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Philip Büttner, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt/ Evang.-Luth. Kirche in Bayern "
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Sonntagsallianz – eine wachsende Bewegung 1
Wert des freien Sonntags –
Wandel der Gesellschaft –
Wandel des Arbeitsalltags
Domforum Köln, 19.03.12.
„Sonntagsallianz – eine wachsende Bewegung“
Philip Büttner, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt/ Evang.-Luth. Kirche in Bayern
"Was für ein schöner Sonntag!"
– mit diesen Worten eröffnete Joachim Gauck gestern seine erste Rede als frisch
gewählter Bundespräsident und unterstrich damit die Feierlichkeit und Bedeutsamkeit des
Moments. "Sonntag" – das Wort hat offenbar noch immer einen besonderen Klang.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich freue mich über die Einladung, hier im Domforum Köln an einem Montag über unsere
wachsende kirchlich-gewerkschaftlichen Bewegung "Allianz für den freien Sonntag"
berichten zu dürfen, die ja seit letztem Jahr auch in Köln einen starken Standort hat. Zu
meiner Person: Ich bin als Soziologe und wissenschaftlicher Referent in München beim
Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der evangelischen Kirche tätig. In dieser Funktion
engagiere ich mich seit der Gründung der Sonntagsallianz im Jahr 2006 zusammen mit
meinen katholischen und gewerkschaftlichen Partnern in den Sonntagsallianzen auf
regionaler Ebene in München, auf Landesebene in Bayern sowie auch auf Bundesebene.
Wofür kämpfen wir? Warum braucht es überhaupt eine Allianz für den freien
Sonntag? Dieser Tag wird im Allgemeinen doch sehr geschätzt. Die meisten Leute lieben
ihren Sonntag, bestimmt mehr als etwa den Montag oder Mittwoch. Politiker aller Parteien
versichern uns, dass der Sonntag grundsätzlich wichtig und erhaltenswert ist. Er wird ja in
Deutschland auch von höchster Stelle garantiert, anders als in anderen Staaten sogar
durch die Verfassung. Art. 140 GG schreibt vor: "Der Sonntag und die staatlich
anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung
gesetzlich geschützt". Dieser noch aus der Weimarer Verfassung stammende Satz betont
geradezu, dass daran auch künftig nicht gerüttelt werden darf.
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Quelle: Mikrozensus, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen
Doch wie Sie hier anhand von Mikrozensus-Daten sehen, arbeiten heute bundesweit schon
elf Millionen Erwerbstätige gelegentlich, regelmäßig oder ständig auch an Sonn- und
Feiertagen. Das sind gut drei Millionen mehr als noch Mitte der 90er Jahre. Mehr als jede
und jeder Vierte ist betroffen, in manchen Bundesländern schon jeder Dritte. Früher
musste nur jeder fünfte Erwerbstätige auch sonntags ran. Der Trend zieht sich durch alle
Branchen und Bundesländer.
Ein Zuwachs von drei Millionen Sonntagsarbeiterinnen und Sonntagsarbeitern in 15
Jahren! Diese Entwicklung ist zwar offenbar so schleichend, dass sie noch nicht von allen
bemerkt wird. Doch sie ist auch so tief greifend, dass wir, wenn wir den Trend nicht
stoppen, die uralte Institution der Sonntagsruhe innerhalb weniger Generationen verlieren
werden.
Natürlich: Man kann Sonntagsarbeit nicht auf Null reduzieren. Immer wieder werden wir
als Kirchenvertreter kritisch gefragt, wie wir denn gegen Sonntagsarbeit eintreten
könnten, wo doch unsere Pfarrer selbst am Sonntag arbeiten. Klare Antwort: Es gibt
Tätigkeiten wie eben die des Pfarrers oder der Pfarrerin, die gerade am Sonntag
wünschenswert und nötig sind, weil sie ihn zu einem besonderen Tag machen, Arbeiten
für den Sonntag also. Dazu gehört z.B. auch die Arbeit des Künstlers, Sportlers oder
Gastronomen. Solche Berufsgruppen sind darauf angewiesen, dass andere am Sonntag
freihaben und ihre Dienste auch in Anspruch nehmen können.
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Notwendig neben der Arbeit für den Sonntag ist auch manche Tätigkeit trotz des
Sonntags. U.a. muss die medizinische Grundversorgung, die Sicherheit und die Mobilität
der Bürgerinnen und Bürger auch sonntags garantiert sein. Beschäftigte, die in solchen
Arbeitsfeldern tätig sind, sollen für ihre unverzichtbare Sonntagsarbeit angemessene
Zuschläge erhalten. In dem Maße, in dem der Sonntag aber allgemein zu einem quasi-
normalen Werktag wird, geraten die Zuschläge auch für die wirklich notwendige
Sonntagsarbeit unter Druck.
Sicher ist: Der Einzelhandel fällt weder in die eine noch in die andere Kategorie sinnvoller
Sonntagsarbeit. Verkaufen ist keine Arbeit, die trotz des Sonntags nötig wäre, denn die
Versorgung der Bevölkerung ist mit den werktäglichen Ladenöffnungszeiten gesichert.
Verkaufen ist aber auch keine Arbeit für den Sonntag, wie einige behaupten. Shopping
dient nicht der seelischen Erhebung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
wegweisenden Urteil vom 1.12.2009 den werktäglichen Charakter des Einkaufens betont
und die besonderen Beeinträchtigung der Sonntagsruhe gerade durch Sonntagsshopping
herausgestellt.
Was bedroht den freien Sonntag konkret? Vier Faktoren möchte ich hier nennen:
1. Die Ausnahmen für Sonntagsarbeit kennen keine Grenzen mehr. Das
Arbeitszeitgesetz legt zwar konkret fest, dass z.B. Krankenhäuser, Polizei, Medien
oder Verkehrsbetriebe vom Verbot der Sonntagsarbeit ausgenommen sind. Es
eröffnet aber darüber hinaus ziemlich vage Begründungen für noch viel mehr
Sonntagsarbeit: etwa zum Zweck der Beschäftigungssicherung, zur Wahrung der
Konkurrenzfähigkeit gegenüber ausländischen Firmen oder zur Befriedigung
„besonders hervortretender Bedürfnisse“ der Bevölkerung. Das mag im Einzelfall
nachvollziehbar klingen. Letztlich könnte aber fast jede Arbeit unter eine dieser
Ausnahmen fallen. Ob Industrie, Callcenter, Autowaschanlagen oder Brauereien –
seit Jahren bekommen immer mehr Unternehmen und Branchen einen Freischein
für den Sonntagsbetrieb.
2. Das Prinzip "Einer fängt an, andere ziehen nach". Veranstaltet eine Stadt
verkaufsoffene Sonntage, meint die Nachbarstadt das auch tun zu müssen. Lässt
sich ein Industrieunternehmen Sonntagsarbeit genehmigen, fordert sein
Mitbewerber ebenfalls eine Ausnahmegenehmigung von der Gewerbeaufsicht. Seit
der Ladenschluss, wie zuvor bereits die Bedarfsgewerbeverordnung, vom Bund in
die Kompetenz der Länder delegiert wurde, machen diese sich gegenseitig
Konkurrenz um die liberalsten Regelungen. Es ist falsch verstandene, weil nicht
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funktionierende Subsidiarität, die Entscheidung über Sonntagsarbeit auf untere
politische Ebenen zu verlagern. Denn fängt einer damit an, setzt er die anderen
unter Zugzwang. Ernst gemeinter Sonntagsschutz kann nur einheitlich, d.h. nur auf
höheren politischen Ebenen gelingen.
3. Wir schützen den freie Sonntag auch individuell nicht genug. In vielen
Berufen entzieht sich die Arbeitszeit heute allgemeinen Regulierungen. Durch
moderne Kommunikationstechnologie und vertrauensbasierte Arbeitszeiten
entgrenzt sich die Arbeit zeitlich und räumlich – auf Kosten von Freizeit und
Familienzeit. Viele Tätigkeiten können technisch genauso gut am Feierabend oder
am Feiertag von Zuhause und von überall aus erledigt werden. Die Last, den
Sonntag gegen die Daueranforderungen der Ökonomie zu schützen, obliegt uns
dann selbst. Oft geben wir nach.
4. Wir zweifeln manchmal selbst an der Zukunft des freien Sonntags. Wir
lassen uns einreden, dass Sonntagsarbeit wirtschaftlich notwendig sei und
vergessen dabei, dass auch Ruhe- und Familienzeiten für die Produktivität
unverzichtbar sind. Wir denken, dass die Leute mit den Füßen abstimmen, wenn sie
sich sonntags von Shoppingevents und Rabattschlachten anlocken lassen, und
lassen außer Acht, dass – wie die Evaluation des nordrhein-westfälischen
Ladenöffnungsgesetzes gezeigt hat – immer noch eine große Mehrheit da gar nicht
hingeht. Wir denken, dass es einfach modern ist, alles zu jeder Zeit tun zu können,
und übersehen, dass gerade die heutige Arbeitsverdichtung, Entrhythmisierung und
Beschleunigung viele Menschen krank macht. Eigentlich brauchen wir den freien
Sonntag in Zeiten grassierenden Burnouts doch nötiger denn je. Wenn wir ihn aber
bloß noch als leicht angestaubte Tradition betrachten, dann kann dies zu einer
selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Dann verliert der Feiertag an
Verbindlichkeit, erodiert durch immer neue Ausnahmen und geht uns irgendwann
womöglich ganz verloren.
Damit komme ich, um nicht in Pessimismus zu verfallen, zu der kleinen, aber wachsenden
Initiative, die sich gegen den Trend stemmt: die Allianz für den freien Sonntag.
Die Sonntagsallianz wurde 2006 auf Bundesebene gegründet – in dem Jahr, in dem wir
anlässlich der Fußball-WM bundesweit erstmals extralange Ladenöffnungszeiten hatten
und der Ladenschluss im Zuge der Föderalismusreform schließlich zur Ländersache wurde.
Unser Ziel war es damals, auf möglichst vielen politischen Ebenen, auf denen über den
Sonntagsschutz entschieden wird, eine Lobby für den Sonntag zu organisieren.
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Landes- und regionale Allianzen für den freien Sonntag
Heute gibt es Sonntagsallianzen in acht Bundesländern und ca. 80 Regionen Deutschlands.
Die regionalen Allianzen sind insbesondere in Bayern und in NRW stark verbreitet. Ständig
kommen neue Allianzen hinzu, i.d.R. initiiert von den Gründerorganisationen: Vereinte
Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB),
Betriebsseelsorge, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) und Bundesverband
Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen (BVEA). Die Allianzen werden in regional
unterschiedlichen Konstellationen mitgestaltet vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB),
weiteren Einzelgewerkschaften, Kirchengemeinden oder Dekanaten.
Das besondere an diesem Bündnis ist es, dass sich über den kirchlich-gewerkschaftlichen
Trägerkreis hinaus zahlreiche Unterstützerorganisationen anschließen. Da wir wissen, dass
z.B. auch Sport-, Umwelt- und Familienverbände ein existenzielles Interesse am Sonntag
haben, laden wir diese ein, sich mit uns zu engagieren. Ausgeschlossen sind lediglich
politische Parteien, die wir nicht als Teil der Allianz sehen, sondern als unser Gegenüber in
einem konstruktiv-kritischen Dialog.
Wie in Deutschland entstehen auch in vielen anderen europäischen Ländern
Sonntagsschutzinitiativen. Im letzten Jahr hat sich in Brüssel nun auch eine European
Sunday Alliance aus über 80 Mitglieds- und Unterstützerorganisationen gebildet, die das
Ziel hat, den Sonntag als regulären freien Tag in der EU-Arbeitszeitrichtlinie zu verankern.
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Träger- und Unterstützerorganisationen auf Bundesebene
Was tut die Allianz konkret? Hier einige Schlaglichter:
Aktion zur Kommunalwahl in Bayern
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Aktion „Himmelsgeschenk“ beim Ökumenischen Kirchentag 2010
Verlesung des historischen Sonntagsschutz-Edikts von Kaiser Konstantin
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„Ruhemob“ auf einer Straßenkreuzung am Rande der 4. Zeitkonferenz in Fulda
Dokumentation einer illegalen Sonntagsöffnung in Aschheim
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Juristische Gegenwehr gegen Sonntagsshopping in Dresden
Gospelgottesdienst statt Rund-um-Uhr-Einkauf in München
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Aktion „1000 Tische für den Sonntag“ in Düsseldorf
Demonstration von Verkäuferinnen gegen die Ausdehnung der Öffnungszeiten
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Die Sonntagsallianz hat eine doppelte Aufgabe: Sie will den freien Sonntag schützen und
zugleich mit Leben füllen. Welche Erfolge können wir Sonntagsschützer dabei
erzielen? Ein wichtiger, nicht zu unterschätzender Erfolg ist es, dass wir an vielen Orten
das Thema überhaupt wieder ins Bewusstsein und auf die politische Agenda gebracht
haben. Wenn es dann um die konkrete Wahrung der Sonntagsruhe in der Praxis geht,
stoßen wir gelegentlich auf Granit. Aber manchmal können wir auch einiges bewirken.
• Erfolge auf kommunaler Ebene: In einigen, auch größeren Städten haben wir es
geschafft, Verkaufssonntage zu reduzieren oder ganz zu verhindern. Ganz aktuelle
Beispiele dafür sind die Städte Siegen und Freiburg. In Ingolstadt hat die regionale
Allianz für den freien Sonntag sogar eine Art Vertrag mit dem Stadtrat geschlossen,
keine verkaufsoffenen Sonntage zu genehmigen. In der Millionenstadt München gibt
es zwar drei verkaufsoffene Sonntage. Doch von denen bekommt praktisch
niemand etwas mit, weil kaum ein Geschäft aufmacht. Selbst anlässlich des großen
Trachtenumzugs zum Oktoberfest dürfen lediglich ein paar Getränke- und
Souvenirhändler ihre Türen öffnen. (Es ist nicht aufgefallen, dass die Münchner
dadurch größere Versorgungsengpässe erleiden.)
• Erfolge auf Länderebene: In Bayern haben Kirchen und Gewerkschaften,
gemeinsam mit den Handwerksinnungen und anderen dazu beigetragen, dass dort
immer noch der alte Bundesladenschluss gilt. In ganz Deutschland schaut die
Sonntagsallianz-Bewegung momentan aber vor allem nach Nordrhein-Westfalen,
wo das Ladenöffnungszeitengesetz auf dem Prüfstand steht. Wir hoffen sehr, dass
dieses Gesetz, auch durch den öffentlichen Einsatz der Sonntagsallianz,
beschäftigtenfreundlich und sonntagsfreundlich re-reguliert wird und dann vielleicht
auch in anderen Bundesländern Schule macht.
Der freie Sonntag braucht klare Regeln. Regulierung ist in diesem Sinne keine
Beschränkung, sondern eine Voraussetzung von Freiheit. Vor dem Hintergrund der von
unserem neuen Bundespräsidenten entfachten Debatte um den Freiheitsbegriff lohnt es
sich, auch in der Frage des Sonntagsschutzes einmal über unser Freiheitsverständnis
nachzudenken. Sowohl die Verfechter des freien Sonntags, als auch die Anhänger des
freien Shoppings reklamieren den Freiheitsgedanken ja für sich. Es dreht sich also um die
gesellschaftliche Frage: Wollen wir die maximale individuelle Freiheit, alles zu jeder Zeit
tun zu können (auch auf Kosten derjenigen, die dann dafür rund um die Uhr ihre Dienste
anbieten müssen)? Oder wollen wir die Freiheit, etwas gemeinsam tun zu können?
Wollen wir die Freiheit des Ich oder die Freiheit des Wir?
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Wie ernst man die Sache mit der Sonntagsfreiheit nehmen kann, zeigt eine historische
Quelle, aus der ich zum Abschluss zitieren möchte. Ich selbst komme zwar ursprünglich
wie die meisten hier aus dem Rheinland, erlaube mir aber ein Zitat wirklich bajuwarischer
Prägung, und zwar aus dem „Gesetz für den Stamm der Bayern“ aus dem 7. Jahrhundert
nach Christus.
Darin heißt es:
"Wenn ein freier Mann nach dreimaliger Mahnung vom Arbeiten am Sonntag nicht lässt,
soll er die Freiheit verlieren und leibeigener Knecht werden, da er am heiligen Tag nicht
hat frei sein wollen." (Lex Bajuvariorum)
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.