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Schrottpapiere

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Papiere, vor dem Papierkorb gerettet.

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Covergestaltung Ulrike Kirsch

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Rolf Kirsch

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Amortisation

Ich will nicht indiskret sein, Herr Ludwig. Aber seit Tagen lassen Sie in allen Zimmern Ihres Hau-ses das Licht Tag und Nacht brennen. Gibt es et-was Besonderes?

Es ist so. Ich habe mit einem nicht unerheblichen Kapitaleinsatz die gesamte Beleuchtung auf Spar-birnen umgestellt. Jetzt bin ich auf eine möglichst schnelle Amortisation angewiesen.

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Bleiben Sie dran

Moderatorin: Sehr geehrte Damen und Herren, vor kurzem ging die Aufsichtsratssitzung der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstal-ten zu Ende. Wie wir wissen, ging es in dieser Sitzung unter anderem um die Fortsetzung der Fi-nanzierung unseres Service durch Gebühren und damit auch darum, inwieweit in Zukunft unsere Leistungen weiterhin werbefrei angeboten wer-den können.Unserem Reporter Jens Weichaus gelang es im Anschluss an die Sitzung, Herrn Prof. Dr. Gerd E. Zett zu einem kleinen Interview über das Ergeb-nis der Zusammenkunft zu bewegen.Dieser Beitrag wird gesponsert von Kaumanns Dauerwurst, der würzigen aus dem Sauerland. Bitte Jens:

Weichaus: Schönen Dank, Herr Dr. Zett, dass Sie bereit sind, uns über das Ergebnis der Sitzung zu unterrichten. Was dürfen Sie uns sagen?

Dr. Zett: Meine Antwort, die unterstützt wird von Salbauers Schuhcreme, die leicht auftragbare,

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lautet: Wir halten an der totalen Werbefreiheit fest. Außer dem Zeitfenster vom späten Nachmit-tag ab eins bis zum frühen Abend um acht werden unsere Programme – im Gegensatz zu den Pro-grammen unserer privaten Kolleginnen und Kol-legen – nicht durch Werbung unterbrochen. Um unsere Leistungen auch in Zukunft in der ge-wohnten Weise anbieten zu können, bleiben wir bei der Finanzierung leider auf geringe Gebühren angewiesen.

Weichaus: In der Bevölkerung, die ja wenig un-terrichtet ist, wie teuer zum Beispiel ein gut ge-führtes Interview sein kann, wird gelegentlich der Vorschlag laut, auch die Werbung in dem von Ih-nen angesprochenen Zeitfenster zu streichen und ganz auf Gebühren zu setzen. Ist darüber gespro-chen worden?

Dr. Zett: Selbstverständlich nehmen wir alle An-regungen aus der Bevölkerung auf und selbstver-ständlich wurde dieser Vorschlag auch ausführ-lich angerissen. Mit Unterstützung der Weiss-zahn-Pasta, der guten für den Rundumschutz der ersten, zweiten und dritten Zähne, darf ich Ihnen

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mitteilen, dass wir in einem kleinen, festgelegten Zeitrahmen auf geringe, kaum merkbare Wer-bung angewiesen sind. Würden uns diese Einnah-men von politischer Seite auf Druck der Bevölke-rung genommen, müssten die Gebühren ins Uner-messliche steigen.

Weichaus: Eine letzte Frage, Herr Dr. Zett, eine Frage, die nicht nur von Bromberger Bier, dem feinherben aus der Eifelquelle unterstützt wird, sondern auch für unsere Hörer und Zuschauer von großer Bedeutung sein wird. Wie sieht die Zu-kunft aus?

Dr. Zett: Die Zukunft, junger Mann, die Zukunft liegt bei ASFAG Investment, dem offenen Fond für Ihre persönliche Altersvorsorge, und beim öf-fentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen. Wir dürfen uns nicht stören lassen durch unqua-lifizierte Vorschläge aus der Bevölkerung oder aus der Politik, für die nun einmal das Finanzge-bahren unserer Anstalten nicht durchschaubar ist.

Weichaus: Meinen Dank für dieses kurze State-ment, Herr Dr. Zett, verbinde ich mit dem Hin-

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weis auf Möfmanns Hundefutter, das beste für Ih-ren Liebling. Nach einer kurzen Werbeunter-brechung gebe ich zurück ins Studio. Bleiben Sie dran.

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Bredenberg muss mit dem Hund 'raus

Bredenberg, der gerne über alles Mögliche nach-denkt, denkt darüber nach, ob das Mögliche, über das er nachdenkt, auch immer das Wirkliche ist.

Im Denken ist alles möglich, denkt Bredenberg. Das nennt man das Denkmögliche. Aber wenn das Denkmögliche in seinem Kopf ist, ist es dann auch wirklich? Und wenn man das Denkmögliche aufschreibt, dann ist das Denkmögliche auf dem Papier, in Buchstaben, Wörtern, Gedanken befe-stigt, für jedermann nachlesbar, also wirklich?

Und dieser, der es liest, das Denkmögliche, denkt Bredenberg, sorgt nun dafür, dass das Denkmög-liche sich bei ihm einnistet, in seinem Kopf ist und wer weiß was anrichtet. So ist das Denkmög-liche nun auch bei einem anderen, aber auch noch bei mir, denkt Bredenberg, aber wirklich?

Und wenn der andere etwas tut, weil das Denk-mögliche in ihm ist, etwas tut, was er nicht getan hätte, wenn das Denkmögliche nicht in ihm ge-wesen wäre, dann, so fragt sich Bredenberg, wer

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trägt die Verantwortung für das Verwirklichte?

Dann ist das Denkmögliche richtige Wirklichkeit geworden oder aber es ist etwas Wirklichkeit ge-worden, was ohne das Denkmögliche nicht Wirk-lichkeit geworden wäre. Wer aber trägt die Ver-antwortung?

Kann Bredenberg, denkt Bredenberg, unter diesen Umständen noch ein von ihm beschriftetes Papier herumliegen lassen? Was kann nicht alles passie-ren mit diesen Denkmöglichkeiten auf dem Pa-pier, denkt Bredenberg. Wer aber ist verantwort-lich?

Kann Bredenberg, denkt Bredenberg, unter diesen Umständen überhaupt noch etwas aufschreiben?

Darf Bredenberg, denkt Bredenberg, unter diesen Umständen überhaupt noch Denkmöglichkeiten denken?

Aber, beruhigt sich Bredenberg, das Denkmögli-che ist nur möglich, es muss nicht wirklich wer-den.

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"Ich denke, du musst jetzt mit dem Hund 'raus!" ruft Bredenbergs Frau. Diese Denkmöglichkeit wird nun Wirklichkeit, denkt Bredenberg. Alles andere wäre nicht zu verantworten.

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Denken

Bredenberg, der gerne über alles Mögliche nach-denkt, hat kürzlich durch Denken herausgefun-den, dass sein Denken so verläuft, als würde er, Bredenberg, mit sich selber, mit ihm, Bredenberg, sprechen.

Und so ahnt Bredenberg, dass Denken in densel-ben oder wenigstens in gleichen Strukturen ver-läuft wie Sprechen. Bredenberg bildet beim Den-ken Wörter wie beim Sprechen, kombiniert sie zu Gedanken wie beim Sprechen zu Sätzen, nur, so Bredenberg, beim Denken bleiben die Lippen un-bewegt. So ähnlich muss es sein, denkt Breden-berg.

Niemand wird wissen, solange Bredenberg nicht spricht, was Bredenberg denkt, aber nicht sagt,denkt, gerne gesagt hätte, aber lieber nicht sagt,denkt, was er irgendwann sagen wird, wenn die Gelegenheit günstig ist, bislang aber lieber nur denkt,denkt, was er sagen wird, aber anders, höflicher, nicht so direkt, wie Bredenberg jetzt im Augen-

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blick denkt.

Wenn Bredenberg denkt, aber vorläufig nichts sagt, so wird Bredenberg es vielleicht später an-ders sagen als er jetzt denkt. Vielleicht wird das, was er sich ausdenkt, wie er etwas sagen wird, sein Denken verändern und schließlich wird Bre-denberg es dann so sagen und anschließend glau-ben, so wie er es gesagt hat, hat er es auch ge-dacht.

Noch ärger wird es, denkt Bredenberg, wenn man etwas denkt und dann aufschreibt. Wenn etwas aufgeschrieben ist, kann man es lesen. Bevor es andere lesen, liest Bredenberg es selbst. Immer wieder, bis Bredenberg denkt, dass der eine oder andere Gedanke geändert werden müsse, damit seine Gedanken, Bredenbergs Gedanken, auch je-dermann versteht.

Die anderen, die Bredenbergs Gedanken, in auf-geschriebenen Sätzen befestigt, verstehen sollen, sehen nicht Bredenbergs Gedanken, sondern Bre-denbergs Wörter. Damit sie Bredenbergs Gedan-ken verstehen können, müssen sie Bredenbergs

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Wörter verstehen, zu Sätzen montieren und zu Gedanken verbinden. Während sie dieses tun, so wird Jedermann dabei selber denken und es nicht lassen können, so jedenfalls denkt Bredenberg.

Sie werden denken: Wer ist überhaupt dieser Bre-denberg? Worum geht es hier? Was will dieser Bredenberg wirklich? Warum mischt sich dieser Bredenberg überhaupt in meine Gedanken? Was soll ich davon denken? Und das, während sie Bre-denbergs Wörter lesen oder hören.

Und Bredenberg ahnt jetzt, dass Jedermann, der Bredenbergs Wörter liest oder hört, beim Ver-stehen, Montieren und Verbinden dieser Wörter zu Gedanken selbst denkt und damit gar nicht denken kann, wie Bredenberg gedacht hat, son-dern nur annähernd, vage, missverständlich, viel-leicht gar nicht, wie, weiß Bredenberg auch nicht.

Und Bredenberg denkt, dass es deswegen gar nichts taugt, Gedanken mitzuteilen oder aufzu-schreiben. Bredenbergs Gedanken würden nie in Jedermanns Kopf ankommen als Bredenbergs Gedanken, sondern als Bredenbergs Wörter und

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Sätze vermischt mit den Gedanken von Jeder-mann.

So denkt Bredenberg, dass es besser ist, seine Ge-danken niemandem zu erzählen oder aufzuschrei-ben, nur so bleiben die Gedanken, Bredenbergs Gedanken, lauter, rein, von niemandem verändert, unmissverständlich.

So ist Bredenberg traurig, dass niemand seine Ge-danken jemals wirklich kennen wird, niemals. Was er auch erzählt und was er auch aufschreibt.

Deshalb verärgert schreibt Bredenberg einen Ge-danken aus frühen Kindertagen auf einen Zettel, wissend, dass dieser Gedanke von jedem, der diesen Gedanken liest, auf seine Art missver-standen werden wird. Viel Spielraum gibt es da-für aber nicht, denn der Gedanke ist klar und ein-fach, die tragenden Wörter sind wenig und über-sichtlich.

Und das ist der Satz auf Bredenbergs Zettel, sei-nen Gedanken unverfälscht enthaltend, ihn erhei-ternd:

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Wer das liest, ist doof.

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Der Ausschuss

Nekisch: Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen. Ich stehe hier vor der Tür, hinter der die Aus-schusssitzung jeden Moment zu Ende gehen muss. Die Abgeordneten tagen seit gestern 19.00 Uhr, das heißt, seit etwa neun Stunden. Gegen 24 Uhr wurde eine Reihe belegter Brötchen in das Sitzungszimmer gebracht, einige Abgeordnete traten heraus. Niemand sah sich jedoch zu diesem Zeitpunkt in der Lage, etwas über den Ausgang der Sitzung oder über ihren Verlauf zu berichten. Mit mir warten noch eine Reihe unermüdlicher Journalisten und Berichterstatter der Medien...

...Moment, ich sehe gerade, die Tür öffnet sich, ...einen Augenblick... ich muss mich mal.... Entschuldigung.... ein bisschen vordrängeln, so ....Herr Werning, Herr Werning, Herr Abge-ordneter Werning, wären Sie bereit, ....Herr Wer-ning, wären Sie bereit, unseren Zuhörern und Zu-hörerinnen etwas über das Ergebnis der Aus-schusssitzung zu verraten. Was ist beschlossen worden?

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Werning: Bevor ich Ihre Frage beantworte, möch-te ich mich nach so einer langen Sitzung erst einmal bei den hier wartenden Journalisten aus Presse, Funk und Fernsehen sehr bedanken, dass sie so lange - ich glaube es sind ja jetzt fast neun oder zehn Stunden - ausgehalten haben, um über das Ergebnis dieser wichtigen Ausschusssitzung, die für die Zukunft unseres Landes, ja ich darf sagen, für die weitere Zukunft unseres Landes nicht ohne entscheidende Bedeutung sein wird, .... bitte halten Sie mir Ihr Mikrofon nicht so dicht,... danke, so geht es ...wo war ich stehen geblieben... also für die Zukunft unseres Landes eine große Bedeutung haben wird.

Neckisch: Danke, Herr Werning, aber was wurde beschlossen?

Werning: Das kann man nicht mit einem Satz be-antworten. Sie wissen, es handelt sich um eine schwierige Materie. Auch Presse, Funk und Fern-sehen und die hier anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Medien, für die ich mich immer gerne zur Verfügung stelle, auch in dieser so spä-ten Stunde, hatten in der Vergangenheit doch oft -

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ich muss mich vorsichtig ausdrücken - manchmal die große Schwierigkeit, diese so komplizierten Sachverhalte den Bürgerinnen und Bürgern drau-ßen im Lande so darzustellen, dass diese es auch so verstehen konnten, wie die Regierungsvorlage, die mit viel Mühe von Fachleuten und Juristen er-arbeitet wurde, aufzufassen gewesen wäre. Die über diese Vorlage herum entstandene Diskus-sion, die nicht immer den Wissens- und Kenntnis-stand widerspiegelte, der erforderlich gewesen wäre, einen solch komplexen Gegenstand zu durchdringen, tat ein Übriges, um das Verständ-nis zu erschweren.

Neckisch: Ich kehre zu meiner Anfangsfrage zurück: Was wurde beschlossen?

Werning: Bevor ich Ihre Frage beantworte, möch-te ich, und ich glaube, ich spreche für alle Teil-nehmerinnen und Teilnehmer dieser so wichtigen und entscheidenden Ausschusssitzung, betonen, dass die gesamte Sitzung in einer sehr guten Atmosphäre stattgefunden hat und verlief. Die Diskussion wurde getragen durch sehr hohen Sachverstand aller Beteiligten. Wir haben wieder

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einmal bewiesen, dass verschiedene Parteien zu einer gemeinsamen Lösung imstande sind, wenn der gute Wille nicht fehlt. Die heutige Ausschuss-sitzung war auch ein guter Tag für die Demokra-tie in unserem Lande.

Nekisch: Können Sie uns nun etwas über das Er-gebnis der Sitzung sagen?

Werning: Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sitzung waren sich zum Schluss darüber ei-nig, dass wir in dieser komplexen Materie ein ganzes Stück voran gekommen sind. Es gab viel Einigkeit in vielen Punkten. So konnten wir uns darauf einigen - mit Ausnahme weniger Gegen-stimmen von ganz links - dass eine Unterbre-chung der Sitzung nicht vor 24 Uhr stattfinden sollte. Auf diese Weise haben wir auch dafür ge-sorgt, dass ein gewisser äußerlicher Druck auf-recht erhalten blieb, der den auch in unseren Reihen so oft vorkommenden Vielrednern und Schwätzern einen gewissen Riegel vorschob. Der Erfolg der Ausschusssitzung, den wir nun in den frühen Morgenstunden zu gewärtigen haben, war auch dieser Tatsache geschuldet.

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Nekisch: Das Ergebnis der Sitzung, Herr Wer-ning, das Ergebnis der Sitzung...

Werning: Nun werden Sie mal nicht ungeduldig, junger Mann. Häufig ist das Ergebnis einer Sit-zung auch abhängig von den äußeren Umständen, unter welchen eine so wichtige und entscheidende Beratung stattfindet. Ich bemühe mich, das Er-gebnis, den Beschluss unseres Gremiums, in allen seinen komplizierten Facetten darzustellen. Die Regel der Medien, das eine Nachricht immer in einem Zeitrahmen von 90 Sekunden unterzubrin-gen sei, ist mein Ding nicht. Hier müssen Sie der Politik auch die Zeit geben, die nötig ist, einen komplexen Sachverhalt auch in seiner ganzen Differenziertheit darzustellen.

Ich komme aber jetzt zu Ihrer Frage, wenn Sie gestatten. Als Beschluss, als ein gemeinsamer Be-schluss aller Parteien, wurde festgehalten, dass es noch ein paar Bereiche gibt, über die wir im Lau-fe des Gesetzgebungsverfahrens auf Änderungs-vorschläge einzelner Fraktionen und eventuell auch einzelner Abgeordneter zurückkommen müssen und wollen. Zum Schluss wollen wir dem

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Deutschen Bundestag ein Werk vorlegen, das mit großer Mehrheit beschlossen werden kann. Das sind wir dem deutschen Volke schuldig. Nichts ist schlimmer als ein Gesetzeswerk, das nach we-nigen Monaten in der Praxis der Nachbesserung bedarf. Lieber in Ruhe eine gute Arbeit abliefern als hinterher ständig korrigieren müssen. Dieser Grundsatz der politischen Arbeit gilt auch für das normale Leben da draußen. Diesen Grundsatz, junger Mann, diesen Grundsatz dürfen Sie auch für Ihre Arbeit als Berichterstatter und Journalist in das Grundmuster Ihrer Medienarbeit gerne integrieren.

Nekisch: Ich möchte mich, Herr Werning, bei Ihnen recht herzlich für Ihre Aussagen bedanken. Können Sie uns zum Ende den wesentlichen Kern des heutigen Beschlusses in einem Satz sagen?

Werning: Aber selbstverständlich, nichts ist wich-tiger, als in kurzen Sätzen verständlich zu argu-mentieren. Die Demokratie lebt davon, dass das Volk weiß, worum es geht und in Wahlen seine wohl abgewogene und fundierte Entscheidung treffen kann. Niemandem ist damit geholfen,

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wenn....

Nekisch: Herr Werning, bitte Ihre Kernaussage, bitte....

Werning: Wir machen weiter, wie immer.... zum Wohle...

Nekisch: Danke, Herr Werning.

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Der freie Wille

Bredenberg, der gerne über alles Mögliche nach-denkt, legte sich an einem sonnigen Maitage, an welchem zum ersten Male im Jahr die Erde für ihn, Bredenberg, wieder warm war, ins Gras, als ein Marienkäfer sich auf einem Grashalm nie-derließ. Bredenberg beobachtete das Ereignis und über-legte, ob es der laue Frühlingswind war, der den Käfer sanft, aber zwingend, auf den Halm als Landeplatz verwies oder ob es der Käfer selbst war, der sich für diesen und keinen der anderen tausend Halme entschied. Bredenberg beobachtete, wie der Käfer erst eine Weile inne hielt, seine schwarzen Flügel unter die roten Deckplatten faltete, schließlich sich auf den Weg zur Spitze des Halms machte und, dort an-gekommen, erneut eine kleine Pause einlegte. Bredenberg beobachtete auch, wie der Käfer sich nach mehreren Seiten umsah, offensichtlich die Entscheidung suchte, in welche Richtung er wie-

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der abfliegen solle, schließlich sich aber wieder auf den Weg, der Bahn folgend, die der Halm vorschrieb, nach unten machte. Bredenberg war sich nicht sicher, ob der Käfer sich entschied, auf einen erneuten Start zu verzichten oder ob es die Käfernatur war, die ihn zwang, so zu handeln. Auf halbem Weg nach unten machte der Käfer, so beobachtete es Bredenberg, erneut eine Pause, um sich anschließend wiederum auf den Weg nach oben zu machen. Hier angekommen, schaute sich der Käfer, den Kopf leicht angehoben, offen-sichtlich wieder um, verzichtete jedoch abermals auf seinen Abflug, um zum zweiten Male den Weg nach unten anzutreten. So gewahrte es Bre-denberg.

Er, Bredenberg, beobachtete diese Vorgänge noch einige Male, bis der Käfer, nun wieder an der Spitze des Halms angelangt, schließlich seine Deckplatten anhob, seine Flügel entfaltete und sich dem warmen Frühlingswind anvertraute. Bredenberg wollte nun nicht mehr annehmen, dass das Verhalten des Käfers auf die Kraft ei-

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genen Käferwillens zurückzuführen sei. Dieses Hin und Her, so dachte Bredenberg, liege nur da-ran, dass der Käfer auf bestimmte Reize, viel-leicht besondere Duftstoffe, wartete, um gezwun-gen durch das Käfersein abzuheben. Und, so dachte Bredenberg, wenn er, der Käfer, diese Düfte nicht aufnehmen könne, dieser stattdessen laufen müsse, so laufen müsse, wie es für seinen Lauf eine Bahn gab, der Natur entsprechend, bis ein anderer Reiz ihn hieß, zu tun, was zu tun sei. So ein kleiner Käfer, dachte Bredenberg, kann nur ein sehr kleines Gehirn haben, nicht groß ge-nug, um Entscheidungen aus der Kraft eines eige-nen Willens zu treffen, anders als er, Bredenberg, es offensichtlich vermochte. Er war froh, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Lebewesen zu ei-ner Gattung gehörte, die über einen vollkommen freien Willen verfügen konnte. So wollte Bredenberg seinen freien Willen da-durch erproben, indem er sich die Entscheidung vorlegte, liegen zu bleiben oder aufzustehen. Als er sich entschied, aufzustehen und dieser Ent-scheidung die dazu gehörende Tat folgen ließ,

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war er sich nicht sicher, ob es sein freier Wille war oder ob ihn etwas veranlasste. Also legte sich Bredenberg erneut ins Gras. Aber auch diese Entscheidung befriedigte ihn nicht, weil Bredenberg nicht wusste, ob sie sei-nem freien Willen entsprach oder aber auf elek-trochemische Vorgänge in seinem Hirn zurückzu-führen sei, deren Verlauf er nicht beeinflussen konnte. Um seinen freien Willen erneut zu prü-fen, stand Bredenberg wiederum auf. Bredenberg wiederholte das Niederlegen und Aufstehen einige Male, ohne genau zu wissen, ob nun sein freier Wille ausschlaggebend war oder die Beobachtung des Käfers, die seinem Gehirn die Reize versetzt hatte, jene Denkmuster zu er-zeugen, die Bredenberg veranlassten, sich hinzu-legen und wieder aufzustehen, sich so zu verhal-ten, wie es der Gattung, zu der Bredenberg gehör-te, von Natur aus vorgeschrieben ist.

Bredenberg stand schließlich auf, ging davon und hatte das Gefühl, beobachtet worden zu sein.

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Der Pepita-Mann

Da stand er, als ich die Haustür aufmachte. Ein kleiner, etwas gedrungener Kerl in einer für das Wetter zu warmen Pepita-Jacke, mit tiefschwar-zer, zerbeulter Hose und einer kantigen, schwar-zen Aktentasche. 'Vertreter', ordnete ich sofort ein und setzte daher meine böseste Anti-Beschaf-fungs- und Erwerbs-Miene auf.

"Einen wunderschönen Tag wünsche ich", schrie er mit aufgesetzter Melodie und viel zu heller Stimme.

"Ich komme vom Umfrage-Institut I... und habe den Auftrag, in dieser Umgebung sieben Perso-nen aufzusuchen, um eine Umfrage durchzufüh-ren. Es geht nicht um den Verkauf von Produk-ten. Wären Sie dazu bereit?"

Diese Frage benötigte eine schnelle Antwort. Ir-gendeine ablehnende Antwort oder das Zuwerfen der Haustür würden durchaus reichen. Eine Be-gründung braucht man nur für sich selbst.

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Ich habe mal gelesen oder gehört, dass, bevor man eine Antwort bewusst gibt, das Gehirn schon Bruchteile von Sekunden vorher weiß, wie eine Entscheidung ausfällt, bevor man selber glaubt, dass man eine Entscheidung trifft. Ist das richtig, dann benötigt man eigentlich keine Begründung mehr. Tatsächlich aber benötigt man einen Grund, und zwar für sich selbst, für den Frieden mit seiner Seele. Eine Rede, die ausreicht, das ri-gide Abwimmeln dieses Kerlchens, das einem in Wirklichkeit leid tut, zu rechtfertigen.

Schließlich macht er nur seinen Job. Er muss den Leuten auf den Pelz rücken und seine Fragen los-werden, selbst wenig interessiert an den Antwor-ten, die er einfängt. Dafür belohnt ihn das Umfra-ge-Institut mit einer existenzsichernden Beloh-nung am Monatsende.

Längst ist der Kerl abgewimmelt. Meine Antwort hat sein Gesicht und seine stramme Körperhal-tung zusammenfallen lassen. Die helle Miene wurde sofort grau und Humorlosigkeit und Desin-teresse fielen über diesen Körper her und ließen auch seine Pepita-Jacke plötzlich fahl erscheinen.

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Seine schwarze Hose erschien schmuddelig und zerbeult wie ein Kartoffelsack. Mit gestöhntem Gruß machte er sich davon.

Sieben Personen aus dieser Gegend. Warum ich? In dieser Gegend wohnen viele Personen. Warum ausgerechnet ich? Ich war gerade im Internet und die Leitung war noch offen. Außerdem war Frei-tag, die Mittagspause war beendet und das Rasen-mähprogramm, das ich mehrere Male am Tage erwähnt hatte, sollte unmittelbar starten.

Außerdem: Möglicherweise wollte der kleine Mann doch etwas verkaufen. Erst Fragen zur Al-tersvorsorge, dann noch eine kleine Zusatzrenten-versicherung, oder eine Begräbnisbeihilfe und andere unangenehme Krankheits- und Todesfall-urkunden, die vom Leben ablenken.

Weiterhin: Warum kommt er mit so einer absolut albernen Pepita-Jacke und mit angeschmuddelten schwarzen Hosen? Und schwarze, rechteckig-quadrige Aktenkoffer kann ich schon gar nicht leiden.Dazu noch: Diese schrille Stimme, diese Über-

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freundlichkeit, dieses falsche Schauspiel, nur um durch meine Haustür zu dürfen. Nicht mit mir!

Ich habe meine Begründungen. Sie spenden Trost und geben der Seele Ordnung.

Wenn nur nicht am Schluss sein graues Gesicht und die eingefallene Körperhaltung signalisiert hätten, dass er in diesem Viertel keine sieben Per-sonen mehr für seine Umfrage zusammen bekom-men würde, dass ich möglicherweise seine letzte Hoffnung wäre.

Warum macht er mich schuldig mit seinem hoff-nungsarmen und kaum vernehmbaren Gruß zum Schluss? Ich kann nicht schuldig sein, nur weil ich keine Fragen beantworten möchte.

Ich war machtlos. Ich konnte mich nicht ument-scheiden, diesen resignierten Menschen wieder zurückzuholen aus seiner Traurigkeit, ihn ins Zimmer zu bitten, damit er mit Siegesgewissheit seinen Laptop aus seinem schwarzen Koffer holt.

Mein Gehirn hatte schon eine Entscheidung ge-

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troffen, vermutlich, bevor er überhaupt geklingelt hatte, vermutlich, bevor ich überhaupt etwas von diesem kleinen Kerl und diesem unsinnigen Um-frage-Institut gehört hatte. Mein Gehirn hatte den Fall abgeschlossen, bevor es mich beteiligte. Ich war nur noch ausführendes und gehorsames Or-gan. Man konnte nichts dagegen tun. Schließlich besteht schon wissenschaftlich kein Zweifel daran, dass, bevor man sich entscheidet, das Ge-hirn die Entscheidung schon kennt.

Ein freier Wille stand schließlich nicht zur Verfü-gung.

Den nächsten Pepita-Mann lass' ich herein.

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Der Twitter-Roman

Bredenberg hat einen Account bei Twitter, so wie Millionen. Bredenberg ist eben einer von Mil-lionen. Aber Bredenberg wird die Twitter-Be-grenzung von maximal 140 Zeichen zu einer neu-en Literatur-Form, dem Twitter-Roman, weiter-entwickeln. Damit wäre Bredenberg nicht mehr einer von Millionen, sondern einzigartig.

Bredenbergs erster Twitter-Roman lautet:

Bredenberg hat heute an seinem Gartenteich ge-arbeitet und eine Fontäne eingesetzt. Danach hat er viele Stunden zugesehen, wie es spritzt.

Bredenberg stellte sich vor, dass die Kritiker die-se neue Literaturform über den grünen Klee loben würden und diesen Twitter-Roman als Meilen-stein in der Geschichte der Literatur würden wer-ten müssen. Es würde festgestellt, wie sehr es dem Autor gelungen sei, Selbsterlebtes mit Erfun-denem zu einer eigenwilligen Aussage zu kompo-nieren. Außerdem würde diese neue Form der Literatur wegen ihrer 140-Zeichen-Kürze der

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Hektik und der Beschränktheit gegenwärtiger Le-bensverhältnisse einen noch nie dagewesenen Ausdruck verleihen.

In Erwartung solcher Bewertungen las Breden-berg seinen Erstling Bredenbergs Frau vor, die al-lerdings - noch befangen in längst vergangenen Vorstellungen - vorsichtig meinte, dass ein Ro-man nach ihrer Vorstellung eine gewisse Min-destlänge von mehreren hundert Buchseiten oder mehreren zehntausend Buchstaben haben müsse.

Auch die Belehrung durch Bredenberg, dass sich bei jeder Literaturform die Bilder im Kopf des Lesers einstellten und die Beschreibung, wie Bre-denberg als Protagonist seiner eigenen Erzählung stundenlang einer Fontäne beim Wassersprühen zusehe und dieses Bild über Stunden im Kopf des Leser nachvollzogen durchaus einem Roman von mehreren hundert Seiten der alten Form ent-spräche, half hier nicht weiter.

Bredenberg und seine Frau gingen abends ohne den üblichen Gutenachtkuss zu Bett. Bredenberg genoss noch viele wache Stunden den Status des

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unverstandenen Literaten. Dann schlief auch er ein.

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Das letzte Märzwochenende

Bredenberg ließ mitteilen, dass auch für ihn nun die Sommerzeit offiziell begonnen habe. Er, so Bredenberg, wisse, dass die Eröffnung der Som-merzeit eine von Amts wegen eingerichtete Maß-nahme sei, um allen Mitbürgern, so auch Breden-berg, jeden Zweifel zu nehmen, dass es wieder einmal vorwärts gegangen sei, und sei es nur mit der Jahreszeit.

Bredenberg, so ließ er wissen, sei sich der Ver-antwortung bewusst gewesen und habe pünktlich in der Nacht von Samstag auf Sonntag die in sei-ner Wohnung und in seinem Fahrzeug befindli-chen Uhren exakt um eine Stunde vorgestellt und damit, wie seine Zeitgenossen, auch nach außen dokumentiert, dass Vorwärtsschreiten, Zügigkeit und Überspringen Zeichen und Signale seien, die niemanden heutzutage mehr unberührt lassen könnten.

Bredenberg ließ weiterhin mitteilen, dass es ihm wie vielen anderen durchaus bewusst sei, dass der Anbruch der Sommerzeit auf dem Verwaltungs-

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wege keineswegs ein einklagbares Recht bereit-stelle, ein dem Worte nach entsprechendes Klima, wie es in Poesie und Lyrik dem Worte "Sommer" oft zugeordnet würde, zu verlangen. Bredenberg, so ließ er weiter informieren, wisse nur zu gut, dass auch nach Verkündigung der Sommerzeit hin und wieder mit Regenfällen, Hagelschauern, ja sogar mit einzelnen Schneefällen und Frost-einbrüchen zu rechnen sei.

Im großen Ganzen aber, so ließ Bredenberg ver-lauten, könne man darauf vertrauen, dass der Winter als klimatischer Faktor mit seinen Aus-wirkungen auf Wirtschaft und Gewerbe, auf Han-del und Wandel eine gute Stunde zurückliege.

Bredenberg, so hieß es weiter, werde aus der Tat-sache des Anbruchs einer neuen Zeitrechnung auch persönliche Konsequenzen ziehen und darü-ber nachdenken, welche seiner üblichen Tätigkei-ten er nunmehr bei Tageslicht verrichten oder gar außerhalb räumlicher Einengungen verlagern könne. Hier, so ließ Bredenberg wissen, habe er schon gewisse Vorstellungen, die er aber erst zu einem späteren Zeitpunkt offiziell bekannt gebe.

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Bredenberg schloss seine Ausführungen mit dem Dank an die für diese Maßnahme verantwortli-chen Entscheidungs- und Verwaltungsstellen und ließ bekunden, dass er allen Zeitgenossen einen wunderschönen Sommer wünsche, der nunmehr offziell in Angriff genommen werden könne.

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Eine Tasse Tee

Bredenberg, der gerne über alles Mögliche nach-denkt, saß bei einer Tasse Tee, die er schon halb geleert hatte, als er, Bredenberg, sich eine Frage stellte.

War das, was er gerade trank, Tee? Oder war das, was er, Bredenberg, gerade trank, etwas, was Bre-denberg bislang nur Tee genannt hatte und für ihn, Bredenberg, wie Tee schmeckte, in Wirklich-keit etwas anderes als Tee?

Würde ein anderer als Bredenberg, das, was Bre-denberg gerade trank, anders sehen und anders schmecken als Bredenberg, es aber auch Tee nen-nen, so wie Bredenberg von Anfang an, das, was er gerade trank, Tee zu nennen gewohnt war?

Da Bredenberg niemand anderes sein konnte als Bredenberg, würde er das niemals genau wissen, dachte Bredenberg. Das, was er, Bredenberg, ge-rade trank, und für ihn, Bredenberg, Tee war, konnte für einen anderen etwas anderes sein, auch wenn dieser es ebenfalls Tee nannte.

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Bredenberg fragte sich: Ist die Welt, wie sie Bre-denberg sah, auch die Welt, die jemand sah, der nicht Bredenberg war?

Er, Bredenberg, zweifelte. Er wusste über die vie-len verschiedenen Meinungen in der Welt. Er hat-te erfahren, wie Menschen zu anderen Menschen ärgerlich sagten: „Das siehst du aber ganz falsch!“ oder freundlicher: „Das siehst du offen-sichtlich ganz anders als ich!“

Aber über einfache Sachen wie Tee oder das, was alle Tee nannten, aber für jeden etwas anderes war, gab es selten Streit, dachte Bredenberg. Es sei denn, das, was alle Tee nannten, schmeckte verschiedenen Menschen verschieden gut.

Wir sind nicht sicher, dachte Bredenberg, ob das, was da ist, in der gleichen Weise für alle da ist. Wir sind nicht einmal sicher, dachte Bredenberg, ob da überhaupt etwas ist. Bredenberg erzeugte eine Welt, ein anderer als Bredenberg erzeugte auch eine Welt, eine andere als die Welt, die Bre-denberg erzeugte.

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Das, dachte Bredenberg, wäre auch möglich. Sie, die verschiedenen Menschen, könnten sich den-noch verständigen, weil sie für die verschiedenen Dinge, die ihre Hirne und Augen erzeugten, die gleichen Begriffe verwendeten.

Eines ist jedoch sicher, dachte Bredenberg: Gäbe es mich nicht so wie ich gerade bin, gäbe es diese Fragen nicht.

Und Bredenberg trank das, was er bislang für Tee gehalten hatte und in Zukunft wieder Tee nennen würde, aus dem, was er bislang für eine Tasse hielt und auch in Zukunft wieder Tasse nennen würde, mit dem Gefühl des Wohlbehagens aus.

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Existenziell

Bruno: Wo komm' ich her, wo geh' ich hin?

Bredenberg: Um Himmelswillen, Bruno. Was ist mit Ihnen los?

Bruno: Gerade zu Beginn eines neuen Jahres stellt man sich Fragen nach der eigenen Existenz.

Bredenberg: Gerade in Ihrem Fall, Bruno, lassen sich diese Fragen leicht beantworten.

Bruno: Nur zu, ich bin auf alles gefasst.

Bredenberg: Sie wurden im Laufe des Jahres 2009 von mir erfunden, damit ich für bestimmte Publikationen in Dialogform wie diese einen ent-sprechenden Dialogpartner zur Verfügung habe. Außerdem benötige ich Sie für gewisse Erzäh-lungen als Protagonisten.

Bruno: Sie meinen die Texte mit den beschwer-lichen Komparativsätzen und die immer mit diesem unsäglichen Satz "Bruno, so wurde be-

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richtet, habe jetzt in einem kleinen Kreis einge-standen..." beginnen, oder?

Bredenberg: Genau diese Texte, Bruno.

Bruno: Ich bin also Ihre Erfindung. Eigentlich fühle ich mich gar nicht wie eine Erfindung. Ich bin durchaus existent und fühle mich real.

Bredenberg: Alle Figuren, die in Texten aller Art erscheinen, sind auf dieser Ebene real. Sie ver-wirklichen sich in zahlreichen Gehirnen der Lese-rinnen und Leser in unterschiedlichen Formen. Dort entfalten Sie ihre Realität und ihre Wirkung.

Bruno: Wunderbar, Bredenberg. Schade, dass Sie nicht auch auf dieser Ebene real sind.

Bredenberg: Sie brauchen mich nicht zu bedau-ern. Ich bin ebenfalls eine Erfindung.

Bruno: Sie sind ebenfalls eine Erfindung? Wer, bitte schön, sollte Sie denn erfunden haben? Und zu welchem Zweck?

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Bredenberg: Ich bin die Erfindung meines Au-tors. Es muss im Laufe des Jahres 2005 gewesen sein, als er auf die Idee kam ...

Bruno: Unglaublich, Bredenberg. Aber zu wel-chem Zweck hat Ihr Autor Sie erfunden? Benö-tigte er auch einen Dialogpartner und einen Prota-gonisten für seine Geschichten?

Bredenberg: In gewisser Weise, in gewisser Wei-se. Hauptsächlich ging es ihm in schlaflosen Nächten um die Frage, ob er, der Autor, nicht vielleicht selbst eine Erfindung sei. Die Frage, wer hinter oder über ihm stehe und ihn dieses oder jenes machen lasse, beschäftigt ihn schon seit Jahren.

Bruno: Und hat er eine Antwort gefunden?

Bredenberg: Ich soll sie ihm verschaffen. Aber das überschreitet meine Möglichkeiten.

Bruno: Nach allem, was ich gehört habe, bin ich sehr fröhlich, dass ich weiß, wie es um mich steht.

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Bredenberg: Wenn Sie diese Fröhlichkeit behal-ten wollen, dann zweifeln Sie niemals daran, Bru-no.

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Frühe Beschaulichkeiten

Lieber Konstantin

Als ich etwa acht oder neun Jahre alt war, ging ich alle paar Wochen vom Haus meiner Eltern zur Wohnung meiner Großeltern. Das war ungefähr um die Zeit, als Deutschland zum ersten Male Fußballweltmeister wurde.

Die Wohnung meiner Großeltern bestand aus nur zwei Zimmern, getrennt durch einen Flur. Ein Zimmer war das absolut unbeheizbare Schlafzim-mer, das andere das Küchenwohnbadezimmer. Dieses Zimmer wurde nur samstags zum aus-schließlichen Baderaum. Dazu mussten Möbel gerückt werden. Dann musste von irgendwoher eine große Zinkwanne herangeschleppt und auf-gebaut werden. Sie musste mit heißem Wasser, welches vorher auf dem Herd in einem großen Kessel gekocht wurde, gefüllt werden. Schließ-lich wurde das kochend heiße Badewasser mit Ei-mern kalten Wassers auf Badetemperatur herun-tergekühlt. Zwei Stühle wurden als Sichtschutz mit einer Wolldecke verhängt. Ich hatte als klei-

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ner Junge, der seine Großeltern niemals nackt se-hen durfte, auf dem Sofa hinter der Decke zu ver-bleiben und im Schneider-Buch "Sommer im För-sterhaus" zu lesen, zumindest intensiv den Blick darin zu versenken.

Diese Samstage veränderten nicht nur den Raum, sie waren Vorbereitungen auf die Sonntage, die man - frisch gebadet - empfing wie Zeiträume, in denen Beschaulichkeit erlaubt war und in denen das tägliche Nacheinander von sich ablösenden Tätigkeiten zur Erhaltung des Daseins wie Gar-tenarbeit, Einkaufen-in-weit-entfernten-Läden und Kohlen-aus-dem-Keller-Holen aussetzte. Ob-wohl mein Großvater schon Rente bezog - "Knappschaft", wie er sagte, denn er war Berg-mann -, hatte er durchaus den ganzen Tag zu tun. Meistens war er im Garten beschäftigt, der meh-rere hundert Meter von der Wohnung entfernt war.

Die Gänge zur Toilette waren besondere Anlässe. Man musste von der Wohnung die Treppe hinun-ter und das Haus verlassen, um das Haus herum-gehen und an den Fenstern der vermietenden

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Bauernfamilie vorbei, die Deele durch die ständig zugig-unverschlossene Deelentür betreten und an den warmen Kühen vorbei zum Abtritt. Ein Holz-deckel verschloss ein rundes Loch in einem recht-eckigen Kasten über der Jauchegrube, die scharf und ätzend riechende Luft entließ. Die Produkte des Stuhlganges fielen etwa zwei Meter in die Tiefe und belohnten mit einem hörbaren Plat-schen. Bedrucktes Zeitungspapier der Qualitäts-stufe "hart" stand zum Abschluss aller Verrich-tungen zur Verfügung. Zurück ging es wieder an den warmen Kühen und an den Fenstern der Bau-ernfamilie vorbei. Diese bekam somit nicht nur die Länge der Sitzung, sondern auch die Tages-häufigkeit mit und konnte somit auf die Gesund-heit der Mieter und somit auf die Beständigkeit des Mietverhältnisses schließen.

Da es außer einem Rundfunkgerät und der täglich erscheinenden sozialdemokratisch eingefärbten Westfälischen Rundschau keine weiteren Lebens-zeitvernichter gab, waren auch bei einem Tag voller Tätigkeit - und vor allem am Sonntag - hier und da Zeiten der Beschaulichkeit verfügbar, so-fern man sich sonst aber reichlich Mühe machte.

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Lieber Konstantin

Zuletzt habe ich erwähnt, dass ich als Junge von acht bis zehn Jahren, also in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, alle paar Wochen vom Haus mei-ner Eltern zur Wohnung meiner Großeltern ging. Von hier nach dort und auch auf dem Rückweg gab es verschiedene Wege. Von meiner Mutter wurde mir vor dem Abmarsch das Ehrenwort abgenommen, zur Vermeidung des damals noch geringen Verkehrs oder herumstreunender Unhol-de immer nur einen bestimmten Weg zu gehen, nämlich die Paasstraße bis zur Brinkerstraße in Sprockhövel, dann nach rechts abbiegen an der Firma Hausherr und Söhne vorbei bis zum Bahn-hof Bossel, von dort dann den Kleinbecker Weg bis zum Hohlweg. Schließlich den Hohlweg hi-nauf bis zum Bauernhof, der die Wohnung mei-ner Großeltern im Obergeschoss des Hauptgebäu-des enthielt.

Es gab viele andere Wege, allesamt Abkürzun-gen, wie ich glaubte. Und Abkürzungen waren wichtig, denn der gesamte Weg belief sich auf et-wa sieben bis acht Kilometer. Die 'Abkürzungen',

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die ich verbotenerweise wählte, waren in der Re-gel länger als der vorgeschriebene Weg. Sie er-laubten mir jedoch, immer neue Wege und damit die Umgebung meiner Kindheitsheimat zu erkun-den. An der längeren Zeit, die ich unterwegs war, konnten meine Mutter und meine Großeltern im Nachhinein ermitteln, dass ich wohl einen verbo-tenen Weg gegangen sei oder aber mich irgendwo an einem Bachlauf oder beim Warten an Gleisen auf riesige und stampfende Dampfloks mit vielen Wagen, die hinterherquietschten, aufgehalten hät-te.

Der Vorteil - und manchmal Nachteil - des Ver-gangenen ist, dass man es nicht rückgängig ma-chen kann. So waren die Vorhaltungen über das Vergangene in der Regel zu überstehen, aber rückgängig konnte man es nicht machen. Ein kla-rer Vorteil für die Durchführung des Verbotenen, zumal eine wirklich echte Bestrafung mit Aus-nahme entsetzter Mienen ausblieb. Selbst diese konnten vermieden werden, wenn die erzählbare Wahrheit durch entprechende Auslassungen und Untertreibungen zwar, was die Erzählung anbe-traf, mit dem, was wirklich stattgefunden hatte,

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noch korrespondierte, aber im Kopf des Zuhörers ein Bild entstehen ließ, dass mit dem Gesche-henen nichts mehr zu tun hatte. So lernte ich früh, dass die Wahrheit, wenn sie erzählt wird, ver-formbar wird, ohne dass man bewusst lügt. Die Unwahrheit entsteht erst im Kopf des Zuhörers. Die Schuld an einer falschen Interpretation des Gehörten trägt jedoch immer der Hörer. So bleibt die Welt in ihrer Ordnung.

Diese langen Wege entfernten mich von den Ver-pflichtungen daheim. Wer unterwegs ist, kann nicht anders befasst werden. Kommandos wie: Hol den Quark aus dem Keller, füttere die Hüh-ner, zuerst die Hausaufgaben usw., die die Be-schäftigung mit der Beschaulichkeit regelmäßig an den falschen Stellen unterbrachen, konnten mich nicht mehr erreichen. So wanderte ich durch immer neue Regionen, Schritt für Schritt, die Beschaulichkeit im Gepäck. Die einzige Mühe, die ich mit dieser Beschaulichkeit hatte, war, dass ich sie mir Schritt für Schritt erwandern musste. Und diese Mühe machte bisweilen müde, manch-mal so müde, dass ich für die Zukunft bestimmte 'Abkürzungen' vermied, nämlich solche, in denen

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die Mühe, die der Beschaulichkeit möglichst viel Zeit zur Verfügung stellen sollte, zu groß wurde.

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Heiratsfähig

Bruno, so erinnerte er sich, habe vor vielen Jah-ren, als er in das heiratsfähige Alter eingetreten sei, ungern an Hochzeitsfeierlichkeiten teilge-nommen.

Immer dann, so erzählte er, wenn die anfängliche Ernsthaftigkeit des Festes sich aufgelöst habe und Jubel, Gelächter und Trubel sich breit gemacht hätten, sei irgendeine betagte Dame aus dem nä-heren Verwandten- oder Bekanntenkreis auf ihn zugetreten, habe ein Glas mit Kirschlikör oder ei-ner anderen Fruchtgärung gegen ihn erhoben, mit spitzem Finger auf ihn, Bruno, gezeigt und ge-sagt: "Du bist der Nächste!"

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Kosmos

Bredenberg, der gerne über alles Mögliche nach-denkt, saß am Abend eines heißen Tages noch in seinem Liegestuhl und betrachtete die Sterne, die heller und zahlreicher wurden. Das also ist der Kosmos, dachte Bredenberg und sinnierte über die Entfernungen zu den Sternen und über die Zeiträume, die das Licht brauchte, um ihn, Bredenberg, zu erreichen. Er versuchte, Entfernungen und Zeiträume zu einer sinnlichen Vorstellung zu verdichten und scheiterte.

Bredenberg stellte sich vor, dass irgendwo im Kosmos ein anderer Bredenberg sommerlaunig im Liegestuhl sitzt, und ihn, den richtigen Bre-denberg sieht, eigentlich nicht ihn, auch nicht sei-nen Planeten, aber seine Sonne, Bredenbergs Sonne. Dieser andere Bredenberg, der aus Bredenbergs Sicht Teil des Kosmos ist, denkt, dass auch Bre-denberg, der richtige Bredenberg, aus der Sicht des anderen Bredenberg ebenfalls Teil des Kos-

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mos ist. Und Bredenberg schließt daraus, dass er und auch der andere Bredenberg und alle Breden-bergs auf jeden Fall Teil des Kosmos sind, gleichgültig, ob er es denkt oder ein anderer Bre-denberg oder alle oder niemand.

Wenn also Bredenberg denkt oder ein anderer Bredenberg denkt oder irgend jemand im Kosmos denkt, dann denkt der Kosmos. Wenn der Kos-mos denkt, weil Bredenberg denkt, dann denkt der Kosmos mit Bredenbergs Hirn oder mit dem Hirn des anderen Bredenberg oder mit den Hirnen aller, die denken.

Bredenberg ist nicht mehr sicher, ob er, Breden-berg, es ist, der denkt, oder ob der Kosmos es allein ist, der denkt, wenn Bredenberg denkt. Und unübersichtlicher noch, wenn Bredenberg nicht irgend etwas denkt, sondern, wie jetzt ge-rade, über den Kosmos nachdenkt, dann denkt eigentlich der Kosmos mit Bredenbergs Hirn über sich selbst nach. Und mehr noch, der Kosmos denkt auch mit dem Hirn des anderen Bredenberg oder mit allen Hirnen, die denken können, über

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sich selbst nach. Der Kosmos braucht also, um über sich nachden-ken zu können, Bredenbergs Hirn, also Breden-berg selbst. Ein warmes Gefühl steigt in Breden-berg auf. Es kommt auch auf mich an, denkt Bredenberg, ich sollte mehr auf mich achten. Und wenn es mal aus ist mit Bredenbergs Hirn, dann gibt es vielleicht den anderen Bredenberg noch, dessen Hirn der Kosmos zum Denken nut-zen kann oder die vielen anderen Hirne im Kos-mos, die denken können, denkt Bredenberg. Sehr viele andere Hirne. Der Kosmos ist schlau, denkt Bredenberg, da er milliardenfach für Reserve ge-sorgt hat. Irgendwo wird gegrillt, denkt Bredenberg, die Sommerluft schnuppernd. Irgendwo denkt man nur über die richtige Temperatur der Grillkohle nach.

Muss auch sein, denkt der Kosmos, Bredenbergs Hirn gebrauchend.

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Naturgeschichte

Bredenberg, der gerne über alles Mögliche nach-denkt, hatte kürzlich ein Buch über die Entste-hung der Welt gelesen. Das, was er, Bredenberg, dort las, kannte er schon, jedenfalls im Grund-sätzlichen. Dennoch lernte Bredenberg erneut, dass das Weltall vor ungefähr 15 Milliarden und die Erde vor 5 Milliarden Jahren entstanden sein soll.

Bredenberg überprüfte die Rechnung, die ihm in seinem Buch aufgemacht wurde. Wenn die Ent-wicklung des Weltalls und der Erde auf den Zeitraum eines Jahres herunter gerechnet würde, wenn also das Weltall am 1. Januar entstanden wäre, gäbe es Bredenbergs Erde erst Anfang Sep-tember. Und in der Zeit von Januar bis Anfang September hätte es noch keine Erde und damit keinen Bredenberg gegeben.

Bredenberg lernte, dass die ersten wirbellosen Tiere im November erschienen sind. Mitte De-zember gab es dann Trilobiten und später Nauti-loiden. In der letzten Dezemberwoche wurden

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Reptilien und Saurier gesichtet, jedoch nicht von Bredenberg.

In den letzten zwei Tagen des Jahres gab es große Säugetiere, in den letzten Minuten Menschen und in den letzten Sekunden Bredenbergs Welt, wie er sie aus den Geschichtsbüchern kennt.

Bredenberg selber konnte die Dauer seiner Exi-stenz nicht mehr ausrechnen. Das aber störte ihn nicht. Denn er fühlte sich wohl bei dem Gedan-ken, wie sich alles seit 15 Milliarden Jahren ziel-genau auf ihn, Bredenberg, vorbereitet hatte.

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Nichts als die Wahrheit

Bredenberg, wie erst kürzlich bekannt wurde, glaubt schon seit langem nicht mehr daran, dass das, was er sieht, hört oder auf andere Art und Weise wahrnimmt, mit dem zu tun hat, was man Wahrheit nennt. Vielmehr, so ist Bredenberg mittlerweile überzeugt, sieht jeder Mensch, so auch Bredenberg, nur seine Wahrheit.

So nahm Bredenberg vor einiger Zeit bei einem Autounfall wahr, dass sich die Kontrahenten ge-genseitig die Schuld an diesem Unfall gaben. Da Bredenberg in diesem Falle zur Kenntnis nehmen musste, dass es über den Hergang des Unfalls mindestens zwei Wahrheiten gab, vertraute auch Bredenberg seiner Wahrheit nicht mehr, zumal er einen der beiden Unfallbeteiligten deutlich sym-pathischer fand als den anderen und wusste, dass die Zuweisung von Sympathiewerten nichts über eine Schuldzumessung aussagen könne.

Bei Bredenberg traten nun auch Zweifel auf, ob ein Richter, der schließlich über den Hergang zu entscheiden habe, der Wahrheit näher kommen

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könne, zumal dieser Richter, im Gegensatz zu Bredenberg, nicht als Zeuge am Geschehen teil-genommen habe und somit sein Urteil allein auf das ihm Vorgetragene stützen müsse.

Bredenberg, so wurde berichtet, sei über diese Zweifel derart bestürzt gewesen, dass er sich ge-fragt habe, ob es überhaupt einen Verkehrsunfall gegeben habe und ob die beiden am Unfall be-teiligten Personen wirklich existent gewesen sei-en. Nur mit Mühe, so wurde schließlich mitge-teilt, habe man Bredenberg davon überzeugen können, dass er, Bredenberg, durchaus existiere. Der Beweis sei schon dadurch erbracht, dass die von Bredenberg hervorgerufenen Zweifel von den meisten, die Bredenberg kannten, vorgaben, da-ran nicht zu zweifeln, jedenfalls nicht für den Moment und sei es nur, um Bredenberg wieder fröhlich zu stimmen.

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Noch diese Stufe

Jetzt abends, niemand sollte, wenn ich die Treppe aufwärts steige, die 45 Stufen, in diesem Haus aus seiner Wohnung heraustreten und mich be-mustern, den Gruß ausstoßend, der gefällig ist und warten auf meinen Gruß, der ebenso gefällig ist und auch kommen wird, weil er verlangt wird.

Niemand sollte mir begegnen, ich will sie haben, die 45 Stufen, 15 pro Treppe, für mich allein.

Niemanden will ich nun sehen, abends, auf dem Weg zu meiner Wohnung, Stufe für Stufe, jede Stufe ein Stück Erleichterung.

Niemand soll mich stören, wenn ich den Tag auf der Straße lassen will. Niemand soll mich mit sei-nem Gruß wieder mit dem Tag versöhnen, der seine Zwänge in meinen Magen versenkte.

Ich will nicht, dass sich noch etwas ereignet, will nicht mehr bemüht sein, ein Erlebnis zu wün-schen, um dem Leben einen kurzen Sinn vorzu-gaukeln.

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Noch diese Treppe.Noch diese Stufe.Diese Stufe noch.Die Wohnungstür in Sicht.

"Hallo Herr Scholwer, schon Feierabend?"

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Schreiber Bredenberg

Bruno: Bredenberg, schreiben Sie für sich oder für mich?

Bredenberg: Ich schreibe, weil ich möchte. Wenn Sie etwas damit anfangen, freut es mich, Bruno.

Bruno: Warum so bescheiden? In Wirklichkeit möchten Sie, dass mir gefällt, was Sie schreiben.

Bredenberg: Leider werde ich von dieser Eitelkeit belästigt.

Bruno: Ist Ihre Eitelkeit derart beschaffen, dass Sie Ihr Schreiben so einrichten, dass es mir ge-fällt.

Bredenberg: Zum einen kann ich nur vermuten, was Ihnen gefällt. Es nicht zu wissen ist ein Vor-teil. Insofern schätze ich auch nicht allzu genaue Kommentare, die Auskunft darüber geben, wie Sie es lieber hätten. Zum anderen gibt es Tricks, die Sie als Leser demütigen.

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Bruno: Tricks? Welche?

Bredenberg: Ich sollte Ihnen die Tricks nicht ver-raten. Dann wirken sie nicht mehr.

Bruno: Sie können sicher sein, Bredenberg, dass ich nichts ausplaudere.

Bredenberg: Wie dem auch sei. Nach einer ge-wissen Zeit haben Sie die Tricks vergessen und lassen sich als Leser durch den Autor wieder de-mütigen.

Bruno: Machen Sie es nicht so spannend!

Bredenberg: Also gut. Das Wirksamste ist, den Text so zu verfassen, dass der Leser genötigt wird, nach jedem gelesenen Satz den nächsten zu lesen. Haben Sie bis hierher gelesen, Bruno?

Bruno: Selbstverständlich.

Bredenberg: Nun, dann ist schon etwas gelungen. Aber noch mehr.

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Bruno: Ja, bitte weiter.

Bredenberg: Die Botschaft steht nicht in den Zei-len, sondern zwischen den Zeilen.

Bruno: Davon habe ich schon gehört. Oft habe ich mich geärgert, dass ich zwischen den Zeilen nichts gefunden habe.

Bredenberg: Es kommt darauf an, dass Sie zwi-schen den Zeilen etwas vermuten, unabhängig da-von, ob da etwas ist oder nicht. Der Autor ver-fasst den Text so skurril, dass er kaum etwas aus-sagt. Schon vermuten Sie, dass die Botschaft zwi-schen den Zeilen steht. Wenn Sie die Botschaft nicht erkennen, halten Sie sich vorübergehend für dumm und den Schriftsteller für klug, für so klug, dass Sie nicht an ihn heranreichen. So fangen Sie an, ihn zu verehren, ihn für so klug zu halten, dass für Sie noch ausreichend Klugheit übrig bleibt.

Bruno: Und wenn ich die Botschaft zwischen den Zeilen entdecke?

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Bredenberg: Dann, Bruno, sind Sie stolz auf Ihre Entdeckung und loben den Schriftsteller, weil er genau Ihr Herz, Ihr Gefühl oder Ihren Verstand getroffen hat. Sie fangen nun ebenfalls an, ihn zu verehren. Außerdem fühlen Sie sich so klug wie der Schriftsteller und sich somit mit ihm verbun-den. Nur Kritiker fühlen sich noch klüger.

Bruno: Haben Sie zwischen diesen Zeilen etwa auch eine Botschaft versteckt?

Bredenberg: Haben Sie das Gefühl, dass ich Ih-nen etwas sagen will?

Bruno: Ich werde das Gefühl nicht los.

Bredenberg: Sie sind auf einem guten Weg, einer meiner demütigen Leser zu werden, Bruno.

Bruno: Ihre Eitelkeit macht Sprünge.

Bredenberg: Das nehme ich gerade mit größter Bescheidenheit wahr. Aber es war nicht zu ver-hindern. Diese Notwendigkeit entlastet mich. Noch eine Bemerkung: Zum Schluss kann eine

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Pointe nicht schaden.

Bruno: Diese werde ich mit etwas Ironie verhin-dern. - Also: mit welchem Stift, bitte sehr, mit welchem Stift schreiben Sie auf, was zwischen den Zeilen steht?

Bredenberg: Einverstanden, Bruno, keine Pointe. Aber für einen Kalauer reicht es: Für die Bot-schaft zwischen den Zeilen benutze ich regel-mäßig einen Lückenfüller.

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Sommerferien in Niedersachsen

In Niedersachsen haben die Sommerferien begon-nen. Nicht, dass Bredenberg etwas mit Sommer-ferien zu tun hätte, mit deren heiß ersehntem Be-ginn, mit deren betrauertem Ende, mit deren Hö-he- und Wendepunkten, schon lange nicht mehr. Aber Bredenbergs Pavillon liegt im Westen Nie-dersachsens und somit wurde auch Bredenbergs Pavillon umschlossen von den niedersächsischen Sommerferien wie ein Hallighaus bei Landunter, und gleichermaßen Bredenberg, wenn er sich in seinem Pavillon aufhielt.

Bredenberg bemerkte diese Sommerferien erst ei-nige Tage nach ihrem Beginn, nämlich, als junge Mädchen - wie viele es sein mochten, konnte er nicht ausmachen - auf dem Nachbargrundstück über ein Wiedergabegerät immer wieder dasselbe Lied abspielen ließen und an einer bestimmten Stelle laut mitsangen, und das an einem Vor-mittag, an dem, so meinte Bredenberg, junge Mädchen im Alter von etwa zehn Jahren unter normalen Umständen in einer Schulbank zu sit-zen hätten.

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Bredenwerk diagnostizierte den Beginn der Fe-rien und er erinnerte sich freundlich daran, wie oft er in seinem Leben die Sommerferien begrüßt hatte und wurde etwas - nur etwas - melancho-lisch bei dem Gedanken, zwar in der glücklichen Situation zu sein, den ganzen Sommer frei von Arbeit genießen zu können, aber der Freude über den Beginn solcher Ferien von nun an und für im-mer beraubt worden zu sein.

So freute er sich mit den Mädchen aus der Nach-barschaft, die immer wieder das gleiche Lied ab-spielen ließen und an einer ganz bestimmten, ex-ponierten Stelle lauthals mitsangen.

Bredenberg kannte dieses Lied, ungenau zwar, denn er hatte es auf Autofahrten oder zu anderen Gelegenheiten beiläufig im Rundfunk gehört, hatte aber Melodie und Text schnell wieder ver-gessen. Nun, da es ihm immer wieder und wieder ins Gehirn eingespeist wurde, war er endlich in der Lage, Text und Melodie angemessen auswen-dig zu lernen.

Verdruss kam bei Bredenberg erst auf, als er

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meinte, er könne nun Text und Melodie bei jeder Gelegenheit und für alle Zukunft rezitieren und er sich an ein Element aus der Lerntheorie erinnerte, welches besagte, dass ein Überlernen der Vorga-ben nicht nur in gewisser Weise strapaziös, son-dern auch kontraproduktiv sei. Bredenberg fing an, allmählich die Gefahr zu überdenken, dass dieses Lied den ganzen Sommer über vom Nach-bargrundstück in seinen Pavillon hineinstrahlen werde und er in die Not geraten solle, Sommer-ferien deutlich anders als früher bewerten zu müs-sen.

Bredenberg bewunderte einerseits die Hart-näckigkeit von jungen Mädchen, einen langen Tag immer wieder dasselbe Lied hören zu können und bedauerte andererseits seine eigene Unfähig-keit, hier standzuhalten.

So verging der Tag. Bredenberg verließ seinen Pavillon früher als sonst, hoffte für die nähere Zu-kunft auf verregnete Sommertage oder plötzlich eintretende Gewitter, die seinem Garten, aber auch seinem Wohlbefinden zuträglich sein wür-den.

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Bredenberg war in dem Alter, in welchem er auch nachts gelegentlich wach wurde. Diese Zeit nutz-te er üblicherweise zum Nachdenken. In der die-sem Tag folgenden Nacht jedoch gingen ihm Text und Melodie des tags zuvor genossenen Liedes nicht aus dem Kopf. Es drängte immer wieder in alle Windungen, Knotenpunkte und Synapsen und zertrümmerte jeden konstruktiven Gedanken, der ansatzweise aufkommen wollte.

Gegen zehn Uhr am Vormittag des nächsten Ta-ges spülte das Wiedergabegerät von Nachbar-grundstück Töne herüber, die Bredenberg in den ersten Sekunden als Anfang eines ganz anderen Liedes ausmachte, bis er schmerzlich erkennen musste, dass es sich wieder um die Weise vom Vortage handelte. Als junge Mädchenstimmen abermals an der gleichen Stelle mit ihrem Gesang einfielen, war er sich sicher, dass auch dieser Tag wie der Vortag verlaufen würde und versuchte, sein Schicksal zwischen Rebellion und Gleichmut zu sortieren.

Mehrere Stunden hielt Bredenberg in seinem Pa-villon durch, hoffte auf andere Nachbarn, die sich

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beschweren würden, damit er sein Image als Kin-derfreund bewahren könne. Er dachte über Eltern nach, die bei kultureller Eindimensionalität heut-zutage viel zu spät einschreiten, verfluchte Wie-dergabegeräte aller Art und entwickelte kluge po-litische Gedanken zur Vermeidung einer Umwelt-verschmutzung im Geräusch- und Lärmbereich.

Schließlich stand Bredenberg, sich überwindend, auf, trat an die durch zahlreiche Sträucher mar-kierte Grundstücksgrenze, bog einige Zweige zur Seite, um auf das Nachbargrundstück zu sehen, gewahrte, dass es sich bei dem Spektakel um genau vier junge Mädchen handelte und bemerkte zudem die Oma eines der vier Mädchen.

Auch diese sah Bredenbergs Kopf im Gesträuch, wandte sich an die Mädchen mit den Worten: "Jetzt hört mal bitte auf mit der Musik, die Nach-barn gucken schon."

Augenblicklich beendeten vier gehorsame Mäd-chen die Musik. Genussvolle Stille senkte sich über die Region. Bredenberg schlich zurück in seinen Pavillon und war sich sicher, der Oma ei-

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nen großen Gefallen getan zu haben, die, befreit von Melodie, Text, Gesang, Geräusch und Lärm ihr Image als verständnisvolle und kinderfreund-liche Omi bewahren durfte, indem sie auf musik-feindliche und kinderunfreundliche Nachbarn aufmerksam machte. Bredenberg ließ diese Unge-rechtigkeit widerspruchslos zu und freute sich über einen geretteten Sommer.

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Stau

Bredenberg fuhr in diesem Jahr nicht in Urlaub. Dafür gab es Gründe. Dafür gab Bredenberg Gründe an, die nicht der Wahrheit entsprachen. Die Gründe, die der Wahrheit entsprachen, gab Bredenberg nicht an. So schützte Bredenberg sein Image. Zufrieden war Bredenberg damit nicht. Je-denfalls nicht vollständig. Aber manchmal doch.

Vollständig setzte seine Zufriedenheit abends ge-gen 20.00 Uhr bei der Tagesschau ein. Gegen En-de aller Nachrichten, aber noch vor dem Wetter, berichtete man zu diesen Zeiten vom 30 km Stau hier und vom 50 km Stau da und vom 70 km Stau dort und vom 210 km Stau insgesamt auf deut-schen Autobahnen. Und dazu wurden Bilder ge-zeigt von hintereinander aufgereihten Fahrzeugen und von bunt bekleideten Menschen, die zwi-schen den Fahrzeugen herumstreunten und aus Wasserflaschen tranken.

In solchen Augenblicken lächelte Bredenberg.

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Sudoku

Bruno: Offensichtlich langweilen Sie sich, Bre-denberg?

Bredenberg: Wie kommen Sie darauf, Bruno?

Bruno: Ich sehe Sie ein SUDOKU ausfüllen.

Bredenberg: Eine kleine Geistesübung zwischen-durch.

Bruno: Schwierigkeitsgrad?

Bredenberg: Wie meinen?

Bruno: Leicht? Mittel? Machbar? Anspruchsvoll? Schwer? Sehr schwer? Extrem?

Bredenberg: Es hat drei Sterne.

Bruno: Dann ist es vermutlich Mittel.

Bredenberg: Vermutlich.

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Bruno: Haben Sie schon einmal ein SUDOKU 12 versucht?

Bredenberg: Ich ...

Bruno: Das ist ein SUDOKU mit 12 Zahlen pro Feld, pro Reihe und Spalte.

Bredenberg: Mein SUDOKU hat 9 Zahlen pro Feld, pro ...

Bruno: Ein SUDOKU 12 stellt etwas höhere An-forderungen.

Bredenberg: Später vielleicht.

Bruno: Sie können sich auch auf ein SUDOKU 16 einlassen.

Bredenberg: Vermutlich ein SUDOKU mit 16 Zahlen pro Feld und so weiter.

Bruno: Genau. Haben Sie schon einmal ein HOSHI versucht?

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Bredenberg: Nein.

Bruno: Ein HOSHI ist ein SUDOKU, bei dem zu-sätzlich ...

Bredenberg: Sollte ich nicht zunächst einmal ein ganz einfaches ...

Bruno: Was mich betrifft, so stehe ich derzeit auf SURASURA, das ist ...

Bredenberg: Bruno, bitte!

Bruno: Davor war ich von SAKURU sehr ange-tan, aber ...

Bredenberg: Bitte machen Sie Schluss, Bruno, mir schwirrt der Kopf.

Bruno: Nur eines noch. KAKURO ist auch ein edles Rätsel.

Bredenberg: Ich muss jetzt etwas essen, Bruno, sonst werde ich noch zum KAMIKAZE.

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Bruno: Eine gute Idee, wie wäre es mit SUSHI?

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Vetterherz

Hallo Vetterherz! Du hattest mich doch neulich danach gefragt, ob Tante Hilde, du weißt schon, nicht die Tante Hilde aus Dinslaken, sondern die Tante Hilde aus Winsen an der Luhe ... wie bitte?

Ja, genau. Es geht um deine Familienforschung. Und du fragtest mich neulich am Telefon, ob Tante Hilde mit Peterheinrich aus ... wie hieß der Ort noch 'mal, ist ja auch egal, du weißt schon. Ja, du fragtest mich, ob Tante Hilde mit Peter-heinrich, wie soll ich es ausdrücken, ohne verlet-zend zu wirken ... da gibt es so einen wunderba-ren Ausdruck für so etwas. Den habe ich mal in einer Fernsehserie mitbekommen. Was meinst du? Was für eine Fernsehserie?

Ich komm jetzt nicht auf den Namen. Auf den Namen der Fernsehserie. Ja, guckst du bestimmt auch. Bestimmt. Die kommt immer zwischen den Jahren. Norddeutscher Rundfunk. NDR. Du weißt nicht?

Also da sind so zwei Bauern, einer heißt ... ich

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komme jetzt nicht drauf, aber der andere heißt ... die sind miteinander befreundet und jeder hat ei-nen alten Bauernhof. Die beiden haben ein ge-meinsames Moped. Bei der Übergabe gibt der ei-ne dem anderen das Moped immer leergetankt. Weißt du, was ich meine? Nicht?

Also der eine Bauer wird dargestellt von ... von diesem norddeutschen Schauspieler, der auch bei ... bei ... bei ... mitspielt. Der andere Schau-spieler ist der Schauspieler, der selbst mal einen Bauernhof hatte. Nein, jetzt nicht mehr, jetzt ist er ja Schauspieler.

Also die Sendung heißt "Neues aus ..." - ich kom-me jetzt nicht auf den Namen. Bullerbüh oder so ähnlich. Nein, nicht Büllerbüh, nur so ähnlich. Der Ort liegt irgendwo in Norddeutschland, Schleswig-Holstein oder so. Wie heißt der Ort denn noch ? ... Ich komm nicht drauf. In dem Ort gibt es noch einen Wirt, der gibt den beiden im-mer ein Bier und einen Schnaps und nennt das immer ...wie nennt er das noch ... ist ja auch egal. Und der Ort, wie heißt der Ort nur ... der Ort hat auch einen Bürgermeister, der heißt ... aber seine

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Frau heißt Ingelore und sein Dackel Harald. Weißt du jetzt, wie die Fernsehserie heißt? Jetzt müsstest du Bescheid wissen. Wie, so etwas guckst du nicht? Was das mit Tante Ingelore, äh mit Tante Hilde zu tun hat? Nichts.

Es geht um diesen Ausdruck. Du wolltest doch wissen, ob Tante Hilde aus Winsen an der Luhe etwas mit Peterheinrich ... und ich suchte nach diesem Ausdruck, wie man so etwas nennen kann, ohne jemanden zu verletzen. Und in dieser Fernsehserie kam dieser Ausdruck vor. Das ist das, was Tante Hilde mit der Fernsehserie zu tun hat.

Ja, Menschenskind, ich bemühe mich ja. Wer macht denn hier Familienforschung, du oder ich? Na bitte. Da gebe ich mir Mühe, den richtigen Ausdruck für Tante Hilde und Peterheinrich zu finden, damit in deiner Ahnentafel auch alles richtig ... Ja, genau. Du solltest mehr Fern-sehserien gucken, dann wüsstest du auch den Ausdruck. Guck dir doch selbst die Fernsehserie an. Immer zwischen Weihnachten und Neujahr. - Ja, dann musst du eben warten, Menschenskind.

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Vier Neue

"Vorne rechts verliert Luft."

"Ich schau mal."

"Vielleicht ist es nur das Ventil."

"Schwer zu sagen."

"Geht in 2 Tagen auf 1 Komma 5 herunter und bleibt dann so."

"Komisch."

"Habe ich mir irgend etwas eingefahren?"

"Schwer zu sagen."

"Was mag das sein?"

"Ich schau mal. Der Wagen muss erst einmal hochgebockt werden."

"Okay."

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"Vorne rechts sagen Sie?"

"Vorne rechts."

"Ich sehe nichts. Das Profil ist auch schon etwas runter."

"Aber noch mehr als Eins Komma Sechs."

"Eins Komma Sechs muss sein. Vorschrift. Mehr wäre besser."

"Aber es ist doch mehr."

"Sie fahren höchstens noch ein Jahr damit, dann ist ein Reifenwechsel fällig."

"Ja gut, erst in einem Jahr."

"Dann sind die Reifen auch wieder teurer."

"Wenn ich jetzt wechsle, dann sind sie jetzt teuer."

"Teuer ist, wenn ich nach der Panne suchen muss.

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Kann vieles sein. Ventil, Schlauch, Mantel, vielleicht ist er insgesamt porös."

"Also gut, überzeugt, ein neuer Reifen."

"Wenn Sie rechts wechseln, müssen Sie auch links wechseln."

"Also gut, zwei Neue."

"Hinten ist das Profil auch schon runter. Besser gleich einmal in den sauren Apfel beissen und dann für Jahre Ruhe haben."

"Also gut, vier Neue."

"Vier Neue?"

"Vier Neue."

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Vorsorge

Moderator: Meine Damen und Herren, wir schal-ten uns nun ein in die Diskussion der Herren We-gemann-Detfurth von der Regierungspartei und Prof. Dr. Maßweiler von der Opposition. Wie im-mer, übertragen wir live. Die Diskussion ist schon seit einigen Minuten voll entbrannt. In dieser Wo-che geht es um das Thema Vorsorgeergänzungs-pauschalgesetz.

Wegemann-Detfurth: ....haben wir schon seit Jahren darauf hingewiesen, dass das Thema Vor-sorgeergänzungspauschalgesetz auf den Nägeln brennt. Erst als uns die Bevölkerung bei den letz-ten Wahlen uns - ich sage uns - ihr Vertrauen ge-schenkt hat, können wir endlich das Thema Vor-sorgeergänzungspauschalgesetz wieder auf die Tagesordnung setzen und zum Erfolg führen.

Prof. Dr. Maßweiler: Wir sind es doch gewesen, die immer wieder das Vorsorgeergänzungspau-schalgesetz als notwendig bezeichnet haben. In unserer Zeit können wir auf keinen Fall weiter auf das Vorsorgeergänzungspauschalgesetz ver-

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zichten. Aber Sie sind es doch gewesen, die das Vorsorgeergänzungspauschalgesetz ständig im Bundesrat blockiert haben. Und als das Vorsor-geergänzungspauschalgesetz endlich den Vermitt-lungsausschuss erreicht hat, ist es Ihre Fraktion doch gewesen, die den Ausschuss plötzlich ver-lassen hat, sodass keine Entscheidung herbeige-führt werden konnte. Und warum, warum? das frage ich Sie?

Wegemann-Detfurth: Darauf kann ich Ihnen eine ganz einfache und klare Antwort geben. Bei der Vorlage im Bundesrat hieß ihre Eingabe noch Vorsorgeergänzungspauschalgesetz, aber dem Vermittlungsausschuss haben Sie eine scheinbar leicht geänderte Fassung vorgelegt. Plötzlich hieß es nicht mehr Vorsorgeergänzungspauschalge-setz, sondern Vorsorgepauschalergänzungsgesetz. Sie glaubten, wir würden diese Veränderung nicht merken. Nicht mit uns, mit uns nicht.

Prof. Dr. Maßweiler: Diese Veränderung war, das wissen Sie ganz genau, das wissen Sie so gut wie ich, eine notwendige Veränderung, um den Fußnoten zur Erlassvorschrift der Europäischen

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Kommission zum Thema Vorsorgeergänzungs-pauschalgesetz nicht zu widersprechen. Ohne die-se leichte Veränderung wären wir mit einer Klage am Europäischen Gerichtshof gescheitert.

Wegemann-Detfurth: Das wäre abzuwarten gewe-sen. Und im übrigen handelte es sich keineswegs um eine kleine Veränderung. Diese sogenannte "kleine" Veränderung hätte weitreichende Konse-quenzen für die Bevölkerung gehabt. Das konnten wir gottseidank - GOTTSEIDANK - verhindern. Auch deswegen wurden wir gewählt. Die Bevöl-kerung ist keineswegs so dumm wie sie denken, sie hat sehr genaue Vorstellungen vom Vorsorge-ergänzungspauschalgesetz.

Prof. Dr. Maßweiler: Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie eingestehen, dass Sie die Wahl nur knapp - ich sage knapp - deswegen gewonnen ha-ben, weil sie drei Tage vor der Wahl eine unsäg-liche Kampagne gegen uns gestartet haben, nur weil wir uns dafür eingesetzt haben, einen Baum zu retten, auf dem jedes Frühjahr ein Kuckuck saß. In ihrem ganzen Wahlkampf haben sie kein Wort über das Vorsorgeergänzungspauschalge-

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setz verloren. Aber nach der Wahl überraschen Sie die Bevölkerung mit einem Thema, das wir - wir waren es - auf die Tagesordnung gesetzt hat-ten.

Wegemann-Detfurth: Wenn Sie, Herr Kollege Prof. Dr. Maßweiler, so für das Vorsorgeergän-zungspauschalgesetz eintreten, warum beschwe-ren Sie sich dann, dass wir nun das Vorsorgeer-gänzungspauschalgesetz endlich angehen. Unsere europäischen Nachbarn haben sich schon vor Jah-ren mit dem Vorsorgeergänzungspauschalgesetz auseinandergesetzt und sind heute schon in vielen Bereichen über das Vorsorgeergänzungspauschal-gesetz hinaus. Wir haben Zeit verloren, wir haben Zeit verloren, Herr Kollege, Zeit, die wir nur schwer wieder aufholen können. Durch Ihre Schuld.

Prof. Dr. Maßweiler: Bleiben Sie bitte sachlich, Herr Kollege Wegemann-Detfurth. Es hat jetzt auch keinen Zweck, die Schuld in der Vergangen-heit zu suchen. Die Bevölkerung erwartet Ant-wort für heute und morgen und mit Recht. Mit Recht, sage ich. Ihre Version vom Vorsorgeer-

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gänzungspauschalgesetz, die Sie von uns abge-kupfert und dann verfälscht haben, ihre Version gibt nur eine Antwort auf gestern. Die Zukunft liegt jedoch nicht hinter, sondern vor uns.

Wegemann-Detfurth: Wie dem auch sei, lieber Kollege. Wir haben die Mehrheit im Bundestag und werden das Vorsorgeergänzungspauschalge-setz zum Erfolg führen.

Prof. Dr. Maßweiler: Dabei vergessen Sie, dass es auch Abgeordnete in Ihrer Fraktion gibt, die das Vorsorgeergänzungspauschalgesetz kritisch sehen, jedenfalls in Teilen. Ihre Mehrheit steht auf tönernen Füßen. Um alle Abgeordneten für das Vorsorgeergänzungspauschalgesetz zu gewin-nen, müssen Sie das Vorsorgeergänzungspau-schalgesetz so aufweichen, dass es nicht mehr er-kennbar wird. Die von Ihnen erhoffte Wirkung des Vorsorgeergänzungspauschalgesetzes wird so nicht eintreten.

Wegemann-Detfurth: Setzen Sie bitte nicht auf Pferde, die Sie nicht selber reiten. Die Bevölke-rung steht hinter uns, wie die letzte Vorsorgeer-

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gänzungspauschalgesetz-Umfrage zeigt: 27,7 Prozent haben klar für das Vorsorgeergänzungs-pauschalgesetz votiert und nur 27,4 Prozent dage-gen. Der Rest ist noch unentschieden, wird sich aber zweifellos für das Vorsorgeergänzungspau-schalgesetz entscheiden, wenn man ....

Prof. Dr. Maßweiler: ...wenn ich mal unterbre-chen darf...

Wegemann-Detfurth: ...ich möchte jetzt im Zu-sammenhang sprechen, damit auch für den Zuhö-rer deutlich wird, worum es geht... ich habe Sie auch nicht unterbrochen und Ihnen sehr lange zu-gehört, was mir schwer gefallen ist angesichts der teilweise doch sehr weit hergeholten Argumenta-tion, der Sie sich befleissigen, um allen Sand in die Augen zu streuen... ...wenn man dieser Bevöl-kerungsschicht, die der Politik etwas ferner steht als Sie und ich, das Vorsorgeergänzungspauschal-gesetz in einfachen Worten erklärt. Die Parteien haben hier auch eine Führungsaufgabe, eine Auf-gabe, die ihre Partei in der Vergangenheit ständig vernachlässigt hat.

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Prof. Dr. Maßweiler: Wenn Sie glauben, in dieser Weise der Bevölkerung ihr Vorsorgeergänzungs-pauschalgesetz-Konzept aufzwingen zu müssen, können wir leider nicht anders, als mit unserer Bundesrats-Mehrheit das Vorsorgeergänzungs-pauschalgesetz zu Fall zu bringen. Im Interesse der Bevölkerung. Wir stehen alle in der Pflicht, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Dafür sind wir gewählt.

Moderator: Das war unsere heutige Live-Diskussion. Das Thema Vorsorgeergänzungspau-schalgesetz wird uns noch länger beschäftigen, denke ich. Für heute sage ich unseren Kontra-henten herzlichen Dank. In der nächsten Woche zur gleichen Zeit im gleichen Sender diskutieren Frau Dr. Welke-Nötiges und Frau Lenske das Thema Nachsorgepauschalergänzungsregelung.

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Antizyklisch

»Guten Tag, ich möchte etwas kaufen.«

»Sehr gerne, was darf es denn sein?«

»Nun, es ist Advent. Da wird man etwas kaufen müssen.«

»Ich verstehe. Wie kann ich behilflich sein?«

»Das ist doch ein Warenhaus?«

»Selbstverständlich.«

»Und hier kann man etwas kaufen?«

»Das ist der Sinn. Was darf ich Ihnen zeigen?«

»Sehen Sie, es ist so: Am Eingang Ihres Waren-hauses ist ein Plakat angebracht mit dem Text: Bei uns werden Sie gut beraten.«

»Ja und?«

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»Nun, ich denke, Sie beraten mich einmal, was ich kaufen soll, mein Fräulein.«

»Aber Sie müssen doch wenigstens im Groben wissen, was Sie wollen.«

»Im Groben weiß ich das auch.«

»Wunderschön, um was geht es?«

»Ich glaube, um ein Geschenk. Schließlich ist bald Weihnachten.«

»Ein Geschenk also?«

»Ja, ein Geschenk.«

»An was haben Sie gedacht?«

»An ein Geschenk zu Weihnachten.«

»Für einen Herrn oder für eine Dame?«

»Das sollen Sie mir gerade im Rahmen Ihrer Be-ratungstätigkeit sagen.«

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»Aber ich kann Sie doch erst fachkundig beraten, wenn Sie mir sagen, ob es ein Geschenk für einen Herrn oder für eine Dame sein soll.«

»Das weiß ich nicht.«

»Wen wollen Sie denn beschenken?«

»Niemanden.«

»Verstehe ich Sie richtig? Sie benötigen ein Ge-schenk, wollen aber niemanden beschenken?«

»So ist es.«

»Dann benötigen Sie auch kein Geschenk.«

»Sie haben mich doch veranlasst, dass ich mich bei meiner Kaufentscheidung grob festlegen muss, weil Sie mich sonst nicht beraten könnten.«

»Nun, dann berate ich Sie wie folgt: Wenn Sie kein Geschenk benötigen, sollten Sie auch keines kaufen.«

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»Sehen Sie, ich will doch nur der allgemeinen Aufforderung nachkommen, in der Adventszeit etwas zu kaufen.«

»Wer sagt, dass Sie in der Adventszeit etwas kau-fen müssen?«

»Die Politik, der Einzelhandel, führende Persön-lichkeiten der Wirtschaft. Sie sagen alle, wir sol-len kaufen und uns antizyklisch verhalten.«

»Aber das müssen Sie doch nicht persönlich neh-men.«

»Muss ich nicht? Aber wenn jeder so denken würde, würde niemand etwas kaufen. Und die Wirtschaft und der Einzelhandel sterben. Und der Staat kann keine Steuern eintreiben. Ich wäre hier gerne antizyklisch behilflich.«

»Nun, wie Sie wollen, dann kaufen Sie etwas.«

»Was denn bitte?«

»Was Sie wollen.«

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»Nennen Sie das eine fachkundige Beratung?«

»Nun gut. Einverstanden. Wie ist es mit diesem Rasierpinsel für die elegante Nassrasur?«

»Ich rasiere mich trocken.«

»Das ist unerheblich. Sie sollen ihn gar nicht benutzen. Sie sollen ihn nur kaufen.«

»Warum?«

»Damit Sie sich antizyklisch verhalten. Rasier-pinsel werden heutzutage kaum noch benötigt, sie werden eigentlich nur gekauft.«

»So etwas suche ich.«

»Ich freue mich, behilflich gewesen zu sein.«

»Nun hat es ja doch noch funktioniert. Sie sind sehr nett.«

»Dankeschön.«

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»Können Sie mir den Rasierpinsel einpacken?«

»Selbstverständlich.«

»Als Geschenk bitte!«

»Nun doch. Ist Ihnen eingefallen, dass Sie jeman-dem damit eine Freude machen können?«

»Ja, und ob.«

»Und wer ist der Glückliche, wenn ich fragen darf.«

»Es soll eine Überraschung sein, zum Weih-nachtsfest. Darf ich Ihnen hiermit zu Weihnach-ten ein kleines Geschenk machen?«

»Sie wollen mir ...?«

»Sie waren sehr nett. Eine kleine Aufmerksam-keit. Es handelt sich um einen Rasierpinsel.«

»Aber ich benötige keinen Rasierpinsel, ich ra-siere mich nur .... Entschuldigung, ich rasiere

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mich nicht.«

»Sie sollen ihn auch nicht benutzen. Sie sollen ihn nur haben, zu Weihnachten sozusagen. Als Geschenk.«

»Entschuldigung, nehmen Sie es nicht übel. Aber meinen Sie nicht auch, dass Ihr Verhalten ein we-nig... merkwürdig ist?«

»Nun, wir haben bald Weihnachten. Da machen es doch alle so.«

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Ist es schon wieder soweit?

"Was machst du denn für ein Gesicht?"

"Ich war beim Chef."

"Ja und?"

"Du weißt ganz genau, worum es geht."

"Ich glaub es nicht, ist es schon wieder soweit?"

"Doch!"

"Schon wieder ist ein Jahr herum."

"Das kannst du laut sagen."

"Was hat der Chef gesagt?"

"Er will sie drei Tage vorher."

"Und wie soll sie aussehen?"

"Wie im Vorjahr."

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"Dann nehmen wir die vom Vorjahr."

"Natürlich mit den entsprechenden Aktualisierun-gen."

"In Ordnung, wer soll es machen?"

"Der Chef hat gesagt, kümmert euch drum."

"Ja, aber wer soll es machen?"

"Der Chef hat gesagt, macht das unter euch aus."

"Dann bis du dran."

"Nur, wenn es nach den bisherigen Regeln geht."

"Es geht nach den bisherigen Regeln."

"Darüber sollte man nachdenken."

"Die bisherigen Regeln waren in Ordnung. Ein Jahr ich, das andere Jahr du, dann wieder ich, dann wieder du."

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"Wie ist es mit Pinnchen-Ziehen?"

"Keine Chance!"

"Oder du machst es in diesem Jahr, und ich über-nehme die nächsten zwei Jahre."

"Hör auf, einen orientalischen Basar aufzuziehen. Du bist dieses Jahr dran und basta."

"Wenn es nur nicht so schlimm wäre."

"Stell dich nicht so an, es geht nur um zehn Mi-nuten."

"Für den Chef geht es um zehn Minuten. Ich sitze zwei Tage daran."

"Du willst doch nicht behaupten, dass du für ei-nen Text, der in zehn Minuten vorgelesen werden kann, zwei Tage zum Aufschreiben benötigst."

"Nein, das nicht. Aber das Überlegen, das Ge-wichten der Worte, der kunstvolle Satzbau, dabei nicht kompliziert, sondern einfach verständlich,

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aber dennoch intelligent, voller einfacher Weis-heiten, aber nicht platt."

"Du schaffst das schon."

"Diese schlaflosen Nächte. Sollen wir beide nicht gemeinsam daran arbeiten?"

"Das haben andere in einem anderen Amt vor Jahren schon einmal versucht. Du weißt, was da-raus geworden ist."

"Ich kenne es vom Hörensagen."

"Die beiden Redenschreiber wollten gemeinsam an dieser Neujahrsansprache arbeiten. Sie began-nen ganz ernst, dann kamen sie aus dem Lachen nicht mehr heraus, schließlich haben sie zwei Nächte durchgesoffen."

"Und was wurde aus der Rede?"

"Sie ist nie fertig geworden. Die beiden haben dann beim Fernsehen angerufen, sie möchten die Silversteransprache vom Bundeskanzler aus dem

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Vorjahr noch einmal senden."

"Und?"

"Haben die gemacht."

"Ist doch eine Idee. Kann man das mit der Weih-nachtsansprache des Bundespräsidenten dieses Jahr nicht auch mal machen? Mir würde es sehr helfen. Der Chef ist sicher einverstanden."

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Zweifel

Bruno: Das ist, was ich Ihnen ansehe, Breden-berg.

Bredenberg: Was sehen Sie mir an, Bruno?

Bruno: Ich sehe Ihnen an, dass Sie wieder zwei-feln.

Bredenberg: Zweifeln Sie da auch nicht?

Bruno: Nein, ich bin mir sicher, dass Sie zwei-feln.

Bredenberg: Nehmen wir an, Sie lägen mit Ihrer Annahme richtig ...

Bruno: Wenn Sie zweifeln, Bredenberg, ist alles in Ordnung.

Bredenberg: Dann ist alles in Ordnung?

Bruno: Ja, dann ist alles in Ordnung. Solange Sie zweifeln, ist nichts entschieden.

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Bredenberg: Sind Sie in dieser Hinsicht sicher, Bruno?

Bruno: Zweifellos.

Bredenberg: Wirklich sicher?

Bruno: Ohne jeden Zweifel.

Bredenberg: Sie haben vollkommen recht.

Bruno: Sie geben mir Recht?

Bredenberg: Ich gebe Ihnen hinsichtlich Ihrer Annahme, mir angesehen zu haben, dass ich zweifel, vollkommen Recht.

Bruno: Aber in Wirklichkeit zweifeln Sie gar nicht, oder?

Bredenberg: Besser wäre es.

Bruno: Warum?

Bredenberg: Sie sagten selbst, solange ich zwei-

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fel, sei alles in Ordnung.

Bruno: Zweifellos.

Bredenberg: Ich denke allerdings, in dieser Hin-sicht sind Zweifel angebracht.

Bruno: Das ist, was ich Ihnen ansehe, Breden-berg.

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