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Sprachgegensätze im Kanton Graubünden - Seminararbeit Clau Dermont
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Seminararbeit
Universitat Bern
Sprachgegensatze im Kanton Graubunden
Das Abstimmungsverhalten der drei Sprachgruppen
Autor:Clau DermontLentulusstrasse 723007 [email protected]
Geschrieben bei:Dr.
Tomislav MilicInstitut fur
PolitikwissenschaftenUniversitat Bern
Seminar: Abstimmungsforschung in der Schweiz.
Bern, 17. Februar 2012
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
2 Theorie 22.1 Gesellschaftliche Spaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2 Parallelen und Unterschiede zum Rostigraben . . . . . . . . . . . . . . . 32.3 Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
3 Daten und Methode 6
4 Ergebnisse 94.1 Minorisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94.2 Themengebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114.3 Varianzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
5 Fazit 17
i
1 Einleitung
Die Schweiz ist ein vielfaltiges Land. Pragend fur die politische Entwicklung in der Schweiz
waren die Unterschiede zwischen Stadt und Land, die Frage zwischen Zentralismus und
Foderalismus sowie die konfessionelle Spaltung. Noch heute prasent ist die Viersprachig-
keit des Landes, welche sich auch in verschiedenen Abstimmungsresultaten von ihrer
politischen Seite zeigt.
Sprachgegensatze werden in der Schweiz insbesondere entlang der deutsch-franzosi-
schen Grenze wahrgenommen. Viel weniger prasent ist dabei die Situation im Kanton
Graubunden, wo drei Sprachgruppen gemeinsam Entscheide fallen. Die ebenfalls inter-
kantonal kleine Minderheit (14.5 Prozent Ratoromanen, 6 Prozent Italienischsprachige)
wird auf nationaler Ebene an Abstimmungssonntagen wenig bis gar nicht wahrgenommen.
Trotzdem herrschen Unterschiede. Nationale Abstimmungen wie die Abstimmung zum
Sprachenartikel in der Bundesverfassung (1996) und die Ausschaffungsinitiative (2011)
zeigen unterschiedliches Stimmverhalten zwischen dem lateinischen und deutschsprachi-
gen Teil des Kantons.1
Mit einer (deskriptiven) Analyse der nationalen Abstimmungsresultate zwischen 1990
und 2011 sollen die Gemeinden und ihr Abstimmungsverhalten verglichen werden. Dabei
wird auf die offiziellen Resultate des Bundesamtes fur Statistik zuruckgegriffen. Einerseits
wird untersucht, wie oft eine Sprachgruppe im Kanton Graubunden im Gesamtresultat
minorisiert wird. Eine statistische Betrachtung mit Hilfe eines χ2-Tests soll aufzeigen, ob
diese Resultate zufallig sind, oder die unterschiedlichen Resultate nicht als stochastisch
unabhangig von der Sprachgruppe betrachtet werden konnen. Eine thematische Analyse
der Abstimmungsfalle soll dann erortern, in welchem Rahmen Unterschiede beobachtet
werden konnen. Mit einem kurzen Ausblick soll schliesslich eine Varianzanalyse erste
Anzeichen fur statistische Zusammenhange bieten, und ein weiterfuhrender Weg fur eine
1Diese Arbeit ist die Weiterentwicklung einer Kurzarbeit bei A. Christmann, abgegeben am 6.5.2010.Damals wurde betrachtet, welche Einflusse die direktdemokratischen Elemente auf die ratoromanischeund italienische Minderheit und deren Rechte hat – die Arbeit fokussierte insbesondere auf Abstimmun-gen im Sprachbereich. Diese Seminararbeit soll den Rahmen nicht nur thematisch, sondern auch zeitlichund methodisch erweitern.
1
Analyse ausgelotet werden.
Die Fragestellung dieser Arbeit lautet:
Gibt es Sprachgegensatze bei nationalen Abstimmungen im Kanton Graubunden?
Diese Arbeit mochte auf den Kanton Graubunden fokussieren, sozusagen den Ansatz
des”Rostigrabens“ in einem kleineren Rahmen beobachten, und untersuchen, ob diese
Unterschiede systematisch und auf die Sprache zuruckzufuhren sind. Dadurch wird nicht
nur eine Forschungslucke geschlossen, weiterfuhrende Analysen wurden auch ermoglichen,
den Ansatz des Rostigrabens mit den in Graubunden gewonnenen Erkenntnissen zu er-
weitern oder weiterzuentwickeln. Eine ausfuhrliche oder gar abschliessende Beurteilung
der Situation im Kanton Graubunden wird jedoch nicht moglich sein, da dies den Rahmen
dieser Arbeit sprengen wurde.
2 Theorie
2.1 Gesellschaftliche Spaltungen
Lipset & Rokkan (1967) berucksichtigen in ihrer Theorie der gesellschaftlichen Span-
nungen (Cleavages) vier verschiedene Gegensatze: Stadt vs. Land, Arbeit vs. Kapital,
Laizismus vs. Kirche sowie Zentrum vs. Peripherie. Diese gesellschaftlichen Spannungen
pragten und pragen die Bildung und Weiterentwicklung der Nationen und ihrer Institu-
tionen sowie die politischen Parteien, welche sich nach diesen Spannungen ausrichteten.
Die Sprachgrenzen der Schweiz werden von Linder, Zurcher & Bolliger (2008, 15) dem
Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie zugerechnet. Die Fokussierung liegt in der
Betrachtung von Linder, Zurcher & Bolliger (2008) auf den starker wahrgenommenen
Unterschied zwischen der Deutschschweiz und der Romandie, welcher beispielsweise bei
der EWR-Abstimmung 1993 deutlich zu Tage trat.
Anders als in Belgien (Linder, Zurcher & Bolliger 2008, 95) oder beispielsweise Kana-
da, wo die Debatte der Sezession der Provinz Quebec viel intensiver gefuhrt wird, besteht
2
in der Schweiz jedoch keine gesellschaftliche (Auf-)Spaltung, welche die politische Debat-
te dominiert oder gar blockiert. Kriesi, Wernli, Sciarini & Gianni (1996) fuhren aus, dass
mit Bezug auf die”politischen Grundwerte zwischen den verschiedenen Sprachregionen
weitgehend Ubereinstimmung herrscht“. Die SchweizerInnen wurden sich ihren Landsleu-
ten eher nahe denn fern fuhlen, und sich gegenseitig eher sympathisch finden, so Kriesi
et al. (1996, 93).
Gleichzeitig konnten Kriesi et al. (1996) jedoch feststellen, dass die beiden lateinischen
Minderheiten starker als die Deutschschweizer dazu neigen,”sozialdemokratische und
foderalistische Werte zu befurworten“. Die italienischsprachige Gruppe sei weiter”ganz
besonders konservativ“. Der Sprachfaktor sei bei Abstimmungen entscheidend, und nur
das Vertrauen in die Regierung sei wichtiger (Kriesi et al. 1996, 94ff).
Praktisch keine Berucksichtigung erhalt der Kanton Graubunden als Sonderfall im
Sonderfall: die italienischsprachigen Bezirke werden dem Tessin dazugerechnet, die rato-
romanische Sprache wird der Deutschschweiz zugeordnet. Ob also auf subnationaler Ebe-
ne im Kanton Graubunden ein Gegensatz zwischen den drei Kantonssprachen herrscht,
wurde weder von Linder, Zurcher & Bolliger (2008) noch Kriesi et al. (1996) diskutiert.
Dabei gabe es Anlass, die Dreisprachigkeit des Kantons Graubunden und deren Ab-
stimmungsverhalten unter die Lupe zu nehmen: so zeigen Abstimmungssonntage wie der
Sprachenartikel (1996) unterschiedliche Resultate in den lateinischen und deutschen Ge-
meinden – nur deutschsprachige Gemeinden haben den Sprachenartikel abgelehnt, alle
lateinischen Gemeinden haben sich fur den Sprachenartikel ausgesprochen. Weiter war
der Kanton Graubunden im schweizweiten Vergleich nach den Kantonen Uri und Schwyz
der Kanton mit der tiefsten Zustimmung zum Sprachenartikel, trotz oder gerade wegen
der starkeren Betroffenheit des dreisprachigen Kantons.
2.2 Parallelen und Unterschiede zum Rostigraben
Ahnlich wie schweizweit existieren im Kanton Graubunden keine nach Sprache segregier-
ten Parteien. Die Sprache wird so als Abstimmungsthema selten in Kampagnen verwen-
3
det, ausser wenn es sich bei den Abstimmungen um Themen handeln, welche explizit die
Sprachensituation ansprechen. Aber auch in diesen Fallen sind es selten Parteien, sondern
andere Gruppierungen, welche die Sprachkonflikte anheizen.
So beispielsweise bei der kantonalen Abstimmung zum Sprachengesetz im Jahr 2007,
als eine”IG Sprachenfreiheit“ das Referendum ergriffen hat. Angefuhrt vom Juristen
Peter Schnyder war die IG aber relativ alleine im Kampf gegen das Sprachengesetz,
dass einstimmig im Grossen Rat des Kantons Graubunden verabschiedet worden war.
Schlieslich hat nur die SVP die Nein-Parole herausgegeben, offentlich aussern wollten
sich aber nur wenige PolitikerInnen (Neue Zurcher Zeitung 12.06.2007).
Die Abstimmung hat jedoch eine deutliche Sprachgrenze gezeigt:”Die Grenze zwi-
schen den Ja- und Nein-Mehrheiten ist auf [...] Gemeindeebene quasi identisch mit der
Grenze zwischen Deutschbunden einerseits und Romanisch- und Italienischbunden ande-
rerseits“, schrieb”Die Sudostschweiz“ am Tag nach der Abstimmung (Simmen 18.06.2007).
In der Kommentarspalte wurde denn die Abstimmung auch nicht als Referendum ge-
gen ein Gesetzestext mit Mangeln taxiert, sondern als”Plebiszit gegen die Romanen“
(Caminada 18.06.2007).
Wenn es jedoch nicht eine Abstimmung ist, welche sich zu der Sprachfrage selbst aus-
sert, so werden Abstimmungen kaum als”Plebiszit“ fur oder wider eine Sprache betrach-
tet. Anders als im Spannungsfeld Deutschschweiz-Romandie besteht desweiteren gerade
zwischen der deutschen und ratoromanischen Sprachgruppe eine starkere Verbindung.
Die Romandie und das Tessin verfugen uber eigene Medien und dadurch uber ei-
ne”eigene“ Medienoffentlichkeit, welche sich in den Themen, der Gewichtung und der
Kultur von der deutschsprachigen unterscheiden kann. Anders die Ratoromanen: zwar
verfugt die”Rumantschia“2 mit der Tageszeitung
”La Quotidiana“3 sowie der Fernseh-
und Radiostation”RTR“4 uber eigene Medien. Die mediale Ausrichtung ist aber stark auf
die deutschsprachigen Medien. So sendet die Fernsehstation lediglich in einem stark be-
2Als”Rumantschia“ wird die ratoromanische Sprachkultur bezeichnet.
3
”La Quotidiana“ ist Ratoromanisch fur
”Die Tagliche“.
4
”Radio e Televisiun Rumantscha“ ist der ratoromanische Ableger der SRG.
4
schranktem Sendefenster auf den deutschsprachigen Kanalen von SF. Die Ratoromanische
Tageszeitung ist am deutschsprachigen Sudostschweiz-Verlag angegliedert und berichtet
vorwiegend uber die Region. Wer nationale oder gar internationale Nachrichten mochte,
ist auf die deutschsprachigen Medien angewiesen.
Dadurch sind die Ratoromanen in der Medienoffentlichkeit und somit auch in der poli-
tischen Wahrnehmung nicht per se getrennt von der deutschsprachigen Darstellung. Eine
Segregation oder Unterscheidung in den Informationen ist so weniger starker ausgepragt
als in der Romandie und der Deutschschweiz.
Anders als beim”Rostigraben“ sind die Sprachkenntnisse zumindest einseitig ver-
nachlassigbar. Zwar verstehen die deutschsprachigen BewohnerInnen Graubundens we-
niger gut Ratoromanisch und Italienisch, umgekehrt ist dies rein strukturell bedingt um
einiges ausgepragter. Die Kleinraumigkeit sowie die geographische Vermischung insbeson-
dere zwischen den ratormanischen und deutschen Teil Graubundens tun ihr Ubriges zum
verstarkten Kontakt zwischen den drei Sprachgruppen.
Am starksten vom”Rest“ Graubundens getrennt sind die italienischen
”Valli“5. Dies
sowohl durch die Sudlage und der damit einhergehenden geographischen Trennung und
Ausrichtung der Valli ins Tessin und ins angrenzende Italien, als auch sprachlich durch
die weniger starke Vermischung als zwischen Deutsch und Ratoromanisch.
In vielen anderen Hinsichten ist der Kanton Graubunden ahnlich wie die Schweiz wenig
homogen. Sowohl die parteipolitischen Praferenzen als auch die Konfession wechseln sich
im Kanton der 200 Taler von Gemeinde zu Gemeinde. Strukturschwache Regionen sind in
allen drei Sprachausfuhrungen zu finden, ebenso Tourismusregionen. Die Vertretung der
Sprachen im Parlament ist durch die kleinen (Majorz-)Wahlkreise garantiert, die Wahl in
den Regierungsrat berucksichtigt im Normalfall mindestens eine ratoromanische Person,
nach Moglichkeit auch eine italienischsprachige Person.
5Valli, italienisch fur”Taler“. Als
”Valli“ werden die italienischen Taler Graubundens bezeichnet.
5
2.3 Hypothesen
Von dieser Theorieschau ausgehend soll nun nach statistischen Hinweisen gesucht wer-
den, ob die Sprachgegensatze im Kanton Graubunden zu Tage treten. Einzelne Abstim-
mungen mit medialer Prasenz lassen erahnen, dass Sprachgegensatze existieren konnen.
Unterschiede in der Vernetzung zwischen den Sprachen konnten jedoch als Hinweis die-
nen, dass aufgrund des unterschiedlichen Kontextes die Sprachen kein unterschiedliches
Abstimmungsverhalten aufweisen.
Als Arbeitshypothesen werden verwendet:
H1: Im Kanton Graubunden besteht kein unterschiedliches Abstimmungs-
verhalten zwischen den Gemeinden der Sprachgruppen.
H2: Es bestehen bezuglich der Ja-Anteile keine Unterschiede aufgrund der
Sprachkategorie einer Gemeinde.
Hypothese H1 soll deskriptiv betrachtet werden, Hypothese H2 wird entsprechend
einer ANOVA-Berechnung interpretiert (siehe nachstes Kapitel).
3 Daten und Methode
Diese Arbeit mochte einen ersten Einblick in das Abstimmungsverhalten der Sprachgrup-
pen im Kanton Graubunden vermitteln. Ziel ist, die Situation zu beschreiben und in
einem zweiten Schritt zu analysieren.
Dabei wird auf die offiziellen Abstimmungsresultate des Bundesamt fur Statistik
(2012a) sowie weiterfuhrenden Informationen von www.swissvotes.ch (2012) zuruckge-
griffen und diese mit den Daten der Bevolkerungszahlungen verglichen (Bundesamt fur
Statistik 2012b). Individualdaten konnten nicht erhoben werden und waren fur den Kan-
ton Graubunden in diesem spezifischen Fall nicht verfugbar. Die Analyse ist somit nicht
abschliessend und kann lediglich Aussagen auf Gemeindeebene machen, die Ergebnisse
konnen nicht auf Individuen zuruckgefuhrt werden.
6
Analysiert wurden die Abstimmungsresultate von 1990 bis und mit Februar 2011.
Im Betrachtungszeitraum fallen dadurch 202 Abstimmungsfragen. Davon sind drei Falle
Stichentscheide zwischen Initiativen und Gegenvorschlage, welche nicht berucksichtigt
werden. Dadurch besteht das Abstimmungssample aus 199 Abstimmungsfragen.
Zu Beginn erstreckt sich die Beobachtung auf 213 Gemeinden im Kanton Graubunden.
Aufgrund einiger Gemeindefusionen im Verlauf der zwei Jahrzehnte minimiert sich der
Gemeindesample bis zur Abstimmung vom 13.2.2011 auf 178 Gemeinden.
Die Arbeit beschaftigt sich mit den Resultaten der einzelnen Gemeinden im Vergleich
zum Kanton. Die schweizweiten Resultate und die entsprechende Annahme oder Ableh-
nung einer Abstimmung sind nicht Teil der Betrachtung – interessanter sind Abweichun-
gen zwischen den Sprachgruppen im”Stand“ selber. Bei der Analyse wird fur die Beschrei-
bung der Sprachgegensatze auf die einfache Kategorisierung in den drei Sprachgruppen
zuruckgegriffen. Ein erster Schritt wird die Abstimmungen von 1990 bis 2011 analysieren
und deskriptive Resultate liefern. Im zweiten Analyseschritt werden anhand einer Vari-
anzanalyse Unterschiede zwischen den Mittelwerten der Sprachgruppen betrachtet. Eine
Varianzanalyse bietet die Moglichkeit, sowohl die Varianz innerhalb einer Sprachgruppe,
als auch zwischen den Sprachgruppen zu beobachten.
Die Arbeitshypothese H2 wird mit Hilfe einer ANOVA-Berechnung getestet. Eine
ANOVA-Berechnung bietet die Moglichkeit, Abweichungen von Mittelwerten zu betrach-
ten und fur weitere unabhangige Variablen zu kontrollieren, als sich nur auf die Sprache
zu begrenzen. Als abhangige Variable wird die prozentuale Zustimmung zu einer Vorlage
betrachtet. Als Fokus wird die Abstimmung zum Bundesgesetz uber die Mutterschafts-
versicherung vom 13. Juni 1999 hinzugezogen. Der Pearson χ2 betragt fur diese Abstim-
mung 101.5463, was der hochste berichtete Wert der 199 Abstimmungsfalle ist. Bei dieser
Abstimmung hat die Kantonsbevolkerung mit 30 Prozent Ja das Bundesgesetz klar abge-
lehnt, 17 von 24 italienischsprachigen Gemeinden haben sich jedoch dafur ausgesprochen.
Eine Ubersicht der prozentualen Zustimmung findet sich in Tabelle 1. Diese Abstimmung
ist somit ein charakteristischer Fall mit einem ausgepragten Unterschied zwischen den
7
Sprache Mean Std. Dev. FrequenzDeutsch 26.7500 8.8969 122Italienisch 55.0083 11.7683 24Ratoromanisch 28.9454 10.7809 66Total 30.6325 13.1713 212
Tabelle 1: Ubersicht abhangige Variable. Die Tabelle zeigt die prozentuale Zustimmungzur Vorlage entsprechend den drei Sprachgruppen.
Sprachgruppen, desweiteren ist in diesem Fall auch der nationale Sprachgegensatz zu
Tage getreten6.
Bei einem ANOVA-Test wird ermoglicht, dass die abhangige Variable metrisch skaliert
ist, anders als bei einem χ2-Test, wo die abhangige Variable lediglich wenige Kategorien
aufweisen kann. Unabhangige Variablen, sogenannte Faktoren, konnen eine Nominalska-
lierung aufweisen. Dies ist beispielsweise bei der Sprache der Fall: die Gemeinden sind
in drei Gruppen geteilt. Der Anteil an Beschaftigten im 1. Wirtschaftssektor (Landwirt-
schaft) wird als Indiz fur periphere und agrarische Gemeinden genutzt. Die Grenzen sind
dabei bei weniger als funf Prozent, zwischen funf und zehn Prozent sowie mehr als zehn
Prozent gesetzt. Die Gemeinden wurden nach Grosse in klein (1-159 EinwohnerInnen),
mittel (159-497) und gross (497-32868) eingeteilt.
Als zwei Dummy-Variablen hinzugezogen werden die Kategorisierung einer Gemeinde
in Reformiert und Katholisch sowie ein Indiz fur eine Uberalterung der Gemeinde. Tabelle
2 zeigt eine Ubersicht der Variablen und ihren Auspragungen. Tabelle 3 zeigt desweiteren
die Korrelationen zwischen den verschiedenen unabhangigen Variablen.
Gerechnet wird einerseits ein einfacher ANOVA-Test, wo lediglich die Sprache als
unabhangiger Faktor aufgenommen wird. Da die Sprachgruppen nicht homogen verteilt
sind, konnte dieser Test verzerrt sein. Mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse besteht
die Moglichkeit, die erhaltenen Resultate anhand einer SIMANOVA und einem F*-Test
zu uberprufen.
Andererseits wird ein mehrfaktorieller ANOVA-Test mit den weiteren unabhangigen
6Annahme in den Kantonen Tessin, Jura, Neuenburg, Freiburg, Waadt und Genf, Ablehnung in allendeutschsprachigen Kantonen.
8
Variable Auspragungen Mean 1 2 3Sprache D, I und R – 122 24 66 Frequenz
Landwirtschaft <5%, 5<x<10%, >10% 8.71% 2.62% 7.12% 20.13% Mean/Ausprag.
Bevolkerung >497, 159<x<497, <159 820 2094 93 89 Mean/Ausprag.
Reformiert ja=1 126 86 Frequenz
Uberaltert =1 wenn [+65]>[-18] 53 159 Frequenz
Tabelle 2: Ubersicht unabhangige Variablen. Die Tabelle zeigt die verschiedenen un-abhangigen Variablen und wie sie codiert wurden.
Sprache Landwirtschaft Bevolkerung Reformiert UberaltertSprache 1.0000Landwirtschaft 0.1466 1.0000Bevolkerung 0.1555 0.5825 1.0000Reformiert -0.3631 0.1720 0.0709 1.0000Uberaltert 0.2011 0.2245 0.4424 -0.1442 1.0000
Tabelle 3: Korrelationen. Die Tabelle zeigt die Korrelationen zwischen den unabhangigenVariablen.
Variablen gerechnet. Dies ermoglicht, die Resultate zur Sprache entsprechend zu inter-
pretieren und in einem Kontext zu setzen. Aufgrund statistischer Unsicherheiten bei
mehrfaktoriellen Varianzanalysen mit unterschiedlichen Frequenzen muss jedoch darauf
hingewiesen werden, dass diese Resultate in ihrer Interpretation vorsichtig verwendet
werden mussen. Sie dienen in diesem Moment und ohne ausfuhrliche statistische Tests
lediglich als Hinweis auf mogliche Zusammenhange.
4 Ergebnisse
4.1 Minorisierungen
Eine erste einfache Betrachtung der 199 hinzugezogenen Resultate zeigt ein Bild des
Kantons Graubunden, welches in vielen Fallen gemeinsam stimmt. Trotzdem zeigt sich
in etwa einem Viertel der Abstimmungen, dass eine Sprachgruppe in der Minderheit war.
In diesem Falle wird eine”Minorisierung“ dann als erfullt betrachtet, wenn eine Mehr-
heit der Gemeinden einer Sprachgruppe anders gestimmt hat als die Kantonsbevolkerung.
In Grafik 1 findet sich eine Darstellung oben rechts.
9
Ja/Nein D R I Total0 120 62 7 1891 2 4 17 23Total 122 66 24 212Pearson χ2 = 101.5463, Pr = 0.000
Tabelle 4: Beispiel fur ein χ2-Test. Abstimmung zum Bundesgesetz uber die Mutterschafts-versicherung vom 13.06.1999. Das Pearson χ2 ubersteigt den Referenzwert von χ2
2;1−0.025 =7.378 bei p ≤ 0.05. Quelle: Bundesamt fur Statistik / Eigene Auswertung und Darstellung.
Eine zweite Betrachtung der 199 hinzugezogenen Resultate zeigt, dass in vielen Fallen
das Abstimmungsresultat nicht unabhangig von den Sprachgrenzen sind. Statistisch kann
dies mit Hilfe eines χ2-Tests untersucht werden. Dabei werden die Resultate in einer
Kreuztabelle mit sechs Feldern dargestellt (Ja/Nein, D/R/I) und die Abweichung von
den erwarteten Resultaten gemessen.
Ein χ2-Test liefert damit die Aussage, ob die erhaltenen Resultate signifikant von
den erwarteten Resultaten abweichen. Als Referenzwert dient bei einer Sechsfeld-Tabelle
χ22;1−0.025 = 7.378 (Tabelle 4 zeigt ein Beispiel fur eine Sechsfeld-Tabelle). Von den
beobachteten Fallen konnte festgestellt werden, dass in 80 von 199 Fallen der Pearson
χ2 hoher als der Referenzwert war, was zur erstaunlichen Feststellung fuhrt, dass in
zwei Funftel der Falle das Abstimmungsresultat nicht unabhangig von der Sprachgruppe
verteilt war.
Fuhrt man diese zwei Charakteristiken zusammen, so gibt es 38 Falle, welche sowohl
eine Minorisierung einer oder mehrerer Sprachgruppen zeigen und gleichzeitig die Vertei-
lung nicht unabhangig von der Sprache ist. Die Arbeitshypothese H1, dass zwischen den
Sprachgruppen keine Unterschiede bestehen, kann somit verworfen werden.
Grafik 1 zeigt nach diesen drei Schritten ebenfalls eine Aufteilung dieser 38 Falle auf
die Sprachgruppen. Dabei wird festgestellt, dass in einem Grossteil dieser Falle insbeson-
dere die italienische Sprachgruppe in der Minderheit wiederzufinden ist. In 32 Fallen war
die italienische Sprachgruppe in der Minderheit, davon 26 alleine betroffen. Nachfolgend
ist die ratoromanische Sprachgruppe, welche in insgesamt acht Fallen betroffen ist, davon
in deren drei alleine. Die deutsche Sprachgruppe ist in funf Fallen betroffen, zwei davon
10
alleine.
Dieses Bild einer starkeren Benachteiligung der italienischsprachigen Gemeinden zeigt
sich ebenfalls in Grafik 2. Die Abbildung zeigt, wie oft eine Gemeinde anteilsmassig von
den 199 Fallen in der Minderheit war, d.h. anders als die kantonale Bevolkerungsmehrheit
gestimmt hat. Dabei sind die drei Sprachen in einer jeweils anderen Farbe dargestellt7,
was drei unterschiedliche Skalen ermoglicht.
Die Grafik bestatigt, dass sich die italienischsprachigen Gemeinden am meisten in
einer Minderheitenposition befinden. Insbesondere die Region der Mesolcina (Cauco mit
41.09 Prozent, Leggia mit 36.63 Prozent und Selma mit 32.67 Prozent) ist stark betroffen,
bei den ratoromanischen Gemeinden schwingt Pigniu mit 32.67 Prozent oben aus, Saas
fuhrt die deutschsprachigen Gemeinden mit 27.72 Prozent an.
Am seltensten fanden sich in den jeweiligen Sprachgruppen Bonaduz (deutsch, 5.45
Prozent), Ardez (ratoromanisch, 8.42 Prozent) und Stampa (italienisch, 10.88 Prozent)
in der Minderheit. Die Mittelwerte fur die drei Sprachgruppen befinden sich bei 23.48
Prozent fur die italienischsprachigen Gemeinden (Median = 23.76 Prozent), 17.54 Prozent
bei den ratormanischsprachigen Gemeinden (17.33 Prozent) und 15.02 Prozent bei den
deutschsprachigen Gemeinden (13.86 Prozent).
4.2 Themengebiete
In einem weiteren Schritt soll untersucht werden, in welchen Themenbereichen ein unter-
schiedliches Abstimmungsverhalten zu beobachten ist. Fur diese Analyse wird die the-
matische Klassifizierung des Bundesamtes fur Statistik verwendet. Pro Abstimmung sind
bis zu drei Nennungen moglich, betrachtet wird das erste Niveau mit zwolf Kategorien.
Grafik 3 zeigt einen ausgepragten Gegensatz bei der Energiefrage. Dabei lasst sich fest-
stellen, dass die ratoromanischen Gemeinden weniger kritisch der Atomenergie gegenuber-
stehen, die italienischsprachigen Gemeinden sich dafur starker gegen Energielenkungs-
7Blau zeigt das deutsche, grun das ratoromanische und rot das italienische Sprachgebiet. Berucksich-tigt wurde eine Karte von Anfang 2011.
11
Abbildung 1: Anteile. Die Abbildung zeigt (a) die Verteilung der Falle zwischen stochastischunabhangigen und nicht unabhangigen Fallen (Pearson χ2 ist grosser als χ2
2;1−0.025 = 7.378bei p ≤ 0.05), (b) der Anteil an Fallen wo eine Minorisierung stattgefunden hat, (c) die Uber-schneidung der ersten zwei Charakteristiken sowie (d) die Aufteilung dieser Falle, in denen sichdie zwei ersten Charakterstiken uberschneiden in den verschiedenen Sprachkombinationen. An-ordnung: von oben nach unten, von links nach rechts. Quelle: Bundesamt fur Statistik. EigeneAuswertung und Darstellung.
12
Abbildung 2: Prozentuale Minorisierung einer Gemeinde. Die Abbildung zeigt die dreiSprachgruppen Deutsch, Ratoromanisch und Italienisch in einer eigenen Farbe mit einer Ab-stufung pro Gemeinde, wie oft diese von den 199 Fallen minorisiert wurde. Quelle: Bundesamtfur Statistik. Eigene Auswertung und Darstellung.
13
und Forderabgaben aussprechen. Deutschsprachige Gemeinden sprechen sich dafur starker
fur den Gewasserschutz aus.8
Als zweites kontroverses Themengebiet zeigt sich die Aussenpolitik. Hier uberwiegt
eine Minorisierung der italienischen Gemeinden, welche sich konsequent gegen die Bi-
laterale I, gegen die Personenfreizugigkeit, der Kohasionsmilliarde und gegen die bio-
metrischen Reisedokumente ausgesprochen haben. Einzig bei der Ausdehnung der Per-
sonenfreizugigkeit auf die neuen EU-Staaten wurden die italienischsprachigen Gemein-
den von einer Mehrheit der deutschsprachigen Gemeinden unterstutzt, eine Mehrheit der
Kantonsbevolkerung unterstutzte das Anliegen jedoch knapp. Die ratoromanischen Ge-
meinden zeigen sich in der Frage der Aussenpolitik durchgehend auf einem Kurs fur die
Zusammenarbeit mit der europaischen Union9.
Von den 38 Abstimmungen werden 15 (unter anderem) der Sozialpolitik zugeord-
net, was mit Abstand die meistgenannte thematische Klassifizierung ist. Bei diesen Ab-
stimmungen zeigt sich in der AHV-Frage eine klare Minorisierung der italienischsprachi-
gen Gemeinden, welche sich starker fur eine flexible, ausgebaute AHV aussprechen. Bei
AuslanderInnenfragen sprechen sich die deutschsprachigen Gemeinden fur eine erleichter-
te Einburgerung aus, die ratoromanischen Gemeinden gegen die Ausschaffungsinitiative.
Die italienischsprachigen Gemeinden sprechen sich fur die Mutterschaftsversicherung
und fur Behindertenintegration aus, dafur gegen die eingetragene Partnerschaft und die
arztliche Verschreibung von Heroin. Die deutschsprachigen Gemeinden stehen alleine bei
der Befurwortung der Einschrankung von Tierversuchen und die ratoromanischen Ge-
meinden lehnen alleine die Fristenregelung von Schwangerschaftsabbruchen ab.
Zusammenfassend zeichnet sich folgendes Bild: italienischsprachige Gemeinden sind
kritischer in der Offnung der Schweiz gegen Aussen sowie in der Energiefrage. Dafur
setzen sie sich fur einen starken und ausgebauten Sozialstaat ein.
Die ratoromanischen Gemeinden sind in der Energiefrage weniger kritisch, befurwor-
ten die Atomenergie und sind fur eine Offnung der Schweiz gegenuber Europa. Sie sind
8Bezieht sich auf funf Abstimmungen.9Bezieht sich ebenfalls auf funf Abstimmungen.
14
Abbildung 3: Themenklassifizierung der 38 Falle. Die Abbildung zeigt die thematischeKlassifizierung der 38 Abstimmungsvorlagen im Verhaltnis zu allen 199 Fallen. Mehrfachklas-sifizierung ist moglich. Quelle: Swissvotes/Bundesamt fur Statistik. Eigene Auswertung undDarstellung.
dafur in Sozialstaatsfragen konservativer eingestellt. Deutschsprachige Gemeinden ent-
sprechen eher den ratoromanischen Gemeinden in der Sozialstaats- und Offnungsfrage,
positionieren sich gesellschaftlich jedoch liberaler als die lateinischsprachigen Gemeinden.
4.3 Varianzanalyse
Doch ist es wirklich die Sprache, welche dieses unterschiedliche Abstimmungsverhalten
beeinflusst? Die Bundner Gemeinden unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, beispiels-
weise neben der Sprache auch in der Grosse, der Wirtschaftsstruktur, der Alterstruktur
und der Konfession. Um die erhaltene Einschatzung zu einem Sprachgegensatz im Kanton
Graubunden tiefer zu Analysieren, soll dieser Kontext hinzugezogen werden.
Eine Varianzanalyse soll Aussagen uber die Sprache bieten, wahrend fur diese ge-
nannten Kriterien kontrolliert wird. Tabelle 5 zeigt eine ANOVA-Berechnung fur funf un-
abhangigen Variablen: die Sprachkategorie, den Landwirtschaftsanteil, die Bevolkerungs-
grosse, die uberwiegende Konfession sowie die Uberalterung einer Gemeinde. Berechnet
wurde das Modell mit den Resultaten zur Abstimmung vom 13. Juni 1999, als die Stimm-
bevolkerung ein Referendum zum Bundesgesetz uber die Mutterschaftsversicherung abge-
15
Source Partial SS df MS F Prob>FModel 17060.8991 8 2132.6124 22.15 0.0000Sprache 12811.4274 2 6405.7137 66.53 0.0000***Landwirtschaft 490.5746 2 245.2873 2.55 0.0808*Bevolkerung 235.6035 2 117.8017 1.22 0.2963Reformiert 211.1051 1 211.1052 2.19 0.1402Uberaltert 74.8424 1 74.8423 0.78 0.3790Residual 19544.2259 203 96.2770Total 36605.1250 211 173.4840Adjusted R2 0.4450N 212
Tabelle 5: ANOVA. Mehrfaktorielle Varianzanalyse mit der Zustimmung zum Bundesgesetzuber die Mutterschaftsversicherung in Prozent als abhangige Variable. Anmerkung: * p ≤ 0.1,** p ≤ 0.01, *** p ≤ 0.001. Quelle: Bundesamt fur Statistik. Eigene Auswertung und Darstellung
lehnt hat, die italienischsprachigen Gemeinden im Kanton Graubunden in einer Mehrheit
jedoch unterstutzt haben. Die Resultate lassen die Interpretation zu, dass die Sprache
statistisch gesehen einen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten hat. Weiter zeigt sich
auf einem tieferen Signifikanzniveau ebenfalls einen Einfluss des Landwirtschaftanteils
einer Gemeinde. Die ANOVA-Berechnung unterstutzt also die im deskriptiven Teil der
Arbeit getroffene Annahme, dass im Kanton Graubunden Sprachgegensatze bestehen,
und diese sich im Abstimmungsverhalten zeigen.
Diese Ergebnisse konnen jedoch nur als Hinweis eines moglichen Zusammenhanges
genommen werden. Die Varianzanalyse basiert im Test auf der Annahme, dass die Vari-
anzen der unabhangigen Variable im Umfang ahnlich sind (sogenannte”homogeneity of
variance assumption“, siehe Academic Technology Services 2012). Wie Tabelle 1 gezeigt
hat, ist sowohl der Umfang, als auch die Varianz zwischen den Sprachgruppen bei der
prozentualen Annahme unterschiedlich.
Fur die unabhangige Variable der Sprachkategorie wurden die Resultate mit Hilfe
einer Simulation getestet. Wenn 5000 Simulationen durchgefuhrt werden, welche den
unterschiedlichen Umfang und die unterschiedliche Varianz berucksichtigen, zeigt sich,
dass der ANOVA-Test nicht genugend robust ist: Anstatt einen berichteten Wert von
Prob > F = 0.000, zeigt sich ein simulierter Wert von 0.0864 bei einem Signifikanzniveau
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von funf Prozent.
Eine Alternative zu ANOVA-Simulationen stellt der F*-Test dar (Academic Techno-
logy Services 2012). Dieser ist”less sensitive to violations of homogeneity of variance“
(ebd.). Ein erster Test mit ebenfalls 5000 Simulationen des F*-Tests zeigt, dass der si-
mulierte Wert bei einem Signifikanzniveau von funf Prozent bei 0.0470 liegt, also knapp
signifikant. Da es sich um eine Simulation handelt, welche nur statistische Annahmen
korrigieren mochte, muss auch dieses Resultat mit Zuruckhaltung genossen werden.
Fur diesen ersten Ausflug in eine Varianzanalyse mit Hilfe von ANOVA kann geschlos-
sen werden, dass Anzeichen fur eine klare Signifikanz der Sprache bestehen und die Ar-
beitshypothese H2 somit verworfen werden kann. Diese sind jedoch aufgrund statistischer
Schwachen des Modells nur zuruckhaltend verwendbar. Uberprufungen der Resultate mit
robusten Simulationen geben Anhaltspunkte fur eine statistische Relevanz des Zusam-
menhanges, die durchgefuhrten Berechnungen sind jedoch noch nicht ausfuhrlich genug,
um definitive Aussagen treffen zu konnen.
5 Fazit
Die Arbeit wollte untersuchen, ob im Kanton Graubunden bei den Abstimmungen Sprach-
gegensatze existieren, ahnlich wie dies am”Rostigraben“ zwischen der Deutschschweiz
und der Romandie betrachtet werden kann. Mit Hilfe eines χ2-Tests wurden rund 200
Abstimmungen auf Gemeindeebene auf Sprachgegensatze untersucht.
Dabei konnte festgestellt werden, dass bei nationalen Abstimmungen im Kanton
Graubunden in etwa einem Funftel der rund 200 Abstimmungen Sprachgegensatze be-
obachtet werden konnen, und dass die Gemeinderesultate statistisch signifikante Unter-
schiede aufzeigen. In diesen Fallen wurde mindestens eine Sprachgruppe minorisiert. Ge-
samthaft zeigt sich eine Benachteiligung der italienischsprachigen Gemeinden, welche am
meisten in der Minderheit sind.
Thematisch gesehen kann festgestellt werden, dass italienischsprachige Gemeinden
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kritischer gegenuber einer Offnung der Schweiz gegenuber Europa ist, dafur sind sie um-
so uberzeugter fur einen starken und ausgebauten Sozialstaat. Ratormanischsprachige
Gemeinden sind in der Energiefrage vergleichsweise weniger kritisch, befurworten die
Atomenergie und treten fur eine Offnung der Schweiz gegenuber Europa ein. In Sozi-
alstaatsfragen sind sie konservativer. Deutschsprachige Gemeinden entsprechen in der
Sozialstaats- und Offnungsfrage eher den ratoromanischen Gemeinden, positionieren sich
gesellschaftlich jedoch liberaler als die zwei Sprachminderheiten.
Eine Varianzanalyse legt schliesslich nahe, dass die Sprachenzugehorigkeit und die Ab-
stimmungsresultate einer Gemeinde einen statistisch signifikanten Zusammenhang haben.
Das verwendete Modell ist jedoch nicht ganz ausgereift, weiterfuhrende Tests bezeugen
Schwachen in der Robustheit des Modells gegenuber den Daten. Der Ansatz einer Vari-
anzanalyse gibt jedoch eine Richtung fur Interpretationen an und ist ein erster Versuch,
weiterfuhrende Analysen durchzufuhren. Die zwei Arbeitshypothesen, dass die beobach-
teten Unterschiede zufallig sind, konnten beide verworfen werden.
Die vorliegenden Resultate zeigen auf, dass im Kanton Graubunden ein Sprachgegen-
satz besteht. Zwar wird dieser medial und in den Resultaten weniger stark wahrgenom-
men als der”Rostigraben“ und besteht ein anderer Kontext, trotzdem zeigt sich, dass
die Sprachminderheiten im Kanton Graubunden teilweise auch allgemeinpolitisch in der
Minderheit sind. Diese Erkenntnis bereichert die Sprachenfrage in der Schweiz und regt
dazu an, weiterfuhrende Analysen in diesem Bereich zu machen.
Die Arbeit bietet in ihrer vorliegenden Version einen ersten Einblick und bietet Bei-
spiele fur statistische Analysen der Sprachgegensatze. Diese mussen jedoch noch aus-
gefeilt werden und bedurfen einer ausfuhrlichen Uberprufung von weiteren Fallen, ins-
besondere auch den kantonalen Abstimmungsresultaten. Empfehlenswert ware auch, von
einer Aggregatdatenbasis (Gemeindeebene) auf die Individualebene zu gehen. Der Kanton
Graubunden bietet als politisch und gesellschaftlich heterogener Mikrokosmos sicherlich
noch genugend Material, um interessante Analysen durchzufuhren.
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Literatur
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Kriesi, Hanspeter, Boris Wernli, Pascal Sciarini & Matteo Gianni. 1996. Le clivage linguistique.Problemes de comprehension entre les communautes linguistiques en Suisse. Neuenburg:Bundesamt fur Statistik.
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www.swissvotes.ch, Annee Politique Suisse. 2012. “Datensatz der eidgenossischen Volksabstim-mungen ab 1848.”. Version vom 1.1.2012.http://www.swissvotes.ch
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Selbstandigkeitserklarung
”Ich erklare hiermit, dass ich diese Arbeit selbststandig verfasst und keine anderen als die
angegebenen Quellen benutzt habe. Alle Stellen, die wortlich oder sinngemass aus Quellen ent-nommen wurden, habe ich als solche gekennzeichnet. Mir ist bekannt, dass ich andernfalls einPlagiat begangen habe, dass dieses mit der Note 1 bestraft wird und dass ich vom Dekan einenVerweis erhalte.“
Ort, Datum: Bern, 17. Februar 2012
Name in Reinschrift und Unterschrift
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