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Leseprobe Foucault, Michel Die Hauptwerke Mit einem Nachwort von Axel Honneth und Martin Saar © Suhrkamp Verlag 978-3-518-42008-9 Suhrkamp Verlag

Suhrkamp Verlag · 2016. 5. 30. · Erste Auflage 2008 dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008 Nachweise am Ende dieses Bandes Alle Rechte vorbehalten, insbesondere

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  • Leseprobe

    Foucault, MichelDie Hauptwerke

    Mit einem Nachwort von Axel Honneth und Martin Saar

    © Suhrkamp Verlag978-3-518-42008-9

    Suhrkamp Verlag

  • SV

  • Michel FoucaultDie Hauptwerke

    Mit einem Nachwort vonAxel Honneth und Martin Saar

    Suhrkamp Verlag

  • Erste Auflage 2008� dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2008

    Nachweise am Ende dieses BandesAlle Rechte vorbehalten, insbesondere das desçffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

    durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

    (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

    reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

    Umschlag: Hermann Michels und Regina GçllnerSatz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

    Printed in GermanyISBN 978-3-518-42008-9

    1 2 3 4 5 6 – 13 12 11 10 09 08

  • Inhalt

    1. Die Ordnung der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72. Arch�ologie des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4713. �berwachen und Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7014. Sexualit�t und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1021

    4.1. Der Wille zum Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10214.2. Der Gebrauch der L�ste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11514.3. Die Sorge um sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1369

    Anhang

    Michel FoucaultGespr�ch mit Ducio Trombadori . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1585

    Axel Honneth/Martin SaarGeschichte der Gegenwart. Michel Foucaults Philosophieder Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1651

    Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1683Vita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1684

  • 1Die Ordnung der Dinge

    Eine Arch�ologieder Humanwissenschaften

    Aus dem Franzçsischenvon Ulrich Kçppen

  • Inhalt

    Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

    Erster Teil

    1. Kapitel: Die Hoffr�ulein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

    2. Kapitel: Die prosaische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49I. Die vier �hnlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49II. Die Signaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59III. Die Grenzen der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64IV. Die Schrift der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69V. Das Sein der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

    3. Kapitel: Repr�sentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82I. Don Quichotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82II. Die Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86III. Die Repr�sentation des Zeichens . . . . . . . . . . . . . . 96IV. Die reduplizierte Repr�sentation . . . . . . . . . . . . . . 102V. Die Imagination der �hnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 107VI. »Mathesis« und »Taxinomia« . . . . . . . . . . . . . . . . 112

    4. Kapitel: Sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118I. Kritik und Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118II. Die allgemeine Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . 122III. Die Theorie des Verbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135IV. Die Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140V. Die Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149VI. Die Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156VII. Das Sprachviereck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

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  • 5. Kapitel Klassifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169I. Was die Historiker sagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169II. Die Naturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172III. Die Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177IV. Das unterscheidende Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . 184V. Das Kontinuum und die Katastrophe . . . . . . . . . . . 193VI. Monstren und Fossile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199VII. Der Diskurs der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

    6. Kapitel: Tauschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215I. Die Analyse der Reicht�mer . . . . . . . . . . . . . . . . 215II. Geld und Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218III. Der Merkantilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224IV. Pfand und Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232V. Die Bildung des Werts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243VI. Die N�tzlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250VII. Allgemeines Tableau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256VIII. Das Verlangen und die Repr�sentation . . . . . . . . . . . 264

    Zweiter Teil

    7. Kapitel: Die Grenzen der Repr�sentation . . . . . . . . . . . . . 270I. Das Zeitalter der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 270II. Das Maß der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275III. Die Organisation der Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . 281IV. Die Flexion der Wçrter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288V. Ideologie und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293VI. Die objektiven Synthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

    8. Kapitel: Arbeit, Leben, Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308I. Die neuen Empirizit�ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308II. Ricardo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311III. Cuvier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323IV. Bopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342V. Die Objekt gewordene Sprache . . . . . . . . . . . . . . . 360

    10 Die Ordnung der Dinge

  • 9. Kapitel Der Mensch und seine Doppel . . . . . . . . . . . . . . 368I. Die Wiederkehr der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . 368II. Der Platz des Kçnigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373III. Die Analytik der Endlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 378IV. Das Empirische und das Transzendentale . . . . . . . . . 385V. Das Cogito und das Ungedachte . . . . . . . . . . . . . . 390VI. Das Zur�ckweichen und die Wiederkehr des Ursprungs 397VII. Der Diskurs und das Sein des Menschen . . . . . . . . . 405VIII. Der anthropologische Schlaf . . . . . . . . . . . . . . . . 411

    10. Kapitel: Die Humanwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 414I. Das Tri�der des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414II. Die Form der Humanwissenschaften . . . . . . . . . . . . 419III. Die drei Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427IV. Die Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440V. Psychoanalyse, Ethnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448VI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

    Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464

    Inhalt 11

  • Vorwort zur deutschen Ausgabe

    Dieses Vorwort sollte vielleicht »Gebrauchsanweisung« �berschrieben wer-den. Nicht, weil ich meine, daß dem Leser nicht vertraut werden kann – erkann nat�rlich frei entscheiden, was er mit dem Buch machen will, daser so freundlich war zu lesen. Welches Recht habe ich also, vorzuschlagen,daß es eher auf die eine denn auf die andere Art zu benutzen sei? Als ichdas Buch schrieb, gab es viele Dinge, die mir unklar waren: einige schie-nen mir zu offensichtlich, andere zu dunkel. Also sagte ich mir: Der idealeLeser w�re folgendermaßen an mein Buch herangegangen, wenn meineAbsichten deutlicher und mein Plan soweit fertiggestellt gewesen w�ren,um Gestalt anzunehmen.1. Er w�rde erkennen, daß es sich um eine Arbeit �ber ein relativ ver-

    nachl�ssigtes Gebiet handelt. In Frankreich zumindest r�umt die Wissen-schaftsgeschichte der Mathematik, Kosmologie und Physik – edlen Wis-senschaften, strengen Wissenschaften, notwendigen Wissenschaften, diealle der Philosophie nahestehen – den ersten Platz ein: in ihrer Geschichtekann man den beinahe ununterbrochenen Ausf luß von Wahrheit undreiner Vernunft beobachten. Die anderen Disziplinen jedoch – beispiels-weise diejenigen, die die Lebewesen, die Sprachen oder die �konomie be-treffen – werden als zu durchtr�nkt von empirischem Denken, als den Un-bestimmtheiten des Zufalls oder der Einf�lle, als uralten �berlieferungenund �ußeren Einwirkungen zu sehr ausgesetzt betrachtet, als daß ihre Ge-schichte anders als unregelm�ßig sein kçnnte. Bestenfalls wird von ihnenerwartet, Klarheit zu schaffen �ber einen Bewußtseinsstand, eine intellek-tuelle Mode, eine Mischung von Archaismus und k�hner Mutmaßung,von Eingebung und Blindheit. Was aber, wenn empirisches Wissen zu ei-ner gegebenen Zeit und innerhalb einer gegebenen Kultur wirklich einewohldefinierte Regelm�ßigkeit bes�ße? Wenn die bloße Mçglichkeit, Fak-ten zu sammeln, sich zu erlauben, von ihnen �berzeugt zu sein, sie in denTraditionen zu entstellen oder rein spekulativen Gebrauch von ihnen zumachen: was, wenn nicht einmal das der Gnade des Zufalls �berlassenbliebe? Wenn Irrt�mer (und Wahrheiten), die Anwendung alter �berzeu-gungen, einschließlich nicht nur wirklicher Enth�llungen, sondern auch

    13

  • der simpelsten Begriffe in einem gegebenen Augenblick den Gesetzen ei-nes bestimmten Wissenscode gehorchten? Kurz, wenn die Geschichtedes nichtformalen Wissens selbst ein System h�tte? Das war meine anf�ng-liche Hypothese – das erste Risiko, das ich auf mich nahm.2. Dieses Buch muß als eine vergleichende, nicht als eine symptomato-

    logische Studie gelesen werden. Meine Absicht war nicht, auf der Basiseines bestimmten Wissenstyps oder Ideenkorpus das Bild einer Epochezu zeichnen oder den Geist eines Jahrhunderts zu rekonstruieren. Wasich wollte, war, eine bestimmte Zahl von Elementen nebeneinander zu zei-gen – das Wissen von den Lebewesen, das Wissen von den Gesetzen derSprache und das Wissen der çkonomischen Fakten – und sie mit dem phi-losophischen Diskurs ihrer Zeit in Verbindung zu setzen f�r einen Zeit-raum, der sich vom siebzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert er-streckt. Es sollte nicht eine Analyse der Klassik ganz allgemein sein, nocheine Suche nach einerWeltanschauung, sondern eine streng »regionale« Un-tersuchung.1

    Jedoch bringt diese vergleichende Methode unter anderem Ergebnisse,die oft auffallend verschieden sind von denen, die man in Untersuchungen�ber einzelne Disziplinen findet. (So darf der Leser nicht erwarten, hiereine Geschichte der Biologie zu finden, die einer Geschichte der Lingui-stik, einer Geschichte der Politischen �konomie und einer Geschichteder Philosophie gegen�bergestellt w�rde.) Es gibt auch in den Schwer-punkten Verschiebungen: Der Heiligen- und Heldenkalender ist etwas um-gestellt (Linn� wird mehr Platz einger�umt als Buffon, Destutt de Tracymehr als Rousseau; den Physiokraten wird als Einzelner nur Cantillon ge-gen�bergestellt.) Grenzen sind neu gezogen und Dinge, die gewçhnlichweit auseinanderliegen, sind n�her zusammengebracht worden und umge-kehrt: anstatt die biologischen Taxinomien mit anderem Wissen vom Le-bewesen (der Theorie der Fortpf lanzung – oder der physiologischen Ver�n-derung der Tiere oder des Pflanzenbaus) in Zusammenhang zu bringen,habe ich sie mit dem verglichen, was zur gleichen Zeit �ber linguistischeZeichen, allgemeine Ideenbildung, die Geb�rdensprache, die Hierarchieder Bed�rfnisse und den Warenaustausch gesagt worden sein mag.Das hatte zwei Folgen: ichmußte die großen Einteilungen aufgeben, die

    uns heute allen gel�ufig sind. Ich hielt nicht im siebzehnten und achtzehn-

    1 Ich gebrauche manchmal Begriffe wie »Denken« oder »klassischeWissenschaft«, aber diese beziehensich praktisch immer auf die in Betracht gezogene besondere Disziplin.

    14 Die Ordnung der Dinge

  • ten Jahrhundert Ausschau nach den Anf�ngen der Biologie (oder der Phi-losophie oder der �konomie) des neunzehnten Jahrhunderts. Was ich sah,war das Auftauchen von Gebilden, die dem Zeitalter der Klassik eigen wa-ren: eine »Taxinomie« oder eine »Naturgeschichte«, die relativ unber�hrtvon dem zu der Zeit existierenden Wissen in tierischer oder pf lanzlicherPhysiologie waren; eine »Analyse der Reicht�mer«, die wenig Notiz vonden Annahmen der »politischen Arithmetik« ihrer Zeit nahm; und eine»allgemeine Grammatik«, die den historischen Analysen und exegetischenWerken, die damals ausgef�hrt wurden, vçllig fremd waren. Das heißt er-kenntnistheoretische Gebilde, die nicht auf die Wissenschaften, so wiesie im neunzehnten Jahrhundert individualisiert und genannt wurden, auf-gepfropft wurden. Dar�ber hinaus sah ich zwischen diesen verschiedenenGebilden ein Netz von Analogien deutlich werden, das die traditionellenNachbarschaften �berschritt: in den Wissenschaften der Klassik findetman zwischen der Klassifikation der Pflanzen und der Geldtheorie, zwi-schen dem Begriff des gattungsm�ßigen Merkmals und der Analyse desHandels Isomorpheme, die die außerordentliche Vielfalt der in Betrachtgestellten Objekte zu ignorieren scheinen. In ihrer Zeit war der Raumdes Wissens vçllig anders aufgeteilt als die systematisierte Ordnung desneunzehnten Jahrhunderts von Comte oder Spencer. Das zweite Risiko,das ich auf mich nahm, bestand darin, daß ich nicht so sehr die Entste-hungsgeschichte unserer Wissenschaften als einen spezifischen epistemo-logischen Raum einer bestimmten Epoche beschreiben wollte.3. Ich arbeitete deshalb nicht auf der Ebene, die gewçhnlich die des

    Wissenschaftshistorikers ist – ich sollte sagen, auf den zwei Ebenen, auf de-nen er gewçhnlich arbeitet. Denn einerseits zeichnet die Wissenschaftsge-schichte den Fortschritt der Entdeckungen, die Formulierung der Pro-bleme und das Aufeinanderprallen verschiedener Standpunkte nach; sieanalysiert auch die Theorien in ihrer immanenten �konomie; kurz, sie be-schreibt die Prozesse und Ergebnisse des wissenschaftlichen Bewußtseins.Aber andererseits versucht sie zu erstellen, was diesem Bewußtsein ent-ging: die Einf l�sse, die an ihm hafteten, die impliziten Philosophien, dieihm zugrunde lagen, unartikulierte Thematik, die unsichtbaren Hinder-nisse; sie beschreibt das Unbewußte der Wissenschaft. Dieses Unbewußteist immer die negative Seite der Wissenschaft – das, was ihrWiderstand lei-stet, sie vomWege abbringt oder sie stçrt. Was ich jedoch erreichen wollte,war, ein positives Unbewußtes des Wissens zu enth�llen: eine Ebene, die

    Vorwort zur deutschen Ausgabe 15

  • dem Bewußtsein des Wissenschaftlers entgleitet und dennoch Teil des wis-senschaftlichen Diskurses ist – anstatt �ber seinen Wert zu streiten undseine wissenschaftliche Qualit�t zu verringern zu suchen. Was der Naturge-schichte, der �konomie und der Grammatik in der Klassik gemeinsamwar, war dem Bewußtsein des Wissenschaftlers sicher nicht pr�sent; oderder Teil, der davon bewußt war, war oberf l�chlich, begrenzt und nahezuphantastisch (Adanson wollte beispielsweise ein artifizielles Bezeichnungs-system f�r Pflanzen aufstellen; Turgot verglich die M�nzpr�gung mit derSprache); aber die Naturgeschichtler, die �konomen und die Grammati-ker benutzten – was ihnen selbst unbekannt blieb – die gleichen Regelnzur Definition der ihren Untersuchungen eigenen Objekte, zur Ausfor-mung ihrer Begriffe, zum Bau ihrer Theorien. Diese Gesetze des Aufbaus,die f�r sich selbst nie formuliert worden sind, sondern nur in weit aus-einanderklaffenden Theorien, Begriffen und Untersuchungsobjekten zufinden sind, habe ich zu enth�llen versucht, indem ich als den f�r sie spe-zifischen Ort eine Ebene isolierte, die ich, vielleicht zu willk�rlich, die ar-ch�ologische genannt habe. Indem ich die in diesem Buch abgesteckteEpoche als Beispiel genommen habe, habe ich versucht, die Basis oderdas arch�ologische System zu bestimmen, das einer ganzen Reihe wissen-schaftlicher »Repr�sentationen« oder »Ergebnisse« gemeinsam ist, die �ber-all in der Naturgeschichte, der �konomie und der Philosophie der Klassikverstreut sind.4. Ich mçchte, daß man diese Arbeit als eine unabgeschlossene liest.

    Viele Fragen sind darin zur Sprache gekommen, die noch keine Antwortengefunden haben; und viele L�cken verweisen entweder auf fr�here Werkeoder andere, die noch nicht fertiggestellt oder noch nicht einmal begonnenworden sind. Ich mçchte aber noch drei Probleme erw�hnen.Das Problem der Ver�nderung: Man hat gesagt, dieses Buch leugne die

    Mçglichkeit der Ver�nderung selbst. Und doch richtete sich mein haupt-s�chliches Interesse auf die Ver�nderungen. In der Tat sind mir zwei Dingebesonders aufgefallen: die Plçtzlichkeit und die Gr�ndlichkeit, mit derbestimmte Wissenschaften manchmal reorganisiert wurden; und die Tat-sache, daß zur gleichen Zeit �hnliche Ver�nderungen in offensichtlich sehrverschiedenen Disziplinen auftraten. Innerhalb einiger weniger Jahre (um1800) wurde die Tradition der allgemeinen Grammatik durch eine wesent-lich historische Philologie ersetzt; naturgeschichtliche Klassifikationen wur-den nach den Analysen der vergleichenden Anatomie angelegt; und eine

    16 Die Ordnung der Dinge

  • Politische �konomie wurde begr�ndet, deren haupts�chliche Themen dieArbeit und die Produktion waren. Als ich mich mit dieser merkw�rdigenKombination von Ph�nomenen konfrontiert sah, schien es mir, daß dieseVer�nderungen noch n�her untersucht werden m�ßten, ohne daß sie imNamen der Kontinuit�t in ihrer Abruptheit oder in ihrem Umfang redu-ziert werden. Am Anfang schien mir, als ob verschiedene Weisen der Ver-�nderung im wissenschaftlichen Diskurs stattf�nden – Ver�nderungen,die nicht auf der gleichen Ebene auftraten, sich mit derselben Geschwin-digkeit vollzogen oder denselben Gesetzen gehorchten; aller Wahrschein-lichkeit nach vollzog sich die Weise, auf die innerhalb einer bestimmtenWissenschaft neue Vorschl�ge formuliert und neue Tatsachen herausgear-beitet oder neue Begriffe errichtet wurden (diejenigen Ereignisse, die dasAlltagsleben einer Wissenschaft ausmachen), nicht nach demselben Mo-dell wie das Auftauchen neuer Forschungsbereiche (und das h�ufig ent-sprechende Verschwinden ehemaliger Bereiche); aber das Auftauchenneuer Forschungsbereiche darf nicht verwechselt werdenmit jenen �berge-ordneten Neuaufteilungen, die nicht nur den allgemeinen Aufbau einerWissenschaft ver�ndern, sondern auch ihr Verh�ltnis zu andern Wissensbe-reichen. Deshalb schien mir, daß all diese Ver�nderungen nicht auf dersel-ben Ebene behandelt oder als in einem einzigen Punkt gipfelnd dargestelltwerden d�rften, so wie es manchmal gemacht wird, noch dem Genie einesIndividuums, einem neuen Kollektivgeist oder etwa der Fruchtbarkeiteiner einzigen Entdeckung zugeschrieben werden d�rften; daß es besserw�re, derartige Unterschiede zu respektieren und sogar zu versuchen, siein ihrer Spezifit�t zu erfassen. Auf diese Weise versuchte ich, die Kombina-tion entsprechender Transformationen zu beschreiben, die das Auftauchender Biologie, der Politischen �konomie, der Philologie, einer ganzen An-zahl von Humanwissenschaften und eines neuen Typus der Philosophiean der Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts charakterisierten.Das Problem der Kausalit�t: Es ist nicht immer einfach, zu entscheiden,

    was eine spezifische Ver�nderung in einer Wissenschaft verursacht hat.Was machte eine derartige Entdeckung mçglich? Warum erschien dieserneue Begriff? Woher kam diese oder jene Theorie? Fragen wie diese sindoft sehr verwirrend, weil es keine endg�ltigen methodologischen Prinzi-pien gibt, auf denen eine solche Analyse zu errichten w�re. Viel grçßer istdie Verwirrung im Falle jener allgemeinen Ver�nderungen, die eine Wis-senschaft als Ganzes ver�ndern. Noch grçßer ist sie im Falle mehrerer sich

    Vorwort zur deutschen Ausgabe 17

  • entsprechender Ver�nderungen. Doch sie erreicht ihren hçchsten Standim Falle der empirischen Wissenschaften: denn die Rolle der Instrumente,Techniken, Institutionen, Ereignisse, Ideologien und Interessen tritt sehrin Augenschein; aber man weiß nicht, wie eine Artikulation, die so kom-plex und so vielf�ltig in der Komposition ist, wirklich vor sich geht. Mirschien es unklug, jetzt eine Lçsung zu erzwingen, die anzubieten, das gebeich zu, ich mich unf�hig f�hlte: die traditionellen Erkl�rungen – Zeitgeist,technologische oder soziale Ver�nderungen, Einf l�sse verschiedener Art –schienen mir zum grçßten Teil mehr magischer als tats�chlicher Naturzu sein. Ich ließ also in diesem Buch die Frage nach den Ursachen bei-seite,2 und entschied mich statt dessen, mich darauf zu beschr�nken, dieTransformationen selbst zu beschreiben, wobei ich davon ausging, daß diesein notwendiger Schritt sei, wenn einmal eine Theorie der wissenschaft-lichen Ver�nderung und der epistemologischen Ursachen geschaffen wer-den sollte.Das Problem des Subjekts: Es ist mir klar, daß ich mich mit der Unter-

    scheidung zwischen der epistemologischen Ebene des Wissens (oder wis-senschaftlichen Bewußtseins) und der arch�ologischen Ebene des Wissensin eine Richtung bewege, die mit Schwierigkeiten beladen ist. Kann manvon Wissenschaft und ihrer Geschichte sprechen (und damit von ihrenExistenzbedingungen, ihren Ver�nderungen, den Irrt�mern, die sie began-gen hat, den plçtzlichen Fortschritten, die sie in eine Bahn gelenkt haben),ohne Bezug auf den Wissenschaftler selbst – und ich spreche nicht nurvom konkreten Individuum, das durch einen Eigennamen gekennzeichnetist, sondern von seiner Arbeit und seiner speziellen Denkform? Kann eineg�ltige Wissenschaftsgeschichte, die von Anfang bis Ende die ganze spon-tane Bewegung eines anonymen Wissenskorpus nachzeichnet, versuchtwerden? Ist es legitim, ist es auch n�tzlich, das traditionelle »X dachte,daß . . .« durch ein »es war bekannt, daß . . .« zu ersetzen? Aber das ist eseigentlich nicht, was ich anf�nglich untersuchen wollte. Ich will nichtdie N�tzlichkeit der Beschreibungen des geistigen Werdegangs oder dieMçglichkeit einer Geschichte der Theorien, Begriffe oder der Themenleugnen. Ich frage mich nur, ob sich solche Beschreibungen selbst gen�-gen, ob sie der ungeheuren Dichte des wissenschaftlichen Diskurses ge-recht werden und ob es nicht außerhalb ihrer gewohnten Grenzen Systeme

    2 Ich habe diese Frage im Zusammenhang mit Psychiatrie und klinischer Medizin in zwei fr�herenB�chern erçrtert.

    18 Die Ordnung der Dinge

  • von Regelm�ßigkeiten gibt, die eine entscheidende Rolle in der Ge-schichte der Wissenschaften spielen. Ich wollte gern wissen, ob die Indivi-duen, die verantwortlich f�r den wissenschaftlichen Diskurs sind, nicht inihrer Situation, ihrer Funktion, ihren perzeptiven F�higkeiten und in ihrenpraktischen Mçglichkeiten von Bedingungen bestimmt werden, von de-nen sie beherrscht und �berw�ltigt werden. Kurz, ich versuchte den wis-senschaftlichen Diskurs nicht vom Standpunkt der sprechenden Indivi-duen aus zu erforschen, noch, was sie sagen, vom Standpunkt formalerStrukturen aus, sondern vom Standpunkt der Regeln, die nur durch dieExistenz solchen Diskurses ins Spiel kommen: welche Bedingungen hatteLinn� (oder Petty oder Arnauld) zu erf�llen, um seinen Diskurs nichtnur koh�rent und im Allgemeinen wahr zu machen, sondern ihm zu derZeit, in der er geschrieben und aufgenommen wurde,Wert und praktischeAnwendung als wissenschaftlichem Diskurs – oder, genauer, als naturge-schichtlichem, çkonomischem oder grammatischem Diskurs zu geben?Es ist mir klar, daß ich auch an dieser Stelle keinen großen Fortschritt ge-macht habe. Aber ich mçchte vermeiden, daß die Bem�hungen, die ichin einer Richtung unternommen habe, mir als Ablehnung jeden anderenmçglichen Zugangs gedeutet werden. Diskurs im allgemeinen und wissen-schaftlicher Diskurs im besonderen ist eine so komplexe Realit�t, daß wirnicht allein Zugang dazu auf anderen Ebenen und mit verschiedenen Me-thoden finden kçnnen, sondern sollten. Wenn es aber einen Weg gibt, denich ablehne, dann ist es der (man kçnnte ihn, ganz allgemein gesagt, denph�nomenologischen Weg nennen), der dem beobachtenden Subjekt abso-lute Priorit�t einr�umt, der einem Handeln eine grundlegende Rolle zu-schreibt, der seinen eigenen Standpunkt an den Ursprung aller Historizi-t�t stellt – kurz, der zu einem transzendentalen Bewußtsein f�hrt. Mirscheint, daß die historische Analyse des wissenschaftlichen Diskurses letz-ten Endes Gegenstand nicht einer Theorie des wissenden Subjekts, son-dern vielmehr einer Theorie diskursiver Praxis ist.5. Dieser letzte Punkt ist eine Bitte an den deutschsprachigen Leser. In

    Frankreich beharren gewisse halbgewitzte »Kommentatoren« darauf, michals einen »Strukturalisten« zu etikettieren. Ich habe es nicht in ihre win-zigen Kçpfe kriegen kçnnen, daß ich keine der Methoden, Begriffe oderSchl�sselwçrter benutzt habe, die die strukturale Analyse charakterisieren.Ich w�re dankbar, wenn eine ernstere �ffentlichkeit mich von einer Ver-

    bindung freimachen w�rde, die mich sicher ehrt, die ich aber nicht ver-

    Vorwort zur deutschen Ausgabe 19

  • dient habe. Es mag bestimmte �hnlichkeiten zwischen den Werken derStrukturalisten und meinen geben. Es st�nde mir – von allen – am schlech-testen an, zu behaupten, daß mein Diskurs von Bedingungen und Regelnfrei sei, auf die ich wenig achte und die andere heute gelieferte Arbeiten be-stimmen. Aber es w�re zu leicht, die M�he der Analyse solcher Arbeit zuvermeiden, indem man ihr ein zugegeben eindrucksvoll klingendes, aberungenaues Etikett verpaßt.

    20 Die Ordnung der Dinge

    s0001-0006.pdfs0007-0081