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pharma: ch Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015 Die Oncosuisse hat das zweite Nationale Krebsprogramm aufgelegt, diesmal für die Periode 2011 bis 2015. Erklärtes Ziel ist «Weniger Krebskranke und bessere Aussichten für Erkrankte». Dazu sollen Prävention und Früherkennung gefördert und die Qualität der Behandlung verbessern werden. Mit dem Programm überwindet die Oncosuisse föderalis- tische Strukturen und stellt für Krebs nationale Gesundheitsziele dar. Nationales Vorgehen, einheitliche Qualität und die konsequente Vernetzung der vorhandenen Ressour- cen in Form eines gesamtschweizerischen Pro- gramms ist gerade bei Krebs in besonderem Mass notwendig. Denn in unserer stetig älter werdenden Bevölkerung, bei der Krebs wesentlich häufiger auf- tritt als in jungen Jahren, dürften Krebserkrankungen schon bald zur häufigsten Todesursache werden, noch vor den Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die nackten Zahlen in der Schweiz sind ernüchternd: Etwa 85 000 Menschen leiden oder litten in den ver- gangenen fünf Jahren an Krebs, jedes Jahr erkran- ken 35 000 Menschen neu und jährlich sterben 16 000 Menschen an Krebs. Trotzdem gibt es auch positive Nachrichten: Die Krebssterblichkeit hat in der Schweiz in den vergangenen 40 Jahren bei den meisten Krebsarten abgenommen. Heute lässt sich das Fortschreiten der Krankheit oft verlangsamen, die Schwere der Nebenwirkungen sowie der Schmer- zen kann verringert werden. Mehr als die Hälfte aller Krebsleiden können heute geheilt werden. Dies gilt insbesondere für Krebsarten, die früh erkannt wer- den und daher meist einfacher zu behandeln sind. Zudem gibt es einige Krebstypen, die selbst im fort- geschrittenen Stadium heilbar sind. Fortschritte wur- den zum Beispiel bei Darm-, Lymphdrüsen- und Brustkrebs erzielt sowie bei Krebserkrankungen bei Kindern. Bei der Qualität der Früherkennung und der Behand- lung bestehen allerdings grosse kantonale Unter- schiede und die Schweiz hinkt den europäischen Ländern in diesem Bereich um Jahre hinterher. In der Westschweiz und im Tessin werden alle Krebser- krankungen registriert, in einigen Regionen in der Deutschschweiz ist die Datenlage hingegen noch lü- ckenhaft. Bis im Frühling 2012 soll ein Vorentwurf für ein Bundesgesetz zur Registrierung von Krebser- krankungen vorliegen. n Die Krebssterblichkeit hat in der Schweiz in den vergange- nen 40 Jahren bei den meisten Krebsarten abgenommen. 1/11 Markt und Politik

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Die Oncosuisse hat das zweite Nationale Krebsprogramm aufgelegt, diesmal für die Periode 2011 bis 2015. Erklärtes Ziel ist «Weniger Krebskranke und bessere Aussichten für Erkrankte». Dazu sollen Prävention und Früherkennung gefördert und die Qualität der Behandlung verbessern werden. Mit dem Programm überwindet die Oncosuisse föderalistische Strukturen und stellt für Krebs nationale Gesundheitsziele dar.

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Page 1: pharma:ch 1/2011: Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011-2015

pharma:chNationales Krebsprogramm für die Schweiz 2011–2015Die Oncosuisse hat das zweite Nationale Krebsprogramm aufgelegt, diesmal für die

Periode 2011 bis 2015. Erklärtes Ziel ist «Weniger Krebskranke und bessere Aussichten für

Erkrankte». Dazu sollen Prävention und Früherkennung gefördert und die Qualität der

Behandlung verbessern werden. Mit dem Programm überwindet die Oncosuisse föderalis­

tische Strukturen und stellt für Krebs nationale Gesundheitsziele dar.

Nationales Vorgehen, einheitliche Qualität und die

konsequente Vernetzung der vorhandenen Ressour-

cen in Form eines gesamtschweizerischen Pro-

gramms ist gerade bei Krebs in besonderem Mass

notwendig. Denn in unserer stetig älter werdenden

Bevölkerung, bei der Krebs wesentlich häufiger auf-

tritt als in jungen Jahren, dürften Krebserkrankungen

schon bald zur häufigsten Todesursache werden,

noch vor den Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die nackten Zahlen in der Schweiz sind ernüchternd:

Etwa 85 000 Menschen leiden oder litten in den ver-

gangenen fünf Jahren an Krebs, jedes Jahr erkran-

ken 35 000 Menschen neu und jährlich sterben

16 000 Menschen an Krebs. Trotzdem gibt es auch

positive Nachrichten: Die Krebssterblichkeit hat in

der Schweiz in den vergangenen 40 Jahren bei den

meisten Krebsarten abgenommen. Heute lässt sich

das Fortschreiten der Krankheit oft verlangsamen,

die Schwere der Nebenwirkungen sowie der Schmer-

zen kann verringert werden. Mehr als die Hälfte aller

Krebsleiden können heute geheilt werden. Dies gilt

insbesondere für Krebsarten, die früh erkannt wer-

den und daher meist einfacher zu behandeln sind.

Zudem gibt es einige Krebstypen, die selbst im fort-

geschrittenen Stadium heilbar sind. Fortschritte wur-

den zum Beispiel bei Darm-, Lymphdrüsen- und

Brustkrebs erzielt sowie bei Krebserkrankungen bei

Kindern.

Bei der Qualität der Früherkennung und der Behand-

lung bestehen allerdings grosse kantonale Unter-

schiede und die Schweiz hinkt den europäischen

Ländern in diesem Bereich um Jahre hinterher. In der

Westschweiz und im Tessin werden alle Krebser-

krankungen registriert, in einigen Regionen in der

Deutschschweiz ist die Datenlage hingegen noch lü-

ckenhaft. Bis im Frühling 2012 soll ein Vorentwurf für

ein Bundesgesetz zur Registrierung von Krebser-

krankungen vorliegen. n

Die Krebssterblichkeit hat in der Schweiz in den vergange-nen 40 Jahren bei den meisten Krebsarten abgenommen.

1/11Markt und Politik

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NAtiONAlES KrEBSPrOGrAMM Für DiE SchWEiZ 2011–2015

Nationales Krebsprogramm 2011–2015

n Hauptziele des nationalen Krebsprogramms

sind: die Entstehung von Krebs verhindern, die

Krebsfrüherkennung verbessern und eine am Pati-

enten orientierte Behandlung und Pflege von hoher

Qualität. Das Programm für 2011–2015 schliesst

am ersten Programm aus dem Jahre 2005 an.

Die im Programm begründeten Vorschläge sollen

als Grundlage für politische und gesellschaftliche

Entscheidungen dienen. Folgende Organisationen

sind Mitglied der Oncosuisse, die das Programm

erarbeitet hat: Krebsforschung Schweiz, Nationa-

les Institut für Krebsregistrierung und Epidemiolo-

gie, Schweizerische Pädiatrische Onkologie Grup-

pe, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Klini-

sche Krebsforschung, Krebsliga Schweiz.

Im ersten Nationalen Krebsprogramm, 2005 bis

2010, hatte der Dachverband Oncosuisse das Ziel:

«Weniger Menschen erkranken und sterben an Krebs»

formuliert. Das Ziel wurde nicht erreicht und der Trend

ist ungebrochen: Nach wie vor steigt die Zahl jener,

welche an Krebs erkranken und daran sterben. Die

Schweiz gehört zu den «Hochrisikoländern» und hinkt

im Kampf gegen Krebs anderen Ländern hinterher.

Im Rating der Anzahl Neuerkrankungen und des Risi-

kos, an Krebs zu erkranken, liegen Schweizerinnen

und Schweizer auf Platz 16 von 40 europäischen Na-

tionen. Zwar weist die Schweiz vor allem bei der Be-

handlung gute Resultate aus. Doch insgesamt sind

die Bereiche Früherkennung, Prävention, Diagnose

und Behandlung von Krebserkrankungen heute in der

Schweiz qualitativ nicht gut genug, um besorgnis-

erregende Entwicklungen zu stoppen und negative

Trends zu brechen: Nirgends in Europa erkranken

heute so viele Menschen an Hautkrebs (Hautmela-

nom) wie in der Schweiz.

Die Schweiz soll nicht länger ein Hochrisikoland seinDie Zahl der Krebserkrankungen und der todesfälle nimmt zu – die Schweiz gehört im

internationalen Vergleich zu den «hochrisikoländern». Die Behandlungsergebnisse weisen

allerdings grosse kantonale Unterschiede auf. Je nach region und Krebsart ist der

Nachholbedarf erheblich. Die erfolgreichen Vorsorge­, Früherkennungs­ und Behandlungs­

ansätze sollen gemäss Krebsprogramm in allen Kantonen zur Anwendung kommen.

Nach wie vor zählt die Schweiz überdurchschnittlich

viele Menschen, welche an Brust-, Hoden- und Pros-

tatakrebs leiden oder etwa am sogenannten Hodg-

kin-Lymphom, einem bösartigen Tumor des Lymph-

systems. Zudem erkranken immer mehr Frauen an

Lungenkrebs – mit steigender Sterblichkeitsrate. Ein-

zig bei Magen- und Gebärmutterhalskrebs liegt die

Schweiz leicht unter dem europäischen Mittel.

langzeitüberlebende fordern uns

Grundsätzlich hängt das eher negative Gesamtbild

vor allem mit der rasch alternden Bevölkerung zu-

sammen. Krebs ist je länger, je weniger die akut be-

drohende Krankheit, sondern immer stärker ein chro-

nisches, langwieriges Leiden, das vor allem ältere

Menschen trifft. Die Betreuung dieser krebskranken

«Langzeitüberlebenden» in der Schweiz erfordert zu-

nächst einmal profunde Daten und dann ein hochkul-

tiviertes Zusammenspiel aller Involvierten um den

Kranken. Um die bestmöglichen Behandlungen zu er-

möglichen, müssen die heute nur unzulänglich erfass-

ten Behandlungsergebnisse (Outcome-Daten) ver-

bessert und vergleichbar gemacht werden. Welchen

Nutzen ein gut abgestützter Vergleich von Behand-

lungsergebnissen stiften kann, machte der St. Galler

Onkologe Beat Thürlimann mit seiner Brustkrebsstu-

die 2009 klar: In der Schweiz erhalten gegen 30 Pro-

zent der Brustkrebspatientinnen nicht die optimale

Therapie. Die Behandlungsergebnisse unterschieden

sich je nach Kanton erheblich. Entsprechend fordert

das Krebsprogramm nationale Qualitätssicherungs-

konzepte.

Föderal, verspätet, lückenhaft

Die Schweiz ist klein und überschaubar, das Netz ge-

gen Krebs aber lückenhaft: Die in kantonalen Krebs-

registern erfassten Krebserkrankungen decken heute

erst 16 Kantone ab. Damit sind lediglich 68 Prozent

der Schweizer Bevölkerung erfasst. Nur in der West-

schweiz und im Tessin werden heute alle Krebser-

krankungen registriert. In weiten Teilen der Deutsch-

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Prof. Dr. med. Jakob r. Passweg, Präsident Krebsliga Schweiz

Prof. Passweg, ist die Schweiz beim Krebs tatsäch-

lich ein Hochrisikoland?

Es gibt viele Krebserkrankungen in der Schweiz. Da-

für gibt es verschiedene Gründe. Zunächst einmal die

Altersstruktur der Bevölkerung. Wir haben viele alte

Leute. Dieser Trend wir zunehmen. Dann ist das Ri-

sikoverhalten bei uns in gewissen Bereichen offen-

sichtlich sorgloser als anderswo. So ist die Schweiz

in Europa spitze beim Melanom. Dann sind wir ein

Land, in dem relativ viele Frauen rauchen.

Wer aber an Krebs erkrankt, kann in der Schweiz auf

eine gute medizinische Versorgung zählen?

Betreffend Krebsmortalität steht die Schweiz relativ

gut da. Das darf man durchaus als Erfolg unseres Ge-

sundheitswesens darstellen. Verbesserungspotenzial

gibt es dennoch, insbesondere weil rund ein Drittel

aller Krebsfälle zu verhindern wären. Bei Prävention

und Früherkennung ist also noch einiges möglich. Um

Prävention zu betreiben, müssen wir die Ursachen

der Erkrankungen kennen. Für eine Früherkennung

brauchen wir möglichst genaue Kenntnisse über die

Entwicklung einer Krebsart möglichst von Beginn

weg. Beides senkt die Mortalität – ebenso wie Be-

handlungsfortschritte.

Wo ist in der Schweiz Handlungsbedarf?

Wenn das Nationale Krebsprogramm (NKP) tatsäch-

lich national wäre, würde das schon viel helfen. Wir

haben ein kantonales Gesundheitswesen, es ist also

stark fragmentiert. Es fehlt eine Koordination für über-

geordnete Ziele. Auch die Forschung ist nicht aus einer

schweiz werden sie erst seit Kurzem systematisch

erhoben, die Daten sind zudem nur beschränkt ver-

gleichbar. Erst 2010 wurde etwa begonnen, Daten

aus dem Kanton Luzern in einem Zentralschweizer

Krebsregister auszuwerten.

Solche Verspätungen sind angesichts der hohen

Erkrankungsraten besorgniserregend. Krankenge-

schichten, Daten über Lebensstil und Umfeld der

Kranken sind nämlich eine unerlässliche Basis, um

ein taugliches Bild der jeweiligen Krebserkrankung zu

erhalten. Und erst dann sind die Daten für Kranke

in anderen Regionen nützlich. Heute werden in der

Schweiz Daten aus Kantonen, welche seit 40 Jahren

(Kanton Genf) Krebsregister erstellen, mit Angaben

aus Kantonen verglichen, welche zum Beispiel erst

seit 2005 (Jura) ein Register führen. Diese stufenwei-

se Einführung eines kantonalen Monitorings bei Kran-

ken und Gesunden liefert keine national repräsenta-

tiven Zahlen über Neuerkrankungen, Lebensstil, Ri-

siken, Krankheit und deren Therapieform. Wichtige

regionale Erkenntnisse müssen zu nationalen wer-

den: Was ist aus dem erhöhten Risiko, in Bergregi-

onen an Magenkrebs zu erkranken, zu schliessen?

Warum gibt es im Kanton Waadt besonders viele Fäl-

le von Prostatakrebs? Weshalb erkranken in der Ro-

mandie deutlich mehr Frauen an Brustkrebs als in der

Deutschschweiz? Nur ein lückenloses Netz zur dau-

ernden epidemiologischen Überwachung von Neu-

erkrankungen lässt Folgerungen zu, die schliesslich

allen dienen.

Medikamentenkombinationen optimieren

Dem löchrigen Datenmaterial stehen in der Schweiz

nachweisliche Behandlungserfolge gegenüber. Die

Überlebensrate von Krebserkrankten ist deutlich hö-

her als in anderen europäischen Ländern. Einen we-

sentlichen Beitrag leistet hier die Pharmaindustrie.

Ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen

führen zu immer wirksameren, immer gezielter ein-

setzbaren und damit mit weniger Nebenwirkungen

behafteten Behandlungen. Weltweit wird derzeit an

über 1300 Wirkstoffen gegen Krebs geforscht. Die

forschenden Pharmaunternehmen der Schweiz sind

mit ihren globalen Forschungsstandorten in diesem

Bereich an vorderster Front engagiert. Im Fall von Gli-

vec von Novartis zur Behandlung insbesondere von

chronischer myeloischer Leukämie darf der Erfolg so-

gar direkt dem Forschungsplatz Schweiz zugeschrie-

ben werden. Solche und andere Krebsmedikamente

tragen viel dazu bei, der Diagnose Krebs schrittweise

etwas von ihrem Schrecken zu nehmen. Brustkrebs

ist dafür ein gutes Beispiel: Während Patientinnen bis

Ende der Siebzigerjahre ausschliesslich chirurgisch

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NAtiONAlES KrEBSPrOGrAMM Für DiE SchWEiZ 2011–2015

behandelt wurden und eine Brustamputation meist

unvermeidlich war, lässt sich das heute dank ver-

schiedenen Optionen und der passenden Medika-

mentekombination oft vermeiden.

Dennoch bleiben die Herausforderungen gross: Für

die 300 verschiedenen Krebserkrankungen kommen

zahlreiche Medikamente zu Anwendung. Viele erwei-

sen sich mit der Zeit auch für weitere Indikationen als

tauglich, also nicht nur für jene, die bei der Entwick-

lung im Vordergrund gestanden haben. Solche Off-

Label-Anwendungen sind häufig das Ergebnis einer

Zusammenarbeit zwischen praktizierenden Onkolo-

gen und der Industrie. Ähnliches kann über die An-

wendung von Medikamentekombinationen gesagt

werden. Oft ist es sinnvoll, mehr als ein Medikament

zur Bekämpfung einer Krebserkrankung einzusetzen

– in der Regel nacheinander, zuweilen auch gleichzei-

tig. Zentral ist deshalb die Forschungstätigkeit, wel-

che ergründet, wie Krebsmedikamente zu kombinie-

ren sind, um möglichst massgeschneiderte Therapi-

en anbieten zu können. Zwar werden in der Schweiz

immer noch viele klinische Studien durchgeführt, ihre

Zahl ist aber rückläufig. Gemäss Krebsprogramm gab

es 363 klinische Studien, davon 66 mit Indikation

Krebs. 2009 waren es noch 246 bzw. 48.

Die richtige Versorgung der Kranken mit individuell de-

finierten Medikamentenkombinationen ist jedoch nur

dann Erfolg versprechend, wenn genügend aussage-

kräftige Daten über vergleichbare Behandlungrichtlini-

en vorliegen. Was gemessen und verglichen werden

kann, lässt sich verbessern.

Qualitätssicherung bringt Qualitätsbehandlung

Deutlich zeigt sich das beim Brustkrebs: Während in

der Westschweiz und im Tessin die Mammografie-

Screenings (Früherkennung) innerhalb qualitätsgesi-

cherter Programme stattfinden, regiert in der Deutsch-

schweiz nach wie vor etwas der Zufall. Dies, obschon

internationale Erfahrungen belegen: Qualitativ hoch-

stehende Früherkennungsprogramme senken die

Sterberate bei Brustkrebs um 15 bis 30 Prozent. Ten-

denziell gilt dies auch für andere Krebsarten. Die

Schweiz verfügt mit den kantonalen Krebsregistern

(KKR), dem Schweizer Kinderkrebsregister (SKKR)

und der Todesursachenstatistik (TU) sowie dem an

der Universität Zürich angesiedelten National Institu-

te of Cancer Epidemiology and Registration (NICER;

www.nicer.org) mittlerweile über gute Strukturen,

um die Qualität der Daten auf das erforderliche Ni-

veau zu hieven. Dafür muss jedoch nicht nur das Er-

fassen der Daten vereinheitlicht werden; es braucht

auch eine interkantonale Datenbank, um schliesslich

übergeordneten Warte konzipiert. Es gibt Kantone mit

einem Präventionsprogramm, andere haben keines.

Bei der Früherkennung ist es nicht anders und auch bei

der Behandlung beharrt jeder Kanton auf seiner Auto-

nomie. Die Krebsregister sind je nach Kanton anders

organisiert und finanziert und nicht flächendeckend.

Gesamtschweizerische Zahlen sind jeweils eine Extra-

polation. Centers of Excellence wurden mit dem bis-

herigen Modell der Spitalfinanzierung aktiv verhindert.

Die Forderung nach einem flächendeckenden Regis-

ter wird immer wieder erhoben.

Ja, klar. Und dabei geht es nicht allein um die Zahl

von Erkrankungen, sondern ebenso um die Art der

Behandlungen und um die Behandlungsergebnisse.

Das bringt Erkenntnisgewinn und eine höhere Be-

handlungsqualität. Weiter geht es um eine Art Wirt-

schaftlichkeit: Die Gesellschaft gibt grosse Summen

für Krebsforschung und -behandlung aus. Sie hat ein

Anrecht zu erfahren, ob dieses Geld wirksam einge-

setzt wird.

Werden die Ausgaben für Krebsbehandlungen wei-

terhin steigen?

Nicht nur das, sie werden wohl explodieren. Wir wer-

den noch mehr ältere Leute und damit noch mehr

Krebserkrankungen haben. Dann sind sehr viele Sub-

stanzen in Entwicklung, von denen einige hoffentlich

grosse Fortschritte bringen werden. Teuer werden sie

alle sein.

Um dem zu begegnen, predigt eine Mehrheit der Ge-

sundheitsökonomen die Rationierung und wir haben

einen Bundesgerichtsentscheid vorliegen, der die

Krankenkassen von der Erstattung eines sehr teuren

«Betreffend Krebsmortalität steht die Schweiz relativ gut da. Verbes-serungspotenzial gibt es dennoch, insbesondere, weil rund ein Drittel aller Krebsfälle zu verhindern wäre.»

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die epidemiologische Krebsforschung auf nationaler

Ebene verankern und entsprechend fördern zu kön-

nen.

Bessere Prävention ist zwingend

Gerade bei der Krebsbekämpfung muss schliesslich

korrigiert werden, was für viele Krankheiten gilt: Es ist

nicht nachhaltig, rund 95 Prozent der Ausgaben –

und Bemühungen – für die Behandlung der beste-

henden Krankheit aufzuwenden, jedoch lediglich 5

Prozent in die Prävention zu stecken. Im Kampf ge-

gen die hohen Krebsraten in der Schweiz ist deshalb

die Forschung nicht nur am richtig kombinierten Me-

dikament, sondern auch im Bereich der möglichen

Krebsvorsorge zu fördern. Das würde sich lohnen,

sind doch rund ein Drittel der Krebsfälle durch Prä-

vention und Früherkennung zu vermeiden. Dabei bie-

tet die kleinräumige Schweiz auch Vorteile: Hier ist

gezielte und flächendeckende Prävention relativ ein-

fach zu realisieren. Gesundheitspolitiker, Medien und

involvierten Verbände können wirksam vernetzt wer-

den, um jenen Lebensstil – also Bewegung, gesunde

Ernährung etc. – zu propagieren, der zu einer Vermin-

derung des Krebsrisikos beiträgt. Schliesslich kann

dem Schreckgespenst Krebs am besten begegnet

werden, wenn der Schweizer (Wohlstands-)Bevölke-

rung im nationalen Krebsprogramm die positiven Ver-

haltensweisen in Erinnerung gerufen werden: genü-

gend Bewegung, Verzicht aufs Rauchen und eine

ausgewogene Ernährung sind eine gute Krebsprä-

vention. So kann sich die Schweiz mittel- bis langfris-

tig dem Ziel nähern, den Erkrankten die beste Be-

handlung und Pflege zukommen zu lassen. n

Medikaments gegen eine seltene Krankheit, Morbus

Pompe, entbindet. Wie stellen Sie sich dazu?

Es ist ein Bundesgerichtsfehlentscheid. Er ist diskri-

minierend, weil das Bundesgericht nicht unterschei-

det zwischen seltenen Krankheiten mit zum Teil sehr

teuren Behandlungen und häufigen Krankheiten, bei

denen es durchaus günstige Behandlungen gibt.

Erleben Sie Rationierung?

Es gibt derzeit keine klar geregelte Rationierungsbe-

strebung. Es wird aber überall Druck gemacht – die

Krankenkassen machen Druck auf die Ärzte und Pa-

tienten, das Bundesamt für Gesundheit auf Swiss-

medic und die Bewilligungsverfahren. Letzteres führt

dazu, dass uns in der Schweiz für die Patienten wich-

tige Erneuerungen später zur Verfügung stehen als in

andern Ländern. Faktisch gibt es keine Rationierung.

Jeder kann jedes Medikament bekommen, ungeach-

tet seines Alters und Zustandes. Und das ist auch gut

so, denn der Staat kann nicht entscheiden, wer noch

behandlungswürdig ist und wer nicht.

Wer soll denn entscheiden?

Es ist eine medizinische Entscheidung, welche Be-

handlung vernünftig ist. Das kann bei einem jüngeren

Menschen durchaus anders beurteilt werden als bei

einem alten. Krankheiten sind je nach Lebensphase

unterschiedlich, vieles hängt auch mit weiteren Er-

krankungen beim gleichen Patienten ab. Es gehört

zum täglichen Brot der Ärzte, sich die Konsequenzen

einer Behandlung oder einer Abklärung zu überlegen.

Nicht immer ist eine Behandlung oder Abklärung

sinnvoll. Mit Rationierung hat das allerdings nichts zu

tun. Das ist einfach richtiges und verantwortungsvol-

les ärztliches Handeln.

Und die Patienten?

Die sind durchaus bereit, solche Diskussionen zu füh-

ren. Sie wollen nicht selten wissen, wie sinnvoll eine

Behandlung (noch) ist und welche Kosten dabei an-

fallen. Und wenn sie selbst bezahlen müssten, wür-

den sie dann und wann auch anders entscheiden. n

Rund ein Drittel der Krebsfälle sind durch Prävention und Früherkennung zu vermeiden. So trägt beispielsweise der richtige Sonnenschutz dazu bei, das Risiko einer Hautkrebserkrankung zu senken.

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NAtiONAlES KrEBSPrOGrAMM Für DiE SchWEiZ 2011–2015

Wie können Ärzte und Therapeuten den Eltern krebs-

kranker Kinder helfen, ihre Gefühle besser zu verar-

beiten? Welches ist der künftige Beitrag der Medizin

für eine möglichst schonende Behandlung von Brust-

krebspatientinnen? Und wie lässt sich die Lebens-

qualität von Patienten mit Hirntumoren verbessern?

Solchen konkreten Fragen geht die Schweizer Krebs-

forschung auf den Grund. In der Schweiz tätige

Krebsforscherinnen und -forscher haben in den letz-

ten Jahren viele Fortschritte rund um Entstehung,

Diagnose, Behandlung und Bewältigung von Krebs

erzielt. Um daran anzuknüpfen und um weitere Fort-

schritte im Interesse der Patientinnen und Patienten

zu erzielen, braucht es in verschiedenen Bereichen

Anpassungen von Strukturen und Prozessen. Dazu

gehört der rasche Zugang zu neuen Medikamenten

und den damit verbundenen Therapiemöglichkeiten.

Obschon Krebspatienten in der Schweiz grössere

Prof. Herrmann, wie beurteilen Sie den Stand der kli-

nischen Forschung in der Schweiz?

Die klinische Krebsforschung in der Schweiz hat eine

Tradition von fast 50 Jahren. Sie ist entstanden durch

die Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Studien-

gruppen, die wahrscheinlich die längste Tradition der

kooperativen klinischen Forschung weltweit haben.

Daraus ist dann die Schweizerische Arbeitsgemein-

schaft für klinische Krebsforschung (SAKK) entstan-

den, gegründet 1965. Die SAKK ist im Medizinbetrieb

Krebsforscher brauchen bessere BedingungenDie Krebsforschung in der Schweiz erbringt zwar gute resultate. Doch die klinische

Forschung droht ins Stocken zu geraten. Es wird zu kleinräumig gearbeitet, es gibt zu viele

administrative hürden und die finanziellen Aufwendungen zur Entwicklung neuer Medi­

kamente sind enorm hoch. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten muss optimiert werden.

Überlebenschancen haben als anderswo, geben die

administrativen Hürden hierzulande zunehmend An-

lass zu Besorgnis. Innovative Medikamente werden

von der Arzneimittelbehörde oftmals verzögert zuge-

lassen. Und so ist es auch mit der Rückerstattung

durch die Kassen. Beides mindert die Lebensqualität

und die Überlebenschancen von Krebskranken, statt

diese zu erhöhen.

Bis ein neues Krebsmedikament entwickelt und

marktfähig ist, dauert es rund zehn Jahre. Dabei fallen

Kosten von über einer Milliarde Franken an. Der Ein-

satz lohnt sich, denn viele neue Krebsmedikamente

wirken lebensverlängernd und verbessern die Le-

bensqualität der Patientinnen und Patienten. Die

jüngste Generation Krebsmedikamente verursacht

viel weniger Nebenwirkungen. Diese Art Medikamen-

te attackiert lediglich die Krebszellen, die gesunden

Prof. Dr. med. richard herrmann,

Präsident Oncosuisse

der Schweiz insofern vorbildlich, als sie von Anfang an

die kooperative und kollaborative klinische Forschung

unterstützt hat. Den damaligen Gründern ist klar ge-

worden, dass man klinische Forschung nicht an einem

einzelnen Spital betreiben kann, wenn man Ergebnis-

se bekommen will, die auch für eine grössere Patien-

tengruppe Gültigkeit haben. Insofern ist die klinische

Krebsforschung gut organisiert und gut strukturiert.

Allerdings setzt die Grösse der Schweiz diesen Aktivi-

täten Grenzen. Das ist in den vergangenen Jahren

zum Problem geworden. Es ist notwendig, viele Stu-

dien zu internationalisieren, um in vernünftiger Zeit ge-

nügend grosse Patientenzahlen zu erhalten.

Ist die klinische Forschung in der Schweiz darauf vor-

bereitet?

Ja, die SAKK selbst hat in verschiedenen Bereichen

Studien initiiert, die mit andern Ländern zusammen

durchgeführt wurden, oder sie beteiligt sich an Initia-

tiven von andern Ländern. Das ist also ein Geben und

Nehmen.

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Zellen werden geschont. Dabei werden die Patienten-

gruppen immer kleiner. Jede fünfte Krebsform ist eine

seltene Krankheit. Die letzten Jahre zeigten jedoch,

dass hier eindeutig zu wenig geforscht wird. Einer-

seits fehlen die Anreize des Gesetzgebers. Sie sind

erforderlich, weil bei seltenen Krankheiten, also bei

sehr kleinen Patientengruppen, die wirtschaftlichen

Perspektiven für Forschung und Entwicklung massiv

eingeschränkt sind. Im schlimmsten Fall würden sol-

che Medikamente gar nicht mehr entwickelt, weil sich

Hat die klinische Forschung Bedürfnisse im Zusam-

menhang mit solchen Studien?

Ja, wir scheitern gelegentlich oder auch häufiger an

streng sind. Wenn es aber darum geht, über «alte»

Medikamente, deren Nebenwirkungen man eigentlich

gut kennt, neue Erkenntnisse zu gewinnen, indem

man diese Medikamente etwa bei andern Erkrankun-

gen einsetzt, also beim sogenannten «off-label use»,

dann ist nicht zu verstehen, warum so extensive re-

gulatorische Einschränkungen gemacht werden.

Ist das in der Schweiz ausgeprägter als im vergleich-

baren Ausland?

Das ist in der Schweiz schon nicht ausgeprägter. Aber

dennoch ist alles schwieriger als im Ausland, weil in

der Schweiz die politischen Strukturen anders sind:

Kantone sind relativ kleine Einheiten, es gibt kantona-

le Ethikkommissionen und anderes mehr.

Nun wird das Humanforschungsgesetz das Prinzip

der Leitethikkommissionen bringen.

Ja, schon. Aber deswegen werden die andern Ethik-

kommissionen nicht einfach nichts mehr zu sagen ha-

ben. Die Leitethikkommission wird ein Gesuch zwar

Bis ein neues Krebsmedikament entwickelt ist und marktfähig wird, dauert es rund zehn Jahre. Der Einsatz lohnt sich, denn viele neue Krebsmedikamente wirken lebensverlängernd und verbessern die Lebensqualität der Patienten.

«Die klinische Krebsforschung in der Schweiz ist gut organisiert und gut strukturiert. Allerdings setzt die Grösse der Schweiz diesen Aktivitäten Grenzen.»

den regulatorischen Hürden. Der Aufwand für solche

Studien ist administrativ riesig. Die Regulation von

staatlicher Seite ist extensiv geworden. In der Schweiz

ist die Swissmedic dafür verantwortlich. Die Regulie-

rungswut ist ein generelles Problem für die klinische

Forschung. Hintergrund ist, zu verhindern, dass Men-

schen irgendwie zu Schaden kommen. Aber die an-

dere Seite ist, dass man damit auch Forschung ver-

hindern kann. Beim Einsatz neuer Medikamente kann

man noch verstehen, wenn die Regulierungen sehr

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NAtiONAlES KrEBSPrOGrAMM Für DiE SchWEiZ 2011–2015

hauptsächlich begutachten, aber die regionalen

Ethikkommissionen werden immer noch ein Wort mit-

zureden haben – z.B. ob ein lokaler Untersucher als

ausreichend kompetent eingeschätzt wird, um eine

klinische Studie zu machen. Ausserdem muss z.B.

jede noch so geringe auch organisatorische Ände-

rung eines Studienprotokolls jeder Ethikkommission

gemeldet und von ihr genehmigt werden.

Aber es wird einfacher werden?

Zum Teil sicher. Aber bleiben wird der Konflikt um

die Abgrenzung zwischen Ethikkommissionen und

Swissmedic. Swissmedic versucht häufig, noch

Kompetenzen von Ethikkommissionen zu überneh-

men. Sie versucht, die Ethikkommissionen zu kont-

rollieren. Letztere sind darüber natürlich nicht immer

glücklich, während Swissmedic behauptet, es fehle in

den Ethikkommissionen an Kompetenz.

Behindert der administrative Aufwand auch die inter-

nationale Zusammenarbeit?

Das können wir überwinden, indem wir uns entspre-

chend organisieren. Dafür brauchen wir Fachleute,

die mit den Strukturen anderer Länder vertraut sind.

Die SAKK musste dafür eine Stelle schaffen.

Neben der Zusammenarbeit mit andern Ländern in-

nerhalb einer Studie gibt es auch die Zusammenar-

beit mit Labors.

In der klinische Krebsforschung geben wir uns seit

Jahren Mühe, die Patienten nicht nur zu behandeln

und festzuhalten, was die Behandlung am Patienten

bewirkt, sondern wir stellen uns die Frage, warum et-

was passiert oder nicht passiert. Dafür sind wir ver-

mehrt dazu übergegangen, Tumorproben von diesen

Patienten zu untersuchen. Wir gewinnen im Verlauf

einer Behandlung erneute Tumorproben, um zu se-

hen, warum eine Therapie wirkt und warum nicht. So

haben wir mehr Informationen, die uns helfen, noch

bessere Therapien zu entwickeln. Es ist der Weg,

den wir als «translational research» bezeichnen. Die

enge Zusammenarbeit zwischen der klinischen For-

die Kosten für Forschung und Entwicklung nicht über

die Verkäufe der Medikamente amortisieren lassen.

Andererseits will die Schweizer Bevölkerung den Zu-

gang zu solchen Medikamenten. Im gfs-Gesund-

heitsmonitor der Interpharma haben sich 83 Prozent

der Befragten für die Übernahme der Kosten bei sel-

tenen Krankheiten durch die Krankenversicherer aus-

gesprochen. Der Entscheid zur Kostenübernahme

soll primär aufgrund medizinischer Überlegungen und

unter Berücksichtigung der Lebensqualität der Pati-

entinnen und Patienten gefällt werden (91% der Be-

fragten).

trend zu individueller, massgeschneiderter

Behandlung

Die klinische Krebsforschung erzielte in jüngster Zeit

besonders dort Fortschritte, wo dank besserer Detail-

kenntnis die Behandlung exakter auf spezifische An-

griffspunkte bei der Krebsentstehung ausgerichtet

werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine ziel-

gerichtete Therapie wirkt, lässt sich an sogenannten

Biomarkern ablesen.

Durch Zuordnung der Patienten in Subgruppen, die

am besten von einer bestimmten Therapie profitieren,

werden jedoch die Patientenzahlen immer kleiner, die

für entsprechende Studien geeignet sind.

In diesem Zusammenhang gewinnen die Biobanken

laufend an Bedeutung. In Biobanken werden Organ-,

Gewebe-, Blut- oder Zellenproben gesammelt, eben-

falls DNA. Gleichzeitig werden Informationen über

den Spender aufbewahrt. Beide Datensätze sind von

erheblichem Wert, um Grundlagen aus der Laborfor-

schung mit Krankheitsverläufen verknüpfen zu kön-

nen.

Biobanken liefern wichtige Daten, um die sogenann-

ten Biomarker ausfindig zu machen. Dank einer

grossen Zahl Proben lassen sich Häufigkeiten von

Krankheitskriterien eruieren. Die entsprechenden Er-

kenntnisse sind eine wichtige Basis für Krebsthera-

pien. Zur «massgeschneiderten» Krebsbehandlung,

wie sie in der Schweiz häufiger werden soll, gehört

schliesslich der Aufbau lückenloser Behandlungspfa-

de (pathways). Patienten mit derselben Krebsart oder

ähnlichen Kombinationen begehen möglicherweise

völlig unterschiedliche – individuelle – Behandlungs-

pfade. Erst die lückenlose Dokumentation der einzel-

nen Behandlungsschritte liefert mittel- bis langfristig

nützliches Wissen für alle Krebskranken. Und weil

Krebs immer stärker Charakteristika chronischer

Krankheiten zeigt, gilt alles in allem: Nur qualitativ ein-

wandfreie Daten und stete Innovation helfen, für

Krebskranke die beste und gleichzeitig auch die kos-

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schung und dem Labor ist ein wichtiger Schnittpunkt.

Er braucht Verständnis bei den behandelnden Ärz-

ten, aber auch bei den Patienten und den Ethikkom-

missionen, die nach dem Nutzen fragen, wenn wir

einem Patienten nach einer erfolgreichen oder auch

nicht erfolgreichen Therapie nochmals eine Tumor-

Welchen Stellenwert hat die Zusammenarbeit mit der

pharmazeutischen Industrie?

Sie ist sehr wichtig. Sie passiert auf verschiedenen

Ebenen. Da gibt es die primären Industrieinteressen.

Das heisst, die Industrie organisiert die Studien allei-

ne. Dann gibt es aber auch die Interessen der klini-

schen Forscher. Sie machen Studien, die für die In-

dustrie nicht höchste Priorität haben, aber dennoch

interessant sind. So kommt es immer wieder zu ge-

meinsamen Projekten. Dabei kann es um erweiterte

Anwendungen oder um seltenere Erkrankungen ge-

hen oder um die Anwendungen neuer Substanzen in

Kombination mit alten.

Seltene Krankheiten oder Untergruppen bei gewissen

Krankheiten sind ja in der Schweiz in der jüngsten Ver-

gangenheit verstärkt zum Thema geworden.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, über den

Patentschutz zu sprechen. Denn gerade in der Onko-

logie gibt es Bereiche, wo mehr und mehr Untergrup-

pen von Erkrankungen identifiziert werden, die ganz

tengünstigste Behandlung aufzubauen. Der Behand-

lungsqualität förderlich ist ferner die Bildung kleiner

Patientengruppen, deren Daten jedoch vergleichbar

sein müssen. Dies wiederum setzt eine hohe Vernet-

zung der nach wie vor regional stark fragmentierten

Krebszentren und deren Spezialisten voraus. Die

Pharmaindustrie unterstützt daher die Forderung im

nationalen Krebsprogramm, dass eine optimale Ver-

netzung erzielt werden muss: Strukturen und Formen

der Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Indust-

rie, regionalen und kantonalen Zentren sind zu opti-

mieren; Schwerpunkte sind zu setzen und kritische

Grössen anzustreben.

Im Zusammenhang mit den Biobanken gibt es ge-

mäss Behörden und Spezialisten allerdings noch zu

viele ungeklärte Fragen und Hürden. Mit der Möglich-

keit, dass ein Patient, der Biomaterial zur Verfügung

stellt, seine Zustimmung zu einer Verwendung im In-

teresse der Krebsforschung erteilt, ist eine langwieri-

ge Diskussion vorangekommen. Noch sind aber beim

Datenschutz viele Fragen offen, die bisher sehr unter-

schiedlich beurteilt und eher problemzentriert anstatt

lösungsorientiert diskutiert werden. Gemäss den

Ausführungen im Krebsprogramm ist der Schutz in-

dividueller Daten abzuwägen gegenüber der Erhe-

bung von Gesundheits- und Behandlungsdaten zu-

gunsten der Forschung, die der entsprechenden Pa-

tientengruppe dient. Hierbei sei eine sensible, aber

nicht forschungsfeindliche Praxis zu entwickeln, die

den Wunsch des Patienten mitberücksichtige. Im

Weiteren müsse klar, verbindlich und langfristig gültig

«Die enge Zusammenarbeit zwi-schen der klinischen Forschung und dem Labor ist ein wichtiger Schnittpunkt. Es braucht Verständ-nis bei den behandelnden Ärzten, aber auch bei den Patienten und den Ethikkommissionen.»

probe entnehmen. Für den einzelnen Patienten ist

das wahrscheinlich nicht nützlich, aber es führt zu

einem enormen Erkenntnisgewinn. Wir erleben mehr

und mehr Offenheit und Verständnis für solche Un-

tersuchungen.

400 verschiedene Krebsarten

n Der Begriff Krebs steht für rund 400 verschie-

dene Krebsarten, denn bösartige Tumore können

sich aus beinahe jedem Zelltyp des menschlichen

Körpers entwickeln. Jede Krebsart entsteht an-

ders und muss einzeln betrachtet, diagnostiziert

und behandelt werden. Je mehr die Forscher über

die Entstehung von Krebs entdecken und wissen,

umso mehr zeigt sich, wie komplex diese Erkran-

kung ist. Derzeit sind Forscher weltweit daran, die

«genetischen Fingerabdrücke» der verschiedenen

Krebsarten zu entziffern, um selbst geringste ge-

netische Abweichungen zwischen zwei Krebsar-

ten feststellen zu können. Für Ärzte und Patienten

wird das Vorteile bringen, denn mit diesem Wissen

können Tests entwickelt werden, die rasch und

präzise bestimmen, an welchem Krebstyp der Pa-

tient leidet. Und eine präzise Diagnose ist der

Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung.

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pharma:ch 1/11

NAtiONAlES KrEBSPrOGrAMM Für DiE SchWEiZ 2011–2015

spezielle Behandlungen erfordern. Nehmen wir etwa

eine Untergruppe, die nur vier Prozent der Lungen-

krebserkrankungen ausmacht. Wenn ich da ein Me-

dikament unter den gleichen Anforderungen entwick-

le wie ein Medikament für alle Lungenkrebserkran-

kungen, brauche ich für die Studie zunächst einmal

wesentlich länger. Sollte ich ein nützliches Produkt

entwickelt haben, würde ich keinen so grossen Markt

haben, um die Entwicklungskosten wieder hereinzu-

holen. Wir laufen also die Gefahr, dass solche Medi-

kamente gar nicht entwickelt werden.

Das ist ja kaum wünschenswert. Wie kann das ver-

hindert werden?

Wenn die Industrie für eine so kleine Gruppe von Pa-

tienten Medikamente in ihrer Pipeline hat, dann haben

wir als Gesellschaft zwei Möglichkeiten, dem zu be-

gegnen. Wir können die Anforderungen für die Ent-

wicklung eines solchen Medikaments reduzieren. Wir

verlangen keine grossen Phase-III-Studien, sondern

wir sind zunächst mit einer Phase-II-Studie zufrieden.

Bei einem guten Ergebnis registrieren wir das Medi-

kament. Um das Ergebnis zu bestätigen, müssen da-

für nach der Registrierung noch Daten gewonnen

werden. So reduzieren wir die Entwicklungskosten.

Und die zweite Möglichkeit?

Man könnte die Patentlaufzeit verlängern, damit die

Entwicklung solcher Medikamente auch rentieren

kann. Sonst laufen wir Gefahr, dass solche Projekte in

der Schublade landen. Denn die Pharmaindustrie in-

vestiert das Geld ihrer Eigentümer. Und die sind frei zu

investieren oder nicht. Bei solchen Überlegungen

müssen wir uns immer an konkrete Beispiele halten.

So gibt es seltene Krankheiten, von denen wir schon

lange wissen, dass sie selten sind. Dann gibt es Er-

krankungen, die eigentlich häufig sind, von denen wir

nun aber gelernt haben: Das ist gar keine einheitliche

Erkrankung. Das ist eine Gruppe von verschiedenen

voneinander molekular unterscheidbaren Erkrankun-

gen, für die es ganz unterschiedliche Therapien

braucht. n

geregelt sein, wer Zugang zu den Proben erhält und

über deren Verwendung entscheidet. Die Klärung sol-

cher Fragen ist für den Erfolg der Krebsforschung in

der Schweiz ebenso entscheidend wie es die regula-

torischen Rahmenbedingungen als Ganzes sind.

Letztere schränken die medizinische Forschung, so

auch die Krebsforschung, immer stärker ein.

laborforscher und klinische Forscher

zusammenbringen

Im Kampf gegen Krebs ist es weiter unerlässlich, die

bisher eher unterentwickelte translationale Forschung

voranzubringen. Dafür müssen die Kontakte und die

Zusammenarbeit von Labor-(Grundlagen)-Forschen-

den und den klinisch Forschenden in den Spitälern

verbessert werden. Denn translationale Forschung

zielt auf eine zentrale Errungenschaft: Sie zeigt, wo

und wie Ergebnisse der Grundlagenforschung so

schnell als möglich klinisch anwendbar gemacht wer-

den können. In der Krebsbehandlung ist translationa-

le Forschung besonders wichtig, da diese vom Pati-

enten rasch wieder zurück ins Labor führt.

Klinische Forschung stärken statt schwächen

Die Situationsanalyse zeigt: Die Schweiz ist im Be-

reich der klinischen Forschung generell und ganz be-

sonders in der aufwendigen und auf starke Vernet-

zung ausgerichteten Krebsforschung im Hintertref-

fen. So stark, dass heute internationale Fachleute

bereits schliessen, die Schweiz behandle zu wenig

Krebspatienten in klinischen Studien. Das Ziel des vo-

rangegangen Krebsprogrammes 2005 bis 2010,

durch koordinierte Strukturen und genügend Ergeb-

nisse aus der Grundlagenforschung die Rahmenbe-

dingungen für die diagnostizierenden Ärzte zu ver-

bessern und so auch die klinische Forschung zu stär-

ken, wurde also nicht erreicht. Dass in den letzten

Jahren die Anforderungen an klinische Studien von

Behördenseite massiv verschärft wurden, erschwert

die Situation – und die Forschungsfinanzierung – zu-

sätzlich.

Obschon die Forderung unpopulär erscheinen mag:

Es braucht eine stärkere nationale Steuerung. Nur so

können die Nachteile der kleinräumigen Strukturen

überwunden werden. Die klinische Krebsforschung

muss administrativ entschlackt und finanziell stärker

gestützt werden. Strukturen und Formen der Zusam-

menarbeit zwischen Universitäten, Industrie, regio-

nalen und kantonalen Zentren müssen verbessert

werden. n

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Mit dem guten Beispiel vorangehenKrebs wird zur häufigsten todesursache werden. Deshalb kommt diesem vielschichtigen

Krankheitsbild in Forschung und Entwicklung grösste Aufmerksamkeit zu. Die Fortschritte

auch in der Schweiz bei Prävention, Früherkennung und Behandlung sind beträchtlich.

Doch verlangt die wachsende Zahl von Krebserkrankungen eine Konzentration der Kräfte.

Die Fortschritte im Kampf gegen Krebs sind unüber-

sehbar: Die Medikamente der jüngsten Generation

ermöglichen eine individuellere Behandlung, Patien-

tinnen und Patienten haben weniger Nebenwirkun-

gen zu erdulden als etwa noch vor 20 Jahren. Daraus

resultieren zusätzliche Lebensjahre bei besserer Le-

bensqualität. Auch bei der Prävention sind Erfolge

nicht zu verkennen. Rauchen, die weitaus häufigste

Ursache für Lungenkrebs, ist seit Jahren rückläufig.

Ernährung und Bewegung haben im Bewusstsein der

Bevölkerung einen festen Platz. Auch die Früherken-

nung gewinnt endlich an Stellenwert.

Dennoch ist die Schweiz in den Bereichen Prävention

und Früherkennung bestenfalls Durchschnitt. Der

Nachholbedarf ist beträchtlich. In der Behandlung er-

zielen unsere Ärzte zwar gute Ergebnisse, weitere

Verbesserungen sind aber unerlässlich. Denn mit

steigendem Alter nimmt das Krebsrisiko zu und die

Schweizerinnen und Schweizer haben das Glück ei-

ner sehr hohen und weiter steigenden Lebenserwar-

tung. Gefordert ist aber auch die Pharmaindustrie:

Zwar sind dank Medikamenten manche Krebsarten

mittlerweile heilbar und andere mindestens erträglich

geworden. Das Feld für Forschung und Entwicklung

ist allerdings noch weit. Weltweit wird daher an nicht

weniger als 1300 Wirkstoffen gegen Krebs geforscht.

Für all das müssen die Rahmenbedingen stimmen.

Dazu gehören

• ein regulatorisches Umfeld, das fördert statt

behindert

• eine intensive möglichst reibungslose

Zusammenarbeit zwischen der akademischen

Forschung und der Industrie

• das Bilden von Forschungsschwerpunkten

• Zentren, welche aufgrund ihrer Kompetenz und

Grösse diese Bezeichnung auch verdienen

• eine noch stärkere Qualitätsausrichtung und

Eingehen auf die Bedürfnisse der Patienten

Das Nationale Krebsprogramm 2011–2015 erhebt all

diese Forderungen und andere, welche die forschen-

de pharmazeutische Industrie teilt. Das Programm ist

ein Beispiel für vorbildliche Arbeit im Gesundheitswe-

sen. Unter der Leitung des Dachverbandes Onco-

suisse haben alle wichtigen Organisationen und Pro-

tagonisten der Krebsforschung und -medizin ihren

Beitrag geleistet. Das Ergebnis ist nicht einfach ein

Buch mit fast 200 Seiten. Das Ergebnis sind eine Be-

standesaufnahme, Schwerpunkte und Prioritäten für

die nächsten Jahre, Handlungsoptionen und vor al-

lem Ausdruck des Willens, einen Beitrag zur Quali-

tätssteigerung in der schweizerischen Gesundheits-

versorgung und zur Verteidigung des Spitzenplatzes

der Schweiz in der onkologischen Forschung zu leis-

ten. Dabei versucht das Programm, die Nachteile der

föderalistischen Strukturen zu überwinden, setzt na-

tionale Gesundheitsziele für die Onkologie und ist in

diesem Sinn für die Schweiz beispielhaft. n

thomas cueni, Generalsekretär Interpharma

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impressumherausgeber: Thomas B. Cueni, Roland Schlumpfredaktion: Interpharmalayout: Continue AG, BaselFotos: istockphoto und Novartis Media Library

Pharma:ch ist der Newsletter der Interpharma, des Verbandes der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, Actelion, Merck Serono, Novartis, Roche, Amgen, Bayer, Cilag und Vifor. Diese Plattform will durch differenzierte Information Verständnis für die medizinisch-pharmazeutische Forschung und Entwicklung in der Schweiz schaffen.

Hintergrundinformationen und Stellungnahmen finden Sie unter www.interpharma.ch.

interpharmaPostfach, 4003 BaselTelefon 061 264 34 00Telefax 061 264 34 [email protected]