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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1985 Hexen und Hexenwerk Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte ......Fuchsspur in eine Katzenspur. In Flums heisst es, dass ein Vater eine fremde Katze, in der er die Verursacherin der

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  • Untervazer Burgenverein Untervaz

    Texte zur Dorfgeschichte

    von Untervaz

    1985

    Hexen und Hexenwerk

    Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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    1985 Hexen und Hexenwerk Alois Senti Terra Plana - Heft Nr. 2. 1985. Seite 29-37.

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    Alois Senti, Bern/Flums

    Hexen und Hexenwerk

    Die Annahme, Hexen und Hexenwerk wären nur der Fantasie mittelalterlicher

    Theologen, Richter und ihrer zu Tode gequälten Opfer entsprungen und hätten

    damit ihr Bewenden, reicht nicht aus, um den Hexenwahn mehrerer

    Jahrhunderte zu erklären. Hexen gab es nicht nur in den Gerichtssälen, sondern

    auch in den Vorstellungen des Volkes und der gefolterten und verurteilten

    Angeschuldigten selber. Niemand weiss, wieviele Menschen sich ausserhalb

    die Gnade Gottes stellen und in Gedanken, Worten und Zeichen den

    Mitmenschen und den Tieren Schaden zuzufügen versuchen. Wer das macht,

    ob mit oder ohne Erfolg, ist das, was die Sagenerzähler als Hexe oder

    Hexenmeister bezeichnen. Wenn Teufelskunst und Hexenwerk ins Recht

    gefasst werden könnten, wären die Gerichte heute noch damit beschäftigt. Man

    hat dabei ja nicht nur an den vordergründigen Schadenzauber, die

    Begehrlichkeit nach Geld und die weit verbreitete Wahrsagerei, sondern auch

    an die übrigen Verführungen und an die Hetzjagd der Medien nach

    Sündenböcken zu denken.

    Im Sarganserland ist die Quellenlage über die Hexenverfolgung und deren

    Folgen eher dürftig. Möglicherweise waren die Hexenprozesse weniger

    zahlreich als in der Nachbarschaft, oder die Akten gingen im Laufe der Zeit

    verloren. Um so eindrücklicher sind die Spuren, die der Hexenglaube in der

    mündlich überlieferten Volkserzählung hinterlassen hat. Da verschreiben sich

    Frauen dem Teufel und nehmen an Hexenversammlungen teil, verwandeln sich

    in Tiere und rauben Kleinkindern und älteren Menschen den Schlaf. In

    Hunderten von Belegen überliefern die Erzähler, was unsere Vorfahren im 18.

    und 19.Jahrhundert darüber dachten.

    Teufelskunst und Hexenwerk waren ei ne ernste Sache, über die nicht zu

    spassen war. Bezeichnenderweise kommen die Hexen im reichen Schatz der

    Anekdoten, Schwänke und Witze kaum vor. Bis in die Mitte unseres

    Jahrhunderts kannte man im Sarganserland auch an der Fasnacht keine Hexen.

    Die Hexen und ihr Umfeld waren mit dem Tod und dem Heiligen kein

    Gegenstand, über den man scherzte.

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    Der Hexenwahn

    Die vor allem Mittel- und Nordeuropa heimsuchende Hexenverfolgung

    erreichte unser Land im ausgehenden Mittelalter, als Papst Innozenz VIII. in

    der Bulle Summis desiderantes 1484 die Hexenfrage als Angelegenheit der

    geistlichen Gerichte bezeichnete und die Inquisition mit dem Malleus

    maleficarum ein Gesetzbuch zur Bekämpfung des Teufels- und Hexenglaubens

    erhielt. Der Malleus maleficarum oder «Hexenhammer» erschien in den Jahren

    1487-1489 und enthält ein Kapitel über die Prädestination der Frau zur

    Zauberin, Teufelskonkubinin und Hexe. Er diente der geistlichen und

    weltlichen Gerichtsbarkeit als Handbuch. Dabei unterschieden sich die

    altgläubigen und die reformierten Gerichte in ihrer Denkart in keiner Weise.

    Man sah im Hexenwesen den Abfall vom Glauben und die Verbindung mit

    dem Bösen schlechthin. Sache der Gerichte war es, die darin zum Ausdruck

    kommende Ketzerei aufgrund der neuen Erkenntnisse der Theologie zu

    untersuchen und zu bekämpfen. Die Hexenprozesse richteten sich nicht gegen

    die Hexen selber, sondern gegen den Satan, der sich ihrer bemächtigt hatte.

    Als die geistlichen Gerichte in der Mitte des 16. Jahrhunderts von den

    weltlichen Instanzen abgelöst wurden, erwiesen sich diese in der Anwendung

    der Tortur noch als grausamer als zuvor die Kirche. Am schlimmsten wütete

    der letztlich unerklärliche Hexenwahn zwischen 1550 und 1750. Hinter jedem

    Unglücksfall vermutete man die Untat einer Hexe oder eines Hexenmeisters.

    Verdächtigungen und Denunziationen folgten Einvernahmen, Verhöre,

    Folterungen, Verurteilungen und Hinrichtungen. Die Zahl der Verurteilten

    schwankte von Landesgegend zu Landesgegend. In der Stadt St. Gallen wurden

    zehn Hexen hingerichtet. Das Toggenburg kam auf 23 Verurteilungen.

    Appenzell Innerrhoden hatte gut zwanzig, Ausserrhoden etwa 30

    Hexenprozesse. Im Prättigau wurden hingegen allein zwischen 1652 und 1660

    über hundert Hexen und Hexenmeister hingerichtet. Das heutige Fürstentum

    Liechtenstein war als «Hexenland» verschrien. Etwa 300 Frauen und Männer

    endeten auf dem Scheiterhaufen oder am Galgen. Aus dem Sarganserland hat

    Werner Manz in seiner Schrift «Volksbrauch und Volksglaube des

    Sarganserlandes» (Basel 1916) im Zürcher Staatsarchiv aufbewahrte

    Prozessakten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts veröffentlicht.

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    Erst im 18. Jahrhundert gelang es, den Teufels- und Hexenglauben allmählich

    wenigstens aus der Gesetzgebung zu verbannen und den Justizmorden ein Ende

    zu setzen. Die letzte Enthauptung einer als Hexe verurteilten Frau erfolgte 1782

    im Glarnerland.

    Damit war der im Laufe mehrerer Jahrhunderte eingepflanzte Teufels- und

    Hexenglaube aber nicht ausgelöscht. Seine Wurzeln gründeten tiefer. Die

    Vorstellungen lebten, wenn auch in veränderter und abgeschwächter Form,

    weiter. In der überlieferten

    S. 30: Gedankenwelt aufgewachsene Menschen unterliegen in angespannten

    Situationen auch heute noch der Versuchung, Ängste, Hoffnungen und

    Sehnsüchte in die magische Welt zu projizieren und ihrer Not durch Zauber

    und Gegenzauber Abhilfe zu schaffen. Wie anders könnte man sich sonst den

    wachsen den Zulauf der Wahrsager und Heiler oder Vorfälle, wie sie von der

    Boulevardpresse erst vor kurzem aus Flums verbreitet worden sind, erklären?

    Nichts deutet darauf hin, dass der aus dem Mittelalter bis in unsere Zeit

    reichende Schatten des Hexenglaubens schmaler würde.

    Hexenverbrennung. Die Zahl der aus dem Sarganserland bekannten Hexenprozesse dürfte kaum den tatsächlich erfolgten Verurteilungen entsprechen. Sie war zweifellos höher. Holzschnitt von O. Benteli nach einer Zeichnung von E. Leuenberger. 19. Jh.

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    Die Teufelskunst

    In der mündlichen Überlieferung des Sarganserlandes sind Hexen in der Regel

    ältere und alleinstehende Frau en. Namen sind nur wenige bekannt. In Vilters

    hört man von einem Nänni, am Melser Berg von der altä Chaschperi, von

    Schleigel Jöüris Madeili, Schleigel Friidis Mareiä und deren Schwester und in

    Weisstannen von der Joggi Baabä und der Xander Annä. Die Gewährsleute

    halten mit näheren Angaben zurück. Häufig versuchen sie, die Bosheit der

    angeschuldigten Personen zu relativieren, indem auf deren Hilfsbereitschaft

    und Freigebigkeit gegenüber Bedürftigen hingewiesen wird. Man erfährt auch,

    dass nicht alle Hexen aus freien Stücken Hexen wurden. Manchen «isch d Häx

    aagworfä wordä». Andere wurden an einem «verworfnä Taag» geboren oder

    von ihren Müttern dazu angehalten. Möglicher weise stammen diese

    Vorbehalte wie die Flurnamen Häxäbödili (Weisstannen), Häxätapp (Mels),

    Häxäbühel (Calfeisental), Häxämüürli (Flums) erst aus dem 19. und 20.

    Jahrhundert.

    Soweit es sich bei den als Hexen bekannten Personen um ältere Frauen handelt,

    sucht man ihnen auszuweichen. Sie bringen ohnehin nur schlechte Nachrichten

    oder wenden sich ab. Daran glaubt man, die Hexen auch im Gottesdienst

    während der Wandlung oder beim feierlichen Segen zu erkennen. Sie wenden

    den Blick gegen den Ausgang der Kirche und verlassen den Gottesdienst

    vorzeitig. Daneben verfügen sie über die erstaunliche Fähigkeit, Unglücksfälle

    vorauszusagen und sich gleichzeitig an mehreren Orten aufzuhalten. In Mels

    will man die alt Chaschperi am gleichen Tag in den Rheinauen und zuhinterst

    im Weisstannental gesehen haben. Auffallend sind ferner die altmodischen

    Kleider, Hüte, Kopftücher, Schürzen und Strümpfe der Hexen. Halstücher und

    Strümpfe sind häufig rot. Rot ist ihre Lieblingsfarbe. Was die Anzahl angeht,

    vernimmt man aus Vilters, dass die Schüler zur Zeit von Pfarrer Ferdinand

    Good (1891-1948) sieben ortsansässige Hexen aufzählten. Auf die gleiche Zahl

    kam ein gewisser Vöügili Chrischti für Weisstannen. Im Taminatal wurden

    seinerzeit zwölf in Katzen verwandelte Hexen ermittelt.

    Die Kunst, sich in ein Tier zu verwandeln, gilt im Sarganserland als

    untrügliches Zeichen einer Hexe. Nach den Vorstellungen der Erzähler können

    Hexen ihre dem Teufel verschriebene Seele in einen Fuchs, in eine Katze oder

    in eine Elster verwandeln.

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    Das sind die drei hauptsächlichsten Tiere, die dafür in Betracht fallen. Ihre List

    und ihr räuberisches Verhalten sind bekannt. Dennoch geraten sie den Jägern

    vor den Lauf des Gewehres oder gar in eine Falle. In einem solchen Fall ist

    Vorsicht ratsam. Ein voreiliges Schiessen könnte den Jäger das Gewehr oder

    eine Hand kosten. Den

    S. 31: Hexen bei solchen Begegnungen zugefügte Wunden bleiben bestehen, wenn

    sich die Hexe zurückverwandelt. Sie bilden ein wichtiges Beweisstück für die

    Hexerei. Aus diesem Grunde raten die Erzähler, verdächtige Tiere mit einem

    Messer an den Ohren oder auf der Nase zu zeichnen.

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    Als ein Wangser Jäger auf eine fremde Katze schoss, vernahm er anderntags,

    dass eine Frau am Melser Berg mit einer Schussverletzung im Bett lag. Um die

    Jäger zu narren, lassen die falschen Füchse auf der Flucht ein Kleidungsstück

    zurück. Auf Valö glaubte ein Flumser Wilderer sieben Füchse erlegt zu haben.

    Als er die Beute holen wollte, fand er jedoch nur noch sieben rote Strümpfe.

    Einem Melser Kollegen erging es ähnlich. Ihn foppten die Hexen mit einigen

    abgenutzten Besen. In Mels wechselte die von einem Jäger im Schnee verfolgte

    Fuchsspur in eine Katzenspur. In Flums heisst es, dass ein Vater eine fremde

    Katze, in der er die Verursacherin der Krankheit eines Kindes vermutete, über

    die Treppe hin untergeworfen habe. Als die Nachbarin am andern Morgen mit

    einem zerschundenen Kopf in der Haustüre er schien, brauchte er nicht mehr

    länger nach der Hexe zu suchen. In Berschis wurde eine als Katze umgehende

    Hexe mit einer Ofengabel für ihr ganzes Leben gezeichnet.

    Auf einen Fuchs geschossen

    Ich haa nä na kinnt. Äs ischt än altä, routä, ä gstäppetä Maa gsii. Dr alt Rächi,

    hät män em gsäit. Där häig ämoul dumenä Fuggs ds Frässä gläit und ä zäucht

    und gschossä und troffä. Häi där Fuggs Schräi gluu! Aber nid pliibä. Är isch

    gä luegä und dem Bluet noi. Duä seig das Bluet in ä Huus yhi, und duä sei än

    alts Wyb, än aagschosses alts Wyb hinderemä Oufä joub ghogget.

    Mehr Glück hatte der berühmte Fuchs, der Peter Geel auf dem Weg von Mels

    nach Sargans um die Beine strich und von diesem kurzerhand in einen Sack

    gesteckt und in Sargans auf den Ruf der Schwester wieder freigelassen wurde.

    Als ein in Mels tätiger Schmiedegeselle mehrere Nächte nacheinander gequält

    wurde, folgte er dem Rat eines Kollegen und führte den Quälgeist in die

    Schmiede und beschlug ihn mit Eisen. Wunden an den Händen und Füssen der

    Meisterin liessen keinen Zweifel mehr darüber, wer ihn gepeinigt hatte. Ein

    Pfäferser Mönch hiess die von einer Hexe Geschädigten am St.

    Margrethenberg, ein Büschel Haare in ein kleines Feuer zu werfen. Im

    Taminatal fürchteten sich die Knechte auf einer Alp vor zwölf Katzen, die

    jeweils am Vorabend der Alpentladung in der Hütte erschienen. Sie

    verpflichteten einen in fremden Diensten ergrauten Mann, dem es gelang, der

    ersten der zwölf Katzen eine Pfote abzuschlagen.

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    Nach der Alpfahrt, als sich die Knechte beim Alpmeister einfanden, stellte sich

    heraus, dass dessen Frau bettlägerig war und einen Arm unter der Decke

    verborgen hielt. Der alte Soldat griff nach der Katzenpfote in der Kitteltasche:

    Es war eine Menschenhand. Sie passte genau an den verstümmelten Arm der

    Alpmeisterin. Die Frau wurde mit den andern elf Hexen, deren Namen sie bei

    der Einvernahme preisgeben musste, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bei

    dieser Erzählung handelt es sich um das einzige Beispiel unter Hunderten von

    Belegen, in dem die Hexen verurteilt und hingerichtet werden.

    Die Verwandlung in ein Tier erfolgt vor allem dann, wenn die Hexe in den

    Erzählungen zum Schrättlig wird. Dieser Quälgeist ist im Sarganserland fast

    nicht von der Hexe zu unterscheiden und hat den Hexenglauben bis in unsere

    Zeit getragen. Unter älteren Leuten bestand noch in der Mitte des 20.

    Jahrhunderts kaum ein Zweifel an dieser Erscheinung. Der Schrättlig bringt die

    Wiegenkinder um den Schlaf und macht sie krank. Er drückt und würgt die

    älteren Leute im Bett, dass sie in Atemnot geraten und sich kaum mehr

    bewegen können. Meist erreicht er sei ne Opfer über die Schultern oder auch

    vom Fussende her. Er verschwindet,

    S. 32: bevor die Geplagten erwachen und sich zurechtfinden. Wo der Schrättlig

    gesehen wird, handelt es sich um eine Katze. Auf einem Maiensäss in Flums

    gelang es einem vom Schrättlig geplagten Bauern, einen schwarzen Kater zu

    fangen. Als er ihn mit dem Messer töten wollte, flehte die Katze um ihr Leben

    und drohte dem Bauern mit der Rache ihrer Brüder. In Bad Ragaz glaubte ein

    vom Schrättlig geplagter Knecht, ein schadenfrohes Gelächter zu hören.

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    Hexentänze auf dem Gafarrabüel

    Auf dem Gafarrabüel im Weisstannental trafen sich die Hexen zu ihren Tänzen.

    Frauen und Mädchen, die den Ort aus diesem Grunde kannten, gaben sich in

    Paris, Mailand und Venedig den in fremden Diensten stehenden Melsern und

    Weisstannern zu erkennen. Darunter auch eine Frau, die als junges Mädchen

    die Mutter auf den Gafarrabüel begleitet hatte und bei dieser Gelegenheit in

    die Gesellschaft eingeführt werden sollte. Es verweigerte aber seine

    Unterschrift und wurde deshalb in einen Fuchs verwandelt und an eine Staude

    gebunden. So fand es ein junger Bursche aus Mels, der sich auf der Jagd

    befand, am andern Morgen. Als er in der Nähe auch noch einen goldenen Ring

    liegen sah, traute er der Sache nicht mehr, band den Fuchs los und liess ihn

    laufen. Den Ring nahm er zu sich. Als Tambour kam der junge Melser später

    bis nach Paris. Dort lernte er eine Kellnerin kennen, die ihm eines Tages sagte,

    dass er am kleinen Finger ihren Ring trage. Der Soldat lachte. Aber die

    Kellnerin wusste ihm den Ort ganz genau zu beschreiben, an dem er den Ring

    gefunden hatte. Wenn er jenen Fuchs getötet hätte, wäre er wohl nie mehr nach

    Paris gekommen, sagte die Frau. Dem Melser wurde es warm und kalt

    zugleich. Er gab der Kellnerin den Ring zurück und durfte sich dafür etwas

    wünschen. Nach kurzem Besinnen bat er die Kellnerin um den Gefallen, am

    kommenden Morgen, statt in der Kaserne, in Mels zu erwachen. Die Kellnerin

    erfüllte den Wunsch mit ihrer Kunst. Als der Tambour am Morgen die Augen

    aufschlug, lag er samt seinem Gepäck unter der Linde auf dem Marktplatz in

    Mels, wo heute der Platzbrunnen steht.

    -----------

    Wie sich die Hexe in einen Fuchs, eine Katze oder in eine Elster verwandelt, so

    erscheint der Schrättlig als Hummel, Vogel, Wespe oder Fliege. Als Strohhalm

    und Flaumfeder dringt das eigenartige, sich unversehens den Naturdämonen

    (Grääggi, Bachgschrai usw.) nähernde Wesen des Schrättligs durch Ritzen,

    Ast- und Schlüssellöcher in die Schlafkammern. Wenn man die Öffnung, durch

    die er eingedrungen ist, rechtzeitig verschliessen kann, muss er bleiben. Ein in

    Mels als Vogel in eine Kammer eingedrungener Schrättlig nahm, als er nicht

    mehr fliehen konnte, die Gestalt eines Mädchens an. Der junge,

    geistesgegenwärtige Bursche nahm es zur Frau.

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    Zwei Jahre später beging er aber den verhängnisvollen Fehler, den seinerzeit in

    die Öffnung der Wand geschlagenen Zapfen auf die drängende Bitte der Frau

    zu entfernen. Da fielen ihr die Kleider vom Leibe. Die Frau floh als Vogel und

    sang: «Hei, wie klingen die Glöcklein in Venedig so schön!» Von einer

    ähnlichen Verbindung erzählt man auch in Flums, wo es einem Burschen

    gelang, den als Strohhalm in seine Schlafkammer eingedrungenen Schrättlig

    festzuhalten, indem er etwas (wohl ein Kleidungsstück) auf ihn warf. Der

    Strohhalm verwandelte sich in ein schönes Mädchen, das er in der Folge

    heiratete. Auch in diesem Fall gelang es aber nicht, die Frau festzuhalten. Nicht

    einmal die Kinder vermochten ihre Mutter ans Haus zu binden.

    In bestimmten Nächten (vorzugsweise in den kirchlichen Festtagen

    vorausgehenden Nächten) versammelte der Teufel sein Gefolge aus der

    näheren und weiteren Umgebung zu einer festlichen Veranstaltung. Im

    Sarganserland trafen sie sich mitten im Tal auf dem Tiergget, auf der Wangser

    Alp Mugg, auf der Pfäferser Allmend, auf Gaspus bei Vättis, auf dem

    Hexenbühel am Eingang der Alp Sardona, auf dem Böüdili am Hinterberg in

    Mels, auf dem Heidenberg am Kleinberg und auf dem Eggli, einem Platz

    zwischen der Schuhegg und dem Berschnerbach, dann aber vor allem auf dem

    Gafarrabüel im Weisstannental und im Schaaner- und Balzner-Ried im

    Fürstentum Liechtenstein. Man erkannte diese Plätze leicht an der mangelnden

    Vegetation. Der Boden, auf dem die Hexen tanzen, ist «plutt» und wird von

    den Tieren gemieden. Kein Rind oder Schaf legt sich auf einem Hexen-

    Tanzplatz nieder. Alpknechte und beerensuchende Kinder fanden in der Nähe

    dieser Versammlungsorte kostbare Dinge, die den tanzenden Hexen abhanden

    gekommen waren: Fingerringe, Kämme, goldene Schuhe, seidene Strümpfe

    und Bänder. Man versteht, dass die Wangser Kinder in der Erwartung, etwas

    von diesen Geheimnissen zu erfahren, häufig nach dem Gafarraboden

    hinüberschauten.

    Die Fahrten der Hexen nach diesen Versammlungsorten erfolgten in der Nacht.

    Sie schmierten einen Besenstiel oder eine Ofengabel mit Hexensalbe, und

    schon trug sie der verbreitete Zauberspruch: «Oben aus und nirgends an!» zum

    offenen Kamin in die Nacht hinaus an den vor Mitternacht zu erreichenden

    Bestimmungsort. Kiltgänger erzählten von den Büchsen mit Hexensalbe, die

    sie in den Wohnungen der verdächtigen Frauen gesehen haben wollten.

  • - 12 -

    An diesen Versammlungen pflegte der Buhlteufel neue Mitglieder

    aufzunehmen. Diese hatten dem Christenglauben abzuschwören und sich zu

    verpflichten, den Menschen und den Tieren sowie den Kulturen durch Zauber

    zu schaden. Als im Weisstannental einmal eine ganze Brücke voll Katzen

    gesehen wurde, brachte man die Erscheinung mit den Versammlungen der

    Hexen auf dem Gafarrabüel in Verbindung.

    Neben der schwankhaften Schilderung eines derartigen Steckenritts in Mels

    (auch aus Flums liegt ein Bericht vor) ist in Vättis die Rede von zwei jungen

    Männern, die im Calfeisental einer Hexe unbeabsichtigt den Weg versperrten.

    Der eine der beiden, ein Fronfastenkind, musste der Unholdin die Durchfahrt

    nach der Alp Sardona ausdrücklich gestatten. Nachdem er offenbar nichts

    dagegen einzuwenden hatte, hob sie sich in die Luft und rauschte taleinwärts

    davon. Einzelheiten über die Hexenversammlungen wusste der Geiger Hans-

    Jöüri zu erzählen, der auf dem Weg von Sargans nach Vaduz unversehens

    Zeuge einer solchen Veranstaltung wurde. Mitglieder einer noblen Gesellschaft

    baten ihn, zum Tanze aufzuspielen. Als Entschädigung durfte er sich satt essen

    und trinken soviel er wollte. Man bat ihn lediglich, von seinen Trinksprüchen

    abzusehen.

    S. 33: Als er sich aus Langeweile vergass und rief: «Gsundhäit, Hans! Gsäg drs Gott,

    Hans! Fürcht dr nüt, so gschiet dr nüt!» war der Spuk verschwunden. Er befand

    sich allein mit seiner Geige auf dem Vaduzer Galgen. Fronfastenkinder waren

    in der Lage, solche Tanzveranstaltungen ohne Schaden zu beobachten. Andere

    behalfen sich, indem sie einem Fronfastenkind über die linke Schulter

    schauten.

    Interessant sind die Erlebnisberichte, worin die aus fremden Diensten

    zurückkehrenden Melser, Weisstanner und Sarganser behaupten, in Paris,

    Mailand und Venedig, ja selbst in Neapel, schöne Frauen angetroffen zu haben,

    die sich auf dem Gafarrabüel auskannten und im vertrauten Gespräch

    gestanden, im Weisstannental an Hexenversammlungen teilgenommen zu

    haben. Die Erzählungen beginnen mit einem Jagderlebnis. Ein Jäger stösst auf

    einen oder auf mehrere Füchse, die durch ihr ungewöhnliches Verhalten

    auffallen. Auf Gaspus bei Vättis sind zwei Füchse mit einer Waldrebe

    festgebunden. Der Jäger befreit die Tiere und lässt sie laufen.

  • - 13 -

    Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich bei den beiden Füchsen im

    Taminatal um zwei verwandelte Damen aus Mailand. Sie belohnten den

    Burschen reichlich. Ähnlich erging es einem Melser, der neben dem befreiten

    Fuchs einen goldenen Fingerring fand. Er kam in fremden Diensten nach Paris.

    Eine Kellnerin erkannte den Ring und erzählte dem Soldaten, unter welchen

    Umständen sie ihn im Weisstannental verloren hatte. Der erstaunte Melser

    schenkte ihr den Ring. Als Gegenleistung schaffte die Frau den

    heimwehkranken Tambour durch Zauberkraft noch in der gleichen Nacht nach

    Hause. Er erwachte in der Morgenfrühe unter der grossen Linde auf dem Platz

    in Mels.

  • - 14 -

    Während der Schadenzauber der Hexen allgemein bekannt ist und ihr Wesen

    ausmacht, bleiben die Hexenmeister oder Schwarzkünstler vielfach bis zu

    ihrem Tode unerkannt. Wie die Hexen verbinden sie sich mit dem Bösen und

    verstehen sich auf Schatzgräberei und auf das Bannen. Letzteres insbesondere

    als Jäger auf der Jagd. In Vättis schiesst ein Schwarzkünstler täglich eine

    Gemse, bis ihn ein Mönch aus dem Kloster Pfäfers darauf aufmerksam macht,

    dass es kein anderer als der Teufel selber ist, der ihm die Tiere am Hals

    festhält. Auf Verachta in Berschis lässt ein Schwarzkünstler zum Erstaunen der

    Umstehenden ein ganzes Rudel Gemsen den Weg überqueren. Schwarzkünstler

    beteiligen sich auch an Schatzgräbereien und haben einen schweren,

    abstossenden Tod. Der von ihnen angerichtete Schaden muss noch in dieser

    Welt verbüsst werden. «Si chünnd fascht nid stärbä», heisst es in den Sagen.

    Vor ihren An gehörigen verfallen sie dem Teufel, dem sie sich in Ausübung

    ihrer Kunst verschrieben haben.

    Der Schadenzauber

    Niemand ist vor dem Schadenzauber der Hexen und des Schrättligs sicher,

    weder die Kinder noch die Erwachsenen. Am stärksten gefährdet sind die

    Wiegenkinder, die älteren Menschen und die Haustiere. Unter den Tieren

    werden die Schweine am häufigsten erwähnt. Die Hexen und der Schrättlig

    schädigen aber auch die Kulturen, verursachen schwere Unwetter und lösen

    Rüfen und Lawinen aus. «Zläidwärchä» ist ihre einzige Absicht.

    Schwangere Frauen und Mütter mieden daher die Nähe verdächtiger Personen

    und fürchteten sich vor dem Schrättlig. Mütter, die sich nach der Geburt eines

    Kindes in der Kirche «uussägnä» liessen, nahmen den Säugling vorsichtshalber

    mit. Es hiess, dass unbewacht zurückgelassene Kleinkinder vom Schrättlig

    gegen eine Missgeburt ausgetauscht worden seien. Man sah es auch nicht

    gerne, wenn bestimmte Frauen ein Geschenk ins Haus brachten oder einen

    Säugling in der Wiege oder im Kinderwagen auffallend rühmten. Auf das Lob:

    «Häsch du jetz ä rars Mäitili!» antwortete die Mutter vorsichtshalber für sich:

    «Bhüets Gott und erhalts Gott!» Denn die Hexen können ein Kind

    «verschräiä», es um den Schlaf bringen, krank machen oder wie in Vilters

    sogar töten.

  • - 15 -

    Gesunden Säuglingen schwellt grundlos die Brust an, so dass sich die Mütter

    besorgt an den Pfarrer wenden. «Häxä brüschtli» nannte man diese

    Erscheinung. Als ein Vasöner mit seinen Kindern auf den Bachbergen

    übernachtete, waren die Zöpfe der Mädchen am Morgen so fest

    zusammengebunden, dass sie nur noch ein Kapuziner zu lösen vermochte. In

    Sargans warnt man die Schulkinder davor, mutwillig in den Trüllwind zu

    treten. Im Trüllwind tanzen die Hexen. Sie könnten ein Kind lähmen. Wer ein

    Messer in das von Wind aufgewirbelte Laub oder Heu wirft, findet es nicht

    mehr.

    Auch die Erwachsenen, vor allem aber die älteren Menschen, waren dem

    Schadenzauber der Hexen ausgeliefert und wurden nachts vom Schrättlig

    gedrückt und gewürgt, dass die Würgmale am Hals beim Erwachen noch zu

    sehen waren. Wenn jemand «wiä aagworfä» erkrankte, lag die Vermutung

    nahe, dass es sich um eine Behexung handeln könnte. Die Frage, ob Hass und

    Rache im Spiel sein könnten, stellte sich auch bei unerwarteten Todesfällen.

    Wurde der Tote vielleicht von jemand «vernagglet»? Das «Vernagglä» bestand

    darin, dass der Nagler ein Loch in einen Baum bohrte, den Namen seines

    Opfers auf einen Streifen Papier schrieb und diesen in das Loch hineinschob

    und verschloss. Der davon Betroffene lebte nach der Meinung der

    Gewährsleute noch so lange wie der beschädigte Baum. Manchmal wurden in

    der gleichen Absicht mehrere Nägel in einen bestimmten Baum

    S. 34: geschlagen. In Wangs soll ein hasserfüllter Sohn seinen Vater auf diese Weise

    ins Grab gebracht haben. Die gleiche Wirkung versprachen auch in einen Strick

    gemachte Knoten.

  • - 16 -

    Noch reichhaltiger ist der Katalog des Schadenzaubers, den die Hexen und der

    Schrättlig im Stall ausüben. Wie bei den Kleinkindern die Brust, so schwellen

    den Zicklein unter dem Einfluss des Schrättligs die Euter an. Die Bauern sagen,

    dass sie vom Schrättlig gesogen würden. Entzündete oder angeschwollene

    Euterzitzen der Ziegen und Kühe lassen wie die mit Blut durchzogene Milch

    auf Hexenwerk schliessen. Hexen vermögen den Milchtieren die Milch auf

    grössere Entfernung zu entziehen.

  • - 17 -

    Ein nichtsnutziger Ziegenhirt auf der Langwiese im Weisstannental löschte

    seinen Durst, indem er mit Hilfe eines Hütersteckens eine auf der andern

    Talseite weidende Kuh molk. Die Milch floss ihm zu den Mundwinkeln heraus.

    Hexen brauchen daher keine Milch zu kaufen. Wie in Flums erzählt wird,

    melken sie selbst den Geschirrlappen an der Wand in ein darunter gestelltes

    Krüglein. Dieses Abmelken ist mehrfach belegt.

    Eine Bestätigung für dieses Unwesen glauben die Gewährsleute darin zu sehen,

    dass sich die Tiere vor den Hexen fürchten. Wenn sich eine solche Frau in der

    Stalltüre zeigt, beginnen die Tiere zu schwitzen, dass es ihnen «wiä Bäch

    abärünnt». Den Hexen lasteten die Bauern im Taminatal die 1909

    ausgebrochene Maul- und Klauenseuche an. Hexen sind es auch, die zwei oder

    gar drei Kühe oder Ziegen über Nacht in die gleiche Kette zwingen. Als in

    Vilters einmal zwei Ziegen in der gleichen Kette angetroffen wurden,

    vermochte sie der Besitzer nicht zu unter scheiden und zeichnete daher beide

    mit dem Sackmesser auf der Nase. Einige Tage später begegnete er einer Frau

    mit einer verunstalteten Nase. Im Taminatal riet ein Kapuzinerpater, die

    mittlere der drei in zwei Ketten verhängten Kühe zu schlachten. Die Frau des

    Dorfvorstehers lag andern tags erschlagen im Bett. Und in Mels schnitt ein

    Bauer dem verhexten Tier kurzentschlossen ein Ohr ab. Damit war auch die

    Hexe gezeichnet. In den meisten Fällen springt die Kette jedoch nach der

    Anrufung der drei höchsten Namen oder mit Hilfe von Weihwasser auf, ohne

    dass die Tiere Schaden nehmen. So bedrohlich die Situation der in der gleichen

    Kette verhängten Kühe geschildert wird, so geht dabei doch nie ein Tier

    zugrunde. Als in Mels ein mal ein Kind in der Kette einer Ziege

    S. 35: gefunden wurde, behalf sich der Vater erfolgreich mit Fluchwörtern. Die

    Hexen oder der Schrättlig fordern auch die Alpknechte heraus, indem sie ganze

    Viehherden während der Melkzeit in die Flucht jagen. Das bis in die Mitte

    unseres Jahrhunderts auf fast allen Alpen bekannte «Veiruggä» oder

    «Stoufelruggä» wird von den Gewährsleuten ausdrücklich als Hexenwerk

    bezeichnet. In Wangs, in Vasön, im Weisstannental, in Flums und auf den

    Quartner Alpen wird das Viehrücken unter genauer Angabe des Orts und des

    Jahres bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zurück belegt. Das Viehrücken

    führte unter den Alpknechten, die sich durch Zauber und Gegenzauber zu

    erwehren suchten, zu Streit.

  • - 18 -

    Im Taminatal warf ein Knecht bei einem Viehrücken das Messer und

    überführte auf diese Weise die Hexe. Ein anderer stiess das Messer bei einem

    Rücken in den zu Boden geworfenen Kittel. Wie sich herausstellte, erstach er

    einen Kollegen auf einer andern Alp, der den Zauber bewirkt hatte. Ein

    ähnlicher Vorfall mit tödlichem Ausgang wird auch von der Alp Wisen in

    Flums er zählt.

    Als auf der Wangser Alp Mugg die Alpknechte ratlos vor der rot verfärbten

    Milch standen, riefen sie nach dem Vilterser Pfarrer. Dieser kam, verrichtete

    die erwarteten Gebete und liess hier auf Wachs einer brennenden Kerze ins

    Käsekessi tropfen, so dass die Knechte im Wachs die Gesichtszüge der Hexe

    erkannten. Das gleiche Vorkommnis erzählt man auch von Vermil. Auf einer

    anderen Wangser Alp plagten die Knechte eine arme, um Milch oder Schotte

    bettelnde Frau, die sich mit Hilfe der Zauberei zu rächen verstand. Sie

    verwandelte die im Milchgaden zum Aufrahmen bereitgestellte Milch in saure,

    süsse und rote Milch. Die Knechte sahen sich gezwungen, die Hilfe eines

    Kapuziners aus Mels in Anspruch zu nehmen.

    In ganz besonderer Weise scheinen die Schweine dem Schadenzauber der

    Hexen ausgeliefert zu sein. Wie beim Menschen genügt schon der «böüs

    Bligg» oder der «böüs Wind», um ein Schwein krank zu machen.

  • - 19 -

    Die gefährdeten Tiere verweigern plötzlich die Nahrungsaufnahme. In Pfäfers

    warf die Nachbarin eines Bauern nur einen flüchtigen Blick auf ein eben

    erworbenes Schwein. Schon erkrankte das Tier und ging ein. Der «böüs Wind»

    wird von den Gewährsleuten als warmer Hauch geschildert. Wer das Unglück

    hat, in den «böüsä Wind» zu geraten, muss mit einem geschwollenen Kopf

    rechnen.

    Schliesslich fügten die Hexen und der Schrättlig auch den Kulturen Schaden

    zu. Sie bewirkten Unwetter und lösten Rüfen und Lawinen aus. In

    Hagelkörnern wurden Frauenhaare gefunden, die von Hexen stammen sollen,

    welche die Unart haben, sich am offenen Fenster zu kämmen. Um die

    Jahrhundertwende, als die Weinberge vom gefürchteten Mehltau heimgesucht

    wurden, glaubten Melser Rebbauern, auch darin Hexenwerk zu erkennen. Über

    Valens lösten die Hexen, die von einem Anlass auf dem Gafarrabüel her

    überkamen, eine Lawine aus, die bis zu den Häusern vordrang. Die

    Schneemassen wurden glücklicherweise von der Kirchenpatronin, der heiligen

    Katharina, im letzten Augenblick aufgehalten. Als seinerzeit der Vilterser Bach

    das Dorf zu überführen drohte, hörte man wüste Beschimpfungen einer Hexe

    über das Läuten des Glöckleins der oberen Kapelle.

    Ohne Parallelen ist der Bosheitszauber zweier Hexen in Murg, die einen

    gutmütigen Burschen über mehrere Jahre hinweg in einen Esel verwandelten.

    Eine Jungfer in Berschis grub mit Liebeskraut eine Grube und stürzte selber

    hinein.

  • - 20 -

    Der von ihr ins Auge gefasste Alpknecht misstraute dem Liebestrank und

    schüttete ihn in den Schweinetrog, so dass sich anderntags die Schweine um

    die liebeshungrige Frau bemühten.

    Abwehr des Bösen

    So listenreich und breit die Auswahl des Schadenzaubers der Hexen und des

    Schrättligs erscheinen mag: Menschen und Tiere sind ihm nicht schutzlos

    ausgeliefert. Die Sagenerzähler verweisen auf das Angebot an kirchlichen und

    weltlichen Abwehrmitteln: Gebete, Besegnungen, Beschwörungen,

    Weihwasser, geweihtes Salz und so weiter auf der einen Seite und Fluchworte,

    Verwünschungen und handgreifliche Abhilfe auf der andern Seite. Aller Gefahr

    zum Trotz braucht niemand zu verzagen. Jeder Zauber hat seinen Gegenzauber.

    Als einfachstes und sicherstes Abwehrmittel gegen Schadenzauber jeder Art

    gilt das Kreuzzeichen. Es hilft gegen jede Art von Verhexung, den «böüsä

    Bligg» und den «böüsä Wind». Kinder und Erwachsene bekreuzigten sich in

    Gefahr rasch und unauffällig. Auch die notfalls zu Hilfe gerufenen und in den

    drei höchsten Namen wirkenden Geistlichen und Heiler benützten das

    Kreuzzeichen. Die vorformulierten Besegnungen und Beschwörungen

    verlangen meist drei Kreuzzeichen. Sie bringen den Teufel und seine Gehilfen

    in Verwirrung. Das erfuhren Kinder, die sich auf den Rat älterer Kameraden

    vor vermeintlichen Hexen bekreuzigten, am eigenen Leibe. Beschimpfungen

    oder eine Ohrfeige waren ihnen gewiss. Aus diesem Grunde zeichneten

    Vorsichtige das Kreuzzeichen mit dem rechten Fuss in den Strassenstaub oder

    waren so erfinderisch wie jene Frau in Plons, von der es hiess, dass sie das

    Schutzzeichen auf dem Velo mit der Zunge im Mund mache.

    S. 36: In den meisten Häusern war es bis in die dreissiger Jahre unseres Jahrhunderts

    üblich, beim Verlassen des Hauses mit Weihwasser das Kreuzzeichen zu

    machen. Das galt erst recht vor Antritt einer Reise oder vor einer schwierigen

    Aufgabe. Die Kinder erhielten das Kreuzzeichen von ihren Müttern beim

    Zubettgehen auf die Stirn gezeichnet. Es gehörte auch zu jedem Kirchen- oder

    Gräberbesuch. Fuhrleute, welche die Pferde an bestimmten Stellen aus

    unerklärlichen Gründen nicht mehr vom Fleck brachten, schlugen mit der

    Geissel ein Kreuz über den Rücken der Tiere oder auf die Strasse und brachen

    damit den Zauber.

  • - 21 -

    Schrättlig. Hexen können sich nach den Vorstellungen der Gewährsleute in Füchse, Katzen und Elstern verwandeln. Von dieser Kunst machen sie auch Gebrauch, wenn sie Menschen und Tiere als Schrättlig quälen. Der Schrättlig ist im Sarganserland fast nicht von der Hexe zu unterscheiden. Erscheint der Schrättlig als Schmetterling, als Hummel und Fliege oder gar als Strohhalm oder Flaumfeder, verliert er die Konturen der verwandelten Hexe. Er nähert sich den Naturdämonen und dient den Gewährsleuten als Erklärung, wenn der Schadenzauber nicht ohne weiteres einem Menschen bzw. einer Hexe unter stellt werden kann. Wo der Mensch den Schrättlig als Alpdrücken erfährt und sieht, ist im Sarganserland die Rede von einer fremden Katze. In den Tälern mit Walser-Einschlag heisst der Schrättlig Toggeli oder Doggi, in Deutschland ist es die Trud. - Der Schrättlig beim Verlassen einer Schlafkammer. Bleistiftzeichnung, 20. Jh.

    Beim Bau eines Hauses kerbten die Zimmerleute oder der Eigentümer in die

    Türschwelle und in die Fensterbalken Kreuze und verwehrten damit dem Bösen

    den Zutritt. Auf dem Felde wurden Kreuze zum Schutz vor Unwettern gesetzt.

    Am Dreikönigstag zeichnen die Quartner Sternsinger neben die Initialen CMB

    drei Kreuze über die Eingangstüren der Wohnhäuser. Manche Bauern schnitten

    den für die Sömmerung auf den Alpen bestimmten Rindern ein Kreuzzeichen

    ins Fell. Kühen und Ziegen, die zu zweit oder zu dritt in der gleichen Kette

    vorgefunden wurden und in Gefahr waren, zu ersticken, schlug man mit der

    Axt oder mit einer Mistgabel in den drei höchsten Namen ein Kreuz auf die

    angespannte Kette.

  • - 22 -

    Auch ein gewöhnliches Messer verheisst Schutz vor dem Einfluss des Bösen,

    erst recht ein sogenanntes »Chrüzlimässer«, ein Taschenmesser mit einem auf

    der Klinge eingestanzten Kreuz, In Bad Ragaz wurde ein «Chrüzlimässer» ins

    Weihwasser getaucht und in den drei höchsten Namen in ein Türgericht

    gestossen. Die Hexe war für ihr Leben gezeichnet. In Flums warf der Vater

    eines vom Schrättlig geplagten Kindes ein Messer erfolgreich nach der

    Stubendiele.

    Mit der Säkularisierung des Denkens und dem Verlust der übernommenen

    Vorstellungen hat das Kreuzzeichen viel von seiner Bedeutung als Abwehr-

    massnahme eingebüsst. Es dürfte von jüngeren Leuten kaum mehr mit jener

    Selbstverständlichkeit verwendet werden, die den Eltern und Grosseltern noch

    eigen war. Das trifft wohl auch auf das Weihwasser zu. Weihwasser, vor allem

    Dreikönigswasser, wurde bei drohender Gefahr in eine Öffnung der

    Türschwelle gegossen. Von jüngeren Müttern soll es da und dort auch dem

    Badewasser der Kleinkinder beigegeben worden sein. Drohte die Maul- und

    Klauenseuche, tauchten Bauern die Füsse der Kühe in einen mit Weihwasser

    gefüllten Zuber. Ähnliche Wirkungen versprach man sich von geweihtem Salz

    und Wachs, von Palmzweigen und verschiedenen Kräutern. Wachs und Salz

    mischte man den Tieren unter das Futter. In Heiligkreuz wurde geweihtes Salz

    so lange auf der Herdplatte geröstet, bis die Hexe an der Haustüre erschien und

    sich zu erkennen gab. Geweihtes Wachs, am begehrtesten war «houchgwiches

    Waggs» oder Malefizwachs, nähten die Frauen in ein «Püntschäli»

    (Stoffsäcklein) und legten es den Kindern unter das Kopfkissen. Wer im

    Kapuzinerkloster in Mels um «Gwiches» bat, erhielt neben Wachs auch

    Medaillen. Musste in besonderen Fällen ein Geistlicher beigezogen werden,

    wandte man sich an einen frommen, in jeder Hinsicht untadeligen Herrn. «Ar

    hät dinn schu suuber Schuä aahaa müessä.

    Unter den zahlreichen Besegnungen und Beschwörungen sei lediglich auf die

    gebräuchlichsten beiden Anrufungen hingewiesen, die von älteren Leuten

    gegen den Schrättlig empfohlen werden: «Jesus, Maria und Josef!» und «Das

    heilige Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt!» Neben

    Anrufungen dieser Art kannte man gedruckte Haus- und Stallsegen,

    Gebetszettel und Schutzbriefe sowie unscheinbare Andachtsbildchen, die mit

    einem Reissnagel an eine Wand geheftet wurden.

  • - 23 -

    Auch so konnte natürlich noch etwas Verdächtiges im Raum bleiben. Wenn der

    Loch-Tuuni in Sargans am Morgen in den Stall trat und etwas «Uurichtigs»

    vermutete, griff er nach der Mistgabel und schritt mit den beschwörenden

    Worten: «Ischt er dou nid, ischt er döt, ussi muess er!» von einer Ecke in die

    andere.

    Neben den kirchlichen Mitteln kannte man auch weltliche Massnahmen zur

    Abwehr des Bösen. Man stellte den Besen hinter die Türe, nagelte ein

    Sensenblatt über die Türe oder legte ein Messer unter die Schwelle. In Vilters

    klebte anderntags Blut an der Klinge. Ähnlichen Schutz versprach man sich

    S. 37 auch von der weissen Wurzel einer Haselstaude. Haselwurzeln helfen, wenn

    die Kühe unter dem Einfluss des Zaubers nicht mehr aufnehmen.

    Wiegenkindern, die vom Schrättlig geplagt wurden, band man eine Hanfhechel

    mit den Spitzen nach aussen auf die Brust. In Vilters wurde am Morgen ein

    Büschel blonder Haare in der Hechel gefunden. Nachdem die Patin des Kindes

    blondhaarig war, wusste man nun über den Quälgeist Bescheid. Auf diese

    Weise wurde in Vättis eine der Hexerei verdächtigte Frau an der Stirn

    geschunden. Die Hexen drücken mit dem Kopf gegen die Brust ihrer Opfer.

    Ein einfaches Mittel, um dem Schrättlig beizukommen, besteht darin, den Ge

    quälten beim Namen zu rufen.

    In mehreren Berichten wird das Nachtwasser in eine Flasche abgefüllt und

    diese fest verschlossen. Von diesem Augenblick an kann die Hexe das Wasser

    nicht mehr lösen. Sie gerät in Not und sieht sich gezwungen, im Haus des

  • - 24 -

    Geschädigten etwas auszuleihen. Man durfte aber nicht auf ihre Wünsche

    eingehen, so dass sie mehrmals zurückkehren und sich schliesslich zu erkennen

    geben musste. Diese Prozedur wurde in Wangs noch verschärft, indem man das

    Nachtwasser in einer alten Pfanne auf den Herd stellte und erwärmte. Dadurch

    geriet die Hexe in Panik. Sie versprach der geschädigten Familie, keinen

    weiteren Schaden mehr zuzufügen. Als sich in Flums Rahm nicht mehr zu

    Butter verarbeiten liess, brachte ihn der Bauer ebenfalls auf den Herd und

    zwang die Hexe auf diese Weise ins Haus. Zur Strafe zog er sie durch die

    Sprossen einer Leiter. Auf die gleiche Weise gelang es in Flums auch, den

    Zauber an einer euterkranken Ziege zu brechen. Am Kleinberg warf man zwei

    Ferkel in siedend heisses Wasser, um eine Hexe zu entlarven.

    Schutzzettel. Zum Schadenzauber der Hexen gehört der Gegenzauber. Jeder Zauber hat einen kirchlichen oder weltlichen Gegenzauber. Stark verbreitet waren die Agatha-Zettel mit dem Spruch: Mentem sanctam + spontaneam + honorem Deo + et patriae liberationem, Sancta Agatha, ora pro nobis. (Wir erflehen einen heiligen, bereitwilligen Sinn, Gottes Ehre und die Befreiung des Vaterlandes, bitte für uns, heilige Agatha.) Im abgebildeten, fehlerhaften Text eines Agatha -Zettels, der über Generationen an einer Wiege in Sargans hing, wird die heilige Agatha überdies gegen Feuergefahr angerufen.

    Wenn die Selbsthilfe nicht ausreichte, half vielleicht der Rat eines

    Weisskünstlers. Im Gegensatz zum Schwarzkünstler oder Hexenmeister

    betreibt er nicht die schwarze, sondern die weisse Magie. Ein Tiroler

    Weisskünstler schoss einen stich- und kugelfesten Franzosen in Vättis mit

    Hilfe einer silbernen Kugel vom Pferde. Drei auf Garmina lebende Schwestern

    verwandelten sich zeitweise in Gemsen und versuchten, einen ihnen

    missliebigen Jäger über die Felsen hinunterzustürzen. Da gab ein in diesen

    Dingen bewanderter Vazer dem Jäger den Rat, das nächste Mal Dreikönigssalz

    unter das Pulver zu mischen und eine silberne Kugel zu benützen. Eine der drei

    Schwestern wurde tödlich getroffen. Der Weisskünstler beschwört das Böse im

    Namen Gottes. Nach der Meinung der Gewährsleute kann daher nichts

    Unrechtes daran sein.

  • - 25 -

    Im Namen Gottes kann man nichts Unrechtes tun. Von dieser Überzeugung

    zehren auch die Heiler beim Warzenvertreiben, Blutstillen und Diebe bannen.

    Als letztes Mittel nennen die Volkserzählungen die Erlösung der Hexen von

    der ihrem Meister gegenüber eingegangenen Verpflichtung. In Flums bemerkte

    ein Bursche, der sich mit seiner Liebsten auf dem Heimweg befand, dass sich

    diese unversehens in eine schwarze Katze verwandelte und in dieser Gestalt

    über eine Hauswand in die Schlafkammer hinaufkletterte. Darüber zur Rede

    gestellt, gestand sie, an einem verworfenen Tag geboren zu sein und daher als

    Schrättlig Menschen und Tiere plagen und schädigen zu müssen. Es gelang

    ihm, das unglückliche Mädchen zu erlösen, indem er ihr gestattete, etwas, das

    ihm gehörte, zu Tode zu drücken. Er verlor dabei seine schönste Kuh. Dem

    Mädchen wurde die Hexe genommen. Den gleichen Vorfall erzählt man auch

    in Plons.

    Alte und neue Spuren

    Die um die Jahrhundertwende und in den späten sechziger Jahren gesammelten

    Berichte über das Unwesen der Hexen und des Schrättligs im Sarganserland

    bestätigen den eingangs erwähnten, bis in unsere Zeit reichenden Schatten des

    Hexenglaubens. Er scheint zur menschlichen Existenz zu gehören. Alles deutet

    darauf hin, dass der Mensch auf Sündenböcke angewiesen bleibt. Die

    Erzählungen lassen aber auch deutlich werden, wie sich Figuren und Motive in

    der Volkserzählung im Laufe der Zeit verändern und doch in allen Einzelheiten

    erkenntlich bleiben. Im Schwankhaften eines Steckenritts und in der

    Verwandlung einer Hexe in einen Fuchs oder in eine Katze glaubt man Züge

    älterer Erzählungen zu erkennen. Sie zählen heute zweifelsohne zum passiven

    Sagengut. Die vielfältigen Spuren des Schadenzaubers an Hab und Gut

    stammen aber wohl aus neuer und neuester Zeit. Sie sind noch frisch oder noch

    nicht verwischt und lassen sich im ganzen Sarganserland leicht nachweisen.

    Quellennachweis Jakob Kuoni, Sagen des Kantons St. Gallen (St. Gallen 1903), Alois Senti, Sagen aus dem Sarganserland (Basel 1974), Werner Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes (1916).

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