischen Stückgeld und Giralgeld. Zu nicht bloss zahlungs­technisch bedeutsamen, sondern volkswirtschaftlich relevanten Vorgängen kommt

1 Der Fall der Konsumkreditgewährung kann aus der Betrachtung ausgeschlossen werden. 2 Beim Kassenüberschusskredit handelt es sich um eine Einrichtung, mit deren Hilfe der

an den verschiedenen Stellen der Volkswirtschaft zu verschiedenen Zeiten auftretende Höchst­bedarf an Stückgeld gedeckt werden kann, ohne dass die einzelnen Produktionsstufen Geld­kapital im Ausmass dieses Höchstbedarfes besitzen. Der Händler legt seine täglich anfallenden Stückgelderlöse bei der Bank ein, die dadurch die Mittel erhält, um allen Produzenten an den Lohnauszahlungsterminen das nötige Stückgeld zur Verfügung zu stellen. Mit dem erworbenen Guthaben deckt der Händler nach Ahlauf seiner Kreditperiode seine Schulden beim Lieferanten.

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es erst dann, wenn im Falle der erhöhten Kassenüberschusskreditgewährung das überflüssig gewordene Stückgeld wieder dem Kreislauf zugeführt wird - etwa durch kassenmässige Kreditschöpfung der Banken - , wobei es sich dann um «Kreditschöpfung» in unserem Sinne handelt; oder wenn im Falle des Rück­ganges des Kassenüberschusskredites der steigende Stückgeldbedarf, der sich in höherem Kreditbedarf äussern kann, nicht oder nur durch Heranziehung von Stückgeldreserven befriedigt werden kann. Die Venninderung der Stückgeld­reserven würde dann nicht ohne Auswirkungen auf die volkswirtschaftlichen Grössen und Grössenbeziehungen bleiben x. Es darf hier betont werden, dass die Stellung der Banken praktisch auch im Falle des Kassenüberschusskredites keine bloss passive ist, sondern dass die Banken durch ihre autonome oder staatlich-wirtschaftspolitisch beeinflusste Kreditpolitik hinsichtlich des Ausmasses und der Bedingungen gestaltend auf den Reproduktionskredit einwirken können und so auch in den stationären Reproduktionsprozess selbst einzugreifen in der Lage sind. Das Ausmass an bankmässig organisiertem Reproduktionskredit und damit an Kassenüberschusskredit ist einer der Bestimmungsgründe des Verkehrsrhythmus der Geldbewegungen. Seine Veränderung erfordert, sollen keine realen Verände­rungen oder Preisbewegungen eintreten, monetäre Anpassungsvorgänge. Der Kreditvermittlungscharakter des Kassenüberschusskredites der Banken ist dadurch gegeben, dass seine Übung im jeweils eingespielten Ausmass den im Sinne des stationären Reproduktionsprozesses der Güter «richtigen» Einsatz der produktiven Kräfte gewährleistet. Der Händler, der Verkaufserlöse in Stückgeld der Bank übergibt, leitet damit Verfügungsmacht über reale Grössen in ihre Hände — immer vorausgesetzt, dass es sich um einen stationär-statischen Zu­stand der Volkswirtschaft handelt. Die Bank versetzt wiederum durch ihre Kre­ditgewährung die Unternehmer in die Lage, Produktionsfaktoren, und das sind im Modell Wagners ausschliesslich Arbeitskräfte, zu beschäftigen und zu bezahlen. Würden im vereinfachten Fall die Händler zum Beispiel ihrerseits, statt ihre Er­löse der Bank anzuvertrauen, Investitionen vornehmen, könnten die Banken weder das für die Einkommenszahlungen erforderliche Stückgeld den Unter­nehmern ausbezahlen, noch stünden diesen Arbeitskräfte für die Fortführung des Reproduktionsprozesses zur Verfügung. Verweigern die Banken die kreditäre Weitergabe der von den Händlern eingezahlten Verkaufserlöse, so bedeutet das eine Veränderung des Verkehrsrhythmus des Geldes im Sinne einer Geldstrom­schrumpfung : die bisher in der laufend durchgeführten Reproduktion der Güter eingesetzten Arbeitskräfte können nicht mehr voll beschäftigt werden; damit

1 Wie Wagner ausführt, sinkt durch die Rückbildung des bankmässig organisierten Repro­duktionskredites die Giralgeldsumme, weil die Stückgeldeinzahlungen der Händler, denen die Lieferanten bisher Umsatzkredit gewährt haben, zurückgehen; es sinkt weiter die Kreislauf­geschwindigkeit des Stückgeldes, das bisher den Einkommenskreislauf bewältigt hat, weil es sich nunmehr in den Kassen der Lieferanten ansammelt, die bisher den Umsatzkredit gegeben haben, und nicht mehr von den Bankkassen nach kurzem Aufenthalt wieder in den Kreislauf gelangt« Daher muss zur ungestörten Aufrechterhaltung des statischen Reproduktionsprozesses zusätz­liches Stückgeld in den Einkommenskreislauf gepumpt und müssen zusätzliche Giralkredite gewährt werden.

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Kreislauftheoretische Analyse der bankmässigen Geld- und «Kreditschöpfung» 209 i

ist eine Leistungsreserve entstanden, die mangels Geldkapital unter den gegebe­nen Umständen unausnutzbar ist.

Ein weiterer Punkt, der besprochen werden muss, ist die Übereinstimmung bzw. Überschneidung der Aktiv- und Passivkreditfristen. So wichtig diese Frage fur die Praxis sein mag, so unwesentlich erscheint sie für die Theorie, zumindest was unsere Fragestellung betrifft. Wenn die laufenden real gedeckten «Einlagen» gerade die Abhebungen, und die Kreditrückzahlungen die Neukredite decken, sind die divergierenden Fristen gänzlich uninteressant. Die verschiedene Fristig-keit von «Einlagen» und Krediten ist nur so weit bedeutsam, als es dadurch zu Differenzen zwischen verfügbarer und kreditweise ausgegebener Kapitaldispo­sition kommt und damit zur Veränderung des Wesens eines Teiles der gewährten Kredite. Zunächst erscheint klar, dass jedes «Entsparen» durch Abheben von Spareinlagen über das Neusparen hinaus die volkswirtschaftliche Leistungs­reserve verkleinert, wenn der Betrag in der Folge nicht gehortet, sondern aus­gegeben wird \ Auf jeden Fall vermindert das Netto-Entsparen den Kreditver-mittlungs-Spielraum der Bank. Ein entsprechender Teil der aushaftenden Kre­dite der Bank verliert den Status der vermittelten Kredite. Ganz allgemein gilt, «dass im grossen und ganzen jede Auflösung von Ersparnissen, soweit sie die Neu­bildung von Ersparnissen und den Überschuss der Kreditrückzahlungen über die Neuinanspruchnahme von Kredit überschreitet, eine Geldschöpfung darstellt oder bedingt» 2. Auf unseren Problembereich übertragen, heisst das nichts anderes, als dass ein Überschuss des Netto-Entsparens (Rückziehung echten Sparkapitals) über die Netto-Kreditrückzahlungen einem entsprechenden Teil des aushaften­den Volumens der vermittelten Kredite den Charakter von geschöpften, zusätz­lichen Krediten verleiht — vorausgesetzt, dass die Höhe des Kreditvolumens gehalten und nicht sofort die Neukreditgewährungen herabgesetzt oder sogar Kredite zurückgezogen werden. Dann erfolgen notwendig Geldschöpfungsakte der Bank im Sinne einer Verbreiterung des ausfliessenden Geldstromes. Eine Netto-Vermehrung der echten Spareinlagen hat den umgekehrten Effekt; bei gleichbleibendem Kreditvolumen vermehrt sie die vermittelten Kredite und be­deutet Geldvernichtung.

IV.

«Kreditschöpfung», wie sie sich aus unserer Betrachtung ergibt, schliesst Geldschöpfung in gewissem Sinne mit ein 3. Dass Giralgeldschöpfung nicht nur kreditweise erfolgt, sondern jede Einzahlung von Stückgeld auf ein täglich fälliges, scheck- bzw. überweisungsfähiges Konto formal Giralgeldschöpfung darstellt,

1 Vgl. F. Voigt, a.a.O., S. 252. 2 Der reale Anteil am Sozialprodukt, der mit diesem Geld erworben werden kann, muss nicht

dem ursprünglich repräsentierten entsprechen. Vgl. Voigt, a.a.O., S. 253. 8 Wir stimmen Jöhr zu, wenn er den Ausdruck «Kreditschöpfung» als irreführend bezeichnet,

können ihm aber nicht dahingehend folgen, dass damit nur «kreditweise Schöpfung von Kredit­geld» gemeint sein könne. (Vgl. W.A. Jöhr, a.a.O., S. 497); die Bezeichnung von Begriffen ist freilich lediglich eine Zweckmässigkeits- und letzten Endes Ermessensfrage. Über die Bezeichnung des von uns hier «Kreditschöpfung» genannten Sachverhaltes siehe weiter unten.

14

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210 Gertrud Neuhauser

braucht hier wohl nicht mehr betont zu werden; ausserdem können übrigens auch Wertpapier- und sonstige Verkäufe an eine Bank zu Giralgeldschöpfung fuhren. Ebenso bekannt ist, dass das so entstandene Giralgeld nur so lange weiter exi­stiert, als es im giralen Zahlungsverkehr verwendet wird, d. h. solange das Giro­guthaben nicht wieder in Stückgeld abgehoben wird; und dass eine Geldver­mehrung nur soweit erfolgt, als das «eingewechselte» Stückgeld nicht in den Bankkassen liegen bleibt. Mit Geldvermehrung ist dabei die Vermehrung der im Umlauf vorhandenen Geldeinheiten gemeint; das ist nicht ohne weiteres gleich­bedeutend mit Erweiterung des aus dem Bankbereich fliessenden Geldstromes. Überschreitet die Umwechslung von Stückgeld in Giralgeld und umgekehrt das «normale», bisher übliche Mass, kommt es - wenn keine ausgleichenden Kräfte am Werke sind - jedenfalls zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Geld­stromes hinsichtlich des mengen m ässigen Verhältnisses der beiden Geldarten x.

Interessanter als diese Überlegungen scheint uns die Frage zu sein, ob, wann und wieweit eine Giralgeldschöpfung zu einer Verbreiterung des aus dem Bank­bereich fliessenden Geldstromes führt. Eine sehr einleuchtende Lösung hat Forst­mann gefunden: die «kreditweise Schöpfung von Giralgeld» als eine der mög­lichen Arten von Giralgeldentstehung lässt den ausfliessenden Geldstrom (und damit ceteris paribus den Gesamtgeldstrom) entweder gleich oder verbreitert ihn, je nach dem ob der Anlass ein Kreditvermittlungs- öder ein «Kredit-schöpfungs»-Akt ist. «Soweit die seitens der Banken in Giralgeldform zur Ver­fügung gestellten Kredite aus den bei ihnen befindlichen und aus Einzahlungen der Deponenten herrührenden Geldkapitalien gewährt werden, handelt es sich um eine »Vermittlung4 von Kredit und das entstehende Giralgeld kann daher seiner Genesis entsprechend als ^Geldkapitalgiralgeld' bezeichnet werden»; aber . . . «erteilen die Banken Gutschriften über die ihnen seitens ihrer Einleger zur Verfügung gestellten und aus eigenen Mitteln stammenden Beträge hinaus, so entstammt das geschöpfte Giralgeld dem ,zusätzlichen* Kredit und das auf diese Weise entstandene Giralgeld kann als ^zusätzliches Giralgeld' bezeichnet werden. Diese Unterscheidung ist natürlich nur theoretisch bedeutsam, insofern, als dem einzelnen Guthaben ebenso wenig wie der einzelnen Note anzusehen ist, welche Geldart jeweils repräsentiert wird» 2. Damit wird «zusätzlicher Kredit» identi­fiziert mit bankmässiger Geldschöpfung, die nach der Forstmannschen Auffassung ja nur in der Form der Giralgeldschöpfung vor sich gehen kann. Aber auch wenn man unsere Unterscheidung von Kreditvermittlung und «Kreditschöpfung» zu­grundelegt, kann man die Lösung Forstmanns übernehmen und sagen, dass nur jenes kreditweise geschaffene Giralgeld, das zur Auszahlung eines «geschöpften Kredites» in unserem Sinne dient, zusätzliches, die Geldmenge vermehrendes und zum bereits existierenden, aus dem Bankbereich fliessenden Geldstrom hin­zutretendes Geld darstellt. Die girale «Auszahlung» von Krediten, denen ent­sprechende echte Stück- und Giralgeld-Spareinlagen zugrundeliegen, bleibt im

1 Es liegt dann eine Verschiebung der Zahlungsgewohnheiten, und zwar eine veränderte Inanspruchnahme des giralen Zahlungsverkehrs vor.

2 Siehe A.Forstmann, a.a.O., S. 120.

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Hinblick auf die Breite des Geldstromes wirkungslos ; sie kann sich nur auf die Struktur des Geldstromes auswirken.

Mit diesen Ausführungen haben wir auch in der recht umfangreichen Dis­kussion um die Frage, wann und wieweit von «zusätzlichem» Giralgeld gesprochen werden kann, d. h. von Giralgeld, dessen Schaffung den Geldstrom erweitert und die «Kaufkraft» erhöht, eindeutig Stellung bezogen1. Auf die in funktio­neller Hinsicht gegebenen Unterschiede zwischen Stückgeld und Giralgeld kann hier nicht eingegangen werden.

«Kreditschöpfung» kann nun, unserer Auffassung nach, auch ohne Giral­geldschöpfung erfolgen. Im Gegensatz zu Forstmann halten wir,, wie gezeigt, nicht jede bereits existierende Geldeinheit und daher auch nicht jede vorhandene Stück­geldeinheit schlechthin für den Träger eines Anspruches auf das Sozialprodukt ; das folgt aus der Berücksichtigung der Existenz von Absorptionsfonds oder, ganz allgemein, der Kreislaufgeschwindigkeit des Geldes, also aus der Geldstrom-betrachtung. Eine Kreditauszahlung mit Hilfe von dem Absorptionsfonds ent­nommenen Mitteln hebt die von der Volkswirtschaft verarbeiteten Verzöge­rungen des Geldumlaufes zum Teil auf oder führt dem Kreislauf « ausgeschleu­derte» Summen wieder zu; vorausgesetzt also, dass der Kreislauf an die durch die Absorptionsfonds herbeigeführte Verzögerung des Geldumlaufs angepasst ist, verringert sich durch die Auflösung von Absorptionsfondsmitteln die durch­schnittliche Kassenhaltung und erhöht sich die Kreislaufgeschwindigkeit der Gesamtgeldmenge 2. Wenn nicht anderweitig eine Geldstromschrumpfung ver­ursacht wird, kommt es also zu einer Erweiterung des Gesamtgeldstromes. Wir haben den Vorgang einer Geldschöpfung im Sinne einer Verbreiterung des den Bankenbereich verlassenden Geldstromes vor uns, wie bei der « Kreditschöpfung» mittels ad hoc geschaffenem Giralgeld. Nur wird im hier besprochenen Fall die Menge, dort die Geschwindigkeit des Geldumlaufs verändert. Der geldstrom-mässige Effekt ist aber der gleiche.

Damit erscheint umschrieben, in welchem Sinne unsere «Kreditschöpfung» zugleich Geldschöpfung sein kann. Es muss aber die Frage gestellt werden, ob eine Identität tatsächlich so weit besteht, dass folgerichtig die Kreditvermittlung als eine solche Banktätigkeit charakterisiert werden muss, die höchstens mit einer Verschiebung des Geldstromes einhergeht. Allgemein und in der Regel mag es zutreffen, dass die Kreditvermittlung dem Geldstrom nur Teile zurückgibt, die ihm durch Sparakte kurzfristig entzogen wurden und auf deren Fehlen die Volkswirtschaft noch gar nicht mit AnpassungsVorgängen reagieren konnte 3.

1 Vgl. hiezu z.B. H.Neisser, Der Tauschwert des Geldes. Jena 1928. S. 54; A.Forstmann, a.a.O., S. 120 und S. 264 f.; J.Schumpeter, Business Cycles. New York and London 1939. Vol. I, S. 119; V.F. Wagner, a.a.O., S. 208 ff.

2 Entstammen die aktivierten «Absorptionsfonds»-Mittel nicht dem Einkommenskreislauf, sondern dem Kreislauf der partiellen Seihstreproduktion des Realkapitals (vgl. Jöhr, a. a. 0 . , S. 211), was sehr wohl denkbar wäre, ist zunächst nur die Umlaufgeschwindigkeit vermehrt. Welche Wirkungen im weiteren Verlauf auf die Kreis/au/geschwindigkeit ausgeübt werden, hängt von Art und Ort des Einsatzes der aufgelösten Beträge ah.

8 Woran sich die Wirtschaft anpasst und anpassen muss, damit keine unausnutzbare Lei-

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212 Gertrud Neuhauser

Wie steht es aber - und diese Frage bezieht sich auch auf den Lösungsversuch Forstmanns - im Falle der « Stauung» von Ersparnissen in den Banken, die in der Regel eine Erscheinung des Niederganges ist und der im Aufschwung eine «Ent-8tauung» zu folgen pflegt x ? Eine solche Entstauung früher angesammelter Er­sparnisse infolge steigender Kreditnachfrage verbreitert zweifellos den die Banken verlassenden Geldstrom und damit ceteris paribus den Cesamtgeldstrom; sie bedeutet also eine Geldschöpfung in unserem Sinn. Soweit aber diese auf­gestauten Ersparnisse unter Berücksichtigung ihres nunmehrigen Bewegungs­rhythmus im Kreislauf unmittelbar güterwirtschaftlich gedeckt sind, ist ein­deutig der Tatbestand der Kreditvermittlung gegeben — sowohl in unserem als auch im Sinne Forstmanns - , vorausgesetzt allerdings, dass diese entstauten Be­träge eine Leistungsreserve repräsentieren, die durch die Stauung bzw. den vor­angegangenen Konsumaufschub entstanden ist. Dabei wäre zu beachten, dass die Vorgänge im realen Bereich und die Preisverschiebungen, die wahrscheinlich eingetreten sind, das Ausmass der güterwirtschaftlichen Deckung der ursprüng­lichen echten Ersparnisse verändert haben.

Die Forderung nach theoretischer Exaktheit verbietet bereits aus diesem dargelegten Grunde die Gleichsetzung von Geldschöpfung und Kreditschöpfung und die synonyme Verwendung der beiden Begriffe. Unsere Argumentation kann aber noch nach anderen Richtungen hin erweitert und ergänzt werden.

Erstens liegt es gar nicht offen auf der Hand, dass eine Geldschöpfung im oben beschriebenen Sinn einer Erweiterung des aus dem Bankbereich fliessenden Geldstromes nur kreditweise erfolgen kann. Man denke nur an Herabsetzungen der Kassenbestände seitens jener Wirtschaftssubjekte, die über Kassenführungs­guthaben bei den Banken verfügen; dabei interessiert uns zunächst nicht, in welcher Geldart die Auflösung dieser Absorptionsfonds erfolgt. Solange alle ande­ren Vorgänge und Grössen im Bankbereich gleich bleiben, d. h. vor allem Spar-und Kreditvolumen unverändert sind, und die Banken den Anforderungen der Guthabenbesitzer nachkommen, haben wir es offensichtlich mit einer Geld­schöpfung zu tun. Wie es mit der Durchfuhrung bzw. Durchführbarkeit praktisch steht und welche Folgeerscheinungen zu erwarten sind, kann uns hier, wo es nur um die theoretisch-begriffliche Erfassung geht, nicht interessieren.

Zweitens müssen die «leeren» Ersparnisse berücksichtigt werden - ganz gleich, wie gross man ihre Bedeutung einschätzen mag. Da sie real ungedeckt er­scheinen, muss ihre Weitergabe unbedingt als «Kreditschöpfung» angesehen werden. Eine Geldschöpfung ist mit dieser Vermittlung «leerer» Ersparnisse aber nicht verbunden, es sei denn, man betrachte die Übergabe der «leeren» Ersparnisse durch die Sparer an die Bank als «Ausschleuderung» aus dem Geld­strom und «güterwirtschaftlich gerechtfertigte» Geldstromschrumpfung, die durch den «Kreditschöpfungs»-Akt wieder aufgehoben wird. Aber da hier doch

stungsreserve entsteht, sind die sich üblicherweise beim Spar-, Kredit- und Investitionsvorgang ergebenden Verzögerungen im Umlauf, die gleichbedeutend mit Geldstromschrumpfung sind.

1 Vgl. hiezu W.A. Jöhr, a.a.O., S. 491 ff. und S. 515. 2 Nach Jöhr handelt es sich hier nicht um Geldschöpfung, sondern «lediglich um ein In-

Gang-Setzen von Geldbeständen, die vorher zur Ruhe verurteilt waren». (Siehe ebenda.)

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das wesentliche Merkmal eine Divergenz zwischen dem das Banksystem ver­lassenden und dem in der gleichen Zeiteinheit das Banksystem betretenden Geld­stromzweig im Hinblick auf die Strombreite fehlt, möchten wir von dieser Aus­legung keinen Gebrauch machen.

Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass «Kreditschöpfung» und «Geldschöpfung» zwei verschiedene Sachverhalte sind. Bankmässige «Kredit­schöpfung» geht zwar weitgehend mit bankmässiger Geldschöpfung Hand in Hand, ohne aber notwendig immer mit ihr verbunden zu sein. «Kreditschöpfung» erfolgt ohne Geldschöpfung, wenn es sich um Kreditgewährung aus einströmenden real ungedeckten, keinem echten Konsumverzicht entstammenden und daher keine volkswirtschaftliche Leistungsreserve repräsentierenden Mitteln handelt. Während aber die «Kreditschöpfung» die Geldschöpfung nur relativ geringfügig überlappt, geht die Geldschöpfung weit über die «Kreditschöpfung» hinaus. Geldschöpfungsvorgänge können in mehreren Fällen unabhängig von « Kredit­schöpf ungs»-Vorgängen erfolgen. Mit anderen Worten: «Kreditschöpfung» der Banken ist nur eine der vielen Arten, in der Geldschöpfung im Sinne von Geld­stromerweiterung erfolgen kann, und auch nur eine Art der bankmässigen Geld­schöpfung. Damit ist auch schon die viel grössere theoretische Bedeutung der bankmässigen Geldschöpfung gegenüber der «Kreditschöpfung» wenigstens an­gedeutet.

Als dritte uns interessierende Banktätigkeit neben der «Kreditschöpfung» und der Geldschöpfung ist noch die Veränderung der Struktur des Geldstromes zu nennen, die schon mehrfach erwähnt wurde; sie muss von der Geldschöpfung streng unterschieden werden.

An dieser Stelle kann die Frage der Zweckmässigkeit des Ausdruckes « Kre­ditschöpfung» wieder aufgerollt werden. Es hat sich gezeigt, dass der Tat­bestand der bankmässigen Schaffung neuer, formal zusätzlicher Kreditbe­ziehungen keine wesentliche oder entscheidende Rolle spielt, genau so wenig wie die Giralgeldschöpfung. Es ist vielmehr so, wie Voigt sagt, nämlich «dass durch die Tätigkeit der Kreditbanken eigentlich nicht der ,Kredit6 neu geschöpft wird, sondern Verfügungsmacht über die Sozialleistung, im Idealfall über die volks­wirtschaftliche Leistungsreserve» 1. Was die Banken schöpfen, ist zusätzliche Kapitaldisposition; sie leiten Verfügungsmacht über Kaufkraft, über volkswirt­schaftliche Leistungsreserven, in die Hände der Kreditnehmer, ohne die ent­sprechende «echte» Kapitaldisposition zu besitzen, also ohne mit güterwirt­schaftlicher Entsprechung ausgestattete eigene oder fremde Mittel zu haben.

Aus allem, was bisher ausgeführt wurde, geht hervor, dass« Kreditschöpfung» nicht durch Geldschöpfung ersetzt werden kann; wir können aber den oben her­vorgehobenen Sachverhalt bei der Wahl des Ausdrucks berücksichtigen. Da die Bezeichnung Kaufkraftschöpfung insofern ausscheidet, als «Kaufkraft» in viel­fältiger Weise, so vor allem im Zusammenhang mit dem Geldwert, verwendet wird, und Kaufkraftschöpfung auch als Synonym für Geldschöpfung in verschie­denem Sinne gebraucht wird, bleibt nichts anderes übrig, als sich auf den Begriff

1 Siehe F. Voigt, a.a.O., S. 224.

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214 Gertrud Neuhauser

der Kapitaldisposition zu stützen. Wir möchten vorschlagen, die Ausdrücke «Kreditschöpfung» und «zusätzlichen Kredit» zu ersetzen durch die Bezeich­nungen «bankmässige Schöpfung von zusätzlicher Kapitaldisposition», oder kurz «Kapitaldispositionsschöpfung», und «zusätzliche Kapitaldisposition». Damit ist das problematische Wort «Kreditschöpfung» vermieden und die Ab­grenzung vom Begriff der Geldschöpfung vollzogen.

V.

Zum Schluss muss noch ein Begriff geklärt werden, der als «autonome» Kredit- und Geldschöpfung in der Literatur häufig verwendet und im Sinne von «notenbankunabhängig» gebraucht wird. Unser kreislauftheoretischer Geld­schöpfungsbegriff kann ohne weiteres an Stelle der im Schrifttum gebräuchlichen Geld- bzw. Kreditschöpfungsbegriffe mit der Vorstellung der Autonomie in diesem Sinne verbunden werden. Die folgenden Überlegungen gelten sinngemäss auch für die Kapitaldispositionsschaffung, soweit sie der Hilfe von Geldschöp­fungsakten bedarf.

Autonom, notenbankunabhängig, ist die Geldschöpfungstätigkeit der Banken dann und insoweit, als sie vorgenommen wird oder werden kann, ohne dass zu­sätzliche Notenbankkredite erforderlich sind, um die zusätzlich entstandenen Verbindlichkeiten erfüllen zu können. In diesem Fall ergibt sich also für die Banken keine Notwendigkeit, zusätzliches Stückgeld zur Bewältigung von Stück­geldabzügen oder Notenbankgiro zur Abdeckung eventuell auftretender Clearing-spitzen von der Notenbank zu beschaffen. Streng genommen widerspricht auch die im Rahmen der Offen-Marktpolitik durch Wertpapierverkauf seitens der Banken durchgeführte Barmittelbeschaffung dem Grundsatz der Autonomie. Der Begriff der «autonomen Geldschöpfung» ist für die theoretische Analyse insofern von Bedeutung, als damit die aus eigener Kraft der Banken durch­geführte Geldschöpfungstätigkeit als selbständiger Faktor, eigenständige Grösse erfasst wird. Die oben wiedergegebene übliche Definition der «Autonomie» er­scheint uns theoretisch unexakt und nicht ohne weiteres brauchbar, wenn man sie vom Standpunkt einer kreislauftheoretischen Betrachtung aus beurteilt. Genau genommen kann von «Autonomie» der Geldschöpfung nur gesprochen werden, wenn diese auf der Grundlage einer relativ unveränderten Notenbank­tätigkeit erfolgt; d. h. wenn die Geldschöpfungstätigkeit der Notenbank zwar Veränderungen unterworfen ist, aber ohne dass dies in irgendeinem direkten Zusammenhang mit der bankmässigen Geldschöpfung steht. Man kann dabei so weit gehen, auch alle anderen Faktoren, die Wirkungen auf den Geldstrom aus­üben, auszuschliessen, wie z. B. Wandlungen der Zahlungssitten und sogar Ver­änderungen im realen Bereich sowie Preisbewegungen; dabei gerät man aber freilich in Gefahr, den Begriff ad absurdum zu fuhren.

Diese wenigen Bemerkungen müssen hier genügen. Wir hoffen, dass uns die beabsichtigte Verfeinerung der kreislauftheore­

tischen Betrachtung von Geld- und Kapitaldispositionsschaffung gelungen ist. Kapitaldispositionsschaffung - an die Stelle des vieldeutigen, sinnlogisch nicht

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Kreislauf theoretische Analyse der bankmässigen Geld- und « Kreditschöpfung» 215

recht angebrachten Ausdruckes «Kreditschöpfung» gesetzt - haben wir als jene Banktätigkeit erkannt, bei der aus dem Bankbereich mehr Kapitaldisposition, mehr Verfiigungsmacht über volkswirtschaftliche Leistungsreserve, hinaus-fliesst als an echter, gütermässig gedeckter Kapitaldisposition in die Banken gelangt. Abgesehen von der Weitergabe «leerer» Ersparnisse, kann die Kapital­dispositionsschaffung nur mit Hilfe einer Geldschöpfung vor sich gehen. Geld­schöpfung ist dagegen ganz allgemein jede Banktätigkeit, die den aus dem Bank­bereich fliessenden Geldstromzweig relativ verbreitert, d. h. im Verhältnis zu dem im gleichen Zeitraum einfliessenden Strom erweitert. Die Geldschöpfung kann sowohl durch Geldmengenvermehrung in Form von Geldschöpfung als auch durch Erhöhung der Kreislaufgeschwindigkeit durch Auflösung von Ab­sorptionsfonds, die sich bei der Bank befinden oder ihr zufliessen, geschehen. Dabei ist zu beachten, dass nicht jede Giralgeldschöpfung eine Geldmengenver­mehrung mit der Wirkung einer Geldstromerweiterung ist. Den Anlass zu Geld­schöpfungsakten können, ausser der Kreditschöpfung, einmal Kreditvermitt­lungsakte geben - und zwar im Falle der Entstauung von Spareinlagen —, zum andernmal Änderungen der Kassenhaltung der Bankgläubiger. Eine Giralgeld­schöpfung ist nur dann gesamtwirtschaftlich oder kreislaufmässig zusätzlich, wenn sie eine Geldstromerweiterung im oben beschriebenen Sinne mit sich bringt.

Die gewonnenen Einsichten erlauben den Schluss, dass nicht - wie die inten­sive Behandlung des «Kreditschöpfungsproblems» in der Literatur vermeinen lässt - die bankmässige Kapitaldispositionsschaffung, sondern die Geldschöpfung der Banken die volkswirtschaftlich bedeutsamere und theoretisch interessantere Erscheinung ist, deren Analyse auch kreditpolitisch wichtige Probleme und Aspekte erschliesst.

Wenn man das Problem der bankmässigen Geldschöpfung weiter verfolgen will, muss man sich mit der Frage befassen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmass die Banken tatsächlich in der Lage sind, die Breite des Gesamtgeldstromes und insbesondere des Einkommensstromes zu beeinflussen. Die Rolle der Banken bei der Versorgung der Wirtschaft mit Geld und Geld­kapital zu klären, ist eine Aufgabe, die nur gelingen kann, wenn man die kreis­lauftheoretische und die markttheoretische Betrachtungsweise miteinander ver­bindet.