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DOI: 10.1007/s00350-014-3633-3 Karl Otto Bergmann und Carolin Wever I. Kommentierte Gerichtsentscheidungen Recht der privaten Krankenversicherung BGH, Urt. v. 12. 9. 2012 – IV ZR 28/12 – Anrechnung behandlungsbezogener Selbstbehalte des neuen Tarifs auf den Leistungsausschluss bei Tarifwechsel Der BGH hatte über die Klage eines Versicherungsneh- mers, der in einen günstigeren Krankenversicherungstarif gewechselt war, zu entscheiden. Der Herkunftstarif sah ei- nen absoluten jährlichen Selbstbehalt von 2.300 € bei einem monatlichen Beitrag von 349,51 € vor. Im Zieltarif wur- de ein behandlungsbezogener Selbstbehalt von je 10 € bei einem monatlichen Beitrag von 163,92 € vereinbart. Der günstigere Tarif war unter anderem auch darauf zurück- zuführen, dass die Versicherungsleistungen bei bestimm- ten Arzneimitteln und Therapien eingeschränkt waren. Der Umtarifierungsantrag des Versicherungsnehmers sah vor, dass weiterhin zusätzlich zum neuen Selbstbehalt ein absoluter Leistungsausschluss in Höhe von 2.300 € beibe- halten werden sollte, um den die Erstattungsleistungen des Versicherers zu kürzen waren. Gegen diese Klausel wandte sich der Kläger und begehrte die Feststellung ihrer Un- wirksamkeit. Das AG München gab der Klage mit Urt. v. 13. 12. 2010 – 233 C 20697/10 – statt; das LG München I wies sie mit Urt. v. 12. 1. 2012 – 6 S 742/11 – ab. Die Re- vision war erfolgreich. Der BGH stellt klar, dass der zusätzlich zum Zieltarif ver- einbarte Leistungsauschluss, der dem Selbstbehalt des Her- kunftstarifs entspricht, unwirksam ist. Dem Kläger stehe ein Recht auf Umtarifierung aus § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zu, da die Tarife gleichartigen Versi- cherungsschutz i. S. dieser Vorschrift böten. Dabei sei nicht zu berücksichtigen, dass der neue Tarif preislich günstiger sei als der alte. Insoweit schließt sich der BGH einer Ent- scheidung des BVerwG (NJW 2007, 2871) an, nach der für die Gleichartigkeit ausschließlich der Versicherungsschutz nach Maßgabe von § 12 der „Verordnung über die versi- cherungsmathematische Methode zur Prämienkalkulati- on“ entscheidend sei. Gleichzeitig stelle der Wegfall des absoluten Selbstbehalts eine Mehrleistung i. S. des § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG dar, auf die der Versicherer nach dieser Vorschrift auch mit einem Leistungsausschluss reagieren dürfe. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass das Gesetz einen solchen Aus- schluss nur zulasse, „soweit die Leistungen [… im Zieltarif] höher oder umfassender sind als in dem bisherigen Tarif“. Auch der Zieltarif sehe jedoch einen – wenn auch anders ausgestalteten – Selbstbehalt vor. Es läge daher gar keine „volle“ Mehrleistung vor, wie sie etwa bestünde, wenn der Selbstbehalt vollständig weggefallen wäre. Vielmehr sei al- lenfalls eine teilweise Mehrleistung denkbar, soweit die im Zieltarif vereinbarten behandlungsbezogenen Selbstbehal- te den Betrag von 2.300 € nicht erreichten. Nur insoweit dürfe daher mit einem Leistungsausschluss reagiert werden. Man könne die Vereinbarungen zum Selbstbehalt nicht künstlich in eine Mehrleistung – wegen des Wegfalls abso- luten Selbstbehalts – und eine Minderleistung – wegen des neu vereinbarten behandlungsbezogenen Selbstbehalts – aufteilen. Der Versicherer habe daher sicherzustellen, dass die behandlungsbezogenen Selbstbehalte auf den jährlichen Selbstbehalt angerechnet werden. Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen: § 204 VVG soll für einen gerechten Interessenausgleich bei Tarifwech- seln sorgen. Dem Kontrahierungszwang zur Umtarifie- rung stellt die Vorschrift entsprechende Anpassungsrechte des Versicherers entgegen. Diese gelten aber ausdrücklich nur, soweit Mehrleistungen im Zieltarif bestehen. Im vor- liegenden Fall kann davon aber nicht mehr gesprochen werden, wenn ein ursprünglicher absoluter Selbstbehalt in einen neuen behandlungsbezogenen Selbstbehalt mit zu- sätzlichem Leistungsausschluss in Höhe des ursprünglichen Selbstbehaltes umgewandelt wird. Die Interessen des Versi- cherers würden ansonsten doppelt berücksichtigt. Betreuungsrecht OLG Naumburg, Beschl. v. 24. 1. 2013 – 1 W 3/13 – Zum Umfang des Aufgabenkreises „Gesundheitssorge“ eines Betreuers Das OLG Naumburg beschäftigte sich mit dem Antrag auf Prozeßkostenhilfe mehrerer Erben, die sich gegen die Klage eines Verkäufers von Treppenliften wehren wollten. Dieser hatte der Erblasserin einen Treppenlift verkauft und geliefert und verlangte in der Folge Zahlung des Kaufprei- ses. Für die Erblasserin handelte bei Vertragsschluss ihr mitverklagter Ehemann, der vom AG Dessau-Roßlau zu- vor zum Betreuer mit dem Aufgabengebiet „Gesundheits- sorge“ bestellt worden war. Die Beklagten behaupteten im Prozess unter anderem, dass der Ehemann nicht zum Ver- tragsschluss bevollmächtigt gewesen sei. Das OLG sah auch in der Beschwerdeinstanz keine hin- reichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverteidigung und bestätigte die Zurückweisung des Prozeßkostenhilfege- suchs. Zwar sei der Aufgabenbereich „Gesundheitssorge“ nicht abstrakt beschreibbar. Der Abschluss von Verträgen über erforderliche medizinische Hilfsmittel werde vom Aufgabenkreis aber erfasst. Treppenlifte seien dabei nicht anders zu beurteilen als andere medizinische Hilfsmittel, wie Rollstühle, Brillen oder Hörgeräte. Der Ehemann habe daher mit Vertretungsmacht gehandelt. Die Aufgabenkreise eines Betreuers lassen sich im Vor- feld schwer so exakt beschreiben, dass ein Streit über den Umfang der Vertretungsmacht ausgeschlossen wäre. Dies gilt umso mehr, als sich in der Praxis Standardformulie- rungen wie „Vermögenssorge“, „Gesundheitssorge“ oder „Aufenthaltsbestimmung“ herausgebildet haben. Das OLG Naumburg ist der Ansicht, die Anschaffung medizinischer Hilfsgeräte gehöre jedenfalls zum Aufgabenkreis der „Ge- sundheitssorge“. Das verdient Zustimmung. Wenn das Ge- richt Treppenlifte zu diesen Hilfsmitteln zählt, wäre eine weitergehende Begründung wünschenswert gewesen, um die Bestimmung des Aufgabenkreises in Zukunft sicherer zu gestalten. Das Gericht verweist stattdessen zur Begrün- dung auf eine Entscheidung des BFH – VI R 14/11 –, der Aufwendungen für Treppenlifte – wie für andere medi- zinische Hilfsmittel – als „außergewöhnliche Belastung“ i. S. des § 33 EStG anerkennt. Zur Begründung ist das aber wenig überzeugend: Ebenso hätte man die gefestigte so- zialgerichtliche Rechtsprechung heranziehen können, wo- nach Treppenlifte keine Hilfsmittel sind und daher vom Leistungsumfang der Krankenkassen nicht gedeckt sind (vgl. bspw. BSG, NJW 2000, 1812). Gleichwohl ist dem Bearbeitet von Rechtsanwalt Professor Dr. iur. Karl Otto Bergmann und Rechtsanwältin Dr. iur. Carolin Wever, Kanzlei Bergmann und Partner, Hafenstraße 14, 59067 Hamm, Deutschland MedR (2014) 32: 95–96 95 RECHTSPRECHUNG AKTUELL

Rechtsprechung aktuell

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Page 1: Rechtsprechung aktuell

DOI: 10.1007/s00350-014-3633-3

Karl Otto Bergmann und Carolin Wever

I. Kommentierte Gerichtsentscheidungen

Recht der privaten Krankenversicherung

BGH, Urt. v. 12. 9. 2012 – IV ZR 28/12 –

Anrechnung behandlungsbezogener Selbstbehalte des neuen Tarifs auf den Leistungsausschluss bei Tarifwechsel

Der BGH hatte über die Klage eines Versicherungsneh-mers, der in einen günstigeren Krankenversicherungstarif gewechselt war, zu entscheiden. Der Herkunftstarif sah ei-nen absoluten jährlichen Selbstbehalt von 2.300 € bei einem monatlichen Beitrag von 349,51 € vor. Im Zieltarif wur-de ein behandlungsbezogener Selbstbehalt von je 10 € bei einem monatlichen Beitrag von 163,92 € vereinbart. Der günstigere Tarif war unter anderem auch darauf zurück-zuführen, dass die Versicherungsleistungen bei bestimm-ten Arzneimitteln und Therapien eingeschränkt waren. Der Umtarifierungsantrag des Versicherungsnehmers sah vor, dass weiterhin zusätzlich zum neuen Selbstbehalt ein absoluter Leistungsausschluss in Höhe von 2.300 € beibe-halten werden sollte, um den die Erstattungsleistungen des Versicherers zu kürzen waren. Gegen diese Klausel wandte sich der Kläger und begehrte die Feststellung ihrer Un-wirksamkeit. Das AG München gab der Klage mit Urt. v. 13. 12. 2010 – 233 C 20697/10 – statt; das LG München I wies sie mit Urt. v. 12. 1. 2012 – 6 S 742/11 – ab. Die Re-vision war erfolgreich.

Der BGH stellt klar, dass der zusätzlich zum Zieltarif ver-einbarte Leistungsauschluss, der dem Selbstbehalt des Her-kunftstarifs entspricht, unwirksam ist.

Dem Kläger stehe ein Recht auf Umtarifierung aus § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zu, da die Tarife gleichartigen Versi-cherungsschutz i. S. dieser Vorschrift böten. Dabei sei nicht zu berücksichtigen, dass der neue Tarif preislich günstiger sei als der alte. Insoweit schließt sich der BGH einer Ent-scheidung des BVerwG (NJW 2007, 2871) an, nach der für die Gleichartigkeit ausschließlich der Versicherungsschutz nach Maßgabe von § 12 der „Verordnung über die versi-cherungsmathematische Methode zur Prämienkalkulati-on“ entscheidend sei.

Gleichzeitig stelle der Wegfall des absoluten Selbstbehalts eine Mehrleistung i. S. des § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG dar, auf die der Versicherer nach dieser Vorschrift auch mit einem Leistungsausschluss reagieren dürfe. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass das Gesetz einen solchen Aus-schluss nur zulasse, „soweit die Leistungen [… im Zieltarif ] höher oder umfassender sind als in dem bisherigen Tarif “. Auch der Zieltarif sehe jedoch einen – wenn auch anders ausgestalteten – Selbstbehalt vor. Es läge daher gar keine „volle“ Mehrleistung vor, wie sie etwa bestünde, wenn der Selbstbehalt vollständig weggefallen wäre. Vielmehr sei al-lenfalls eine teilweise Mehrleistung denkbar, soweit die im Zieltarif vereinbarten behandlungsbezogenen Selbstbehal-te den Betrag von 2.300 € nicht erreichten. Nur insoweit dürfe daher mit einem Leistungsausschluss reagiert werden.

Man könne die Vereinbarungen zum Selbstbehalt nicht künstlich in eine Mehrleistung – wegen des Wegfalls abso-

luten Selbstbehalts – und eine Minderleistung – wegen des neu vereinbarten behandlungsbezogenen Selbstbehalts  – aufteilen.

Der Versicherer habe daher sicherzustellen, dass die behandlungsbezogenen Selbstbehalte auf den jährlichen Selbstbehalt angerechnet werden.

Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen: § 204 VVG soll für einen gerechten Interessenausgleich bei Tarifwech-seln sorgen. Dem Kontrahierungszwang zur Umtarifie-rung stellt die Vorschrift entsprechende Anpassungsrechte des Versicherers entgegen. Diese gelten aber ausdrücklich nur, soweit Mehrleistungen im Zieltarif bestehen. Im vor-liegenden Fall kann davon aber nicht mehr gesprochen werden, wenn ein ursprünglicher absoluter Selbstbehalt in einen neuen behandlungsbezogenen Selbstbehalt mit zu-sätzlichem Leistungsausschluss in Höhe des ursprünglichen Selbstbehaltes umgewandelt wird. Die Interessen des Versi-cherers würden ansonsten doppelt berücksichtigt.

Betreuungsrecht

OLG Naumburg, Beschl. v. 24. 1. 2013 – 1 W 3/13 –

Zum Umfang des Aufgabenkreises „Gesundheitssorge“ eines Betreuers

Das OLG Naumburg beschäftigte sich mit dem Antrag auf Prozeßkostenhilfe mehrerer Erben, die sich gegen die Klage eines Verkäufers von Treppenliften wehren wollten. Dieser hatte der Erblasserin einen Treppenlift verkauft und geliefert und verlangte in der Folge Zahlung des Kaufprei-ses. Für die Erblasserin handelte bei Vertragsschluss ihr mitverklagter Ehemann, der vom AG Dessau-Roßlau zu-vor zum Betreuer mit dem Aufgabengebiet „Gesundheits-sorge“ bestellt worden war. Die Beklagten behaupteten im Prozess unter anderem, dass der Ehemann nicht zum Ver-tragsschluss bevollmächtigt gewesen sei.

Das OLG sah auch in der Beschwerdeinstanz keine hin-reichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverteidigung und bestätigte die Zurückweisung des Prozeßkostenhilfege-suchs. Zwar sei der Aufgabenbereich „Gesundheitssorge“ nicht abstrakt beschreibbar. Der Abschluss von Verträgen über erforderliche medizinische Hilfsmittel werde vom Aufgabenkreis aber erfasst. Treppenlifte seien dabei nicht anders zu beurteilen als andere medizinische Hilfsmittel, wie Rollstühle, Brillen oder Hörgeräte. Der Ehemann habe daher mit Vertretungsmacht gehandelt.

Die Aufgabenkreise eines Betreuers lassen sich im Vor-feld schwer so exakt beschreiben, dass ein Streit über den Umfang der Vertretungsmacht ausgeschlossen wäre. Dies gilt umso mehr, als sich in der Praxis Standardformulie-rungen wie „Vermögenssorge“, „Gesundheitssorge“ oder „Aufenthaltsbestimmung“ herausgebildet haben. Das OLG Naumburg ist der Ansicht, die Anschaffung medizinischer Hilfsgeräte gehöre jedenfalls zum Aufgabenkreis der „Ge-sundheitssorge“. Das verdient Zustimmung. Wenn das Ge-richt Treppenlifte zu diesen Hilfsmitteln zählt, wäre eine weitergehende Begründung wünschenswert gewesen, um die Bestimmung des Aufgabenkreises in Zukunft sicherer zu gestalten. Das Gericht verweist stattdessen zur Begrün-dung auf eine Entscheidung des BFH – VI R 14/11 –, der Aufwendungen für Treppenlifte – wie für andere medi-zinische Hilfsmittel – als „außergewöhnliche Belastung“ i. S. des § 33 EStG anerkennt. Zur Begründung ist das aber wenig überzeugend: Ebenso hätte man die gefestigte so-zialgerichtliche Rechtsprechung heranziehen können, wo-nach Treppenlifte keine Hilfsmittel sind und daher vom Leistungsumfang der Krankenkassen nicht gedeckt sind (vgl. bspw. BSG, NJW 2000, 1812). Gleichwohl ist dem

Bearbeitet von Rechtsanwalt Professor Dr. iur. Karl Otto Bergmann und Rechtsanwältin Dr. iur. Carolin Wever, Kanzlei Bergmann und Partner, Hafenstraße 14, 59067 Hamm, Deutschland

MedR (2014) 32: 95–96 95

R E C H T S P R E C H U N G A K T U E L L

Page 2: Rechtsprechung aktuell

OLG jedenfalls für die Fälle zuzustimmen, in denen der Treppenlift zur Substitution körperlicher Funktionen an-geschafft werden muss. In diesen Fällen steht die Sorge für die Gesundheit im Vordergrund.

II. Gerichtsentscheidungen in Leitsätzen

Arzthaftungsrecht

OLG Koblenz, Beschl. v. 26. 2. 2013 – 5 U 147/12 –

Arzthaftung bei Erfordernis eines Revisionseingriffs (Hüftgelenks prothese); keine Beweisvereitelung durch Entsorgung der ausgetauschten Erstprothese

1. Aus der unterbliebenen Aufklärung über die Material-wahl des Inlays einer Hüftgelenkpfanne (hier: Keramik) er-gibt sich keine Haftung des Arztes, wenn das (eingetretene) Risiko einer Fraktur des Gelenkkopfs bei der alternativ in Betracht kommenden Kunststoffauskleidung nicht geringer gewesen wäre.

2. Auch die Zusammenfügung eines Hüftprothesen-schafts mit dem Gelenkkopf ist Herstellung eines Medi-zinprodukts i. S. von § 4 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG. Beweis-pflichtig dafür, dass eine implantierte Prothese von ihrem Material oder ihrer Zusammenfügung her mit einem Feh-ler i. S. von § 3 ProdHaftG behaftet war, ist der Patient.

3. Entsorgt die Behandlungsseite eine aus dem Körper entfernte Prothese, ergibt sich daraus kein Beweisvorteil für den Patienten, wenn eine Beeinträchtigung seiner Beweis-chancen auszuschließen ist.

4. Eine fehlende CE-Kennzeichnung eines Medizin-produkts ist bei tatsächlich erfolgter CE-Zertifizierung unerheblich.

Vertragsarztrecht

LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 29. 1. 2013 – L 4 89/12 B ER – (nicht rechtskräftig)

Zum Anspruch auf eine kontinuierliche Glukosemessung (CGM) bei Diabetes mellitus

1. Zur CGM hat der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V noch keine positive Empfehlung abgegeben. Ungeklärt und höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, ob ein Anspruch der Versicherten davon abhängt. Bei Hilfsmitteln, die nicht im Rahmen einer ver-tragsärztlichen Behandlungsmethode eingesetzt, sondern vom Versicherten selbständig verwendet werden, erscheint ein Erlaubnisvorbehalt gemäß § 135 SGB V nicht zwingend erforderlich, wenn die Wirksamkeit des Hilfsmittels nach der medizinisch-wissenschaftlichen Studienlage hinrei-chend belegt ist.

2. Bei der Prüfung des Anordnungsgrundes sind im Einzelfall die mit einem unzureichend eingestellten Blut-zuckerspiegel verbundenen gesundheitlichen Risiken des Versicherten und die beim Einsatz der CGM zu erwarten-den Vorteile gegen das Kostenrisiko der Krankenkassen abzuwägen.

Sozialrecht

LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 25. 9. 2012 – L 7 VJ 3/08 –

Soziales Entschädigungsrecht – Impfkomplikation1. Da die Ursache der Autoimmunhepatitis nicht wissen-

schaftlich geklärt ist, kann nicht mit hinreichender Wahr-scheinlichkeit angenommen werden, dass ein nach einer Masernimpfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen auf diese zurückzuführen ist.

2. Für die Gewährung einer Kannversorgung nach § 60 Abs. 1 i. V. mit § 61 S. 2 IfSG reicht nicht die theoretische Möglichkeit eines Zusammenhangs. Es muss eine „gute Möglichkeit“ bestehen, die zumindest einen eingeschränk-ten Personenkreis der Fachmediziner i. S. einer Minder-meinung überzeugt. Für einen Ursachenzusammenhang zwischen einer Masernimpfung und der Autoimmunhepa-titis fehlt es an einer wissenschaftlichen Lehrmeinung, die durch statistische Erhebungen untermauert ist. Arbeitshy-pothesen genügen nicht.

Berufsrecht der Heilberufe

VG Bremen, Urt. v. 26. 9. 2013 – 5 K 909/12 –

Widerruf einer HeilpraktikererlaubnisEin Heilpraktiker, der seinen schwer erkrankten Pa-

tienten dazu rät, ohne weitere Rücksprache die ärztlich verordneten Medikamente abzusetzen, ist sittlich unzu-verlässig i. S. von § 2 Abs. 1 lit. f der 1. DVO HeilPrG. In einem solchen Fall hat die Behörde daher nach § 7 Abs. 1 S.  1 der 1. DVO HeilPrG die Heilpraktikererlaubnis zu widerrufen.

Arzneimittelrecht

BGH, Urt. v. 24. 9. 2013 – X ZR 40/12 –

Offenbarung bei nachträglichem Auffinden von biologischen Zusammenhängen – Fettsäuren

Das nachträgliche Auffinden der biologischen Zusam-menhänge, die der Wirkung eines Arzneimittels zugrun-de liegen, offenbart keine neue Lehre zum technischen Handeln, sofern der verabreichte Wirkstoff, die Indika-tion, die Dosierung und die sonstige Art und Weise, in der der Wirkstoff verwendet wird, mit einer bereits be-schriebenen Verwendung eines Wirkstoffs zur Behandlung einer Krankheit übereinstimmen (Bestätigung von BGH, GRUR 2011, 999, Rdnr. 44 – Memantin).

Verkehrsrecht

BGH, Urt. v. 17. 9. 2013 – VI ZR 95/13 –

Zur Erstattungsfähigkeit von Kosten für ärztliche Untersuchungen gegenüber dem Unfallschädiger

Ein Unfallgeschädigter kann die durch eine ärztliche Untersuchung oder Behandlung entstandenen Kosten vom Schädiger nur ersetzt verlangen, wenn der Unfall zu einer Körperverletzung geführt hat. Die bloße Möglichkeit oder der Verdacht einer Verletzung genügt dafür nicht.

Rechtsprechung aktuell96 MedR (2014) 32: 95–96