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Newsletter der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ 5 | 2018
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Verändern Praxissemester den Vorbereitungsdienst/das Referendariat?
Von Heike Scheika
Einleitung
Das „Schreckensbild von überforderten, nicht auf eine Tätigkeit in der Schule vorbereiteten
Junglehrerinnen und Junglehrern, die im Referendariat vor einer Schulklasse stehen und den
sogenannten >>Praxisschock<< erleben, geistert seit Jahrzehnten durch die öffentliche Dis-
kussion“ (Monitor Lehrerbildung, 2013). Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern ist in
Deutschland in zwei Phasen gegliedert. „Beide Phasen enthalten sowohl Theorie- als auch
Praxisanteile mit unterschiedlicher Gewichtung. Ausgehend von dem Schwerpunkt Theorie
erschließt die erste Phase die pädagogische Praxis, während in der zweiten Phase diese Pra-
xis und deren theoriegeleitete Reflexion im Zentrum stehen“ (KMK, 2014, S. 4).
Der Theorie-Praxis-Bezug gehört zu den zentralen Diskursthemen seit es institutionalisierte
LehrerInnenbildung gibt“ (Stiller, 2017, S. 4). „Dem immerwährenden „Ruf nach mehr Praxis“
(Terhart, 2013, S. 5) wurde […] mit der Einführung eines „Praxissemesters“ für Lehramtsstu-
dierende nachgekommen“ (Festner, Schaper, Gröschner, 2018, S. 164). Betrachtet man die
Lehrerausbildung in Deutschland aus systemischer Sicht, ergibt sich zwangsläufig die Frage
nach den Konsequenzen von Veränderungen der ersten Lehrerausbildungsphase für die
nachfolgende. Eine empirisch abgesicherte Beantwortung dieser Frage kann nur durch wis-
senschaftliche Begleitstudien solcher Veränderungsprozesse erfolgen. Deshalb gibt dieser
Beitrag eine subjektive Sicht der Autorin aus Perspektive der Zweiten Phase wieder.
Ausgangspunkt dieses Beitrages ist zunächst die Auseinandersetzung mit der Rolle des Pra-
xisbezuges in der Lehrerausbildung, wobei insbesondere auf die Bedeutung der Lernbeglei-
tung eingegangen werden soll. Anschließend werden die Anforderungen an den Vorberei-
tungsdienst/Referendariat, als eine eigenständige Praxisphase, dargestellt. Die Begriffe Vor-
bereitungsdienst und Referendariat werden in diesem Beitrag synonym verwendet. Einher-
gehend mit den Reformen in der Lehrerausbildung an den Universitäten und Hochschulen
kam es auch zu Veränderungen in der Zweiten Phase, die aufgrund der unterschiedlichen
institutionellen Verankerung der Institutionen der Zweiten Phase in den Bundesländern le-
diglich beispielhaft dargestellt werden. Eine in den meisten Bundesländern sichtbare Verän-
derung ist die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes/Referendariates. In einem Fazit wer-
den Konsequenzen und Chancen dargestellt.
Die Rolle des Praxisbezuges in der Lehrerbildung
Seit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung 1999 wurden zahlreiche Reformen an den
Universitäten und Hochschulen begonnen und umgesetzt. Das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung fördert in der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ Projekte, welche die
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Qualität und die Attraktivität der Lehrerausbildung erhöhen soll. Ansatzpunkte dieser Quali-
tätsoffensive sind bspw. „Neue Medien und besserer Praxisbezug, professionelle Beratungs-
angebote und eine enge Verzahnung von Studium, Referendariat und Weiterbildung“
(BMBF, 2016, S. 5). Damit greift die Initiative des BMBF ein zentrales Reformziel von Bologna
auf, dass sich der Frage des Praxis- und Berufsbezuges und dabei insbesondere den Praxis-
phasen im Studium widmet. PRENZEL betont, dass Lehramtsstudiengänge in ihrer „Grundori-
entierung darauf abzielen, dass Menschen für bestimmte berufliche Tätigkeiten qualifiziert
werden“ (BMBF, 2016, S. 8). „Das Studium der klassischen Professionen (Ärzte, Richter,
Priester, aber auch Lehrer) an der Universität ist im Grunde Berufsausbildung. In diesem de-
zidiert berufsqualifizierenden Studiengängen (Medizin, Jura, Theologie, Lehramt) sind Praxi-
sphasen integraler Bestandteil, so beispielsweise in der Lehrerausbildung mit ihren Orientie-
rungspraktika, schulpraktischen Übungen, Schulpraktika und – nach dem Studium – dem
Vorbereitungsdienst“ (Winter, 2011, S. 27f). WINTER hebt nicht nur die Bedeutung der Ver-
knüpfung von Lernphasen in der Hochschule und den Übungsphasen in der Schule hervor,
sondern auch die „Verschränkung von fachwissenschaftlicher (also schulferner) und pädago-
gisch-didaktischer (also stärker schulbezogener) Elemente im Studium (vgl. ebd., S. 28). Die-
se Anforderung gilt in ihrer Bedeutsamkeit ebenso für die Verknüpfung von Inhalten der
Fachseminare mit den allgemein-pädagogischen Seminaren im Vorbereitungsdienst.
NEUWEG macht deutlich, dass ein Auseinanderdividieren von Theorie und Praxis in der Leh-
rerausbildung als „Extrempole den angehenden Lehrkräften nicht helfen, pädagogische Kön-
nerschaft zu entwickeln“ (Stiller, 2017; S. 4f). Damit wird der Dichotomie von Theorie und
Praxis in der Lehrerausbildung eine klare Absage erteilt. Grundsätzlich sind die „Formen von
Praxisbezügen im Rahmen der Hochschule […] sehr vielfältig: Sie reichen von eher for-
schungsorientierten Zugängen (Praxis als Gegenstand von Forschungen, Praxisforschung)
über lehrorientierte Zugänge (Praxis als Thema in der Lehre, z. B. über Texte, Statistiken,
Filme, Reflexion von Fallstudien, Erkundung bzw. Beobachtung von Praxis, Interviews mit
Praktikern, Lehrangebote von Praxisvertretern) sowie dialogorientierte Zugänge (Theorie-
Praxis-Workshops, Dialoge von Wissenschaftlern und Praktikern, Projektstudien) bis hin zu
praxisorientierten Angeboten (Praxisseminare, Praxiserprobungen im geschützten Raum der
Hochschule, z. B. Rollenspiele, Simulationen) und letztlich zu den Praktika selbst (z. B. Hospi-
tations-, Tages-, Blockpraktika, Praxissemester)“ (Winter, ebd., S. 91). Praxis bedeutet dem-
nach nicht ausschließlich das Erleben tatsächlicher Schulpraxis, sondern beinhaltet vielfältige
andere Formen, mit denen es möglich ist, den Schulalltag oder den Unterricht mittels Vi-
deos, Fallvignetten, Trainings o. a. in die universitäre Praxis zu holen, was in gleichem Maße
auf seminaristische Lernsettings im Vorbereitungsdienst zutrifft. Zukünftig werden sich mit
den Möglichkeiten der Digitalisierung noch weitere Lerngelegenheiten durch digitale Lern-
formate und -methoden ergeben.
„Der practical turn in der Lehrerbildungsdidaktik macht auf die Grenzen und Probleme des
Wissenschaftsprinzips aufmerksam, für die sensibel zu sein in der Tat wichtig ist“ (Neuweg,
2007, S. 1). Praktika dienen dem Kennenlernen von beruflichem Handeln sowie der Weiter-
gabe von wissenschaftlichem Wissen in das Berufsfeld und sind für die berufliche Professio-
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nalisierung von zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern besonders bedeutsam. Sie können
maßgeblich zur Erhöhung der Qualität der Lehrerausbildung beitragen, wenn die erworbe-
nen theoretischen Grundlagen mit der eigenen unterrichtspraktischen Erfahrung verschränkt
werden (vgl. Korthagen, 2010). Dem Ziel der Verzahnung von Theorie und Praxis fügen REIN-
HOFFER und DÖRR (2008, S. 14) noch zwei weitere Ziele von universitären Praxisphasen hinzu:
die Überprüfung und Reflexion der Berufswahl sowie die Anbahnung und Reflexion grundle-
gender Kompetenzen.
Zur im Hintergrund spürbaren Frage nach der vermeintlich größeren Bedeutung von Theorie
oder Praxis für die Lehrerausbildung schreibt Stiller, dass in „beiden Polen […] die jeweils
eigene Wissensform verabsolutiert und die andere Wissensform entwertet“ wird (Stiller,
2017, S. 5). „Diese entgegengesetzten Pole stehen auch sinnbildlich für die Phasen der Lehr-
erbildung – Universität und Vorbereitungsdienst, die über lange Zeit schlecht abgestimmt,
mit gegenseitigen Abwertungstendenzen eher aneinander vorbei gearbeitet haben, anstatt
einen kontinuierlichen Kompetenzaufbau zu ermöglichen.
„Die Bologna Reform […] hat ein sehr heterogenes Bild in der deutschen Hochschulland-
schaft verursacht. Im Hinblick der Lehrerausbildung ist ein „Flickenteppich“ (Keuffer, 2009)
entstanden, der sich nicht zuletzt auf die Gestaltung der Schulpraktischen Studien auswirkt“
(Gröschner & Schmitt, 2010, S. 89). Praxissemester gelten mittlerweile an den meisten Leh-
rerinnen und Lehrer ausbildenden Universitäten als ein fester Studienbestandteil. „Der Auf-
bau und die Organisationsformen universitärer Praxisphasen sind sehr vielfältig, ebenso de-
ren Bezeichnung (vgl. Reinhoffer & Dörr, 2008). Neben der Bezeichnung „Praxissemester“
findet man für die Bezeichnung der längeren universitären Praxisphasen u. a. die Begriffe
„Schulpraxissemester“ in Baden-Württemberg oder „Komplexes Schulpraktikum“ für die
Praxisphase an der Universität Erfurt. Diese mehrwöchigen, einsemestrigen bzw. ein Schul-
halbjahr dauernden Praxisphasen sind sehr häufig in den lehramtsbezogenen Master bzw.
das Lehramtsstudium integriert. Terhart forderte seinerzeit, dass ein Praxissemester in das
Studium eingebettet und von der Universität vor- und nachbereitet sowie begleitet sein
muss. Er forderte eine enge Kooperation mit den Praktikumsschulen sowie eine ausreichen-
de Personalkapazität, um die koordinierende Betreuung zu gewährleisten (vgl. Stiller, 2017,
S. 5).
Die Praktikumsämter an den Zentren für Lehrerbildung der Universitäten/Hochschulen
übernehmen die Koordination der Kooperation der verschiedenen am Praxissemester betei-
ligten Partner. Die Herausforderung besteht darin, die Ausgestaltung des Praxissemesters
mit den beteiligten, unterschiedlich strukturierten Institutionen kooperierend zu verantwor-
ten. Zu den außeruniversitären Kooperationspartnern gehören in erster Linie die Ausbil-
dungslehrkräfte an den Ausbildungsschulen. Andere außeruniversitäre Kooperationspartner
können bspw. die Staatlichen Studienseminare (oder Institutionen mit vergleichbaren Auf-
gaben, die in den Bundesländern verschieden bezeichnet werden) mit ihren Ausbilderinnen
und Ausbildern sein, die in einigen Bundesländern für Ausbildungsaufgaben im Praxissemes-
ter zuständig sind. Eine Form einer solchen Kooperation mit der Zweiten Phasen kann bspw.
auf der personellen Ebene erfolgen, in dem Ausbilderinnen und Ausbilder der Einrichtungen
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der Studienseminare als Dozentinnen oder Dozenten in den Begleitveranstaltungen zum
Praxissemester am Studientag an der Universität tätig werden, wie es u. a. in Thüringen
praktiziert wird. In Baden-Württemberg finden die entsprechenden Begleitveranstaltungen
an den Staatlichen Seminaren für Didaktik und Lehrerbildung statt und werden vom Personal
der Zweiten Phase verantwortet.
Inneruniversitär muss die Kooperation mit den beteiligten fachdidaktischen Bereichen und
der Erziehungswissenschaft koordiniert werden. Tragfähige Kooperationen entstehen dort,
wo Menschen sie gemeinsam aufbauen und weiterentwickeln. Aus diesem Grund muss der
Informationsfluss unter den beteiligten Kooperationspartnern unbedingt gewährleistet wer-
den. Notwendig sind u. a. der Abgleich der gegenseitigen Erwartungen der Kooperations-
partner aneinander, ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe sowie Fortbil-
dungsangebote für die Ausbildungslehrkräfte an den Schulen, die in einigen Bundesländern
bereits etabliert sind. „Die Qualität von Praktika hängt davon ab, inwieweit die schulischen
fachbegleitenden Lehrkräfte mit den aktuellen Zielen und Inhalten der Lehrerbildung ver-
traut sind“ und diese umsetzen (BMBF, 2016, S. 19). STILLER stellt mit dem Blick auf das Pra-
xissemester in Nordrhein-Westfalen fest, dass der „intensive Austausch zwischen den Insti-
tutionen sowie die hohe Bereitschaft aller Beteiligten, zum Gelingen“ des Praxissemesters
beigetragen haben und damit „einen sehr konstruktiven und innovativen Prozess in Gang
gesetzt und das außerordentlich differenzierte Lernpotenzial für die Professionalisierung von
Studierenden gezeigt“ haben (Stiller, 2017, S. 6).
Für die Studierenden im Praxissemester finden vorbereitende, begleitende und nachberei-
tende Veranstaltungen in der Regel an einem wöchentlichen Studientag statt. Während die
Lehrenden aus der ersten und im Idealfall der zweiten Phase der Lehrerausbildung für die
Begleitveranstaltungen der Studierenden und in einigen Bundesländern auch für Unter-
richtsbesuche verantwortlich sind, beraten die Ausbildungslehrkräfte an den Schulen die
Studierenden während des Praxissemesters am Lernort Schule. Im Praxissemester soll er-
möglicht werden, „Wissen und Erfahrung in einem gut vorbereiteten und intensiv begleite-
ten Ausbildungs-Setting im gesetzlich abgesicherten Verbund der Phasen der LehrerInnen-
bildung gemeinsam mit dem zentralen Lernort Schule systematisch aufeinander zu bezie-
hen“ (ebd.).
In den ersten Wochen hospitieren die Studierenden verstärkt im facheigenen und fachfrem-
den Unterricht unter Berücksichtigung verschiedener Beobachtungskriterien, die in den je-
weiligen Begleitmaterialien für das Praxissemester festgeschrieben sind. Mit zunehmender
Praktikumsdauer wird der Anteil der Hospitationen geringer, während der Anteil des Unter-
richtens steigt. Unterrichtet wird vermehrt in den jeweiligen Ausbildungsfächern, wobei
meist eine konkrete Anzahl an Unterrichtsstunden, die geplant, durchgeführt, ausgewertet
sowie dokumentiert werden müssen, vorgegeben sind. Darüber hinaus sind verschiedene
Studienaufträge anzufertigen. Die konkreten Anforderungen an das Praxissemester sind in
den jeweils gültigen rechtlichen Grundlagen der Bundesländer und in den Handreichungen
der Universitäten/ Hochschulen mit Informationen zum Praxissemester geregelt. So gibt es
u. a. Vorgaben zum aufzubringenden Zeitaufwand für die Anwesenheit in der Schule, für die
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Vor- und Nachbereitung sowie für die Begleitveranstaltungen. Zu den Aufgaben an der Prak-
tikumsschule gehören neben dem Hospitieren und Unterrichten auch die Teilnahme an an-
deren schulischen Veranstaltungen, wie bspw. Konferenzen, Elternabenden und -
gesprächen, Klassenfahrten, Aktivitäten des Ganztags und Pausenaufsichten. Damit soll ein
umfänglicher Einblick in den Berufsalltag eines Lehrers ermöglicht werden. Stiller stellt klar,
dass das „Praxissemester […] ein völlig neues Format und kein vorgezogener Vorbereitungs-
dienst“ ist (vgl. ebd., S. 7). Diese Klarstellung ist wichtig. Der Vorbereitungsdienst in Deutsch-
land, als die zweite, sich anschließende Ausbildungsphase, hat eine weit über die Anforde-
rungen des Praxissemesters hinausreichende Funktion. Das bringt die Berliner Erklärung des
Bundesarbeitskreises der Seminar- und Fachleiter/innen (BAK-Lehrerbildung), als bundes-
weite Interessenvertretung der Ausbilderinnen und Ausbilder der zweiten Lehrerausbil-
dungsphase deutlich zum Ausdruck.
Der Vorbereitungsdienst/das Referendariat als „abschließende Praxisphase“ in der Lehrer-ausbildung
Bereits vor Bologna haben Lehramtsstudierende erste unterrichtspraktische Erfahrungen
während ihres Studiums sammeln können. Die Zeiträume für einen Einblick und ein erstes
sich Ausprobieren in der Schulpraxis waren kurz. Der erste längere Kontakt mit der schuli-
schen Praxis fand im Vorbereitungsdienst statt. KOŠINÀR bezeichnet das Referendariat aus
berufsbiografischer Sicht als „Schnittstelle zwischen dem überwiegend theoretisch und
fachwissenschaftlich ausgerichteten Studium und dem Berufseinstieg“ (Košinàr, 2014, S. 29).
Im Vorbereitungsdienst nimmt die Eigenverantwortung der Lehramtsanwärterinnen und
Lehramtsanwärter in der Umsetzung der schulischen Anforderungen schrittweise zu.
„Der Vorbereitungsdienst ist eine eigenständige, schulpraktisch ausgerichtete, abschließen-
de Phase der Lehrerausbildung“ (KMK, 2012). Ausgehend von den in der universitären Aus-
bildungsphase erworbenen „fachwissenschaftlichen fachdidaktischen und bildungswissen-
schaftlichen Kompetenzen“ sollen im Vorbereitungsdienst die „Kompetenzen für das Berufs-
feld des Lehrers“ weiterentwickelt werden (ebd., S. 2).
„Studienseminare sind Agenturen des pädagogischen Vorbereitungsdienstes. Sie knüpfen
mit ihrer Arbeit an die Kompetenzvermittlung der Lehramtsstudiengänge an und haben so-
wohl qualifizierende als auch bewertende Aufgaben. In Flächenstaaten dienen sie oft auch
als regionale Qualifizierungszentren für die Weiterentwicklung der Schul- und Unterrichts-
qualität. In systemischer Sicht haben sie wegen ihrer Aufgabe der Bewertung von berufsbe-
zogenen Kompetenzen der Referendarinnen und Referendare eine „Wächterfunktion“ für
den Lehrerberuf“ (Döbrich & Storch, 2012, S. 5). In den „Ländergemeinsamen Anforderun-
gen für die Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes und die abschließende Staatsprüfung“
sind strukturelle und inhaltliche Anforderungen an den Vorbereitungsdienst festgeschrieben.
Die Ausbildung soll die theoretische Anleitung, die unterrichtliche Erprobung sowie eine
Theorie geleitete Reflexion beinhalten, die in unterschiedlichen Ausbildungsformaten umge-
setzt wird (vgl. KMK, 2012, S. 3). Mit vergleichbaren Zielvorstellungen formulieren REINHOFFER
und DÖRR (2008) drei Anforderungen an die Schulpraktika: durch den Einblick in das umfang-
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reiche Aufgabenfeld eines Lehrers den eigenen Berufswunsch hinterfragen, die Anbahnung
professionsbezogener Kompetenzen sowie die Theorie-Praxis-Verschränkung. Als Qualitäts-
anforderung an die inhaltliche Ausgestaltung der theoretischen und praktischen Ausbil-
dungsphasen werden die „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“
(Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 12.06.2014) zugrunde
gelegt. Ein Vergleich der Anforderungen nach REINHOFFER und DÖRR an die Schulpraktika mit
denen der KMK an den Vorbereitungsdienst zeigt Folgendes: Diejenigen Lehramtsanwärter,
die den Vorbereitungsdienst antreten, sollten bezogen auf ihre Berufswahl gefestigt sein, um
in der zweiten Lehrerausbildungsphase ihre im Praxissemester angebahnten professionsbe-
zogenen Handlungskompetenzen in den von der KMK benannten elf Handlungsfeldern wei-
terentwickeln zu können. Der von REINHOFFER und DÖRR fokussierte Orientierungscharakter
eines Praxissemesters hinsichtlich der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Berufs-
wahlentscheidung ist jedoch nur dann möglich, wenn dieses nicht erst in den letzten Semes-
tern platziert ist. Das Ziel der Theorie-Praxis-Verschränkung schreiben sich beide Ausbil-
dungsphasen zu. Während in der Ausbildung an der Universität/ Hochschule eher ausgehend
von der Theorie Bezüge zu schulischen Praxis hergestellt werden, bildet in der Zweiten Phase
die erlebte Praxis den Ausgangspunkt. Davon ausgehend werden im Sinne einer Theorie ge-
leiteten Reflexion Bezüge zu den theoretischen Grundlagen hergestellt. Bei einem weiteren
Vergleich von Praxissemester und Vorbereitungsdienst fallen darüber hinaus einander äh-
nelnde Ausbildungsformate auf, wie bspw. seminaristische Veranstaltungsformen an einem
Ausbildungs- bzw. Studientag am Studienseminar bzw. an der Universität/Hochschule, Un-
terrichtshospitationen, die Bearbeitung von Ausbildungs- bzw. Studienprojekten, begleiteter
Unterricht an der Ausbildungsschule sowie die Begleitung und Beratung durch die Ausbil-
dungslehrkräfte an den Schulen. Im Vorbereitungsdienst müssen die Lehramtsanwärterin-
nen und Lehramtsanwärter darüber hinaus selbstständigen bzw. eigenverantwortlichen Un-
terricht (je nach Bezeichnung in den Bundesländern) erteilen. Sie erhalten Unterrichtsbesu-
che durch die Ausbilderinnen und Ausbilder der zuständigen Einrichtung der zweiten Phase.
Im Rahmen von Unterrichtsnachbesprechungen werden die Lehramtsanwärterinnen und -
anwärter beraten und im Rahmen von benoteten Lehrproben bewertet. Es gibt Ausbildungs-
bzw. Orientierungsgespräche, die den jeweiligen Entwicklungsstand aufzeigen sollen. In eini-
gen Bundesländern ist die Arbeit mit einem Portfolio verbindlich festgelegt.
Die Grundlage für die Ausbildung im Vorbereitungsdienst in den Bundesländern bilden je-
weils die ausgehend von den Kompetenzen und Standards für den Vorbereitungsdienst ent-
wickelten Kern- bzw. Ausbildungscurricula. Die kompetenzorientierten Ausbildungs- und
Prüfungsformate der zweiten Lehrerbildungsphase sind in den jeweiligen rechtlichen Grund-
lagen der einzelnen Bundesländer festgeschrieben. Geprüft werden die berufspraktische
Handlungsfähigkeit sowie die Fähigkeit, die eigene Entwicklung durch eine Theorie-Praxis-
Verzahnung zu reflektieren. Der Vorbereitungsdienst schließt mit der Zweiten Staatsprüfung
bzw. mit dem Zweiten Staatsexamen ab.
Mit seinen qualifizierenden und bewertenden Aufgaben leistet der Vorbereitungsdienst ei-
nen bedeutsamen Beitrag zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenzen. Er bereitet
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die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter als eigenverantwortlich Handelnde auf ihre spä-
tere Unterrichts- und Erziehungstätigkeit vor. Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern
zielt „auf ein Berufsbild ab, das eine souveräne und zugleich nachdenkliche Lehrerpersön-
lichkeit anstrebt, die selbstverantwortlich und reflektiert agiert, die Theorie und Praxis zu
verbinden weiß, die inklusiv denkt und handelt und die sich für einen komplexen und an-
spruchsvollen Beruf interessiert […] Die kompetenzorientierte Ausbildung […] erhebt den
Anspruch, dass die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst berufsbezogene Fähigkeiten und Fer-
tigkeiten entwickeln und dabei ihre Kompetenzen problembezogen, methodisch und im so-
zialen Austausch anwenden und zugleich ihre professionelle Haltung reflektieren“ (LI, Ham-
burg, 2018, S. 4).
Die Rolle der Lernbegleitung in den Praxisphasen der Lehrerausbildung
Lernbegleitung soll hier zum einen im Sinne einer Begleitung bzw. Beratung zur Unterrichts-
praxis verstanden werden, zum anderen als Begleitung oder Anleitung im Rahmen semina-
ristischer Ausbildungsveranstaltungen und der individuellen Lernbegleitung bspw. in der
Portfolioarbeit oder mittels Coachingangeboten.
GRÖSCHNER stellt fest, dass die Lernbegleitung in den universitären Praxisphasen durch die
schulischen Ausbildungslehrkräfte von den Studierenden als sehr bedeutsam eingeschätzt
wird. Neben der Unterstützung im Umgang und der Bearbeitung der Studienaufgaben leisten
die in der Schule an der Ausbildung Beteiligten eine wichtige psychologische und emotionale
Unterstützung, was von den angehenden Lehrerinnen und Lehrern als besonders wertvoll
erachtet wird. Mit dem Rückblick auf ihr Praxissemester schätzen Lehramtsanwärterinnen
und Lehramtsanwärter insbesondere die Absprachen mit den Fachlehrkräften zur Unter-
richtsvorbereitung als hilfreich ein. Besonders wichtig sind ihnen feste Ansprechpartner so-
wie die Rückmeldung der zuständigen Lehrkraft nach einer Unterrichtshospitation. „In der
Evaluation der Praxissemester zeigte sich, dass Studierende häufig solche Lehrkräfte nach-
ahmen, die zeigen „wie es geht“. Sie nehmen sie als „Meister“ wahr, die den beruflichen
Nachwuchs „anlernen“. Zeigt jedoch eine Lehrkraft in ihrem Handeln begründet reflektie-
rende Elemente, dann hat dieses Rollenbild eine Chance der Übernahme“ durch die Lernen-
den (BMBF, 2016, S. 19). Dies gilt in gleichem Maße für das Lernen im Vorbereitungsdienst.
Wirklich gute, handlungsfähige Lehrkräfte sind reflektierte Praktiker. „Vielfältige Erfahrun-
gen sowie Untersuchungen zeigen immer wieder, welchen wertvollen Beitrag Reflexion für
die Sinnstiftung im Beruf und damit für Berufszufriedenheit und Gesunderhaltung leisten
kann“ (LI, Hamburg, 2018, S. 4).
Auch aus der Perspektive des Vorbereitungsdienstes „erscheint die Ausbildungsschule als
der zentrale Lernort, als das „tatsächliche Lern- und Arbeitsfeld“ für die Lehramtskandida-
tinnen“ (Schubarth et al., 2005, S. 190). Die Ausbildungsschule und deren Ausbildungslehr-
kräfte können damit als eine entscheidende Gelingensbedingung für Praxisphasen angese-
hen werden. Die Auswahl geeigneter Lehrkräfte für die Lernbegleitung von angehenden Leh-
rerinnen und Lehrern spielt somit eine bedeutende Rolle. „Dem hohen Stellenwert der Aus-
bildungsschule wird die […] diffuse Rollenbeschreibung der Ausbildungsschule in den Ausbil-
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dungsvorgaben, der […] Informationsstand und Professionalisierungsgrad der Ausbildungs-
lehrerinnen, die bestehenden Auswahl und Unterstützungssystem nicht gerecht“ (ebd.). In-
zwischen wurden von den Universitäten Fortbildungsangebote zur Qualifizierung von in den
Schulen an Ausbildung Beteiligten entwickelt. Als Beispiel genannt werden soll an dieser
Stelle die Fortbildung Didaktik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die „zunächst als
zweijähriges Studienangebot für Fachleiterinnen und Fachleiter und später auch als Angebot
für Lehrkräfte an den Schulen konzipiert [wurde], an denen Studierende das Praxissemester
absolvieren“ (BMFB, 2016, S. 18). Diese Fortbildungsreihe ist ein gelungenes Beispiel für die
Kooperation der verschiedenen an der Lehrerausbildung mitwirkenden Akteure, Dozentin-
nen und Dozenten der Universität, den Ausbilderinnen und Ausbildern aus der Zweiten Pha-
se der Lehrerausbildung sowie Kolleginnen und Kollegen aus der dritten Phase. In Thüringen
wurden Anforderungsprofile für Fachleiterinnen und Fachleiter an den Studienseminaren,
die fachbegleitenden Lehrkräfte sowie für die Verantwortlichen für Ausbildung an den Schu-
len erarbeitet, an denen sich die Inhalte des Fortbildungsangebotes orientieren. Da die Aus-
bildungsschulen für Praxissemesterstudierende gleichzeitig die Ausbildungsschulen für Lehr-
amtsanwärterinnen und -anwärter sind, entstand eine Win-win-Situation für beide Ausbil-
dungsphasen bezogen auf die Qualifizierung der Ausbildungslehrkräfte an den Schulen.
Während die durch die fachbegleitenden Lehrkräfte verantwortete Lernbegleitung an der
Schule von den Studierenden als sehr positiv eingeschätzt wird, wird die Lernbegleitung in
den von den Hochschuldozenten verantworteten Begleitseminaren von den Studierenden
als weniger hilfreich eingeschätzt (vgl. Gröschner, Schmitt, Seidel, 2013). Bei den Begleitse-
minaren, die eher der wissenschaftlichen „Unterfütterung“ und zugleich einer „reflexionso-
rientierten Theorie-Praxis-Verzahnung“ dienen, werden diejenigen mit fachdidaktischem
Bezug als hilfreicher für das Lernen im Praxissemester eingeschätzt als die mit einem allge-
meinpädagogischen Bezug. Diese Sichtweise der Lernenden findet sich durchaus bei der Ein-
schätzung von Seminarveranstaltungen im Vorbereitungsdienst wieder. Der Nutzen der all-
gemeinen Seminarveranstaltungen im Vorbereitungsdienst wird daran gemessen, ob deren
Inhalt auf die eigene aktuelle Unterrichtspraxis anwendbar ist (vgl. Menck & Schulte, 2006,
S.206). Diese Aussage bestätigen die nicht repräsentativen Ergebnisse eine Befragung von
Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern am Staatlichen Studienseminar für Lehrer-
ausbildung Gera. Diejenigen Fach- oder Allgemeinen Seminare mit einer für ihre derzeitige
Schul- und Unterrichtssituation hohen praktischen Bedeutsamkeit werden als besonders
wertvoll eingeschätzt, was GRÖSCHNER auch für die Veranstaltungen im Praxissemester bestä-
tigt (vgl. Gröschner, Schmitt, Seidel, 2013). Als Gründe führt auch er den konkreten Fachbe-
zug und die dazugehörige Praxisrelevanz an.
Für die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter bedeutet Praxisbezug, bspw. Methoden ken-
nenzulernen oder im besten Fall diese selbst zu erfahren, die sich kurzfristig im eigenen Aus-
bildungsunterricht umsetzen lassen. Oft werden auch Tipps erwartet. Wichtig ist die Gele-
genheit zur Diskussion und Austausch über den selbst erlebten Schulalltag. Seminarveran-
staltungen mit Praxisbezug geben Orientierung an authentischen Problemen, das Bearbeiten
komplexer Inhalte, Situationsorientierung und gehen mit einer hohen Eigenverantwortung
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der Lernenden einher. Diese Anforderungen gilt es, in allen Praxisphasen zu erfüllen, damit
sich Studierende sowie Lehramtsanwärterinnen und -anwärter als handlungswirksame Ak-
teure begreifen. Die Unterrichtspraxis muss somit Ausgangs- und Endpunkt der theoreti-
schen Auseinandersetzung sein.
KORTHAGEN hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass unreflektierte praktische Erfahrun-
gen im Unterrichten dazu führen können, dass „traditionelle Auffassungen zum Unterricht
und zum Lernen gestärkt werden“ (Korthagen, 2002, S. 211). Dies bestätigen Kleinespel und
Lütgert. „Schulpraktika könnten zu einer Deprofessionalisierung“ führen, da sich Studierende
„in der Regel einen hohen Fortschritt hinsichtlich ihrer professionellen Entwicklung im Kon-
text von Praktika im Sinne von, ich mache, also kann ich‘“ bescheinigen (Kleinespel & Lüt-
gert, 2013). Diese Gefahr besteht derzeit vor allem in der gegenwärtigen, aus dem Perso-
nalmangel entstandenen, weit verbreiteten Praxis, dass Absolventinnen und Absolventen,
die auf einen Platz im Vorbereitungsdienst warten, bereits als eigenverantwortliche Fach-
oder Klassenlehrkräfte befristet an den Schulen eingesetzt werden. Das gleiche trifft auf den
Einsatz von Seiteneinsteigern zu, wenn diese ohne ausreichende Qualifizierung unterrichten.
Die Anforderungen, die an diese noch nicht vollständig ausgebildeten Lehrpersonen gestellt
werden, sind gleich denen an alle anderen ausgebildeten Lehrkräfte an der Schule, ohne
dass eine besondere Begleitung vorgesehen ist. Treten dies Lehramtsanwärterinnen und
Lehramtsanwärter später ihren Vorbereitungsdienst an, fällt zum einen auf, dass der Rol-
lenwechsel von der eigenverantwortlichen „Vertretungs-“lehrkraft zu einem Auszubildenden
im Vorbereitungsdienst eine Herausforderung darstellt, vor allem dann, wenn die Person an
der gleichen Schule oder gar in der gleichen Klasse verbleibt. Zum anderen stellen einige
Lehramtsanwärterinnen bzw. Lehramtsanwärter nach einiger Zeit fest, dass eigentliche Pra-
xis anders läuft und sie nur den Vorbereitungsdienst überstehen müssen, um dann wieder
traditionell zu unterrichten. Im besten und erstrebenswerten Fall reflektieren sie ihre erlebte
Praxis als befristet eingestellte Lehrkräfte und verändern ihr Handeln. Diese von KORTHAGEN
formulierte Gefahr trifft in gleichem Maße auf Praxissemesterstudierende zu, die zu ihrem
Unterricht kaum Feedback erhalten. Dies bestätigten Lehramtsanwärterinnen und -anwärter
in der bereits erwähnten Befragung am Staatlichen Studienseminar Gera, indem für sie das
Praxissemesters nur bedingt hilfreich war, da ihnen zu den wenigen gehalten Stunden kein
oder nur selten ein Feedback gegeben wurde. Dieses Ergebnis weist auf die Bedeutung von
Feedback, ein Ausgangspunkt für Reflexion, hin.
Ausgehend von der eigenen Erfahrung müssen die Studierenden bzw. Lehramtsanwärterin-
nen und Lehramtsanwärter befähigt werden, ihr Unterrichtshandeln durch einen vorgehal-
tenen Spiegel zu betrachten. Das Anliegen professioneller Lernbegleitung besteht auch da-
rin, dass Lernende sich im Sinne KORTHAGEN`S zyklischen Prozesses der Reflexion, ihres Han-
delns bewusst zu werden, Alternativen mit Hilfe theoretischer Anreicherungen entwickeln,
um letztendlich das eigene Verhalten ändern zu können.
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Auswirkungen der Einführung der Praxissemester auf den Vorbereitungsdienst
„Das Verhältnis zwischen universitärer und stärker berufspraktisch ausgerichteter Ausbil-
dung ist so zu koordinieren, dass insgesamt ein systematischer, kumulativer Erfahrungs- und
Kompetenzaufbau erreicht wird (KMK, 2014, S. 4). Damit formuliert die KMK die Anforde-
rung zum einen an eine Verzahnung des Praxissemesters mit den eher theoretischen Studi-
enanteilen im Lehramtsstudium, zum anderen aber auch an eine Verschränkung der Lehrer-
bildungsphasen. Wenn ALLEMANN-GHIONDA und TERHART (2006) die Frage „nach den Wirkun-
gen bzw. der kurz und längerfristigen Wirksamkeit von Lehrerbildung“ als die entscheidende
Frage innerhalb der Lehrerbildungsforschung bezeichnen und darüber hinaus die Lehrerbil-
dung als ein System mit mehreren Teilsystemen betrachtet wird , dann ist auch die Frage, ob
und welche Wirkung längere Praxisphasen auf den Vorbereitungsdienst haben, legitim.
GRÖSCHNER und SCHMITT erachten die empirische Überprüfung zu den Wirkungen universitärer
Praxisphasen als unbedingt notwendig. Seitdem wurden verschiedene solcher Studien veröf-
fentlicht. Dabei sollte auch herausgefunden werden, „ob und wie sich das Praktikum bei-
spielsweise auf das weitere Studium auswirkt und ob sich ein kumulativer Kompetenzaufbau
nachweisen lässt, der nicht zuletzt eine Verkürzung des Vorbereitungsdienstes sinnvoll
rechtfertigt“ oder eben auch nicht (Gröschner & Schmitt, 2010). Ebenso fordert der Monitor
Lehrerbildung eine „Wirksamkeitsprüfung“ unter Einbeziehung von „Studien durch die Ein-
schätzungen von Referendarinnen und Referendaren oder Lehrkräften im Schuldienst“
(Monitor Lehrerbildung, 2013). Im Zusammenhang mit dem Auftrag zu diesem Beitrag wur-
den Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter des Staatlichen Studienseminars Gera
zu ihrer subjektiven Wahrnehmung im Rückblick auf ihr Praxissemester befragt. Die Ergeb-
nisse sind nicht repräsentativ, bestätigen jedoch Studienergebnisse, die den Schwerpunkt im
Praxissemester im Kompetenzbereich Unterrichten sehen. Folgende Erfahrungen waren den
Befragten u. a. wichtig: sich im Unterrichten erproben können (100%), Einblicke in das Be-
rufsfeld eines Lehrers erhalten (84,6%), Schulleben kennen lernen (69,2%), die Bestätigung
der Berufswahl (53,8%), Anleitung zum Unterrichten erhalten (53,8%), den eigenen Unter-
richt mit der Fachlehrkraft vorbereiten (53,8%) und Selbstwirksamkeitserfahrung (46,2%).
Eine Antwort auf die Frage nach einem Vorteil, der im Praxissemester gesehen wird, bestä-
tigt das.
Man bekommt einen Eindruck von der Fülle der Aufgaben und wie man diesen ge-wachsen ist bzw. woran man noch arbeiten muss. Zudem bekommt man einen prakti-schen Bezug zu der vielen Theorie im Studium. Der Austausch mit anderen Studieren-den war dabei immer sehr hilfreich.
Dieser Person scheint eine Theorie-Praxis-Verzahnung gelungen zu sein. Als wertvolle Erfah-
rungen werden genannt: Erfahrungen im Bereich des Klassenmanagements sammeln kön-
nen, das Kennenlernen von Tätigkeiten, die an der Uni nicht angesprochen wurden, ein erstes
Mal Verantwortung übernehmen dürfen und ein Lernen ohne Leistungs- und Bewertungs-
druck. Ein erstes Gefühl für die Verantwortung in der Begleitung von Lernprozessen zu be-
kommen, sich als Lehrkraft wahrzunehmen, ohne zunächst dafür bewertet zu werden, wird
als bedeutsam eingeschätzt. Gerade dieser bewertungsfreie Raum wird rückblickend aus
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Sicht der in zweiten Ausbildungsphase Angekommenen, die sehr schnell den Druck der Be-
wertung spüren, geschätzt.
Man bekommt einen Einblick in das wahre Schulleben über einen längeren Zeitraum. Zudem bietet es eine gute Grundlage für den Vorbereitungsdienst, da Dinge wie das Schreiben eines Artikulationsmodells mit dem Verfassen von Lernzielen bereits prakti-ziert und reflektiert wurden. Entsprechend wird bereits eine gewisse Routine erlangt, die dann im Vorbereitungsdienst weiter ausgebaut werden kann.
Längere Verweildauer in einer Schule bringt Vorteile: besseres Kennenlernen der Schü-ler, sodass der Unterricht auf den Voraussetzungen der Schüler aufgebaut werden kann.
Die Frage, ob man sich durch das Praxissemester gut auf den Vorbereitungsdienst vorberei-
tet fühle, wurde von über der Hälfte der Befragten (61,5 %) bejaht.
Das Praxissemester ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung, um erste Erfahrun-gen sammeln zu können. Es bietet die Möglichkeit, innerhalb der verschiedenen Kom-petenzbereiche zu agieren, zu erproben und zu vernetzen. Vor Beginn des Vorberei-tungsdienstes unterrichtet zu haben, ist wichtig, um den zukünftigen Lehramtsanwär-terinnen und Lehramtsanwärtern mehr Sicherheit im Auftreten vor der Klasse zu ge-währleisten.
Im Ergebnis der Befragung der Ausbilderinnen und Ausbilder wird diese Selbsteinschätzung
der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter bestätigt:
Einige Anwärterinnen und Anwärter treten sicherer vor der Klasse auf und profitieren von bereits erworbenen Erfahrungen bzw. können besser an diese anknüpfen. Dies kommt hauptsächlich dann zum Tragen, wenn sie im Vorbereitungsdienst in der glei-chen Schule tätig sein können wie im Praxissemester oder an der gleichen Schule, an der sie zwischen Studienabschluss und Beginn des Vorbereitungsdienstes erfolgreich als Vertretungs-Lehrkraft gearbeitet haben. Eine Anleitung zur reflexiven Auseinan-dersetzung mit der Praxis ist dennoch weiterhin nötig, um zu bestärken oder Alterna-tiven zu finden (v.a. im Umgang mit schwierigen Schülern).
Einen Vorteil, wenn die Ausbildungsschule im Praxissemester und die im Vorbereitungs-
dienst identisch sind, stellt folgende Äußerung heraus:
Sofern Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter im Vorbereitungsdienst in der gleichen Schule und auch Klasse wie im Praxissemester tätig sind, ist positiv zu be-obachten, dass Strukturen, Abläufe und Rituale routinierter im Klassenmanagement bewältigt werden können. Kommen Lehramtsanwärterinnen und -anwärter jedoch im Vorbereitungsdienst an eine andere Schule, so bleibt ihnen kaum Zeit, sich analytisch und intensiv mit den Strukturen der Schule und der Klasse auseinanderzusetzen, d.h. also das sichere Bewegen im Lernraum, bevor der Bewertungszeitraum beginnt.
Diesen Einwand kann man insbesondere vor dem Hintergrund des 12monatigen Vorberei-
tungsdienstes für Thüringer Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter für das Lehramt
an Grundschulen nachvollziehen sowie den ab 2019 geplanten 12monatigen Vorbereitungs-
dienst für angehende Lehrkräfte im Brandenburgischen Vorbereitungsdienst. Die eigentliche
bewertungsfreie Zeit beträgt in diesen Fällen etwa vier bis sechs Monate. Abzüglich von Fe-
rien- und anderen unterrichtsfreien Zeiten beträgt die effektive Dauer des Vorbereitungs-
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dienstes inklusive des Prüfungszeitraumes ca. sieben bis acht Monate. Lehramtsanwärterin-
nen und Lehramtsanwärter verfügen über individuelle Lernvoraussetzungen und lernen in
unterschiedlichen Tempi. Grundsätzlich verringern sich damit die Lernchancen in einem ver-
kürzten Vorbereitungsdienst Lernräume.
In der Wahrnehmung der Ausbilderinnen und Ausbilder der Zweiten Phase ist die Verkür-
zung des Vorbereitungsdienstes eine Auswirkung der Einführung längerer schulpraktischer
Phasen in der universitären Lehrerausbildung. Auch der Monitor Lehrerbildung stellt fest,
„dass in allen Ländern, die ein Praxissemester eingeführt haben, in den letzten Jahren die
Dauer des Vorbereitungsdienstes reduziert wurde“ (Monitor Lehrerbildung, 2013). Der bis
dato in der Regel 24monatige Vorbereitungsdienst wird in einigen Bundesländern durch die
Anrechnung von universitären Praxisanteilen von Amts wegen gekürzt. Er muss jedoch min-
destens 12 Monate betragen. Die Dauer des Vorbereitungsdienstes hat sich in den einzelnen
Bundesländern innerhalb der letzten Jahre auseinanderentwickelt. Durch die Anrechnung
von Praktika absolvieren bspw. in Thüringen die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsan-
wärter für das Lehramt an Grundschulen in der Regel einen 12monatigen Vorbereitungs-
dienst, alle anderen Lehrämter werden in Thüringen bei Anrechnung von Praktika auf 18
Monate verkürzt. In Sachsen-Anhalt dauert der Vorbereitungsdienst für alle Lehrämter
grundsätzlich 16 Monate, in Hessen 21 Monate und in Bayern 24 Monate. In allen anderen
Ländern beträgt die Dauer, teilweise unter Anrechnung von Praktika oder grundsätzlich 18
Monate. Diese Verkürzung hat Auswirkungen auf den Vorbereitungsdienst und damit auf
den Professionalisierungsprozess von angehenden Lehrerinnen und Lehrern.
Auswirkungen eines verkürzten Vorbereitungsdienstes auf den Professionalisierungspro-zess
Im Unterschied zum Praxissemester nimmt die Eigenverantwortung der Lehramtsanwärte-
rinnen und Lehramtsanwärter in der schulischen Praxis zu. Dennoch können sich die ange-
henden Lehrerinnen und Lehrer in einem geschützten Rahmen ausprobieren und einen gro-
ßen Lernzuwachs empfinden (vgl. Schubarth et al., 2006). „Der Vorbereitungsdienst ist zwei-
fellos eine große Bewährungsprobe, die mit erhöhten Belastungen verbunden ist: Unter-
richtsvorbereitungen, Unterrichtsbesuche sowie die Leistungsanforderungen stellen dabei
die größten Belastungen für Lehramtskandidatinnen dar. Es folgen Belastungen durch orga-
nisatorische und zeitliche Probleme sowie Interaktions- bzw. Beziehungsprobleme mit den
Ausbildern. Unsichere Berufsaussichten, unterschiedliche Anforderungen von Ausbildungs-
schule und Studienseminar sowie der Umgang mit Kritik an der eigenen Leistung werden
ebenfalls von einer relevanten Gruppe als belastend erlebt“ (ebd.).
Die Reform der Lehrerausbildung in Deutschland wird in der Öffentlichkeit vor allem vor dem
Hintergrund der Veränderungen an den Universitäten und Hochschulen wahrgenommen.
Das gilt auch für die Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Auch wenn es unter den geförderten
Projekten Kooperationsvorhaben gibt, sind Institutionen aller anderen Lehrerbildungsphasen
ausgeschlossen. Der Fokus liegt auf der ersten Ausbildungsphase. KOŠINÀR stellt fest, dass das
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Referendariat als Forschungsfeld lange Zeit nicht im Fokus war (vgl. Košinàr, 2014). Mittler-
weile hat sich das geändert.
Auch in der zweiten Phase der Lehrerbildung begannen parallel zu den Reformbemühungen
an den Lehrerinnen und Lehrer ausbildenden Universitäten Veränderungsprozesse. „Die An-
forderungen an Lehrkräfte sind vielfältig und unterliegen darüber hinaus einem Wandel.
Veränderte gesellschaftliche Bedingungen, Verschiebungen im Bereich pädagogischer Ziel-
vorstellungen etc. sind hierfür mitverantwortlich. Die Lehrerbildung an Universitäten und im
Vorbereitungsdienst […] in Deutschland soll Voraussetzungen dafür schaffen, dass Lehrkräfte
diesen Anforderungen möglichst gerecht werden“ (Kunter et al., 2013). Neben dem Ziel der
Qualitätsverbesserung sollte auch die Vergleichbarkeit der Lehrerbildung und der Bewer-
tungsmaßstäbe gesichert werden (vgl. ebd.). So wurden bspw. in Nordrhein-Westfalen neue
Ausbildungselemente, wie das Eingang- und Perspektivgespräch (EPG) sowie die personen-
orientierte Beratung mit Coachingelementen eingeführt. „Mit diesem neuen Format ist es
möglich, gezielt, professionell und ganz individuell an der Entwicklung der Lehrerpersönlich-
keiten zu arbeiten. […] Für alle Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter beginnt der
Vorbereitungsdienst mit einem neuen Eingangs- und Perspektivgespräch. Dieses neue diag-
nostische Instrument soll den Übergang von der ersten in die zweite Phase der Lehrerausbil-
dung erleichtern, indem der individuelle Stand der Kompetenzentwicklung in den Blick ge-
nommen wird. Vorhandene Stärken und Entwicklungsbedarfe werden dokumentiert und für
die weitere Ausbildung nutzbar gemacht (vgl. Löhrmann, 2013). Damit erhält die personen-
orientierten Beratung und die individuellen Lernbegleitung im Vorbereitungsdienst eine ho-
he Bedeutung und stellt gleichzeitig eine Besonderheit der Zweiten Phase dar. Weder in der
ersten noch in der dritten Phase der Lehrerbildung in Deutschland erhalten (angehende)
Lehrkräfte eine vergleichbare Unterstützung in ihrem Professionalisierungsprozess. Als In-
strument für die Dokumentation und Reflexion über alle Praxisphasen wird in Nordrhein-
Westfalen ein Portfolio „Praxiselemente“ genutzt. „Das Kölner Portfoliokonzept wird als
phasenübergreifende Reflexionsarbeit der gesamten Lehramtsausbildung verstanden“
(Barsch et al., 2017). In der Entwicklung solcher phasenübergreifender Instrumente, die eine
Dokumentation von individuellen Lernprozessen ermöglichen und somit Professionalisie-
rungsprozesse sichtbar werden lassen können, besteht eine große Chance, für die Umset-
zung des Gedankens an eine phasenübergreifende Lehrerbildung, vor allem wenn digitale
Tools eingesetzt werden können.
Auch im Thüringer Vorbereitungsdienst wird der Ansatz der personenorientierten Beratung
für die Ausbildung im Vorbereitungsdienst umgesetzt, was dieser Text zum Selbstverständnis
zur Arbeit der Fachleiter zum Ausdruck bringt. Weitere Entwicklungsschwerpunkte waren
die Individualisierung von Ausbildungselementen, die Modularisierung der Ausbildungsan-
gebote und die Weiterentwicklung der verbindlichen Portfolioarbeit. Außerdem wurden s.g.
Standardisierte Leistungsbilder eingeführt, die zur Erhöhung der Transparenz in der Bewer-
tung beitragen und eine Vergleichbarkeit sichern sollen. Gerade die Transparenz in der Be-
wertung ist ein häufig geäußerter Kritikpunkt in Bezug auf Bewertungssituationen in der
Zweiten Phase.
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Die Evaluation des reformierten Vorbereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen, der für alle
Lehrämter einheitlich 18 Monate vorsieht, kommt zu dem Ergebnis, dass es keinesfalls emp-
fehlenswert ist, die Ausbildungszeit der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter im Vorberei-
tungsdienst noch weiter zu verkürzen. „Es wurde deutlich, dass der Faktor Zeit eine beson-
dere Limitation in der Durchführung und Wahrnehmung aller Angebote darstellt. Die vorlie-
genden ersten Hinweise auf eine Kompensation der Verkürzung durch die Einführung lern-
förderlicher Neuerungen werden in Frage gestellt, wenn die Zeit für diese qualitätssteigern-
den Elemente wie EPG [Eingangs- und Perspektivgespräch], personenorientierte Beratung
und selbstgesteuerte Lerngruppen nicht zur Verfügung steht. Dies ist besonders bedeutsam,
da schon jetzt bezüglich des derzeit zur Verfügung stehenden Zeitraums Probleme von den
Beteiligten berichtet werden […]“ (Bericht an das Ministerium für Schule und Weiterbildung
des Landes Nordrhein-Westfalen; 2013, S. 62). Das Land Nordrhein-Westfalen beschließt in
Konsequenz dieser Untersuchung die Novellierung ihres Lehrerausbildungsgesetzes und
schreibt in der dazugehörigen Pressemitteilung vom 21. April 2016: „Die Dauer des Vorberei-
tungsdienstes wird dauerhaft auf 18 Monate festgeschrieben; damit werden Verkürzungen –
die nach dem bisherigen Lehrerausbildungsgesetz aus dem Jahr 2009 möglich waren – aus-
geschlossen“ (Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Staatskanzlei Pressestelle; Pressemit-
teilung vom 21.04.2016).
Adäquates belegt auch die Berliner Evaluation des Vorbereitungsdienstes von 2012. Ein
12monatiger Vorbereitungsdienst reicht für die notwendige Kompetenzentwicklung nicht
aus. Die „Potenziale, die ein zweites Ausbildungsjahr […] für die positive Entwicklung des
beruflichen Commitments und die Selbstwirksamkeitserwartung als Lehrperson bietet“ kön-
nen nicht genutzt werden. „Auch die Selbstwirksamkeitserwartung zum Umgang mit Schü-
ler/inne/n mit Migrationshintergrund […] ist signifikant geringer als die der anderen Grup-
pen. Für den Erwerb von Unterrichtskompetenz zeigen sich die offenkundig nachteiligen
Folgen einer kürzeren Ausbildungszeit […] noch deutlicher. Unabhängig von der Beurteiler-
perspektive weisen alle Einschätzungen darauf hin, dass die [Lehramtsanwärterinnen und
Lehramtsanwärter] ihren Vorbereitungsdienst in allen Kompetenzbereichen mit einem deut-
lich niedrigeren Kompetenzniveau abschließen ….“ (FiBS, 2012, S. 105). In der Konsequenz
veränderte sich die Dauer des Berliner Vorbereitungsdienstes wieder auf 18 Monate.
Die sich verändernden Anforderungen an Bildung und der damit verbundenen Entwicklung
von Kompetenzen zwingen zur Überprüfung, Weiterentwicklung und Änderung bekannter
und vertrauter Vorstellungen vom Lehren und Lernen. Die Aufgabe von Lehrenden besteht
darin, Lernprozesse zu initiieren, zu entwickeln und zu begleiten (vgl. Arnold, Gomez Tutor,
Kammerer, 2005). Zur Umsetzung der Anforderungen an die Gestaltung dieser Lernprozesse
müssen Lehrende neben Wissen über geeignete Handlungskompetenzen verfügen. Sie müs-
sen in der Lage sein, auf ein passfähiges methodisches Repertoire zurückzugreifen, Bezie-
hungen zu gestalten und verschiedene Rollen übernehmen zu können. In der Haltung der
Lehrenden wird ihre Einstellung zum Lernen sichtbar. Dies gilt für alle Lehrämter und Schul-
formen. (Zukünftig) Lehrende müssen insbesondere zur Selbstreflexion fähig sein. Dies ist
eine wichtige Voraussetzung dafür, pädagogische Beziehungen zu Lernenden wahrnehmen
und reflektieren zu können. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler wie bspw. LIPOWSKY
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und RZEJAK (2015), WAHL (2006) oder STEFFENS und HÖFER (2015) die Wirksamkeit von Lehrkräf-
ten untersucht und Gelingensfaktoren für wirksame Lernprozesse identifiziert.
Diese Anforderungen an die Gestaltung von Lernprozessen gelten gleichermaßen für das
Lernen von Schülerinnen und Schülern wie für das Lernen Erwachsener. Lehramtsanwärte-
rinnen und -anwärter im Vorbereitungsdienst sollen als Lernende wirksame Ausbildungsset-
tings erleben, die auch genutzt werden, biografisch erworbene, individuelle subjektive Theo-
rien zu hinterfragen. Des Weiteren kann träges Wissen nicht zur Bearbeitung komplexer,
realitätsnaher Probleme herangezogen werden. Damit sollen, können und müssen Lernset-
tings in der Ausbildung den Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern als vorbildhaf-
tes Beispiel für Möglichkeiten des Auslösens wirksamer Lernprozesse ihrer zukünftigen Schü-
lerinnen und Schüler dienen. Als Folge der Verkürzung des Vorbereitungsdienstes ist nicht
nur die reduzierte Zeit in der Schulpraxis zu betrachten. Auch die Anzahl der Seminarveran-
staltungen musste reduziert werden und/oder eine Einschränkung im zeitlichen Umfang er-
folgen. Betroffen sind auch solche Seminarangebote mit Trainingscharakter, wo Simulation
zur Ausbildung von Handlungskompetenzen genutzt, Fallbeispiele bearbeitet oder eigene
Videografien ausgewertet werden. Es bedeutet weniger Zeit für Kollegiale Fallberatung oder
für die Durchführung von Hospitationszirkeln u. a.. Solche auf die Ausbildung von Lehrkom-
petenz gerichteten Lernsettings verfolgen das Ziel, fachliches und fachdidaktisches Wissen
mit praktischen Unterrichtserfahrungen und bereits erlernten Lehrfertigkeiten zu verbinden.
Dabei werden Einstellungen und Haltungen vor allem im Hinblick auf die Interaktion mit den
Lernenden und die eigene Rolle reflektiert. Nach DUXA (2011, S. 66) wird situative Hand-
lungskompetenz aus reflektierter Erfahrung erworben.
Die veränderten gesellschaftlichen Anforderungen an die Institution Schule und damit ein-
hergehend an den Unterricht spiegeln sich auch in der gestiegenen Belastung der Lehrerin-
nen und Lehrer wider, bspw. wegen zunehmender Erziehungsaufgaben und Verhaltensauf-
fälligkeiten bei Schülern, hohe Klassenstärken sowie die zunehmende Heterogenität in den
Klassen. In vielfältigen Pressemitteilungen wird über die gestiegenen Belastungen im Lehrer-
beruf informiert. Auch der derzeitige Lehrkräftemangel an den Schulen wirkt sich auf die
Ausbildung der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter aus. So fehlen zum Teil an den Schu-
len fachbegleitende Lehrkräfte, die ggf. fachfremd unterrichten, jedoch in dem auszubilden-
den Fach keine Ausbildungsaufgaben übernehmen können. Nicht selten müssen die Lehr-
amtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter, trotz klarer Regelungen in den rechtlichen Aus-
bildungsgrundlagen, vermehrt Vertretungsunterricht übernehmen, da durch Krankheit oder
Mangel Lehrkräfte an den Ausbildungsschulen fehlen.
Was den Schulen als weitere Aufgaben neben der Wissensvermittlung übertragen worden
ist, kommt bei den (angehenden) Lehrern als besondere und besonders belastende berufli-
che Anforderung an. Darauf muss die Lehrerausbildung reagieren. In der Lehrerausbildung
sollen Handlungskompetenzen in allen Kompetenzbereichen erworben werden. Wenn Un-
terrichten ein vorrangiger Schwerpunkt im Praxissemester ist, ergeben sich möglicherweise
veränderte Schwerpunkte für den Vorbereitungsdienst. Bemängelt wird oft, dass Ausbil-
dungselemente fehlen, die Lehrkräfte bspw. als „Change Maker“ oder Schulentwickler befä-
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higen. Bezogen auf den kumulativen Kompetenzaufbau könnte man hier Ansatzpunkte fin-
den. Dies darf sich jedoch nicht nur in den Curricula widerspiegeln, sondern sollte auch in
der tatsächlichen Ausbildungspraxis sichtbar werden.
Fazit
„Im aktuellen LehrerInnenbildungsdiskurs werden Langzeitpraktika inzwischen differenzier-
ter unter der Perspektive eines Angebot-Nutzungs-Modells betrachtet“ (Stiller, 2017, S. 5).
STILLER stellt fest, dass die Wirksamkeit von vielen Faktoren abhängig ist. „Praxis als Selbst-
zweck“ ist ebenso abzulehnen wie ein „Mythos Wissenschaft“, da sich auch „Universitäts-
wissen nicht zwangsläufig als lernwirksam für eine praktische „Verwendungsperspektive
erweist“ (Stiller, 2017, S. 5f). In Nordrhein-Westfalen weist bspw. ein „Praxiselemente-
Konzept […] den einzelnen Bestandteilen der schulpraktischen LehrerInnenausbildung fokus-
sierende Funktionen zu“ (Stiller, 2017, S. 4). Dazu gehören ein „Eingangspraktikum“, welches
die „Eignungsreflexion sowie die erfahrungsgestützte Studien- und Berufswahl beinhaltet,
ein „Orientierungspraktikum“ mit dem Ziel, eine „forschende Grundhaltung und Orientie-
rung über professionsbezogene Anforderungen“ anzubahnen, ein „Berufsfeldpraktikum“,
welches den Blick in „andere pädagogische Berufsfelder und die Unterstützungssystem von
Schule“ ermöglicht, das „Praxissemester“, welches die „Theorie-Praxis-Verbindung im Lang-
zeitpraktikum“ professionsorientiert gestattet sowie den „Vorbereitungsdienst“, welcher auf
die „Herausbildung von reflektierenden Berufsroutinen und [den] Kompetenzerwerb im Sin-
ne eines reflektierten Praktikers“ abzielt. Damit wird die professionsorientierte Verbindung
von Theorie und Praxis fokussiert. „Die unterschiedlichen Fokussierungen der Elemente der
schulpraktischen Ausbildung ermöglichen im günstigsten Fall einen kumulativen Kompe-
tenzaufbau“ (vgl. ebd.). In diesem Konzept werden allen praxisbezogenen Phasen der Leh-
rerausbildung spezifische Funktionen zugewiesen. Damit könnte dem „Schnittstellenprob-
lem“ im Übergang von der ersten zur zweiten Lehrerausbildungsphase entgegengewirkt
werden (BMBF, 2016, S. 9). Damit einhergehen müsste eine noch „stärkere Abstimmung der
Curricula über die verschiedenen Phasen der Lehrerbildung“ hinweg, wie sie VAN ACKEREN
fordert (ebd., S. 10). Im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung wurden hierzu ver-
schiedene Projektideen entwickelt und damit eine phasenübergreifende Diskurskultur zu
ausgewählten Schwerpunkten auf den Weg gebracht. Praxis und Theorie werden in der Leh-
rerausbildung zu oft auseinander diskutiert. Die Dichotomie von Theorie und Praxis in der
Lehrerausbildung wird häufig konstruiert. Beide sind der Lehrerausbildung verpflichtet. Die
Praxis muss der Forschungsgegenstand der Theorie sein. Mit dem Blick nach Skandinavien
sollte das forschende Lernen von (angehenden) Lehrkräften nicht nur eine Frage der Ausbil-
dung einer Phase sein.
Studierende selbst entwickeln Ideen zur Weiterentwicklung der Lehrerausbildung. Ein Bei-
spiel dafür, nachzulesen auf www.kreidestaub.net, wurde auf dem Programmkongress zur
Qualitätsoffensive Lehrerbildung im November in Berlin vorgestellt. Die Studierenden wün-
schen sich für ihr eigenes Lernen während ihrer gesamten Lehramtsausbildung innovative
Lernformate und einen Austausch mit Gleichgesinnten. Sie wünschen sich, innovative Schu-
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len kennenzulernen, da es im Sinne von Imagination Horizonte für Mögliches eröffnet. In
vielen Bundesländern gelten alle Schulen als Ausbildungsschulen. Hier besteht durchaus die
Gefahr, von sehr traditionellen Vorbildern zu lernen, auch wenn dies nicht in jedem Fall ne-
gativ zu sehen ist. Dennoch interessieren sich angehende Lehrkräfte dafür, wie zukunftsfähi-
ge Schulen arbeiten und wie man Schule weiterentwickeln kann. Sie benötigen Fähigkeiten
u. a. in den Bereichen Kommunikation, zeitgemäße Bildung, Teamwork und Projektmanage-
ment. Diese und andere auf die Zukunft, auf ein Leben und Lernen im digitalen Zeitalter
gerichtete Themen finden bisher in der Lehrerausbildung zu wenig Berücksichtigung, in bei-
den Phasen und ebenso in der Lehrerfort- und Weiterbildung.
Denkt man an innovative Lernformate und eine sinnvolle Theorie-Praxis-Verschränkung
lohnt sich bspw. ein Blick nach Norwegen. Lehramtsstudierende sammeln Praxiserfahrungen
und tragen gleichzeitig mit ihrer Tätigkeit in der Praxis zur Schulentwicklung der Ausbil-
dungsschule bei. „Dafür übernehmen die Studierenden für eine Woche Teile des Lehrbetrie-
bes (oder eine ganze Schule) und unterrichten dort nach selbstkonzipierten Unterrichtsent-
würfen.“ (www.kreidestaub.net). Beispiele dafür findet man nicht nur an der Universität
(NTNU) in Trondheim, sondern u.a. auch in Flensburg. In vergleichbarer Weise sind derartige
Lernformate in der Ausbildung im Vorbereitungsdienst umsetzbar, wie das Beispiel der Schu-
ladoption von Thüringer Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern am Staatlichen
Studienseminar für Lehrerausbildung Gera, Lehramt an Grundschulen und für Förderpäda-
gogik, im Rahmen eines Medienprojektes zeigt.
Die derzeitigen Entwicklungen und Veränderungen bieten die Chance, die curricularen
Schwerpunkte des Vorbereitungsdienstes weiterzuentwickeln, um das professionsbezogene
Lernen angehender Lehrkräfte phasenbezogen zu spezifizieren, wobei die Kooperation zwi-
schen den verschiedenen Phasen der Lehrerausbildung zur Entwicklung eines tragfähigen
kumulativen Kompetenzaufbaus beitragen kann. Voraussetzungen dafür sind der Austausch
und das Lernen voneinander auf Augenhöhe sowie das Aufgeben der Grabenkämpfe um die
Dichotomie von Theorie und Praxis.
„Die Erstausbildung der Lehrkräfte in Deutschland ist sehr aufwendig; sämtliche Hoffnungen
auf Verbesserungen richten sich hierauf. Demgegenüber ist die regelmäßige, verpflichtende
und sanktionierte Lehrerweiterbildung weiterhin viel zu schmal ausgebaut. Man weiß je-
doch, dass – wie in anderen akademischen Berufen auch – ein verbindliches System der Wei-
terbildung, des „Lernens im Beruf“ unerlässlich ist. Ein solches ausgebautes Weiterbildungs-
system für ‚praktizierende‘ Lehrkräfte hat seinen Preis; wenn man deren Arbeit verbessern
will, man muss bereit sein, sie zu bezahlen“ (Terhart, 2014, S. 8).
Wenn alle an Lehrerausbildung Beteiligten sich einig über die grundlegenden Anforderungen
an den Professionalisierungsprozess von angehenden Lehrkräften sind, stellt sich nicht die
Frage nach der Dauer des Vorbereitungsdienstes oder der Lehrerausbildung allgemein in
Deutschland, sondern danach, welche Institution und welche Lehrerbildungsphase mit dem
professionell ausgebildeten Personal, welche curricularen Schwerpunkte zielgerichtet, sach-
und fachgerecht, orientiert an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den je-
weiligen gesellschaftlichen Anforderungen, angepasst an die Herausforderungen der Digitali-
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sierung und bezogen auf den für den Professionalisierungsprozess geeigneten Zeitpunkt um-
setzen kann . Ein eindeutiges Plädoyer für die Kooperation aller drei Lehrerbildungsphasen in
Deutschland – für die Qualität von Unterricht und Schule, aber vor allem für die Ermögli-
chung einer zeitgemäßen Bildung unserer Kinder.
„Wenn es auf den Lehrer ankommt, so kommt es ebenso auf die Lehrerbildung an. In den
vergangenen zwei Jahrzehnten sind zahlreiche Reformen initiiert und durchgeführt worden,
die den Stellenwert der Lehrerbildung erhöht, ihre inhaltliche und institutionelle Struktur
profiliert und ihre Forschungsbasis verbreitert haben. Gleichwohl bleibt viel zu tun“ (Terhart,
2014, S. 9).
Autorin: Heike Scheika, Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter/innen e.V. (BAK) Landessprecherin Thüringen Mail: [email protected] Verwendete Literatur, die nicht verlinkt ist:
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Korthagen, F.A.J. (2002). Schulwirklichkeit und Lehrer(aus)bildung. Reflexion der Lehrertätigkeit. Hamburg. EB-Verlag.
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Neuweg, G. H. (2007). Wie grau ist alle Theorie, wie grün des Lebens goldener Baum? – LehrerInnenbildung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis. BWPA, 12, S. 1-14.
Reinhoffer, B./ Dörr, G. (2008): Zur Wirksamkeit Schulpraktischer Studien. In: Rotermund, M., Dörr, G., Boden-sohn, R. (Hrsg.): Bologna verändert die Lehrerbildung. Auswirkungen der Hochschulreform. Leipzig: Univ.-Verlag, S. 10-31.
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