5
Neue Luzerner Zeitung Online, 11. August 2014, 09:00 Was habt ihr gegen mein Kind? Es hapert mit Kinderfreundlichkeit in Restaurants. (PD) GASTRONOMIE In Sachen Kinderfreundlichkeit haben viele Gastronomiebetriebe Nachholbedarf. Erfahrungsbericht eines gepeinigten Vaters. Sven Gallinelli Ich lebe in der Stadt Luzern. Ich bin Vater einer zweieinhalbjährigen Tochter. Städte haben für Familien viele Vorteile: ein grosses Angebot, kurze Wege, man braucht kein Auto. Es gibt aber einen Punkt, bei dem mich das Stadtleben so richtig aufregt. Immer wieder. Und das muss jetzt einfach mal raus. Es geht um die Kinderfreundlichkeit in gastronomischen Betrieben. Um die ist es leider nicht zum Besten bestellt. Und das ist nicht etwa nur meine eigene Wahrnehmung. Spricht man mit anderen Eltern, dann bestätigt sich der Eindruck. So, dass man sich fragt: Was ist eigentlich los in der hiesigen Gastronomie? Warum fühlt man sich derart unwillkommen? Meine Frau hat einmal gesagt: «Seit ich ein Kind habe, bin ich mich dauernd am Entschuldigen.» Und bezog das nicht zuletzt auf die Restaurantbesuche. Gut, aber was ist denn eigentlich das Problem bei diesen Restaurantbesuchen? Das Problem ist: Man fühlt sich als Eltern nicht willkommen. Man hat das Gefühl, man passe irgendwie nicht ins Konzept des Restaurants. Man fühlt sich bei jeder Nachfrage deplatziert («Haben Sie ein Kindersitzli?», «Dürfte ich vielleicht noch ein Röhrli haben?», «Könnten Sie mir vielleicht einen separaten Teller geben?» usw.). Und wenn der Nachwuchs es dann noch fertigbringt, das Sirupglas Neue Luzerner Zeitung Online - Was habt ihr gegen mein Kind? http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/lu/abo/Was-h... 1 von 5 11.08.2014 15:25

nlz

Embed Size (px)

Citation preview

  • Neue Luzerner Zeitung Online, 11. August 2014, 09:00

    Was habt ihr gegen mein Kind?

    Es hapert mit Kinderfreundlichkeit in Restaurants. (PD)

    GASTRONOMIE In Sachen Kinderfreundlichkeit haben vieleGastronomiebetriebe Nachholbedarf. Erfahrungsbericht eines gepeinigtenVaters.

    Sven Gallinelli

    Ich lebe in der Stadt Luzern. Ich bin Vater einer zweieinhalbjhrigen Tochter. Stdtehaben fr Familien viele Vorteile: ein grosses Angebot, kurze Wege, man brauchtkein Auto. Es gibt aber einen Punkt, bei dem mich das Stadtleben so richtig aufregt.Immer wieder. Und das muss jetzt einfach mal raus. Es geht um dieKinderfreundlichkeit in gastronomischen Betrieben. Um die ist es leider nicht zumBesten bestellt. Und das ist nicht etwa nur meine eigene Wahrnehmung. Sprichtman mit anderen Eltern, dann besttigt sich der Eindruck. So, dass man sich fragt:Was ist eigentlich los in der hiesigen Gastronomie? Warum fhlt man sich derartunwillkommen? Meine Frau hat einmal gesagt: Seit ich ein Kind habe, bin ich michdauernd am Entschuldigen. Und bezog das nicht zuletzt auf dieRestaurantbesuche.

    Gut, aber was ist denn eigentlich das Problem bei diesen Restaurantbesuchen?Das Problem ist: Man fhlt sich als Eltern nicht willkommen. Man hat das Gefhl,man passe irgendwie nicht ins Konzept des Restaurants. Man fhlt sich bei jederNachfrage deplatziert (Haben Sie ein Kindersitzli?, Drfte ich vielleicht noch einRhrli haben?, Knnten Sie mir vielleicht einen separaten Teller geben? usw.).Und wenn der Nachwuchs es dann noch fertigbringt, das Sirupglas

    Neue Luzerner Zeitung Online - Was habt ihr gegen mein Kind? http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/lu/abo/Was-h...

    1 von 5 11.08.2014 15:25

  • umzuschmeissen (fr das man inzwischen in gewissen Gaststtten auch bezahlt),dann kann man sicher sein, dass man beim Personal untendurch ist.

    Auf die Haltung kommts anEs geht ja nicht mal darum, dass ich von jedem Restaurant eine riesige Spieleckeerwarte. Ich bezahle auch gerne fr den Sirup. Nein, es geht hier um etwas ganzanderes: die Haltung eines Betriebs. Familien mit Kindern bedienen zu wollen, dasmuss in der Philosophie eines Betriebs verankert sein, das Personal musssensibilisiert sein. Doch genau da fngt ja das Problem schon an, wie mir einGesprch mit einem Arbeitskollegen zeigte, der frher mal als Kellner gejobbt hat. Erhat eine klare Meinung zum Thema Kinder und Gastronomie: Kinder gehren nichtin ein Restaurant. Es ist der falsche Ort fr sie. Zudem ist es gefhrlich: Die Kellnersind meist zgig unterwegs, und wenn da ein Kind im Weg steht, dann nervt das undkann zu Unfllen fhren.

    Selber schuld?Aha. Das klingt so ein bisschen nach verstecktem Vorwurf, so nach dem Motto:Selber schuld, dass du ein Kind hast. Jetzt bleib doch einfach zu Hause. Ich willaber nicht zu Hause bleiben. Schon gar nicht in der Stadt, wo man leider selten denLuxus eines Gartens geniesst, sondern meist in beengten Verhltnissen lebt. Beimeinem Kind ist das fast wie mit einem Hund: Es will zweimal am Tag raus. Zudemhat man manchmal einfach keine Lust, daheim zu kochen. Da geht man halt insRestaurant.

    Und was trifft man da so an? Dies:

    Ein bekanntes Restaurant an guter Lage in dieser Stadt bietet zwarKindermens an. Die beginnen aber so bei 18 Franken. 18 Franken fr einenKinderteller Spaghetti. Auch wenn man die Spaghetti ohne Sauce bestellt,weil der Nachwuchs gern leere Spaghetti isst.Manchmal bestellt man als Eltern kein Kindermen, weil nichts Passendes imAngebot ist, sondern lsst den Nachwuchs vom eigenen Teller mitessen.Dann bestellt man beim Personal ein Kindersitzli, Extrabesteckund gleichnoch etwas zu trinken mit Rhrli frs Kind. Doch alles, was in der Bestellungmit dem Kind zu tun hat, geht vergessen. Den Kindersitz sucht und holt mansich dann selbst, das Extrabesteck fordert man nochmals an (und wartetlange drauf), das Getrnk kommt ohne Rhrli, das man dann auch nochmalseparat bestellt. Ich fhle mich dabei sehr unwohl, weil ich dauernd dasPersonal beanspruchen muss. Aber andererseits: Wieso hrt mir denn dasPersonal nicht zu?Eine grosse Lokalitt in der Stadt Luzern, die sich platzmssig hervorragendfr Kinder eignet, hat derart genug von Kindern, dass sie auf Tischen einenFlyer platziert mit Verhaltensregeln fr Eltern und Kinder. Gut, man darf vonden Eltern erwarten, dass sie sich um ihren Nachwuchs kmmern undschauen, dass er sich auch anstndig benimmt. Aber in besagter Bar hatsgrad null Angebote fr Kinder, keine Spielecke, nichts. Man bietet also keineAblenkung fr junge Gste an, stellt aber wohl zur Abschreckung

    Neue Luzerner Zeitung Online - Was habt ihr gegen mein Kind? http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/lu/abo/Was-h...

    2 von 5 11.08.2014 15:25

  • Verhaltensregeln auf.Gleich zwei Lokalitten in dieser Stadt, eine Bar und ein Caf, drfen sichrhmen, grosszgige Spielecken fr Kinder zu haben. Die Kinderbcher undSpielsachen sind dort aber in einem derart erbrmlichen Zustand (Puppen mitherausgerissenen Extremitten usw.), dass man sich fragt, wie ernst diesesAngebot gemeint ist.Immerhin bieten viele Restaurants in ihrer Speisekarte auch Kindermens an.In den meisten Fllen regiert hier aber die Fantasielosigkeit. Pommes fritesmit Chicken Nuggets ist da noch das hchste der Gefhle. Das versteh ichdann auch nicht: Die brige Speisekarte ist voll mit kulinarischen Highlights,aber bei Kindern scheint Einfallslosigkeit vorzuherrschen. So weit reicht dannder Ehrgeiz gewisser Kche wohl nicht.Beachtliches PotenzialAlso jetzt mal ehrlich, liebe Gastronomen: Ist das euer Ernst? In meiner WohnstadtLuzern leben rund 83 000 Menschen, davon rund 12 500 Kinder. Da knnte man jaschon mal auf den Gedanken kommen, dass Familien mit Kindern eine relevanteGstegruppe sein knnten in der Gastronomie. Dass man an die Bedrfnissedieser Kundschaft denkt und sie im Betriebskonzept bercksichtigt. Das hat erstmalgar nichts mit Investitionen zu tun. Sondern nur mit der richtigen Einstellunggegenber der Kundschaft. Wie eben so oft im Leben.

    Wenn man sich auf einschlgigen Familien-Webseiten kundig macht berkinderfreundliche Restaurants in der Stadt Luzern, dann findet man da ganze vierEintrge. Vier! Hallo? Luzern ist nicht irgendeine beliebige Stadt. Wir sind eine Stadtmit internationaler Ausstrahlung und berdurchschnittlich vielen Gastrobetrieben.Und da gibt es nur ganze vier, die sich das Prdikat kinderfreundlich anheftendrften. (Dass zwei der vier Restaurants noch zur selben Betreiberfirma gehren,ist eine kleine Ironie des Schicksals).

    Es gbe also einiges zu lernen. Vielleicht hilft dabei auch mal ein Blick ins Ausland.Zum Beispiel nach Amerika. Wo Kinder vom Personal mindestens so vielZuwendung kriegen wie die Erwachsenen. Der Grund ist einfach: Ein Kellner inAmerika hat einen Stundenlohn von zwei Dollar. Den Rest muss er sich perTrinkgeld dazuverdienen. Das fhrt dann dazu, dass der Gast auch als solcherbehandelt wird. Auch Stdte wie Berlin zeigen, wies geht. Ich habe kein Restaurantin Berlin erlebt, wo Kinder nicht herzlich begrsst worden wren. Und in Eltern-Kind-Cafs knnen die Erwachsenen gemtlich einen Kaffee trinken und die Kindersich in einer ausgedehnten Spielewelt vergngen. Das bezahlt man zwar extra. Aberzwei Euro ist das den Eltern locker wert.

    Es geht dochSo, genug lamentiert. Dieser Text soll vershnlich enden, nmlich mit Worten desDankes. Danke an das kleine Caf nahe dem Vgeligrtli-Park, das zwar nur einekleine Kiste mit Kinderbchern und ein paar wenige Holzspielzeuge hat, die aberimmer in tipp-toppem Zustand sind. Danke an das Restaurant beim EinkaufszentrumSchnbhl, das fr Kinder ein ganzes Spielzimmer anbietet. Danke an die Bar ander Obergrundstrasse, die eine kleine Legokiste und ebenfalls ein paar

    Neue Luzerner Zeitung Online - Was habt ihr gegen mein Kind? http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/lu/abo/Was-h...

    3 von 5 11.08.2014 15:25

  • Kinderbcher zur Verfgung stellt. Ihr habts irgendwie gecheckt. Und erreicht, dassich bei euch fter mit meinem Kind vorbeischaue. Mgen viele andere Betriebe indieser Stadt von euch lernen.

    Das sagen die Gastronomen

    Was hlt viele Wirte davon ab, ihre Restaurants kinderfreundlich auszugestalten?Eine Anfrage zu diesem Thema beim Branchenverband Gastrosuisse bliebgrsstenteils unbeantwortet dies aus Zeitgrnden, wie es hiess.

    Immerhin schreibt der Verband: Kinder sind die Gste der Zukunft. Zahlreich sinddie Hotels und Restaurants, die sich mit ihrem Angebot auch auf die Bedrfnissevon Kindern und Familien ausrichten. Untermauert wird das mit statistischemMaterial: Demnach bieten 46,5 Prozent der Restaurants Kindersitze an, in 39,8 dervon Gastrosuisse erhobenen Restaurants gibts Kindermens, 24,1 Prozent habeneinen Wickeltisch, 18,7 Prozent einen Spielplatz und 10,5 Prozent ein Spielzimmeroder eine Kinderecke.

    Wichtige ZielgruppeDeutliche Worte zum Thema Kinderfreundlichkeit findet man beimFamilienunternehmen Remimag, das mehrere Restaurants in der Zentralschweizbetreibt (etwa das Opus in Luzern) und sich ganz der Kinderfreundlichkeitverschrieben hat. Es gibt spezielle, selbst produzierte Mal- und Rtselbcher frKinder, die Kindermenkarte ist ausfhrlich und individuell, einige Restaurantsbieten gar ein Spielzimmer an. Die Brder Bastian und Florian Eltschinger,Geschftsleiter der Remimag, begrnden dies so: Familien mit Kindern sind beiuns eine Zielgruppe, die wir bewusst pflegen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Kindervielleicht unsere zuknftigen Gste sein knnten, wenn sie erwachsen werden.

    Entspannte ElternDen Betrieben entstehe zwar etwas mehr Aufwand, aber wenn dies zu entspanntenEltern in den Restaurants fhre, sei es das wert. Die Brder Eltschinger halten auchnichts von Verhaltensregeln fr Eltern (siehe Haupttext). Man gehe grundstzlichdavon aus, dass Eltern wissen, wie man sich mit Kindern im Restaurant benimmt.

    Dass Kindermens ein Verlustgeschft sind, glauben die Eltschingers nicht. DieEltern essen ja auch etwas, und in der Mischrechnung geht das auf. Dass dieRemimag sich derart um Kinder kmmert, liegt auch am Firmengrnder PeterEltschinger: Unser Vater hat fnf Kinder, und er hat sehr bald erkannt, dass dasSegment der Familien nicht abgedeckt ist. Daher rhrt das Engagement unseresFamilienbetriebes, so Bastian Eltschinger.

    Was sind Ihre Erfahrungen?

    In Sachen Kinderfreundlichkeit haben viele Gastronomiebetriebe Nachholbedarf.Welche Erfahrungen haben Sie als Eltern gemacht? Haben Sie sich auch schonnicht willkommen mit Ihren Kindern gefhlt? Loggen Sie sich ein auf unserem Forumauf www.luzernerzeitung.ch/forum und diskutieren Sie mit.

    Neue Luzerner Zeitung Online - Was habt ihr gegen mein Kind? http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/lu/abo/Was-h...

    4 von 5 11.08.2014 15:25

  • Diesen Artikel finden Sie auf Neue Luzerner Zeitung Online unter:

    http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/lu/abo/Was-habt-ihr-gegen-mein-Kind;art9647,406158Copyright Neue Luzerner Zeitung AGAlle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverarbeitung, Wiederverffentlichung oder dauerhafte Speicherungzu gewerblichen oder anderen Zwecken ohne vorherige ausdrckliche Erlaubnis von Neue LuzernerZeitung Online ist nicht gestattet.

    Neue Luzerner Zeitung Online - Was habt ihr gegen mein Kind? http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/lu/abo/Was-h...

    5 von 5 11.08.2014 15:25