22
www.ssoar.info "Zehn kleine Negerlein... - oder: Wen beißen zuletzt die Hunde?": zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht klientelisierenden Drogenhilfe und menschenwürdigen Drogenpolitik Schneider, Wolfgang Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Schneider, W. (1995). "Zehn kleine Negerlein... - oder: Wen beißen zuletzt die Hunde?": zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht klientelisierenden Drogenhilfe und menschenwürdigen Drogenpolitik. Psychologie und Gesellschaftskritik, 19(2/3), 91-112. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-249325 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer CC BY-NC-ND Lizenz (Namensnennung-Nicht-kommerziell-Keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de Terms of use: This document is made available under a CC BY-NC-ND Licence (Attribution-Non Comercial-NoDerivatives). For more Information see: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0

Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

wwwssoarinfo

Zehn kleine Negerlein - oder Wen beiszligenzuletzt die Hunde zur Notwendigkeit einerakzeptanzorientierten nicht klientelisierendenDrogenhilfe und menschenwuumlrdigen DrogenpolitikSchneider Wolfgang

Veroumlffentlichungsversion Published VersionZeitschriftenartikel journal article

Empfohlene Zitierung Suggested CitationSchneider W (1995) Zehn kleine Negerlein - oder Wen beiszligen zuletzt die Hunde zur Notwendigkeit einerakzeptanzorientierten nicht klientelisierenden Drogenhilfe und menschenwuumlrdigen Drogenpolitik Psychologie undGesellschaftskritik 19(23) 91-112 httpsnbn-resolvingorgurnnbnde0168-ssoar-249325

NutzungsbedingungenDieser Text wird unter einer CC BY-NC-ND Lizenz(Namensnennung-Nicht-kommerziell-Keine Bearbeitung) zurVerfuumlgung gestellt Naumlhere Auskuumlnfte zu den CC-Lizenzen findenSie hierhttpscreativecommonsorglicensesby-nc-nd40deedde

Terms of useThis document is made available under a CC BY-NC-ND Licence(Attribution-Non Comercial-NoDerivatives) For more Informationseehttpscreativecommonsorglicensesby-nc-nd40

Wolfgang Schneider

raquoZehn kleine Negerlein - oder Wen beissen zuletzt die Hundelaquo

Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten

nicht klientelisierenden Drogenhilfe und menschenwuumlrdigen Drogenpolitik

1 Ausgangssituation

Hinsichtlich der Verabschiedung des nationalen Rauschgiftbekaumlmpshyfungsplanes (BMJFFG 1990) des Europaumlischen Drogenbekaumlmpshyfungsplanes auf der Grundlage der Wiener Beschluumlsse vom 19121988 (in der BRD ratifiziert am 1351993) des Gesetzesentwurfes zur Beshykaumlmpfung der organisierten Kriminalitaumlt (OrgKG) und des Europaumlishyschen Aktionsplanes Drogenbekaumlmpfung (Europaumlische Beobachshytungsstelle fuumlr Drogen und Drogensucht - EBDD -) und im Ruumlckshyblick auf mehr als dreiszligig labre punitiver Drogenpolitik muszlig eine ernuumlchternde Bilanz gezogen werden

Die Zahl der Drogentoten ist middotimmer noch immens hoch (1992 2099 und 1993 1738 Drogentote) Eine rapide Zunahme der sozialen gesundheitlichen und materiellen Verelendung in den oumlffentlichen Drogenszenen wird immer offensichtlicher Bis zu 40 000 zwanghaft Drogengebrauchende leiden unter schweren chronischen Erkrankunshygen Die Gefaumlngnisse sind zum groszligen Teil mit BetaumlubungsmittelshyStraftaumltern uumlberfUUt Zur Zeit befinden sich jaumlhrlich (an einem belieshybigen Stichtag des Jahres) ca 10 000 Drogengebraucher in Haft In Hamburg beispielsweise sind etwa 60 aller maumlnnlichen und annaumlshyhernd 90 aller weiblichen Haumlftlinge wegen Drogendelikten inhafshytiert (vgl Gerlach amp Engelmann 1995) Allein in Nordrhein-Westfashylen waren es an einem bestimmten Stichtag im Dezember 19934075 (vgl Aumlrzte-Zeitung vom 11 1231994) Die Mehrheit derjenigen die sich einer stationaumlren Langzeittherapie unterziehen (muumlssen) sind

PampG 2-395 91

___________ Wolfgang Schneider __________

sog Auflagenklienten (vgI Baumgart 1994) Nur wenige Drogengeshybraucher erreichen durch therapeutische Bemuumlhungen langfristige Abstinenz Daruumlber hinaus ist die Haltequote in stationaumlren Therashypieeinrichtungen aumluszligerst gering Im Durchschnitt brechen etwa 65 der Therapieteilnehmer bereits waumlhrend der ersten 4 Monate die Beshyhandlung wieder ab (vgl Stoumlver 1994 b) Die Akzeptanz des traditioshynellen Drogenhilfesystems durch die Betroffenen sinkt weiter rein abstinenzorientierte Therapiekonzepte haben sich mehr und mehr als ineffizient erwiesen Die Anzahl der registrierten erstauffalligen Konshysumenten harter Drogen erreichte 1993 die Marke von 13000 Nach Raschke (1993) sind es in NRW ca 70000 Menschen die haumlufig oder gelegentlich harte Drogen konsumieren Was bleibt ist eine quanshytitative Zunahme von Gebrauchern illegalisierter Drogen deren soshyziale Deklassierung Kriminalisierung und gesundheitliche Verelenshydung sowie ein erhoumlhtes Mortalitaumltsrisiko (vgl ua Bahsteen amp Legge 1995)

Auf das gravierende HIV- und Hepatitisinfektionsrisiko insbesonshydere in Haftanstalten kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden Die Drogenverbotspolitik und der immens aufgeblaumlhte Verfolgungsshyapparat konnten bislang ihre Zielbestimmungen nicht erfuumlllen naumlmshylich den Drogengebrauch einzuschraumlnken Neueinstiege zu verhinshydern den illegalen Drogenmarkt zu bekaumlmpfen und den Betroffenen wirksam zu helfen Es ist eine Fehleinschaumltzung erster Ordnung anshyzunehmen daszlig durch Aufruumlstung im Drogenkrieg und durch die masshysive Vertreibung und Aufloumlsung (ltltJunkie-Jogging) offener Droshygenszenen (wie in verschiedenen Staumldten praktiziert) die Verfuumlgbarshykeit von illegallsierten Drogen eingeschraumlnkt werden kann oder das Problem an sich geloumlst wird (nur ca 5 bis 10 der angebotenen und konsumierten Drogen werden dem illegalen Drogenmarkt entzogen vgl Hess 1992) Drogen sind nicht aus der Welt zu schaffen ja - wie wir wissen - nicht einmal in Strafanstalten Wir koumlnnen houmlchstens lernen kontrollorientiert risikobewuszligt sowie sinn- und maszligvoll mit ihnen umzugehen Eine weitere Verschaumlrfung des heute dominierenshyden raquolegal approachlaquo (kriminalpolitischer prohibitiver und repressishyver Ansatz) durch eine noch intensivere Strafverfolgung und Poumlnalishysierung des Umgangs mit angeblich sozialschaumldlichen Drogen vershykennt die Komplexitaumlt und Heterogenitaumlt des Drogengebrauchs Sie setzt sicherheitspolitische Erwaumlgungen und generalpraumlventive Strateshy

92 PampG 2-395

---________ Wolfgang Schneider __________

gien vor betroffenenorientierte und gesundheitsfoumlrdernde Maszlignahshymen Durch den Ausbau der strafrechtlichen Verfolgungspraxis wird die gesundheitliche und soziale Lebenssituation der annaumlhernd 200 000 heroin- kokaingebrauchenden Menschen uumlber das ertraumlglishyche Maszlig hinaus verschaumlrft Hohes Mortalitaumltsrisiko gesundheitliche Schaumldigungen durch die Straszligendrogen (schwankender Reinheitsgeshyhalt und unbekannte Strecksubstanzen wie Talkum Strychnin Schmerzmittel jeglicher Art Coffein Milchzucker Vitaminpraumlparate sowie bakterielle und andere Verunreinigungen) die zum Teil grotesk unsterile Injektionstechnik (zB Wasser von der Straszlige und aus oumlfshyfentlichen Toiletten zum Aufloumlsen der Substanzen) die mit einer Vielzahl medizinischer Folgekrankheiten wie zB Hepatitis Tetanus venoumlse Leiden Abszesse Leberschaumlden kardiovaskulaumlre Affektioshynen verbunden sind Ganz zu schweigen von der hohem HIV-Praumlvashylenz und AIDS-Inzidenz Obdachlosigkeit und hohen Kriminalisieshyrungsdruck (vgl Heudtlass Stoumlver amp Winkler 1995 Zurhold 1995 a)

Dabei ist laumlngst bekannt daszlig der Gebrauch reiner Opiate ua Heroin bei hygienischen und dosisangepaszligten Konsumbedingungen keinerlei akute oder chronische physische Schaumlden zur Folge hat

raquoEs kommt lediglich zu einer harmlosen Pupillenverengung und einer Tenshydenz zur Verstopfung Eben diese Tatsache unterscheidet die Opiate grundshysaumltzlich von den legalen und gesellschaftlich integrierten Drogen Alkohol und Tabak die nachweislich zu dosisabhaumlngigen und organspezifischen Gesundshyheitsschaumlden fuumlhrenlaquo (Schumacher 1994 S 64)

Hierbei darf jedoch nicht das hohe Suchtpotential von Heroin untershyschlagen werden Trotz der hohen Suchtpotenz von Heroin ist der Gebrauch von pharmakologisch reinem Heroin ohne gravierende Schaumldigungen moumlglich Man kann damit sogar alt werden

Es bleibt festzuhalten exzessiver und zwanghafter Gebrauch imshypliziert zwar Konsum dies muszlig jedoch nicht vice-versa gelten Es sind die Konsumbedingungen der illegalisierten Droge Heroin die wirklich raquogiftiglaquo sind und die das Bild vom gefaumlhrlichen Rauschgift stets aufs Neue bestaumltigen

94 PampG 2-395

raquoZehn kleine Negerleinbull

2 Voraussetzungen einer akzeptanzorientierten Drogenarbeit unter dem Diktat der Drogenverbotspolitik

Diverse Forschungsergebnisse zeigen daszlig der kompulsive Drogenshygebrauch (zwanghafter und exzessiver Gebrauch) kein statischer Zushystand ist der einmal erreicht und nur uumlber langzeittherapeutische Maszlignahmen aufheb bar waumlre Kompulsiver Drogengebrauch ist nicht durch festlegbare Kategorien definierbar Es gibt nicht dielaquo Verlaufsshyform einer sog Drogenabhaumlngigkeit denlaquo Drogenabhaumlngigen oder gar dielaquo Suchtpersoumlnlichkeit noch dielaquo Ursachen fUr deren Entsteshyhung Bekanntlich fUhrt kein Lebenslauf unweigerlich zum kompulshysiven Gebrauch seIbst wenn er unguumlnstige Prognosedaten anhaumluft (vgl Weber amp Schneider 1992 Klingemann amp Efionayi-Maumlder 1994) dh auch daszlig eine wie auch immer geartete Risikokalkulation speshykulativ bleibt Auch wenn es noch so beliebt ist die Faszination der groszligen Zahl (so und so viel Prozent steigen ein steigen aus werden abstinent werden ruumlckfaumlllig usw usw) und dubiose therapeutische Erfolgsquotenermittlungen fUhren uns nicht weiter

Der Weg in den Drogengebrauch und aus der potentiellen Droshygenabhaumlngigkeit heraus stellt eine in vielerlei Hinsicht offene Entshywicklung dar dh ist durch unterschiedliche Verlaumlufe charakterisiert die durch ein komplexes Gefuumlge subjektiver und sozio-kultureller Faktoren bedingt sind (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1994 a) Die vereinfachende angebliche Kausalkette Persoumlnlichshykeitsdefizit - Abhaumlngigkeit - Therapie - Abstinenzlaquo ist kaum mehr haltbar ein gleichfoumlrmiges Karrieremodell hat sich als Fata Morgana erwiesen denn

raquoLineare Modelle also auch lineares systemisches Denken ist zu trivial die komplexe Wirklichkeit in ihrer Dynamik zu fassen zu beschreiben und vershy

stehbarzu machenlaquo (Grubitzsch1992 S158)

So ist inzwischen auch fuumlr die Bundesrepublik sehr gut dokumentiert daszlig es durchaus Moumlglichkeiten eines autonom kontrollierten Geshybrauchs illegalisierter Drogen und Selbstausstiegsprozesse gibt (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1995 b Klingemann amp Efioshynayi-Maumlder 1994)

PampG 2-395 95

-----______ Wolfgang Schneider __________

Die im ersten Abschnitt beschriebene niederschmetternde Ausshygangssituation verlangt eine andere Drogenpolitik Notwendig ist eine pragmatisch und pluralistisch ausgerichtete Drogenhilfe als konshysequente Umsetzung einer akzeptanzorientierten und schadensbeshygrenzenden Unterstuumltzung (Harm-Reduction) Was ist nun hierunter zu verstehen Grundlegendes Prinzip akzeptanzorientierter Drogenshyarbeit ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Gebraushychern iIIegalisierter Drogen dh die Betroffenen sollten das Recht haben uumlber den fuumlr sie geeigneten Weg (mit und ohne Drogen) selbst zu bestimmen Akzeptanzorientierte Drogenarbeit muszlig drogenbezoshygene Lebenspraxen als existent anerkennen und drogenorientierte Lebenstile akzeptieren Akzeptanzorientierte Drogenarbeit ist als Empowerment zu verstehen sie stiftet jenseits einer neuen paumldagoshygischen Rezeptur von Methoden und Interventionsformen zur selbstshybestimmten eigeninszenierten Lebensgestaltung an (vgl zu einem empowermentorientierten Ansatz in der Drogenhilfe Schneider 1992 fuumlr die Jugendarbeit auch Herriger 1994)

In diesem Sinne zielt Empowerment auf Selbstwirksamkeit dh es geht primaumlr um die Unterstuumltzung effektiver (gesundheitsschonenshyder) Verhaltensweisen in Drogengebrauchssituationen Die Wahrnehshymung der eigenen Effektivitaumlt im Sinne eines moumlglichen Kontrollgeshywinns insbesondere in vorher eher aversiven Situationen hat bzw kann eine Reihe von Folgen haben Durch die Stuumltzung bzw auch Vermittlung von Gebrauchskontrollregeln im Sinne eines Safer-Use kann das konkrete Erleben (Selbstwirksamkeit und Kontrollerfahshyrung) daszlig man auch als Gebraucher illegalisierter Drogen uumlber Faumlshyhigkeiten und Fertigkeiten zur aktiven Alltagsorganisation verfuumlgt ermoumlglicht werden Stuumltzung und Vermittlung von Selbstwirksamkeit koumlnnen so regulative Orientierungen zur Gestaltung des (auch) droshygenbezogenen Lebensstils bewirken Dadurch koumlnnen weiterhin handlungsbezogene Funktionen (Dauerhaftigkeit und Anstrengungsshyinvestition) bedeutsam werden dh autonom kontrollierter und eishygenverantwortlicher Drogengebrauch wird auch unter dem Drogenshyverbotsdiktat moumlglich Allerdings muumlssen die Angebote einer akzepshytanzorientierten Drogenarbeit auf Freiwilligkeit basieren auf den Deshyf1zitblickwinkel verzichten und beduumlrfnisorientiert ausgerichtet sein Eine derart verstandene Drogenarbeit zielt auf die Aufhebung der paumldagogisch-therapeutischen Reparaturmentalitaumlt auf den Abbau der

PampG 2-39596

Zehn kleine Negerlein laquo

noch immer vorherrschenden Opfer- und KIiententolIe von Drogenshygebrauchern Die dominierende pathologisierende Blickrichtung zur Erklaumlrung von Drogenabhaumlngigkeit begruumlndete die Definition von Drogengebrauchern als Klienten fuumlr deren Rehabilitation und Wieshydereingliederung sich eine Vielzahl von Experten als zustaumlndig beshytrachtete Dies jedoch - und das sei ausdruumlcklich vermerkt - ohne ein explizites KIientenmandat Durch die administrative Absicherung und weitestgehende Institutionalisierung sowie Professionalisierung des Drogenhilfesystems (ideal gedacht als ein geschlossenes Verbundshysystem) wird die Nachfrage nach therapeutisch-rehabilitativen Dienstleistungen gesichert die Klientenrolle von Drogengebrauchern (Defizitwesen Krankheitsstatus) festgeschrieben und insgesamt geshysehen der Bestand dieses Dienstleistungssystems konserviert Die Entmuumlndigung der Konsumenten durch sog advokatorische Interesshysenvertreter (Therapeuten Sozialpaumldagogen etc) war und ist die Vorshyaussetzung zur Durchsetzung und damit Existenzsicherung einer psyshychotherapeutisch und psychiatrisch orientierten Drogenpolitik (neshyben seiner repressiven Variante)

Die Pathologisierung von Drogengebrauchern als psychisch krank und defizitaumlr einerseits und die Etikettierung derselben als krishyminell andererseits (Behandlung Bestrafung) stellt jedoch nicht nur die Logik der prohibitiven Drogenpolitik ~n Frage sondern ist haumlufig Ursache dafuumlr daszlig sich beabsichtigte Wirkungseffekte in ihr Gegenshyteil verkehren Beide Maszlignahmen sichern die norrnacive Ordnung durch den Einsatz legitimierter Zwangsmittel Es ist naumlmlich so soshybald ein Drogengebraucher auffaumlllige Verhaltensweisen zeigt bzw diese als auffaumlllig wahrgenommen werden beginnt - ganz im Sinne des teutonischen linear-kausalen Denkens - die Fahndung nach dem Taumlter Entweder derjenige der dieses als abweichend definiertes Vershyhalten demonstriert ist selbst der Schuldige Oder aber diejenigen die ihn raquodazu gemacht habenlaquo werden als Schuldige definiert Eltern Verfuumlhrer Umweltbedingungen oder gar die Gesellschaft Insofern ist der Betroffene ein Opfer In diesem Sinne muszlig er dann gerettet aus den Klauen der Droge befreit werden Folge dieses linear-kausalen Denkens ist daszlig immer einer der Schuldige und einer das Opfer ist Weiterhin ist es nun moumlglich das Konstrukt Krankheit anzuwenden Wie ich schon andeutungsweise dargelegt habe ist mit dem Etikett krank ein unmittelbar Schuldiger ausgeklammert Der Kranke ist nur

PampG 2-395 97

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 2: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Wolfgang Schneider

raquoZehn kleine Negerlein - oder Wen beissen zuletzt die Hundelaquo

Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten

nicht klientelisierenden Drogenhilfe und menschenwuumlrdigen Drogenpolitik

1 Ausgangssituation

Hinsichtlich der Verabschiedung des nationalen Rauschgiftbekaumlmpshyfungsplanes (BMJFFG 1990) des Europaumlischen Drogenbekaumlmpshyfungsplanes auf der Grundlage der Wiener Beschluumlsse vom 19121988 (in der BRD ratifiziert am 1351993) des Gesetzesentwurfes zur Beshykaumlmpfung der organisierten Kriminalitaumlt (OrgKG) und des Europaumlishyschen Aktionsplanes Drogenbekaumlmpfung (Europaumlische Beobachshytungsstelle fuumlr Drogen und Drogensucht - EBDD -) und im Ruumlckshyblick auf mehr als dreiszligig labre punitiver Drogenpolitik muszlig eine ernuumlchternde Bilanz gezogen werden

Die Zahl der Drogentoten ist middotimmer noch immens hoch (1992 2099 und 1993 1738 Drogentote) Eine rapide Zunahme der sozialen gesundheitlichen und materiellen Verelendung in den oumlffentlichen Drogenszenen wird immer offensichtlicher Bis zu 40 000 zwanghaft Drogengebrauchende leiden unter schweren chronischen Erkrankunshygen Die Gefaumlngnisse sind zum groszligen Teil mit BetaumlubungsmittelshyStraftaumltern uumlberfUUt Zur Zeit befinden sich jaumlhrlich (an einem belieshybigen Stichtag des Jahres) ca 10 000 Drogengebraucher in Haft In Hamburg beispielsweise sind etwa 60 aller maumlnnlichen und annaumlshyhernd 90 aller weiblichen Haumlftlinge wegen Drogendelikten inhafshytiert (vgl Gerlach amp Engelmann 1995) Allein in Nordrhein-Westfashylen waren es an einem bestimmten Stichtag im Dezember 19934075 (vgl Aumlrzte-Zeitung vom 11 1231994) Die Mehrheit derjenigen die sich einer stationaumlren Langzeittherapie unterziehen (muumlssen) sind

PampG 2-395 91

___________ Wolfgang Schneider __________

sog Auflagenklienten (vgI Baumgart 1994) Nur wenige Drogengeshybraucher erreichen durch therapeutische Bemuumlhungen langfristige Abstinenz Daruumlber hinaus ist die Haltequote in stationaumlren Therashypieeinrichtungen aumluszligerst gering Im Durchschnitt brechen etwa 65 der Therapieteilnehmer bereits waumlhrend der ersten 4 Monate die Beshyhandlung wieder ab (vgl Stoumlver 1994 b) Die Akzeptanz des traditioshynellen Drogenhilfesystems durch die Betroffenen sinkt weiter rein abstinenzorientierte Therapiekonzepte haben sich mehr und mehr als ineffizient erwiesen Die Anzahl der registrierten erstauffalligen Konshysumenten harter Drogen erreichte 1993 die Marke von 13000 Nach Raschke (1993) sind es in NRW ca 70000 Menschen die haumlufig oder gelegentlich harte Drogen konsumieren Was bleibt ist eine quanshytitative Zunahme von Gebrauchern illegalisierter Drogen deren soshyziale Deklassierung Kriminalisierung und gesundheitliche Verelenshydung sowie ein erhoumlhtes Mortalitaumltsrisiko (vgl ua Bahsteen amp Legge 1995)

Auf das gravierende HIV- und Hepatitisinfektionsrisiko insbesonshydere in Haftanstalten kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden Die Drogenverbotspolitik und der immens aufgeblaumlhte Verfolgungsshyapparat konnten bislang ihre Zielbestimmungen nicht erfuumlllen naumlmshylich den Drogengebrauch einzuschraumlnken Neueinstiege zu verhinshydern den illegalen Drogenmarkt zu bekaumlmpfen und den Betroffenen wirksam zu helfen Es ist eine Fehleinschaumltzung erster Ordnung anshyzunehmen daszlig durch Aufruumlstung im Drogenkrieg und durch die masshysive Vertreibung und Aufloumlsung (ltltJunkie-Jogging) offener Droshygenszenen (wie in verschiedenen Staumldten praktiziert) die Verfuumlgbarshykeit von illegallsierten Drogen eingeschraumlnkt werden kann oder das Problem an sich geloumlst wird (nur ca 5 bis 10 der angebotenen und konsumierten Drogen werden dem illegalen Drogenmarkt entzogen vgl Hess 1992) Drogen sind nicht aus der Welt zu schaffen ja - wie wir wissen - nicht einmal in Strafanstalten Wir koumlnnen houmlchstens lernen kontrollorientiert risikobewuszligt sowie sinn- und maszligvoll mit ihnen umzugehen Eine weitere Verschaumlrfung des heute dominierenshyden raquolegal approachlaquo (kriminalpolitischer prohibitiver und repressishyver Ansatz) durch eine noch intensivere Strafverfolgung und Poumlnalishysierung des Umgangs mit angeblich sozialschaumldlichen Drogen vershykennt die Komplexitaumlt und Heterogenitaumlt des Drogengebrauchs Sie setzt sicherheitspolitische Erwaumlgungen und generalpraumlventive Strateshy

92 PampG 2-395

---________ Wolfgang Schneider __________

gien vor betroffenenorientierte und gesundheitsfoumlrdernde Maszlignahshymen Durch den Ausbau der strafrechtlichen Verfolgungspraxis wird die gesundheitliche und soziale Lebenssituation der annaumlhernd 200 000 heroin- kokaingebrauchenden Menschen uumlber das ertraumlglishyche Maszlig hinaus verschaumlrft Hohes Mortalitaumltsrisiko gesundheitliche Schaumldigungen durch die Straszligendrogen (schwankender Reinheitsgeshyhalt und unbekannte Strecksubstanzen wie Talkum Strychnin Schmerzmittel jeglicher Art Coffein Milchzucker Vitaminpraumlparate sowie bakterielle und andere Verunreinigungen) die zum Teil grotesk unsterile Injektionstechnik (zB Wasser von der Straszlige und aus oumlfshyfentlichen Toiletten zum Aufloumlsen der Substanzen) die mit einer Vielzahl medizinischer Folgekrankheiten wie zB Hepatitis Tetanus venoumlse Leiden Abszesse Leberschaumlden kardiovaskulaumlre Affektioshynen verbunden sind Ganz zu schweigen von der hohem HIV-Praumlvashylenz und AIDS-Inzidenz Obdachlosigkeit und hohen Kriminalisieshyrungsdruck (vgl Heudtlass Stoumlver amp Winkler 1995 Zurhold 1995 a)

Dabei ist laumlngst bekannt daszlig der Gebrauch reiner Opiate ua Heroin bei hygienischen und dosisangepaszligten Konsumbedingungen keinerlei akute oder chronische physische Schaumlden zur Folge hat

raquoEs kommt lediglich zu einer harmlosen Pupillenverengung und einer Tenshydenz zur Verstopfung Eben diese Tatsache unterscheidet die Opiate grundshysaumltzlich von den legalen und gesellschaftlich integrierten Drogen Alkohol und Tabak die nachweislich zu dosisabhaumlngigen und organspezifischen Gesundshyheitsschaumlden fuumlhrenlaquo (Schumacher 1994 S 64)

Hierbei darf jedoch nicht das hohe Suchtpotential von Heroin untershyschlagen werden Trotz der hohen Suchtpotenz von Heroin ist der Gebrauch von pharmakologisch reinem Heroin ohne gravierende Schaumldigungen moumlglich Man kann damit sogar alt werden

Es bleibt festzuhalten exzessiver und zwanghafter Gebrauch imshypliziert zwar Konsum dies muszlig jedoch nicht vice-versa gelten Es sind die Konsumbedingungen der illegalisierten Droge Heroin die wirklich raquogiftiglaquo sind und die das Bild vom gefaumlhrlichen Rauschgift stets aufs Neue bestaumltigen

94 PampG 2-395

raquoZehn kleine Negerleinbull

2 Voraussetzungen einer akzeptanzorientierten Drogenarbeit unter dem Diktat der Drogenverbotspolitik

Diverse Forschungsergebnisse zeigen daszlig der kompulsive Drogenshygebrauch (zwanghafter und exzessiver Gebrauch) kein statischer Zushystand ist der einmal erreicht und nur uumlber langzeittherapeutische Maszlignahmen aufheb bar waumlre Kompulsiver Drogengebrauch ist nicht durch festlegbare Kategorien definierbar Es gibt nicht dielaquo Verlaufsshyform einer sog Drogenabhaumlngigkeit denlaquo Drogenabhaumlngigen oder gar dielaquo Suchtpersoumlnlichkeit noch dielaquo Ursachen fUr deren Entsteshyhung Bekanntlich fUhrt kein Lebenslauf unweigerlich zum kompulshysiven Gebrauch seIbst wenn er unguumlnstige Prognosedaten anhaumluft (vgl Weber amp Schneider 1992 Klingemann amp Efionayi-Maumlder 1994) dh auch daszlig eine wie auch immer geartete Risikokalkulation speshykulativ bleibt Auch wenn es noch so beliebt ist die Faszination der groszligen Zahl (so und so viel Prozent steigen ein steigen aus werden abstinent werden ruumlckfaumlllig usw usw) und dubiose therapeutische Erfolgsquotenermittlungen fUhren uns nicht weiter

Der Weg in den Drogengebrauch und aus der potentiellen Droshygenabhaumlngigkeit heraus stellt eine in vielerlei Hinsicht offene Entshywicklung dar dh ist durch unterschiedliche Verlaumlufe charakterisiert die durch ein komplexes Gefuumlge subjektiver und sozio-kultureller Faktoren bedingt sind (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1994 a) Die vereinfachende angebliche Kausalkette Persoumlnlichshykeitsdefizit - Abhaumlngigkeit - Therapie - Abstinenzlaquo ist kaum mehr haltbar ein gleichfoumlrmiges Karrieremodell hat sich als Fata Morgana erwiesen denn

raquoLineare Modelle also auch lineares systemisches Denken ist zu trivial die komplexe Wirklichkeit in ihrer Dynamik zu fassen zu beschreiben und vershy

stehbarzu machenlaquo (Grubitzsch1992 S158)

So ist inzwischen auch fuumlr die Bundesrepublik sehr gut dokumentiert daszlig es durchaus Moumlglichkeiten eines autonom kontrollierten Geshybrauchs illegalisierter Drogen und Selbstausstiegsprozesse gibt (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1995 b Klingemann amp Efioshynayi-Maumlder 1994)

PampG 2-395 95

-----______ Wolfgang Schneider __________

Die im ersten Abschnitt beschriebene niederschmetternde Ausshygangssituation verlangt eine andere Drogenpolitik Notwendig ist eine pragmatisch und pluralistisch ausgerichtete Drogenhilfe als konshysequente Umsetzung einer akzeptanzorientierten und schadensbeshygrenzenden Unterstuumltzung (Harm-Reduction) Was ist nun hierunter zu verstehen Grundlegendes Prinzip akzeptanzorientierter Drogenshyarbeit ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Gebraushychern iIIegalisierter Drogen dh die Betroffenen sollten das Recht haben uumlber den fuumlr sie geeigneten Weg (mit und ohne Drogen) selbst zu bestimmen Akzeptanzorientierte Drogenarbeit muszlig drogenbezoshygene Lebenspraxen als existent anerkennen und drogenorientierte Lebenstile akzeptieren Akzeptanzorientierte Drogenarbeit ist als Empowerment zu verstehen sie stiftet jenseits einer neuen paumldagoshygischen Rezeptur von Methoden und Interventionsformen zur selbstshybestimmten eigeninszenierten Lebensgestaltung an (vgl zu einem empowermentorientierten Ansatz in der Drogenhilfe Schneider 1992 fuumlr die Jugendarbeit auch Herriger 1994)

In diesem Sinne zielt Empowerment auf Selbstwirksamkeit dh es geht primaumlr um die Unterstuumltzung effektiver (gesundheitsschonenshyder) Verhaltensweisen in Drogengebrauchssituationen Die Wahrnehshymung der eigenen Effektivitaumlt im Sinne eines moumlglichen Kontrollgeshywinns insbesondere in vorher eher aversiven Situationen hat bzw kann eine Reihe von Folgen haben Durch die Stuumltzung bzw auch Vermittlung von Gebrauchskontrollregeln im Sinne eines Safer-Use kann das konkrete Erleben (Selbstwirksamkeit und Kontrollerfahshyrung) daszlig man auch als Gebraucher illegalisierter Drogen uumlber Faumlshyhigkeiten und Fertigkeiten zur aktiven Alltagsorganisation verfuumlgt ermoumlglicht werden Stuumltzung und Vermittlung von Selbstwirksamkeit koumlnnen so regulative Orientierungen zur Gestaltung des (auch) droshygenbezogenen Lebensstils bewirken Dadurch koumlnnen weiterhin handlungsbezogene Funktionen (Dauerhaftigkeit und Anstrengungsshyinvestition) bedeutsam werden dh autonom kontrollierter und eishygenverantwortlicher Drogengebrauch wird auch unter dem Drogenshyverbotsdiktat moumlglich Allerdings muumlssen die Angebote einer akzepshytanzorientierten Drogenarbeit auf Freiwilligkeit basieren auf den Deshyf1zitblickwinkel verzichten und beduumlrfnisorientiert ausgerichtet sein Eine derart verstandene Drogenarbeit zielt auf die Aufhebung der paumldagogisch-therapeutischen Reparaturmentalitaumlt auf den Abbau der

PampG 2-39596

Zehn kleine Negerlein laquo

noch immer vorherrschenden Opfer- und KIiententolIe von Drogenshygebrauchern Die dominierende pathologisierende Blickrichtung zur Erklaumlrung von Drogenabhaumlngigkeit begruumlndete die Definition von Drogengebrauchern als Klienten fuumlr deren Rehabilitation und Wieshydereingliederung sich eine Vielzahl von Experten als zustaumlndig beshytrachtete Dies jedoch - und das sei ausdruumlcklich vermerkt - ohne ein explizites KIientenmandat Durch die administrative Absicherung und weitestgehende Institutionalisierung sowie Professionalisierung des Drogenhilfesystems (ideal gedacht als ein geschlossenes Verbundshysystem) wird die Nachfrage nach therapeutisch-rehabilitativen Dienstleistungen gesichert die Klientenrolle von Drogengebrauchern (Defizitwesen Krankheitsstatus) festgeschrieben und insgesamt geshysehen der Bestand dieses Dienstleistungssystems konserviert Die Entmuumlndigung der Konsumenten durch sog advokatorische Interesshysenvertreter (Therapeuten Sozialpaumldagogen etc) war und ist die Vorshyaussetzung zur Durchsetzung und damit Existenzsicherung einer psyshychotherapeutisch und psychiatrisch orientierten Drogenpolitik (neshyben seiner repressiven Variante)

Die Pathologisierung von Drogengebrauchern als psychisch krank und defizitaumlr einerseits und die Etikettierung derselben als krishyminell andererseits (Behandlung Bestrafung) stellt jedoch nicht nur die Logik der prohibitiven Drogenpolitik ~n Frage sondern ist haumlufig Ursache dafuumlr daszlig sich beabsichtigte Wirkungseffekte in ihr Gegenshyteil verkehren Beide Maszlignahmen sichern die norrnacive Ordnung durch den Einsatz legitimierter Zwangsmittel Es ist naumlmlich so soshybald ein Drogengebraucher auffaumlllige Verhaltensweisen zeigt bzw diese als auffaumlllig wahrgenommen werden beginnt - ganz im Sinne des teutonischen linear-kausalen Denkens - die Fahndung nach dem Taumlter Entweder derjenige der dieses als abweichend definiertes Vershyhalten demonstriert ist selbst der Schuldige Oder aber diejenigen die ihn raquodazu gemacht habenlaquo werden als Schuldige definiert Eltern Verfuumlhrer Umweltbedingungen oder gar die Gesellschaft Insofern ist der Betroffene ein Opfer In diesem Sinne muszlig er dann gerettet aus den Klauen der Droge befreit werden Folge dieses linear-kausalen Denkens ist daszlig immer einer der Schuldige und einer das Opfer ist Weiterhin ist es nun moumlglich das Konstrukt Krankheit anzuwenden Wie ich schon andeutungsweise dargelegt habe ist mit dem Etikett krank ein unmittelbar Schuldiger ausgeklammert Der Kranke ist nur

PampG 2-395 97

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 3: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

___________ Wolfgang Schneider __________

sog Auflagenklienten (vgI Baumgart 1994) Nur wenige Drogengeshybraucher erreichen durch therapeutische Bemuumlhungen langfristige Abstinenz Daruumlber hinaus ist die Haltequote in stationaumlren Therashypieeinrichtungen aumluszligerst gering Im Durchschnitt brechen etwa 65 der Therapieteilnehmer bereits waumlhrend der ersten 4 Monate die Beshyhandlung wieder ab (vgl Stoumlver 1994 b) Die Akzeptanz des traditioshynellen Drogenhilfesystems durch die Betroffenen sinkt weiter rein abstinenzorientierte Therapiekonzepte haben sich mehr und mehr als ineffizient erwiesen Die Anzahl der registrierten erstauffalligen Konshysumenten harter Drogen erreichte 1993 die Marke von 13000 Nach Raschke (1993) sind es in NRW ca 70000 Menschen die haumlufig oder gelegentlich harte Drogen konsumieren Was bleibt ist eine quanshytitative Zunahme von Gebrauchern illegalisierter Drogen deren soshyziale Deklassierung Kriminalisierung und gesundheitliche Verelenshydung sowie ein erhoumlhtes Mortalitaumltsrisiko (vgl ua Bahsteen amp Legge 1995)

Auf das gravierende HIV- und Hepatitisinfektionsrisiko insbesonshydere in Haftanstalten kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden Die Drogenverbotspolitik und der immens aufgeblaumlhte Verfolgungsshyapparat konnten bislang ihre Zielbestimmungen nicht erfuumlllen naumlmshylich den Drogengebrauch einzuschraumlnken Neueinstiege zu verhinshydern den illegalen Drogenmarkt zu bekaumlmpfen und den Betroffenen wirksam zu helfen Es ist eine Fehleinschaumltzung erster Ordnung anshyzunehmen daszlig durch Aufruumlstung im Drogenkrieg und durch die masshysive Vertreibung und Aufloumlsung (ltltJunkie-Jogging) offener Droshygenszenen (wie in verschiedenen Staumldten praktiziert) die Verfuumlgbarshykeit von illegallsierten Drogen eingeschraumlnkt werden kann oder das Problem an sich geloumlst wird (nur ca 5 bis 10 der angebotenen und konsumierten Drogen werden dem illegalen Drogenmarkt entzogen vgl Hess 1992) Drogen sind nicht aus der Welt zu schaffen ja - wie wir wissen - nicht einmal in Strafanstalten Wir koumlnnen houmlchstens lernen kontrollorientiert risikobewuszligt sowie sinn- und maszligvoll mit ihnen umzugehen Eine weitere Verschaumlrfung des heute dominierenshyden raquolegal approachlaquo (kriminalpolitischer prohibitiver und repressishyver Ansatz) durch eine noch intensivere Strafverfolgung und Poumlnalishysierung des Umgangs mit angeblich sozialschaumldlichen Drogen vershykennt die Komplexitaumlt und Heterogenitaumlt des Drogengebrauchs Sie setzt sicherheitspolitische Erwaumlgungen und generalpraumlventive Strateshy

92 PampG 2-395

---________ Wolfgang Schneider __________

gien vor betroffenenorientierte und gesundheitsfoumlrdernde Maszlignahshymen Durch den Ausbau der strafrechtlichen Verfolgungspraxis wird die gesundheitliche und soziale Lebenssituation der annaumlhernd 200 000 heroin- kokaingebrauchenden Menschen uumlber das ertraumlglishyche Maszlig hinaus verschaumlrft Hohes Mortalitaumltsrisiko gesundheitliche Schaumldigungen durch die Straszligendrogen (schwankender Reinheitsgeshyhalt und unbekannte Strecksubstanzen wie Talkum Strychnin Schmerzmittel jeglicher Art Coffein Milchzucker Vitaminpraumlparate sowie bakterielle und andere Verunreinigungen) die zum Teil grotesk unsterile Injektionstechnik (zB Wasser von der Straszlige und aus oumlfshyfentlichen Toiletten zum Aufloumlsen der Substanzen) die mit einer Vielzahl medizinischer Folgekrankheiten wie zB Hepatitis Tetanus venoumlse Leiden Abszesse Leberschaumlden kardiovaskulaumlre Affektioshynen verbunden sind Ganz zu schweigen von der hohem HIV-Praumlvashylenz und AIDS-Inzidenz Obdachlosigkeit und hohen Kriminalisieshyrungsdruck (vgl Heudtlass Stoumlver amp Winkler 1995 Zurhold 1995 a)

Dabei ist laumlngst bekannt daszlig der Gebrauch reiner Opiate ua Heroin bei hygienischen und dosisangepaszligten Konsumbedingungen keinerlei akute oder chronische physische Schaumlden zur Folge hat

raquoEs kommt lediglich zu einer harmlosen Pupillenverengung und einer Tenshydenz zur Verstopfung Eben diese Tatsache unterscheidet die Opiate grundshysaumltzlich von den legalen und gesellschaftlich integrierten Drogen Alkohol und Tabak die nachweislich zu dosisabhaumlngigen und organspezifischen Gesundshyheitsschaumlden fuumlhrenlaquo (Schumacher 1994 S 64)

Hierbei darf jedoch nicht das hohe Suchtpotential von Heroin untershyschlagen werden Trotz der hohen Suchtpotenz von Heroin ist der Gebrauch von pharmakologisch reinem Heroin ohne gravierende Schaumldigungen moumlglich Man kann damit sogar alt werden

Es bleibt festzuhalten exzessiver und zwanghafter Gebrauch imshypliziert zwar Konsum dies muszlig jedoch nicht vice-versa gelten Es sind die Konsumbedingungen der illegalisierten Droge Heroin die wirklich raquogiftiglaquo sind und die das Bild vom gefaumlhrlichen Rauschgift stets aufs Neue bestaumltigen

94 PampG 2-395

raquoZehn kleine Negerleinbull

2 Voraussetzungen einer akzeptanzorientierten Drogenarbeit unter dem Diktat der Drogenverbotspolitik

Diverse Forschungsergebnisse zeigen daszlig der kompulsive Drogenshygebrauch (zwanghafter und exzessiver Gebrauch) kein statischer Zushystand ist der einmal erreicht und nur uumlber langzeittherapeutische Maszlignahmen aufheb bar waumlre Kompulsiver Drogengebrauch ist nicht durch festlegbare Kategorien definierbar Es gibt nicht dielaquo Verlaufsshyform einer sog Drogenabhaumlngigkeit denlaquo Drogenabhaumlngigen oder gar dielaquo Suchtpersoumlnlichkeit noch dielaquo Ursachen fUr deren Entsteshyhung Bekanntlich fUhrt kein Lebenslauf unweigerlich zum kompulshysiven Gebrauch seIbst wenn er unguumlnstige Prognosedaten anhaumluft (vgl Weber amp Schneider 1992 Klingemann amp Efionayi-Maumlder 1994) dh auch daszlig eine wie auch immer geartete Risikokalkulation speshykulativ bleibt Auch wenn es noch so beliebt ist die Faszination der groszligen Zahl (so und so viel Prozent steigen ein steigen aus werden abstinent werden ruumlckfaumlllig usw usw) und dubiose therapeutische Erfolgsquotenermittlungen fUhren uns nicht weiter

Der Weg in den Drogengebrauch und aus der potentiellen Droshygenabhaumlngigkeit heraus stellt eine in vielerlei Hinsicht offene Entshywicklung dar dh ist durch unterschiedliche Verlaumlufe charakterisiert die durch ein komplexes Gefuumlge subjektiver und sozio-kultureller Faktoren bedingt sind (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1994 a) Die vereinfachende angebliche Kausalkette Persoumlnlichshykeitsdefizit - Abhaumlngigkeit - Therapie - Abstinenzlaquo ist kaum mehr haltbar ein gleichfoumlrmiges Karrieremodell hat sich als Fata Morgana erwiesen denn

raquoLineare Modelle also auch lineares systemisches Denken ist zu trivial die komplexe Wirklichkeit in ihrer Dynamik zu fassen zu beschreiben und vershy

stehbarzu machenlaquo (Grubitzsch1992 S158)

So ist inzwischen auch fuumlr die Bundesrepublik sehr gut dokumentiert daszlig es durchaus Moumlglichkeiten eines autonom kontrollierten Geshybrauchs illegalisierter Drogen und Selbstausstiegsprozesse gibt (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1995 b Klingemann amp Efioshynayi-Maumlder 1994)

PampG 2-395 95

-----______ Wolfgang Schneider __________

Die im ersten Abschnitt beschriebene niederschmetternde Ausshygangssituation verlangt eine andere Drogenpolitik Notwendig ist eine pragmatisch und pluralistisch ausgerichtete Drogenhilfe als konshysequente Umsetzung einer akzeptanzorientierten und schadensbeshygrenzenden Unterstuumltzung (Harm-Reduction) Was ist nun hierunter zu verstehen Grundlegendes Prinzip akzeptanzorientierter Drogenshyarbeit ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Gebraushychern iIIegalisierter Drogen dh die Betroffenen sollten das Recht haben uumlber den fuumlr sie geeigneten Weg (mit und ohne Drogen) selbst zu bestimmen Akzeptanzorientierte Drogenarbeit muszlig drogenbezoshygene Lebenspraxen als existent anerkennen und drogenorientierte Lebenstile akzeptieren Akzeptanzorientierte Drogenarbeit ist als Empowerment zu verstehen sie stiftet jenseits einer neuen paumldagoshygischen Rezeptur von Methoden und Interventionsformen zur selbstshybestimmten eigeninszenierten Lebensgestaltung an (vgl zu einem empowermentorientierten Ansatz in der Drogenhilfe Schneider 1992 fuumlr die Jugendarbeit auch Herriger 1994)

In diesem Sinne zielt Empowerment auf Selbstwirksamkeit dh es geht primaumlr um die Unterstuumltzung effektiver (gesundheitsschonenshyder) Verhaltensweisen in Drogengebrauchssituationen Die Wahrnehshymung der eigenen Effektivitaumlt im Sinne eines moumlglichen Kontrollgeshywinns insbesondere in vorher eher aversiven Situationen hat bzw kann eine Reihe von Folgen haben Durch die Stuumltzung bzw auch Vermittlung von Gebrauchskontrollregeln im Sinne eines Safer-Use kann das konkrete Erleben (Selbstwirksamkeit und Kontrollerfahshyrung) daszlig man auch als Gebraucher illegalisierter Drogen uumlber Faumlshyhigkeiten und Fertigkeiten zur aktiven Alltagsorganisation verfuumlgt ermoumlglicht werden Stuumltzung und Vermittlung von Selbstwirksamkeit koumlnnen so regulative Orientierungen zur Gestaltung des (auch) droshygenbezogenen Lebensstils bewirken Dadurch koumlnnen weiterhin handlungsbezogene Funktionen (Dauerhaftigkeit und Anstrengungsshyinvestition) bedeutsam werden dh autonom kontrollierter und eishygenverantwortlicher Drogengebrauch wird auch unter dem Drogenshyverbotsdiktat moumlglich Allerdings muumlssen die Angebote einer akzepshytanzorientierten Drogenarbeit auf Freiwilligkeit basieren auf den Deshyf1zitblickwinkel verzichten und beduumlrfnisorientiert ausgerichtet sein Eine derart verstandene Drogenarbeit zielt auf die Aufhebung der paumldagogisch-therapeutischen Reparaturmentalitaumlt auf den Abbau der

PampG 2-39596

Zehn kleine Negerlein laquo

noch immer vorherrschenden Opfer- und KIiententolIe von Drogenshygebrauchern Die dominierende pathologisierende Blickrichtung zur Erklaumlrung von Drogenabhaumlngigkeit begruumlndete die Definition von Drogengebrauchern als Klienten fuumlr deren Rehabilitation und Wieshydereingliederung sich eine Vielzahl von Experten als zustaumlndig beshytrachtete Dies jedoch - und das sei ausdruumlcklich vermerkt - ohne ein explizites KIientenmandat Durch die administrative Absicherung und weitestgehende Institutionalisierung sowie Professionalisierung des Drogenhilfesystems (ideal gedacht als ein geschlossenes Verbundshysystem) wird die Nachfrage nach therapeutisch-rehabilitativen Dienstleistungen gesichert die Klientenrolle von Drogengebrauchern (Defizitwesen Krankheitsstatus) festgeschrieben und insgesamt geshysehen der Bestand dieses Dienstleistungssystems konserviert Die Entmuumlndigung der Konsumenten durch sog advokatorische Interesshysenvertreter (Therapeuten Sozialpaumldagogen etc) war und ist die Vorshyaussetzung zur Durchsetzung und damit Existenzsicherung einer psyshychotherapeutisch und psychiatrisch orientierten Drogenpolitik (neshyben seiner repressiven Variante)

Die Pathologisierung von Drogengebrauchern als psychisch krank und defizitaumlr einerseits und die Etikettierung derselben als krishyminell andererseits (Behandlung Bestrafung) stellt jedoch nicht nur die Logik der prohibitiven Drogenpolitik ~n Frage sondern ist haumlufig Ursache dafuumlr daszlig sich beabsichtigte Wirkungseffekte in ihr Gegenshyteil verkehren Beide Maszlignahmen sichern die norrnacive Ordnung durch den Einsatz legitimierter Zwangsmittel Es ist naumlmlich so soshybald ein Drogengebraucher auffaumlllige Verhaltensweisen zeigt bzw diese als auffaumlllig wahrgenommen werden beginnt - ganz im Sinne des teutonischen linear-kausalen Denkens - die Fahndung nach dem Taumlter Entweder derjenige der dieses als abweichend definiertes Vershyhalten demonstriert ist selbst der Schuldige Oder aber diejenigen die ihn raquodazu gemacht habenlaquo werden als Schuldige definiert Eltern Verfuumlhrer Umweltbedingungen oder gar die Gesellschaft Insofern ist der Betroffene ein Opfer In diesem Sinne muszlig er dann gerettet aus den Klauen der Droge befreit werden Folge dieses linear-kausalen Denkens ist daszlig immer einer der Schuldige und einer das Opfer ist Weiterhin ist es nun moumlglich das Konstrukt Krankheit anzuwenden Wie ich schon andeutungsweise dargelegt habe ist mit dem Etikett krank ein unmittelbar Schuldiger ausgeklammert Der Kranke ist nur

PampG 2-395 97

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 4: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

---________ Wolfgang Schneider __________

gien vor betroffenenorientierte und gesundheitsfoumlrdernde Maszlignahshymen Durch den Ausbau der strafrechtlichen Verfolgungspraxis wird die gesundheitliche und soziale Lebenssituation der annaumlhernd 200 000 heroin- kokaingebrauchenden Menschen uumlber das ertraumlglishyche Maszlig hinaus verschaumlrft Hohes Mortalitaumltsrisiko gesundheitliche Schaumldigungen durch die Straszligendrogen (schwankender Reinheitsgeshyhalt und unbekannte Strecksubstanzen wie Talkum Strychnin Schmerzmittel jeglicher Art Coffein Milchzucker Vitaminpraumlparate sowie bakterielle und andere Verunreinigungen) die zum Teil grotesk unsterile Injektionstechnik (zB Wasser von der Straszlige und aus oumlfshyfentlichen Toiletten zum Aufloumlsen der Substanzen) die mit einer Vielzahl medizinischer Folgekrankheiten wie zB Hepatitis Tetanus venoumlse Leiden Abszesse Leberschaumlden kardiovaskulaumlre Affektioshynen verbunden sind Ganz zu schweigen von der hohem HIV-Praumlvashylenz und AIDS-Inzidenz Obdachlosigkeit und hohen Kriminalisieshyrungsdruck (vgl Heudtlass Stoumlver amp Winkler 1995 Zurhold 1995 a)

Dabei ist laumlngst bekannt daszlig der Gebrauch reiner Opiate ua Heroin bei hygienischen und dosisangepaszligten Konsumbedingungen keinerlei akute oder chronische physische Schaumlden zur Folge hat

raquoEs kommt lediglich zu einer harmlosen Pupillenverengung und einer Tenshydenz zur Verstopfung Eben diese Tatsache unterscheidet die Opiate grundshysaumltzlich von den legalen und gesellschaftlich integrierten Drogen Alkohol und Tabak die nachweislich zu dosisabhaumlngigen und organspezifischen Gesundshyheitsschaumlden fuumlhrenlaquo (Schumacher 1994 S 64)

Hierbei darf jedoch nicht das hohe Suchtpotential von Heroin untershyschlagen werden Trotz der hohen Suchtpotenz von Heroin ist der Gebrauch von pharmakologisch reinem Heroin ohne gravierende Schaumldigungen moumlglich Man kann damit sogar alt werden

Es bleibt festzuhalten exzessiver und zwanghafter Gebrauch imshypliziert zwar Konsum dies muszlig jedoch nicht vice-versa gelten Es sind die Konsumbedingungen der illegalisierten Droge Heroin die wirklich raquogiftiglaquo sind und die das Bild vom gefaumlhrlichen Rauschgift stets aufs Neue bestaumltigen

94 PampG 2-395

raquoZehn kleine Negerleinbull

2 Voraussetzungen einer akzeptanzorientierten Drogenarbeit unter dem Diktat der Drogenverbotspolitik

Diverse Forschungsergebnisse zeigen daszlig der kompulsive Drogenshygebrauch (zwanghafter und exzessiver Gebrauch) kein statischer Zushystand ist der einmal erreicht und nur uumlber langzeittherapeutische Maszlignahmen aufheb bar waumlre Kompulsiver Drogengebrauch ist nicht durch festlegbare Kategorien definierbar Es gibt nicht dielaquo Verlaufsshyform einer sog Drogenabhaumlngigkeit denlaquo Drogenabhaumlngigen oder gar dielaquo Suchtpersoumlnlichkeit noch dielaquo Ursachen fUr deren Entsteshyhung Bekanntlich fUhrt kein Lebenslauf unweigerlich zum kompulshysiven Gebrauch seIbst wenn er unguumlnstige Prognosedaten anhaumluft (vgl Weber amp Schneider 1992 Klingemann amp Efionayi-Maumlder 1994) dh auch daszlig eine wie auch immer geartete Risikokalkulation speshykulativ bleibt Auch wenn es noch so beliebt ist die Faszination der groszligen Zahl (so und so viel Prozent steigen ein steigen aus werden abstinent werden ruumlckfaumlllig usw usw) und dubiose therapeutische Erfolgsquotenermittlungen fUhren uns nicht weiter

Der Weg in den Drogengebrauch und aus der potentiellen Droshygenabhaumlngigkeit heraus stellt eine in vielerlei Hinsicht offene Entshywicklung dar dh ist durch unterschiedliche Verlaumlufe charakterisiert die durch ein komplexes Gefuumlge subjektiver und sozio-kultureller Faktoren bedingt sind (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1994 a) Die vereinfachende angebliche Kausalkette Persoumlnlichshykeitsdefizit - Abhaumlngigkeit - Therapie - Abstinenzlaquo ist kaum mehr haltbar ein gleichfoumlrmiges Karrieremodell hat sich als Fata Morgana erwiesen denn

raquoLineare Modelle also auch lineares systemisches Denken ist zu trivial die komplexe Wirklichkeit in ihrer Dynamik zu fassen zu beschreiben und vershy

stehbarzu machenlaquo (Grubitzsch1992 S158)

So ist inzwischen auch fuumlr die Bundesrepublik sehr gut dokumentiert daszlig es durchaus Moumlglichkeiten eines autonom kontrollierten Geshybrauchs illegalisierter Drogen und Selbstausstiegsprozesse gibt (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1995 b Klingemann amp Efioshynayi-Maumlder 1994)

PampG 2-395 95

-----______ Wolfgang Schneider __________

Die im ersten Abschnitt beschriebene niederschmetternde Ausshygangssituation verlangt eine andere Drogenpolitik Notwendig ist eine pragmatisch und pluralistisch ausgerichtete Drogenhilfe als konshysequente Umsetzung einer akzeptanzorientierten und schadensbeshygrenzenden Unterstuumltzung (Harm-Reduction) Was ist nun hierunter zu verstehen Grundlegendes Prinzip akzeptanzorientierter Drogenshyarbeit ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Gebraushychern iIIegalisierter Drogen dh die Betroffenen sollten das Recht haben uumlber den fuumlr sie geeigneten Weg (mit und ohne Drogen) selbst zu bestimmen Akzeptanzorientierte Drogenarbeit muszlig drogenbezoshygene Lebenspraxen als existent anerkennen und drogenorientierte Lebenstile akzeptieren Akzeptanzorientierte Drogenarbeit ist als Empowerment zu verstehen sie stiftet jenseits einer neuen paumldagoshygischen Rezeptur von Methoden und Interventionsformen zur selbstshybestimmten eigeninszenierten Lebensgestaltung an (vgl zu einem empowermentorientierten Ansatz in der Drogenhilfe Schneider 1992 fuumlr die Jugendarbeit auch Herriger 1994)

In diesem Sinne zielt Empowerment auf Selbstwirksamkeit dh es geht primaumlr um die Unterstuumltzung effektiver (gesundheitsschonenshyder) Verhaltensweisen in Drogengebrauchssituationen Die Wahrnehshymung der eigenen Effektivitaumlt im Sinne eines moumlglichen Kontrollgeshywinns insbesondere in vorher eher aversiven Situationen hat bzw kann eine Reihe von Folgen haben Durch die Stuumltzung bzw auch Vermittlung von Gebrauchskontrollregeln im Sinne eines Safer-Use kann das konkrete Erleben (Selbstwirksamkeit und Kontrollerfahshyrung) daszlig man auch als Gebraucher illegalisierter Drogen uumlber Faumlshyhigkeiten und Fertigkeiten zur aktiven Alltagsorganisation verfuumlgt ermoumlglicht werden Stuumltzung und Vermittlung von Selbstwirksamkeit koumlnnen so regulative Orientierungen zur Gestaltung des (auch) droshygenbezogenen Lebensstils bewirken Dadurch koumlnnen weiterhin handlungsbezogene Funktionen (Dauerhaftigkeit und Anstrengungsshyinvestition) bedeutsam werden dh autonom kontrollierter und eishygenverantwortlicher Drogengebrauch wird auch unter dem Drogenshyverbotsdiktat moumlglich Allerdings muumlssen die Angebote einer akzepshytanzorientierten Drogenarbeit auf Freiwilligkeit basieren auf den Deshyf1zitblickwinkel verzichten und beduumlrfnisorientiert ausgerichtet sein Eine derart verstandene Drogenarbeit zielt auf die Aufhebung der paumldagogisch-therapeutischen Reparaturmentalitaumlt auf den Abbau der

PampG 2-39596

Zehn kleine Negerlein laquo

noch immer vorherrschenden Opfer- und KIiententolIe von Drogenshygebrauchern Die dominierende pathologisierende Blickrichtung zur Erklaumlrung von Drogenabhaumlngigkeit begruumlndete die Definition von Drogengebrauchern als Klienten fuumlr deren Rehabilitation und Wieshydereingliederung sich eine Vielzahl von Experten als zustaumlndig beshytrachtete Dies jedoch - und das sei ausdruumlcklich vermerkt - ohne ein explizites KIientenmandat Durch die administrative Absicherung und weitestgehende Institutionalisierung sowie Professionalisierung des Drogenhilfesystems (ideal gedacht als ein geschlossenes Verbundshysystem) wird die Nachfrage nach therapeutisch-rehabilitativen Dienstleistungen gesichert die Klientenrolle von Drogengebrauchern (Defizitwesen Krankheitsstatus) festgeschrieben und insgesamt geshysehen der Bestand dieses Dienstleistungssystems konserviert Die Entmuumlndigung der Konsumenten durch sog advokatorische Interesshysenvertreter (Therapeuten Sozialpaumldagogen etc) war und ist die Vorshyaussetzung zur Durchsetzung und damit Existenzsicherung einer psyshychotherapeutisch und psychiatrisch orientierten Drogenpolitik (neshyben seiner repressiven Variante)

Die Pathologisierung von Drogengebrauchern als psychisch krank und defizitaumlr einerseits und die Etikettierung derselben als krishyminell andererseits (Behandlung Bestrafung) stellt jedoch nicht nur die Logik der prohibitiven Drogenpolitik ~n Frage sondern ist haumlufig Ursache dafuumlr daszlig sich beabsichtigte Wirkungseffekte in ihr Gegenshyteil verkehren Beide Maszlignahmen sichern die norrnacive Ordnung durch den Einsatz legitimierter Zwangsmittel Es ist naumlmlich so soshybald ein Drogengebraucher auffaumlllige Verhaltensweisen zeigt bzw diese als auffaumlllig wahrgenommen werden beginnt - ganz im Sinne des teutonischen linear-kausalen Denkens - die Fahndung nach dem Taumlter Entweder derjenige der dieses als abweichend definiertes Vershyhalten demonstriert ist selbst der Schuldige Oder aber diejenigen die ihn raquodazu gemacht habenlaquo werden als Schuldige definiert Eltern Verfuumlhrer Umweltbedingungen oder gar die Gesellschaft Insofern ist der Betroffene ein Opfer In diesem Sinne muszlig er dann gerettet aus den Klauen der Droge befreit werden Folge dieses linear-kausalen Denkens ist daszlig immer einer der Schuldige und einer das Opfer ist Weiterhin ist es nun moumlglich das Konstrukt Krankheit anzuwenden Wie ich schon andeutungsweise dargelegt habe ist mit dem Etikett krank ein unmittelbar Schuldiger ausgeklammert Der Kranke ist nur

PampG 2-395 97

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 5: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

raquoZehn kleine Negerleinbull

2 Voraussetzungen einer akzeptanzorientierten Drogenarbeit unter dem Diktat der Drogenverbotspolitik

Diverse Forschungsergebnisse zeigen daszlig der kompulsive Drogenshygebrauch (zwanghafter und exzessiver Gebrauch) kein statischer Zushystand ist der einmal erreicht und nur uumlber langzeittherapeutische Maszlignahmen aufheb bar waumlre Kompulsiver Drogengebrauch ist nicht durch festlegbare Kategorien definierbar Es gibt nicht dielaquo Verlaufsshyform einer sog Drogenabhaumlngigkeit denlaquo Drogenabhaumlngigen oder gar dielaquo Suchtpersoumlnlichkeit noch dielaquo Ursachen fUr deren Entsteshyhung Bekanntlich fUhrt kein Lebenslauf unweigerlich zum kompulshysiven Gebrauch seIbst wenn er unguumlnstige Prognosedaten anhaumluft (vgl Weber amp Schneider 1992 Klingemann amp Efionayi-Maumlder 1994) dh auch daszlig eine wie auch immer geartete Risikokalkulation speshykulativ bleibt Auch wenn es noch so beliebt ist die Faszination der groszligen Zahl (so und so viel Prozent steigen ein steigen aus werden abstinent werden ruumlckfaumlllig usw usw) und dubiose therapeutische Erfolgsquotenermittlungen fUhren uns nicht weiter

Der Weg in den Drogengebrauch und aus der potentiellen Droshygenabhaumlngigkeit heraus stellt eine in vielerlei Hinsicht offene Entshywicklung dar dh ist durch unterschiedliche Verlaumlufe charakterisiert die durch ein komplexes Gefuumlge subjektiver und sozio-kultureller Faktoren bedingt sind (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1994 a) Die vereinfachende angebliche Kausalkette Persoumlnlichshykeitsdefizit - Abhaumlngigkeit - Therapie - Abstinenzlaquo ist kaum mehr haltbar ein gleichfoumlrmiges Karrieremodell hat sich als Fata Morgana erwiesen denn

raquoLineare Modelle also auch lineares systemisches Denken ist zu trivial die komplexe Wirklichkeit in ihrer Dynamik zu fassen zu beschreiben und vershy

stehbarzu machenlaquo (Grubitzsch1992 S158)

So ist inzwischen auch fuumlr die Bundesrepublik sehr gut dokumentiert daszlig es durchaus Moumlglichkeiten eines autonom kontrollierten Geshybrauchs illegalisierter Drogen und Selbstausstiegsprozesse gibt (vgl Weber amp Schneider 1992 Schneider 1995 b Klingemann amp Efioshynayi-Maumlder 1994)

PampG 2-395 95

-----______ Wolfgang Schneider __________

Die im ersten Abschnitt beschriebene niederschmetternde Ausshygangssituation verlangt eine andere Drogenpolitik Notwendig ist eine pragmatisch und pluralistisch ausgerichtete Drogenhilfe als konshysequente Umsetzung einer akzeptanzorientierten und schadensbeshygrenzenden Unterstuumltzung (Harm-Reduction) Was ist nun hierunter zu verstehen Grundlegendes Prinzip akzeptanzorientierter Drogenshyarbeit ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Gebraushychern iIIegalisierter Drogen dh die Betroffenen sollten das Recht haben uumlber den fuumlr sie geeigneten Weg (mit und ohne Drogen) selbst zu bestimmen Akzeptanzorientierte Drogenarbeit muszlig drogenbezoshygene Lebenspraxen als existent anerkennen und drogenorientierte Lebenstile akzeptieren Akzeptanzorientierte Drogenarbeit ist als Empowerment zu verstehen sie stiftet jenseits einer neuen paumldagoshygischen Rezeptur von Methoden und Interventionsformen zur selbstshybestimmten eigeninszenierten Lebensgestaltung an (vgl zu einem empowermentorientierten Ansatz in der Drogenhilfe Schneider 1992 fuumlr die Jugendarbeit auch Herriger 1994)

In diesem Sinne zielt Empowerment auf Selbstwirksamkeit dh es geht primaumlr um die Unterstuumltzung effektiver (gesundheitsschonenshyder) Verhaltensweisen in Drogengebrauchssituationen Die Wahrnehshymung der eigenen Effektivitaumlt im Sinne eines moumlglichen Kontrollgeshywinns insbesondere in vorher eher aversiven Situationen hat bzw kann eine Reihe von Folgen haben Durch die Stuumltzung bzw auch Vermittlung von Gebrauchskontrollregeln im Sinne eines Safer-Use kann das konkrete Erleben (Selbstwirksamkeit und Kontrollerfahshyrung) daszlig man auch als Gebraucher illegalisierter Drogen uumlber Faumlshyhigkeiten und Fertigkeiten zur aktiven Alltagsorganisation verfuumlgt ermoumlglicht werden Stuumltzung und Vermittlung von Selbstwirksamkeit koumlnnen so regulative Orientierungen zur Gestaltung des (auch) droshygenbezogenen Lebensstils bewirken Dadurch koumlnnen weiterhin handlungsbezogene Funktionen (Dauerhaftigkeit und Anstrengungsshyinvestition) bedeutsam werden dh autonom kontrollierter und eishygenverantwortlicher Drogengebrauch wird auch unter dem Drogenshyverbotsdiktat moumlglich Allerdings muumlssen die Angebote einer akzepshytanzorientierten Drogenarbeit auf Freiwilligkeit basieren auf den Deshyf1zitblickwinkel verzichten und beduumlrfnisorientiert ausgerichtet sein Eine derart verstandene Drogenarbeit zielt auf die Aufhebung der paumldagogisch-therapeutischen Reparaturmentalitaumlt auf den Abbau der

PampG 2-39596

Zehn kleine Negerlein laquo

noch immer vorherrschenden Opfer- und KIiententolIe von Drogenshygebrauchern Die dominierende pathologisierende Blickrichtung zur Erklaumlrung von Drogenabhaumlngigkeit begruumlndete die Definition von Drogengebrauchern als Klienten fuumlr deren Rehabilitation und Wieshydereingliederung sich eine Vielzahl von Experten als zustaumlndig beshytrachtete Dies jedoch - und das sei ausdruumlcklich vermerkt - ohne ein explizites KIientenmandat Durch die administrative Absicherung und weitestgehende Institutionalisierung sowie Professionalisierung des Drogenhilfesystems (ideal gedacht als ein geschlossenes Verbundshysystem) wird die Nachfrage nach therapeutisch-rehabilitativen Dienstleistungen gesichert die Klientenrolle von Drogengebrauchern (Defizitwesen Krankheitsstatus) festgeschrieben und insgesamt geshysehen der Bestand dieses Dienstleistungssystems konserviert Die Entmuumlndigung der Konsumenten durch sog advokatorische Interesshysenvertreter (Therapeuten Sozialpaumldagogen etc) war und ist die Vorshyaussetzung zur Durchsetzung und damit Existenzsicherung einer psyshychotherapeutisch und psychiatrisch orientierten Drogenpolitik (neshyben seiner repressiven Variante)

Die Pathologisierung von Drogengebrauchern als psychisch krank und defizitaumlr einerseits und die Etikettierung derselben als krishyminell andererseits (Behandlung Bestrafung) stellt jedoch nicht nur die Logik der prohibitiven Drogenpolitik ~n Frage sondern ist haumlufig Ursache dafuumlr daszlig sich beabsichtigte Wirkungseffekte in ihr Gegenshyteil verkehren Beide Maszlignahmen sichern die norrnacive Ordnung durch den Einsatz legitimierter Zwangsmittel Es ist naumlmlich so soshybald ein Drogengebraucher auffaumlllige Verhaltensweisen zeigt bzw diese als auffaumlllig wahrgenommen werden beginnt - ganz im Sinne des teutonischen linear-kausalen Denkens - die Fahndung nach dem Taumlter Entweder derjenige der dieses als abweichend definiertes Vershyhalten demonstriert ist selbst der Schuldige Oder aber diejenigen die ihn raquodazu gemacht habenlaquo werden als Schuldige definiert Eltern Verfuumlhrer Umweltbedingungen oder gar die Gesellschaft Insofern ist der Betroffene ein Opfer In diesem Sinne muszlig er dann gerettet aus den Klauen der Droge befreit werden Folge dieses linear-kausalen Denkens ist daszlig immer einer der Schuldige und einer das Opfer ist Weiterhin ist es nun moumlglich das Konstrukt Krankheit anzuwenden Wie ich schon andeutungsweise dargelegt habe ist mit dem Etikett krank ein unmittelbar Schuldiger ausgeklammert Der Kranke ist nur

PampG 2-395 97

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 6: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

-----______ Wolfgang Schneider __________

Die im ersten Abschnitt beschriebene niederschmetternde Ausshygangssituation verlangt eine andere Drogenpolitik Notwendig ist eine pragmatisch und pluralistisch ausgerichtete Drogenhilfe als konshysequente Umsetzung einer akzeptanzorientierten und schadensbeshygrenzenden Unterstuumltzung (Harm-Reduction) Was ist nun hierunter zu verstehen Grundlegendes Prinzip akzeptanzorientierter Drogenshyarbeit ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Gebraushychern iIIegalisierter Drogen dh die Betroffenen sollten das Recht haben uumlber den fuumlr sie geeigneten Weg (mit und ohne Drogen) selbst zu bestimmen Akzeptanzorientierte Drogenarbeit muszlig drogenbezoshygene Lebenspraxen als existent anerkennen und drogenorientierte Lebenstile akzeptieren Akzeptanzorientierte Drogenarbeit ist als Empowerment zu verstehen sie stiftet jenseits einer neuen paumldagoshygischen Rezeptur von Methoden und Interventionsformen zur selbstshybestimmten eigeninszenierten Lebensgestaltung an (vgl zu einem empowermentorientierten Ansatz in der Drogenhilfe Schneider 1992 fuumlr die Jugendarbeit auch Herriger 1994)

In diesem Sinne zielt Empowerment auf Selbstwirksamkeit dh es geht primaumlr um die Unterstuumltzung effektiver (gesundheitsschonenshyder) Verhaltensweisen in Drogengebrauchssituationen Die Wahrnehshymung der eigenen Effektivitaumlt im Sinne eines moumlglichen Kontrollgeshywinns insbesondere in vorher eher aversiven Situationen hat bzw kann eine Reihe von Folgen haben Durch die Stuumltzung bzw auch Vermittlung von Gebrauchskontrollregeln im Sinne eines Safer-Use kann das konkrete Erleben (Selbstwirksamkeit und Kontrollerfahshyrung) daszlig man auch als Gebraucher illegalisierter Drogen uumlber Faumlshyhigkeiten und Fertigkeiten zur aktiven Alltagsorganisation verfuumlgt ermoumlglicht werden Stuumltzung und Vermittlung von Selbstwirksamkeit koumlnnen so regulative Orientierungen zur Gestaltung des (auch) droshygenbezogenen Lebensstils bewirken Dadurch koumlnnen weiterhin handlungsbezogene Funktionen (Dauerhaftigkeit und Anstrengungsshyinvestition) bedeutsam werden dh autonom kontrollierter und eishygenverantwortlicher Drogengebrauch wird auch unter dem Drogenshyverbotsdiktat moumlglich Allerdings muumlssen die Angebote einer akzepshytanzorientierten Drogenarbeit auf Freiwilligkeit basieren auf den Deshyf1zitblickwinkel verzichten und beduumlrfnisorientiert ausgerichtet sein Eine derart verstandene Drogenarbeit zielt auf die Aufhebung der paumldagogisch-therapeutischen Reparaturmentalitaumlt auf den Abbau der

PampG 2-39596

Zehn kleine Negerlein laquo

noch immer vorherrschenden Opfer- und KIiententolIe von Drogenshygebrauchern Die dominierende pathologisierende Blickrichtung zur Erklaumlrung von Drogenabhaumlngigkeit begruumlndete die Definition von Drogengebrauchern als Klienten fuumlr deren Rehabilitation und Wieshydereingliederung sich eine Vielzahl von Experten als zustaumlndig beshytrachtete Dies jedoch - und das sei ausdruumlcklich vermerkt - ohne ein explizites KIientenmandat Durch die administrative Absicherung und weitestgehende Institutionalisierung sowie Professionalisierung des Drogenhilfesystems (ideal gedacht als ein geschlossenes Verbundshysystem) wird die Nachfrage nach therapeutisch-rehabilitativen Dienstleistungen gesichert die Klientenrolle von Drogengebrauchern (Defizitwesen Krankheitsstatus) festgeschrieben und insgesamt geshysehen der Bestand dieses Dienstleistungssystems konserviert Die Entmuumlndigung der Konsumenten durch sog advokatorische Interesshysenvertreter (Therapeuten Sozialpaumldagogen etc) war und ist die Vorshyaussetzung zur Durchsetzung und damit Existenzsicherung einer psyshychotherapeutisch und psychiatrisch orientierten Drogenpolitik (neshyben seiner repressiven Variante)

Die Pathologisierung von Drogengebrauchern als psychisch krank und defizitaumlr einerseits und die Etikettierung derselben als krishyminell andererseits (Behandlung Bestrafung) stellt jedoch nicht nur die Logik der prohibitiven Drogenpolitik ~n Frage sondern ist haumlufig Ursache dafuumlr daszlig sich beabsichtigte Wirkungseffekte in ihr Gegenshyteil verkehren Beide Maszlignahmen sichern die norrnacive Ordnung durch den Einsatz legitimierter Zwangsmittel Es ist naumlmlich so soshybald ein Drogengebraucher auffaumlllige Verhaltensweisen zeigt bzw diese als auffaumlllig wahrgenommen werden beginnt - ganz im Sinne des teutonischen linear-kausalen Denkens - die Fahndung nach dem Taumlter Entweder derjenige der dieses als abweichend definiertes Vershyhalten demonstriert ist selbst der Schuldige Oder aber diejenigen die ihn raquodazu gemacht habenlaquo werden als Schuldige definiert Eltern Verfuumlhrer Umweltbedingungen oder gar die Gesellschaft Insofern ist der Betroffene ein Opfer In diesem Sinne muszlig er dann gerettet aus den Klauen der Droge befreit werden Folge dieses linear-kausalen Denkens ist daszlig immer einer der Schuldige und einer das Opfer ist Weiterhin ist es nun moumlglich das Konstrukt Krankheit anzuwenden Wie ich schon andeutungsweise dargelegt habe ist mit dem Etikett krank ein unmittelbar Schuldiger ausgeklammert Der Kranke ist nur

PampG 2-395 97

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 7: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Negerlein laquo

noch immer vorherrschenden Opfer- und KIiententolIe von Drogenshygebrauchern Die dominierende pathologisierende Blickrichtung zur Erklaumlrung von Drogenabhaumlngigkeit begruumlndete die Definition von Drogengebrauchern als Klienten fuumlr deren Rehabilitation und Wieshydereingliederung sich eine Vielzahl von Experten als zustaumlndig beshytrachtete Dies jedoch - und das sei ausdruumlcklich vermerkt - ohne ein explizites KIientenmandat Durch die administrative Absicherung und weitestgehende Institutionalisierung sowie Professionalisierung des Drogenhilfesystems (ideal gedacht als ein geschlossenes Verbundshysystem) wird die Nachfrage nach therapeutisch-rehabilitativen Dienstleistungen gesichert die Klientenrolle von Drogengebrauchern (Defizitwesen Krankheitsstatus) festgeschrieben und insgesamt geshysehen der Bestand dieses Dienstleistungssystems konserviert Die Entmuumlndigung der Konsumenten durch sog advokatorische Interesshysenvertreter (Therapeuten Sozialpaumldagogen etc) war und ist die Vorshyaussetzung zur Durchsetzung und damit Existenzsicherung einer psyshychotherapeutisch und psychiatrisch orientierten Drogenpolitik (neshyben seiner repressiven Variante)

Die Pathologisierung von Drogengebrauchern als psychisch krank und defizitaumlr einerseits und die Etikettierung derselben als krishyminell andererseits (Behandlung Bestrafung) stellt jedoch nicht nur die Logik der prohibitiven Drogenpolitik ~n Frage sondern ist haumlufig Ursache dafuumlr daszlig sich beabsichtigte Wirkungseffekte in ihr Gegenshyteil verkehren Beide Maszlignahmen sichern die norrnacive Ordnung durch den Einsatz legitimierter Zwangsmittel Es ist naumlmlich so soshybald ein Drogengebraucher auffaumlllige Verhaltensweisen zeigt bzw diese als auffaumlllig wahrgenommen werden beginnt - ganz im Sinne des teutonischen linear-kausalen Denkens - die Fahndung nach dem Taumlter Entweder derjenige der dieses als abweichend definiertes Vershyhalten demonstriert ist selbst der Schuldige Oder aber diejenigen die ihn raquodazu gemacht habenlaquo werden als Schuldige definiert Eltern Verfuumlhrer Umweltbedingungen oder gar die Gesellschaft Insofern ist der Betroffene ein Opfer In diesem Sinne muszlig er dann gerettet aus den Klauen der Droge befreit werden Folge dieses linear-kausalen Denkens ist daszlig immer einer der Schuldige und einer das Opfer ist Weiterhin ist es nun moumlglich das Konstrukt Krankheit anzuwenden Wie ich schon andeutungsweise dargelegt habe ist mit dem Etikett krank ein unmittelbar Schuldiger ausgeklammert Der Kranke ist nur

PampG 2-395 97

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 8: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

--------___ Wolfgang Schneider __________

noch passives Opfer Krankheit (hier Drogenabhaumlngigkeit) ist dann der Tater der Gegner dessen Bekaumlmpfung alle vereinen und alle von Schuld freisprechen kannlaquo (Simon 1988 S 22)

Eine akzeptanzorientierte nicht kJienteJisierende Drogenarbeit darf nun kein trojanisches Pferd werden im Sinne eines Modells der freiwilligen Selbstbindung qua Einsicht (Jungblut 1993 S 108) Soshyzusagen als eine Methodik drogenhelferischen Handeins das als Ziel sozialen Lernens Freiwilligkeit und Einsicht in die Notwendigkeit eines drogenfreien Lebens anstrebtlaquo (jungblm 1993 S 108) Eine derartige Methodisierung (zB auch eine Verknuumlpfung therapeutishyscher abstinenzorientierter Maszlignahmen mit einer falsch verstandeshynen Methodik niedrigschwelliger Drogenarbeit als Zugangserleichteshyrung und Schwellensenkung) und die ebenso schon wieder zu houmlrenshyden Rufe nach einer Professionalisierung akzeptanzorientierter Droshygenhilfe (wer oder was soll hier eigentlich professionalisiert werden) wuumlrden dazu fuumlhren daszlig ein belebendes Praxiskonzept schnell den Offenbarungseid leisten muszlig Erinnert sei hier nur an den Niedershygang der Release-Bewegung in den 70er Jahren

Eine akzeptanzonentierte nicht-klientelisierende und auf Schadensbeshygrenzung zielende Drogenarheit toleriert - auch und gerade unter den Bedingungen der prohibitiven Drogenpolitik - das Recht auf AndersshySein von Drogengebrauchern macht sie nicht zum Objekt staatlichshyadministriver und sozialpaumldagogisch-therapeutischer Maszlignahmen zum Zwecke der Integration durch (un)bedingte Abstinenz Sie hat Respekt vor der Eigensinnigkeit von Deutungsmoumlglichkeiten sie kann unter dem Primat der Prohibitionspolitik nur kreativ zwischen dem Doppelmandat von Kontrolle und Hilfe hin und her manoumlvrieshyren Sie versucht mit den Drogengebrauchern bei der Erarbeitung eines eigenverantwortlichen risikominimierenden und genuszligorienshytierten Umgangs mit iIlegalisierten Drogen zu kooperieren Festgeshyhalten werden kann daszlig eine akzeptanzorientierte nicht klientelisieshyrende Drogenarbeit diametral zu den Praumlmissen der traditionellen abstinenzbezogenen Drogenhilfe steht Das abstrakte Heilungsideal und Clean-Postulat des Abstinenzparadigmas Klientelisierung Theshyrapiemotivationsarbeit als Kontaktvoraussetzung Leidensdrucktheoshyrie Defizitblickwinkel und helfender Zwanglaquo werden abgelehnt Welche Konsequenzen ergeben sich daraus fuumlr die Praxis Ich subsushymiere die Antworten unter sechs Oberpunkten

98 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 9: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Negerleinbull

3 Drogenhilfepraktische Konsequenzen

31 Substitution

Bekanntlich ist die Substitutions-Praxis immer noch keine gleichbeshyrechtigte Behandlungsalternative bei Drogenabhaumlngigkeit Gerade einmal 575 aller Opiatabhaumlngigen (bei einer geschaumltzten Anzahl von ISO 000) werden uumlber kassenfinanzierte Substitutionstherapien mit Methadon (L-Polamidon) behandelt (vgl Weber 1993 1994) Inshyzwischen liegen auch in der BRD vielfaumlltige wissenschaftliche Evashyluationsstudien uumlber die positiven Ergebnisse von Substitutionsbeshyhandlungen und -programmen vor (vgl Gerlach amp Schneider 1994) Substitutionsmaszlignahmen sind gesundheitsstabilisierende und leshybenserhaltende Behandlungsmoumlglichkeiten Sie eroumlffnen die Chance Betroffenen einen Weg aus dem Szeneleben zu ebnen sich sozial zu (re)integrieren psychisch und physisch zu stabilisieren und ein menshyschenwuumlrdiges Leben zu fuumlhren Dies ist ermutigend Es ist jedoch ein Skandal daszlig es in der Praumlambel der Aumlnderungen der NUB-Richtshylinien (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUszlig) Richtlinien des Bundesausschusses der Aumlrzte und Krankenkassen) vom 2531994 immer noch heiszligt

Die Drogensucht selbst stellt keine Indikation zur Drogensubstitution im Sinshyne einer Krankenbehandlung dar denn therapeutisches Ziel einer Behandlung einer Sucht bleibt die Drogenabstinenzlaquo (Westfaumllisches Aumlrzteblatt 61994 S19)

Somit bleibt die uumlberwiegende Mehrzahl der substitutionsbereiten Opiatgebraucher von Methadonbehandlungen ausgeschlossen Eine Senkung der Eingangsschwellen und die Realisierung einer flaumlchenshydeckenden niedrigschwelligen Versorgungssituation erscheint unbeshydingt erforderlich Eine Aumlnderung des 13 BtMG ist notwendig Abshyschaffung der Ultima-Ratio-Klausel eben durch die Anerkennung von Drogenabhaumlngigkeit als behandlungsfaumlhige Krankheit

Drogenabhaumlngigkeit als Krankheit anzusehen ist hier eher eine strategische Konstruktion als eine definitorische Festlegung Denn Drogengebraucher sind weder per se behandlungsbeduumlrftig noch pashythologisch Dies zeigen auch die Ergebnisse neuerer Forschungspro-

PampG 2-395 99

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 10: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

__________ Wolfgang Schneider _________

jekte (vgl Weber amp Schneider 1992) Das strafrechtlich verfolgte Subjekt wird durch eine generelJe Pathologisierung wieder zum Beshyhandlungsobjekt Deshalb ist es weitergehend dringend erforderlich die Indikationskriterien fuumlr eine Methadonbehandlung letztendlich ganz aufzuheben In diesem Kontext steht auch daszlig eine begleitende psychosoziale Betreuung nur auf freiwilliger Basis angeboten werden sollte Eine psychosoziale Zwangsbetreuung ist strikt abzulehnen (vgL 2a der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMW) Absatz (2) vom 121994) Zu denken waumlre auch an die Einrichtung kleiner dezentraler Methadonabgabeeinrichtungen (Methadonambushylanzen) Take-Horne-Abgaben sollten nicht erst nach einer Bewaumlhshyrungszeit von einem Jahr moumlglich sein Auch der Substituierte hat beispielsweise ein Recht auf Urlaub Kontrollen sind sicher noumltig (Beishygebrauch doppelte Abgabe) solJten aber nicht zu einer KontrolJmashynie und Ent-Subjektivierung der Betroffenen auswachsen Insofern i~t die nach guter teutonischer Manier geplante Standardisierung von Substitutionsbehandlungen ein herber Ruumlckschlag (vgl Buumlhringer et al 1994) Hier zeigt sich wiederum das altbekannte Phaumlnomen daszlig im realen Zusammenhang organisatorisch bedingter Konkurrenz im Drogenhilfesystem der damit verbundenen Problemsegmentierung und hinsichtlich der etablierten Buumlrokratisierungen (administrative Vergesellschaftung) auch die Hilfeanspruumlche der Betroffenen mehr oder weniger organisationsfunktional - im Sinne einer Standshyardisierung Formalisierung und Routinisierung (Zauberformel Quashylitaumltssicherung) der Hilfeleistungsvermittlung - instrumentalisiert werden Wir sollten gelegentlich einmal innehalten und darUber nachshydenken daszlig Drogengebrauchern eine Vielzahl von sagen wir einmal

Dienstleistungsunternehmen (bis hin zu Fixerraumlumen) gegenuumlbershystehen die ihre Existenz ausschlieszliglich uumlber das gesellschaftlich konshystituierte soziale Drogenproblem und uumlber die Klientel ordnungsposhylirisch legitimieren Es bleibt jedenfalls festzuhalten daszlig es in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens uumlblich ist die Zulassung zur medizinischen Versorgung an eine bereits zuvor eingetretene massive psychische und somatische Verelendung zu knuumlpfen

Ferner ist die geplante Aumlnderung im Entwurfzur 6 Betaumlubungsshymittelrechts-Aumlnderungsverordnung des Bundesministeriums fuumlr Geshysundheit nur noch Methadon und Levo-Methadon zur Substitution zuzulassen und Codein betaumlubungsmittel rechtlich zu verankern abshy

100 PampG 2middot395

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 11: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Negerlein laquo

zulehnen So zeigen Forschungsergebnisse daszlig die Substitution mit DHC (Dihydrocodein) keinen Vergleich mit den Ergebnissen zur Methadon-Substitution zu scheuen braucht (vgl Gerlach amp Schneishyder 1994) Auch auf die Gefahr hin von konservativer Seite der raquoStashysiseilschaftlaquo (Meyer 1994 S 4 ff) verdaumlchtigt zu werden plaumldiere ich - solange das BtMG so ist wie es ist - fuumlr eine breite flaumlchendeckende Vielfalt an Substitutionsmoumlglichkeiten jedoch letztlich fuumlr deren Aufshyhebung Daruumlber hinaus erscheint es dringlich Substitutionsmoumlglichkeishyten auchuumlrlnhaftierte bereitzustellen (Beispiel Bremen Vechta) zumal dies nach der Betaumlubungsmittelverschreibungsverordnung durchaus moumlglich ist Aus aids- und hepatitisprophylaktischen Gruumlnden ist es weiterhin unabdingbar in den Justizvollzugsanstalten cleane Spritzshybestecke auszugeben denn kein Knast ist drogenfrei

32 Niedrigschwellige akzeptanzorientierte Angebote

Praxiserfahrungen mit niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Anshygeboten wie Kontaktcafes NotschlafsteIlen aumlrztliche Akutversorgunshygen Spritzentauschprogramme zeigen daszlig diese Angebote im Sinne von schadensbegrenzenden Hilfsmoumlglichkeiten in der Lage sind Drogengebraucher ohne Motivierungs- und Kontrollabsicht zu erreishychen lebens praktische Hilfe jenseits von Abstinenzforderungen zur Verfuumlgung zu stellen Selbstorganisationsressourcen der Betroffenen zu foumlrdern Safer-Use-Strategien zu staumlrken und eventuell aufWunsch selbstbezogene Ausstiegsprozesse zu unterstuumltzen (vgl INDRO eVshyReader 1994) Erforderlich ist jedoch eine Festschreibung und Ausshyweitung niedrigschwelliger akzeptanzorientierter Angebote und zwar nicht im Sinne wandelnder Litfaszligsaumlulen als abstinenzbezogene Therapiewerbeeinsaumltze (Koumlderfunktion) sondern bezuumlglich der Unshyterstuumltzung einer selbstregulierenden und eigenverantwortlichen Schadensbegrenzung Eine Erweiterung der Angebote scheint unabshydingbar

Entwicklung gesundheitsfoumlrdernder Angebote wie die Einrichshytung von flaumlchendeckenden dezentralen und szenenahen raquoOpiatlokalenlaquo (Trautmann 1995) als Uumlberlebenshilfe Gesundshyheitsschutz und Ermoumlglichung eines sozialen genuszligorientierten Gebrauchs von illegalisierten Drogen Folgende Gruumlnde spreshychen fuumlr die Einrichtung von Opiatlokalen teils in Eigenregie

PampG 2-395 101

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 12: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

__________ Wolfgang Schneider _________

teils in Anbindung an die Drogenhilfe als Uumlbergangsloumlsung bis zur Aufhebung des Drogenverbotes a) Reduzierung des Infektionsrisikos b) Sofortige Hilfe bei Uumlberdosierungen c) Vermittlung von Techniken des Safer-Use d) medizinische Hilfe bei Wundinfektionen und Abszessen e) hygienische und streszligfreie Applikationsmoumlglichkeit oErmoumlglichung eines sicheren regelorientierten und genuszligfahishygen Gebrauchs von Drogen Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittshylungen Im Zusammenhang mit der Einrichtung von Opiatlokalen erscheint es zwingend sog Clearing-Stellen zur Analyse der Straszligendrogen und Safer-Use-Vermittlung im Verbund mit Opiatshylokalen zu installieren Der Reinheitsgehalt der Drogen koumlnnte sofort festgestellt und Beimengungen und Strecksubstanzen ershymittelt werden Uumlberdosierungen und der gefuumlrchtete raquoShakelaquo (allergische Reaktion) koumlnnten vermieden risikobewuszligte Geshybrauchsformen vermittelt werden (vgl Griffiths et al 1994 Zurshyhold 1995 Heudtlass et al 1995) kostenlose HepatitissdzutzimpJungen und Jloumldzendeekende szenenaIJe iirztiehe Akutversorgung ausreichende Vmorgung mit niedrigsekwelligen Nonehafttellen Einrichtung von sog Rohdziiusern die eine Unterbrechung des taumlgshylichen Drogenstresses ermoumlglichen ohne Verpflichtung zu einer anschlieszligenden Therapie materielle Unterstuumltzungen von Selbstorganisationsbestrebungen wie Junkiebuumlnde und JES-Gruppen Ounkies Ex-Junkies und Subshystituierte) Mobile Spritzbesteckvergabe und Safer-Use-Vermittlungen bei allen iIIegalisierten Drogen in der Drogenszene aber auch in theshyrapeutischen Einrichtungen mittels Faltblaumlttern Broschuumlren und konkreten Uumlbungen durch sog betroffenengestuumltzte Verbraushycherberatung Einrichtung von Jrauenspezi[lSchen Unterstuumltzungs- und Therapieangeshyboten

102 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 13: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Negerleinlaquo

33 Qualifizierte Entgiftungsmoumlglichkeiten mit L-Polamidon

Voumlllig unzureichend stellt sich leider noch die Situation im Entgifshytungsbereich dar Im Sinne der Ermoumlglichung drogenfreier Intervalle (Urlaub von den Drogen) zur gesundheitlichen und psychosozialen Stabilisierung oder auch als Vorbereitung auf eine weiterfuumlhrende eigenmotivierte Therapie ist der Ausbau von qualifizierten warmenlaquo und kaltenlaquo (auf freiwilliger Basis) Entgiftungsmoumlglichkeiten notshywendig

34 Stationaumlrer Bereich

Im stationaumlren Bereich ist zunaumlchst der Ausbau differenzierter Theshyrapieeinrichtungen einzuleiten Insbeson~ere der Aufbau entwickshylungsangemessener Therapieformen (Kurz- und Langzeittherapie) im sozialen Nahfeld und ambulante Therapieformen sowie sog Komshypakttherapien mit integrierter warmer Entgiftung auf freiwilliger Bashysis sind zu foumlrdern Notwendig ist jedoch zum einen den sog Zwangsshytherapieparagraphen abzuschaffen und die Freiwilligkeit der Therashypieaufnahme zu ermoumlglichen Zum andern sind menschenwuumlrdige Therapieformen zu entwickeln die auf unnoumltige und entwuumlrdigende Sanktionen verzichten Die Wir wissen was gut fuumlr euch istlaquo -Menshytalitaumlt muszlig bald der Vergangenheit angehoumlren Ambulante freiwillig aufzunehrnende Therapieformen im sozialen Nahfeld muumlszligten hier eindeutig an Prioritaumlt gewinnen Auch inhaltliche Kurskorrekturen sind vonnoumlten Die bisher vorherrschenden Hauptgegenstaumlnde therashypeutischer Behandlungen naumlmlich der drogenbezogene Lebensstil des sog Drogenabhaumlngigen und seine defizitaumlre fruumlhkindlich gestoumlrte Persoumlnlichkeit (bei jedem von uns liessen sich in der fruumlhkindlichen Entwicklungsphase sicherlich Stoumlrungen psychoanalytisch diagnostishyzieren) muumlssen zugunsten schadensbegrenzender Maszlignahmen im Sinne einer akzeptierenden Grundhaltung mit dem Ziel der Vermittshylung von Safer-Use-Strategien und kontrollierter Gebrauchsformen geaumlndert werden Die zwanghafte totale Institutionalisierung von Drogengebrauchern muszlig aufgehoben die therapeutische Kopflastigshykeit und die Methodisierung helfenden Handeins uumlberwunden wershyden Denn wie wir bereits festgestellt haben Die Pathologisierung und damit Therapeutisierung von Drogengebrauchern hat zur

PampG 2middot395 103

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 14: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

__________ Wolfgang Schneider _________

Produktion von Experten in Sachen Hilfe Betreuung Beratung Beshyhandlung zur Expertokratie und Professionalisierung zur Institutionalisieshy

rung eines Subsystems Hilfe gefuumlhrtlaquo (Griese 1983 S 8)

hat die Drogenhilfe und ihre Administration partiell gesellschaftlich aufgewertet aber auch zur Entmuumlndigung der drogengebrauchenden Menschen gefuumlhrt Dringend angezeigt ist es demnach Gebraucher iIlegalisierter Drogen nicht als Objekte klinisch-kurativer Strategien der Persoumlnlichkeitsumwandlung (wie ein nachgereifter Phoenix aus der Asche) im Sinne des abstrakten und unrealistischen Heilungsideshyals Abstinenz anzusehen sondern sie als zur Selbstbestimmung fahige und eigenverantwortlich handelnde Menschen zu begreifen Es beshysteht kein Bedarf an diesen sog professionellen Perspektiven

raquodie wir dann auch bei den Betroffenen selber wiederfinden sei es weil sie solche Fremddefinition in der Langzeit-Therapie uumlbernommen haben sei es weil sie auf diese Weise als Motivierte oder aber als Ich-entkernte besser in das Hilfesystem einzupassen sind oder sei es weil sie als Cannabis-Verfuumlhrshyte den Gutachter fuumlr sich einnehmen ihren eigenen Null-Bock amotivatioshynal entschuldigen bzw dem Polizisten per ungewolltem flash-back die aktushyelle Harmlosigkeit dartun koumlnnenlaquo (Quensel 1995 S 3)

35 Drogenunspezifische Angebote

Die Angebotspalette betroffenenorientierter Drogenarbeit sollte neshyben den bisher genannten uumlberwiegend drogenspezifischen Aufgashyben und Maszlignahmen auch drogenunspezifische Hilfestellungen umshyfassen Hierzu zaumlhlen praktische Hilfen in den Bereichen Kontaktshyund Aufenthaltsmoumlglichkeiten Ernaumlhrung Hygiene Gesundheit beshytreutes Wohnen Wohnraumvermittlung Arbeit Ausbildung Freizeit Umgang mit Behoumlrden Schuldenregulierung und Rechtsbeistand Dringend erforderlich ist auch die Weiterentwicklung von Wohnproshyjekten fuumlr AIDS-infizierte Frauen und Maumlnner sowie Prostituiertenshycafes und bordellaumlhnliche Betriebe als Schutzraum fuumlr sich prostitushyierende Drogengebraucherinnen (vgl Zurhold 1995 b) Hier waumlre auch an eine Einrichtung und Foumlrderung von Modellprojekten zur beruflichen Orientierung und Weiterqualifizierung mit Praktika von

104 PampG 2-395

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 15: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Negerleinbull

Therapieabsolventen aber auch von Substituierten und aktuell droshygengebrauchenden Menschen zu denken

36 Sucht- (Drogen)praumlvention

In der Situation des zunehmenden Drogenelends wird immer noch von der general praumlventiven Wirkung des Strafrechts gesprochen und von einer drogenfreien Gesellschaft getraumlumt

Es gilt raquodie ganz uumlberwiegend drogenfreie Bevoumllkerung (7) vor der Aggressishyvitaumlt des Drogenansturms () zu schuumltzen - durch fruumlhzeitige differenzierte und langfristig angelegte Praumlvention und durch den general- und spezialpraumlshyventiven Schutz des Strafrechts bull (Bundesdrogenbeauftragter Lintner 1994 S 22 - Fragezeichen vom Verfasser)

Da das Drogenproblem nicht in den Griff zu bekommen ist wird allerorten das angebliche Allheilmittel Praumlvention speziell der Primaumlrshypraumlvention das Wort geredet Kein Politiker der nicht den Ausbau von Praumlvention fordert und damit im Prinzip seine Hilflosigkeit eingeshysteht Gegenwaumlrtig jedenfalls scheint es praumlventionspolitisch darum zu gehen ein Fruumlhwarnsystem auf allen gesellschaftlichen Kontrollshytuumlrmen zu installieren ein feinmaschigesNetz zu spannen um Risishykogruppen und Risikopersonen im Hinblick auf den spaumlteren Droshygenkonsum so fruumlh wie moumlglich auszuspaumlhen (zB Suchtpraumlvention im Kindergarten unter dem Motto Der Koumlder muszlig dem Fisch schmecken und nicht dem Anglerlaquo Weil 1995 S 29) In einer Geshysellschaft in der Drogen (legalisierte wie illegalisierte) Wegbereiter des Erwachsenwerdens sind kann es nicht um das Praumlventionsziel der absoluten Drogenfreiheit gehen sondern nur um die Einuumlbung eines eigenverantwortlichen regelorientierten genuszligfahigen und kontrolshylierten Umgangs mit Drogen (und dies gilt nicht nur fuumlr Cannabis) Es ist eine Illusion zu glauben ein umfassendes und schluumlssiges Praumlventionskonzeptlaquo das aus den Erfahrungen erfolgreicher Droshygentherapien (Pittrieh 1993 S 1) entwickelt werden koumlnnte waumlre der Koumlnigsweg der Suchtpraumlvention In allen Buumlchern uumlber Suchtpraumlshyvention in Broschuumlren und Tagungsbaumlnden findet man seit uumlber 20 Jahren die Wiederkehr des immer Gleichen Es wird konstituiert daszlig ein raquowissenschaftlich begruumlndetes alle wichtigen Bereiche umfassen-

PampG 2-395 105

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 16: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

___________ Wolfgang Schneider __________

des Konzept praumlventiver Maszlignahmenlaquo fehle uumlber raquoAnsaumltzelaquo sei man raquonicht hinausgekommenlaquo (Pittrich 1993 S 1) Die Suche danach wird ebenso wie die Fahndung nach der Suchtpersaumlnlichkeit weitershygehen Vielleicht hat man eines Tages das Aha-Erlebnis daszlig es ein raquoumfassendes und wissenschaftlich begruumlndeteslaquo Praumlventionskonshyzept gar nicht geben kann Auszliger man geht weiterhin von einer unshyrealistischen mechanistischen Betrachtungsweise von Drogengeshybrauchsentwicklungen aus die eine stereotype Abfolge von psychishyschen und physischen Zustaumlnden (Defizitmodelle) unterstellt Der deutsche Hang zu umfassenden Konzepten ist eben nicht aus der Welt zu schaffen Solange nicht die Zielorientierung absolute Abstishynenz in Frage gestellt und realistische Zielperspektiven entwickelt werden sind alle finanziellen Anstrengungen und Aufwendungen fuumlr moralin-sauere Sucht- (Drogen)praumlvention und alle sog Expertenheshyarings und -tagungen sowie Evaluationsprogramme und MarketingshyS~rategien fuumlr die Katz Sie sichern nur Pfruumlnde Forschungsgelder Drogenkongresse und Karriereplanungen In diesem Sinne stimme ich Frietsch vorbehaltlos zu Drogen(sucht)praumlvention macht raquosich in jeder Hinsicht bezahltlaquo (Frietsch 1995 S 119) Uumlbrigens Von der gesellschaftlichen Konstitution des sog sozialen Problems raquoIllegaler Drogengebrauchlaquo leben inzwischen auch diverse Forschungsinstitute und Forschungsprogramme die periodisch immer wieder die manshygelnde Erforschung des Phaumlnomens anmahnen

laquoIm Bereich der Suchtkrankentherapie ( also vor allem die stoffgebundeshynen Suumlchte vorrangig Drogen Medikamente und Alkohol-) herrscht insgeshysamt ein grosses Forschungsdefizitlaquo (Petzold 1994 S 144)

Den Handlungsreisenden in Sachen Drogen sei Dank

raquoDas Drogen-Problem existiert nicht weil es eine Drogenkultur gibt sondern weil es keine gibt oder jedenfalls keine entwickelte Tatsaumlchlich sind der Markshytimperativ die Prohibition und eine angehaumlngte Drogenerziehung der Entshywicklung und Existenz einer solchen Kultur nicht guumlnstig Sie laumluft ja den Inshyteressen welche jene transportieren ganz zuwider Und vielleicht sind Markt Prohibition uund Erziehung bei uns schon viel zu stark zu etabliert und haben viel zu viele Nutznieszliger als daszlig sich neben ihnen oder gegen sie eine neue Kultur entwickeln koumlnntelaquo (Marzahn 1994 S 48)

106 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 17: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Negerlein laquo

4 Drogenpolitische Konsequenzen

Das Drogenproblem ist und bleibt ein Drogenpolitikproblem Der Schluumlssel fuumlr eine deutliche Verbesserung und Normalisierung der Lebensbedingungen von Drogengebrauchern ist die Aufhebung des Drogenverbotes Ein Hinwirken auf Veraumlnderungen drogenpolitishyscher Rahmenbedingungen - und hier insbesondere gesetzlicher Beshystimmungen - ist also eine conditio sine qua non In Anlehnung an die Muumlnsteraner Erklaumlrunglaquo des Bundesverbandes fuumlr akzeptierenshyde Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (akzept ev) vom 9101994 kann eine Normalisierung der Lebensbedingungen von Konsumenten illegalisierter Drogen nur gelingen raquowenn die Drogenshypolitik den Mut zu einem radikalen Wandel aufbringtlaquo (akzept ev Muumlnsteraner Erklaumlrung 1994 S 2)

Dazu gehoumlrt 1 Entkriminalisierung bzw (Teil-) legalisierung sog weicher Droshy

gen wie Cannabis sowie die sofortige Pruumlfung zweckmaumlszligiger Dishystributionssysteme (zB ein verwaltungsrechtliches LizenzmodeJJ als ein erster notwendiger Schritt) Letztlich ist es jedoch erforshyderlich Cannabisprodukte gaumlnzlich aus der entsprechenden BtMG-Anlage herauszunehmen Weder medizinische gesellshyschaftliche noch kulturhistorische Gruumlnde legitimieren ein juristishysches Verbot (vgl Schneider 1995 b)

2 Ein weiterer Schritt waumlre die Ermaumlglichung einer aumlrztlich konshytrollierten Originalstoffabgabe (kein VergabemodeJl bei dem die Betroffenen dreimal am Tag erscheinen und unter Aufsicht Heshyroin oa Drogen konsumieren muumlssen sondern ein AbgabemoshydelI) Hierzu bedarf es jedoch einer Ergaumlnzung des 3 BtMG mit dem Ziel das Bundesgesundheitsministerium zu verpflichten Aumlrzten eine Erlaubnis zum Erwerb und zur Abgabe von Betaumlushybungsmitteln der Anlage I und II zu erteilen Durch eine konshytrollierte Abgabe koumlnnten wie britische Erfahrungen in Heroshyinkliniken und die kontrollierte Abgabe yon Heroin in Widness bei Liverpool und in der Schweiz zeigen auch jene Drogenkonshysumenten aus der Illegalitaumlt herausgeholt werden die bisher weshyder mit abstinenzorientierten Angeboten noch mit herkoumlmmlishychen Substitutionsmaszlignahmen erreicht wurden Ich hielte es jeshydoch fuumlr fatal - wie geplant - nur Schwerstabhaumlngigen einen

PampG 2-395 107

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 18: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

__________ Wolfgang Schneider _________

begrenzten Zugang zu gewaumlhren Eine derartige Selektion (Wer wuumlrde dies eigentlich verantworten) waumlre zynisch und wuumlrde kaum zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Beshytroffenen beitragen In diesem Kontext kann auch das Positionshyspapier des Caritasverbandes gesehen werden Hier wird eine staatlich geregelte Heroinvergabe nur als ultima ratio gesehen und festgestellt daszlig eine derartige Maszlignahme raquofinal auf Uumlbershywindung der Abhaumlngigkeitserkrankung ausgerichtet seinlaquo muszlig (Schmidwbreick 1994 S 270) Bei einer Konzentration nur auf Schwerstabhaumlngige entsteht eine raquoZwei-Klassen-Suchtlaquo und der illegale Drogenschwarzmarkt mit allen lebensbedrohlichen Beshydingungen wuumlrde weiter bestehen Eine kontrollierte Abgabe (dh zur Mitnahme) muumlszligte flaumlchendeckend angeboten werden und ein Angebot zur psychosozialen Betreuung (Begleitung) auf freiwilliger Basis integraler Bestandteil der Abgabe sein Eine derartige qualitaumltskontrollierte und flaumlchendeckende Abgabe waumlre mitnichten eine Politik der Hoffnungslosigkeitlaquo wie der Fachverband Drogen und Rauschmittel (FDR) feststellte (FDR 1995 S 9) Selbst auf der Staatsanwaltschaftsebene wird eine staatliche Abgabe ohne therapeutischen Ansatz inzwischen als ein Handlungsmodell angesehen das raquoden illegalen Markt weshygen geringer Beschraumlnkung der Adressaten staumlrker begrenztlaquo (Koumlrner 1995 S 15) als Entkriminalisierung Substitutionsproshygramme oder die kontrollierte Vergabe von Opiaten nach therashypeutischen Gesichtspunkten

3 Letztendlich ist es jedoch notwendig uumlber Legalisierungsmodelle nicht nur nachzudenken Inzwischen liegen auch bedenkenswershyte Umsetzungsstrategien zur Freigabe iIIegalisierter Drogen vor (vgl Schmidt-Semisch 1994 Stoumlver 1994 a Boumlllinger 1995) Beim Genuszligmittelmodell beispielsweise sollten Drogen ebenso als Genuszligmittel angesehen werden wie unsere AJltagsdrogen Alshykohol Nikotin oder Koffein und von daher im Lebensmittelrecht geregelt werden (vgl Schmidt-Semisch 1994) Ob sich hierdurch die Zahl der Konsumenten erhoumlhen wuumlrde ist nicht zu entscheishyden und bleibt aufgrund des Mangels an konkretem Erfahrungsshywissen spekulativ Jedenfalls eine wirkliche Aufhebung des soziashylen wie gesundheitlichen Drogenelends setzt die Aufhebung des Drogenverbotes voraus

108 PampG 2-395

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 19: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Negerlein laquo

Eine wie auch immer geanete Legalisierung waumlre sicherlich keishyne Loumlsung des Drogenproblems kein Koumlnigsweg aber Drogen wuumlrshyden so jenen unter qualitaumltskontrollierten Bedingungen verfuumlgbar geshymacht die sie haben wollen und die sie heute in der illegalen Droshygenszene sich beschaffen - koste es was es wolle naumlmlich die Geshysundheit und oft genug das Lebenlaquo (Bossong 1991 S 7) Die Erfahshyrungen der letzten Jahrzehnte zeigen daszlig eine Verschaumlrfung der Droshygenprohibitionspolitik und ein rigides Festhalten am apodiktischen Abstinenzparadigma den Gebrauch illegalisierter Drogen und die Drogentotenzahl ansteigen die soziale und gesundheitliche Verelenshydung grassieren die Gewinne aus dem illegalen Drogengeschaumlft soshywie die gesellschaftlichen Folgekosten (Beschaffungskriminalitaumlt etc) enorm anwachsen laumlszligt

Ein legaler Zugang zu heute noch iIIegalisierten Drogen wuumlrde einer weiteren Kriminalisierung und Pathologisierung der Konsumenshyten sowie einer drogen- und problemspezifischen und subjektbezoshygenen Erklaumlrungsfixierung (Pharmakologisch begruumlndete Verelenshydungstheorie Sucht ist Flucht Defizit- und Krankheitsmodell) Einshyhalt gebieten Aufgrund der Tatsache daszlig eine staatliche bzw polishyzeiliche Verfolgung ausbliebe koumlnnten Menschen angstfrei konsushymieren und regelorientierte autonom kontrollierte Gebrauchsformen entwickeln bzw verfestigen Der Reiz des Verbotenen entfiele Kurz Der Entdeckungs- Definitions- und Strafzusammenhang waumlre der Boden entzogen und Normalisierungs- und Entkulturationsprozesse wuumlrden eingeleitet Ein wichtiges Medium zur Erhaltung der gegenshywaumlrtigen Drogenwirklichkeit naumlmlich die gesellschaftliche und oumlfshyfentliche Unterhaltung uumlber das Drogenproblem wuumlrde entfallen Daszlig was dann oumlffentlich nicht mehr besprochen wird raquofangt allmaumlhshylich an hinfallig zu werdenlaquo (Berger amp Luckmann 1981 S 164) Die normative Kraft des Faktischen wuumlrde sich durchsetzen

PampG 2-395 109

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 20: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

1

___________ Wolfgang Schneider __________

Anmerkungen vgl auch EUROPEAN ADDICTION RESEARCH 1 95

literatur Bathsteen M amp Legge J (1995) Sozialer und medizinischer Hintergrund des

Drogentodes Kriminologisches journal 1 S 37-51 Berger P L amp Luckmann T (1980) Die gesellschaftliche Konstruktion von

Wirklichkeit Frankfurt Bossong H (1991) Kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Drogenpolitik

Werkstattgespraumlche Drogenpolitik juso-Bundesvorstand Bonn Boumlllinger L (1995) De-Americanizing Drug Policy The Search for Alternatishy

ves for failed Repression Frankfurt Blihringer G Gastpar M Heinz W Kovar K-A Ladewig D Naber D

Taumlschner K-L Uchtenhagen A Wanzke K (1994) Standards fuumlr die Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhaumlngishygen

European Addiction Research (1995) Addiction Research in Eumpe An Overview 1 SI-SO

FDR-Pressemitteilung (1995) Sozial magazin 187-9 Frietsch R (1995) Drogenpraumlvention - wie sie sich in jeder Hinsicht bezahlt

macht In J Schmitt-Kilian (Hrsg) Ratgeber Drogen Vorbeugung Konshyfliluloumlsung Therapie Duumlsseldorf

Gerlach R amp Engemann S (1995) Zum Grundverstaumlndnis akzeptanzorienshytierter Drogenarbeit INDRO eV 3 aktualisierte Auflage Muumlnster

Gerlach R amp Schneider W (1994) Methadon- und Codein behandlung Stushydien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Dmgenarshybeit Bd 3 BerHn

Griese H amp M (1983) Probleme Jugendlicher oder Jugend als soziales Probshylem In P Malinowski amp M Brusten (Hrsg) Jugend- ein soziales Probshylem Opladen

Griffiths P Gossop M Powis B Strang J (1994) Transitions in patterns of heroin administration a study of heroin chasers and heroin injectors Adshydiction4 S 301-309

Grubitzsch S (1992) Chaos-Theorie und nomothetische Psychologie Psyshychologie amp Gesellschaftskritik 34 S 145-163

Herriger N (1994) Risiko Jugend Konflikthafte Lebensbewaumlltigung und Empowerment in der Jugendhilfe Archiv fuumlr Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 4 S 298-315

Hess H (1992) Drogenpolitik und Drogenkriminalitaumlt Von der Repression zur Entkriminalisierung In J Neumeyer amp G Schaich-Walch (Hrsg) Zwischen Legalisieruung und Normalisierung Marburg

110 PampG 2middot395

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 21: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

Zehn kleine Neger1ein laquo

Helldtlass J-H Stoumlver P Winkler P(1995) Risiko mindern beim Drogenshygebrauch Frankfurt

INDRO eV (1994) Reader zur niedrigschwelligen Drogenarbeit in NRW Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarshybeit Bd 2MUnster

Jungblut H-J (1993) Niedrigschwelligkeit Kontextgebundene Verfahren methodischen HandeIns am Beispiel akzeptierender Drogenarbeit In T Rauschenbach (Hrsg)

Klingemann K-H amp Efionayi-Maumlder D (1994) Wieviel Therapie braucht der Mensch Sucht Selbstheilungstendenzen und raquoFamilielaquo als biograshyphisches Leitmotiv Schweizerische Rundschau fuumlr Medizin 34 S 937shy949

Koumlrner H (1995) Grenzen setzen und Grenzen einhalten drogen-repon 1 S 14-17

Limoer E (1994) Drogenpolitik im Wandelln R Sauer amp J Singer (Hrsg) Keine Macht den Drogen Muumlnchen

Marzahn C (1994) Bene Tibi Uumlber Genuszlig und Geist Bremen Petzold HG (1994) Therapieforschung und die Praxis der Suchtkrankheit

programmatische Uumlberlegungen Drogalkohol 3 S 144-157 Pittrich W (1993) Vorwort Suchtpraumlvention in einem Europa der Regionen

Dokumentation Europaumlische Werkstatt Praumlvention Forum Sucht Landshyschaftsverband Westfalen-Lippe Muumlnster

Quensel S (1995) Drogenluumlgen Oder Wie kann man uumlber Drogen aufklaumlshyren Manuskript BISDRO Bremen

Raschke P (1993) Folgen der Kriminalisierung In Akzept eV (Hrsg) Menshyschenwuumlrde in der Drogenpolitik Hamburg

Schmidt-Semisch H (1994) Die prekaumlre Grenze der Legalitaumlt AG SPAK Muumlnchen

Schmidtobreick B (1994) Drogenpolitik und Drogenhilfe - Die Positionen des Deutschen Caritasverbandes Sucht 4 S 267-270

Schneider W (1992) Akzeptierende Drogenarbeit als Empowerment Moshynatsschrift fuumlr Kriminologie und Strafrechts reform 23 S 159-168

Schneider W (1994) Wo bleibt das Subjekt Plaumldoyer fiir eine Kursaumlnderung in der Drogenforschung INDRO eV Manuskript Muumlnster

Schneider W (1995 a) Ausstiegswege aus der Sucht illegaler Drogen Aus Poshylitik und Zeitgeschichte Bd 9 S 13-21

Schneider W (1995 b) Risiko Cannabis Bedingungen und Auswirkungen eishynes kontrollierten sozial integrierten Gebrauchs von Haschisch und Mashyrihuana Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Bd 5 Berlin

Schuhmacher A (1994) Illegaler Drogen konsum aus medizinischer Sicht In W Harm (Hrsg) Mein Kind nimmt Drogen Reinbek

Simon F B (1988) Unterschiede die Unterschiede machen Heidelberg

PampG 2-395 111

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395

Page 22: Schneider, Wolfgang Drogenhilfe und ... · Wolfgang Schneider »Zehn kleine Negerlein - oder: Wen beissen zuletzt die Hunde?« Zur Notwendigkeit einer akzeptanzorientierten, nicht

------_____ Wolfgang Schneider __________

Stoumlver H (1994 a) Infektionsprophylaxe im Strafvollzug DAH Bd XIV BershyIin

Stoumlver H (1994 b) Drogenfreigabe Plaumldoyer fuumlr eine integrative Drogenpolishytik Freiburg

Trautmann F (1995) Druckraum Befreiend oder erdruumlckend - Die Perspekshytive zwischen Freiraum Tagtraum und Beaufsichtigung In Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin

Weber G amp Schneider W (1992) Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen Forschungsbericht Ministerium fuumlr Arbeit Gesundheit und Soshyziale NRW Duumlsseldorf

Weil T(1995) Oumlffentlichkeitsarbeit in Sachen Praumlvention und Gesundheitsshyfoumlrderung Wie sag ichs meinen Lesern Sucht Report 2 S 29-36

WestHilisches Aumlrzteblatt (1994) Bd 26 Zurhold H (1995 a) Beschaffungsprostituierte als Objekte der Begierde In

Akzept eV (Hrsg) Drogen ohne Grenzen Berlin Zurhold H (1995 b) Drogen konkret Substanzen-Wirkungen-Konsumforshy

men-Safer-Use-Hinweise INDRO eV Muumlnster

112 PIlIG 2-395