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1 Willi Körtels: Antisemitische Übergriffe in der Region Trier vor 1933

New Antisem. Übergriffe Trier vor 1933mahnmal-trier.de/uebergriffe_1933.pdf · 2011. 8. 9. · in: The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust nach alemannia-judaica

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    Willi Körtels:

    Antisemitische Übergriffe in der Region Trier vor1933

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    impressum

    Willi Körtels

    Antisemitische Übergriffe in der Region Trier vor 1933

    Druck: Copy-Shop Trier, Weberbach

    Konz, im März 2011

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    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort 41. Schändungen jüdischer Friedhöfe 5

    Entdeckung von Unbekanntem 5Vom Schweigen der bedeutendsten regionalenPresseorgane

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    Unzureichende polizeiliche Ermittlungen 13Antisemitische Hetze in Deutschland der Zwanzi-ger Jahre und die Folgen

    17

    Ausbreitung nationalsozialistischer Ideologiedurch NSDAP Ortsgruppen. Das Beispiel Hermes-keil

    21

    Sonderfall Könen 242. Überfall auf eine jüdische Jugendgruppe in

    Trier25

    3. Einsichten 28Quellen 30

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    Vorwort

    Auf das Faktum von Grabschändungen auf jüdischen Friedhö-fen der Region Trier vor 1933 wurde ich erstmals aufmerksamdurch Notizen in jüdischen Zeitungen und der regionalen Pressezu einer Grabschändung auf dem jüdischen Friedhof Könen imJahre 1905. Die jüdischen Zeitungen bis 1933 durchsuchte ichdaraufhin systematisch mit Hilfe des Internet-Portals compact-memory.de und entdeckte weitere Übergriffe auf jüdische Fried-höfe in der Zeit von 1929 bis 1931. Die Durchsicht der regionalenPresse im Stadtarchiv Trier ergab nur für den Vorfall Könen einpositives Ergebnis. Frau Weiter-Matysiak machte mich freundli-cherweise auf ein Dokument zu den Hermeskeiler Ereignissen imLandeshauptarchiv aufmerksam. Dieses Dokument stammt voneinem Beauftragten des „Landesverbandes jüdischer Gemein-den“, der den Auftrag hatte, die Friedhofsschändung auf demjüdischen Friedhof in Hermeskeiles zu untersuchen. Es liegt ma-schinenschriftlich vor.

    Im Rahmen ihrer Forschungen zum KZ Hinzert hatten die Au-toren Volker Schneider und Eberhard Klopp bereits in Anmer-kungen auf dieses Thema hingewiesen. Der Arbeit von Kloppverdanke ich den Wortlaut eines Zeitungsberichtes über die Grab-schändung in Hermeskeil im Trierer „Vorwärts“.

    Nachdem eine kürzere Fassung meines Aufsatzes zu diesemThema in der kulturhistorischen Zeitschrift „Der Schellemann“im Jahre 2010 erschienen war, informierte mich Herr RudolfKenner aus Hermeskeil über sein Privatarchiv und gab mirfreundlicherweise Gelegenheit, weitere Quellen aus demselben zuerschließen.

    Die antisemitischen Übergriffe vor dem Machtantritt der Nati-onalsozialisten werfen Fragen auf, die die damalige Akzeptanzdes Nationalsozialismus in der deutschen Bevölkerung berühren.

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    1. Schändungen jüdischer Friedhöfe

    Entdeckung von Unbekanntem

    Über viele Jahrzehnte in der Nachkriegszeit wurde unwider-sprochen behauptet, in der Region Trier sei die Bevölkerung demNationalsozialismus gegenüber reserviert bis ablehnend begegnet.Als Beweis wurden die Wahlergebnisse in der letzten freien Wahlam 6. März 1933 angeführt. Der NSDAP-Anteil der Wähler-stimmen hatte im Altkreis Trier-Land 38,8 Prozent erreicht, wäh-rend dieser im Deutschen Reich 43,9 Prozent betrug.1 Erklärtwurde dieser Tatbestand mit der katholisch geprägten Geisteshal-tung, die hier vorgeherrscht habe. Die katholischen Wähler hättenmehrheitlich das Zentrum, die katholische Partei, gewählt. DiesesWahlverhalten entspreche einem Votum gegen Hitler und dessenNSDAP. Erste Relativierungen dieses Ergebnisses formulierteEmil Zenz in seinem Aufsatz „Wie wählten die Bewohner desTrierer Raumes in den Schicksalsjahren 1932 und 1933?“ imJahrbuch des Kreises Trier-Saarburg1983. Der Anteil der Zent-rumswähler war 1933 im Vergleich zu den Reichstagswahlenvom 31. Juli und vom 6. November 1932 um rund 10 Prozentgesunken. Außerdem wies er auf die starken Unterschiede in deneinzelnen Kommunen hin. Emil Zenz nannte erstmals die Namender 31 Orte mit einem absoluten NSDAP-Stimmenanteil.

    Bisher war allerdings kaum bekannt, dass in der Region Trierbereits vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahre1933 Aktionen mit antisemitischem Hintergrund ausgeführt wur-den. Dies überrascht, da diese Übergriffe nicht auf ein staatlichesSystem zur Legitimation oder zur Organisation von Straftatenzurückgreifen konnten, wie dies nach 1933 der Fall war. Es han-

    1 Emil Zenz: Wie wählten die Bewohner des Trierer Raumes in den Schick-salsjahren 1932 und 1933, in Jahrbuch des Kreises Trier-Saarburg, S. 226/229. Vgl. auch Wahlverhalten der katholischen Bevölkerung Deutschlands1932/1933, Karte 2 und 3

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    delt sich um Schändungen jüdischer Friedhöfe in Hermeskeil,Neumagen-Dhron und Butzweiler.

    Diese Grabschändungen stellen keine regionale Besonderheitdar, sondern sie lassen sich im gesamten Deutschen Reich fest-

    Quelle:CV-Zeitung,September 1929, S. 1

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    Quelle:CV-ZeitungVom 13. September 1929

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    stellen, beginnend im Jahre 1923. In der Region Trier sind 1923und den unmittelbar folgenden Jahren keine derartigen Aktionenbekannt, sie setzten allerdings mit zeitlicher Verzögerung 1929 inHermeskeil2 ein. Im Jahre 1931 wurden Grabsteine auf dem jüdi-schen Friedhof in Neumagen-Dhron3 zerstört und 1932 ist derjüdische Friedhof in Butzweiler4 Ziel einer Zerstörungsaktion.

    Jüdischer Friedhof Neumagen heute

    2 CV-Zeitung, September 1929, S. 1; Gemeindeblatt der Israelitischen Ge-meinde Frankfurt a. Main, 1929-1930, Heft 2, S. 84; Eberhard Klopp: Hin-zert, nennt den 30. 8. 1929 als Tattag, vgl. Anm. 54, S. 129; die Zeitungen derRegion Trier berichten weder über die erste Grabschändung an dem jüdi-schen Friedhof in Hermeskeil noch über die folgenden Ereignisse.

    3 CV-Zeitung (Monatsausgabe) September 1931, S. 56; Die Zeitschrift „DerIsraelit“ gibt die Zahl der umgeworfenen Grabsteine mit neun an. Vgl. DerIsraelit vom 20.8.1931, S. 5. Bauer/Bühler geben in ihrem Werk „Steine überdem Fluss“, S. 59, an, dass der jüdische Friedhof Neumagen-Dhron 1935geschändet wurde. Möglicherweise war er nach 1931 ein zweites Mal imJahre 1935 Ziel von antisemitischen Zerstörern. Vgl. Artikel zu „Neumagen“in: The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust nachalemannia-judaica

    4 CV-Zeitung (Monatsausgabe) Heft 7 Juli 1932, S. 40; ebenso Der Israelit14.7.1932

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    Vom Schweigen der bedeutendsten regionalen Presseorgane

    Über diese Friedhofsschändungen berichteten hauptsächlichjüdische Zeitungen: die CV-Zeitung, Organ des Centralvereinsdeutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zei-tung des Judentums, das Gemeindeblatt der Israelitischen Ge-meinde Frankfurt a. Main5 und die Zeitung Der Israelit.6 Bis aufdie sozialdemokratische Volkswacht erwähnt die Presse des Trie-rer Landes die Übergriffe auf jüdische Friedhöfe der genanntenOrte nicht. Dabei wurde über Unfälle und Kriminalfälle aller Art,deren symbolische Bedeutung weit unterhalb der Friedhofsschän-dungen lag, genau informiert. Offenbar wurden die Straftaten, diesich auf jüdische Einrichtungen bezogen, als unbedeutend einge-stuft, da sie möglicherweise für die Leser der auflagenstärkerenTrierer Zeitungen kaum von Interesse waren oder mit „Rück-sicht“ auf potentiell antisemitische Leser weggelassen.

    Deswegen stellt der Artikel der Trierer „Volkswacht“ vom 30.August 1929 über die Friedhofsschändung in Hermeskeil eineRarität dar. Er ist mit dem Schlagwort „Terror“ überschrieben,welches signalisiert, dass es, bezogen auf den berichteten Inhalt,um extrem Normabweichendes geht. Der Verfasser gibt genau an,was die Täter hinterlassen haben: die umgeworfenen Grabsteine -er spricht von „Grabkreuzen“ für jüdische Grabsteine - und von-der Verschmutzung derselben. Er findet keine Worte für das, waser beobachtet hat. Deswegen charakterisiert er den Zustand derGrabsteine: „ [...] in nicht zu beschreibender Weise beschmutzt.“Außerdem informiert er über eine Schlägerei zwischen National-sozialisten und jüdischen Bürgern, die nach der Friedhofsschän-dung stattgefunden habe, bei der jüdische Bürger schwer miss-handelt worden seien. Während er die Nationalsozialisten alsTatbeteiligte an der Schlägerei nennt, äußert er gegenüber derGrabschändung lediglich den Verdacht, dass die Täter National-

    5 Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a. Main, 19296 Der Israelit 14. Juli 1932; Notiz zur Friedhofsschändung in Butzweiler.

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    sozialisten gewesen sein könnten, da diese Tat nachts erfolgte,ohne dass es Augenzeugen gab oder diese zum Zeitpunkt desSchreibens noch nicht ermittelt waren.

    Die folgenden Friedhofschändungen in Neumagen-Dhron undButzweiler fanden in der Trierer Volkswacht keinen Niederschlagmehr.

    Die Trierer Volkswacht berichtet am 30. August 1929:

    TerrorHermeskeil. In der vergangenen Woche unternahmen bisher

    unbekannte Täter – man vermutet, dass es Nationalsozialistengewesen waren – nachts einen Angriff auf den hiesigen jüdischenFriedhof. Die Grabkreuze (Grabsteine, Anm. des Verfassers)wurden umgeworfen und zerstört sowie in nicht zu beschreiben-der Weise beschmutzt. In der Nacht vom Sonntag zum Montagkam es zu schwerer Schlägerei zwischen Nationalsozialisten undjüdischen Bürgern. Eine Reihe jüdischer Bürger wurden bei die-ser Gelegenheit schwer misshandelt.7

    Vergleicht man diesen Text mit den Berichten in den jüdi-schen Zeitungen, so fällt auf, dass letztere die Vorgänge in Her-meskeil genauer wahrnehmen. Vielleicht reagierten sie deswegensensibler, weil ihre eigene Religionsgruppe betroffen war, diewegen langjähriger antijüdischer öffentlicher Äußerungen inDeutschland die gegen sie gerichteten Aktionen und deren Folgenhellsichtiger bewerteten. Die Artikel in jüdischen Zeitungen ge-ben den Ort und die Zahl der zerstörten oder umgeworfenenGrabsteine an. In jedem Beitrag findet sich eine Aussage, die dieEntrüstung der „rechtlich denkenden Bürger“ beinhaltet sowieeine knappe Beschreibung des polizeilichen Ermittlungsstandes.Es fällt auf, dass die Verfasser der jüdischer Zeitungsberichte vonTätern ausgehen, die ihre Objekte bewusst auswählen und ihre

    7 Trierer Volkswacht vom 30.8.1929.

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    verübten Gewalttaten nicht negativ bewerten. Deswegen betonensie eigens, dass die Zerstörungsaktionen auf jüdischen Friedhöfennur von Menschen mit Entrüstung aufgenommen werden, die sichan Recht und Sitte orientieren. Der Verfasser des Beitrages vom13. September 1929 zur Friedhofsschändung in Hermeskeil in derCV- Zeitung geht noch - euphemistisch - davon aus, dass die „ge-samte Öffentlichkeit einmütig und geschlossen ihre Abscheu überdie Störung des Friedhofsfriedens“ bekundet.8 Zu fragen wäre,wen er als Öffentlichkeit versteht? Meint er die Personen oderInstitutionen, die bis zu diesem Zeitpunkt gewohnheitsgemäß dashumane Ethos verkörperten? Offenbar ist die Gesellschaft einzel-ner Orte des Trierer Landes bereits zu diesem Zeitpunkt zerrissen,so dass die Werte des Humanen, zu denen auch die Unversehrt-heit der Friedhöfe aller Religionen gehört, von einem Teil derBevölkerung preisgegeben worden war. Sitte und Anstand sindfür einen Teil der damaligen Bevölkerung keine Kriterien desVerhaltens mehr.

    Folgerichtig verweist der Artikel auf die seit Monaten imHochwald-, Hunsrück- und Nahegebiet entfaltete Judenhetze,weil er in dieser die Ursache für das besonders für jüdische Bür-ger unvorstellbare Geschehen erkennt. Es trifft also kaum zu,dass das Alltagsleben der Juden in Hermeskeil bis 1933 im all-gemeinen unauffällig und friedlich verlief, wie dies Georg Marxin seinem Buch „Juden in Hermeskeil“ behauptet.9 Bereits am 31.

    8 CV-Zeitung vom 13.9.1929. S. 2; aus heutiger Sicht ist es unverständlich,dass die beiden großen Trierer Zeitungen zu diesen Vorgängen kein Wortverlieren.

    9 Georg Marx: Juden in Hermeskeil, S. 20. Dieser Topos ist in fast allen Or-ten des Trierer Landes mit einer ehemaligen jüdischen Bevölkerung bis heu-te verbreitet. Er diente in der Nachkriegszeit häufig dazu, die nationalsozia-listische Vergangenheit vor Ort positiv erscheinen zu lassen. Dies behinder-te das kritische Nachfragen und beförderte die Verdrängung der Nazi-Zeitaus dem öffentlichen Bewusstsein. Im Einzelfall lässt sich beobachten, dassdiese Redewendung von Personen ausging, die dem NS-System nahe stan-den oder auf vielfache Weise Täter waren.

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    Mai 1929 hatte die CV-Zeitung von Nationalsozialistische(r)Propaganda an der Mosel und im Hochwald berichtet.Während die evangelischen Orte Enkirch und Veldenz an derMosel Zentren nationalsozialistischer Propaganda seien, sei auchder mehrheitlich katholische Ort Hermeskeil zum größten Teilnationalsozialistisch verseucht.10

    Die Information zu dem Übergriff auf den jüdischen FriedhofHermeskeil ist auf die Titelseite der CV-Zeitung gesetzt worden,weil die Herausgeber von einem Novum für die Region Trierausgehen. Die späteren Berichte über Friedhofsschändungenwerden nicht mehr als Einzelereignis an exponierter Stelle ge-druckt, sondern unter thematisch zusammengefassten Beiträgen,z.B. „Friedhofs- und Synagogenschändungen“. Die Täter werdenin fast allen Berichten unter den organisierten Rechtsradikalenvermutet. Da in Hermeskeil und in Butzweiler zur Tatzeit bereitsParteiorganisationen der NSDAP existierten, ist von der Richtig-keit dieser Behauptungen auszugehen.11 In Butzweiler erreichtedie NSDAP bei der Reichstagswahl vom 6. März 1933 die abso-lute Mehrheit.12

    10 CV-Zeitung vom 31.5.1929, S. 28811 In Hermeskeil wurde am 24.6.10.1926 eine NSDAP-Ortsgruppe von Gustav

    Simon (2.8.1900-18.12.1945), dem späteren Gauleiter des Gaues Moselland,gegründet. Vgl. Franz Maier: Biographisches Handbuch der NSDAP, S.446; Meier nennt als Gründungstag den 26. 10.1926. Georg Marx gibt alsGründungsdatum den 24.10.1926 an. Derselbe: Juden in Hermeskeil, S. 41,dieses Datum kommt auch bei Schneider und Klopp vor. Die nationalsozia-listische Gruppe in Hermeskeil feierte am 24. und 25. Oktober1936 in Formeines Volksfestes ihr 10-jähriges Bestehen. Zu diesem Zweck gab sie eineFestschrift heraus, in der als Gründungsdatum der 24. 10.1926 angegebenist. In dieser Festschrift ist eine „Erinnerungs-Urkunde“ abgedruckt, in deralle 19 Gründer der NSDAP Ortsgruppe Hermeskeil erwähnt sind, vermut-lich auch die Grabschänder. Vgl. Festschrift zum 10jährigen Bestehen derNSDAP-Ortsgruppe Hermeskeil von 1936. Freundlicherweise zur Verfü-gung gestellt von Herrn Rudolf Kenner, Hermeskeil.

    12 Emil Zenz: Wie wählten die Bewohner des Trierer Raumes in den Schick-salsjahren 1932 und 1933?, S. 229. Der Ausdruck „Schicksalsjahren“ imTitel dieses Aufsatzes schwächt die politische Verantwortung der Wähler

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    Unzureichende polizeiliche Ermittlungen

    Die Grabschändung in Hermeskeil wurde auf Veranlassungdes damaligen Bürgermeisters polizeilich untersucht. Die Ergeb-nisse dieser Untersuchung und eigene Erkundungen finden sich ineinem Bericht, den der Landesverband jüdischer Gemeinden inAuftrag gab. Die „Nachforschung“ in Hermeskeil durch einen„Landjäger“ kläre das Geschehen nicht auf, weil der mit dieserAufgabe betraute Polizist davon ausgehe, dass Kinder die Täterseien, obwohl er naheliegende andere Spuren nicht verfolgte.Zur Untermauerung seiner These hatte der Polizist ausgesagt:

    1. es seien nur kleinere Grabsteine umworfen worden,2. die Schrammen an den Steinen ließen darauf schließen, dass

    nur Kinderkräfte am Werke waren,3. eine Fußspur auf einer Grabstelle hätte eine Länge von 28

    cm, dies sei eine Kindergröße, wie ein Schuhhändler bestä-tigt habe,

    4. er habe sich an die Lehrer gewandt, damit diese unter denSchülern die Täter suchten,

    5. andere Spuren werde er nicht verfolgen.13

    Der mit der Aufklärung der Friedhofsschändung in HermeskeilBeauftragte des Landesverbandes jüdischer Gemeinden, London,bemängelte an dieser Untersuchung, dass keine Fotografien vonden Beschädigungen gemacht worden seien. Dass Kindersteineumgeworfen worden seien, könne auch das Werk Erwachsenersein, die ihre Tat möglichst schnell ausführen wollten. Es sei auchmöglich, dass Erwachsene mit Feldsteinen geworfen hätten. EinGrabstein weise eine größere Beschädigung auf, die auf Erwach-sene als Täter schließen lasse. Ebenso sei es kriminaltechnischkaum ausreichend, eine einzige Fußspur als Beweis heranzuzie-hen, ohne dass nach anderen Spuren gesucht worden sei.

    jener Jahre zu sehr ab und ermöglicht kaum einen Blick auf die politischenAkteure zu.

    13 LHA Koblenz Best. 442, Nr.14106, S. 145

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    Auf die Frage von Herrn London, ob die Täter eventuell in na-tionalsozialistischen Kreisen zu suchen seien, die in Hermeskeilstarke antisemitische Hetze betrieben hätten, erklärte der Beamte,es sei nicht seine Aufgabe sich um Politik zu kümmern. LondonsEinwand, dass die Motive einer Tat für die Ermittlung der Täterentscheidend seien, beantwortete der Polizist nicht. Auf den Hin-weis des jüdischen Ermittlers, dass am Eingang des FriedhofsHakenkreuze aufgemalt waren, versuchte er dadurch zu entkräf-ten, dass Hakenkreuze im ganzen Ort an den Türen zu findenseien. Der Beauftragte des Landesverbandes jüdischer Gemein-den teilte dem Beamten schließlich seinen Eindruck über die Artund Weise seiner Ermittlungen mit: er habe in „primitiver Weise“und unter Außerachtlassung der grundlegenden kriminalistischenRegeln gearbeitet. Er bezweifle ferner, ob die Lehrer, die beimTauziehen in der Turnstunde die Gruppe „Hitler“ als die Siegerbezeichnet hätten, ernsthaft nach den wahren Tätern suchen wür-den. Er werde sich wegen dieser Umstände weitere Schritte vor-behalten und denke an eine Beschwerde bei der nächsthöherenInstanz. Der Oberrabbiner von Trier [Dr. Adolph Altmann] habeerklärt, er werde sich wegen dieser Angelegenheit mit dem Re-gierungspräsidenten [in Trier] in Verbindung setzen.14

    Im letzen Abschnitt seines Berichtes beschreibt Herr Londondie politische Stimmung in Hermeskeil: Es sei das Gerücht ver-breitet worden, die Juden setzten zur Untersuchung der Fried-hofsschändung französische Gendarmen ein. Ein Teil der Judenseien Separatisten. Obwohl vor einigen Jahren von Antisemitis-mus nichts zu merken gewesen sei, hätten die Söhne des Bahn-hofsvorstehers eine nationalsozialistische Gruppe gegründet, dieüber 200 Mitglieder habe. Der Bürgermeister habe bisher vergeb-

    14 LHA Koblenz Bestand 442, Nr. 14106, S. 147. Der Regierungspräsident vonTrier informierte am 21. 9.1929 den Landrat von Trier: „Falls sich die in derEingabe erhobenen Beschwerden als richtig herausstellen sollten, wäre mitaller Energie auf die Abstellung derartiger Missstände hinzuwirken.“ (...)Hinsichtlich der Lehrpersonen ergeht besondere Verfügung von der hiesigenAbteilung für Kirchen- und Schulwesen.“ Vgl. Daselbst., S. 151

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    lich versucht, den Bahnhofsvorsteher versetzen zu lassen, wel-ches von Regierungsstellen abgelehnt worden sei, weil ihm imAmte kein Vergehen nachzuweisen gewesen sei.15

    Bemerkenswert ist an diesem „Aufklärungsprozess“, dass dieörtliche Polizei ihre Hausaufgaben nur mangelhaft erledigte, sodass sie zur Verschleierung der wirklichen Täter beitrug, indemsie die schwächste Gruppe im Ort verdächtige: die Schüler. Überdie Motive des Polizisten kann nur spekuliert werden.

    Jüdischer Friedhof Hermeskeil heute

    15 Daselbst., S. 149. Die Festschrift zum 10jährigen Bestehen der NSDAP-Ortsgruppe Hermeskeil aus dem Jahre 1936 nennt für das Jahr 1929 nur 37Mitglieder. Vgl. Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der NSDAP-Orts-gruppe Hermeskeil, S. 12. Offenbar wurden Herrn London, vermutlich vonBürgermeister von Wendt, überhöhte Mitgliederzahlen der NSDAP-Orts-gruppe genannt, um den Stellenwert der Nazis in Hermeskeil zu vergrößern.

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    Möglicherweise fürchtete er sich vor der Rache der brutalen NS-Gruppe in Hermeskeil, falls er sie als Täter entlarvt hätte.16

    Der angesehene Schulrektor und Heimatforscher Ludwig Bachin Hermeskeil äußerte im Jahre 1930/31 in einer autobiographi-schen Schrift, dass der damalige Bürgermeister Clemens Freiherrvon Wendt als Bürgermeister aus vielerlei Gründen ungeeignetsei, weil er im damaligen parteilichen Richtungskampf nicht ein-deutig Position bezog. Er sei eine Fahne im Wind.17 Diese per-sönliche Einschätzung legt zumindest den Verdacht nahe, dassdie Administration in Hermeskeil weder bereit war, die Fried-hofsschändung aufzuklären, noch die vorhandenen nationalsozia-listischen Gruppierungen zu bekämpfen. Die Auskunft, die vonWendt dem jüdischen Kriminalisten London gab, man habe keineHandhabe, den Gründer der nationalsozialistischen Gruppe inHermeskeil zu versetzen, weil ihm in seiner beruflichen Tätigkeitnichts Nachteiliges vorzuwerfen sei, erhält wegen seiner politi-

    16 Ludwig Bach berichtet von einer Plünderung Hermeskeiler Geschäftshäuserdurch „Spartakisten“, bei der es zu einem Mord gekommen sei. Obwohl derBürgermeister von Wendt über die drohenden Ereignisse informiert war, seier zur Tatzeit zur Sauenjagd aufgebrochen. Auch der Gendarm Weishaar seizur Tatzeit nicht zu erreichen gewesen. (S.3) Dieser Mord hätte verhindertwerden können, wenn die kommunalen Vertreter ihrer Verantwortung ge-recht geworden wären.

    17 Ludwig Bach nennt Bürgermeister von Wendt mehrmals „Ein Rohr, dasvom Wind hin- und hergetrieben wird.“ Der Zentrumspartei habe er dasGefühl vermittelt, einer der ihren zu sein und der Hitlergruppe gegenüberhätte er sich angebiedert, z.B. hätte er dem Hermeskeiler Bahnhofsvorsteherzur Wahl seines Sohnes (NSDAP-Aktivist) in den Reichstag gratulierend dieHand gereicht. (S. 5) Als Hitlerjungen in Hermeskeil auf freien Plätzenexerzierten, deswegen von der Polizei gestellt worden waren, hätten sieeinen Erlaubnisschein von Bürgermeister von Wendt vorweisen können.Der Landrat und der Regierungspräsident hätten ihn daraufhin „ernstlich insGebet genommen“, ohne dass dies ein Umdenken beim Bürgermeister be-wirkt hätte. (S.6). Rektor Bach hält den Bürgermeister von Wendt aus ver-schiedenen Gründen für ungeeignet. Als ehemaliger Militär sei er ohneExamen zu seinem Amt gekommen, obwohl dieses im preußischen Staat fürjedes Amt vorgeschrieben sei. Obwohl er adliger Herkunft sei, bringe erweder die menschliche noch die charakterliche Qualität für dieses Amt mit.

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    schen Bewertung durch den angesehenen Hermeskeiler Bürgerund Heimatforscher Bach ein anderes Gewicht. Es ist nicht aus-zuschließen, dass von Wendt für die mangelhaften Recherchendes Hermeskeiler Polizeibeamten verantwortlich war. Die Ermitt-lung der wirklichen Täter hätte möglicherweise die Straftaten dernationalsozialistischen Vereinigung zu Tage gefördert. Dieswiegt um so schwerer, weil damals die Nationalsozialisten inDeutschland noch nicht an der Macht waren. Dieser Fall verdeut-licht auch, dass eine adlige Person, die aus dem Militärsystem desKaiserreichs hervorgegangen war, in einer Zeit, in der die Demo-kratie die bestimmende Staatsform war, antidemokratische undtotalitäre Kräfte insofern förderte, als er deren Straftaten nichtnach den geltenden Gesetzen bewertete.

    Genützt hat es von Wendt nichts, denn nach dem Machtantrittder Nationalsozialisten setzten sie ihn ab. Sein Nachfolger wurdeRechtsanwalt Klamroth, der als Programm verfolgte, Hermeskeilnationalsozialistisch zu machen, den „Schweinestall in Hermes-keil ausmisten“, soll er es genannt haben.18

    Antisemitische Hetze im Deutschland der Zwanziger Jahre unddie Folgen

    Die deutschen Juden waren in den zwanziger Jahren starkenantisemitischen Hetztiraden der Rechts-Presse ausgesetzt. Jüdi-sche Zeitungen versuchten durch Argumente diese demagogi-schen Aussagen zu entkräften. Diese Argumente erreichten oft-mals die Antisemiten und ihre Anhänger nicht, weil diese ehereiner dumpfen Stimmungsmache zu folgen bereit waren, als sicheiner mühsamen geistigen Auseinandersetzung zu stellen. Dabeizeigte sich auch, dass der Antisemitismus kaum religiöser Naturwar, denn in der CV-Zeitung vom 23. Juli und vom 6.August1926 wurde der damalige Papst Pius XI. zitiert, die Juden seienein göttliches Volk. Es sei gegen das katholische Prinzip, die Ju-

    18 Dr. Heinz Kahn am 21.2.11

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    den zu verfolgen. „Ich und einige Kardinäle sind Judenfreundeund wir unterstützen die Gesellschaft der Freunde Israels und denKampf gegen den Antisemitismus.“19 Diese Aussage wird in derjüdischen Presse als kirchlicher „Kampf gegen den Antisemitis-mus“ gewertet. Dennoch entstand im damaligen deutschenStaatsgebiet ein Klima der Verhetzung, in dem Argumente nichtzur Kenntnis genommen wurden und ebenso kirchliche Autoritä-ten nicht beachtet wurden, so dass sich antisemitische Aktionenim gesamten deutschen Reich ausbreiteten, beginnend 1923, ohnedass sich die traditionell wertebewussten deutschen Bürger gegendiese antisemitischen Aktionen zur Wehr gesetzt hätten. Auchaus der Region Trier sind weder vor noch nach 1933 gegen Anti-semiten gerichtete Aktionen der nichtjüdischen Bevölkerung be-kannt. Ob dies alleine an der mangelhaften Information der Bür-ger über die Grabschändungen durch die allgemeine Presse lag?Lediglich der Oberrabbiner von Trier, Dr. Altmann, wandte sichwegen der mangelhaften polizeilichen Ermittlungen im Hinblickauf die Grabschändungen in Hermeskeil an den Regierungspräsi-denten von Trier, der immerhin den Landrat von Trier anwies, indieser Angelegenheit tätig zu werden, damit das Verfahren inHermeskeil „ordnungsgemäß“ durchgeführt werde.20 Bekannt istauch eine „Sammelbeschwerde der gesamten Judenschaft desHochwaldes und der Nahe“ vom April 1930 wegen NS-Be-tätigung gegen den Eisenbahner Paul Simon (1908-1947), denBruder des berüchtigten Gauleiters des Gaus Moselland, der vonder Reichsbahndirektion Trier daraufhin von Türkismühle nachGerolstein strafversetzt wurde.21

    Thomas Mann charakterisiert in einem Leitartikel der CV-Zeitung vom 24. Oktober 1930 die damalige Zeit folgenderma-ßen: „Entlaufen scheint die Menschheit wie eine Bande losgelas-sener Schuljungen aus der humanistisch-idealistischen Schule des

    19 CV-Zeitung vom 23.7.1926, S. 395, und vom 6.8.1927, 41920 Vgl. Anm. 14, S. 1021 Meier, Franz: Biographisches Organisationshandbuch der NSDAP, S.

    448/449

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    Quelle: CV-Zeitung Juli 1932, S. 40

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    neunzehnten Jahrhunderts, gegen dessen Moralität, wenn dennüberhaupt von Moral die Rede sein soll, unsere Zeit einen weitenund wilden Rückschlag darstellt.“22

    Im Gegensatz zu den nach 1945 und den folgenden Jahrzehn-ten stereotypisch wiederholten Aussagen, im Westen und im Sü-den des ehemaligen deutschen Staatsgebietes seien die Bürgerweniger anfällig gewesen für die nationalsozialistischen Inhalte,zeigt eine Übersicht über die Schändungen an jüdischen Friedhö-fen in der CV-Zeitung vom Juli 1932 für die Zeit von 1923 bis1932, dass die höchste Zahl aller antisemitischer Übergriffe Bay-ern (27) betrifft, gefolgt vom Rheinland (19). Dabei lassen sichauf die Jahre von 1923 bis 1932 unterschiedliche Häufungen derSchändungen erkennen. Während sich die höchste Zahl von Ü-bergriffen auf jüdische Friedhöfe im Rheinland im Jahre 1927 mitsechs und im Jahre 1928 mit fünf Schändungen beobachten lässt,ist in Bayern erst im Jahre 1930 mit sechs Schändungen das dor-tige Maximum erreicht. Sowohl im Rheinland als auch in Bayernbeginnen die Übergriffe auf jüdische Friedhöfe bereits im Jahre1924. In Bayern werden auch in den folgenden Jahren jeweilszwei Friedhöfe demoliert, im Rheinland dagegen bleiben die jü-dischen Friedhöfe in den Jahren 1925 und 1926 unbehelligt.23

    Die Schändung des jüdischen Friedhofs in Butzweiler war einevon drei Übergriffen im Rheinland, die bis zur Jahreshälfte 1932bekannt wurden. Da im Jahr davor nur eine solche Tat fürsRheinland registriert wurde, stellt diese Zahl eine erheblicheSteigerung dar. Die CV-Zeitung, die 1932 eine Denkschrift„Friedhofsschändung in Deutschland 1923-1932. Dokumente derpolitischen und kulturellen Verwilderung unserer Zeit“ in 6. Auf-lage herausgegeben hatte, wertet für das Deutsche Reich die Zah-len von 1932 wie folgt: „Die Statistik zeigt, dass in den erstensechs Monaten des Jahres 1932 bereits mehr Friedhöfe geschän-

    22 Mann, Thomas: Appell an die Vernunft, in: CV-Zeitung vom 24.10.1930, S.1/2

    23 CV-Zeitung (Monatsausgabe) Juli 1932, S. 40

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    det worden sind als im gesamten Verlauf des Jahres 1931. Imersten Halbjahr 1932 wurden neun Synagogen geschändet, wäh-rend im ganzen Jahre 1932 zwölf Synagogen heimgesucht wor-den waren.“24

    Der deutsche Justizminister Dr. Koch-Weser hatte bereits ineiner Verfügung vom 28. September 1928 an die Strafverfol-gungsbehörden geschrieben: „Auch in diesem Jahre haben wiedermehrere Fälle von Friedhofsschändung die Öffentlichkeit erregt.Ich ersuche die Strafverfolgungsbehörden, (...) diesen Straftatenauch weiterhin ihr besonderes Augenmerk zuzuwenden und umAufklärung (...) nachdrücklich bemüht zu sein.“25 In einer Kund-gebung des CV-Vereins im Berliner Herrenhaus vom 18. Oktober1928 gab der Justizminister folgende Erklärung ab: (...) Und wiralle sind uns einig in der Verurteilung von Ausschreitungen, diedeutsche Staatsbürger gegen deutsche Staatsbürger und derenGotteshäuser begehen. Aber wenn Hass und Irrwahn sich gegendie Stätte der Toten richten, dann ist es nicht mehr ein Gegensatzzwischen dem Deutschen jüdischer Konfession und dem Antise-miten, dann ist es ein Gegensatz zwischen dem Menschen unddem Unmenschen.“26

    Diese staatlichen Reaktionen konnten die Serie der Straftatengegen jüdische Einrichtungen der folgenden Jahre nicht eindäm-men, vermutlich, weil die antisemitische Hetze in der völkischenund deutschnationalen Presse nicht unterbunden wurde und anti-semitisches Gedankengut ungehindert über organisierte rechtsra-dikale Gruppen im gesamten Deutschen Reich verbreitet wurde.

    24 Ebda.25 CV-Zeitung vom 5.10.1928, S. 56126 CV-Zeitung vom 26. 10.1928, S. 604

  • 22

    Ausbreitung nationalsozialistischer Ideologie durch NSDAP-Ortsgruppen. Das Beispiel Hermeskeil

    Die NSDAP Ortsgruppe Hermeskeil war wie in einer im Jahre1936 von ihr selbst herausgegebenen „Festschrift zum zehnjähri-gen Bestehen der Ortsgruppe Hermeskeil“27 nachzulesen ist, invielen Orten der Region Trier aktiv, um die Ziele der nationalso-zialistischen Ideologie durchzusetzen. Von den 19 Mitgliedernder Gründung hätten zwar nur sechs durchgehalten, aber die Mit-gliederzahl sei bis 1933 auf 100 Parteigenossen gestiegen. IhreSchandtaten, die sie in vielen Orten der Region Trier verübten,preist diese Schrift als positive Aufbau-Leistung. In einem Um-kreis von 50 bis 70 km hätten die „Träger der aktiven Propagan-da“ unter „dem Schutz des SA Stoßtrupps Hermeskeil“ in Wa-dern, Buweiler, Otzenhausen, Züsch, Oberstein, Trier, Ehrang,Konz, Koblenz u.a. Versammlungen, Aufmärsche, Propaganda-märsche veranstaltet. Die zum Teil „stürmisch“ verlaufenen Ver-sammlungen hätten „Aufklärung unter die Volksgenossen“ ge-bracht. Über die Form dieser „aufklärerischen“ Aktivitäten kannnur spekuliert werden. Mit Sicherheit ist ein intellektuelles oderästhetisches Werben nicht erst in Erwägung gezogen worden; vielwahrscheinlicher ist, dass Androhungen körperlicher Gewalt,Sachbeschädigungen, Randale, Denunziationen einzelner Perso-nen, Aufmärsche, Schlägereien und Brüllchöre die „Überzeu-gungsmittel“ der Nazis waren. Es seien Ortsgruppen in Wadern,Buweiler, Kastel, Morbach, Nunkirchen, Losheim, Schillingen,Gusenburg, Kell, Reinsfeld, Osburg, Züsch, Nonnweiler, Bierfeldusw. gegründet worden.28

    Die unmittelbar folgenden Jahre zeigten die Wirkung solcherAktivitäten. Die Nazis waren in der Mitte der Gesellschaft ange-kommen. Unter der Überschrift „Jede Stimme für Hitler“ warben

    27 Festschrift zum 10jährigen Bestehen der Ortsgruppe Hermeskeil 193628 Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der NSDAP-Ortsgruppe Hermeskeil,

    S. 12/13

  • 23

    aus: Hochwald-Zeitung vom 13.8.1934

  • 24

    am 14. August 1934 die Industrie- und Handelskammer Trier, derVerband des Einzelhandels Trier und die HandwerkskammerTrier per Zeitungsanzeige29 für den nationalsozialistischen Staat.Die Formulierungen „Neuaufbau des deutschen Reiches“, „Treuezu Adolf Hitler“, „die deutsche Kultur zu heben“, „der Moral undSitte wieder zu ihrem Recht zu verhelfen“, mit denen die Bürgerumworben wurden, wirken heute wie das Werk von verblendetenVerblendern. Gleiches gilt für den Aufruf an die „Sanitätskolon-nen vom Roten Kreuz des Regierungsbezirks Trier“. Der Reichs-inspekteur vom Roten Kreuz Trier Dr. G. erwartete von den„Kameraden“ vom Roten Kreuz, dass sie dem „Führer“ ihr Ja-Wort geben.30 Dass kirchliche Vereine in die Nazi-Begeisterungeinstimmten, wie die obige Anzeige beweist, macht heute sehrbetroffen.

    Sonderfall Könen 1905

    Ein kaum mit den Schändungen jüdischer Friedhöfe vor demMachtantritt der Nationalsozialisten im Jahre 1933 in Verbindungzu bringender Übergriff ereignete sich bereits im Jahre 1905 inKönen.31 Die Trierische Landeszeitung meldete am 27. Februarunter „vermischte Nachrichten“: „Cönen (Saar) 26. Febr[uar].Durch ruchlose Hände wurden lt. Fr[an]kf[urter]. Z[ei]t[un]g. Aufdem jüdischen Friedhof hieselbst zahlreiche Grabdenkmäler zer-

    29 Hochwald-Zeitung vom 21.4.1934. Die Anzeige enthält die Namen der inden genannten Institutionen verantwortlichen Personen. Diesen Funktions-trägern dürften die Straftaten der Nationalsozialisten vor 1933, die Boykott-Maßnahmen Anfang 1933 und Verhaftungen und Ermordungen politischerGegner durch die Nationalsozialisten nicht unbekannt gewesen sein. Von denvorgenannten gesellschaftlichen Institutionen der Region Trier ist bis heutenicht bekannt, dass sie ihre Rolle im Nationalsozialismus aufgearbeitet hät-ten.

    30 Ebda.31 Frankfurter Israelitisches Familienblatt 3.3.1905, S. 3; ebenso: Allgemeine

    Zeitung des Judentums, Beilage „Der Gemeindebote“ vom 10.3.1905, S. 3

  • 25

    stört.“32 Die Allgemeine Zeitung des Judentums schrieb am 3.März 1905, dass der größte Teil der Grabdenkmäler auf dem jü-dischen Friedhof demoliert worden war. „Ruchlose Hände“ hät-ten diese Tat vollbracht. Der Bürgermeister von Konz hatte be-reits am 28. Februar mitgeteilt, wie die Trierische Zeitung vom 1.März 1905 unter „Provinzielles“ berichtete, dass die „ÜbeltäterKnaben im Alter von 6 bis 9 Jahren“ waren, die nach eigenemGeständnis von einer größeren Anzahl von Grabdenkmälern dieAufsätze (Kugeln) mit Steinen heruntergeworfen hätten.33 Damitendet die Berichterstattung in regionalen und überregionalen Zei-tungen über dieses Ereignis. Der Vorgang in Könen erfolgte zueinem Zeitpunkt, als die jüdische Gemeinde ihre um 1850 erbautebaufällige Synagoge in der Reinigerstraße abreißen gelassen hat-te, um eine neue zu errichten.

    Auffallend an den Reaktionen auf die rund 25 Jahre auseinan-derliegenden Grabschändungen in Hermeskeil und Könen ist,dass man Kinder für die Straftat verantwortlich machte. Währendin Hermeskeil jüdische Bürger selbst aktiv wurden, um die anti-semitische Hetze zu unterbinden und um die verübte Straftat auf-zuklären, ist von Könen keine solche Maßnahme bekannt.

    2. Überfall auf eine jüdische Jugendgruppe in Trier

    Im Jahre 1931 wurde in Trier eine jüdische Mädchengruppe vonNationalsozialisten überfallen. Über dieses Ereignis berichtetendie beiden Trierer Zeitungen, der Trierische Volksfreund und dieTrierische Landeszeitung, am 14. April 1931 unter regionalenNachrichten. Außerdem meldete diesen Vorfall die CV-Zeitungam 24. April 1931. Während der Trierische Volksfreund die Ü-berschrift

    32 Trierische Landeszeitung vom 27. Februar 190533 Ebda.

  • 26

    aus: Trierische Landeszeitung vom 14.4.1931

    aus: Trierischer Volksfreund vom 14.4.1931

  • 27

    aus: CV-Zeitung vom 24.4.1931

    Landstraße“34 wählte, formulierte die Trierische Landeszeitung„Belästiung einer jüdischen Jugendgruppe“.35 Die beiden TriererZeitungen geben als „Quelle“ an: „Man schreibt uns“, so dassdavon ausgegangen werden kann, dass es Personen gab, die die-ses Ereignis in die Öffentlichkeit tragen wollten. Dies stellt einenFortschritt dar gegenüber den Friedhofsschändungen in der Regi-on Trier, über die die großen regionalen Zeitungen nichtinformierten. Beide Informanten stimmen überein in der Angabeder Tatzeit: Sonntag, 7 Uhr abends, des Tatortes: Römersprudel -Café Dötsch und der Tatbeteiligten: jüdische Jugendwandergrup-pe. Während der Trierische Volksfreund als Tatort die Pellinger-Straße nennt, gibt der Beitrag der Landeszeitung die Zahl derJugendlichen mit 26 an. Beide Zeitungen unterscheiden sich hin-sichtlich des Ausflugszieles der jüdischen Gruppe. Nach Aus-kunft des Trierischen Volksfreunds war die Jugendgruppe in die

    34 Trierischer Volksfreund vom 12.4.193135 Trierische Landeszeitung vom 14.4.1931

  • 28

    „Hochwaldberge“ unterwegs; die Trierische Landeszeitung mel-det, dass „Niederemmel“ das Ziel gewesen sein soll. Da die Ju-gendgruppe die Pellinger-Straße benützte, um nach Hause zuwandern, ist es wahrscheinlich, dass sie vorher in der Nähe vonNiedermennig im Konzer Tälchen ein Lagerfeuer veranstaltethatte und nicht in Niederemmel an der Mosel bei Piesport. - DerInformant kannte sich offenbar außerhalb der Stadt Trier nichtgut aus.- Die Überfallenden werden im Trierischen Volksfreundmit „mehrere Männer“ angegeben, in der Landeszeitung wird von„6 bis 7 Nazis“ gesprochen. Der Tathergang ist in beiden Zeitun-gen ähnlich dargestellt: Die Täter hätten die Jugendgruppe ver-sucht anzuhalten und den Wimpel der Jugendlichen zu erbeuten.Da ihnen dieses nicht gelang, hätten sie das Beil, das die Grup-penleiterin mit sich führte, entwendet. Während dieses Gerangelsseien die Jugendlichen belästigt und beschimpft worden. Nur derVolksfreund erwähnt die „Heil-Hitler“-Rufe der Überfallenden,die sie als Nazis ausweisen. Das Tatgeschehen hätte sich zwi-schen der Gastwirtschaft „Römersprudel“ und dem „CaféDötsch“ abgespielt. Dass die Täter mit der Straßenbahn in dieInnenstadt entwichen seien, ist nur dem Bericht des Volksfreundszu entnehmen. Der Text der Landeszeitung konzentriert sich ge-gen Ende auf rechtliche Fragen, die den Besitz eines Beilesbetreffen. Im Volksfreund ist weiterhin zu lesen, dass Ausflügler,die den Tathergang erlebten, entrüstet gewesen seien und sich alsZeugen zur Verfügung stellten. Deutlich wird auch in dieser Zei-tung, dass Besucher des Gasthauses „Römersprudel“ an Handvon eigenen Beobachtungen bestätigten, dass dieser Überfall ge-plant war.

    Die CV-Zeitung überschrieb ihre Meldung am 24. April 1931mit „Feiger Überfall auf jüdische Kinder“.36 Diese Kinder seien„Zwölf- bis Fünfzehnjährige“ gewesen, die der „Kinder- und Ju-gendgruppe des Jüdischen Jugendbundes Trier“ angehörten.Auch dieser Zeitung lag ein Bericht aus Trier vor. Der Beitrag

    36 CV-Zeitung vom 24.4.1931

  • 29

    fasst die in Trier bereits veröffentlichten Berichte sprachlich prä-zisiert zusammen. Der Tathergang wird verbal ausgedrückt:schlugen auf sie ein, beschimpften und verfolgten sie. Die Täterwerden „lärmende Nationalsozialisten“ und „S-A-Männer“ ge-nannt. Erwähnt wird auch, dass es Zeugen gab, die die Täter be-nannten, so dass die Polizeibehörde die Täter bestrafen könne.

    Aus dieser Jugendgruppe leben noch mindestens zwei Perso-nen, die sich an diesen Überfall erinnern. Miriam Neumeier, geb.Amalie Berlinger, die heute in Petach Tikva in Israel wohnt, be-merkt, dass die Täter nach ihrer Bestrafung einzelne Mitgliederder jüdischen Jugendgruppe während der gemeinsamen Fahrt mitder Straßenbahn zur Schule ständig bedrohten, diese Tat ohneZeugen zu wiederholen. Ein Unrechtsbewusstsein habe es aufSeiten der Nazis nicht gegeben. Alice Resseguie, geb. Goldstein,die heute als Amerikanerin in Eugene in Oregon zu Hause ist,berichtet, dass sie sich gegen einen Nazi zur Wehr gesetzt habe.Danach habe er sie nicht mehr belästigt. Aber ihr Vater habe be-fürchtet, für diese Tat seiner Tochter ins KZ gebracht zu werden.

    3. Einsichten

    Es fällt auf, dass einige Bürger aus Trier die Unrechtstaten anjüdischen Jugendlichen wahrnahmen, also nicht wegsahen, undsich bereitwillig als Zeugen gegen die Täter zur Verfügung stell-ten. Andere Bürger hatten bemerkt, dass die Täter ihre Tat länge-re Zeit vorher geplant hatten, und dies der Polizei anvertraut.Auch die Polizeibehörde in Trier erfüllte ihre Aufgabe im Sinnedes noch geltenden bürgerlichen Gesetzes. Anders verhielt sichdagegen der Polizist W., der die Täter der Grabschändung imJahre 1929 in Hermeskeil ermitteln sollte, dabei seine Arbeit sounvollkommen erledigte, dass er Schüler verdächtigte, statt diewahren Täter festzustellen.

    Diese Ereignisse zeigen überdies, dass einzelne Menschen derRegion Trier nicht nur antisemitisch gesinnt waren, sondern aus

  • 30

    dieser geistigen Haltung verbrecherische Taten folgen ließen.Wehrlose Menschen anzugreifen, wie die Mädchenjugendgruppein Trier-Feyen, verdeutlicht, dass die natürliche Aggressions-hemmung bei den Tätern beseitigt war. Dieses Verhalten berührtebenso das Verhältnis von Mann und Frau und von Erwachsenenund Jugendlichen. Das damals gesellschaftlich definiert „Starke“,der Mann, vergreift sich am gesellschaftlich definiert „Schwa-chen“, dem jugendlichen Mädchen. Die Täter handelten offenbarintrinsisch motiviert, waren von der Richtigkeit ihrer Taten über-zeugt. Sie drohten den jüdischen Mädchen auch nach ihrer Verur-teilung durch Trierer Gerichte, ohne Einsicht in ihr Fehlverhalten.Es trifft also kaum zu, dass die Verbrechen weder vor noch nach1933 alle von oben befohlen worden waren, wie auch andere Fäl-le in der Region nahe legen, der Einzelne keine Chance hatte,Befehle zu verweigern.

    Die bis heute verbreitete Rechtfertigung der Tätergenerationdurch deren Kinder und Enkelkinder, sie hätten Nazis werdenmüssen, um Arbeit und Brot zu haben, oder nicht alles, was Hitlergetan hätte, sei falsch gewesen, verkennt die historischen Folgeneiner am privaten Vorteil orientierten Ethik, die oftmals auch mitden Jahren in der Hitlerdiktatur die Unwerte der Nationalsozilis-ten verinnerlicht hatte, Formen des vorauseilenden Gehorsamsdes Einzelnen zeigte und blind geworden war für die Verbrechenan Juden, Sinti und Roma, Fremdarbeitern, politischen Gegnernund Kriegsfeinden.

    Erinnerungsarbeit dagegen verschließt sich dem Schatten derVergangenheit nicht, sondern versucht durch Erinnern an die tat-sächliche Realität aufzuklären.

  • 31

    Quellen:

    1. Allgemeine Zeitung des Judentums 1905, 10.3.19052. Bach, Ludwig: Autobiographie, Hermeskeil um 1930

    (handschriftlich), Archiv von Rudolf Kenner, Hermeskeil3. Bauer, Uwe F.W., Bühler, Marianne: Steine über dem

    Fluss. Jüdische Friedhöfe an der Mosel, Trier 20024. CV-Zeitung 1926, 1929, 1930, 1931, 1931 (Monatsausga-

    be),1932 (Monatsausgabe)5. Der Israelit 20.8.1931, 14.7.19326. Festschrift zum zehnjährigen Gründungsfest der NSDAP

    Ortsgruppe Hermeskeil 1936 (Archiv Kenner)7. Frankfurter Israelitisches Familienblatt 19058. Hochwald-Zeitung vom 21.8.1934 (Archiv Kenner)9. Kenner, Rudolf, Hermeskeil, Informationen am 25.1.11

    10. Klopp, Eberhard: Hinzert – kein richtiges KZ? EinBeispiel unter 2000, Trier 1983

    11. LHA Koblenz Best. 442, Nr. 1410612. Marx, Georg: Juden in Hermeskeil, Kell a. See 199913. Meier, Franz: Biographisches Organisationshandbuch

    der NSDAP und ihrer Gliederungen im Gebiet desheutigen Landes Rheinland-Pfalz, Mainz 2007

    14. Schneider, Volker: Waffen-SS. SS-Sonderlager „Hin-zert“. Das Konzentrationslager im „Gau Moselland“.1939-1945

    15. Trierer Landeszeitung 1905, 193116. Trierischer Volksfreund 1929,1931,193217. Trierer Volkswacht 192918. Trierische Zeitung vom 1. März 190519. Wahlerhalten der katholischen Bevölkerung Deutsch-

    lands 1932-1933, Hrsg. Katholischer Arbeitskreis fürzeitgeschichtliche Fragen e.V., 2. verbesserte AuflageBonn 1983

    20. Zenz Emil: Wie wählten die Bewohner des TriererRaumes in den Schicksalsjahren 1932 und 1933? in:Jahrbuch des Kreises Trier-Saarburg 1980, S. 225-230

  • Dateiname: Antisem. Übergriffe Trier vor1933

    Verzeichnis: C:\Dokumente und Einstellun-gen\Admin\Desktop

    Vorlage: C:\Dokumente und Einstellun-gen\Admin\Anwendungsdaten\Microsoft\Vorlagen\Normal.dot

    Titel: Antisemitische Übergriffe in derRegion Trier vor 1933

    Thema:Autor: WKStichwörter:Kommentar:Erstelldatum: 09.08.2011 08:03Änderung Nummer: 2Letztes Speicherdatum: 09.08.2011 08:03Zuletzt gespeichert von: WKLetztes Druckdatum: 09.08.2011 08:06Nach letztem vollständigen Druck

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