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54 Technikgeschichte Innovationsprozesse MTZ Motortechnische Zeitschrift 59 (1998) 1 1 Einleitung Dieser Bericht folgt nicht dem gängigen Mu- ster, nur die Ergebnisse bestimmter Ent- wicklungsabschnitte zu beschreiben und zu kommentieren. Es wird der Versuch unter- nommen, die Gedankengänge des Entwick- lungsingenieurs nachzuvollziehen, die zu neuen Erkenntnissen führten und durch ih- re Umsetzung schließlich den Motor vor- wiegend in seinem Leistungs- und Drehmo- mentverhalten verbessert haben. Dabei wird angenommen, daß diese Ge- dankengänge einer Innovationsstrategie ge- folgt sind. Ihre Berücksichtigung hat erstens den Vorteil, daß sie eine objektive Leitlinie für den Entwicklungsingenieur ist, der sich bei der Bearbeitung von Syntheseproble- men, wie sie bei technischen Innovationen im Vordergrund stehen, unsicher fühlt. Zwei- tens ergibt sich eine geordnete und logische Gliederung. Die Denkabläufe sind abstrahierend orien- tiert, wenn sie der Analyse folgen und de- terminierend, wenn sie die Synthese betref- fen [2]. 2 Einführung in eine allgemein- gültige Innovationsstrategie Technische Innovation bedeutet die Er- neuerung oder Verbesserung technischer Produkte unter Anwendung neuer Ideen und Techniken. Für den Ingenieur als dem ei- gentlichen Verantwortlichen für die Durch- führung von Innovationen muß diese Aus- sage zu allgemein sein. Für ihn ist der dy- namische Entwicklungsprozeß, der jeder In- novation zugrundeliegt, wichtiger. Dieser Prozeß beginnt an einem Ausgangs- punkt mit der Erarbeitung der Aufgaben- stellung und prägt sich immer differenzier- ter aus, bis das gesteckte Ziel erreicht ist, wenn er erfolgreich verlaufen ist. Im Mittelpunkt stehen Denkvorgänge des Entwicklungsingenieurs oder eines ganzen Entwicklungsteams, die sich bei der Lö- sungssuche im Kern nach der These richten müssen, daß sich alle technischen Lösungen oder Funktionen auf physikalische oder an- dere naturwissenschaftliche Vorgänge zurückführen und durch die Gesetze ihrer Phänomene begründen lassen. Danach läßt sich ein technischer Innova- tionsprozeß grob in folgende fünf Arbeits- schritte einteilen: 1. Am Anfang der hier betrachteten Inno- vationen steht eine klar formulierte Auf- gabenstellung. Ihr Inhalt bezieht sich auf die Realisierung erweiterter Anforde- rungen an ein bereits bestehendes Pro- dukt. Die neuen Anforderungen können sich aus der Zwangslage des Unterneh- mens ergeben, ohne deren Realisierung nicht mehr konkurrenzfähig zu sein oder Marktführer zu bleiben oder zu werden. Die Anforderungen sollten so hoch wie möglich gesetzt werden, auch wenn da- mit Zielkonflikte vorprogrammiert sind. Auf das Entwicklungsteam wird so ein großer Druck ausgeübt. Dadurch wird je- doch das zur Verfügung stehende Ent- wicklungspotential erweitert. Die beiden folgenden folgenden Arbeitsschritte sind vor dem Hintergrund zu sehen, daß für jede neue technische Funktion zunächst eine physikalische Begründung gefunden werden muß. Sie ist der Ausgangspunkt der technischen Realisierung dieser Funk- tion. Auch ein Motor, der sich bereits in der Serienfertigung befindet, er- fährt technische Modifikationen. Im folgenden sollen diese am Bei- spiel des Mercedes-Benz-Sechszylinder-Reihenmotors M104 aufge- zeigt werden. Die Neuerungen betreffen die Optimierung des An- saugtaktes dieses Motors. Durch die Einführung der Schwingsaug- rohraufladung in Verbindung mit der Resonanzsaugrohraufladung, der Vierventiltechnik und der Nockenwellenverstellung konnte der Liefergrad erhöht werden. Der M104 wurde in zwei Stufen aus dem Zweiventilmotor M103 entwickelt. Die Anforderungen an die Ent- wicklungsstufen waren unterschiedlich. Zunächst sollte die Lei- stung erhöht werden. Später sollten großes Drehmoment und ho- her Mitteldruck im unteren und mittleren Drehzahlbereich bei glei- cher Leistung erzielt werden. Gleichzeitig traten ökologische Ziele in den Vordergrund. Der M104 wurde bis zum Frühjahr 1997 im Mo- dell E 320 eingesetzt.Der zweite Teil des Berichts folgt in der MTZ 2/98, der dritte Teil in MTZ 3/98. Sechszylinder-Reihenmotor M104 von Mercedes-Benz – ein Ausschnitt seines Innovationsprozesses Teil 1 Von Hans Seifert

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TechnikgeschichteInnovationsprozesse

MTZ Motortechnische Zeitschrift 59 (1998) 1

1 Einleitung

Dieser Bericht folgt nicht dem gängigen Mu-ster, nur die Ergebnisse bestimmter Ent-wicklungsabschnitte zu beschreiben und zukommentieren. Es wird der Versuch unter-nommen, die Gedankengänge des Entwick-lungsingenieurs nachzuvollziehen, die zuneuen Erkenntnissen führten und durch ih-re Umsetzung schließlich den Motor vor-wiegend in seinem Leistungs- und Drehmo-mentverhalten verbessert haben.

Dabei wird angenommen, daß diese Ge-dankengänge einer Innovationsstrategie ge-folgt sind. Ihre Berücksichtigung hat erstensden Vorteil, daß sie eine objektive Leitliniefür den Entwicklungsingenieur ist, der sichbei der Bearbeitung von Syntheseproble-men, wie sie bei technischen Innovationenim Vordergrund stehen, unsicher fühlt. Zwei-tens ergibt sich eine geordnete und logischeGliederung.

Die Denkabläufe sind abstrahierend orien-tiert, wenn sie der Analyse folgen und de-terminierend, wenn sie die Synthese betref-fen [2].

2 Einführung in eine allgemein-gültige Innovationsstrategie

Technische Innovation bedeutet die Er-neuerung oder Verbesserung technischerProdukte unter Anwendung neuer Ideen undTechniken. Für den Ingenieur als dem ei-gentlichen Verantwortlichen für die Durch-führung von Innovationen muß diese Aus-sage zu allgemein sein. Für ihn ist der dy-namische Entwicklungsprozeß, der jeder In-novation zugrundeliegt, wichtiger.

Dieser Prozeß beginnt an einem Ausgangs-punkt mit der Erarbeitung der Aufgaben-stellung und prägt sich immer differenzier-ter aus, bis das gesteckte Ziel erreicht ist,wenn er erfolgreich verlaufen ist.

Im Mittelpunkt stehen Denkvorgänge desEntwicklungsingenieurs oder eines ganzenEntwicklungsteams, die sich bei der Lö-sungssuche im Kern nach der These richtenmüssen, daß sich alle technischen Lösungenoder Funktionen auf physikalische oder an-dere naturwissenschaftliche Vorgängezurückführen und durch die Gesetze ihrerPhänomene begründen lassen.

Danach läßt sich ein technischer Innova-tionsprozeß grob in folgende fünf Arbeits-schritte einteilen:

1. Am Anfang der hier betrachteten Inno-vationen steht eine klar formulierte Auf-gabenstellung. Ihr Inhalt bezieht sich aufdie Realisierung erweiterter Anforde-rungen an ein bereits bestehendes Pro-dukt. Die neuen Anforderungen könnensich aus der Zwangslage des Unterneh-mens ergeben, ohne deren Realisierungnicht mehr konkurrenzfähig zu sein oderMarktführer zu bleiben oder zu werden.Die Anforderungen sollten so hoch wiemöglich gesetzt werden, auch wenn da-mit Zielkonflikte vorprogrammiert sind.Auf das Entwicklungsteam wird so eingroßer Druck ausgeübt. Dadurch wird je-doch das zur Verfügung stehende Ent-wicklungspotential erweitert. Die beidenfolgenden folgenden Arbeitsschritte sindvor dem Hintergrund zu sehen, daß fürjede neue technische Funktion zunächsteine physikalische Begründung gefundenwerden muß. Sie ist der Ausgangspunktder technischen Realisierung dieser Funk-tion.

Auch ein Motor, der sich bereits in der Serienfertigung befindet, er-fährt technische Modifikationen. Im folgenden sollen diese am Bei-spiel des Mercedes-Benz-Sechszylinder-Reihenmotors M104 aufge-zeigt werden. Die Neuerungen betreffen die Optimierung des An-saugtaktes dieses Motors. Durch die Einführung der Schwingsaug-rohraufladung in Verbindung mit der Resonanzsaugrohraufladung,der Vierventiltechnik und der Nockenwellenverstellung konnte derLiefergrad erhöht werden. Der M104 wurde in zwei Stufen aus demZweiventilmotor M103 entwickelt. Die Anforderungen an die Ent-wicklungsstufen waren unterschiedlich. Zunächst sollte die Lei-stung erhöht werden. Später sollten großes Drehmoment und ho-her Mitteldruck im unteren und mittleren Drehzahlbereich bei glei-cher Leistung erzielt werden. Gleichzeitig traten ökologische Zielein den Vordergrund. Der M104 wurde bis zum Frühjahr 1997 im Mo-dell E 320 eingesetzt. Der zweite Teil des Berichts folgt in der MTZ2/98, der dritte Teil in MTZ 3/98.

Sechszylinder-Reihenmotor M104 von Mercedes-Benz – ein Ausschnitt seines Innovationsprozesses Teil 1Von Hans Seifert

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InnovationsprozesseTechnikgeschichte

MTZ Motortechnische Zeitschrift 59 (1998) 1

2. Der Innovationsprozeß, der aufgrund derAufgabenstellung eingeleitet werdenmuß, besteht zunächst aus einer Analy-se. Dabei ist der aktuelle technische Standdes Produktes festzuschreiben. Insbe-sondere muß die für den Ablauf des In-novationsprozesses wichtige Frage un-tersucht werden, welche physikalischenAbläufe das augenblickliche funktionaleGeschehen des Produktes bestimmen.Das Ergebnis ist eine Abstraktion des rea-len Produktes. Es ist sein aktuelles phy-sikalisches Modell und leitet sich im Ide-alfall von den Merkmalen ab, die inhalt-lich zu den Gesetzen einer physikalischenTheorie gehören. Das physikalische Mo-dell soll das wahre physikalische Ge-schehen, das sich in einem technischenWirkraum abspielt, so genau wie möglichbeschreiben. Fehlen Merkmale durch ei-ne unzureichende Theorie, werden unterUmständen wichtige Erkenntnisse ver-hindert.

3. Der dritte Arbeitsschritt ist der erste Syn-theseschritt des Entwicklungsprozesses.Es setzt ein synthetischer Denkprozeßein. Dabei werden physikalische Begrün-dungen für die geforderten Produktver-besserungen gesucht. Erste Überlegun-gen können, aufbauend auf den Erfah-rungen, die aufgrund der Bearbeitung desaktuellen physikalischen Modells erwor-ben wurden oder bereits vorhanden sind,zu folgenden Erkenntnissen führen:– Die allgemeine Formulierung des ak-

tuellen Modells reicht aus, um durcheine erweiterte Auswertung der Bezie-hungen, in denen die maßgebendenphysikalischen Zustandsgrößen ste-hen, aufgrund logischer Folgerungendie geforderten Neuerungen zu ge-winnen.

– Zur Erfüllung einer zusätzlichen Funk-tion ist eine Erweiterung des Modellsdurch weitere physikalische Phä-nomene erforderlich. Das Entdeckendieser Phänomene und ihre Assoziati-on [3] mit der Problemstellung ist eineIngenieurleistung mit hoher Kreati-vität, die den Erfolg einer Innovationim wesentlichen bestimmt.

4. Verbesserungsvorschläge müssen in ei-nem weiteren Analyseschritt durch theo-retische Simulationen oder durch Expe-rimente überprüft werden. Zeigen dieVerbesserungsvorschläge Schwächen,muß der dritte Arbeitsschritt erneut voll-zogen werden.

5. Wird der vierte Arbeitsschritt erfolgreichabgeschlossen, hat man ein erweitertes

oder neues physikalisches Modell ge-wonnen. Es ist das Modell des verbesser-ten Produktes, das jetzt als Grundlage fürdie Erarbeitung eines endgültigen kon-struktiven Entwurfes dient. Erste geo-metrische Konturen sind durch den Wirk-raum des Modells bereits vorgegeben. Derfünfte Schritt ist wie der dritte Schritt ei-ne Synthese. Während seines Ablaufessind die Merkmale zu entdecken, die dasProdukt umfassend funktionstüchtig, fer-tigungs- und montagereif, letztlich ko-sten- und damit verkaufsoptimal gestal-ten. Dieser Gestaltungsprozeß ist ähnlichproblembehaftet wie die Suche nach demaktuellen physikalischen Modell.

Diese Innovationsstrategie ist nicht nur aufkomplexe Entwicklungsprozesse wie dieModifikation des Mercedes-Benz-Motors an-wendbar. Auch einfache Produkte lassensich dadurch verbessern. Allen Anwen-dungsfällen ist jedoch gemeinsam, daß ihreBearbeitung der gleichen Strategie folgt.

3 Die Entwicklungsstufen des Mercedes-Benz-Motors M104

Der Innovationsprozeß des Motors M104umfaßt, ausgehend von dem Vorgängermo-tor M103, zwei Entwicklungsstufen mit je-weils unterschiedlichen Anforderungspro-filen. Bei der ersten Stufe steht die Entwick-lung des M104 für das Automobilmodell

300E-24 im Mittelpunkt. Seine wichtigstenKenndaten, als Ergebnis des ersten Teils desInnovationsprozesses, sind in der Tabelle zu-sammengefaßt und denen seines Vorgän-gers gegenübergestellt.

In der zweiten Entwicklungsstufe wird daserste Anforderungsprofil zum Teil wiederzurückgenommen. Ökologisch orientierteAnforderungen treten in den Vordergrund.Sie bedeuten die Abkehr von der rein lei-stungsorientierten Motorenentwicklung. Esgeht jetzt verstärkt um die Minderung desGeräuschpegels, Senkung des Brennstoff-verbrauches, weniger Gewicht, geringereSchadstoffemission und Schonung der Werk-stoffressourcen durch Reduzierung der Rei-bung. Die Maßnahmen, die dazu durchge-führt werden, sind vielfältig. Am besten ge-eignet ist die Reduzierung der Nenndreh-zahl, weil diese Maßnahme kostengünstigist und allen Forderungen gerecht wird. Wiedie Tabelle zeigt, wird beim Motor M104 fürdas Modell 320E die Nenndrehzahl von6300/min auf 5500/min zurückgenommen,die Nennleistung von 162 kW jedoch beibe-halten. Es wird zusätzlich die maximale Aus-nutzung des motorischen Kräftepotentials,also möglichst hohes Drehmoment Md undhoher Mitteldruck pe, im mittleren und un-teren Drehzahlbereich verlangt. Ihre prakti-sche Umsetzung, auf das Fahrzeug bezogen,bedeutet eine höhere Beschleunigung ausden unteren Drehzahlen heraus.

Tabelle: Merkmale der Entwicklungsstufen der Mercedes-Benz-Motors M104Table: Characteristics of the developmental steps of the Mercedes-Benz-engine M104

Motor M103 Motor M104 (E-Klasse)Vorgänger 1. Entwicklungsstufe 2. Entwicklungsstufedes M104

Motortyp M103 (300E) M104 (300E-24) M104 (320E)(Einführung) (Frühjahr 1985) (Frühjahr 1989) (Herbst 1992)Hubraum VH 3 dm3 3 dm3 3,2 dm3

Hub s 80,2 mm 80,2 mm 84 mmBohrung d 88,5 mm 88,5 mm 89,9 mmEinlaßventil-Ø 43 mm (1x) 35 mm (2x) 35 mm (2x)Auslaßventil-Ø 39 mm (1x) 31 mm (2x) 31 mm (2x)

– verbess. Schwing- – verbess. Schwing-rohraufladung rohraufladung

Innovationen – vier Ventile – vier Ventile– Nockenwellenverst. – Nockenwellenverst.

– Resonanzrohrauflad.Nennleistung Pn 132 kW 162 kW 162 kWbei Drehzahl n 5700/min 6300/min 5500/minmax. Drehmoment Md 255 Nm 265 Nm 310 Nmbei Drehzahl n 4400/min 4600/min 3750/minmax. Mitteldruck pe 10,8 bar 11,2 bar 12,2 barbei Drehzahl n 4400/min 4600/min 3750/min

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TechnikgeschichteInnovationsprozesse

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Der Innovationsprozeß des M104 folgt denArbeitsschritten der Innovationsstrategie. Erbeginnt mit der Analyse des technischenStandes des Vorgängermotors M103 [4]. Eineumfassende Analyse wäre zu aufwendig. Esgenügt ein physikalisches Teilmodell auf-zustellen, um daraus stufenweise vier Inno-vationen, die Schwing-saugrohraufladung,die Vierventiltechnik, die Nockenwellenver-stellung und die Resonanzsaugrohraufla-dung abzuleiten. Das Teilmodell ist das phy-sikalische Modell des Ansaugtaktes, das sichals der entscheidende Träger der Innovatio-nen herausstellt.

3.1 Analyse:Technischer Stand des Motors

Zur Teilanalyse des Motors M103 wird vonden wichtigsten Bauteilen ausgegangen unddavon das physikalische Modell des An-saugtaktes abstrahiert. Theoretische Grund-lage des Teilmodells sind nicht allein die Ge-setze der Thermodynamik, weil sie zu all-gemein formuliert sind, um das wirklicheGeschehen des Ansaugtaktes so genau zubeschreiben. Erst die Ergänzung der theore-tischen Basis durch die Gesetze der eindi-

mensionalen instationären Gasdynamikschafft die Voraussetzung zur Realisierungder Drehmoment- und Mitteldrucker-höhung.3.1.1 Aufbau des MotorsBild 1 zeigt einen Längs- und Querschnitt desMotors M103. Der dargestellte Querschnittverläuft durch den ersten Zylinder. An denZylinder schließt ein langgezogenesSchwingsaugrohr (1) an. Das Schwingsaug-rohr mit schräg eingesetztem Einspritzven-til (2) legt zusammen mit dem Einlaßventil(3) und Kolben (4) die Einströmcharakteri-stik des Frischgases in den Zylinder fest. DieSchwingsaugrohre aller sechs Zylinder mün-den in einen Verteilerbehälter (5), der in sei-ner Mitte eine nach oben führende An-saugleitung (6) besitzt. An deren Ende sitztein großflächiger Luftfilter (7). Im Innern derAnsaugleitung befindet sich an unterer Stel-le die Drosselklappe. Auslaßventil (8), Aus-laßkanal des Zylinderkopfes und Auslaß-krümmer (9) realisieren den Ausströmvor-gang des Abgases. Einlaß- und Auslaßventilwerden durch je einen Nocken der Nocken-welle (10) über Kipphebel (11) geöffnet undgeschlossen. Der Kolben des ersten Zylinders

steht im Zünd-OT am Ende des Kompres-sionshubes. Seine weiteren Triebwerksteile,die Pleuelstange (12) und erste Kröpfung (13)der Kurbelwelle, sind gut zu erkennen. DieKurbelwelle trägt rechts das Schwungrad (14)und links das Kettenrad (15). Letzteres ist übereine Rollenkette mit dem Kettenrad (16) aufder Nockenwelle verbunden. Das zweite Ket-tenrad (17) auf der Kurbelwelle gehört zumAntrieb der Ölpumpe.3.1.2 Motorische KenngrößenDamit die motorischen Kenngrößen logischzugeordnet werden können, muß ein Teil-ausschnitt des physikalischen Geschehensim Motor näher betrachtet werden. Dabeiwird vom Konkreten zum Abstrakten über-gegangen. Aufgedeckt werden soll das phy-sikalische Modell des Ansaugtaktes. Dadurchkönnen die Gründe gefunden werden, die zuden Innovationen geführt haben.

Bevor mit der Erarbeitung des Modells be-gonnen wird, ist der Ansaugtakt zunächst inseinen motorischen Zusammenhang zu stel-len. Mathematische Beziehungen beschrän-ken sich auf die Angabe einfacher Abhän-gigkeiten physikalischer Größen. Die Funk-

Bild 1: Längs- und Querschnitt des Sechszylinder-Motors M103 (300E)1 Schwingsaugrohr, 2 Einspritzventil, 3 Einlaßventil, 4 Kolben, 5 Verteilerbehälter, 6 Ansaugleitung, 7 Luftfilter, 8 Auslaßventil, 9 Auslaßkrümmer,10 Nockenwelle, 11 Kipphebel, 12 Pleuelstange, 13 erste Kröpfung der Kurbelwelle, 14 Schwungrad, 15 Kettenrad (Antrieb Kettenrad auf Nocken-welle), 17 Kettenrad (Antrieb Ölpumpe)Fig. 1: Longitudinal and cross-section of the six-cylinder engine M103 (300E)1 ram manifold, 2 injection valve, 3 intake valve, 4 piston, 5 plenum chamber, 6 intake manifold, 7 air cleaner, 8 exhaust valve, 9 exhaust manifold,10 camshaft, 11 rocker arm, 12 connecting rod, 13 first throw of the crankshaft, 14 flywheel, 5 sprocket wheel, 16 sprocket on camshaft, 17 sprocket (oilpump drive)

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InnovationsprozesseTechnikgeschichte

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tion eines Fahrzeug-Ottomotors ist die Um-setzung des zugeführten Brennstoffes inWärme und schließlich in mechanische An-triebsenergie mit möglichst hohem Wir-kungsgrad. Wie gut sie ausgeführt wird, läßtsich durch Kenngrößen quantitativ beurtei-len. Die Nutzleistung Pe und das Drehmo-ment Md kennzeichnen die Funktion des Ot-tomotors unmittelbar. Für den Viertaktmo-tor gilt zwischen den Größen Pe und Md dieGrößengleichung

(1)

Dabei ist n die Drehzahl der Kurbelwelle inder Zeiteinheit. 2πn ist ihre Winkelge-schwindigkeit und gibt die vollen Winkel-umdrehungen 2π eines Kurbelzapfens in derZeiteinheit an. Die Kennlinien pe=f(n) undMd=f(n) des Motors M103 bei Vollast sind inBild 2 dargestellt. Besonders herausgestelltsind die Nennleistung Pn und das maxima-le Drehmoment Mdmax. Sie wurden durchPrüfstandsmessungen ermittelt.

Durch schrittweise Abstraktion des Begrif-fes Drehmoment wird ein erster Eindruckvon dem komplexen physikalischen Hin-tergrund vermittelt, auf den sich das moto-rische Funktionsergebnis in Bild 2 zurück-führen läßt. Zunächst ist das DrehmomentMd direkt proportional zum Gesamthu-braum des Motors und dem effektiven Mit-teldruck pe. Die entsprechende Größenglei-chung lautet

(2)

Dabei steht z für die Anzahl der Zylinder, Vhfür das Volumen eines einzelnen Zylinders.Die wichtigste Kenngröße ist pe. Sie ist al-lerdings nur eine rechnerische und keinephysikalische Größe. pe läßt sich als der Zy-linderdruck deuten, der mit konstanterGröße auf die Kolbenfläche während einesKolbenhubes s des vier Takte umfassendenArbeitsspieles wirkt. Die konstante Gaskraft,

die zu diesem Mitteldruck gehört, wirkt alsAktionskraft und leistet dann die gleiche Ar-beit wie das äußere Drehmoment Mdwährend zweier Kurbelwellenumdrehun-gen. Liegt also das Drehmoment Md durchMessung vor und ist der Hubraum VH gege-ben, so läßt sich pe berechnen. Der in Bild 3eingetragene Mitteldruckverlauf des MotorsM103 bei Vollast ist auf diese Weise be-stimmt worden.

Andererseits läßt sich der Mitteldruck auchaus einer Integralbeziehung, in der der wah-re Verlauf des Zylinderdruckes pz über demganzen Arbeitsspiel berücksichtigt wird, ab-leiten. Allerdings muß von diesem Mittel-wert noch der Reibungsdruck pR abgezogenwerden, um pe zu erhalten. Daraus ist derSchluß zu ziehen, daß der Mitteldruck pe undnicht das Drehmoment Md die zutreffendeGröße ist, wenn es um die Beurteilung derKraftentfaltung des Motors geht, da nur erin unmittelbarer Beziehung zum realen Zy-linderdruckverlauf steht.

Eine erste wichtige Schlußfolgerung läßtsich bereits jetzt für die erste Stufe der Wei-terentwicklung des M103 ziehen. Die Forde-rung, seine Nennleistung von 132 kW bei5700/min auf 162 kW bei 6300/min zu er-höhen, gelingt nur, wenn ein Drehmomentvon Md = 243 Nm bei einer Drehzahl von6300/min bereitgestellt wird. Da eine Ver-größerung des Hubvolumens ausgeschlos-sen bleibt, muß versucht werden, den Mit-teldruck auf 10,4 bar zu erhöhen. Das be-deutet gegenüber dem bisher erreichten pevon 8,25 bar bei 6300/min eine Erhöhungum 26 %. Die Lösung dieses Problems gelingt,wenn zunächst in einer weiteren Abstrakti-

Bild 2: Kenn-linie Pe = f(n)und Md = f(n)des Motors M103 (300E) beiVollastFig. 2: Character-istic curves Pef(n) and Md =f(n) of the en-gine M103 (300E)at full load

Bild 3: Kennlinie pe = f(n) des Motors M103 (300E) bei VollastFig. 3: Characteristic curves pe f(n) of the engine M103 (300E) at full load

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onsstufe die speziellen Größen festgestelltwerden, von denen der Mitteldruck abhängt.Diese sind der Liefergrad λl, der innere Wir-kungsgrad ηi, der mechanische Wirkungs-grad ηm, die Dichte ρo der angesaugten Luftbei genormtem Außenbedingungen und derGemischheizwert HG.

Dieser Zusammenhang läßt sich in Form ei-ner einfachen Größengleichung schreiben:

(3)

Dies ist die Motorhauptgleichung und gibtin übersichtlicher Form eine Orientierungs-hilfe, wo anzusetzen ist, um den Mitteldruckzu erhöhen. Es würde zu weit führen, alleFaktoren dieser Gleichung in gleichem Um-fang zu erläutern und ihre Bedeutung für einhöheres pe herauszustellen. Da es hier in er-ster Linie um die Begründung der vier In-novationen geht, und alle vier zur Erhöhungdes Liefergrades λl beitragen, soll nur dieserausführlicher besprochen werden.

Dazu wird das Produkt ηi · ηm in Gl. (3) zumNutz-Wirkungsgrad ηe zusammengefaßt.

Der Nutz-Wirkungsgrad ist, verglichen mitdem Liefergrad, die wichtigere Größe, da ermehr Einfluß auf die Mitteldruckerhöhunghat, denn mit einem höheren Nutz-Wir-kungsgrad ist nicht nur ein höherer Mittel-druck, sondern auch eine Brennstoffver-brauchssenkung verbunden. Gleiches läßtsich vom Liefergrad nicht allgemeingültigsagen. Selbstansaugende Ottomotoren er-reichen Nutz-Wirkungsgrad-Bestwerte von0,34 bei einem spezifischen Brennstoffver-brauch von 250 g/kWh. Bei den Arbeiten zurErhöhung des Nutz-Wirkungsgrades stehtneben der Verbesserung des mechanischenWirkungsgrades die Optimierung des Ar-beitstaktes im Mittelpunkt. Dies gestaltetsich äußerst mühsam und zeitaufwendig, dadie theoretische Aufarbeitung der komple-xen physikalischen und chemischen Abläu-fe dieses Taktes noch nicht differenziert ge-nug gelungen ist. Entwicklungsarbeiten er-folgen daher überwiegend durch Versuche(Methode des „trail and error“).

Bei der Optimierung des M104 steht jedochder Liefergrad im Mittelpunkt. Der Lieferg-rad ist eine Verhältniszahl und gibt das Ver-hältnis der Luftmasse mL, die vom Kolbenwährend des Ansaugtaktes angesaugt wird,zur Masse mL0 an:

(4)

Vh · ρo = mL0 ist die Luftmasse, die das Hub-volumen aufnehmen würde, wenn die Luft

ihren Umgebungszustand auf dem Wegüber die Einlaßkanäle in den Zylinder bei-behalten könnte. Die Masse mL ist jedoch amEnde des Ansaugtaktes in der Regel geringerals die Masse mL0. Schuld daran sind die Er-wärmung der eingeströmten Luft im Zylin-der und im Ansaugkanal sowie die Druck-verluste, die vor allem beim Durchfluß derLuft durch das enge Einlaßventil entstehen.Höhere Temperatur und niedrigerer Druckder angesaugten Luft haben bei selbstan-saugenden Motoren zur Folge, daß der Lie-fergrad im allgemeinen kleiner eins ausfällt.Dank der Verbesserungen ist es gelungen,den Liefergrad auf Spitzenwerte größer einszu bringen und in der Serienfertigung ein-zuhalten, obwohl die eingespritzte Kraft-stoffmasse ebenfalls ihren Teil am Hubvo-lumen beansprucht. Dieser ist jedoch gering.

Im Nachhinein betrachtet, war es nicht all-zu schwierig, diese Innovationen zu ver-wirklichen, denn mit der instationären Gas-dynamik steht eine Theorie zur Verfügung,die es erlaubt, den wahren Ablauf des phy-sikalischen Geschehens während des An-saugtaktes recht genau zu beschreiben. Dar-aus lassen sich sichere Erkenntnisse ablei-ten, wie ein höherer Liefergrad und eingrößerer Mitteldruck erreicht werden kön-nen.3.1.3 Die physikalischen Basisgrößen des

Liefergrades

Bevor die besondere Analyse des M103 mitHilfe eines physikalischen Modells gelingt,sind zunächst in einer letzten Abstrakti-onstufe die physikalischen Basisgrößen, vondenen der Liefergrad und die Masse mL ab-hängen, festzustellen. Es ist dann aber erstein kleiner, allerdings ausreichender Aus-schnitt der physikalischen Grundlagen sicht-bar gemacht, auf denen die motorischenFunktionsgrößen Leistung und Drehmo-ment beruhen.

Nach Schließen des Einlaßventils befindetsich die Luftmasse mL als feste Größe im Zy-linder. Sie hängt von dem Massenstrom ab,der während der Öffnungszeit des Ein-laßventils aus dem Schwingsaugrohr durchdas Einlaßventil in den Zylinder eintritt. Beiinstationärer Strömung bezeichnet mx(t) dieMasse, die in der Zeiteinheit durch den Quer-schnitt A an der Stelle X eines glatten Roh-res strömt, Bild 4. Mit der Teilchenge-schwindigkeit ux(t), der Dichte ρx(t) und demQuerschnitt A ergibt sich folgende Gleichungfür den Massenstrom:

(5)

Die Dichte der Luft läßt sich mit der Gas-

konstanten R durch ihren Druck p und dieTemperatur T im Querschnitt A ersetzen, sodaß für Gl. (5) auch geschrieben werdenkann:

(6)

Dabei wird vorausgesetzt, daß dort die Strö-mung eindimensional verläuft. Da imSchwingsaugrohr der Massenstrom auchvom Ort X abhängt, bestimmt mx(t) an einerbeliebigen Stelle X nicht die Masse mL, dieunmittelbar durch das Ventil in den Zylin-der eintritt und den Liefergrad dort festlegt.Dazu müssen die Funktionen u = uxI(t), p =pxI(t) und T = TxI(t) unmittelbar vor dem Ven-til an der Stelle XI bekannt sein, Bild 4. DieEindimensionalität der Strömung ist bei XIstreng genommen nicht mehr erfüllt, da dieDrosselstrecke der Ventilströmung mit ihrerausgeprägten Ablöse- und Wirbelzone eineStörstelle darstellt. Die Drosselstrecke wirdjedoch als beliebig kurz angenommen, sodaß eindimensional und instationär bis vordas Einlaßventil, also bis an die Stelle XI, ge-rechnet wird.

Sind die gasdynamischen Zustandsgrößenu, p und T in jedem Zeitpunkt des Ansaug-taktes an der Stelle XI des Schwingrohres ge-geben, so ist auch die zeitliche Abhängigkeitdes Massenstroms mxI(t) bekannt. Mit mxI(t)ist die den Liefergrad bestimmende Luft-masse mL mit folgender Gleichung festge-legt:

(7)

Wegen der Abhängigkeit mxI von der Zeit tmuß eine Integration von mxI(t) über dem In-tervall [t1, t2] durchgeführt werden. Im Zeit-punkt t1 öffnet das Einlaßventil (EÖ), bei t2schließt es (ES).

Viel wichtiger als der Ablauf des Integrati-onsverfahrens ist die Feststellung, daß es auf

Bild 4: Instationärer Einströmvorgang durchdas EinlaßventilFig. 4: Unsteady inflow through intake valve

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allgemeiner Ebene gelungen ist, die physi-kalischen Basisgrößen zu finden, die den Lie-fergrad definieren. Aber noch bleibt offen,wie sich die Funktionen u = uxI(t), p = pxI(t)und T = TxI(t) bei den einzelnen Lastzustän-den des Motors M103 an der Stelle XI indivi-duell darstellen. Erst wenn diese Funktionenauf die Merkmale, die sie definieren, zurück-geführt sind, lassen sich die jeweiligen in-dividuellen physikalischen Modelle des An-saugtaktes des Motors gewinnen. Die Mo-delle haben die Bedeutung von Analyseer-gebnissen, die durch ihre Interpretation zuneuen Erkenntnissen und schließlich Inno-vationen führen sollen. Analyse allein auf-grund von Messungen scheidet aus, da ihreErgebnisse nicht differenziert genug aufge-löst werden können. Die Theorie der eindi-mensionalen instationären Gasdynamik be-schreibt jedoch zusammen mit der Ther-modynamik das wahre physikalische Ge-schehen während des Ansaugtaktes ausrei-chend genau. Dadurch kann ein mit ihrenGesetzen aufgestellter Algorithmus die Ana-lyseergebnisse beschreiben.

Literaturhinweise

[1] Niefer, H.: Die neuen Mercedes-Benz-V-Motorenmit Doppelzündung. 18. Internationales WienerMotorensymposium, Wien 1997

[2] Schischkoff, G.:Phylosophisches Wörterbuch. 22.Auflage Stuttgart: Kröner

[3] Hassenstein, B.: Klugheit, zur Natur unserer gei-stigen Fähigkeiten. München, Zürich: Piper

[4] Brüggemann, H.; Schäfer, M.; Gobien, E.: Die neu-en Mercedes-Benz 2,6- und 3.0-l-Sechszylinder-Ottomotoren für die neue Baureihe 124 - Teil 1 undTeil 2. In: MTZ 46 (1985), Nr. 78 und 79

Der Verfasser

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Prof. em. Dr.-Ing. HansSeifert war von 1969 bis1992 Inhaber des Lehr-stuhls für Konstruk-tionstechnik I an derRuhr-Universität Bochum.Zur Zeit ist er Geschäfts-führer der Cranio Con-struct Gesellschaft für in-dividuelle ImplantatembH, Bochum.

Auf der IAA 1997 hat Greenpeace mit demSmILE die eigene Vorstellung vom Drei-

Liter-Auto aufgezeigt. Als Antrieb dient einAggregat der schweizerischen Wenko AG. Eshandelt sich um einen aufgeladenen Zwei-zylinder-Viertakt-Ottomotor mit Vierventil-technik in Boxeranordnung. Er hat einen Hubraum von o,358 l, ein maximales Dreh-moment von 75 Nm bei 2900/min und eineNennleistung von 40 kW bei 5 500/min.

Der Motor wurde für ein Fahrzeug wie denTwingo, auf dessen Karosserie der SmILE ba-siert, ausgelegt. Greenpeace kann sich jedochvorstellen, die angewendeten Konstruk-tionsprinzipien auf entsprechende Motorenfür andere Pkw-Klassen zu übertragen. Einetwas größeres Zylindervolumen oder einSmILE-Vierzylinder-Motor wären realisier-bar. Diese Übertragbarkeit ist ein wichtigesElement der Greenpeace-Strategie: SmILEsoll nicht den Nachweis erbringen, daß ein3-Liter-Kleinwagen für einen zusätzlichenNischenmarkt machbar ist. Die Umwelt-schutzorganisation will beweisen, daß eineVerbrauchshalbierung im Prinzip bei allenFahrzeugen realisierbar ist.

Wichtigstes Argument für die gewählte Bo-xeranordnung ist, daß bei einem Zweizylin-dermotor die Boxeranordnung eine größereLaufruhe hat als die Bauweise in Reihe. Diedurch die Zylinderbewegung auftretendenMassenkräfte kompensieren sich wegen derspiegelbildlichen Symmetrie beim Boxerweitgehend. Im übrigen sind nach Meinungvon Greenpeace die auftretenden freienMassenmomente wegen der kleinen oszil-lierenden Teile wesentlich kleiner als bei her-kömmlichen Antriebsmaschinen. Ein klei-nerer Motor soll demnach wesentlich klei-nere Schwingungskräfte auf das Fahrzeugübertragen.

Heftig wehrt sich Greenpeace gegen die Be-denken hinsichtlich der Standfestigkeit desSmILE-Motors, da der Wenko-Antrieb häufi-ger im Bereich höherer Lasten betrieben wer-de als konventionelle Motoren. Diese Sorgeist nach einer Beurteilung des Motorkon-zeptes durch die ETH Zürich unbegründet.Durch das ausgeklügelte Kühlsystem ergä-ben sich keine höheren Wärmespannungen– und damit Materialbeanspruchungen – alsbei herkömmlichen Motoren gleicher Lei-

Alternative Antriebe

Greenpeace setzt auf dieDruckwellenaufladung

stung. Die mittleren Kolbengeschwindig-keiten liegen sogar noch unter denen ver-gleichbarer Autos, so daß keine erhöhte Be-anspruchung von Kolben- und Lagerflächenvorliegt. Die Tatsache, daß bei einem kleinenMotor die Zylinderkopfschrauben in kürze-rem Abstand angeordnet sind, ist wegen deskürzeren Hebelarmes ein weiterer Vorteil beider Standfestigkeit.

Um die Drosselverluste gering zu halten,setzt Greenpeace auf ein geringes Hubvo-lumen. Damit aber trotzdem die (seltenervorkommenden) Drehmomentspitzen ab-gedeckt werden können, wird der Wenko-Motor aufgeladen. So weist der Motor in ei-nem mittleren Mitteldruckbereich seine be-sten Wirkungsgrade auf – also dort, wo er imAlltagsbetrieb am häufigsten eingesetztwird. Bei höheren Lasten nimmt – im Gegen-satz zu konventionellen Motoren – der Wir-kungsgrad ab: Wegen der Klopfgefahr mußder Zündwinkel von seinem Optimum wegverschoben werden.

Bei der Aufladung hat sich Greenpeace ge-gen die zum Beispiel von Daimler-Benz beimSmart-Motor praktizierte Abgasturboaufla-dung entschieden. Stattdessen kommt derauch unter dem Namen „Comprex“ be-kannte Druckwellenlader zum Einsatz.

Grund dafür ist vor allem der geringe Mo-torhubraum. Denn mit dem Hubvolumensinken auch die Massenströme und damitdie Turbinendimensionen. Solche kleinenTurbinen haben tendenziell schlechtereWirkungsgrade. Die nötigen hohen Dreh-zahlen führen aufgrund des geringen Mit-teldruckes bei niedriger Teillast zu einem ge-ringeren Beschleunigungsvermögen desFahrzeugs.

Das Arbeitsprinzip des Druckwellenladers(DWL), der sich in größeren Hubraumklas-sen nicht durchsetzen konnte, weist dieseNachteile nach Ansicht von Greenpeacenicht auf. Der DWL nutzt die im Abgassteckende Energie über mechanische Arbeitaus, um die Ansaugluft zu verdichten. Ins-besondere läßt sich ein DWL gut zu kleine-ren Dimensionen skalieren und der Druck-aufbau ist auch bei kleineren Hubvolumi-na praktisch verzögerungslos.

Johannes Winterhagen

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TechnikgeschichteInnovationsprozeß M104

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3.1.4 Merkmale einer instationären Ansaugströmung in einem Zylinder-Kolbensystem

Auf den mathematischen Algorithmus zurSimulation des physikalischen Geschehenswährend des Ansaugtaktes wird hier nichteingegangen. Notwendig ist jedoch eine all-gemeine, verständliche Einführung in denAblauf einer instationären Ansaugströ-mung, wie sie in dem Zylinder-Kolben-Sy-stem eines Ottomotors stattfindet [5]. Sie istdie Voraussetzung dafür, daß die gewonne-nen Erkenntnisse, die zu den Innovationengeführt haben, nachvollzogen werden kön-nen. Der Gedankengang beginnt auf einerallgemeinen Ebene, also mit dem physikali-schen Modell einer Ansaugströmung in ei-nem einfacher ausgestatteten Zylinder-Kol-bensystem, Bild 5. Das einfachere System be-steht zunächst aus einem glatten Rohr. Dasrechte Ende des Rohres ist offen. In der lin-ken Öffnung bewegt sich ein Kolben inAxialrichtung. Anders als beim Viertaktver-fahren soll sein Antrieb so gesteuert werden,daß immer nur ein einziger Ansaughubmöglich ist. Während des Ansaughubes be-wegt sich der Kolben von rechts nach links,von seinem oberen zum unteren Totpunktund steht dann still. Bei dieser Betrachtunginteressiert nur die Auswirkung dieses Hu-bes auf das Luftvolumen vor dem Kolben imRohr. Neben dem Wirkraum des vereinfach-ten Zylinder-Kolben-Systems zeigen Bild 5.1bis 5.3 auch das physikalische Geschehen,das in ihm abläuft. Es ist auszugsweise zuden Zeitpunkten t1, t2 und t3 über die Rohr-länge, also der x-Achse, festgehalten. Der

Wirkraum und das in ihm ablaufende phy-sikalische Geschehen definieren das physi-kalische Modell dieses Systems. Physikali-sche Größen, die das Geschehen bestimmen,sind die Teilchengeschwindigkeit u und derDruck p des Mediums Luft. Auf die Angabeder Temperatur T wird wegen ihrer geringenSchwankung verzichtet. Die positive x-Ach-se ist etwas ungewöhnlich von rechts nachlinks angeordnet. Damit wird lediglich dieVorzeichenregel für die Teilchengeschwin-digkeit u beachtet, die festlegt, daß das Vor-zeichen von u positiv ist, wenn Luftteilchenin Richtung der positiven x-Achse strömen.In den Diagrammen, die später dargestelltsind, bedeutet eine positive Teilchenge-schwindigkeit, daß der Massenstrom m zumEinlaßventil beziehungsweise zum Zylinderhin gerichtet ist. Eine negative Teilchenge-schwindigkeit bedeutet nicht nur eine Rück-strömung aus dem Zylinder, sondern auchdas Absinken des Liefergrades. Dieser Strö-mungsfall sollte bei einem gut abgestimm-ten Gaswechsel nicht eintreten.

Bild 5.1 zeigt die Art der Störung, die der Kol-ben durch seine Bewegung von OT nach UTin der ruhenden Luftmasse des Rohres ver-ursacht. Durch sie werden die vor dem Kol-ben liegenden Luftschichten angesaugt. DieStrömung folgt der wachsenden und dannabnehmenden Geschwindigkeit des Kol-bens. Das Luftvolumen bildet keinen festenBlock im Rohr. Dieser würde sofort in seinerGesamtheit auf die Saugwirkung des Kol-bens ansprechen und nach links in Bewe-gung geraten. Aufgrund der Dehnfähigkeitsetzt sich die Luft schichtweise nacheinan-

der nach links in Bewegung; zuerst dieSchicht am Kolbenboden, dann die nachrechts folgenden. Der Verlauf der linksge-richteten Kolbenbewegung uK wird also inForm einer rechtslaufenden Geschwindig-keitswelle uR und synchron dazu laufendenDruckwelle pR auf das Luftvolumen des Roh-res übertragen, Bild 5.1. Beide Wellen bewe-gen sich mit Schallgeschwindigkeit. In Luftund bei atmosphärischen Bedingungen (TO= 25° C, pO = 1 bar) hat sie den Wert a = 340m/s. Die Wellen haben zum Zeitpunkt t1, zudem der Kolben bereits im UT zum Stillstandgekommen ist, etwa die Mitte des Rohres er-reicht. Sie haben annähernd die Form einerhalben Sinuskurve. Anfangspunkt A1 der Ge-schwindigkeits- und der Druckwelle startetam Kolbenboden und bewegt sich in dasRohr hinein, sobald die Kolbenbewegung imOT einsetzt. Die Endpunkte A2 folgen, sobaldder Saughub des Kolbens im UT beendet ist.Während der Dauer des Kolbenhubes hatsich also der jeweilige Punkt A1 um die Wel-lenlänge λ von seinem Punkt A2 entfernt.

Um einen Begriff von den Wellenlängen zuerhalten, die in den Schwingsaugrohren desMotors M103 auftreten würden, wenn einefreie Ausbildung der Saugwelle möglich wä-re, soll ein einfaches Beispiel zeigen. Der Mo-tor M103 hat einen Hub von s = 80,25 mm.Bei der Motordrehzahl n = 6300/min ergibtsich für eine ganze Hubbewegung eine Hub-dauer von tH = 4,76 · 10-3 s. Während dieserZeit legt der Fußpunkt A1 eine Streckezurück, die gerade der Wellenlänge ent-spricht. Es gilt λ = a · tH = 340 m/s · 4,76 · 10-3 s = 1,6 m. Um eine ungestörte Wellen-

Im ersten Teil dieses Berichtes wurden zunächst die Regeln einerallgemeinen Strategie, nach der sich Innovationen entwickeln las-sen, erläutert. Es wurde mit der Analyse des physikalischen Ge-schehens des Vorgängermotors M103 begonnen. Aus deren Ergeb-nis lassen sich Erkenntnisse ableiten, deren Umsetzung in der er-sten und zweiten Entwicklungsstufe des Motors M104 zu konkre-ten Lösungen im Sinne der Anforderungen geführt haben. Bevorin der MTZ 3/1998 darauf eingegangen wird, ist zunächst das phy-sikalische Modell des Ansaugtaktes des M103 zu erstellen.

Sechszylinder-Reihenmotor M104 vonMercedes-Benz – ein Ausschnitt seines Innovationsprozesses Teil 2Von Hans Seifert

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Innovationsprozeß M104Technikgeschichte

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bewegung zu ermöglichen, müßte dasSchwingsaugrohr also mindestens 1600 mmlang sein. Im allgemeinen genügen jedochSchwingsaugrohrlängen von λ/4, um opti-male Liefergrade bei höheren Motordreh-zahlen zu erreichen. Diese Abmessungensind im realen Motorentwurf gut unterzu-bringen.

Zwischen den Punkten A1 und A2 bilden sichder Zustandsverlauf der beiden Wellen aus.Die Werte der Teilchengeschwindigkeit u derWelle uR folgen exakt denen der Kolbenge-schwindigkeit uK, wenn Rohr- und Kolben-durchmesser gleich sind. Bei n = 6300/minbeträgt die maximale Kolbengeschwindig-keit uK = 27,3 m/s. Auf diesen maximalenWert werden auch die Gasteilchen nach linksin Richtung der positiven x-Achse beschleu-nigt, wenn die Welle uR über sie hinwegläuft.

Rechts von A1 sind die Gasteilchen noch inRuhe, links davon bewegen sie sich von denruhenden Teilchen weg. Somit vergrößertsich der Abstand zwischen den Gasteilchenmit der Folge, daß eine Gasverdünnung ein-tritt und sich ein Unterdruck aufbaut. Dierechtslaufende Druckwelle pR ist also eineUnterdruck- oder Saugdruckwelle. Sobald dieWellen die Teilchen überlaufen haben, kehrtder alte Gleichgewichtszustand der ruhen-den Luftmasse zurück. Dieser Vorgang be-ginnt am stehenden Kolben im UT. Aller-dings sind die einzelnen x-Koordinaten derTeilchen nicht mehr dieselben wie vor derKolbenbewegung. Es hat ein Massentrans-port stattgefunden. Alle Gasteilchen habensich nach links bewegt und sind dem Kol-benhub, wenn auch mit Verzögerung, ge-folgt.

Das ist aber noch nicht der Ablauf des phy-sikalischen Geschehens, wie es für dasSchwingsaugrohr des Motors M103 charak-teristisch ist. Dazu sind noch einige zusätz-liche Merkmale zu nennen.

Bild 5.2 zeigt den Stand der Wellenbewegungzur Zeit t = t2. Beide Wellen haben das offe-ne Rohrende erreicht und werden unter-schiedlich reflektiert. Die Unterdruckwellewird zur linkslaufenden Überdruckwelle pL.Es erfolgt eine Umkehrung des Vorzeichens.Ursache der Reflexion ist der Atomsphären-druck p = 1 bar an der Rohrmündung. DieseBedingung kann von der instationären Strö-mung nur erfüllt werden, wenn die ankom-mende Unterdruckwelle gleichzeitig von ei-ner linkslaufenden Überdruckwelle überla-gert wird. Die Geschwindigkeitswelle behältnach der Reflexion ihre Richtung. Bei einerÜberdruckwelle strömen die Teilchen im Ge-gensatz zur Unterdruckwelle immer in dieRichtung, in die sich die Welle bewegt. WieBild 5.2 zeigt,werden die Teilchen in der Rohr-mündung durch Überlagerung beider Wellenauf die doppelte Rohrgeschwindigkeit be-schleunigt. Allerdings wird dabei ein verlust-loser Einströmungsvorgang vorausgesetzt.

Zur Zeit t = t3 haben sich die linkslaufendenReflexionswellen voll ausgebildet, Bild 5.3.Bei einem Vergleich der Bilder 5.1 und 5.3stellt man fest, daß durch einen einzigen Kol-benhub in einem endlich langen Rohr mitoffenem Ende zwei Geschwindigkeitswellenmit positivem Vorzeichen erzeugt werden.Das heißt, daß in beiden Fällen die Teilchennach links zum Kolben hin bewegt werden.Dadurch läßt sich das Schwingsaugrohr-phänomen leichter erklären.

Ein differenzierterer Einstieg in dasSchwingsaugrohrphänomen würde sehr

mühsam verlaufen, wenn man nur die Wel-lenbewegung in Abhängigkeit von der x-Ko-ordinate zur festen Zeit t betrachten wür-de. Da es bei der Bestimmung der Motorop-timierung auf den Liefergrad ankommt, in-teressiert in erster Linie die nach links ge-richtete Teilchengeschwindigkeit u und derihr proportionale Massenstrom m, bezogenauf eine feste Rohrstelle X. Wie Gl. (6) allge-mein vorschreibt, ist zur Berechnung vonm(t) die Kenntnis von u = u(t), p = p(t) undT = T(t) an einem Ort X unserer einfachenRohranordnung notwendig. Bild 6 zeigt dasErgebnis. Es sind die Wellenzüge der Bilder5.1 und 5.3 dargestellt, jedoch aus der Be-trachtungsweise eines Beobachters, der sichan diesem Ort X befindet und der die Wel-len an sich vorbeilaufen sieht. Die Wellen-typen der Bilder 5 und 6 ähneln einander.Beim zweiten Typ tritt die Zeitkoordinate tan die Stelle der x-Koordinate. Das hat zurFolge, daß die Wellenlänge λ durch dieSchwingungsdauer tO = λ/a ersetzt werdenmuß. Der Verlauf des Massenstromes m(t)kann nun ermittelt werden. Schließlich kannauch die Luftmasse mL, die während des Zeit-raumes ∆t1 durch den Querschnitt X in Rich-tung Kolben tansportiert wird, entsprechendGl. (7) berechnet werden. Die Reflexionswel-len pL und uL sind der eigentliche physika-lische Effekt, der die Schwingsaugrohrauf-ladung am realen Motor erklärt. Mit einemSaughub werden zwei nahezu gleichwerti-ge Massenströme erzeugt, die bei entspre-chender zeitlicher Aufeinanderfolge, abge-stimmt auf die Öffnungszeit des Einlaßven-tils, für den Liefergrad verantwortlich sind.Die willkürlich zustandegekommene Durch-strömzeit ∆t1 in Bild 6 ist im Vergleich zumAnsaugtakt des Motors M103 zu lang. Diebeiden Wellen müssen näher zusammen-rücken oder sich sogar überlappen, wenn sie

Bild 5: Physikalisches Modell einer einfachenAnsaugströmung5.1 Rechtslaufende Geschwindigkeits- undDruckwelle (uR und pR)5.2 Reflexion von uR und pR am offenen Rohr-ende5.3 Linkslaufende Reflexionswellen uL und pLFig. 5: Physical model of a simple intake flow5.1 Velocity and pressure wave (uR and pR)propagating to the right5.2 Reflection of uR and pR at the end of the pipe5.3 Reflection waves uL and pL propagating to the right

Bild 6: Geschwindigkeits- und Druckwellen,beobachtet an einem festen Ort X des RohresFig. 6: Velocity and pressure waves regardedfor a specific location X

5.1

5.2

5.3

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sich am Motor positiv ergänzen sollen. Die-se ganze Betrachtung ist allerdings an derStelle X1 am Einlaßventil und nicht an einerbeliebigen Stelle X anzustellen.

Mit Bild 6 wird deutlich, daß technischeFunktionen wie das Leistungs- und Drehmo-mentverhalten eines Viertakt-Motors vonihrer physikalischen Basis, hier von der in-stationären Strömung im Schwingsaugrohrabhängig sind. Neue Anforderungen an mo-torische Funktionen oder geforderte Ände-rungen dieser Funktionen lassen sich nurverwirklichen, wenn die notwendige An-passung des zugehörigen physikalischenModells gelingt.

Leider sind die Verhältnisse am realen Mo-tor nicht so einfach wie eben beschrieben.Die Saugwellen laufen nicht ungehindertnach rechts bis zu einem freien, offenen Rohrende. Zwischen Kolben und Schwing-rohrende liegt das Einlaßventil des Zylin-derkopfes, das von der Geschwindigkeits-und der Unterdruckwelle überwunden wer-den muß. In der logischen Weiterentwick-lung des Wirkraums nach Bild 6 zeigt dieschematische Skizze in Bild 7 diesen insta-tionären Strömungsfall. Zunächst wird an-genommen, daß das Einlaßventil zunächstso weit vom Kolben entfernt sei, daß einefreie Ausbildung der Saugwellen geradenoch möglich ist. h ist der augenblicklicheÖffnungshub des Ventils. Die am Ventil an-kommenden Wellen lösen einen Einström-vorgang in den Rohrraum vor dem Ventilaus. Allerdings ist er gedrosselt. Die nachlinks in Bewegung gesetzte Luftmassedrängt sich durch die enge Ventilöffnungund verliert dabei an Energie. Die Folge ist,daß sowohl die Geschwindigkeits- als auchdie Unterdruckwelle (uR und pR), die im rech-ten Rohrstück weiterwandern, kleiner sindals ihre Ankunftswellen vor dem Ventil. Da-bei wird der gleiche Rohrquerschnitt vor undhinter dem Ventil vorausgesetzt. Ein Teil derUnterdruckwelle, die am Ventil ankommt,wird wieder als linkslaufende Unterdruck-welle mit A3 als Anfangspunkt reflektiert.Das bremst den Einströmvorgang ab, wie derresultierende Geschwindigkeitsverlauf (uRund uL) linksseitig am Ventil anschaulichzeigt. Einlaßventilströmungen am Motorschränken also den optimalen Massen-transport, wie er im glatten Rohr möglich ist,ein. Dadurch verringert sich der Liefergrad.Die erste logische Konsequenz daraus ist dieForderung nach genügend großen Ventil-querschnitten mit wenig Strömungswider-stand. Die Einführung von zwei oder sogardrei Einlaßventilen pro Zylinder haben dieEinströmbedingungen am Einlaßventil we-sentlich verbessert.

Der Wirkraum des realen Motors vor demVentil ist jedoch wesentlich kürzer als in Bild7 angenommen. Das Einlaßventil im Zylin-derkopf des Motors M103 hat nur einen mitt-leren Abstand von etwa 9 mm vom Kolben,wenn er im OT steht, Bild 4. Das ergibt, vomUT aus gerechnet, eine Zylinderrohrlängevon etwa 89 mm. Das reicht bei weitemnicht, um während des Saughubes eineSaugwelle in voller Länge auszubilden. Beieiner Drehzahl von n = 6300/min müßte einRohr von 1600 mm Länge unmittelbar amKolben angeschlossen sein. Welches insta-tionäre Strömungsbild entsteht aber dannin dem kurzen Zylinderrohr des Motorswährend des Saughubes?

Zur Beantwortung dieser Frage ist es not-wendig, die Thermodynamik in die Be-trachtung des physikalischen Geschehensmit einzubeziehen. Die Thermodynamikgeht davon aus, daß sich der vom Kolben er-zeugte Unterdruck sofort im ganzen Zylin-derraum einstellt, ohne eine Wellenbewe-gung zu hinterlassen. Das ist die allgemei-nere Betrachtungsweise solcher Strömungs-vorgänge in einem Kolbenrohrsystem. Da-bei wird die kinetische Energie des Gasesund damit seine Strömungsgeschwindigkeitim Inneren des Systems vernachlässigt. Ei-ne weitere Vereinfachung ergibt sich durchdie Annahme, daß zu jedem Zeitpunkt derZustandsänderung, hervorgerufen durch ei-ne Energiezu- oder -abfuhr, jeweils Gleich-heit der thermischen Zustandsgrößen wieder Druck p, die Temperatur T und die Dich-te ρ an allen Raumpunkten besteht. Rechnetman den Ansaughub des Motors M103 imZylinderrohr nach den Gesetzen der Ther-modynamik nach, so weicht der Zylinder-druck nur wenig von dem ab, der über dieGasdynamik ermittelt wurde. Die Abhän-

gigkeit des Zylinderdruckes von der x-Koor-dinate bei kurzen Längenabmessungen desZylinders ist tatsächlich vernachlässigbar.Den Hauptbeitrag an der Unterdruckentste-hung im Zylinder leistet demnach die Volu-menänderungsarbeit des Kolbens und nichtseine kinetische Energie.

Aus Sicht der Gasdynamik findet dennocheine Wellenbewegung statt, wenn auch vonanderer Qualität als bisher aufgezeigt. Es bil-det sich kein geschlossener Wellenzug mehraus. An seine Stelle treten viele hin- und her-laufende Teilwellen, sogenannte Partialwel-len. Der Fußpunkt A3 der Unterdruckwelle,die bereits kurz nach Hubbeginn am Ventilreflektiert wird und zum Kolben zurückläuft,ist für ihr Auftreten verantwortlich, Bild 7.A3 schwingt während der Dauer des Kol-benhubes mehrmals zwischen Kolbenbodenund Einlaßventil und grenzt auf diese Wei-se die hin- und herlaufenden Partialwellenab. Diese sorgen für einen nahezu ausgegli-chenen Druckverlauf über die kurze Längedes Zylinders. Wird dieser Vorgang, zur bes-seren Anschauung auf den konkreten An-saughub des Motors M103 bei der Motor-drehzahl n = 6300/min bezogen, so läuft derFußpunkt A3 etwa 70 mal während des An-saughubes zwischen Kolbenboden und Zy-linderkopf hin und her. Es ist sofort einseh-bar, daß der Zylinderdruck um so gleich-mäßiger ausfällt, je niedriger die Motor-drehzahl ist, da bei gleicher Zylinderrohr-länge die Zahl der Partialwellen zunimmt.Das einfachere thermodynamische Modellreicht aus, um in diesem Fall das physikali-sche Geschehen während des Ansaugtaktesim Motorzylinder zu beschreiben. Die Gren-zen, die man mit dem thermodynamischenModell in der Anwendung nicht überschrei-ten sollte, sind jedoch sehr eng gefaßt. Be-reits bei Rohrlängen von L = λ/4 (also bei L= 400 mm für λ = 1600 mm) besteht einedeutliche Abhängigkeit der gasdynamischenZustandsgrößen von der x-Koordinate.3.1.5 Das physikalische Modell des

Ansaugtaktes des Motors M103 und seine Auswertung

Das Gesamtmodell des Ansaugtaktes,zunächst auf einen Motorzylinder bezogen,baut sich aus zwei Teilmodellen auf, Bild 8.Das thermodynamische Modell hat den Mo-torzylinder (1) mit Kolben (2), Einlaßventil (3)mit Einspritzventil (4) und Auslaßventil (5)als Wirkraum. Seine Zustandsgrößen pz,Tzund Vz, hängen nur von der Zeit t, jedochnicht von den Raumkoordinaten x, y und zab. Zum Wirkraum des gasdynamischen Mo-dells gehören Schwingsaugrohr (6), Vertei-lerbehälter (7), die zentral geführte An-saugleitung (8) mit Drosselklappe (9) und

Bild 7: Geschwindigkeits- und Druckwelle,(uR und pR) überwinden Einlaßventil im RohrFig. 7: Velocity and pressure wave (uR and pR)pass the intake valve inside the pipe

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der Luftmassensensor (10). Zur Bestimmungdes Liefergrades λ müssen die Zustands-größen uXI, pxI, TxI und mxI, unmittelbar amEinlaßventil an der Stelle XI des Schwing-saugrohres bekannt sein. Der Druck pVB imVerteilerbehälter legt die Reflexionsbedin-gung der Saugwellen am rechten offenenEnde des Schwingsaugrohres fest. In der zen-tralen Ansaugleitung wird die mittlere kon-stante Teilchengeschwindigkeit in RichtungVerteilerbehälter von einer Wellenbewe-gung, deren Verlauf für die Optimierung desMotors M104 jedoch von untergeordneterBedeutung ist, überlagert.

Der bisherige Gedankengang muß noch umeinen Schritt ergänzt werden. Bisher wurdendie physikalischen Vorgänge des Ansaug-taktes auf einer allgemeinen Stufe behan-delt, die unabhängig von seiner Einbindungin das Viertaktverfahren war. Der zugehöri-ge Wirkraum wurde nur auf einen Zylinderbezogen. Als Ursache der Wellenbewegungwurde ausschließlich der Saughub des Kol-bens angesehen. Wie Bild 9 zeigt, wird je-doch beim Motor M103 der physikalischeWirkraum von allen sechs Zylindern (1) undeinem Ansaugsystem, bestehend aus sechsSchwingsaugrohren (2), Verteilerbehälter (3)und den übrigen bereits genannten Bautei-len, gebildet. Der Saughub jedes einzelnenZylinders setzt nach Ablauf des jeweiligenVerdichtungs-, Arbeits- und Auslaßtaktesein. Folglich ist die Füllung der Zylinder mitFrischgas und damit auch der Liefergradnicht nur von der Kolbenbewegungwährend des Ansaughubes, sondern auchvon den thermischen Anfangszuständen derZylinderinhalte bei Öffnung der Einlaßven-

tile abhängig. Mit Hilfe des Berechnungs-verfahrens PROMO [6] ist es möglich, eineumfassende theoretische Analyse von Mehr-zylinder-Otto- und -Dieselmotoren mit aus-reichender Genauigkeit durchzuführen. Sokönnen die Zustandsgrößen des individuel-len physikalischen Modells des Ansaugtak-tes für den jeweils interessanten Bela-stungsfall des M103 berechnet werden.

Bild 9 enthält die maßgebenden physikali-schen Zustandsgrößen des Modells. Sie be-

stimmen nicht nur den Liefergrad λl und da-mit pe, Md und Pe des Motors. Ihre Verläufeüber den Kurbelwinkel ϕ lassen auch Schlüs-se darüber zu, wie der Liefergrad, wenn über-haupt möglich, zu verbessern ist. Die Ver-läufe der physikalischen Größen gelten füreinen Vollastpunkt bei n = konstant undwerden für alle Zylinder berechnet. Jedochwerden hier nur auszugsweise u = f(ϕ), p =f(ϕ) und m = f(ϕ) für den Zylinder 1 an derStelle XI am Einlaßventil in Form von Dia-grammen für ausgewählte Drehzahlen wie-dergegeben.

Die Analyse des Ansaugtaktes für den Mo-tor M103 kann nun abgeschlossen werden.Dazu reichen drei individuelle physikalischeModelle, aufgestellt für die Vollastdrehzahln = 4400/min bei maximalem Drehmoment,n = 3000/min und für die Maximaldrehzahln = 6300/min aus.

Sie sind in den Bildern 10, 11 und 12 darge-stellt. Die Zeitachse t ist durch die ϕ-Achseersetzt. Ihr Bereich umfaßt zwei volle Mo-torumdrehungen. Die Totpunkte sind be-sonders herausgestellt. Unterhalb der ϕ-Ach-se sind die Steuerzeiten des Ein- und Aus-laßventils aufgetragen. Danach öffnet dasEinlaßventil 25° KW vor OT (EÖ) und schließt68° KW nach UT (ES). Der letzte Wert legt be-reits das gasdynamische Phänomen offen,das für einen hohen Liefergrad genutzt wird.Es soll zunächst für die Drehzahl n =4400/min näher erläutert werden, Bild 10.Der Kolben, der sich nach dem UT wiederaufwärts bewegt, schiebt Frischgas aus demZylinder, da das Einlaßventil noch offen ist.Das zeigt der Verlauf der Geschwindigkeits-welle uR in diesem Bereich des UT. Ihr Vor-zeichen kehrt sich um, es wird negativ. Aberdie Reflexionswelle uL (sie entspricht demzweiten Massenstrom in Richtung Zylinder)kommt zur richtigen Zeit am Einlaßventil anund verhindert durch Überlagerung mit uReine ausgeprägte Rückströmperiode nachdem UT. Der resultierende Massenstrom mxIim oberen Diagramm macht dies besondersdeutlich. Durch ein späteres Eintreffen derWelle uL am Ventil wäre das Rückströmenganz zu vermeiden gewesen. Dazu hätteman das Schwingsaugrohr, das jetzt eineLänge 365 mm hat, nur entsprechend ver-längern müssen. Aber es gibt noch ein zwei-tes Kriterium für hohen Liefergrad. Die Re-flexionswelle uL soll etwas vor dem Maxi-mum der rechtslaufenden Welle uR am Ven-til ankommen, dann stellt sich durch Addi-tion beider Geschwindigkeitswellen ein ma-ximaler Massenstrom mxI bei noch weitgeöffnetem Einlaßventil ein. Die Folge ist einhoher Liefergrad, der bei dieser Wirkraum-abstimmung – maßgebend ist die einge-

Bild 8: Physikali-sches Modell desAnsaugtaktes,bezogen auf ei-nen Zylinder desMotors M103(300 E)Fig. 8: Physicalmodel of the in-take stroke relat-ed to one cylinderof the engineM103

1 Zylinder, 2 Kolben, 3 Einlaßventil, 4 Einspritzventil, 5 Auslaßventil, 6 Schwingsaugrohr, 7 Verteilerbehälter, 8 Ansaugleitung, 9 Drosselklappe, 10 Luftmassensensor (strömungs-mechanisches Prinzip)1 cylinder, 2 piston, 3 intake valve, 4 injection valve, 5 exhaust valve, 6 ram manifold, 7 plenum chamber, 8 intake manifold, 9 trottle valve, 10 air mass sensor (flow principle)

Bild 9: Physikalisches Modell des Ansaugtak-tes des Motors M103 (300 E)1 Zylinder (Anzahl 6), 2 Schwingsaugrohr (Anzahl 6), 3 Verteilerbehälter, 4 Ansaugleitung, 5 Drosselklappe,6 Luftmassensensor, 7 LuftfilterFig. 9: Physical model of the intake stroke ofthe engine M1031 cylinder (6 pieces), 2 induction manifold (6 pieces), 3plenum chamber, 4 intake manifold, 5 trottle valve, 6air mass sensor, 7 air cleaner

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stellte Schwingsaugrohrlänge – einen sehrguten Wert von λl = 0,964 erreicht. Dadurcherhöht sich die Luftmasse auf mL = 0,556 gpro Zylinder.

Der Kreis des ausführlichen Gedankengan-ges zur Aufdeckung der Merkmale, die dieAnalyse des Ansaugtaktes des Motors M103für das Modell 300E definieren, schließt sichjetzt zum ersten Mal. Mit dem Liefergrad λl= 0,964 wird auch der eingangs angegebe-ne, aus Messungen resultierenden Wert vonpe = 10,8 bar durch die gasdynamische Ana-lyse mit guter Näherung bestätigt. Der Zu-sammenhang zwischen den funktionalenGrößen des Motors und ihres physikalischenUrsprungs ist hergestellt.

Wie das Analyseergebnis des Ansaugtaktesbei n = 3000/min in Bild 11 ausweist, hat die

gasdynamische Optimierung des Liefergra-des bei hohen Motordrehzahlen auch Nach-teile. Die Unterdruck- und die Geschwin-digkeitsamplituden der Saugwellen pR unduR erreichen nicht mehr die Werte höhererDrehzahlen. Hinzu kommt, daß die Reflexi-onswelle uL, die jetzt früher ankommt, zu-sätzliche negative Auswirkungen auf denLiefergrad hat. Sie schwächt zunächst dieSaugwirkung des Kolbens ab und verhindertdamit die Entfaltung voller sinusförmigerUnterdruckwellen pR und uR. Dadurch wirdwiederum die Reflexionswelle geschwächt.Zusammen mit ihrer früheren Ankunft amVentil wird dadurch ein ausgeprägtes Rück-strömen verursacht. Dies beginnt bereits imUT und hält bis zum Ende des Einlaßtaktesan. Die eingeströmte Frischluftmasse ver-ringert sich auf nur noch mL = 0,516 g, ob-wohl die Öffnungszeit des Ventils, absolut

gesehen, länger geworden ist. Der Liefergradfällt auf λl = 0,872 ab, was einem Mitteldruckvon pe = 10,3 bar entspricht. Dieses Kernpro-blem, das Kräftepotential des Motors im un-teren Drehzahlbereich deutlich zu erhöhenund gleichzeitig eine hohe Nennleistung bei-zubehalten, wie es für den Motor M104 imModell E 320 gefordert wird, entzieht sich ei-ner einfachen Lösung. Die instationäre Strö-mung eines Schwingsaugrohres läßt sichnur auf einen relativ schmalen Drehzahlbe-reich optimal abstimmen. Negativ wirkt sichzusätzlich aus, daß sich ihre Intensität mitabnehmender Drehzahl nach einem einfa-chen physikalischen Gesetz verringert. DieLösung dieses Problems wird im letzten Ab-schnitt dieses Berichtes beschrieben. Siestellt ein vorbildliches Beispiel für eine er-folgreich abgeschlossene Innovation im Mo-torenbau dar.

Bild 10: Zustandsverlauf an der Stelle Xl des Schwingsaugrohres amZylinder 1 bei n = 4400/min und Vollast (Motor M103) (300 E)Fig. 10: Course of state at location XI of the ram manifold of cylinder 1at n = 4400 rpm and full load (M103)

Bild 11: Zustandsverlauf an der Stelle Xl bei n = 3000/min und Vollast(Motor M103) (300 E)Fig. 11: Course of state at location XI at n = 3000 rpm and full load (M103)

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Innovationsprozeß M104Technikgeschichte

MTZ Motortechnische Zeitschrift 59 (1998) 2

Zunächst ist jedoch das entgegengesetzt ge-richtete Problem zu lösen. Die NennleistungPn = 132 kW des Motors M103 bei einer Dreh-zahl von 5700/min ist auf Pn = 162 kW bei ei-ner Drehzahl von 6300/min zu erhöhen, oh-ne das Hubvolumen von 3,0 l zu vergrößern.Einen Einstieg dazu liefert das Analyseer-gebnis des Motors M103 bei der Drehzahl n= 6300/min, die allerdings keine für den nor-

malen Motorbetrieb zulässige Drehzahl ist,Bild 12. Die instationäre Strömung hat bei n= 6300/min eine völlig andere Charakteri-stik als bei n = 3000/min. Die Wellen bildensich jetzt voll aus. Die Reflexionswellen uLund pL erreichen das Einlaßventil erst imletzten Drittel des Kolbenhubes. Eine opti-male Überlagerung von uR und uL kommtdadurch nicht zustande, aber der Zeitpunkt

des Eintreffens von uL am Ventil liegt so gün-stig, das ein Rückströmen nach UT vermie-den wird. uL kompensiert in diesem Bereichden negativen Geschwindigkeitsverlauf vonuR völlig. Ein unerwartetes positives Ergeb-nis ist der hohe Wert von mxI im UT. Er be-trägt mit 90 g/s noch 80 % des maximalenMassenstroms. Dies gilt besonders beim Ver-gleich mit Massenströmen bei anderenDrehzahlen. Bei 3000/min etwa ist an die-ser Stelle gar kein Massenstrom feststellbar.Trotz eines nahezu optimalen Verlaufes derinstationären Strömung befriedigt das Er-gebnis nicht. Der Wert des Liefergrads be-trägt nur λl = 0,815, der Mitteldruck nur 8,25bar. Gegenüber dem Liefergrad bei n =4400/min bedeutet dieser Wert einen Abfallvon 15,5 %. Allerdings ist zu beachten, daßbei der hohen Drehzahl die absolute Öff-nungszeit des Einlaßventils um 30 % kürzerist als bei der Drehzahl 4400/min. Dies re-lativiert das zunächst gefällte Urteil.

Damit ist die Analyse des Ansaugtaktes desMotors M103 abgeschlossen. Das Ergebnis inForm dreier physikalischer Modelle ist derAusgangspunkt für die im folgenden be-schriebenen beiden Entwicklungsstufen desMotors M104.

Bild 12: Zustandsver-lauf an der Stelle Xlbei n = 6300/minund Vollast (MotorM103) (300 E)Fig. 12: Course ofstate at location XIat n = 6300 rpm andfull load (M103)

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Der VerfasserProf. em. Dr.-Ing. Hans Sei-fert war von 1969 bis 1992Inhaber des Lehrstuhls fürKonstruktionstechnik I ander Ruhr-Universität Bo-chum. Zur Zeit ist er Ge-schäftsfühürer der CranioConstruct Gesellschaft fürindividuelle ImplantatembH, Bochum.

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OttomotorenInnovationsprozeß

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3.2 Erste Entwicklungsstufe: MotorM104 für den 300E-24

Die erste Entwicklungsstufe beginnt mit derSuche nach der physikalischen Lösung, wiedie geforderte Nennleistung Pn = 162 kW bein = 6300/min im Motor M104 für das Modell300E-24 verwirklicht werden kann. Bei Ein-haltung des Hubraumes von 3 l ist dazu einDrehmoment von Md = 245 Nm und ein Mit-teldruck von pe = 10,4 bar erforderlich. Line-ar gerechnet ergibt sich bei diesen Mo-tordaten ein Liefergrad von λl = 0,96. WelcheMaßnahmen sind erforderlich, um diesenLiefergrad zu erreichen? 3.2.1 Das physikalische Modell des

Ansaugtaktes und seine AuswertungAus der Analyse des Motors M103 bei n =6300/min ist vorläufig zu schließen, daß beigleichem Ablauf der instationären An-saugströmung eine Vergrößerung des Ein-laßventilteller-Durchmessers ausreichenmüßte, um den Zylindern eine größere Luft-masse zuzuführen. Diese Änderung hättekeine besondere Auswirkung auf das bishergültige physikalische Modell des Ansaug-taktes, Bild 9. Es ergibt sich aber ein gestal-terisches Problem. Wie Bild 13.1 zeigt, läßtdie Lage des Einlaß- und Auslaßventils imZylinderkopf des Motors M103 eine Ver-größerung des Einlaßventil-Durchmessers

nicht mehr zu. Erst die Einführung der Vier-ventil-Technik verbessert die Situation we-sentlich. Je zwei Einlaß- und Auslaßventilebilden zwei zueinander parallele Reihen,Bild 13.2. Die beiden Einlaßventile besitzenDurchmesser von je dl = 35 mm. Sie ergebenzusammen, auf den gleichen Hub bezogen,

einen geometrischen Einlaßquerschnitt, derum etwa 60 % größer ist als der des einzel-nen Einlaßventils mit dl = 43 mm. Aber da-mit allein ist die Weiterentwicklung nochnicht abgeschlossen. Zwischenrechnungenergeben, daß der Liefergrad zwar die gefor-derte Größenordnung annimmt, aber die

Nach Abschluß der Vorbereitungsphase in Teil 1 und Teil 2 diesesBerichtes werden im folgenden die erste und zweite Entwick-lungsstufe des Daimler-Benz-Motors M104 beschrieben. Aus derersten Stufe geht der Motor M104 für das Automobil 300E-24 her-vor [7]. Aus der zweiten Stufe der Motor M104 für das Modell 320E[8]. Im Vergleich zum M103 erreicht der Motor M104 im 300E-24eine höhere Nennleistung und Nenndrehzahl, der M104 im 320Eein höheres Drehmoment im mittleren und unteren Drehzahlbe-reich. Seine Nennleistung ist identisch mit der des M104 im 300E-24, die Nenndrehzahl jedoch wurde gesenkt. Das mit Hilfe derAnalyse bereitgestellte physikalische Teilmodell des M103 reichtnicht, um durch einfache logische Weiterentwicklung des Modellseine ausreichende Lösung zur Umsetzung der geforderten Verbes-serung des Motors M104 zu finden. Die Berücksichtigung zusätzli-cher physikalischer Phänomene ist dazu notwendig.

Sechszylinder-Reihenmotor M104 vonMercedes-Benz – ein Ausschnitt seines Innovationsprozesses Teil 3Von Hans Seifert

Bild 13: Zwei- und Vierventiltechnik13.1: Zwei Ventile (Motor M103) 1 Einlaßventil, 2 Auslaßventil, 3 Zündkerze13.2: Vier Ventile (Motor M104 (300 E-24))Fig. 13: Two- and four-valve technology13.1: Two valves (M103) 1 intake valve, 2 exhaust valve, 3 spark plug13.2: Four valves (M104 (300 E-24))

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InnovationsprozeßOttomotoren

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größeren Ventilquerschnitte bringen, durchden konstanten Schließpunktes ES der Ein-laßventile, bereits im mittleren Drehzahl-bereich nicht vertretbare Verluste an Frischgas durch Rückströmen. Die Liefer-grade fallen auf Werte ab, die bis zu 10 % un-ter denen des Motors M103 liegen.

Dieser Füllungsverlust macht eine zusätzli-che Steuerung der Einlaßventile erforderlich.Dadurch müssen die Einlaß- und Aus-laßventile jedoch über getrennte Nocken-wellen betätigt werden, Bild 23.2. Ausge-dehnte Untersuchungen ergeben, daß zweiunterschiedliche Schließpunkte nach UT fürbeide Einlaßventile genügen, um einen zu-friedenstellenden Verlauf des Liefergradesüber die Drehzahl zu erhalten. Der Schließ-punkt für den kurzen Einlaßzeitraum liegtbei ϕES = 42 °KW nach UT und wird im un-teren Drehzahlbereich angesteuert. Der fürdie längere Einlaßzeitdauer liegt bei ϕES =76 °KW nach UT und wird bei hohen Dreh-zahlen eingestellt. Ihre Einstellung erfolgtdurch Verdrehung der Nockenwelle relativzu ihrem Antriebsrad um die Winkeldiffe-renz aus beiden Schließpunkten, also um Δϕ= 34 °KW. Dazu ist ein Nockenwellenver-steller notwendig. Die Merkmale, die ihnkonstruktiv definieren, fehlen noch. Um siefestzulegen, ist ein besonderer Innovations-schritt notwendig. Auf ihn wird später ein-gegangen. Für die theoretische Simulationdes neu abzustimmenden Ansaugtaktes istder Versteller zunächst nicht notwendig.Wohl aber muß der Verlauf der Einlaßquer-schnitte der Ventile über dem Kurbelwin-kel ϕ bei beiden Schließpositionen bekanntsein. Er wird wesentlich von dem Ventilhubh bestimmt.

Anhand des Bildes 14.1 läßt sich die Funkti-on der Zweipunktverstellung, wie sie beimMotor M104 für das Modell 300E-24 ver-wirklicht wurde, nachvollziehen. Kurve (2a)stellt den Hubverlauf mit dem frühenSchließpunkt dar. Nach einer Verdrehungder Nockenwelle um Δϕ = + 34 °KW gilt dieKurve (2b).Unter Berücksichtigung eines ge-wissen Ventilspiels liegt der frühe Schließ-punkt bei ϕES = 42 °KW nach UT, der späte beiϕES = 76 °KW nach UT. Kurve (1) beschreibtdie Einlaßventilerhebung des M103. Ergän-zend sind im Bild 14.1 die Hubkurven (3) und(4) der beiden Auslaßventile aufgenommen.Ventile über 9 mm Maximalhub erhöhenAuslaß- und Einlaßmassenstrom nicht mehrwesentlich, daher die Reduktion von hmax. =10,6 mm auf = 9,4 mm. Bild 14.2 gibt dieForm des Einlaßquerschnittes eines Ein-laßventils wieder. Drei Merkmale der Vier-ventil-Technik verbessern den Liefergrad:

– Die Durchtrittsöffnungen der beiden Ein-laßventile im Zylinderkopf des MotorsM104 für den 300E-24 fallen in der Sum-me größer aus als die Öffnung des einenVentils am M103.

– Der Schnittpunkt B der Hubkurve (2b) mitder Ordinate im UT liegt über demSchnittpunkt A der Kurve (1). Der Mas-senstrom mxI des Motors M103 im UT beider Drehzahl n = 6300/min, der bereitssehr hoch ist, wird durch einen größerenHub an dieser Stelle nochmals verstärkt.

– Durch Verdrehen der Nockenwelle um Δϕ= 34 °KW wird Punkt B durch Punkt C er-setzt. Der Rückströmeffekt bei niedrigenDrehzahlen wird durch die Verkleinerungdes Ventilhubes geschwächt.

Die Verdrehung der Nockenwelle wirkt sichauch auf das Öffnen der Einlaßventile aus.Die Stellen, an der die Ventile öffnen, liegenbei der Frühstellung der Steuernocken bei35 °KW vor OT und bei der Spätstellung et-wa im OT.

Die Vierventil-Technik stellt noch eine vier-te Optimierungsstufe bereit. Stehen dieNocken in Frühstellung, so ist die Über-schneidungsphase von Einlaß- und Aus-laßventil im Überschneidungs-OT, bei dembeide Ventile offen sind, mit ΔϕPh = 63 °KWbesonders groß. In der Spätstellung beträgtsie nur ΔϕPh = 29 °KW. Bei Vollast unter ho-her Drehzahl muß die Nockenwelle auf spä-tes Ventilöffnen, bei Vollast unter niedrigerDrehzahl auf frühes Ventilöffnen eingestelltwerden. Im unteren Leerlaufbereich wird dieSpätstellung (ΔϕPh = 29 °KW) jedoch auchbei niedriger Drehzahl eingestellt, um das

Rückströmen von Abgasen aus dem Zylin-der in das Schwingsaugrohr während derÜberschneidungsphase (ΔϕPh > 0) zu redu-zieren. Ein hoher Restgasanteil im Frischgasbelastet den Verbrennungsablauf. Die Folgewäre ein ungleichförmiger Leerlauf. Um die-sen Störeffekt bei großen Überschnei-dungsphasen zu vermeiden, wurde bishereine hohe Leerlaufdrehzahl von 800/minvorgegeben. Die kleineÜberschneidung beiSpätstellung erlaubt es, die Leerlaufdrehzahlauf n = 500/min zurückzunehmen. Der un-verbrannte Kohlenwasserstoffanteil im Ab-gas (HC-Emission) vermindert sich um 70 %.Der Kraftstoffverbrauch sinkt durch dieseMaßnahme um 0,5 l/h.

Die physikalischen Modelle des auf hoheDrehzahlen optimierten Ansaugtaktes desMotors M104 für das Modell 300E-24 und desAnsaugtaktes des Motors M103 für den 300Esind annähernd identisch, Bilder 9 und 15.Die physikalischen Merkmale stimmen übe-rein, lediglich der Wirkraum ändert sich inzwei Details. Pro Zylinder verlaufen jetztzwei Einlaßkanäle zu den Ventilen und dieSchwingrohre sind um 10 mm gekürzt. DerQuerschnitt XI bezieht sich nur auf einenEinlaßkanal im Zylinderkopf des ersten Zy-linders. Der dort berechnete Massenstrommuß zur Bestimmung des Liefergrades ver-doppelt werden. Die Zustandsgrößen des in-dividuellen physikalischen Modells im Voll-astpunkt bei n = 6300/min bestätigen dieaus der Analyse des M103 für den 300E ge-wonnenen Erkenntnisse, Bild 16. Die maß-gebenden gasdynamischen Größen imQuerschnitt XI liefern bei späteremSchließen der Einlaßventile die Grundlage

Bild 14: Ventilerhebungskurven14.1: 1 Hubkurve der E-Ventile des Motors M103 (300-E), 2a Hubkurve der E-Ventile des MotorsM104 (300 E-24), Ventilstellung: ES-Früh, 2b Ventilstellung: ES-Spät, 3, 4 Hubkurven der Aus-laßventile14.2: Durchtrittsöffnung am EinlaßventilFig. 14: Valve lift curves14.1: 1 Valve lift curve of the injection valves of the M103 (300E), 2a Valve lift curve of the injec-tion valves of the M104 (300E-24)Valve position: retard, 2b Valve position: advance, 3, 4 Valve liftcurves of the exhaust valves14.2: Opening on intake valve

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für den Liefergrad von 0,934. Das bedeuteteine Steigerung von 15 % gegenüber demVergleichswert des M103. Bemerkenswert istder große Massenstrom im UT. Er fällt um 50% größer aus als beim Motor M103. Das Rück-strömen läßt sich nicht ganz vermeiden. Die-ser Verlust wird jedoch durch den günstige-ren Verlauf von mxI im Bereich der großenVentilhübe mehr als kompensiert. Dies wur-de durch die Verwendung eines etwas kür-zeren Schwingsaugrohres erreicht.

Aber dieser positive Effekt stellt sich nichtbei jeder Drehzahl ein. Bei n = 4600/min undspätem Ventilverschluß tritt bereits kurznach UT die Rückstromperiode ein, Bild 17.Der Liefergrad sinkt im Vergleich zum M103auf 0,945 ab. Schuld daran sind Reflexions-wellen. Diese können die stärker geworde-ne Ausschubwirkung des Kolbens jetzt nichtmehr kompensieren. Nach Umschaltung auf

früheren Ventilverschluß stellt sich bei die-ser Drehzahl jedoch ein berechneter Liefer-grad von 1,001 ein, Bild 18. Es ist der höchsteLiefergrad, den der Motor in seinem Voll-lastbereich erreicht. Die Rückstromperiodewird stark verkürzt.

Bei n = 3000/min zeigt sich, daß auch derfrühe Schließpunkt, dem ein früherer Öff-nungspunkt der Einlaßventile zugeordnetist, Nachteile hat, Bild 19. Es tritt sowohl zuBeginn als auch zum Ende des Ansaugtak-tes Rückströmen auf. Der Liefergrad beträgt0,88 und liegt geringfügig unter dem ent-sprechenden Wert beim Motor M103.

Einen guten Überblick über den technischenFortschritt, der mit der Vierventil-Technikbeim Motor M104 erreicht wird, gibt ein Ver-gleich der Liefergradkurven, aufgetragenüber der Drehzahl, Bild 20. Kurve (1) ist die

Bild 15: Physikalisches Modell des Ansaug-taktes des Motors M104 (300 E-24)Fig. 15: Physical model of the intake stroke ofthe M104 (300 E-24)

Bild 16: Zustandsverlauf an der Stelle XI bei n = 6300 l/min undVollast, ES-SpätFig. 16: Course of state at location XI at n = 6300 rpm and full load,IO-retard

Bild 17: Zustandsverlauf an der Stelle XI bei n = 4600 l/min undVollast, ES-SpätFig. 17: Course of state at location XI at n = 4600 rpm and full load,EO-retard (M 104 (300 E-24))

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Liefergradkurve des M103. Die Kurven (2a)und (2b) beschreiben die Liefergradverläu-fe des M104 für den 300E-24 bei dem frühenund späten Schließpunkt der Einlaßventi-le. Der Schnittpunkt der Kurven 2a und 2bbei etwa n = 5000/min ist gleichzeitig derSchaltpunkt vom späten auf den frühenSchließpunkt und umgekehrt. Der Vergleichder Kurve (2b) und Kurve (1) zeigt auch, daßdie Kurve (2b) mit dem frühen Ventil-schließpunkt nicht über die Kurve (1) anzu-heben ist. Das war auch nicht gefordert. Den-noch hat sie eine positive Wirkung, denn sieverhindert, daß der gestiegene Mitteldruckund die höhere Leistung bei hohen Dreh-zahlen nicht zu Lasten dieser Größen im un-teren Drehzahlbereich geht.

Die Anforderung, die Leistung des MotorsM103 von 132 kW bei n = 5600/min auf 162kW bei n = 6300/min zu steigern, ist damit

voll erfüllt, wie die Messung der Leistung Pe,des Drehmomentes Md und des Mittel-druckes pe am konkreten Motor vom TypM104 für den 300-24 bestätigen. Die Meßer-gebnisse sind in Bild 24 und 25 dargestellt.3.2.2 Entwicklung eines

NockenwellenverstellersEine Lücke hat die beschriebene erste Ent-wicklungsstufe noch. Es besteht noch kei-ne konzeptionelle Vorstellung davon oderein Entwurf darüber, wie eine Verstellvor-richtung der Nockenwelle auszusehen hat.Im folgenden soll nicht der Entwicklungs-ablauf eines solchen Verstellers und seinermöglichen Alternativen in allen Einzelhei-ten nachvollzogen werden. Es soll lediglichder maßgebende Kern der von Mercedes-Benz bevorzugten Lösung anhand der Inno-vationsstrategie erarbeitet werden. Zunächstist die Aufgabenstellung zu differenzieren.

Es ist von einer Befestigung des Antriebs-kettenrades (3) auf dem Endzapfen (1) derNockenwelle (2) auszugehen, Bild 21.1, diedas Kettenrad festhält, etwa durch einenPreßsitz. Die Befestigung ist so zu ändern,daß eine Vor- und Rückdrehung des Wel-lenzapfens relativ zum fixierten Kettenradum jeweils 34° kW möglich ist. Die Drehmo-mentübertragung vom Kettenrad auf dieNockenwelle soll sowohl in den beiden End-lagen der Verdrehung als auch beim Schalt-vorgang erhalten bleiben.

Ist eine solche Funktion realisierbar, danngibt es dafür eine oder mehrere physikali-sche Begründungen. Bild 21.1 zeigt zunächstdas physikalische Modell 1 in vereinfachterForm für die Befestigung mittels Preßsitz. Esist ein Ergebnis der Analyse. Das Reibmo-ment MR auf der unter Pressung stehendenOberfläche des Wellenzapfens (1) überträgt

Bild 18: Zustandsverlauf an der Stelle XI bei n = 4600 l/min undVollast, ES-frühFig. 18: Course of state at location XI at n = 4600 rpm and full load,IO-advance (M104 (300 E-24))

Bild 19: Zustandsverlauf an der Stelle XI bei n = 3000 l/min undVollast, ES-frühFig. 19: Course of state at location XI at n = 4300 rpm and full load,IO-advance (M104 (300 E-24))

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OttomotorenInnovationsprozeß

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das Antriebsmoment des Kettenrades (3) di-rekt auf die Nockenwelle (2). Dem Reibmo-ment entgegen wirken unter anderem dieLastmomente ML1 und ML2. Sie stammen vonden beiden Nocken (4), die gerade die Ein-laßventile öffnen.

Eine Lösung gelingt wieder durch Assoziati-on zweier unabhängiger physikalischer Mo-delle. Je nach der Erfahrung der Entwick-lungsingenieure werden sie das noch feh-lende Modell 2 unterschiedlich entwickeln.Es sei angenommen, daß sie an den Anfangihrer Überlegungen eine Getriebestufe stel-len, bestehend aus einem Ritzel (1) und Zahn-rad (2), Bild 21.2a. Beide Zahnräder sindschrägverzahnt. Auf diese Weise befindensich immer mehrere Zähne im Eingriff. DieBeanspruchung des einzelnen Zahnes wirddadurch reduziert. Die klassische Haupt-funktion einer solchen Getriebestufe ist, dasAntriebsmoment schlupffrei und vergrößertauf die Zahnradwelle zu übertragen.

Das physikalische Geschehen der Stufe ent-hält aber noch eine weitere, eine kinemati-sche Komponente, die für die Lösung unse-res Problems entscheidend ist und das Mo-dell 2 verkörpert, Bilder 21.2a und 21.2b. Be-wegt man das Zahnrad (2) parallel zu seinerDrehachse um den Weg Δs aus der Verzah-nung heraus, so wird das Ritzel zwangsläu-fig um den Winkel Δγ verdreht, wenn dar-auf geachtet wird, daß das Zahnrad sichnicht mitdreht. Der Winkel Δγ ist vom Schrä-gungswinkel und dem Weg Δs abhängig.Das ist aber gerade die physikalische Be-gründung der Funktion, die von demNockenwellenversteller gefordert wird.

Die Verknüpfung von Modell 1, Bild 21.1, undModell 2, Bilder 21.2a und 21.2b, führtzunächst zu einer ersten Stufe des Modells3, dessen besonderes Merkmal der außen-verzahnte Nockenwellenzapfen (1) und dasinnenverzahnte Kettenrad (3) ist, Modell 3a,Bilder 21.3a und 21.3b. Das Ergebnis befrie-digt noch nicht, denn bei der begrenzten Ver-drehung der Nockenwelle (2) um Δϕ, darfsich die axiale Position des Kettenrades (3)nicht um Δs ändern. Eine weitere Festlegungder bisher entwickelten Begriffsfolge liefertdie Kernlösung. Die axiale Bewegungskom-ponente wird von dem Kettenrad genom-men und einem dritten Bauteil, einem ring-förmigen Zwischenstück (5) zugeordnet, Bild21.4a. Das Zwischenstück, der Stellkolben,erhält eine Innen- und Außenverzahnung,die in die Außenverzahnung des Nocken-wellenzapfens (1) und in die Innenverzah-nung des Kettenrades (3) eingreifen. Durchaxiale Verschiebung des Kolbens – nach linksoder rechts um ± Δs – wird die Nockenwellerelativ zum Kettenrad auf ES-früh oder ES-spät gestellt, ohne daß Nockenwelle und Ket-tenrad ihre axiale Position verändern, Bild21.4b.

Ohne Einleitung einer Kraft läßt sich derStellkolben nicht verschieben. Aufbauendauf dieser Kernlösung wäre jetzt das physi-kalische Modell eines hydraulischen Kraft-systems, einschließlich seiner drehzahl- undlastabhängigen Steuerung, zu integrieren.Auf die Verwirklichung dieses Systems solljedoch nicht weiter eingegangen werden.

Aus der physikalischen Modellierung ent-wickelt sich schrittweise der Entwurf des

Verstellers. Dieser Vorgang geschieht nichtgeradlinig. Er ist unterbrochen von Ab-schnitten, in denen die Arbeitsschritte zumeinen empirisch, zum anderen theoretischüberprüft werden. Dies entspricht dem vier-ten und fünften Arbeitsschritt der Innovati-onsmethodik.

Bild 22 stellt den Gesamtentwurf des Ver-stellers in seiner endgültigen Fassung dar.Er zeigt eine Fülle technischer Merkmale.Eindrucksvoll zeigt der Vergleich von Kern-lösung und Entwurf, welchen entscheiden-den Einfluß die erste Assoziation auf das Endergebnis dieses speziellen Innovations-prozesses hat. 3.2.3 Schnittdarstellung und Kennlinien

des Motors M104 für den 300-24Die bisher konzeptionell formulierte Lösungder Vierventil-Technik und die Integrationdes getrennt erarbeiteten Entwurfes des Ver-stellers in den Motoraufbau machen Ent-wurfsergänzungen im fünften Arbeitsschritterforderlich, um die endgültige Ausführungdes Motors M104 für den 300E-24 zu erhal-ten. Durch Vergleich des Längs- und Quer-schnittsbildes des M103 und M104 lassensich diese Ergänzungen leicht übersehen,Bilder 1 und 23. Wie die Bilder 23.1 und 23.2zeigen, erfordert die Zweipunktsteuerunggetrennte Nockenwellen (1 und 2) für die Ein-laß- und Auslaßventile. Sie liegen direkt überden Ventilen und übertragen die Hubbewe-gung ihrer Nocken über tassenförmigeStößel (3 und 4) direkt auf die Ventilschäf-te. Es entsteht ein kompakter und steiferVentilantrieb, der bei hohen Drehzahlen dieBetriebssicherheit nicht unwesentlich er-höht. Das Schwingrohr (5) ist gegenüber demdes M103 (300E) etwas gekürzt (l = 355 mm).Seine Fortsetzung im Zylinderkopf verzweigtsich an der Stelle (6) und geht in zwei Ein-laßkanäle über, die zu den beiden Ein-laßventilen (7 und 8) führen. Die Zündker-ze findet ihre neue Lage (9) genau im Zen-trum des dachförmigen Brennraumes, wassich günstig auf den Verlauf der Verbren-nung und damit auf Kraftstoffverbrauch undAbgasemission auswirkt. Der Nockenwel-lenversteller (10) ist am Ende der Einlaß-nockenwelle angebracht. Ihr Antriebsket-tenrad und das der Auslaßnockenwelle wer-den über eine gemeinsame Doppelkette (11)angetrieben.

Ein Kennlinienvergleich des Motors M103und M104 ist jetzt möglich. Die Kennliniendes M104 für den 300E-24 sind in den Bil-dern 24 und 25 dargestellt. Die Bilder 2, 3, 24und 25 machen eindrucksvoll das Ergebniseiner erfolgreich abgeschlossenen Motor-entwicklung deutlich, die primär leistungs-

Bild 20: Liefergrad des Motors M103 (300 E) und M104 (300 E-24) bei Vollast1 Motor M103, 2a Motor M104, ES-Spät, 2b Motor M104, ES-FrühFig. 20: Supply efficiency of the M103 (300 E) and M104 (300E-24) at full load1 M103, 2a M104, IO-retard, 2b M104, IO-advance

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InnovationsprozeßOttomotoren

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orientiert ausgerichtet ist. Die Nennleistungdes Motors M103 von Pn = 132 kW wird beiseinem Nachfolger auf Pn = 162 KW ange-hoben. Davon hat die Drehzahlerhöhung ei-nen Anteil von etwa 50 %. Die andere Hälf-te der Leistungsteigerung wird durch den ge-stiegenen Mitteldruck pe erreicht. Die ge-schilderten Innovationen kommen primärdem Liefergrad λl und damit dem Mittel-druck pe zugute.

3.3 Entwicklungsstufe 2: Motor M104 für den 320 E

Im Jahre 1992 ersetzt der Motor M104 für dasModell 320E den Motor M104 für das Modell300E-24. Aus ökologischen Gründen wird dieNenndrehzahl beim Motor M104 für den320E von n = 6300/min auf n = 5500/minherabgesetzt. Durch eine Hubraumver-größerung von VH = 3,0 l auf VH = 3,2 l bleibtdie Nennleistung von Pn = 162 KW bei der ge-ringeren Nenndrehzahl erhalten. Der Mit-teldruck pe im Nennlastpunkt muß dazunicht erhöht werden.

Das besondere Augenmerk der Entwicklungrichtet sich darauf, das Durchzugsvermögendes Motors und damit das Drehmoment undden Mitteldruck im unteren und mittlerenDrehzahlbereich zu verbessern. Bereits durchdie Hubraumvergrößerung erhöht sich dasDrehmoment im gesamten Drehzahlbereichum 6,5 %. Insgesamt gelingt es durch Ein-führung der kombinierten Schwing- und Re-sonanzsaugrohraufladung, eine breite An-hebung der Md- und pe-Kurve über der Dreh-zahl zu erreichen, Bilder 36 und 37. DasDrehmoment-Maximum wächst um 17 %von Md = 265 Nm auf Md = 310 Nm. Die zu-gehörige Drehzahl n = 3750/min liegt umfast 1000/min niedriger als die Drehzahlbeim maximalen Drehmoment des MotorsM104 für den 300E-24.

Wie kommt dieses Ergebnis zustande?3.3.1 Das physikalische Modell des

Ansaugtaktes und seine AuswertungAufbauend auf den bisherigen Erfahrungenwird zunächst davon ausgegangen, daß sichdurch Verwendung eines längerenSchwingsaugrohres, durch strömungsgün-stigere Gestaltung der Ansaugkanäle im Zy-linderkopf, Bilder 23 und 35, und durch An-passung der Zweipunkt- Steuerung der Ein-laßventile der Liefergrad und damit der ma-ximale Mitteldruck und das Drehmomentzu kleineren Drehzahlen hin verschiebenund auch in ihrer Größe noch verbessern las-sen müßten. Das physikalische Modell, dassich aus dieser Überlegung ergibt, Bild 26,enthält bis auf die Abmessung der Schwing-

Bild 22: Gesamtentwurfdes Nockenwellenverstel-lers1 Kettenrad, 2 Stellkolben, 3Flansch-welle (Verlängerung desNockenwellenzapfens), 4Nockenwelle-Endscheibe, 5Schraubenbefestigung von 3und 4, 6 Hydraulik-Steuerkolben,7 ElektromagnetFig. 22: Overall design, va-riable valve timing (cam-shaft adjuster)1 sprocket, 2 adjustement piston,3 flanged shaft (extension of thecamshaft journal), 4 camshaftend disc, 5 bolted connection of 3and 4, 6 hydraulic control piston,7 solenoid

Bild 21: Entwicklung desphysikalischen Modells desNockenwellenverstellers21.1: Nockenwelle und Ket-tenradbefestigung (phys.Modell 1) 1 Nockenwellenzapfen, 2 Nockenwelle, 3 Kettenrad, 4 E-Ventilnocken21.2a u. b: KinematischeVerdrehfunktion einer Ge-triebestufe (physik. Modell2)1 Ritzel, 2 Zahnrad21.3a u. b: phys. Modell 3a(Zwischenlösung) 21.4a u. b: phys. Modell 3b(Kernlösung) 5 StellkolbenFig. 21: Development of thepysical model of the cam-shaft adjuster21.1: Camshaft and sprocketfixing (physical model 1)21.2a u. b: Kinematic adjust-ment function of a gear ty-pe (physical model 2)1 pinion, 2 gear wheel21.3a u. b.: Physical model3a (intermediate solution)21.4a u. b.: Physical model3b (final solution)5 adjustment piston

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saugrohre und Einsatz eines Heißfilm-Luft-massensensors keine grundsätzliche Ände-rung gegenüber Bild 15, da sich das physika-lische Basisgeschehen des Ansaugtaktesnicht ändert. Die theoretische Analyse be-stätigt allerdings nur zum Teil unsere Aus-

gangsüberlegung. Eine genauere Aussagedarüber ermöglicht die Liefergradkurve alsquantitatives Ergebnis der Analyse, Bild 27.Zwischen n = 3750/min und n = 4400/minwird der Liefergrad λl = 1,0 bei frühem Ver-schlußpunkt der Einlaßventile überschrit-

ten (Kurve (1)). Durch Einstellung eines spä-teren Schließpunktes (Δϕ = 32 °KW) verbes-sert sich der Liefergradverlauf im oberenDrehzahlbereich erheblich (Kurve (2)). DerUmschaltpunkt liegt kurz vor n = 4500/minim Kreuzungspunkt beider Liefergradkur-ven.

Die Liefergradkurve (1) zeigt jedoch eine Ein-senkung zwischen n = 2000/min und n =3500/min mit dem besonderen Nachteil, nurwenig Leistung in diesem wichtigen Dreh-zahlbereich zur Verfügung zu stellen. Das in-dividuelle physikalische Geschehen liefertdie Ursache dazu, Bild 28. Die Reflexions-wellen uL und pL im Schwingsaugrohr dereinzelnen Zylinder bilden sich im UT zuschwach aus, um ein Rückströmen zu ver-meiden. Es setzt bereits vor UT ein. Einefrüher zitierte Schwäche der Schwingrohr-aufladung wird wieder sichtbar. Ihre opti-male Wirkung bleibt auf einen relativschmalen Drehzahlbereich beschränkt. ZurLösung dieses Problems muß eine Innova-tion erarbeitet werden. Es wird zunächst einzweites, unabhängiges physikalisches Mo-dell gesucht, das durch Assoziation mit demersten nach Bild 26 eine Lösung im Sinne derAnforderung herbeiführt.

Zur Bearbeitung dieser Weiterentwicklungkönnten zunächst spontan einige Begriffegenannt worden sein, von denen angenom-men wird, daß ihr gegenwärtiger, allerdingsnoch vager Inhalt ausreicht, um zum Aus-gangspunkt einer konkreten Lösungsfin-dung zu werden. Zum Beispiel: Anregungenverfolgen, die durch den Begriff „variableSchwingrohrlänge“ oder durch den Begriff„Resonanz“ [9] (gemeint als ein besonderesPhänomen einer instationären Gasströmungin einem Behälter-Rohrsystem) ausgelöstwerden und zu lösungsnahen Assoziationen

Bild 23: Motor M104 (300 E-24)23.1: Längs- und Querschnitt1 Einlaß-Nockenwelle, 2 Auslaß-Nockenwelle, 5 Schwingsaugrohr, 6 Verzweigung Einlaßkanal, 7 u. 8 Einlaßventil, 9 Zündkerze, 10 Nockenwellenver-steller, 11 Doppelkette (Antrieb Nockenwellen)23.2: Zylinderkopf3 u. 4 Tassenstössel, 6 Verzweigung EinlaßkanalFig. 23: M104 (300 E-24) Engine23.1 Longitudinal- and cross-section1 intake camshaft, 2 exhaust camshaft, 5 ram manifold,6 branching, intake duct 7 u. 8 intake valve, 9 sparkplug, 10 camshaft adjuster (variable valve timing), 11 double chain (camshaft drive)23.2 Cylinder head3 u. 4 bucket tappet, 6 branching exhaust valve

Bild 24: Kennlinie Pe= f(n) und Md = f(n)des Motors M104(300 E-24)Fig. 24: Characteristiccurve Pn = f(n) andMd = f(n) of the M104(300 E-24)

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führen. Schließlich wird die erste ernstzu-nehmende Hypothese formuliert: Es solltemöglich sein, den gasdynamischen Zu-standsverlauf in einem motorischen An-saugsystem durch Resonanz so stark zu be-einflussen, daß sich eine Liefergrad- undMitteldruckerhöhung im fraglichen Dreh-zahlbereich zwischen n = 2000/min und n= 3500/min.

Die Vorstellung darüber, wie das reale phy-sikalische Geschehen, mit dem Merkmal derResonanz versehen, im einzelnen gestaltetwerden muß, um eine solche Wirkung zu er-zielen, ist zunächst noch unklar. Das physi-kalische Modell 2, in Bild 29 schrittweise ent-wickelt, führt auf den Weg dorthin, indemzunächst der Begriff der Resonanz durch sei-ne wichtigsten Merkmale verständlich ge-macht wird. Man geht von einem Behälter(1) mit angeschlossenem Rohr (2) aus, Bild29.1a. Das Rohr von der Länge l und demQuerschnitt A hat rechts und links ein offe-nes Rohrende. Wenn er dazu von außen kurzangeregt wird, schwingt der Luftdruck pB imBehälter innerhalb einer s mit einer be-stimmten, dem System eigenen Schwin-gungszahl um den Umgebungsdruck p0,Bild 29.1b.

Ein Beispiel kann dieses Phänomen ver-deutlichen. Nachdem durch Absaugen einkonstanter Unterdruck im Behälter erzeugtworden ist, wird die Schwingung durchplötzliches Öffnen des zunächst abge-schlossenen rechten Rohrendes in Gang ge-setzt. Durch den Druckunterschied zwischenBehälter und Atmosphäre strömt Luft in die

offene Rohrmündung und füllt den Behälterauf. Es bildet sich eine instationäre Rohr-strömung aus, die nach den Gesetzen der in-stationären Gasdynamik berechnet werdenkann. Eine erste Druckwelle läuft im Rohrzur linken Rohrmündung und löst nachihrem Eindringen eine Erhöhung des Behäl-terdruckes pB aus, der noch über den At-mosphärendruck p0, also dem Gleichge-wichtszustand, hinausschwingt. Dieser Vor-gang wiederholt sich periodisch. Ein Druck-berg folgt auf ein Drucktal, Bild 29.1b. Wegender Strömungsverluste klingt die Druck-schwingung auf null ab. Der Behälter hatsich bis zum Druck p0 aufgefüllt. Die für das

Behältersystem typische Schwingungszahlpro s ist die Eigenfrequenz νo. Das umge-kehrte Verhältnis, die Zeit in s pro Schwin-gung, ist die Schwingungsdauer t0. Im Ein-zelnen ist νo und t0 abhängig vom Behäl-tervolumen V, Rohrquerschnitt A, von derRohrlänge l und Schallgeschwindigkeit a. Esist also relativ einfach, ein solches Systemauf eine bestimmte Frequenz νo und Schwin-gungsdauer t0 abzustimmen.

Wird die Schwingung durch eine äußere, pe-riodisch wirkende Kraft aufrecht erhalten,und stimmt die Frequenz der Kraft mit derEigenfrequenz des Behältersystems überein,

Bild 25: Kennlinienvergleich pe = f(n) des Motors M104 (300 E-24) und M103 (300 E)Fig. 25: Comparison of the characteristic curves: pe = f(n) of the M104 (300 E-24) with the M103(300 E)

Bild 26: Physikalisches Modell des Ansaug-taktes des Motors M104 (320 E), (Modell 1)1 Zylinder, 2 Schwinrohr, 3 Verteilerbehälter, 4 Heiß-film-LuftmassensensorFig. 26: Physical model of the intake stroke ofthe M104 (320E), model 11 cylinder, 2 ram manifold, 3 plenum chamber, 4 hotfilm air mass sensor

Bild 27: Liefergrad des Motors M104 (320 E) bei VollastFig. 27: Supply efficiency of the M104 (320E) at full load

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so schaukeln sich die Druckamplituden imBehälter bis zu einem Maximalwert auf. Estritt Resonanz ein, die Basis für das physi-kalische Modell 2, mit dem die Lösung desProblems gelingen sollte.

Die Bilder 29.2a und 29.2b stellen Wirkraumund physikalisches Geschehen des Modells2 dar. Die periodisch wirkende Kraft über-nimmt in Anlehnung an unser motorischesZylinder-Kolbensystem ein axialgeführterKolben, der sich mit der Frequenz νK hin undher bewegt. Bei νK = νO liegt Resonanz vor.

Die Zusammenführung von Modell 1 undModell 2, insbesondere die ihrer Wirkräume,zum Modell 3 zeigt Bild 30. Die direkte vi-suelle Verknüpfung beider Assoziations-glieder hat wieder großen Anteil an der Pro-blemlösung. Allerdings ist zunächst ein we-sentliches Hindernis zu überwinden, dennein einzelner Kolben des Sechszylinder-Mo-tors ist nicht in der Lage den Druck pVB desVerteilerbehälters in resonanzähnliche fort-laufende Schwingungen zu versetzen. Seine

Anregung bleibt auf den Ansaugtakt einesZylinders beschränkt und dieser tritt nur je-de zweite Kurbelwellenumdrehung auf. Ei-ne lückenlose periodische Anregung findetdurch ihn nicht statt.

Die Zündfolge des Sechszylinder-Motorsmacht es jedoch möglich, daß jeweils dreiZylinder zusammengefaßt eine fortlaufen-de periodische Anregung ergeben. Es sind je-doch zwei unabhängige Verteilerbehälter er-forderlich. Der konstruktiven Lösung kommtentgegen, daß die Kolben der nebeneinan-derliegenden Zylinder 1 bis 3 und 4 bis 6 aufje einen Behälter einwirken müssen.

Der Wirkraum des Modells 2 nach Bild 30.2läßt sich deshalb gleich zwei mal im Modell3 nachweisen, Bild 30.3: Wirkraum (1) be-steht aus der unteren Hälfte (3) des Vertei-lerbehälters mit den drei Schwingrohren derZylinder 1, 2, 3 und dem Resonanzrohr (6),dessen wirksame Länge von seiner Ein-mündung in die Abzweigung der An-saugleitung abhängt. Wirkraum (2) über-

nimmt als zentralen Behälterraum die obe-re Hälfte (4) des Verteilerbehälters mit Re-sonanzrohr (7) und ist durch eine verstell-bare Klappe (5), wenn sie waagerecht gestelltist, von der unteren getrennt. Beide Wirk-räume für sich sind durch die periodischeKolbenanregung der Zylinder 1 bis 3 und 4

Bild 28: Zustandsver-lauf an der Stelle XI beider Drehzahl n = 3250l/min, (Motor M104(320 E))Fig. 28: Course of stateat location XI at n =3250 rpm and full load(M104 (320E))

Bild 29: Entwicklung des physikalischen Mo-dells 2 (Motor M104 (320 E))29.1a: Behälterrohrsystem1 Behälter, 2 Resonanzrohr29.1b: Druckverlauf im Behälter bei instat.Auffüllvorgang (Eigenfrequenz ν0, Schwin-gungsdauer to)29.2a: Resonanzfähiges Behälterrohrsystem(Modell 2) 3 oszill. Kolben (Frequenz νk)29.2b: Druckverlauf bei ResonanzFig. 29: Development of the physical model 2(M104 (320E))29.1a: Receptacle-pipe system1 receptacle, 2 ram induction pipe29.1b: Pressure course inside the receptacle forunsteady intake (natural frequency ν0, oscilla-tion time t0)29.2a: Receptacle-pipe system made for reso-nance (model 2) 3 oscillating piston (frequency νk)29.2b: Pressure course for resonance

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bis 6 resonanzfähig. Die geometrischen Pa-rameter des Wirkraumes (1) und (2) sind soausgelegt, daß ihre Eigenfrequenz ν0 der An-regungsfrequenz νK durch je drei Kolben-hübe entspricht. Bei einer gewünschten Re-sonanzdrehzahl von n = 3250/min ergibt sichfür beide Zylindergruppen eine Anregungs-frequenz von νK = 81,25 Hz. Die beiden Mo-delle arbeiten als Resonanzsysteme, wennsie durch die quergestellte Klappe (5)von-einander getrennt sind. Bei Längsstellungder Klappe sind alle Zylinder mit dem un-geteilten Verteilerbehälter verbunden. DasAnsaugsystem arbeitet dann als Schwing-saugrohrsystem, so wie es Modell 1 in Bild30.1 vorschreibt.

Welches physikalische Geschehen steht nunhinter diesem komplexen Wirkraumsystemdes Modells 3 und welche Liefergradcharak-teristik geht daraus hervor? Das letztlich po-sitive Ergebnis, das sich nach einer längerenEntwicklungsperiode ergeben hat, läßt sichwie folgt zusammenfassen.

Bild 30.3 zeigt den Verlauf der Druck-schwingung pVB1 und pVB2 als charakteristi-sches Ergebnis der Resonanz in den beidenHälften des Verteilerbehälters über dem zeit-proportionalen Kurbelwinkel ϕ aufgetragen.In Bild 31 ist der Druckverlauf pVB1 über demKurbelwinkel ϕ des Zylinders 1 bei der Re-sonanzdrehzahl n = 3250/min genauer dar-gestellt. Während eines Arbeitsspiels diesesZylinders (720 °KW) treten in der unterenHälfte des Verteilerbehälters drei volleDruckschwingungen auf. Die Schwin-gungsdauer t0 pro Einzelschwingung ent-spricht einem Kurbelwinkel von ϕ0 =240 °KW. Bei offener Klappenstellung – sie

Bild 30: Entwicklung des physikalischen Mo-dells eines kombinierten Schwing- und Reso-nanzsaugrohrsystems (Motor M104 (320 E))30.1: physik. Modell 130.2: physik. Modell 230.3: physik. Modell 31 Wirkraum Modell 2a, 2 Wirkraum Modell 2 b, 3 unte-re Hälfte Verteilerbehälter, 4 obere Hälfte Verteiler-behälter, 5 Resonanzklappe, 6 Resonanzrohr 1, 7 Reso-nanzrohr 2, 8 Druckverlauf in Behälterhälfte 3 bei Re-sonanz, Druckverlauf in Behälterhälfte 4Fig. 30: Development of the physical modelfor a combined ram manifold and ram induc-tion system (M104 (320E))30.1 Physical model 130.2 Physical model 230.3 Physical model 31 „Wirkraum“ model 2a, 2 „Wirkraum“ model 2b, 3 lo-wer half of plenum chamber, 4 upper half of plenumchamber, 5 resonance flap, 6 ram manifold 1, 7 ram ma-nifold 2, 8 pressure course in receptacle part 3 for reso-nance, pressure course in part 4

Bild 31: Verlauf von pVB1 beiResonanzdrehzahl n = 3250l/min, Resonanzklappe zu1 Druckberg im UT-BereichFig. 31: Course of pVB1 for re-sonance rated speed n =3250 rpm, resonance flapclosed 1 pressure peak at BDC

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bedeutet Resonanzfreiheit – stellt sich da-gegen der Druck pVBm im ungeteilten Behäl-ter ein. Er zeigt einen nahezu konstantenVerlauf. Entscheidend für die Verbesserungdes Liefergrades im Resonanzfall ist die hal-be Einzelschwingung (1), deren Druckbergsich im UT vor dem Schließpunkt ES der Ein-laßventile des Zylinders (1) einstellt. Die Am-plitude des Druckbergs liegt um etwa 0,1 barhöher als der Behälterdruck pVBm bei Reso-nanzfreiheit, Bild 31. Dieser Druckberg ver-mittelt den rechtslaufenden Saugwellen pRund uR im Schwingsaugrohr des Zylinders (1)

Bild 31: Verlauf von pVB1 bei Resonanzdrehzahl n = 3250 l/min, Re-sonanzklappe zu1 Druckberg im UT-BereichFig. 31: Course of pVB1 for resonance rated speed n = 3250 rpm, reso-nance flap closed 1 pressure peak at BDC

Bild 32: Zustandsverlauf an der Stelle XI bei der Resonanzdrehzahln = 3250 l/min, Resonanzklappe zu (Motor M104 (320 E))Fig. 32: Course of state at location XI at resonance rated speed n = 3250 rpm, resonance flap closed (M104 (320 E))

Bild 33: Verbesserter Liefergradverlauf durch Resonanzaufladung (Motor M104 (320 E))Fig. 33: Advanced course of supply efficiency by ram induction pipe supercharge ((M104 (320E))

Bild 34: Kombiniertes Ausaugsystem in Reso-nanzstellung (Motor M104 (320 E))1 Ansaugleitung, 2 Resonanzklappe zu, 3 Resonanz-klappe auf, 4 Resonanzrohr 1, 5 Resonanzrohr 2Fig. 34: Combined intake system in resonanceposition (M104 (320E))1 intake manifold, 2 flap of variable resonance intakemanifold closed, 3 flap of variable resonance intake ma-nifold open, 4 ram induction pipe1, 5 ram induction pipe 2

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eine verbesserte Reflexionsbedingung amVerteilerbehälter. Das Ergebnis sind ver-stärkte linkslaufende Reflexionswellen pLund uL, Bild 32. Dadurch tritt praktisch keinRückströmen nach UT mehr ein. Dies ist miteiner entsprechenden Liefergraderhöhungverbunden. Für alle anderen Zylinder gilt dasnatürlich ebenso.

Der berechnete Liefergradverlauf in Bild 33bestätigt, daß die Senke in der Liefergrad-kurve, aufgetreten bei reiner Schwingrohr-aufladung, durch Einführung der Resonan-zaufladung verschwunden ist. Die Bereit-stellung des geforderten Kräftepotentials imunteren Drehzahlbereich ist zumindesttheoretisch gelungen. Nach endgültiger Aus-arbeitung der physikalischen Wirkräume zumaßstäblichen Entwürfen und Fertigungder Bauteile für das weiterentwickelte An-saugsystem läßt sich eine experiementelleAnalyse auf dem Prüfstand durchführen.Erst, wenn sie die theoretische Analyse be-stätigt hat, ist der Innovationsprozeß des op-timierten Ansaugsystems abgeschlossen. 3.3.2 Schnittdarstellung und Kennlinien

des Motos M104 für den 320EDie Bilder 34 und 35 lassen ahnen, wievielEntwicklungsaufwand nach der ersten all-gemeinen Darstellung der Wirkräume nochzu erbringen war, um zu konkreten Ent-wurfszeichnungen des Ansaugsystems mitden Bauelementen der Schwing- und Reso-nanzsaugrohraufladung zu gelangen. Aberes bleibt festzuhalten, daß der Kern der Lö-sung bereits bei der physikalischen Model-lierung des Systems gefunden wird, Bild 30.Bild 34 enthält einen Ausschnitt des Systems,

um seine Wirkungsweise in Resonanzstel-lung noch einmal deutlich zu machen. DieKlappe ist geschlossen, Frischluft strömt ausder Ansaugleitung in die Resonanzrohre undin die beiden Hälften des Verteilerbehälters(nur die rechte Hälfte ist dargestellt), vondort tritt sie über jeweils drei Schwingsaug-rohre in die Zylinder ein. Bild 35 zeigt einenLängs- und Querschnitt des Motors M104 mitkombiniertem Schwing- und Resonanz-saugrohrsystem für das Modell 320E.

Abschließend sind in Bild 36 und 37 die ge-

messenen Kennlinien des Motors M104 fürden 320E aufgenommen. Sie bestätigen dievorausberechneten Ergebnisse. Die Kurvedes Mitteldruckes pe in Bild 37 verzweigtsich. Sie zeigt einmal seinen Verlauf, wenndie Schwingsaugrohraufladung alleine wirktund sich dabei die Senke ausbildet, und zumanderen ihre Beseitigung durch Kombinati-on mit der Resonanzsaugrohraufladung. Inder oberen pe-Kurve sind auch die Schalt-punkte besonders gekennzeichnet, wo Ein-laßnockenwelle und Resonanzklappe ihrejeweils gültige Einstellung erhalten. Die pe-Kurve des M104 für den 300E-24 wurde mitaufgenommen, um den Erfolg dieses Ent-wicklungsabschnittes deutlich zu machen.

5 Nachwort

Der Einsatz des Computers wird beim be-schriebenen Innovationsprozeß nur indirekterwähnt. Das ist bewußt geschehen. Er hatals intelligentes Werkzeug des Entwick-lungsingenieurs bei der Berechnung der Mo-torprozesse und der Erstellung technischerZeichnungen hervorragende Dienste gelei-stet. Es war nicht die Absicht dieses Berich-tes, diese Hilfestellung besonders herauszu-stellen. Es kam vielmehr darauf an, deutlichzu machen, daß die entscheidenden Fort-schritte bei technischen Innovationen durchdie Gedankenarbeit der Entwicklungsinge-nieure und nicht durch den Computer ge-macht werden. Dieser Bericht sollte auch zei-gen, daß diese Gedankenarbeit wesentlicheffektiver ablaufen kann, wenn sie syste-

Bild 35: Längs- und Querschnitt des Motors M104 (320 E)1 Ansaugleitung, 2 Klappenantrieb, 3 Resonanzrohr 2, 4 Resonanzklappe, 5 Schwingrohr, 6 Verteilerbehälter, 7 Ein-laßkanal, 8 Einlaßventil, 9 NockenwellenverstellerFig. 35: Longitudinal- and cross-section of the M104 (320E)1 intake manifold, 2 flap control drive, 3 ram induction drive2, 4 resonance flap, 5 ram manifold, 6 plenum chamber,7 intake duct, 8 intake valve, 9 camshaft adjuster

Bild 36: Kennlinien Pe =f(n) und Md = f(n) desMotors M104 (320 E)Fig. 36: Characteristiccurves Pn = f(n) and Md =f(n) of the M104 (320E)

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matisch durchgeführt wird oder noch bes-ser, einer Denkstrategie folgt. Nachteil einersolchen Strategie ist, daß ihr Inhalt sich nurallgemein formulieren läßt. Die Umsetzungin eine idividuelle Lösung, die eine aktuelletechnische Frage- oder Problemstellung er-fordert Erfahrung und Fachwissen. Letztereskann nur durch intensive Schulung gesam-melt werden.

Literaturhinweise

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Der VerfasserProf. em. Dr.-Ing. Hans Sei-fert war von 1969 bis 1992Inhaber des Lehrstuhls fürKonstruktionstechnik I ander Ruhr-Universität Bo-chum. Zur Zeit ist er Ge-schäftsführer der CranioConstruct Gesellschaft fürindividuelle ImplantatembH, Bochum.

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Bild 37: Kennlinienvergleich: pe = f(n) des Motors M104 (320 E) und M104 (300 E-24)Fig. 37: Comparison of the characteristic curves: pe = f(n) of the M104 (320E) with the M104 (300E-24)