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280 Positions on Akhenaton in the history of humanities are the topic of this contribution that analyses patterns of constructing Akhenaton mainly as prehistory of Chri- stian monotheism. Egyptologists like Heinrich Brugsch, Adolf Erman, Siegfried Morenz, Jan Assmann, pheno- menologists of religion as Geradus van der Leeuw, Fried- rich Heiler and finally Sigmund Freud are part of this adaptation history. It can be seen also as part of the concept of a “European history of religion” (Burkhard Gladigow) that includes also science as productive force of normativity, world views and ideology.

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Positions on Akhenaton in the history of humanities arethe topic of this contribution that analyses patterns ofconstructing Akhenaton mainly as prehistory of Chri-stian monotheism. Egyptologists like Heinrich Brugsch,Adolf Erman, Siegfried Morenz, Jan Assmann, pheno-menologists of religion as Geradus van der Leeuw, Fried-rich Heiler and finally Sigmund Freud are part of thisadaptation history. It can be seen also as part of theconcept of a “European history of religion” (BurkhardGladigow) that includes also science as productive forceof normativity, world views and ideology.

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Echnatons „Monotheismus“Rezeptionen in den Wissenschaften

ANNE KOCH / BERND U. SCHIPPER

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Neben Indien, Tibet, Atlantis und Lemuria ist Ägyp-ten ein beliebter Bezugspunkt verschiedener wissen-schaftlicher und religiöser Traditionen des 19. und begin-nenden 20. Jahrhunderts. Häufiger noch dienten dieseaußereuropäischen teils fiktiven Orte als Projektions-fläche. Sie offenbaren im heutigen Rückblick eher tiefs-te Überzeugungen und wissenschaftliche Muster derWeltdeutung des damaligen Wissenschaftstreibens an-statt einer Wahrnehmung des Fremden, wie sie erst dankder Debatten um Fremdheit, „Writing Culture“,Postkolonialismus und Magie eröffnet wurde. Die ZeitAmarnas mit der besonderen Sonnenverehrung war in-sofern besonders bedeutungsvoll, da der „Monotheis-mus“ des Echnaton vielfach als eine Art Vorstufe zumbiblischen Monotheismus mit der ausschließlichen Ver-ehrung des Gottes Jahwe betrachtet wurde.

In der Folge soll ein kurzer Überblick gegeben wer-den zur wissenschaftlichen Rezeption Amarnas und vorallem der Religion Echnatons. Die Religionswissenschafthat gelernt, auch die Wissenschaftsgeschichte inklusiveder eigenen als Teil der europäischen Religionsgeschich-te zu lesen.1 Unter dieser Perspektive sollen schlaglicht-artig einige Positionen der Wissenschaft vom 19. Jahr-hundert bis zur Gegenwart daraufhin befragt werden,welche Bewertungen und eigene, oft ideologische, Prä-gungen in ihrer Darstellung des Anderen in diesem FalleEchnatons und Amarnas ablesbar sind.

Ägypten und die Griechen – Heinrich Brugsch

Wie sehr der Blick auf die ägyptische Religion von deneigenen Parametern bestimmt sein kann, belegt dasWerk des Ägyptologen und späteren preußischen Kon-suls in Kairo Heinrich Brugsch (1827-1894). Brugschfragte mit anderen Gelehrten seiner Zeit nach übergrei-fenden Leitgedanken hinter den Texten selbst. Er kons-

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< Abb. 2: Kopf des Königs Echnaton aus dem Haus des Ober-bildhauers Thutmoses (Gipsstuck, Höhe: 26 cm). ÄgyptischesMuseum und Papyrussammlung Berlin (Inv.-Nr. 21351).

<< Abb. 1: Dämmerung im Land der Pharaonen. Blick überden Nil bei Amarna.

Weltbilder

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truierte ein System, das von den Anfängen des AltenÄgypten bis zur Römerzeit und damit über 3000 Jahrelang gültig sein sollte. Das Gebäude der Religion beru-he – so Brugsch – „auf philosophischer Spekulation, wel-che die Glieder und den geistigen Inhalt des Kosmosauf die letzten Gründe genetisch zurückführte und dieEntstehung aller Dinge aus dem Willen eines einzigen,unsichtbaren, körperlosen, ungeborenen, untheilbaren,in sich selbst verborgenen, namenlosen Gottes hervor-gehen läßt, der von Anbeginn an vor dem Seienden undder Anfang des Seienden war.“ Heinrich Brugsch warmit dieser Position ein Kind des deutschen Idealismus,indem er nach den Ideen fragte, die die Geschichte über-spannen. Es sind Ideen, die gleichsam zeit- und situa-tionsungebunden sind. Solchermaßen bestimmt, galtenfür ihn die Ägypter als „älteste und würdigste Lehrerdes Menschenthums“, deren „Ideen den besten christli-chen Lehren an die Seite gestellt“ werden können.2

Die Worte Brugschs verdeutlichen ein Zweifaches:Zum einen dokumentieren sie einen Zugang zur ägyp-tischen Religion, bei dem das, was „Religion“ ist, untereinem dezidiert christlichen Blickwinkel bestimmt wur-de. Zum anderen stehen sie für eine kulturgeschichtli-che Position, bei der man in der ägyptischen Religionetwas zu erkennen meinte, was auch heutzutage Vor-bildcharakter hat. Beides bestimmt die Rezeption Amar-nas bis heute.

Amarna als Höhepunkt derägyptischen Religion – Adolf Erman

Interessanterweise findet sich bei Heinrich Brugschnoch keine besondere Betonung Amarnas. Dies verwun-dert insofern, da bereits im Jahr 1845 die Sichtweise eta-bliert wurde, die das Bild von Amarna für lange Zeitprägen sollte. Der Berliner Ägyptologe Karl Richard Lep-sius schrieb nach seiner Rückkehr von seiner großenÄgyptenexpedition: „Durch die Monumente erfuhrenwir von mehreren Königen … die später nicht mehr indie offiziellen Königslisten Aufnahme fanden … Zu die-sen Königen gehört Amenophis IV. (Echnaton), dessenZiel kein geringeres war, als das gesamte religiöse Sy-stem der Ägypter abzuschaffen und es allein durch dieAnbetung der Sonne zu ersetzen.“3 Die Vorstellung von

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Echnatons „Monotheismus“

Echnaton als dem Revolutionär, dem „Ketzerkönig“–wie er bisweilen auch von der Forschung bezeichnetwird – wurde von Richard Lepsius begründet. Dies lagunter anderem daran, dass das Andenken Amarnas imalten Ägypten so konsequent ausgemerzt wurde, so dassman über lange Zeit nichts von der Religion des Echn-aton wusste. Sie wurde erst von den Ägyptologen im19. Jahrhundert wiederentdeckt.

Von Anfang an kam dabei dem sogenannten „Sonnen-gesang des Echnaton“ eine besondere Bedeutung zu. Da-bei handelt es sich um einen Hymnus auf den Gott Aton,der gewisse Ähnlichkeiten zu Psalm 104 aus dem AltenTestament aufweist. Die Ähnlichkeit der beiden Textewurde von manchen Forschern sogar als direkte Abhän-gigkeit interpretiert. Dies hatte zur Folge,4 dass man sichnun speziell mit Amarna befasste und dort einen Vor-läufer des biblischen Monotheismus finden wollte.

Für diese Position steht beispielhaft der Berliner Ägyp-tologe Adolf Erman (1854-1937). Erman gehörte zu denbedeutendsten Gelehrten seiner Zeit und war über dieGrenzen der Ägyptologie hinaus bekannt. Seine These,

Abb. 3: Echnaton reicht Aton ein Blumenopfer dar. Relief-bruchstück aus Haus P 49.1 in Amarna (bemalter Kalkstein,Höhe: 13,8 cm, Breite: 15,6 cm). Ägyptisches Museum undPapyrussammlung Berlin (Inv.-Nr. 22265).

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dass die Amarnazeit nicht nur irgendeine Phase derägyptischen Religionsgeschichte war, sondern derenHöhepunkt, war allgemein verbreitet. Neben seiner Dar-stellung zur ägyptischen Religion aus dem Jahr 1909entfaltete er diesen Gedanken in seinem Alterswerk „DieReligion der Ägypter“ aus dem Jahr 1934, das noch heuteverlegt wird. Bereits der Untertitel verdeutlicht, wor-um es Erman geht: „Ihr Werden und Vergehen in vierJahrtausenden“. Adolf Erman zeichnet eine Entwick-lungsgeschichte der ägyptischen Religion, die in derAmarnazeit – von Erman ganz im Sinne seines LehrersLepsius als „die Ketzerzeit“ bezeichnet – ihren Höhe-punkt erlangte.5 Denn der neue Glaube von Amarna, soErman, „räumte ja endlich mit dem Wust auf, der sichseit Jahrtausenden in der Religion aufgehäuft hatte.“6 FürErman als Kind des 19. Jahrhunderts erreichte die ägyp-tische Religion letztlich dort ihren Höhepunkt, wo sie

der christlichen am nächsten kam – im ‚Monotheismus’des Echnaton. Dementsprechend wertete er alles ab, wasAmarna folgte – die Nachamarnazeit leitete, so schrieber, nicht weniger als „den geistigen Verfall Ägyptens“ein.7

Echnatons Ästhetik auf Kosten von Religion -Friedrich Heiler

Erman wirkte nicht nur auf die Ägyptologie seinerZeit, sondern auch auf die noch junge Disziplin der Re-ligionswissenschaft. Der Theologe und Dozent der all-gemeinen Religionsgeschichte an der Universität Mün-chen Friedrich Heiler (1892-1967) gehörte zu denen, dieErmans Werk rezipierten. Heiler gilt als einer der reli-gionsphänomenologischen Klassiker der Religionswis-senschaft. Er entwickelte eine Typologie der „irrationa-len Wertfülle und geheimnisvollen Wundermacht“ desGebetes weltweit.8 Darin schloss Heiler sich Erman indem Urteil an, dass mit der Hymnendichtung eine Ver-innerlichung von Religion einsetze.9 Zu den „wirklichen,nicht den gemachten Gebeten“ gehörte auch der Sonnen-hymnus an Aton von „Ichenaton“.10 Durch die „kühneReformtat des Ichenaton“ wurde die „schlichtere undreine“, verinnerlichte Frömmigkeit zum Gemeingut derElite seiner Zeit.11 In den Naturhymnen, allen voran denSonnenliedern, erkennt Heiler einen „keimhaften Pan-theismus“.12 Als Sitz im Leben des Aton-Hymnus be-stimmte er im Anschluss an Günther Roeders Urkun-den zur Religion des alten Ägypten (1915) den Gottes-dienst der Aton-Gemeinde. Echnatons Verdienst sindjedoch nicht nur Verinnerlichung und Pantheismus, son-dern auch eine Mystik:

„Der Grundgedanke aller Mystik, daß des MenschenSeele eins ist mit Gott, blitzt im Enthusiasmus dieser

Hymnendichter auf. ‚Du bist Aton, der ewig lebt,’heißt es im kleinen Aton-Hymnus des Ichenaton,’

und ich bin ein Teil von dir.’“13

Da dieser Mystik das typisch weltablehnende Elementfehle, bezeichnete er sie als ästhetische Mystik und mach-te die Überbetonung des ästhetischen Moments zu Las-ten des religiösen für den Verfall der Aton-Verehrung

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Weltbilder

Abb. 4: Echnaton und Nofretete im Erscheinungsfenster, überihnen der Strahlen-Aton. Umzeichnung eines Reliefs ausdem Grab des Par-en-nefer in Amarna (Ausschnitt).

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nach der Regierungszeit Echnatons verantwortlich.14 Erfolgte damit Ermans Sicht, nur dass er den Verfall derägyptischen Religion in der Nachamarnazeit andersdeutete. Und liest man weiter, werden diese Anfängenoch mehr zu Vorstufen der jüdischen und christlichenReligion degradiert:

„Nur die mystische Erlösungsreligion wie dieprophetische Offenbarungsreligion besaßen dieinnere Kraft, der Kultreligion sich zu entreißen

und in stetem Vorwärtsschreiten zu ungeahntenHöhen emporzusteigen.“15

Die Bewertungskriterien Heilers sind recht subjektivstilistische – so z. B. sagte er, dass „die babylonischeHymnenpoesie gegenüber dem Wirrwarr der ägypti-schen eine größere Einfachheit und Gleichmäßigkeit inder Aneinanderreihung der Titel und Namen“ zeige.16

Ebenfalls kaum objektivierbar sind seine religionspsy-chologischen Kriterien, da er diese an das eigene Erle-ben zurückbindet.

Echnaton verbrüdert sich nicht mit der Sonne –Gerardus van der Leeuw

Der niederländische Religionsphänomenologe van derLeeuw (1890-1950) setzte sich von der Suche nach demUrsprung von Religion, wie sie in der Generation derReligionsforschung vor ihm betrieben wurde, ab. Mitdiesen evolutionistischen Ideen wies er auch die Thesevon einem Ur-Monotheismus zurück, so z. B. in seinemVorwort zur Phänomenologie der Religion von 1933 (2.Auflage 1956 posthum). In diesem Werk bestimmte erverschiedenste Formen von Macht als Gegenstand derReligionsforschung. Macht ist sein wissenschaftlichesKonzept, mit dem er Gott, Götter, Beseelung und dasHeilige als Gegenstandsbestimmungen ersetzt. Formenvon Macht sind z. B. Naturerscheinungen wie das Son-nenlicht, psychische Mächte, Dingen zugeschriebeneMacht, Zaubermacht, soziales Prestige. Diese weite undvage Kategorie ermöglicht ihm eine aus heutiger Per-spektive ebenso weite und vage Komparativität. In sei-ner geschichtlichen Rekonstruktion von Religion als Ver-hältnisse des Menschen zu einer Macht findet sich ein

früher Höhepunkt im Indien der Upanishaden, an demmenschliche und kosmische Macht in den Vorstellun-gen von Atman und Brahman ineinsgesetzt werden. DieMonotheismusleistung Echnatons ist durch diesen Ver-weis auf den religiösen Monismus Indiens bei van derLeeuw relativiert.17

Schaut man sich van der Leeuws Narrativ zu Echna-ton nun näher an, so fällt dessen Dramaturgie auf, diedoch wieder sehr im christlichen Bewertungsschema an-derer Religionen verhaftet ist: In Achnaton. Een religieuzeen aesthetische revolutie in de veertiende eeuw voor christus(1927) und in Phänomenologie der Religion verhilft die„Revolution“ des Echnaton der Sonnenverehrung zu„einer kurzen aber prächtigen Hegemonie“.18 Der Kon-text der Erwähnung ist somit weniger eine Diskussiondes Monotheismus als die Manifestationsform des Heilsin einem Gestirn. Die Sonnen- und Himmelsgestirnver-ehrung ist für van der Leeuw der Paradefall jener überEpochen und Kulturen hinweg wahrgenommenenMacht. Insbesondere die literarisch-ästhetische Seite desHymnus des Echnaton wird von van der Leeuw im An-schluss an Alexander Scharffs Ägyptische Sonnenlieder(1922) gewürdigt. Er blieb damit seiner Überzeugung,dass die Macht wesentlich über ihre ästhetische Gestal-tung zugänglich ist, treu. Dieser Zugang ist ihm dannauch das Stichwort, babylonische, griechische und christ-liche Sonnengesänge und -erzählungen anzuführen.

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Echnatons „Monotheismus“

Abb. 5:Kopf einer Kalk-steinstatue Echna-tons aus Amarna.Grabungsfoto derDeutschen Orient-Gesellschaft. DieStatue befindet sichheute im Ägypti-schen Museum inKairo (Inv.-Nr. JE43580).

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Und hier erreicht das Narrativ von der Machtverehrungin Gestalt der Sonne mit dem Vor-Gipfel bei Echnatonsein Ende im christlichen Sonnengesang des Franz vonAssisi. In diesem erfährt die Sonnenverehrung eineÜberbietung, die unter Gender-Perspektive nur noch alsmaskuline Verwandtschaft alles Geschöpflichen be-zeichnet werden kann. In der Metapher von dem „Bru-der Sonne“ entsteht „eine Art Klosterbruderschaft undnicht mehr die Naturverwobenheit des primitiven Men-schen. Erst die göttliche caritas stellt die Gemeinschaftmit der Natur her“.19

Die überraschten „Erben des Ikhnaton“20 –Sigmund Freud

Konträr zu Heilers religionspsychologischen Thesenstanden Freuds (1856-1939) gegen Ende seines Lebensmit über 80 Jahren verfasste Überlegungen in Der MannMose und die monotheistische Religion (1939).21 In seinerDeutung des Mose wandte Freud seine religionspsycho-logischen Thesen aus Totem und Tabu (1912/13) nun auchauf die jüdische Religion an.22 Dabei erschütterte er diebis dahin festen Elemente jüdischen Selbstverständnis-ses ebenso, wie das christliche Selbstverständnis in To-

tem und Tabu: Mose, falls es ihn gab, war kein Jude, son-dern wahrscheinlich ein Ägypter,23 und er lernte die Ein-Gott-Verehrung von Echnaton oder dessen Schule ken-nen und exportierte sie ins alte Israel.24

Dies belegte Freud mit vielerlei historischen Datenbzw. Spekulationen und letztlich dem psychologischenErklärungsmuster aus Totem und Tabu. Letzteres und dieseiner Zeit neuere Erkenntnis der Tötung des Mose (sie-he unten) hielt er für seine stärksten Argumente.25 DieAton-Religion Echnatons hat alles „Mythische, Magischeund Zauberische von ihr ausgeschlossen“.26 Die Darstel-lung des Sonnengottes ist abstrahiert und über dasTotenreich mit dem mächtigen Osiris werde in der Zeitdes Echnaton geschwiegen. All diese Elemente erkann-te Freud in der altisraelitischen Tradition wieder undspekulierte sogar über die Sprachverwandtschaft vonAton und Adonai.27 In Absetzung vom Jargon derReligionsphänomenologie ist der Monotheismus Echna-tons nicht etwa ein Höhepunkt an Vergeistigung oderdergleichen, sondern eine Folge aus dem Imperialismusseiner Dynastie und die „Spiegelung des ein großesWeltreich unumschränkt beherrschenden Pharao“.28

Freud brachte eine narzisstische Kränkung bei. Es istnicht so, wie es scheint: Das Judentum hat nicht die Al-leinverehrung errungen. Auch das Selbstverständnis des

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Abb. 6: Echnaton mit Begleiteskorte in Zweispännern auf der Hauptstraße von Amarna. Im Hintergrund die Königsresidenz,rechts im Vordergrund die Brücke, die die Residenz und den Großen Palast verband. Detailaufnahme eines Modells.

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jüdischen Volkes als auserwähltes Volk Jahwes wird derpsychoanalytischen Verdächtigung unterzogen: NichtJahwe, sondern der Ägypter Mose hat sich dieses Volkzur Verwirklichung seiner Vision auserwählt.29

In einem weiteren Punkt knüpfte Freud an Totem undTabu an, wo er den aus der neuartigen Ethnologie be-kannt gewordenen Kannibalismus mitten in die eigeneKultur verlegte. Die Söhne des vorzeitlichen Sozialver-bandes haben sich zusammengerottet und den Urhor-denvater, der sie verjagt hatte, getötet und verspeist.Dieses Urtrauma der Tötung unterliegt z. B. in der christ-lichen Eucharistie einer dauernden „Wiederholung“ indem Sinne, wie Freud das Konzept in seiner Neurosen-lehre entwickelt hatte. Auch Mose wurde wohl getötet.Freud stützte sich hier auf alttestamentliche Erkennt-nisse zu einer hoseanischen Subversivtradition. Auchbezog er sich auf Briefe, die 1887 in Amarna gefunden,von den „Habiru“, den „Herumtreibenden“, erzählen,aus denen die Hebräer dann hervorgingen.30

Mit seinem psychologischen Konzept der Latenz er-klärte Freud, dass die monotheistischen Tendenzen desMose, den er post quem 1358 v. Chr. datiert, erst in deraltisraelitischen prophetischen Verkündigung einigeJahrhunderte später wieder auftauchen.31 Methodischaufschlussreich ist unter dieser Vorstellung von Latenzeine kulturelle Invention in umgekehrter historischerRichtung auf ihr traumatisches Epizentrum in der Ver-gangenheit hin zu verfolgen. Nach Iris Därmans Urteilwaren Sigmund Freud und Marcel Mauss die wenigenIntellektuellen, in deren Werk die Erschütterung derneuzeitlichen Wissenschaft durch die ethnologischenDaten angekommen und zu spüren ist und nicht ein-fach durch eine weitere abendländische Selbstermäch-tigung überdeckt wurde.32 In Freuds Rekonstruktion derjüdischen Religionsgeschichte wird Echnaton zur zen-tralen Gestalt.

Die mosaische Unterscheidung – Jan Assmann

Freuds Thesen wurden in einem Buch aufgegriffen,das die aktuelle Debatte um den Monotheismus wiekaum ein anderes bestimmt: „Die mosaische Unterschei-dung oder der Preis des Monotheismus“ von Jan Ass-mann (2003). Assmann, von Hause aus Ägyptologe,

führt darin eine These weiter, die er bereits in seinemWerk „Moses der Ägypter“ aus dem Jahr 1997 veröffent-licht hat. Dabei versteht er unter der „mosaischen Un-terscheidung“ „nicht die Unterscheidung zwischen demEinen Gott und den vielen Göttern …, sondern die Un-terscheidung zwischen wahr und falsch in der Religion,zwischen dem wahren Gott und den falschen Göttern.“33

Assmann skizziert in der Folge, was dies konkret inder Religionsgeschichte bedeutet und kommt dabei auchauf den „Monotheismus des Echnaton“ zu sprechen.Dieser steht für das Konzept des „exklusiven Monotheis-mus, der nicht durch einen Entwicklungsschritt, sondernnur durch einen revolutionären Bruch mit allem Vorher-gehenden zu erreichen ist.“34 Dem setzt Jan Assmann den„inklusiven Monotheismus“ gegenüber, den er ebenfallsim alten Ägypten findet, und zwar in der Zeit nachAmarna, in der „Theologie der Ramessidenzeit.“35 Dieserinklusive Monotheismus ist ein „Reifestadium des Poly-theismus“, das sich in der Ramessidenzeit in der Idee„eines verborgenen Höchsten Wesens“ manifestiert, dasjedoch Teil einer vielgestaltigen Götterwelt ist.

Assmanns Thesen stehen nicht nur in einer Traditionmit Freud, sondern auch im Kontext eines spezifischägyptologischen Zugangs. Dieser ist verbunden mit demNamen Siegfried Morenz (1914-1970). Morenz, der sichauch als Religionshistoriker verstand, bestimmte in sei-ner Geschichte der ägyptischen Religion die Spannungzwischen „Einheit und Vielheit“ als ein Merkmal Ägyp-tens. Diese wurde zur Zeit Amarnas „in der für unserchristlich bestimmtes Denken plausiblen Form gelöst:im Sinne einer tabula rasa zugunsten des Monotheis-mus.“36 Der entscheidende Punkt ist, dass Morenz nunvon Amarna ausgehend „die Einheit der Gottesgestaltim Sinne eines ursprünglichen (und nie überwundenen)Monotheismus“ postuliert.37 Amarna wird damit zu ei-nem hermeneutischen Schlüssel bei der Bestimmung desWesens der ägyptischen Religion – und dies ist der Mo-notheismus.

Jan Assmann greift diesen Gedanken auf, verbindetihn jedoch mit einer zweiten These von Siegfried Mo-renz: der „Heraufkunft des transzendenten Gottes.“38

Darunter ist die Vorstellung eines transzendenten Got-tes zu verstehen, der sich mehr und mehr der Welt ent-zieht und mit dem die Ausbildung einer „persönlichenFrömmigkeit“ einhergeht. Assmann findet dies in der

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Echnatons „Monotheismus“

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ramessidenzeitlichen Theologie des Gottes Amun miteiner Verbindung eines, wie es Morenz formulierte „all-umfassenden Weltgottes“ und eines „persönlichen Not-helfers“.39 De facto zeigt sich jedoch auch hier ein christ-lich geprägter Zugang zur ägyptischen Religion, nurdass er auf den ersten Blick nicht so deutlich zu erken-nen ist. Bei Siegfried Morenz erscheint dies noch rechtklar, wenn er z. B. seine Geschichte der ägyptischen Re-ligion wie eine christliche Dogmatik gliedert – zuerstdie Gotteslehre, dann die Beziehung Mensch-Gott undganz am Ende das Kapitel über den „Tod und die To-ten“.40 Bei Jan Assmann ist dies hingegen in eine kom-plexe Kulturtheorie eingebunden, an deren Anfang je-doch Ägypten steht. So zeichnet er, wie es der Unterti-tel des Mosebuches betont, eine „Gedächtnisspur“ vomalten Ägypten bis zur Gegenwart. Der „exklusive“ Mo-notheismus des Echnaton ist dabei die Matrix, von derausgehend die Problematik des biblischen Monotheis-mus wie auch die Vorteile des „inklusiven Monotheis-

mus“ der Ramessidenzeit entfaltet werden. In der Lo-gik der Argumentation muss dieser als positiv erschei-nen, denn diese Form des „inklusiven Monotheismus“verbindet Einheit und Vielheit, ohne die „mosaische Un-terscheidung“ zwischen wahrer und falscher Reli-gion.41 Damit erscheinen jedoch die Ägypter genau so,wie bereits Heinrich Brugsch sie bestimmte: als „ältesteund würdigste Lehrer des Menschenthums“, deren „Ide-en den besten christlichen Lehren an die Seite gestellt“werden können. Oder um es mit Jan Assmann zu sa-gen: „Wer Gott in Ägypten entdeckt, hebt diese Unter-scheidung auf.“42

Fazit

In all diesen Positionen wird deutlich, wie sehr dieWissenschaften an der Konstruktion unserer Welt-deutung sowie an den Normen unseres Umgangs mitdem Fremden beteiligt sind. Dass diese Sichtweisen ih-rerseits durch eigene Überzeugungen hoch aufgeladensind, tritt am Beispiel des wechselhaften Echnatonbildesdeutlich hervor. Des gleichen wird durch diese Rezep-tionslinie über die letzten gut hundert Jahre unüberseh-bar, wie sehr die wissenschaftlichen Ergebnisse Teil ei-ner Geschichte des Wissens sind. Diese Geschichte ge-winnt manchmal durch narrative und rhetorische Figu-ren ihr Gewicht. Überbietung, Rückprojektion, Fort-schritt und das vergessene Genie sind einige der Moti-ve, die in diesem Beitrag angesprochen wurden. DieGeschichte des frühen Genies Echnatons und seinesSchicksals der Ausmerzung hat dabei eine besondereWirkung entfaltet. Diese ist wesentlich mit dem Ausra-dieren und Vergessen Echnatons nach seinem Tode ver-bunden. So entstanden die Vorstellung vom „Ketzer-könig“ und zugleich die Basis für eine Rezeption, beider man nun in Echnaton und seiner Religion etwasentdecken wollte, was uns heute bewegt. Dabei zeigtder hier vorgelegte Überblick, dass dies auch für dieje-nigen gilt, die als Experten und mit dem vermeintlichneutralen Auge des Wissenschaftlers die antiken Kul-turen untersuchen. Auch sie sind in ihrem Denken bis-weilen dem eigenen, neuzeitlichen Weltbild verhaftet.

Die Religionswissenschaft – wie hier an EchnatonsAufnahme in wissenschaftlichen Disziplinen vorgeführt

Abb. 7: Echnaton und Nofretete sitzend auf einem Thron.Bleistiftzeichnung der Lepsius-Expedition von einem Reli-ef aus Grab Nr. 6 auf dem Nordfriedhof in Amarna. Altägyp-tisches Wörterbuch der Berlin-Brandenburgischen Akade-mie der Wissenschaften (Inv.-Nr. 1023).

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Echnatons „Monotheismus“

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– erzählt jene Positionen als Ausschnitt der Religionsge-schichte der Moderne und nicht nur als Ausschnitt derWissenschaftsgeschichte. So wird in diesem Echnaton-Rezeptionsausschnitt auch deutlich, wie seit der zwei-ten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Professionalisierungdes Deutens von „Religion“ im Medium Religionswis-senschaft dazu führte, nun neue Sichtweisen zu entwer-fen, die in Konkurrenz zu anderen Deutungssystemen,wie Theologie, Psychologie und Soziologie treten konn-ten – so, wie es sich von Heinrich Brugsch bis zu JanAssmann nachweisen lässt.43

Anmerkungen:1 Zum Programm einer „Europäischen Religionsgeschichte“ sie-

he Gladigow, Religionsgeschichte.2 Brugsch, S. 48 f.3 Richard Lepsius, zitiert nach Reeves, S. 19.4 Vergleiche dazu Nordheim.5 Erman, 1934, S. 109.6 Erman, 2001², S. 127.7 Erman, 2001², S. 127 und S. 130. Siehe auch Koch, S. 49.8 Heiler, Kapitel 9.9 Heiler, S. 190.10 Heiler, S. 33.11 Heiler, S. 190.12 Heiler, S. 189.13 Heiler, S. 189.14 Heiler, S. 190.15 Heiler, S. 190.16 Heiler, S. 168.17 van der Leeuw, S. 18.18 van der Leeuw, S. 60.19 van der Leeuw, S. 61.20 Freud, S. 245.21 Die beiden ersten Abhandlungen erschienen 1937 in Imago und

zusammen mit einer dritten 1939 als Buch.22 Freud, S. 160.23 Dazu scheidet Freud ihn auch von einer midianitischen Mose-

Tradition ab.24 Das belegt Freud mit Ansichten der Ägyptologie und alttesta-

mentlichen Wissenschaft seiner Zeit u. a. E. Sellin, E. Meyer,A. S. Yahuda, A. Weigall, E. Auerbach, H. Gressmann, A. Er-man und J. H. Breasted.

25 Freud, S. 160.26 Freud, S. 122.27 Freud, S. 123.28 Freud, S. 168.29 Freud, S. 146.30 Freud, S. 128.31 Freud, S. 154 und S. 168.32 Siehe Darmans.

33 Assmann, Unterscheidung, S. 12 f.34 Assmann, Unterscheidung, S. 55.35 Assmann, Unterscheidung, S. 55.36 Morenz, Ägyptische Religion, S. 154 (Hervorhebung im Origi-

nal).37 Morenz, Ägyptische Religion, S. 156. Dieser Gedanke findet

sich schon bei Junker, S. 565-607.38 Siehe Morenz, Heraufkunft.39 Assmann, Adolf Erman, S. 90-112, insbesondere S. 99.40 Koch, S. 69.41 Assmann, Unterscheidung, S. 55.42 Assmann, Moses, S. 282, bezogen auf die mosaische Unterschei-

dung.43 Vergleiche dazu auch Gladigow, Vernunft der Götter, S. 68.

Literatur:Assmann, J., Adolf Erman und die ägyptische Religionsgeschich-

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