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Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik Von Michael Kr611, Wien I. ,,Dynamische" Betrachtungsweisen Die Unterscheidung ,,Statik-Dynamik", die aus der Physik stammt, geht yon dieser zunachst in die Soziologie iiber. Bei Comte ist sie induziert durch seine Auffassung veto Schichtenbau der Wissen- sehaften, wonach die Biologie und selbst die Soziologie nut als Kom- plexionen tier Physik erscheineu. Schon in tier Biologie spiegle sieh (:tie Unterscheidung wider in der Scheidur~g yon Anatomie und Phy- siologie, in den gesonderl:en Lehren veto Bau und veto Leben des Organism~ls. Giddings HiBt dies allerdiJ~gs nut in didaktischem Sinne gelten, denn Bau und Leben des Orga~ismus seien sachlich nicht zu trennen, ffir ihn bedeutet Dynamik Evolution, und damit ]eitet er zur Auffassung Speneers fiber, w(,naeh di~ l)ynamik die Umge- stMt~mg der kriegerischen in die il~dustrielle Gesellseha~t und deren Wachstum betrifft. W~hrend also Comtes Dynamik sich an f einen Kreisprozel3 bezieht, handelt es sich bei Speneers Dynamik um ein gerichtetes, nicht umkehrbares WerdenL In der Wirtschaltsthe~rie begegnet uns die Unterscheidnng zu- erst bei dem unter Comtes Einflusse stehenden :l. St. Mill. Das IV. Buch seiner ,,Principles" leitet er so oin: ,,Wir haben bisher die Wirtschaftsvorg~inge als gleichzeitig stattfindend gedaeht und habe~ ihre wechselseitige Abh~ngigkeit festgesteilt,. Nun haben wit auch 0en Wechsel zu betrachten, der Tbeorie des Gleichgewichtes eine Theorie der Bewegung, der Statik eine D~,~namik anz(:gliederl~." In Ausfi]hrung dieser Absicht untersucht er, wie das Wachstum der Bev~ilkerung, der Fortschritt der Technik, die Zunahme des Kapitals. jede dieser Bedin~ngen fiir sieh allein oder wie sie in paralleler oder auch gegenliiufiger Gestaltung a~f Produktionsertrag und Ver- teilung wirken. J. B. Clark sieht das Problem der Dynamik in der dutch Daten~inderung (Kapitalmenge, Bev(llkerungszahl, Bedfirfnisse, Technik, Organisation) hervorgerufenen ,,St(irung des Gleichgewich- tes", er 15st es allerdings nicht 2. Bei der C.a~nbridger Schule findet sich die Unterscheidung nur andeutungsweise, bei der Wiener und Lausan~7~r Schule tiberhaupt nicht. Deshalb darf man noch nicht behaupten, ,.lie ~iltere Lehre sei bei den Problemen einer rutmnden Vgl. Barth: Die Philosophie der Gesehichte als Soziotogie, S. 185 und ~59. -~ Essentials on Economic Theory. 1~)7.

Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik

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Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik Von

Michael Kr611, W i e n

I. ,,Dynamische" Betrachtungsweisen

Die Unterscheidung , ,Statik-Dynamik", die aus der Physik stammt, geht yon dieser zunachst in die Soziologie iiber. Bei C o m t e ist sie induziert durch seine Auffassung veto Schichtenbau der Wissen- sehaften, wonach die Biologie und selbst die Soziologie nut als Kom- plexionen tier Phys ik erscheineu. Schon in tier Biologie spiegle sieh (:tie Unterscheidung wider in der Scheidur~g yon Anatomie und Phy- siologie, in den gesonderl:en Lehren veto Bau und veto Leben des Organism~ls. G i d d i n g s HiBt dies allerdiJ~gs nut in didaktischem Sinne gelten, denn Bau und Leben des Orga~ismus seien sachlich nicht zu trennen, ffir ihn bedeutet Dynamik Evolution, und damit ]eitet er zur Auffassung S p e n e e r s fiber, w(,naeh di~ l )ynamik die Umge- stMt~mg der kriegerischen in die il~dustrielle Gesellseha~t und deren Wachstum betr iff t . W~hrend also C o m t e s Dynamik sich an f einen Kreisprozel3 bezieht, handel t es sich bei S p e n e e r s Dynamik um ein gerichtetes, nicht umkehrbares WerdenL

In der Wirtschaltsthe~rie begegnet uns die Unterscheidnng zu- erst bei dem unter C o m t e s Einflusse stehenden :l. St. M i l l . Das IV. Buch seiner ,,Principles" lei tet er so oin: ,,Wir haben bisher die Wirtschaftsvorg~inge als gleichzeitig s ta t t f indend gedaeht und habe~ ihre wechselseitige Abh~ngigkeit festgesteilt,. Nun haben wi t auch 0en Wechsel zu betrachten, der Tbeorie des Gleichgewichtes eine Theorie der Bewegung, der Sta t ik eine D~,~namik anz(:gliederl~." In Ausfi]hrung dieser Absicht untersucht er, wie das Wachstum der Bev~ilkerung, der For t schr i t t der Technik, die Zunahme des Kapitals . jede dieser B e d i n ~ n g e n fiir sieh allein oder wie sie in para l le ler oder auch gegenliiufiger Gestal tung a~f Produkt ionser t rag und Ver- teilung wirken. J. B. C l a r k sieht das Problem der Dynamik in der dutch Daten~inderung (Kapitalmenge, Bev(llkerungszahl, Bedfirfnisse, Technik, Organisat ion) hervorgerufenen ,,St(irung des Gleichgewich- tes", er 15st es al lerdings nicht 2. Bei der C.a~nbridger Schule f indet sich die Unterscheidung nur andeutungsweise, bei der Wiener und Lausan~7~r Schule t iberhaupt nicht. Deshalb dar f man noch nicht behaupten, ,.lie ~iltere Lehre sei bei den Problemen einer rutmnden

Vgl. B a r t h : Die Philosophie der Gesehichte als Soziotogie, S. 185 und ~59.

-~ Essentials on Economic Theory. 1~)7.

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oder ,,station~iren" Wir t schaf t stehengeblieben. Denn lassen si(:b S m i t h s am wachsenden Kapi ta l or ient ier te Lohnfondtheorie, R i - c a r d o s Gesetze yon der steigenden Grundrente und sinkenden Prof i t - rate, C a r e y s For tschr i t t s theor ie oder B S h m - B a w e r k s Theorie der sich ausweitenden Produktionsumwege in ein station{ires Modell hineinpressen, ganz zu schweigen yon M a r x , dessen groBe Entwick- lungsgesetz~ yon der Konzentration, Akkumulation, den Kr isen and der Verelendung doch nur an einer for tschrei tenden Wir t schaf t nachweisbar w{iren ?

Doch ist bis dahin die genannte Unterscheidung in der Wir tschaf ts - theorie eine im Grunde nur doktrin{ire und erst mit S c h u m p e t e r s ,,Theorie der wir tschaf t l ichen Entwick]ung" 1911 gewinnt sie reale Bedeutung. Dieser Autor hat te wohl in seinem ersten Werke ,,Wesen and Haupt inha l t der theoretischen NationalSkonomie" 1908 zua{ichs~ l,ur die Problemstel lung W a l r a s ' iibernommen, ,,den Gleichgewichts- zustand der wir tschaft l iehen Quantit{iten anf einem keinen hnderun- gen unterworfenen Markte aus ihrer gegenseitigen Bedingthei t zu begreifen"; abe t mit dem zweiten Werke gre i f t er fiber dieses rein stat isch-posit ivist ische z ie l weir hinaus, indem er def in ier t : ,,Die Sta t ik schildert die Wir t schaf t unter dem Gesichtspunkte eines Kreis- laufes in jahraus, j ahre in wesentlich gleicher Bahn, verg]eichbar dem Blutkre is lauf des Organismus. Nun ver{indert sich zwar der wirt- schaftl iche Kre i s lauf ebenso wie auch der Blutkre is lauf im Zuge yon Wachstum oder Verfatl im Pr inz ip kontinuierlich, in inf ini tesimal kleinen Schritten. Die Wir t schaf t abe t kennt zum Unterschied yore tierischen Kre is lauf aucb. Anderungen, die nichtkontinuierlich auf- treten, die viOmehr eine Anderung ihres Rahmens bedeuten und die yon der Idee des Kreis laufes her nicht vers tanden werden k~innen, z. B. den t~bergang yon der Postkutsche zur Eisenbahn oder eine sonstige ruck~eise ¥er{inderung yon Datea"L Wei te r : , ,Entwicklung in nnserem Sinne ist etwas, was nicht vorkommt unter den Erschei- nungen des Kreis laufes oder der Gleichgewichtstendenz, sondern was wie eine ~iuBere Macht in sie bineinwirkt . Sie is t eine Ver{inde- rung der Bahn, in der sich der Kre is lauf erfiillt, im Gegensatz zur Kre i s l au~ewegung selbst." . . . . . Diese spontanen und diskontinuier- lichen Ver{inderungen der Bahnen des Krei;~laufes and Verschiebun- gen des Gleichgewichtszentrums treten in der Sph{ire des industriel- lea und kommerziellen Lebens auf4. ' ' (Das er inner t fas t an die heutige Atomphysik, in der yore t~berspringen der Elektronen in andere Kreisbahnen die Rede isL) Konkreter siehL unser Autor ,,Entwick- hmg" gegeben in einer diskontinuierl ichen ,Durchsetzung neuer Kom- binationen" der vorhandenen Produktivkr{ifte. Dabei erscheinen fi inf Zie]setzungen m(iglich: 1. die I ters te l lung neuar t iger Giiter oder Qualit~ten, 2. die Einf i ihrung neuer Produktionsmethoden, 3. die Ev- s,~hlieBung neuer M~rkte, 4. die ErschlieBung neuer Rohstoffquetlem

S. 93 ff, etwas zusammengezogen und gekiirzt. + S. 98f.

Scheinprobleme und echte P.robleme der Dynamik 343

5. die Bildung oder Durchbrechung yon 5ionopolen. Hieraus ergibt sich die Problemstelhmg seiner ,,Dynamik". Sie erweist sich in der Ta t Ms sehr fruchtbar . E r s t in einer solchen Wir t schaf t beginnt der sch(ipferische , ,Unternehmer" zu agieren, der sich scharf abhebt yore stat ischen , ,Betriebswirt"; wi t sehen, wie er auf das Kredi t - unel Banksystem prei~t, um der Volkswirtschaft die Geldkapi ta l ien abzu- n(itigen, die fiir neue Kombinat ionen n~tig sind. wobei sich alas Ph~- nomen der kredit~iren Geldsch~ipfung einstellt . Wi r sehen, wie er al~ Resul ta t seiner Aktionen den in der Sta t ik ~mdenkbaren ,Unterneh- mergewinn" absch~ipft, wie sich ferner, nach S c h u m p e t e r s Theorie, aus den wechselnden und fliichtigen Gowinnen als relat iv best~indiger Tell der gleichfalls nur der Dynamik eigene ,Kapi ta lz ins" ablSst und wie das Vorsti irmen und wieder Zurtickweichen der Unternehmer- ,,scharen" den Wechsel der Konjunkturen erzeugt.

Die dynamische Forschung yon heute kniipft jedoch zun~chst nichV an diese ,,makroSkonomische long-run"-Analyse an, sie lei tet viel- mehr zu einer iiberwiegend ,,mikro~ikol]omisch" orient ier ten ,,short run"-Analyse der Preis- und Einkommensbih]ung hiniiber. Das unter- ~he idende Merkm~l der Dynamik gegeniiber der Sta t ik wi rd nun ganz al lgemein in der Beri icksichtigung dot" Ze$tdimension gesehen, die sich ers tmal ig durch die Theorie B ~ i h m - B a w e r k s als ~konomi- sche Kategorie erwiesen hatte. Aufs kiirzeste driickt dies etwa S a m u e l s o n so aus, ~al3 wir es in der Stai:ik mi t , ,Zeitpunktfunk- tionen", in der Dynamik mit , ,Zeitraumfunktionen" zu tun habenL F o r s t m a n n definiert , die Stat ik erkl~ire einen Zustand, die Dyne- mik einen Vorgang% H i c k s nennt Sta t ik jenen Tell der Theorie. ,,where we don't trouble about dating", hingegen Dynamik jenen, ,,where every qu-~ntity must be d'~ted"L Bei S c h n e i d e r , der sich wieder auf Ragnar F r i s c h , den eigentlichen l~rheber der modernen Konzeption stiitzt, begegnen wir der Formul ie rung: , ,Statik ist eine Problemstellung, bei der al!e Wer te eines Zei tpunktes bes t immt siud durch Variable des Systems in] gleichen Zeitpnnkte", Dynamik hin.- gegen eine so]che, , , b e i d e r die Wer te eines Zeitpunktes best immt sind durch die Wer te eines fr i iheren Zeitplmktes ''8. Weiche Griinde erfor- dern es aber, in der Preis- und Einkommenslehre die Zeitdimensio~ zu berticksichtigen ?

In kreis lauftheoret isclmr Hinsicht wird hier das ,Gesetz dec zeiilichen Einkommensfolge" ins Tref fen gefiihrt. Es handel t sich nm den zuerst yon Z w i e d i n e c k- S ii d e n h o r s t 9 behaupteten Zusam- menhang aufeinanderfolgender Wirtschaftsperioden, der dadurch be- dingt sei, dab das Einkommen yon gestern erst heute ausgegebea werde. Diese Vorstellung bildet fi ir die heutige Forschung einen

Foundation of Economic Analysis. Cambridge: 1948. Jahrbficher fiir Nationat~ikonomie, Rd. ]61/49.

7 Value and Capital, S. 115. 8 Einfiihrung iIl die ~,Virtschaftstheorie, 3. Aufl., II, S. 186ff. 9 Die Arbeitstosigkeit und das Gesetz tier zeitlichen Einkommensfolge.

Weltwirtschaftlicbes Archly, 34. Bd., 1931

34~ 3~I. KrSll:

Ange lpunk t dynamincher Be t r ach tung . S c h n e i d e r be ton t : , ,Der Konsum heute h~ingt ab vom E i n k o m m e n gestern", und R o b e r t s o n : ,,Die E r s p a r n i s i s t d ie D i f f e r e n z zwischen dem E i n k o m m e n yon .go._ s t e rn und den K o n s u m a u s g a b e n yon heu te ''1°. J t i h r wi l l d ieses Naeh.. e inande r yon E i n n a h m e n und Ausgaben durch d ie Sp i r a l e des Geld- k re i s l au fe s s innf i t l l ig ausdr i i cken rl.

St~irker ha t jedoch d ie mikroSkonomisehe Beg r i i ndung yon F r i s c h gewirk t , de r dan Prob lem der D y n a m i k d a r i n gegeben sieht , daf3 jedo durch Daten~inderung b e w i r k t e ~,Gleichgewichtsst i i rung" nu r m i t e iuem ,,lag" i i be rwunden werde. N u r e ine gynamische Theor i e ver- rnag nach ibm zu zeigen, ,,wie im Z e i t a b l a u f ein Zus t and e ines 5ko- nomischen Sys tems aus e inem zei t l ich vo rgebenden Zus t ande he raus - w'~ichst ''~-0. We lche r A r t die s ich h ie r e rgebende P r o b l e m a t i k ist, ent- ~ehmen w i t am deu t l i ehs ten den Aus f i i h rnngen S c h n e i d e r s ~'~, d ie s ieh so z u s a m m e n f a s s e n l a s sen : I n e ther s t a t ion i i r en W i r t s c h a f t m i t i h r en s te t s g le ichble ibenden D a t e n bes teh t ganz naturgem~if~ ein s~abiles Gleichgewicht , dan mi t de r s t a t i s chen Ana ly se e x a k t b e s t i m m t w e r d e n kann. I n eine~: durch fo r tgese tz t e D a t e n i i n d e r u n g gekena- ze ichneten dynamischen W i r t s c h a f t k a n n sich e in s t t i rungs f re ies , ,moving eqn i l ib r ium" imr u n t e r der idea len Voraunse tzung ,,voller M a r k t t r a n s p a r e n z " (,,perfect: knowledge") ergeben. Die Verhi i l tn isse a n f e inem s t r e n g , ,o rganis ie r ten Mark te" , wie e twa a u f e ther Btirse oder bet e the r Aukt ion , n i ihern s icb im , ,short run" d ieser Voraus- netzung, die , ,Reak t ionsgesehwindigke i t " de r W i r t s c h a f t e r a u f Da ten- i inderungen n i iher t s ich h ier dem W e r t e , ,unendlich". I n Wi rk l i ch - ke i t haben w i r es abe r mmaeist m i t e inem n i c h t o r g a n i s i e r t e n M a r k t e und m i t W i r t s c h a f t e r n von , ,beschHinktem i ikonomischen Hor i zon t " zu tun. D a b ie te t oder f o r d e r t j ede r e inen P r e i s gem~tl~ se inen , ,Erwar tungen" , und dies is t sehr h~iufig e in ,Schuf3 ins Blaue". Nur znf i i l l ig r e su l t i e r e a u f e inem solchen M a r k t e e in Gleichgewicht , in der Regel gibt es , , t~berraschungen", es e rg ib t s ich e in , ,Ungleich- gewicht" , e ine , ,Gleichgewichtss t i i rnng". En net nun zu verfolgen, wie der M a r k t aus e ine r nolchen St( i rung wiede r zu e inem neuen Gleich- gewich te h in i iber f inde t . Dar f ibe r ve rgehe j edenfa l l s Zeit . , ,Die Da ten- ~inderung w i r k t s ich e r s t nach und nach a u f die W e r t e de r Va r i ab l en aus." Die exogenen Da ten i i nde rungen bewi rken de rges t a l t auch , ,endogene Xnde rungen des W i r t s c h a f t s s y s t e m s " (wohl sekund~iren Schwingungen verg le ichbar ) , und h ie r bedfirfe es nun e ine r , ,Verlaufs- (Sequenz- )ana lyse" , weh;he zeigt, wie s ich im Zei tver lanfe , im ,,lag" ein , ,neuer Gle ichgewich t szus tand aus dem vorausgehenden en twik- kelt" , wie s ich der ,,process of change" gestal te t . I h r e Durch f f ih rung abe r , , e r forder t e ine b e s t i m m t e A n n a b m e fiber d ie Reak t ion d e r An- b ie te r a u f die Abweichungen zwiscben Soll- und I s tmenge ." A u f

~o Saving and Hoarding. Economic Journal, 1937. n Die Konjunkturschwankungen. Tiibingen-Ziirich: 1952, S. 205. ~-~ O!a the Notions of Equilibrimn and Disequilibri~]m. Review of Economic

Studies, I I I , 1935. ~a EinfiJhrung in die Wirtschaftstheorie, 3. Aufi., 1I, S. 194ff., 200ff.

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Grund solcher Annahmen l~Bt sich das System ,,simultaner" Glei- ehungen, die das stat ische Gleichgewicht bestimmen, durch ein Sy- stem ,,sukzessiver" Gleichnngen erweitern, welche exakt verfolgen, ,wie im Zei tablauf ein Zustand aus dem vorhergehenden heraus- w~ichst". ,,Ira Rahmen einer stat ischen Theorie allein ist eine solche intertemporale Kausalanalyse nicht miigiich." Als Musterbeispiel ether dyuamischen Analyse w'~re alas bekann~e ,cobweb-problem" zu nennen, das Problem der Preisoszil latienen, wie sie sich bet der Analyse des ,,Schweinezyklus" so deutlich gezeigt haben ~4.

Indes wol]en durchaus nicht al le Forscher you heute die Dynamik auf dieses , lag"-Problem beschr~inkt sehen. Nicht wenige, z. B.

D o m a r , A k e r m a n , t t a r r o d , T i n b e r g e n sehen die entscheidende Aufgahe der Dynamik doch wiederum in der makroiikonomischen Analyse ether fortsohreitenden, ether wachsenden Wirtschaf t , ,,in einer ,economics of growth'" . H a r r o d ~ i~sbesondere weist ,,ein- malige" Dateniinderungen und ihre Auswirkungen durchaus in den Bereich tier Statik, e rs t , s te t ig andanernde ;(nderungen", so das Be- vStkerungswachstnm, der For t schr i t t der Technik, die Kapi ta lakku- mulation erfordern nach ihm die , ,Dynamisierung" der Theorie. Im Vordergrunde steht fi ir ihn das Problem der Wachs tumsra te des Ka- pi ta ls in Hinbl ick auf das Erfordernku der Vollbesch~iftigung. ,,Ich habe reich entschlossen, reich dem dynamischen Problem mit der F r a g e zu n~ihern, welche Kapi ta lwachs tumsra te gewissen Wachs- tmusra ten in anderen Teilen des Systems entspricht." Diese Problem- s le lhmg wird al lerdings mmh yon S c h n e i d e r nicht iibersehen, denn er unterscheidet auch zwischen station~irer und ,,evolutorischer" Wir tschaf t , je nachdem ob die Nettoinvesti t iou null oder p o s i t i v i s t , nnd er setzt sich die Aufgabe, beide Modelle sowohl nach der stat i- schen wie nach der dynamischen Methode zu untersuchen. Die Pro- port ionalif i i t der , ,Wachstumsraten" wird also ziemlich allgemein als besonders vordringliches Problem der Dynamik betrachtet .

Am Rande set noch auf R i t s c h l s Qualif ikat ion der , ,Marktwirt- schaft" als ,,dynmnisch" und tier , ,Gemeinwirtschaft" als ,,statisch" hingewiesen ~.

Die vorstehende, noch immer vereinfachte Darlegung fiber die Auffassungen betreffend die Probleme der Dynamik l~iBt jedenfal ls erkennen, dal~ darfiber in einer nun schon bald ein halbes Jahrhun- der t andanernden Kontroverse noch keine E in igkek erzielt ist xT. Somit besteht AnlaB zu prfifen, ob diese Unterscheidung wirkl ich sinn- roll ist, ob und inwieweit es sich hier also nm bloBe Scheinprobleme oder um echte Probleme handelt.

~ VgL hiezu F o s s a t i : ~ber die dynamische Theorie und eine besondere Anwenduag auf die Theorie des Nutzens. Zeitschrift ffir NationalSkonomie, Bd. XII, 1949, S. 116.

~ Dynamische Wirtschaft. ~Vien: 1949. ~6 Prinzipien tier Gemeinwirtschaft. In: Schriften des Vereins fiir Sozi,d-

politik, N.F., Bd. 2. ~ Vgl. K. H. W e r n e r : Die Bedeutung der Methode 2(ir die Wirtschafts-

theorie. Zeitschrift fiir Nationaliikonomie, Bd. XIII., 1952, S. 547£.

Zeitschr . f. Nat ionalOkonomie, XIV. Bd., Hef t 2-4 23

346 M. KrSlt :

II. S c h e i n p r o b l e m e d e r D y n a m i k

Schon in der Physik ist die Sc]midung yon Statik und Dynamik lediglich heuristischer Art. Statik meint Aussagen fiber rnhende, Dynamik fiber bewegte KSrper oder Energien. Statik bezieht sich auf Ursachen, auf Kr~tfte, auf potentionelle Energien, Dynamik auf Wir- kungen, auf Arbeit, auf kinetische Energien. Diese beiden Begriffs- reihen sind durchaus korrelativ. Die eine kann nicht ohne die andere gedacht werden, ihre Unterscheidung dient nur der methodischen Dar- stellung, sie ist nicht sachlich bedingt, wie etwa die Scheidung yon Mechanik und Optik. Es gibt Darstelhmgen der Physik, in denen die Unterscheidung kaum bemerkbar ist; Mechanik und Optik werden jedoch stets scharf geschieden.

Spricht schon dies nicht ffir die Notwendigkeit einer solchen Unter- ~heidung in der Wirtschaftstheorie, so spricht dagegen der hSchst prinzipielle Vorbehalt, der gegen jede methodische Parallelisierung yon 37atur- und Geisteswissenschaften zu machen ist. Man konfron- tiere einmal ernsthaft reale Wirtschaft und ,,moderne" Wirtschafts- theorie. Was tri t t uns in jener entgegen? Menschen yon Fleisch und B]ut, getrieben yon Bedfirfnissen, bedr~ingt von Giitermangel, bemfiht, in technisch und gesellschaftlich rationeller Weise, jedoch nie als btof~e Denk- und Rechenmaschinen, sondern durchaus nach subjektiver Ent- scheidung, diese Mangellagen zu iiberwinden. Und welches sind die Kategorien, unter denen die moderne Theorie die sich so ergebenden Erscheinungen zu begreifen sucht? ,,Prozesse, Zyklen, stationiir, kine- tisch, Gleichgewicht, stabiles wie labiles~ LTngleichgewichts- bzw. Gleich- gewichtsstSrung, Daten, Variable, Interdependenzen, Funktionen, Grenzwerte, Kontinua, Diskontinua" und, mn all dies auszudrficken, Gleichungen bis hinauf zu Differentialgleichungen und Kurven bis hinauf zu Raumfl~ichen, sodal~ ein Lehrbuch tier modernen Wirt- schaftstheorie einem der theoretischen Physik zum Verwechseln ~ihn- lich sieht. Is t das noch eine Wissenschaft vom Mensvhen oder yon blof~en Kr51ten und Gr6Ben wie in der Na~:ar? Gibt es analog zur L a p l a c e s c h e n ,,Weltforme]" auch eine Formel der gesellschaftlichen Wirtschaft, so zwar, dal~ man nach Einsetzung der realen Daten den Gang der Wirtschaft, die Preis- und Einkommensbildung beliebig welt fortrechnen kSnne? ~8

Besinnen wir uns, welches ist das Erkenntnisobjekt der ,,Wirt- schaftstheorie", der ,,economics" yon heute? So wie sie ihren Bereich abgrenzt, stellt sie sich, wie A m o n n schon 1912 mit weitgehender Zu- stimmung festgestellt hat, als eine reine Martctwirtschaftslehre dar, und ihr zentraler Begriff ist der Ta~b~eh ~9. Merkwiirdig, daf$ wir ge-

is Vgl. H. Mayer : I)er Erkenntniswert der funktionellen Preistheorien. In: Die Wirtschaftstheorie der Gegenwart, Bd. II, 1932, S. 231; ferner zu dem Ganzen K. tt. Werner , 1. c.

~9 Erkenntnisobjekt : die ,,sozialen Verkehrs- und Tauschbeziehungen unter den vier Voraussetzungen: Eigentum, Vertrsgsfreiheit, freIe Preisbil- (lung, gemeinsames Tauschmittet".

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rade diesem Worte in dieser Wissensch~.lt veto Tausche (Katatlaktik) heute kaum je begegnen. Gleichwohl, die Marktwirtschaft ist an sich nichts anderes als ein Gefiige einzelner Tausehakte, die sich zwischen ,,Tauschpaaren" ergeben. Als Hauptproblem ergibt sich schon bier das des ,,Gleichgewichtes", womit jedoch nicht anderes gemeint ist ats, bei welcher Austauschrelation, welehem Preise ~bereinstimmung yon Angebot und Nachfrage erzielt wird. Jeder Tausch ist ja ein Vert~g, der Willensiibereinstimmung (consensus) erfordert, nicht nur prinzi- piell, sondern auch quantitativ. Das ,Gleichgewicht" in] Tauschverkehr ist also im Grunde eine ]uristisvhe Kategorie und daher prinzipiell anders zu beurteilen als ein Kr~fftespiel in der Natur. Daraus folgt, daft, eine inhaltsvolle Aussage fiber den Tausch sich nicht schon damit er- gibt, daf3 wir eine Nachfrage- und eine Angebotskurve fiber einer Preisachse ko~mtruieren, denn dies ist nur eine elegante Beschreibung dessen, was wi t ohnehin wissen, sondern bier ist den durchaus sub- jetctive~ Griinden nachzugehen, welche Nachfrage und Angebot bei jedem Preise bestimmen, den Vorstetlungen iiber Nutzen und Entbeh- rung, die sich mlt der Erlangung oder Hingabe einer Giiterpartikel verbinden. Kurz, das Problem ltist sieh naeh der Unterseheidun~ Hans M a y e r s 2° nicht mit einer auch noch so exakten Junl~tionellen Beschreibung der Gleichgewichtsbedingungen, sondern erst mit einer kausal-genetischen Ableitung des ,,Gleichgewiehts" aus den subjekti- yen Beweggriinden des Tausches. Nicht alas rein posltivistische Ver- fahren der Lausan:ner Schule, sondern nur das iitiologische tier (Trenz- nutzenschule ist hier wirklich fruchtbar. Nu~ ~. sind die subjektiven Bestimmungsgrfinde ffir Nachfrage nnd Angebot hSchst beweglieh, denn sowohl die Umwelt wie die Bediirfnisgestaltung und die Reagibi- lifiit des Wirtschafters stud in stetigem Wandel begriffen. Veto Stand- punkte der I-Ialtung der Individuen ist daher die Konstruktion einer ,,station~ren" Wirtschaf5 eines auf der Stelletretens, eines ,,merry going round" ohne jeden Sinn; die Subjektivit~it des Wirtschafters in die Katallaktik mit einznbeziehen heiBt also, sie eo ipso zu dynami- sieren, insbesondere ,,die Naehfrage ist es, die das System dynamtseh gestaltet ''~'. Die elementaren Markterseheinungen fordern also die Seheidmlg yon Statik und Dynamik nicht heraus, denn sie sind dyna- mtseh.

INun sind die ,,Tansehpaare" allerdings nur die Elemente eines fibergreifenden TausehgeyiSges und Marktzusammenhanges. Dieser Zusammenhang der unfibersehbaren vielen einzelnen Tauschakte er- kl~irt sich schon ailein daraus, dat3 die Volkswirtschaft, auch wenn wir sie als streng atomistisch, also als vSllig frei und ungeplant den- ken, doch auf e iner h'6chst organisehen ArbeitsteiIung beruht, einem System, bei dem jeder durch einen spezifischen Beitrag die Entstehung eines Sozialproduktes yon solcher Mannigfaltigkeit ermtiglicht, dab durch dessert 'Verteihmg jedermanns Bedtirfnisse befriedigt werden

~o Der Erkenntniswert tier funktionellen Preistheorien, a. a. O. S. 152 t'., 159Z, 2392.

e~ 5~ayer, 1. c. S. 148.

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348 M. KrSll :

und seine Beiti-agsleistung abgegolten wird. Jede Katatlaktik, die sich dieser Basis geseltschaftlicher Arbeitsteilung nieht bewul~t ist, balJt in die Luft. Zum Unterschiede vom Laien, der nut den einzelnen Ge- sch~ftsvorfall wahrnimmt, ist sieh der Theoretiker daher dessen be- ~-aI~t, daf$ im Grnnde jeder Wirtschafter jedesmal mit der Gesamthvit tauscht. S c h u m p e t e r hat dies durch das bekannte einfache Gleich- his ausgedrfickt: Alle Wirtschafter stehen rand mn ein grofSes Becken; in dieses werfen sie ihre produktivea Leistungen ein, darin kombinie- ren sich diese Leistungen zu verwendungsrei£en Gfitern, und aus die- sere schSpft schlie/Mich ein jeder heraus, was er ben~itigt und als Gegenleistung fiir seinen Beitrag durchsetzen kann. Die Gesamtheit aller Beitriige zum Sozialprodukt and aller Entnahmen aus diesem ergibt daher einen einzigen, obgleich ~iul~erst vielg~ieclrigen Tausch- akt, tier aber prinzipiell dennoch nach gleichen Gesichtspunkten zu begreifen ist wie der elementare Tausch zwischen einem Paare. Der ~tuI~ere Ausdruck fiir den inneren Znsamrnenhang der elementaren Tauschakte dieses Gesamtvorganges aber ist das gemeinsame Tausch- mittel, das Geld, das sie alle verbindet, und nur dieser iiul~ere und innere Zusammenhang rechtfertigt es iiberhaupt, von einem ,,Markte" im volkswirtschaftlichen Sinne zu sprechen.

Erst dieser grol~e gesellschaftliche Tauschvorgang ist ein Er- kenntnisobjekt, an dem sich die Theorie unter ~bnehmender Abstrak- tion voll entfalten ksnn. Es ist das Verdienst der Lausanner Schule, dai~ sie die aus diesem Objekt sich ergebende Problematik insoferne roll erfat3t hat, als sie die allseitige ,,[nterdepenclenz" des gesamten Preissystems and den hiebei resultierenden Idealzustand des ,,allge- ~einen" Gleichgewichtes einer ansgreifenden, obgleich rein mathema- tischen Analyse unterzogen hat. Die Klassiker wie auch die Grenz-. nutzen- und die Cambridger Schule haben, wie es der Gang der Er- kenntnis durchaus begriindet, nut an den ,Tauschpaaren" experimen- tiert und zun~ichst die Bedingungen des ,,partielten" Gleichgewichts erschiipfend festgestellt. Die Einsicht, daf~ die Nachfrage eines Wirt- schafters nach einem Gute nicht nur dm'ch sein Einkommen bestimm~ ist, sondern daf~ sie auch eine Funktion seiner Nachfrage nach allen anderen Gfitern ist, daf~ somit auch jeder einzelne Preis eine Funk- fion aller iibrigen Preise ist, bedeutet wohl eine aufSerordentliche Er- weiterung des Blickfeldes, aber die ~ l r d e bedauerlicherweise erkauft mit einer Verflachnng, denn w~i.hrend die Theorie des ,,partiellen ''~ Gleichgewichtes den Preis als Resultierende der ursprfinglichen psy- chischen Gr(ifSen, n~tmlich Lust und Leid, zu begreifen lehrt, gelangt die Theorie des ,,allgemeinen" Gleichgewichtes nicht fiber die rein 1unlctionelle Darstellung der wechselseitigen Abh~tngigkeit gegebener Gr'iif3en hinaus, die in ein Gleichungssystem eingefangen wird yon rein formaler Art, fiir welches gilt: ,,Begriffe ohne Anschauungen sind ]eel'."

Indes sei dieser Schw~tehepunkt nicht welter verfolgt, viehnehr gem~if3 unserem Thema auf das eingegangen, was man den ,,statischen" Charakter der Theorie des allgemeinen Gleichgewichtes nennt. Die

Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik 349

Vorstellung von dew grol~en gesellschaftlichen Tauschvorgang setzt voraus, dal3 alle seine Teilakte, die Beitragsleistungen zum Sozial- produkte und die Entnahmen aus diesew, wenn auch praktisch nicht streng gleichzeitig, so doch ]ogisch simultan erfolgen, denn ander~ wiiren sie ja nicht GlieOer eines geschlossenen Ganzen und k(innte man nicht zu dem System simultaner Gleichungen gelangen, die das ailgemeine Gleichgewicht aller Teilakte ausdriicken. Wie diese Siwul- taneit~t und Geschlossenheit zustandekomme, das wird uns allerdings nicht nachgewiesen. Es wird insbesondere nicht gezeigt, wie der innere Zusawmenhalt durch das geweinsawe Tauschmittel bewirkt Wird, das sich ja ffir W a l r a s - P a r e t o nur als Wertmesser darstellt. Hier !iegt offenbar der Grund (tafiir, d~ft man die Liisung der Lausanner Schule nur als fiir eine stationiire Wirtschaft zureichend erachtet hat, die sich entweder als ein einwaliger Vorgang oder als die ,,ewige Wie- derkehr des Gleichen" darstellt. Die reale Wirtschaft aber sei, sagt man, eine ,,zeitliche Abfolge, ein Fortgang, ein Prozef~", bei dem die jeweils ~mchfolgenden Stadien mit den jeweils vorausgehenden katal- laktisch zusammenhitngen, so zwar, daft irgendwie auch eine Gleich- gewichtstendenz zwischen ,,friiher und sp/iter '~ besteht, weshalb, um die Realit~it richtig auszudriicken, das System siwultaner Gleichungen dutch ein Gleichungssystem zu erweitern sei, alas auch den sukzessi.ven Zusamwenhang der Wirtschaftsperioden ausdriidkt. DaI~ ein sotche~" bestehe, scheint ja mit aller Deutlichkeit die Funktion des in r~ium- licher und zeitlicher Ausbreitung der Wirtschaft identischen allge- weinen Tauschmittels, des Geldes, zu erweisen. Dieses kreist unauf- hiirlich d,lrch die Wirtschaft; wenn wir daher diesen Kreislauf auf die Zeitdimension projizieren, so erscheint er zur Spirale auseinandec- gezogen ::, und diese bildet das Band, das die Perioden des Tausch- prozesses zur Einheit verknfipft. Dies fiihrt dann, wie es scheint, not- wendig zum ,,Gesetz der zeitlichen Einkommer, sfolge'", zum ,,time-lag" zwischen Einkowmensecwerb und Einkomwensverwendung. Daraus eben folgert K o o p w a n s geradezu: ,,An Stel!e des Systems simulta- net Gleichungen, die nach W a l r a s - C a s s e l den Wirtschaftsablauf be- stimmen, tri t t in der Geldwirtschaft ein System sukzessiver Gleichun- gen. Die unbekannten GrSPoen aus den Gleichungen einer jeden Wirt- sehaftsperiode, darunter die in dieser Periode gebildeten Einkommen, gehen, als bekannt vorausgesetzt, in die jeweils niichste Periode hinein und wirken so auf die Einkommensverteilung in dieser ''2a. Auf dew Wege dahin abet ergeben sich die ans mangelnder Voraussicht resul- tierenden fortgesetzten ,,Ungleichgewichte" bzw. ,,GleichgewichtsstS- rungen". Danach write also nicht der seltene Gleichgewichtszustand des ruhenden Wasserspiegels, sondern das Spiel windbewegter Wogen das Symbol der realen Wirtschaft, die somit als dnrchaus dynamis,:h erscheint und f~3r die alas sta.tion~ire Modell nur ein idealer Grenz- fall ist.

~2 Wie dies anschaulict~ JShr zeigt : Die Konjunkturschwankungen, S. 205. 2.~ Zum Problem des ,,Neutrt~len Gelcles" S. 265.

350 ~{. KrSll:

Abet besteht dieser zeitliche Zusammenhang denn auch w~rklich. Liegt diesem ,,Raisonnement" das richt$ge ,,Modell" zugrunde? Ver- suchen wit, das Modell der Marktwirtschaft prinzipiell vollst~indig, jedoch unter Weglassung alles prinzipiell Unwichtigen, also gem~i~ S c h n e i d e r s Ausrichtung gleichsam im Th t inenschen Geiste zu um- rei~en. Es geniigt durchaus, dal~ wir uns diese Wirtschaft als ein Gegeniiber yon Unternehmern und Arbeitern vorstellen. Das Pendant hiezu ist das Gegen(iber yon Betrieben und Haushalten. Wie gestaltet sich bei dieser einfachsten Struktur der Tauschverkehr? Nun, die Ar- beiter verrichten in den Betrieben der Unternehmer produktive Lei- stungen, die insgesamt das Sozialprodukt ergeben, und die Unterneh- mer gel~en sie durch Konsumgfiterlieferungen an die Arbeiterhaus- L, alte ab. Der geldwirtschaftliche Vollzug hiebei ist der, dal~ die Unter- nehmer den Arbeitern L6hne zahlen, init denen diese dann bel den Unternehmern die Konsumgiiter k~ufen. Zur Erfiillung ihrer Funk- tion brauchen die Unternehmer ,Produktionskapital", bestehend in der technischen Ausrfistung der Betriebe sowie in Vorr~ten an Roh- stoffen, Zwischenprodukten und Fer~igwaren in solchen Mengen, da~ sie die Arbeiter von Anbeginn nnd auch weiterhin laufend und par- allel dem Fortgange der Produktion mit Konsumgtitern versorgen k[innen. Dlese Kapitalausriistung erfiillt demnnch zugleich die Fmlk- tion eines ,,Subsistenzmittelfonds" fiir die Gesellschaft. t~berdies brau- chert die Unternehmer die ftir den geldlichen Vollzug des Kreislaufes erforder]ichen baren ,,Zahlungsmittel". Den Profi t der Unternehmer l~Snnten wir nach dem Vorg~nge yon W a l r a s eigentlich aui~er acht l~ssen. Beriicksichtigen wir ihn aber, so ist seine Realisierung so zu begreifen, dal~ die Unternehmer nicht ihre ganzen Barbest~nde dutch Lohnzahlungen ausschiitten, sondern einen Tell einbehalten und sich mit dieser Kaufl;raft selbst unter die Konsumenten mischen. Eine Neubildung yon Kapital bleibe hier aul~er acht, mlr die Reinvestition sei gesichert. Ebenso lassen wir die stufenweise Organisation der Pro- duktion in aufeinanderfolgenden selbsfitndigen Betrieben unberiiek- sichtigt, desgleichen die Verteilungsstufen des Handels; die Produk- tion j edes Konsumgutes vollziehe sich yon der Urerzeugung bis znr Finalisierung gleichsam in einem einzigen Betriebe, der dann direkt an die Werkt~itigen verkauft.

Der Wirtschaftskreislauf abet vollzieht sich in unserem einfachen Modell in Per$oden, die durchw~s durch den Lohnzah~ungstermin be- dingt sind. Gesetzt den Fall, alle Arbeitskr[ifte, auch die geistigen Arbeiter, stehen im Woehenlohn. Ftir die in der Woche geleisteten Ar- beiten werden die Liihne am Wochenende ausbezahlt und diese wer- den zum Teil noch an diesem Wochenende und restlich in der anschlie- ltenden Woche in die yon den Unternehmern ab Lohnzahlungstermin bereitgehaltenen Konsumgiiter umgesetzt. Die Wochenarbeit bewirkt iibrigens nichts anderes als den Ersatz dieses Volksverbrauches, sie setzt an Stelle der im Produktionsverlaufe ausgereiften und nun herausfallenden Produkte neue, w e r t m ~ i g gleiche, gleichviel, ob yon derse!ben oder yon anderer Zusammensetzung. Die Arbeiter erhalten

Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik 351

also als Wochenlohn wertm~Big im Grunde aur die Produkte dieser Woche selbst. Phys~sch handelt es sich allerdings weitgehend um Er- zeugnisse vorausgehender Perioden, die ihnen nun aus dem ,,Sub- sistenzmittelfonds" der Unternehmer ,,vorgeschossen" werden. Mit der Auszah]ung eines Wochenlohnes und der Riickkehr dieser Gelder als VerkaufserlSse zu den Unternehmern abet ist eine Kreislauf- periode streng abgesehlossen, die niichste Lohnauszaldung geh(ir~ schon zu einer neuen Periode und hat mit der vorausgehenden keinen katallaktischen Zusammenhang. Nur rein physisch besteht ein solcher, r.dimlich einerseits durch das VorschieBen aus dem Subsistenzmittel- fonds und anderseits dadurch, dal~ es die physisch gleichen Zahlungs- mittel sind, mit denen auch die weiteren Kreislaufperioden abgewik- kelt werden. Aber dies begriSndet nicht im mindesten die Vorstellung eines ,,~ag" zwisehen Einkommenserwerb und -verwendung. ¥ielmehr vollziehen sich die wechselseitigen Leistungen zwischen Unterneh- mern und Arbeitern natural und geldlich in logisehem Sinne durchaus simultan. Nur praktisch sind sie zeitlich ein wenig auseinandergezo- gen, indem sich die Unternehmer mit der Entlohnung tier Arbeiter eine Woche Zeit lassen und die Arbeiter ebenso eine Woche lang brauchen, um die ihnen zustehenden Konsumgiiter auch wirklich ab- zunehmen. Es wiirde aber am Sinn unseres Modells gar nichts iindern, wenn die Arbeiter ihre gesamte Wochenarbeit nur am Lohnauszah- ]ungstage selbs~ !eisteten und an diesem Tage auch ihren ganzen Konsumgiiterbedar£ fiir die folgende Woche eindeckten. Dann wiirde zwischen je zwei Gilter- und Ge]dkreisl~iufen ein strenges Interval1 yon einer ganzen Woche liegen und die meritorische Trennung w~ire auch physisch ganz deutlich. Diese Trennung der einzelnen Wirt- schaftsperioden wiirde sich praktisch sofort zeigen, wenn es etwa zu einer Arbeitseinstellung k~ime. Dann bek~imen die Arbeiter gerade noch vor Torschlul~ ihren Lohn und wtirden diesen dann in die letzte noch ausgereifte Konsumgiiterserie umsetzen, atsdann aber w~ire der Wirtschaftsprozel~ bis auf weiteres beendigt. Somit gibt es in einer ~lchen Marktwirtschaft logisch geseimn gar keine Zeitdimension, sie is~ kein Kontinuum, sie ist zeitlich ,,gequantelt", der Kreislauf des Geldes ist keine Spirale, die die aufeinanderfolgenden Wirtschafts- perioden miteinander verkniipft, wir haben es nur mit einer Parallel- schaltung zeit~ich getrennter, in sich geschlossener Kreisl~iufe zu tuu. Wo abet kein funktioneller Zusammenhang besteht, da gibt es anch kein Gleichungssystem, das einen solchen ausdriicken kiinnte, zum sta- tischen Vorgang kann sich kein dynamischer Prozel~ gesellen, das dynamische Problem ist also, so gesehen, durchaus ein Scheinproblem. Und dies gilt nicht nur fiir unser einfaches Modell, sondern auch fiir die Wirk~iehlceit, denn die vorgenommenen Vereinfachungen bedeuten keine prinzipie~en Ver~nderungen.

Wie verh~ilt es sich nun mit den ,,Gleichgewichtsst6rungen" (Un- gleichgewichten), die sich mehr minder zwangsl~iufig daraus ergeben. dal~ die Unternehmer fiir den ungewissen Bedarf tier Zukunft vorzu- sorgen haben, wobei sie, bedingt durch die Undurchsichtlgkeit des

352 M. KrSl] :

Marktes, yon blol~en , ,Erwartungen" ausgehen, also spekulativ dispo- nieren? Wenn sich da , ,~berraschungen" ergeben in Gestal t yon Ver- lust- oder yon Konjunkturpreisen, und wenn sich dann die Produkt ion erst allmiihlich, mit einem ,,lag", den nenen Absatzbedingungen an- paint, ja wenn dies angesichts der stets wechselnden Bediirfnisse und Nachfragekonstenat ionen vielleicht nie vSllig gelingt, wenn sie immer nur dem ,,Gleichgewichte" nachl~iuft und dieses immer wieder davon- l~uft, kann man deshalb schon an sich yon einer ,,St5rung" und einer daraus sich ergebenden Problematik sprechen? Unter der Voraus- setznng, dat~ sich die Wir t schaf te r in der Preis- und Lohnfestsetzung der jeweiligen Markts i tua t ion elastisch anpassen, da~ also Pre ise und Liihne durchaus 1lexibel sind, keinesfalls. Denn wenn die Unterneh- mer als echte Kauf leute und gute Spieler Verlnste, die sich durch Zu- war ten j a n u t noch vergrS~ern, wil l ig in Kauf nehmen, und wenn um- gekehrt die Konsumenten einer Konjunkturausnfi tzung durch die Unternehmer nicht mit einem aussichtslosen K~ufers t re ik entgegen- treten, dann wird sich stets ,,stSr~ngslos" ein neuer Gleichgewichtspreis herausbilden, dessen mehr oder minder s tarkes Abweichen yon den Kosten wohl fiir die Erfolgsrechnung der Unternehmer bedeutsam ist, was abet f i ir den For tgang des Tauschprozesses keinerlei Hemmung bedentet. Desgleichen wird sich keine ,,Stiiruug" ergeben, wenn sich die Arbei ter eines Wirtschaftszweiges zu einer absatzbedingten Lohn- senkung oder die betreffenden Unternehmer zu einer arbei tsmarkt - bedingten LohnerhShung ohne Ziigern bereitfinden. Die psychologisch bedingten Preis- und Lohnoszillationen de~: Wir ldichkei t sind dabei nicht anders zu verstehen als das Einschieiten der Ar t i l le r ie auf ein best immtes Ziel, und die ,En t s tehung eines Gleichgewichtszustandes aus dem vorausgehenden" kann demnach wohl nicht als ein diskus- sionswertes Problem gewertet werden. Anders wird die Sachlage dana, wenn wi t eine psyehologisch bedingte Preis- oder Lohnstarrheit unter- stellen in dem Sinne, dalt die Unternehmer schlechte Kaufleute, schlechte Spieler sind, die notwendig gewordene Preisredukt ionen oder LohnerhSlmngen nicht vornehmen wo]len oder wenn umgekehrt die werkti i t igen Massen auf unvermeidliche Preiserh~3hungen oder Lohn- senkungen mi t Kfiuferstreiks oder Arbei tseinstelhmg reagieren. Dam ist dann al lerdi~gs eine echte ,,Gleichgewichtsst6rung". Sollte der vor~ S chn ei d e r eingefiihrte Begr i f f der , ,Reak[ionsgeschwindigkeit" dem Sinne nach mit den hier gebranchten Ausdriicken Lohn- und Preis- f lexibil i t i i t oder - s ta r rhe i t l ibereinstimmen, dana wiirde es sich hier al lerdings um die gleiche Problemstel lmlg handeln.

Analog wie eine solche ,,Verhgrtung" yon Preisen oder LShne~ wi rk t es tibrlgens auch, wenn Wir tschaf ter , die an sich durchaus be- re i t sind, sich notwendigen Anderungen zu fiigen, auf Preis- oder Lohn~inderungen oder Verschiebungen des ganzen Preis- und Lohn- niveaus in der Zukunft spekutieren. Der Arbe i t smark t steht freil ich h(ichstens in der Theorie unter solchen spekulativen Einflfissen, nm ~) realer aber sind diese auf dem Warenmarkte , auf dem entweder die Produzenten mit dem Verkaufen oder die Konsumenten mit dem

Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik 353

Kaufen zuri$ckhalten. In allen derartigen F[illen erweist sich die ,,StSrung" nicht nur als soiche, sondern noch als mehr, n~mlich als eine mehr minder welt greifende Unterbrcehung des Kreislaufes, so- wohl im naturalen wie im monet~iren Sinne. Im naturalen bleiben Waren unverkauft liegen und Arbeitskr~ifte bleiben unbesch~iftigt, im monet~iren kommt es zu einer, obgleich ungewollten, Hortung yon Zahlungsmitteln, die wiederum, sobald die Situation umschliigt, einer ebenso groBen Enthortung Raum gibt. Schon die Kennzeichnung die- ser Erscheinungen als ,,StSrungen" oder ,,Unterbrechungen" bringt aber zum Ausdruck, dab sie auf den ,,short run" beschrtinkt sind, da~ sich also nach l~berwindung der psychologischen Hemmnisse das ,,Gleichgewicht" wieder herstellt, der Kreislanf sich wieder in norma- let St~irke entfaltet. Is t ferner das Geld ,,neutral", ,,entsprechen die Vorgiinge in der Geldwirtschaft den] Idealtypus einer naturalen Tauschwirtschaft" ( K o o p m a n s ) , ist diese nicht inflations~ oder de- flationsgef~ihrdet, dann ist jedenfalls nicht mit Verschiebungen im Preis- und Lohnniveau zu rechnen, die hier drohenden GesamtstSrun- gen bleiben daher auBer Betracht und die damn nur vereinzetten Hor- tungs- und Enthortungsakte kompensieren sieh so weitgehend, daf~ die resultierenden Stiirungen nnd Unterbrechungen praktisch recht bedeutungsschwach bleiben.

Immerhin liegt hier ffir eine strenge Theorie doch ein zus~itzliches Problem vor, das mit ,,statischer" Analyse nicht zu l~isen ist. Es fragt sich aur, ob es iiberhaupt jener exakten Analyse und mathematischen Behandlung durch ein System sukzessiver Gleichungen zug~inglich is~, alas den short-run-Dynamikern am Herzen liegt. Dazu k~innte man sich hiichstens dann positiv einstellen, wenn psychologische Hemmnn~ gen der genannten Art einer ~[unktional ausdriickbaren Gesetzm~iBig- l:~eit unterl~igen. Jedenfalls handelt es sich nut um ein Problem yon untergeordneter Bedeutung und in seinen Voraussetzungen ist es doch wohl viiltig irrational. Liisungsversuche miissen daher wohl ebenso erfolglos bleiben wie Versuche, die ,,Witterung" gesetzmfil.~ig 7,11 er- fa~sen. Das Wetter (zum Unterschled vom Klima) bringt auch den gewiegtesten Meteoro]ogen immer noch neue ~berraschungen, denn es wurzelt in rational und empirisch kaum erfat~baren Ursachen, und gleiches gilt auch ftir die Stiirungen in der Wirtschaft. Sind solche aber eimnal iiberwunden, dann kann man jedenfalls nicht sagen, das neue Gleichgewicht sei aus dem alten entstanden, nein, dieses neuo Gleichgewicht resultiert vie]mehr aus einem neuen in sieh geschtosse- nen Kreislaufe.

Fassen wir demnach zusammen: In einer Marktwirtschaft, die im Zeitverlaufe ,,makroiikonomisch" ann~ihernd gleich dimensioniert bteibt, in der sich insbesondere Beviilkerungszahl, Produktionstechnik, Kapitalausstattnng, Marktbereich nicht nennenswert ~indern, in dec sieh vielmehr nnr ,,mikroSkonomische" Anderungen dadnrch ergeben, dal~ die Bediirfnisse wechseln oder Kaufkraftverschiebungen eintre- ten, ist die Scheidung yon statischer and dynamischer Betrachtung~- weise ohne Zweck, denn die V org~inge in den einzelnen Perioden einer

354 M. KrSll :

solchen Wirtschaft sind in sich geschlossen, ohne inneren Zusanmmn- hang, und ihre Untersehiedlichkeiten sind ohne prinzipielle Bedeu- tung. Urn einen nicht sehr vornehmen Vergleich zu gebrauchen: Wer die Qua lit/it und das Aussehen einer Wurst erproben will, dem geniigt hiezu eine Scheibe, ein Quer~hnit t , niemand legt Weft darauf, die Wurst a~.~ch im L~ingsschnitte zu sehen, tier sich hier ergebendo Strukturverlauf ist 1)icht wert einer genaueren ,,Verlaufsanalyse".

III. Echte Probleme der Dynamik

Wetche evhte~ Griinde bestehen nuu aber dafiir, auch in der Wirt~ schaftstheorie Statik und Dynamik entweder als Methode oder als Gliederung der Probleme zu unterscheiden? Ein Grund dafiir ist, wie schon gezeigt ,~,ucde, dal~ man die Preistheorie verschieden tief fun- (tieren kann. Die ]ienktionellen oder Gleichgewichtstheorien gehen woht in die volle Breite des Wirtschaftsprozesses, indem sie die Inter- dependenz des g~amten Preissystems auf-weisen, allein sie verzichten darauf, die die Wahlakte bzw. die Nachfrage bestimmenden psycholo- gischen Wurzeln aufzudecken. Diese ,wertfreie" Yfaltung betont a as- driicklich C a s s e l : ,,Es geniigt fiir die Liisung des Preisbildungspro- blems, wenn wit voraussetzen, dab die Nachfrage nach jedem Gute bestimmt ist, sobalcl s~mtliche Giiterpreise gegeben sind. Welter brau- chen wir die Nachfrage nicht zu analysieren. Der Umfang der Nach- frage bei einer gegebenen Preislage ist eine greifbare Tatsache in streng quantitativer Form und kann in dieser yon der Wirtschaftslehre unmittelbar als Baustein beniitzt werden. Die psychologischen Vor- giinge, die hinter dieser Tatsache liegen . . , fallen aul~erhalb tier Domiine der eigentlichen (ikonomischen Theorie. "24 Eine solche Be- schriinkung kann vielleicbt heuristisch begriindet werden, aber die Resultate, die sie zeitigt, sind durcimus mechanistisch; es hat einen guten Sinn, diese Methode eine blo~ ,,statische" zu nennen. Eine roll ausschSpfende Liisung des Preisbildungsproblems aber ist nur milg- lich, wenn man auf die psychologischen Wurzeln der Nachfrage zuriick- geht. l:Iierin griindet sich die schon genannte Forderung Hans M a y e r s , die nur an der Oberfl~iehe verharrende statische Liisung durch kausal-genetische Verankerung in den subjektiven Wert~,orstel- lungeu zu ,,dynamisieren", denn das ,,freischwebende System der GJeichgewichtstheorien beriihrt sich mit der Wirklichkeit nut dort, wo die Nachfrage als dynamischer Faktor eiagef4igt werden kann"~% In der Tat, das Lebendige und sich unaufh(ir]ich Wandelnde in tier Wirtschaft sind die Wirtschaftsimpulse der Individuen, ihre Bediirf- nis- und Versorgungslagen und die dutch diese bedingten Wertvor- stellungen. Sie sind es, die die Nachfrage gestalten, die wiederum, ab- gesehen yore Einkommen, nicht aUein durch das betreffende Bediirf- r~is, sondern auch dutch aile anderen Bediirfnisse bestimmt ist, und

-~4 Theoretische SozialSkonomie, S. 69. 2~ Der Erkenntnisweri: der funktionellen Preistheorien, S. 239.

Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik 355

zwar grundlegend nicht eindeutig, wie es dem Gesetz vom Ausgleich des Grenznutzenniveaus entspr~icbe, sondern infolge der Beziehungen der Sub-. stitution und Komplementarit~t und des Einflusses des Lebensstandards auf die jeweilige Bediirfnisstruktur in einer vielschichtigen psychologi- schen Interdependenz. DieAufgabe der Dynamik ist es demnach, die Preis- bildungstheorie nicht nach der Breite, sondern nach der Tiele hin aus- zugestalten, sie durch Einfiigung der ~Vutzendimension neben tier Knappheitsdimension aus der Fliichenhaftigkeit in die KSrperhaftig- keit zu steigern und sie dadurch zu einem ,,Instrument" auszugestal- ten, mit dem die Wirklichkeit in der Tat veil erkannt und erkl~irt werden kann. Im iibrigen gibt es lm ,,mikro0konomischen" Bereiche wohl keinen Angriffspunkt ftir eine ,,Dynamisierung".

Anders im ,,makro6~ononvisehen" Aspekte. Wenn man die Gesell- schaft im allgemeinen im Sinne S p e n c e r s als ein in st~ndiger Ent- ~¢;ieklung und fortschreitender Differenzierung begriffenes Gebilde zu begreifen.; hat, so gilt dies im besonderen auch fiir die gesettschaft- liehe Wirtschalt, die ja nur eine, und zwar die grundlegende £uBe- ~'ungsform jeder Gesellschaft ist. Wenn man ferner schon in tier Bio~ logie nnd weiterhin auch in der Soziologie die Entwicklung, sowohl die Onto- wie auch die Phylogenese als eigenen Problemkrels heraus~ hebt, den S p e n c e r eben als ,Dynamik" bezeichnet, so ist eine tho)- retische Ausgliederung der Wachstums- und Fortschrittserscheimm- den aus dem Gesamtbild der Wirtschaft erst recht am Platze. Dahe~- ist es sowohl heuristisch wie auch sachlich gerechtfertigt, zwei Wirt~ schaftsmodelle einander gegeniiberzustellen, das einer stationiiren ~md das einer waehse~xlen, $ortschreitenden (evolutorischen) Wirt- schaft. Am station~iren Modell verifizieren wit den elementaren ,,Kreis~auf" und die ihm entsprechenden makro~konomischen Glei- c:hungen sowie die mikrob'konomischen Gesetze der Preisbildung und Verteilung. Am dynamischen Modell aber weisen wir die groi~en Ent- wicklungslinien, den ,,trend" in der Gestaltung der Produktion, Be- sch~iftigung und Verteilung nach, legen also die Zeitdimension dllrch- aus im Sinne eines ,,~ong run" zugrunde.

Diese Art yon Dynamik haben aber, wie schon gezeigt wurde, un. bewuBt schon die K~assiker angebahnt. Sie haben gepriift, welche Riickwirkungen das Bev~ilkerungswachstum und die dadurch erzwun- gene Steigerung der Produktion auf die Produktionskosten und auf (lie Verteilung des Sozialproduktes haben miii$ten. Ihre Ergebnisse wur- den schliel~lich yon J, St. Mi l l im I ¥ . Buch, also im ausdriicklich dy- namischen Teil seiner ,,Principles" zusammengefaBt. Hier wird der Nachweis unternommen, dal~ unter dem Einflusse des Bodenertrags- gesetzes die Kosten der Urproduktion allm~hlich steigen, dab dies abet durch den technischen Fortschrit t in allen Produktionsstufen weit- gehend ausgeglichen wird. Es werden die Verteilungsgesetze danach variiert, ob die Bev01kernng oder das Kmpital oder die Produkt~ons- t(~hnik jedes fiir sich allein oder ob alie drei zugleich in Zunahme be- griffen sind. Es wird die Tendenz der sinkenden Profi trate aufgewie-

356 M. KrSll:

sen und es wird der Nachweis versl~cht, daf~ infolgedessen die Ent- wicklung zuletzt in den ,,station~iren" Zustand ausmiinden miisse. Hal- ten wir diese Tendenzen zusammen mit den yon M a r x nachgewiese- hen der Konzentration der Produktion, der Akkumulation des Kapi- tals und der durch die Tatsachen allerdings widerlegten Verelendungs- und Katastrophentheorie, so haben wir das beinahe geschlossene Bild einer ,,magnificent (bold) dynamics ''2~ vor uns, eine Fii]le yon Ent- wicldungsproblemen ist damit aufgeworfen, die auch fiir die Forschung yon heute richtung~veisend sind.

Diese ]ong-run-Prob]ematik wird sodann verbreitert durch das yon S c h u m p e t e r an die Spitze der Entwicklmigstheorie gestellte Pro- blem des teehnisehen Fortsehrittes. Die in der Eigenart des Pionier- geistes begriindete Sprunghsftigkeit des Fortschrittes, tier Drang, ,neue Kombinationen" tier Produktivkr~i~e in Sturmeseile zu realisie- ren, ergibt ein neues eigenartiges Erkenntnisobjekt Es steht mm nicht mehr der in stetigem Gef~ille dahin fliel3en0e und sich stetig ver- breiternde Strom einer planm{if3ig fortschreirenden Wirtschaft zur Er~irterung, vielmehr der in Stufen, Katarskten, Schne]len und regel- ]osen Zufliissen sich gestaltende, bald hoch anschwellende, dann wie- der verebbende Strom der rea]en kapitalisflschen Wirtschaft. Daraus ergeben sich als neue Probleme die des ,,Unternehmers", des ,,Unter- *~ehmergewinns", der Kapltalsch~pfung durch Kredit, des Aufschwungs und der Depression der Wirtschaft, also einer Konjunkturtheorie, die insbesondere die Wirtschaftskrisen nicht unter rein zyklischem Aspekte, sondern als Resultate ruckweiser Ver~inderungen und dec damit verbundenen Umgestaltungsprozesse des Wirtschaftsorganism~s begreif t

Diesen durch die bisherige Forschung wohl aufgeworfenen, abee noch keineswegs abschlief3end behandetten Problemen gesellt sich weiterhin das Beseh~ftfgungsproblem hinzu, das yon K e y n e s unter dem Gesichtspunkte dreier reiner ,,trends", n~imlich der ,,Gesetze": you der abnehmenden Verbrauchs- und der abnehmenden Investitions- neigung und der zunehmenden Liquidit~itsvorliebe behandelt wird, wonach also auch die Theorie yore ,,Gleichgewichte bei (allmfihlich zu- nehmender) Unterbeschiiftigung" durchaus den Charakter eines ,,Ent- wicklungsgesetzes" tr~igt. Zu Unrecht ordnen daher manche die K e y n e s - P h a s e der Theorie in die ,,Statik" ein; sic ist durchaus dy- namisch. Wie sehr sic es ist, zeigt ihr innerer Zusammenhang mit der H a n s e n s c h e n Konzeption der ,,mature economy", die eine eigenttim- ]iche Beziehung zu der ,,s~tkularen Stagnation" der klassischen Theorie a~ffweist Setzen wir als jiingstes Problem das wiederum von dec Gleichgewiehtsidee bestimmte der aufeinander abgestimmten Wachs- $u,msraten yon Bevflkerung, Kapital, Einkommen, Besch~iftigungs- volumen ( A k e r m a n , H a r r o d , H i c k s , T i n b e r g e n , Dupriez)~:~

26 Baumol : Economic Dynamics. New York : 1951. 27 Vgl. W. H o f f m a n n : Vollbescb~iftigung als Problem der wachsenden

Wirtschaft. Schriften des Vereins fiir Sozialpolitik, 1951.

Scheinprobleme und echte Probleme der Dynamik 357

so s tel l t sich uns die Dynamik, al8 re,he Theorie der Entwioklung auf- gefaBt, f i i rwahr als ein groBer und eigenst~indiger Problemkreis der gesamten Wir t schaf t s theor ie dar, der aber zu seiner Bewiiltigung ebensowohl die Universal i t i i t der Klass iker wie auch die Exak the i t modernen Denkens beansprucht. Welche dieser Probleme kSnnten aber ohne kausal-gvnetische Betrachtungsweise f ruchtbar behandelt werden?