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Strafrecht in der Forensik
Mathias Klose Rechtsanwalt Fachanwalt für Strafrecht Fachanwalt für Sozialrecht www.ra-klose.com
Aufgabe des Strafrechts
Rechtsgüterschutz
Verhaltensnormen
Sanktionen
StGB (Körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung, öffentliche Ordnung …)
Nebenstrafrecht (SGB II, SGB V, GmbHG, AMG, BtmG, TierSchG, WaffenG,…)
Sanktionssystem
Zweispurig aufgebaut
Strafen als Reaktion auf begangenes Unrecht
Maßregeln als Prävention zur Gefährlichkeitsabwehr
Strafen (ErwachsenenstrafR)
Geldstrafe
Freiheitsstrafe
Fahrverbot
Geldstrafe
Strafrahmen gem. Tatbestand
5 – 360 Tagessätze
720 Tagessätze bei Gesamtstrafe
Tagessatz = 1/30 des monatlichen Nettoeinkommens
Ersatzfreiheitsstrafe
Freiheitsstrafe
Strafrahmen gem. Tatbestand
1 Monat – 15 Jahre
Lebenslang
Reststrafenaussetzung zur Bewährung möglich
Strafen (Jugendstrafrecht)
Erziehungsgedanke im Vordergrund
Erziehungsmaßregeln
Zuchtmittel
Jugendstrafe
Erziehungsmaßregeln
Hilfe zur Erziehung
Weisungen (z.B. Ausbildung oder Arbeit annehmen, Arbeitsleistung erbringen, sozialer Trainingskurs, Betreuungshelfer, Ausgleich mit dem Verletzten, Verkehrsunterricht oder heilerzieherische Behandlung)
Zuchtmittel
Verwarnung
Auflagen (z.B. Entschuldigung, Arbeitsleistung, Geldauflage; bei Nichterfüllung Arrest möglich)
Jugendarrest (Freizeit-, Kurz- und Dauerarrest)
Jugendstrafe
einzige „echte Strafe“
Ultima ratio
6 Monate – 5 Jahre
10 Jahre bei Verbrechen, die mit einer Strafdauer von mehr als 10 Jahren bedroht sind
Jugendstrafe
Schädliche Neigungen (Persönlichkeitsmängel, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten in sich bergen)
Schwere der Schuld
(Bei anderer Sanktion würde die Tat in unerträglichem Widerspruch zum Gerechtigkeitsgefühl stehen)
Maßregeln der Besserung und Sicherung
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Führungsaufsicht, Entziehung der Fahrerlaubnis und Berufsverbot
Verhältnismäßigkeit
Jede Maßregel darf nicht außer Verhältnis zu
begangenen Taten
erwarteten Taten
Grad der Gefährlichkeit
stehen. Dauer der Unterbringung muss berücksichtigt werden: „Je länger, desto strenger“
Unterbringung nach § 63 StGB
Begangene rechtswidrige Tat,
Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit,
Symptomatischer Zusammenhang zwischen Schuldunfähigkeit/verminderter Schuldfähigkeit und Anlasstat,
Gefährlichkeitsprognose.
Rechtswidrige Anlasstat
Jede rechtswidrige Tat genügt
z.B. auch bloße Bedrohungen
Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit
Fehlende/verminderte Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen („Einsichtsfähigkeit“ - Fehlbewertung der Realität)
Fehlende/verminderte Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln („Steuerungsfähigkeit“ – keine vernünftige Willensbestimmung möglich)
Eingangsmerkmale
Krankhafte seelischen Störung,
tiefgreifende Bewusstseinsstörung ,
Schwachsinn,
schwere andere seelische Abartigkeit (SASA).
Krankhafte seelische Störung
exogene und endogene Psychosen,
Persönlichkeitsveränderungen infolge von Psychosen oder Hirnschädigungen,
symptomatische Psychosen,
Intoxikationen oder Entzugserscheinungen.
Tiefgreifende Bewußtseinstörungen
affektive Erregungszustände,
Erschöpfung,
Schreck.
Schwachsinn
intellektuelle Störungen unbekannter Genese
SASA
Persönlichkeitsstörungen (Psychopathien),
Neurosen,
abnorme Erlebnisreaktionen,
sexuelle Perversionen,
Alkoholismus,
Drogensucht.
SASA
Auch bei nicht krankhaften bzw. nicht krankheitsbedingten Störungen möglich, z.B.:
Borderline-Persönlichkeitsstörungen,
dissoziale Persönlichkeitsstörungen.
Das Gewicht krankhafter seelischer Störungen muss erreicht werden.
Zuordnung
Ursachen der Auffälligkeiten müssen einem der vier Eingangsmerkmale zugeordnet werden,
bloße Diagnose nach ICD-10 reicht nicht aus,
Beeinträchtigung von Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit muss festgestellt werden.
Sonderfall Betäubungsmittel
Konsum/Abhängigkeit alleine reicht für §§ 20, 21 StGB nicht aus, ausnahmsweise aber möglich wenn:
Schwerste Persönlichkeitsveränderungen infolge langjährigen Konsums,
Beschaffungstat infolge starker Entzugserscheinungen,
akuter Rausch.
Zusammenhang
Zwischen Anlasstat und Zustand nach §§ 20, 21 StGB muss ein symptomatischer Zusammenhang bestehen,
der Zustand muss für die Tat zumindest mitursächlich gewesen sein.
Gefährlichkeitsprognose
Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten
Symptomatischer Zusammenhang zwischen Schuldunfähigkeit/verminderter Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit
Gefahr für die Allgemeinheit
Erhebliche rechtswidrige Taten
Schwere Störung des Rechtsfriedens,
keine Bagatell- oder Kleinkriminalität, jedenfalls „mittlere“ Kriminalität,
beispielsweise Körperverletzungs-, Sexualstraftaten oder schwerer Diebstahl.
Zusammenhang
Zusammenhang muss bestehen zwischen
Zustand der Verminderung/Aufhebung der Schuldfähigkeit und
Anlasstat und
den künftig erwarteten Taten.
Es muss sich um „dieselbe Defektquelle“ handeln.
Gefahr für die Allgemeinheit
Störung des allgemeinen Rechtsfriedens,
die Gefahr für eine Einzelperson reicht aus.
Wahrscheinlichkeit
Wahrscheinlichkeit „höheren Grades“ für künftige erhebliche rechtswidrige Taten,
bloße Möglichkeit nicht ausreichend,
aber auch keine „hochgradige“ Wahrscheinlichkeit erforderlich,
Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich
Vollzug
Unterbringung wird bei besonderen Umständen zur Bewährung ausgesetzt, wenn der Erfolg der Maßregel auch ohne Vollzug erreicht wird:
Medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung,
rechtliche Betreuung,
spezielle (betreute) Wohnform.
Vollzug (Reihenfolge)
Grundsatz: Maßregel vor Strafe
Ausnahme: Maßregelzweck wird durch vorherigen Vollzug leichter erreicht, v.a.
Vollzug als Vorstufe der Behandlung,
nachgehender Vollzug würde den Maßregelerfolg wieder gefährden.
Vollzug (Überprüfung)
Erledigterklärung oder Restaussetzung zur Bewährung, wenn Voraussetzungen weggefallen sind oder der weitere Vollzug unverhältnismäßig wäre.
Überprüfung durch das Gericht mindestens einmal jährlich.
Krisenintervention nach Aussetzung zur Bewährung möglich.
Unterbringung nach § 64 StGB
Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum,
hangbedingte rechtswidrige Tat,
Gefahrprognose,
Erfolgsaussicht.
Hang
Eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muss.
Hangtat
Hangtat muss auf den übermäßigen Rauschmittelkonsum symptomatisch zurück zu führen sein:
„im Rausch“ oder
„auf den Hand zurückgeht“ – Beschaffungskriminalität.
Gefahrprognose
„gewisse Wahrscheinlichkeit“ für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten,
für die Erheblichkeit ist schon eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens ausreichend,
Symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und zu erwartenden Taten.
Erfolgsaussicht
Aussicht, den Betroffenen durch die Behandlung zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten.
Therapieunwilligkeit, Rückfälligkeit oder mangelnde Sprachkenntnisse stehen nicht ohne Weiteres entgegen.
Vollzug
Unterbringung (max. 2 Jahre) wird bei besonderen Umständen zur Bewährung ausgesetzt, wenn der Erfolg der Maßregel auch ohne Vollzug erreicht wird:
Medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung,
rechtliche Betreuung,
spezielle (betreute) Wohnform.
Vollzug (Reihenfolge)
Grundsatz: Maßregel vor Strafe
Ausnahme 1: Maßregel Zweck wird durch vorherigen Vollzug leichter erreicht, v.a.
Vollzug als Vorstufe der Behandlung,
nachgehender Vollzug würde den Maßregelerfolg wieder gefährden
Vollzug (Reihenfolge)
Ausnahme 2:
Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (sog. Vorwegvollzug).
Vollzug (Überprüfung)
Erledigterklärung oder Restaussetzung zur Bewährung, wenn Voraussetzungen weggefallen sind oder der weitere Vollzug unverhältnismäßig wäre.
Überprüfung durch das Gericht mindestens sechs monatlich.
Krisenintervention nach Aussetzung zur Bewährung möglich.
§ 63 StGB vs. § 64 StGB
Ausschließliche Rauschmittelabhängigkeit: § 64 StGB,
Rauschmittelabhängigkeit und psychische Störung: § 63 StGB, wenn psychischer Zustand die Sucht bedingt; § 64 StGB, wenn psychischer Zustand neben oder wegen der Sucht besteht.
Unterbringung nach § 66 StGB
Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933,
Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.08.2002,
Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004,
Unterbringung nach § 66 StGB
Bundesverfassungsgericht vom 04.05.2011: Weite Teile des Sicherungsverwahrungsrechts verfassungswidrig,
gesetzliche Neuregelung der Sicherungsverwahrung seit dem 01.06.2013.
BVerfG NJW 11, 1931
„Die Freiheitsentziehung ist - in deutlichem Abstand zum Strafvollzug - so auszugestalten, dass die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmt; das Leben im Maßregelvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen.“
BVerfG NJW 11, 1931
Ultima-ratio-Prinzip (Alle Möglichkeiten zur Reduzierung der Gefährlichkeit müssen vorher ausgeschöpft sein)
Individualisierungskonzept (Alle individuellen Therapiemöglichkeiten müssen ausgeschöpft werden)
Motivierung (v.a. durch Betreuung und Behandlung)
BVerfG NJW 11, 1931
Minimierung (Vollzugslockerungen und Entlassungsvorbereitung)
Rechtsschutz (Anspruch auf Maßnahmen zur Gefährlichkeitsreduzierung)
Kontrolle (mindestens einmal jährlich)
Anfängliche SV
Zwei Vor-Verurteilungen,
keine Vorverurteilung bei drei Taten oder
eine Vor-Verurteilung wegen einer „Katalogtat“, z.B. Mord oder Vergewaltigung und
Allgemeingefährlichkeit infolge des Hangs zu erheblichen Straftaten.
Hangtäter
Hangtäter i.S.v. § 66 StGB ist derjenige, der
dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist,
auf Grund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, oder
willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag.
Hangtäter
Hohe Anforderungen an die zu erwartenden Straftaten, „mittlere“ Kriminalität i.d.R. nicht ausreichend,
bestimmte Wahrscheinlichkeit, dass der Täter auch in Zukunft Straftaten begehen wird und diese eine „erhebliche“ Störung des Rechtsfriedens darstellen.
Vorbehaltene SV
Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der SV vorbehalten, wenn noch nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Vorbehaltene SV
Gerichtliche Entscheidung muss bis zum Ende der Vollstreckung der Freiheitsstrafe ergehen,
soll aber spätestens sechs Monate vor vollständiger Vollstreckung ergehen,
ein Sachverständigengutachten ist zwingend einzuholen.
Nachträgliche SV
Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt worden, weil der Zustand nach §§ 20, 21 StGB nicht mehr bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn …
Nachträgliche SV
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 u.a. wegen einer in § 66 III 1 StGB genannten Taten (v.a. viele Sexualdelikte) angeordnet war oder
der Betroffene bereits zuvor zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war, und
Nachträgliche SV
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Nachträgliche SV
Im Verfahren über die Anordnung der nachträglichen SV müssen zwei Sachverständigengutachten eingeholt werden.
Vollzug
Sicherungsverwahrung nach Freiheitsstrafe,
Erledigterklärung, wenn Voraussetzungen weggefallen sind oder der weitere Vollzug unverhältnismäßig wäre,
Überprüfung durch das Gericht mindestens einmal jährlich.
Vollzug – Nach 10 Jahren
Überprüfung durch das Gericht mindestens neun monatlich,
erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Maßregeln im Jugenstrafrecht
Nicht zulässig:
Berufsverbot,
anfängliche Sicherungsverwahrung.
Zulässig:
Vorbehaltene Sicherungsverwahrung,
nachträgliche Sicherungsverwahrung.
Vorbehaltene SV im JugenstrafR
Jugendstrafe von mindestens sieben/fünf Jahren wegen bestimmter Verbrechen (z.B. Mord oder Vergewaltigung) und
die Gesamtwürdigung von Tat und Täter ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung usw. begehen wird.
Nachträgliche SV im JugenstrafR
Ist die wegen einer Tat gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder einer Tat nach § 251 StGB angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) für erledigt erklärt worden, kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn …
Nachträgliche SV im JugenstrafR
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 StGB wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder
der Betroffene bereits zuvor zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war, und
Nachträgliche SV im JugenstrafR
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder eine Tat nach § 251 StGB begehen wird.
Vollzug
Hat der Verurteilte das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist bereits die Strafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung zu vollziehen ist, es sei denn, dass die Resozialisierung des Täters dadurch nicht besser gefördert werden kann,
im Übrigen gilt das zum Erwachsenenstrafrecht Gesagt entsprechend.
Strafrecht in der Forensik
Mathias Klose Rechtsanwalt Fachanwalt für Strafrecht Fachanwalt für Sozialrecht www.ra-klose.com