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ROMAN OSSIPOWITSCH JAKOBSON 429 Roman Ossipowitsch Jakobson (* 1896 in Moskau, f 1982 in Boston) J. war schon als Jugendlicher mit fuhrenden Malern und Dich- tern seiner Zeit - u. a. mit K. Malewitsch und V Chlebni- kov - befreundet. Er studierte an der Universität Moskau Lin- guistik, Literaturwissenschaft, Folklore sowie Psychologie und wurde nach dem Studium (1915) Mitbegründer und erster Präsident des Moskauer linguistischen Kreises, zu dem auch die Dichter B. Pasternak und V Majakovskij gehörten. 1917 zog J. nach Petersburg und gehörte dort zu den aktiven Mitgliedern der Gesellschaft zur Erforschung der poetischen Sprache (OPOJAZ). 1920 siedelte er nach Prag über und wurde 1926 Mitbegründer und Vizepräsident des Cercle lin- guistique de Prague. 1933-1939 war J. Professor für russische Philologie und flir alttschechische Literatur in Brünn (ab !937). 1939 floh er nach Dänemark, Norwegen und Schweden, 1941 folgte die Übersiedlung in die USA. 1942-1946 war J. Professor fur allgemeine Linguistik und tschechoslowakische Studien an der Ecole Libre des Hautes Etudes in New York, 1943-1949 bekleidete er eine Gast- professur fur allgemeine Linguistik und war Professor fur slawische Studien an der Columbia University (ab 1946). 19491967 lehrte J. dann als Professor fur slawische Sprachen und Literatur (ab 1960 auch fur allgemeine Linguistik) an der Harvard University. Ab 1957 war er Institute Professor am Massachusetts Institute of Technology. 1967-1974 hatte J. Gastprofessuren inne am College de France und an den Uni- versitäten Yale, Princeton, Brown, Brandeis, Leuven und New York. Als Mitbegründer des Strukturalismus hat J. die Eoetik als integralen Bestandteil der Sprachwissenschaft etabliert. Seine Arbeiten zur Poetik und Verslehre sind gesam- tnelt veröffentlicht in Band III und V der Sekxied Writings. Als Klassiker gilt der Aufsatz Linguistics and Poetics (1960). Originalveröffentlichung in: Nida-Rümelin, J. (Hrsg.): Ästhetik und Kunstphilosophie, Stuttgart 1998, S. 429-435

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Roman Ossipowitsch Jakobson(* 1896 in Moskau, f 1982 in Boston)

J. war schon als Jugendlicher mit fuhrenden Malern und Dich- tern seiner Zeit - u. a. mit K. Malewitsch und V Chlebni- kov - befreundet. Er studierte an der Universität Moskau Lin- guistik, Literaturwissenschaft, Folklore sowie Psychologie undwurde nach dem Studium (1915) Mitbegründer und ersterPräsident des Moskauer linguistischen Kreises, zu dem auchdie Dichter B. Pasternak und V Majakovskij gehörten. 1917zog J. nach Petersburg und gehörte dort zu den aktivenMitgliedern der Gesellschaft zur Erforschung der poetischenSprache (OPOJAZ). 1920 siedelte er nach Prag über undwurde 1926 Mitbegründer und Vizepräsident des Cercle lin- guistique de Prague. 1933-1939 war J. Professor für russischePhilologie und flir alttschechische Literatur in Brünn (ab!937). 1939 floh er nach Dänemark, Norwegen undSchweden, 1941 folgte die Übersiedlung in die USA.1942-1946 war J. Professor fur allgemeine Linguistik undtschechoslowakische Studien an der Ecole Libre des HautesEtudes in New York, 1943-1949 bekleidete er eine Gast- professur fur allgemeine Linguistik und war Professor furslawische Studien an der Columbia University (ab 1946).1949—1967 lehrte J. dann als Professor fur slawische Sprachenund Literatur (ab 1960 auch fur allgemeine Linguistik) an derHarvard University. Ab 1957 war er Institute Professor amMassachusetts Institute of Technology. 1967-1974 hatte J.Gastprofessuren inne am College de France und an den Uni- versitäten Yale, Princeton, Brown, Brandeis, Leuven undNew York. Als Mitbegründer des Strukturalismus hat J. dieEoetik als integralen Bestandteil der Sprachwissenschaftetabliert. Seine Arbeiten zur Poetik und Verslehre sind gesam- tnelt veröffentlicht in Band III und V der Sekxied Writings. AlsKlassiker gilt der Aufsatz Linguistics and Poetics (1960).

Originalveröffentlichung in: Nida-Rümelin, J. (Hrsg.): Ästhetik und Kunstphilosophie, Stuttgart 1998, S. 429-435

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Kunsttheorie

VOM FORMALISMUS ZUM STRUKTURALISMUS. J.S Ausgangspunkt ist die Loslösung der visuellen wie der verbalen Kunst vom traditionellen naiven Realismus. Anfang der 20er Jahre hängt fiir J. die Fiktion von Wirklichkeitstreue allein von der Einstel- lung des Rezipienten ab, und Realismus ist somit ein relativer BegrifF. In einem Vortrag über die neueste russische Poesie bestimmt J. Dichtung als Sprache in ihrer ästhetischen Funk- tion: Das Wort gewinnt ftir J. Eigenwert, bleibt indifferent in bezug aufden Gegenstand der Rede, die Referenz, aufwelche die praktisch-kommunikative Sprachfunktion eingestellt ist. Die künstlerische Deformation des Gegenstands im Futurismus faßt J. als Dynamisierung der Wahrnehmung im Sinne eines geschärften Wirklichkeitssinnes auf, der die traditionelle Be- schränkung durch den perspektivischen Kanon aufhebt. Der Dadaismus geht J. zufolge mit seiner Negierung jeghcher Be- deutung noch über diesen Relativismus hinaus. Später korri- giert J. seinen formalistischen Kunstbegriff. An die Stelle der »Gegenstandslosigkeit« poetischer Aussagen tritt das Prinzip der Mehrdeutigkeit. Die Poetizität eines Textes wird im Kon- text des Prager Kreises nicht mehr an die Ausschaltung aher praktischen Funktionen geknüpft, sondern in der Dominanz der poetischen Funktion gesucht, die neben anderen Funktio- nen besteht und diese beeinflußt (Co je poesie?, 1934). Das Konzept der Plurifunktionalität hat zur Folge, daß sich die Analyse eines Gedichtes nicht auf die poetische Funktion be- schränken kann und umgekehrt, daß jedes Studium sprach- licher Phänomene auf die Rolle der poetischen Funktion hin zu untersuchen ist. In diesen Zusammenhang gehört u. a. J.s Beschäftigung mit der Kindersprache. Jener Aspekt ist belegt durch die Studien, in denen die Hussitendichtung in ihrem historisch-soziologischen Kontext und Puschkins wie Maja- kovskijs Dichtungen in ihrem biographisch-psychologischen Kontext interpretiert werden. Die Korrespondenz zwischen dem dichterischen Werk und dem außerkünstlerischen Um- feld ist ftir J. aber nicht durch eine kausale Beziehung, sondern durch das Prinzip der Äquivalenz bestimmt, welches auch die Struktur des poetischen Textes selbst konstituiert.

diachronie - synchronie - dominante. Das Äquivalenz- prinzip leitet auch die neue Sicht auf den historischen Ver- änderungsprozeß der poetischen Fortn. Im Gegensatz zu der

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tradierten Unterscheidung zwischen einer historischen Litera- turwissenschaft (Diachronie) und der Beschreibung eines lite- rarischen Systems als statischem Muster (Synchronie) postuliert J. gemeinsam mit -+ Tynjanov 1928 eine Koordination dieser Antipoden, der die Notwendigkeit einer synthetischen Be- trachtung von Sprachnorm (»langue«) und individueller Äuße- rung (»parole«) an die Seite gestellt wird. L)ie Beziehung soll weder mechanisch-kausal noch atoinistisch-zufällig gefaßt, sondern als eine Relation zwischen »Reihen« gedacht werden, denen jeweils Systemcharakter zukommt. Nicht nur die Spra- che bzw. die Poesie selbst, auch ihre Geschichte hat, verstan- den als immanenten Gesetzen folgende Evolution, System- charakter. Wichdger als die genealogische Ableitung ist die (funktionale) Projektion des Werks auf die Zukunft hin. Entsprechend analysicrt J. 1930 die literarischen Vorwegnah- men des Selbstmordes von Majakovskij, dessen Verwirk- lichung die Komplementarität von Werk und Biographie be- zeugen soll. Die Integration des historischen Moments in die Strukturanalyse erfolgt mittels des Schlüsselbegriffs der »Domi- nante« (1935). Sie ist das in einer bestimmten literarischen Pe- riode obligate Strukturmoment eines Kunstwerks, das alle übrigen Komponenten determiniert und transformiert. Der Vers als Wertsystem kann z. B. den Reim, den Rhythmus oder die Intonation als Dominante besitzen. Ebenso ist jede Epoche als Ganzes von einer Dominante bestimmt, etwa die Ro- rnantik durch die Musik, die Renaissance durch die bildende Kunst. Der Stilwandel ist demnach nicht so sehr an das Verschwinden bestimmter Eletnente und das Erscheinen an- derer geknüpft. Vielmehr wird die Evolution der poetischen Funktion als eine Umschichtung in der Werthierarchie meh- rerer gleichzeitig anwesender interdependenter Struktur- elemente und Funktionen verstanden.

metapher und metonymie. J.s Poetik basiert wie seine For- schung insgesamt auf antithetischen Begriffspaaren, die aufden Doppelcharakter der Sprache verweisen. Der Laut als kleinste Einheit der Sinnstiftung funktioniert intersubjektiv nicht als solcher, sondern nur über binäre Oppositionen: Verschlußlaut wird unterschieden von Reibelaut, dunkle von hellen laut- lichen Eigenschaften etc. Jedes Phonem umfaßt ein Bündel distinktiver Merkmale im Rahmen eines bestimmten Codes. Anwendung der Sprache bedeutet einerseits Auswahl von be- stimmten linguistischen Größen, andererseits deren Kombi-

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nation zu linguistischen Einhciten von höherem Komplika- tionsgrad. Völlzieht sich die Selektion auf der Grundlage von Ähnlichkcitsrelationen, basiert der Aufbau der Sequenz auf Kontiguität. In der Dichtung spiegelt die Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik diese beiden Achsen der Sprache. Anknüpfend an seinen frühen Realisntusaufsatz ist J. darauf be- dacht, dem Primat der Metapher in den literarischen Schulen der Romantik und des Symbolismus die dominierende Rolle der Metonymie fur die sog. realistische Literatur gegenüber- zustellen. Damit verbindet sich sein besonderes Interesse am Problem der Grammatik in der Poesie. So wie in der Laut- gestalt des Reims der verselbständigte Klang innerhalb eines dichterischen Werkes neue semiotische Beziehungen eingeht, können grammatische Kategorien in einem poetischen Kon- text eine besondere, zuvor nicht realisierte Bedeutung anneh- men. J. untermauert seine DifFerenzierung von Metapher und Metonymie durch die linguisdsche Analyse von Aphasien bzw. sprachpathologischen Symptomen der Schizophrenie. Er zeigt z. B. an Höldcrlins späten Gedichten den Verlust der dialogi- schen, in grammadschen Kategorien faßbaren Sprachfunktion.

parallelismus. In Liiiguistics and Poetics ergänzt J. die früheren Definitionen der Dichtung als einer Autonomisierung des Ausdrucks bzw. der Zeichenfunktion, die an die subjektive Einstellung von Sprecher bzw. Rezipient gebunden waren. Ausgehend von den beiden grundlegenden Operationen jedes Sprechakts beschreibt er nun ein objektives linguistisches Kri- terium des Künstlerischen: >The poetic function projects the principle of equivalence from the axis of selecdon into the axis of combinadon.« Das Wesen der Dichtung besteht demnach in der regelmäßigen Wiederkehr äquivalenter Einheiten. J. un- terscheidet dabei nicht grundsätzlich zwischen künstlerischen und nichtkünstlerischen Texten bzw. »hohen« und »niederen« Künsten. Die poedsche Funktion und damit der Parallelismus ist flir ihn latent vorhanden in der Alltagssprache und exetn- plarisch präsent in der Folklore. J. zeigt u. a. an der russischen Volkslieddichtung die Komplexität jener »verbalen Poly- phonie«, um das Vorurteil zu entkräften, es handele sich beim Parallelismus um eine archaische Ausdrucksform, deren Primi- tivität durch dic Repedtion gegeben sei. J. sucht das Außer- ordentliche des poetischen Textes glcichwohl in seiner semio- dschen Struktur. Der Vcrs, als linguisdsches Phänomen be- trachtet, sei nicht allein eine wiederkehrende Klangtigur. Laut-

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liche Äquivalenz, die als konstitutives Prinzip auf die Sequenz projiziert wird, zieht semantische Äquivalenz nach sich. Wör- ter, die sich in ihrer Lautform gleichen, werden auch bedeu- tungsmäßig zusammengezogen. In diesern Prinzip ist ftir J. das relativistische mehrdeutige Wesen der Dichtung begründet. Jede Form des Parallelismus ist eine Zuteilung von Invarianten und Varianten und aktiviert auf diese Weise alle Ebenen eines Textes, die so einen autonomen poetischen Wert annehmen, auch außerhalb der parallelisierten Zeilen. Klangkombinatio- nen und prosodische Schemata, syntaktische Konstruktionen, grammatikalische Formen und lexikalische Synonyme können für das System der Korrespondenzen dienstbar gemacht wer- den.

KontextDie primäre Quelle fiir J.s Kunstbegriff ist die Avantgarde un- mittelbar vor dem Ersten Weltkrieg: Die russischen Formali- sten übertrugen die kubistische Destruktion und Transforma- tion des visueUen Zeichens aufdie Dichtung. Im Kampfgegen deren thematische Definition durch die Symbolisten wurde das »Wort als solches«, das Lautmaterial ohne seine Beziehung auf ein Objekt, zum einzigen Gegenstand der Poesie erklärt. J. hält diesen Ausschluß des Thematischen zwar nicht aufrecht, revidiert ihn aber auch nicht gänzlich, denn im Terminus der Struktur erhalten inhaltliche und formale Dimensionen der Sprache gleiche Wertigkeit. Wesentliche Theoreme zum Pho- nembegriff und der Bipolarität der Sprache übernalim die Pra- ger Schule von den polnischen Linguisten Jan Baudoin de Courtenay und Mikolay Kruszewski. -* Saussures Cours de lin- guistique generalc (1916) lieferte das Bezugsmodell, von dem sich J. seit 1927 mit seinem Versuch abhob, die Dichotomien zwischen Diachronie und Synchronie, »langue« und »parole« zu überwinden. J.s Einspruch muß auch als Versuch gesehen werden, den Antagonismus von »engagierter« und »reiner« Poesie aufzuheben. Der Film fbrderte in den 3oerJahren seine Einsicht in die poetische Relevanz der Metonymik und bestä- tigte ihm seine These der erfahrungsmäßigen Simultaneität von Diachronie und Synchronie. Husseris Logische Untersu- chunqen (1913) sind eine weitere methodische Hauptquelle. Wenn J. die »Einstellung« auf die Mitteilung als solche zunt Merkmal der poetischen Funktion erklärt, korrespondiert dies

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mit der Einsicht der Phänomenologen in die gewohnheits- mäfiige Vernachlässigung der sprachlichen Zeichen m der all- täglichen Erfahrung. Die funktionale Konzeption der Sprache, für die Prager Linguistik wesentlich, lag in dem dreigliedrigen Modell K. Bühlers vor, das von J. erweitert wurde. In seiner Rückführung des Poetischen auf das Prinzip des Parallclismus berief er sich auf Gerald Manley Hopkins.

RezeptionJ. war ftir den New Criticism, besonders aber tiir den französi- schen Strukturalismus ein wichtiger Protagonist. -*■ Levy- Strauss, mit dem er befreundet war, aber auch -> Lacan und -+ Barthes waren direkt von ihm beeinflußt. Levy-Strauss’ Theorie von den elementaren Strukturen der Verwandtschaft erklärte das soziale Leben als Austausch von Zeichen und griff somit die universalistische Intention von J.s komparativen Stu- dien auf, die auf ein »System der Systeme« zielten. Levy- Strauss berief sich aufj.s Korrektur der Vorstellung eines will- kürlichen Charakters des sprachlichen Zeichens zugunsten einer unbewußten nonnativen Beziehungsstiftung etwa von Lautgestalt und Bedeutung auf der Grundlage synästhetischer Phänomene, wic sie J. als natürliche Grundlage des phoneti- schen Systems und auch der poetischen Funktion heran- gezogen hat. Lacan modifizierte J.s Metapher-Metonymie- Modell ftir seine Theorie von der sprachlichen Verfaßtheit des Unbewußten. Barthes These vom Leser als Autor entfaltete die Multifunktionalität des Textes bis zur Auflösung der Grenzen zwischen alltäglicher und poetischer Sprache und markierte somit den Übergang zum Poststrukturalismus. * Eco wiirdig- te J.s Bedeutung ftir die Entwicklung einer allgemeinen Seniiotik. Kritik artikulierte sich vor allem im Formalismus- Vorwurf. Sartre warf dem Strukturalismus vor, daß mit dent Feststellen von Ähnlichkeiten und dem Verzicht auf Kausali- tätsbeziehungen der historische Wandel nicht begritfen wer- den könne. J.s Poetik stellt einen wesentlichen Ansatz zu einer materialistischen Theorie der Dichtung dar, insofern ihr Kunstcharakter im Zusammenhang der Sprache als dem alltäg- lichen Zeichensystem gedeutet wird.

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BibliographieWerke: Fundamentals of Language, Den Haag/Paris 1956 (dt. Berlin 1960). - Der Doppelcharakter der Sprache und dic Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik (1960), in (Auszug): Theorie der Metapher, hg. von A. Haverkamp, Darmstadt 1996, S. 163-174. - Die neueste russische Poesie (1921), in: Texte der russischen Formalisten II: Texte zur Theorie des Verses und der poetischen Sprache, hg. von W-D. Stempel, München 1972, S. 18-135. - Hölderlin, Klee, Brecht. Zur Wortkunst dreier Gedichte, Frankfurt a. M. 1976. - Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921-1971, hg. von E. Holenstein/T. Schelbert, Frank- furt a. M. 1993. - Selected Writings V: On Verse, Its Mastcrs and Explorers, hg. von S. Rudy/M. Taylor, Den Haag/Paris 1979. - Aufsätze zur Linguistik und Poetik, hg. von W Reible, Frankfurt a. M. 1979. - (Zus. mit K. Pomorska): Dialogues, Paris 1980 (dt. Poesie und Grammatik. Dialoge, Frankfurt a. M. 1982). - Selected Writings III: Poetry of Grammar and Grammar of Poetry, hg. von S. Rudy, Den Haag/Paris 1981. - (Zus. mit H.-G. Gadamer/E. Holen- stein): Das Erbe Hegels, Frankfurt a. M. 1984. - Vcrbal Art, Verbal Sign, Ver- bal Time, hg. von K. Pomorska/S. Rudy, Oxford 1985. - Language in Litera- ture, hg. von K. Pomorska/S. Rudy, Cambridge, Mass./London 1987.Uteratur: K. Pomorska, Russian Formalist Tlieory and its Poetic Ambiance, Den Haag 1968. - C. E. Gribble (Hg.), Studies presented to Professor R. J. by his students, Cambridge, Mass., 1968. - E. Holenstein, R. J.s phänomenologi- scher Strukturalismus, Frankfurt a. M. 1975. - D. Armstrong/C. H. van Schooneveld, R. J. Echoes ofhis Scholarship, Lisse 1977. R. Barthes (Hg.), Cahiers Cistre 5. J., Lausanne 1978. - A. Boström Kruckenberg, R. J.s poetik. Studier i dess teori och praktik. Avec un resume en fran^ais, Uppsala 1979. - J. Kristeva, Desire in Language: A Semiotic Approach to Literature and Art, New York 1980. - The gencration of the 1890s: J., Trubetzkoy, Majakovskij, hg. von K. Pomorska u. a., Amsterdam 1987. - P. Ghils, Les tensions du language. La linguistique de J. entre le binarisme ct la contradiction, Bem/Berlin 1994. - R. Bradford, R. J. Life, language, art, London/New York 1994.

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