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MRB Dezember 2017€¦ · zien, die auf eine Ungleichbehandlung bei der Entgeltfin-dung hindeuten, bietet er für alle Beschäftigten, die sich diskriminiert fühlen, Anlass für

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Dezember 2017

ArbeitsrechtArbeitsrecht

ComplianceCompliance

Wirtschafts- und SteuerstrafrechtWirtschafts- und Steuerstrafrecht

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Liebe Leserinnen und liebe Leser, ein bewegendes Jahr geht zu Ende und wir möchten uns bei Ihnen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken.

Unsere Kolleginnen und Kollegen aus den Kompetenz-gruppen Arbeitsrecht, Compliance und Wirtschafts- und Steuerstrafrecht haben für Sie wichtige Neuerungen aus Rechtsprechung und Gesetzgebung zusammengetragen.

Aus der Kompetenzgruppe Arbeitsrecht kommen span-nende Fragen, wie: Ist das Entgelttransparenzgesetz eine Erleichterung oder eine Belastung für Unternehmen? Jahr-zehnte unberührt, nun reformiert - was bedeutet die Reform des Mutterschutzrechts? Was tun mit der Personalakte im Zeitalter der Digitalisierung? Unsere Kollegin aus unserem internationalen Netzwerk Pangea Net erläutert das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz aus Österreich.

Die Kompetenzgruppe Compliance erklärt u.a., wie Com-pliance-Systeme zur Vermeidung von Steuerhinterziehung eingesetzt werden können. Daran schließen sich spannende Neuerungen aus dem Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an.

Besonders freuen wir uns, Ihnen unsere neue Kollegin Rebecca Ganz und unsere neuen Kollegen Ralph Peterkes, Jens Feuerhake und Jens Hanschmidt vorstellen zu können.

Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie eine wundervolle Weihnachtszeit und freuen uns auf ein gemeinsames neues Jahr. Herzlichst Ihr BRANDI Team

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Unsere neuen KollegenUnsere neuen Kollegen

Rebecca Ganz

unterstützt seit Juli 2017 das BRANDI-Team in Hannover in den Gebieten gewerblicher Rechtsschutz und allgemeines Zivilrecht.

Frau Ganz absolvierte während ihres Studiums der Rechtswissenschaft in Bayreuth eine Zusatzausbildung zur Wirtschaftsjuristin (Universität Bayreuth). Nach ihrem Referendariat war sie seit Mai 2016 im Bereich IP/IT bei der Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft in Osnabrück tätig, bevor sie zu BRANDI wechselte.

Ralph Peterkes

unterstützt seit Mitte August 2017 das BRANDI-Team in Hannover im Wirt-schaftsrecht.

Herr Peterkes studierte Rechtswissenschaft in Göttingen mit dem Schwer-punktbereich Versicherungsrecht/Medizinrecht. Das Referendariat absol-vierte Herr Peterkes in Hannover, u.a. mit Stationen bei Göhmann und PwC Legal.

Jens Hanschmidt

unterstützt ab Januar 2018 das BRANDI-Team in Bielefeld in den Gebieten Arbeits- und Arbeitsmigrationsrecht sowie Wirtschaftsrecht.

Herr Hanschmidt berät Unternehmen in allen Fragen des Ausländer- und Arbeitserlaubnisrechts. Herr Hanschmidt studierte Rechtswissenschaft in Passau und Bielefeld mit dem Schwerpunktbereich Einwanderung und soziale Integration. Im Rahmen des Referendariats am Landgericht Bielefeld absol-vierte er u.a. eine Station am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Jens Feuerhake

unterstützt seit Oktober 2017 das BRANDI-Team in Hannover in den Gebieten Unternehmensrecht und allgemeines Zivilrecht.

Herr Feuerhake studierte in Freiburg und Münster, wobei er den universitären Schwerpunkt im deutschen und europäischen Gesellschaftsrecht ablegte. Sein Referendariat am OLG Celle absolvierte er u.a. mit Stationen in einer führenden norddeutschen Wirtschaftskanzlei und in der Prozessrechts- abteilung einer der führenden Wirtschaftskanzleien Neuseelands.

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Inhalt

Arbeitsrecht

Dr. Sören KramerDer richtige Weg zur Lohngleichheit? - Das Entgelttransparenzgesetz .................Seite 5 Bernd KaufholdDie Krankheit als Druckmittel .....................................................................................Seite 6 Dr. Sandra Vyas Neue Entgeltordnung im Bereich der VKA – Erste Erfahrungen .............................Seite 6 Urlaubsanspruch bei veränderter Wochenarbeitszeit .............................................Seite 7 Björn Mai Das neue Mutterschutzrecht .......................................................................................Seite 8 Dr. Christopher Hilgenstock, LL.M. (Wellington) Auswirkungen einer unwirksamen Versetzungsklausel bei der betriebsbedingten Kündigung ...................................................................................Seite 9 Dr. Robert LepsienDie unbillige Weisung des Arbeitgebers - Änderung der Rechtsprechung! ..........Seite 10 Dr. Andrea PirscherIst das wichtig oder kann das weg? - Umgang mit wichtigen Dokumenten bei der Digitalisierung von Personalakten ................................................................Seite 11 Dr. Rainer KrügerWann trägt der Arbeitgeber die Kosten eines Betriebsratsberaters? .....................Seite 12 Dr. Oliver Ebert Unabdingbare Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei der Kündigung von schwerbehinderten Menschen ........................................................Seite 13 Jens HanschmidtEine Mauer mit zahllosen Türen - Arbeitserlaubnisse für ausländische Fach- und Führungskräfte............................................................................................Seite 14 Dr. Anna Mertinz, KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbHMitarbeiterentsendungen nach Österreich Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz 2017 .............................................Seite 14

Compliance

Michael Weber-Blank NLP M. Die Bedeutung von Compliance Systemen zur Vermeidung von Steuerhinterziehung .............................................................................................Seite 16Dr. Sörren KienePflicht zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit ...................................................Seite 17 Uwe Augustin, SCP WENNERNeue Pflichten des Arbeitgebers im Rahmen der Korruptionsbekämpfung in Frankreich ..................................................................................................................Seite 17

Wirtschafts- und Steuerstrafrecht

Dr. Mario Bergmann, LL.M. „Tatort“ wird Realität – Aussagepflicht auch vor der Polizei ...................................Seite 19 Christopher JonesDer Common Reporting Standard - Internationale Zusammenarbeit beim Kampf gegen Steuerhinterziehung...................................................................Seite 20 Rüdiger HitzNeue strafrechtliche Risiken bei der Umsatzsteuererklärung ................................Seite 22

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Der richtige Weg zur Lohngleichheit? Das Entgelttransparenzgesetz

Frauen und Männer erzielen in Deutschland bei vergleich-barer Tätigkeit nach wie vor unterschiedlich hohe Arbeitsein-kommen. Der sogenannte „Gender Pay Gap“ beträgt nach Untersuchungen des Deutschen Bundestages 21%; betrach-tet man nur die gleichen Berufe und Branchen und bezieht nur Beschäftigte mit gleichem Bildungsstand und gleicher Qualifikation in die Betrachtung ein, beträgt die Lücke immer-hin noch 7%. Die Forderung nach gleicher Vergütung für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit ist daher ein „poli-tischer Dauerbrenner“, der sich bereits in zahlreichen gesetz-lichen Regelungen niedergeschlagen hat. Mit Inkrafttreten des „Entgelttransparenzgesetzes“ am 06.07.2017 hat der Gesetzgeber dieser langen Geschichte ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

Neben dem erneuten Gebot, Männer und Frauen hin-sichtlich der Entgeltfindung und der Vergütungszahlung gleich zu behandeln, hat der Gesetzgeber jetzt als zentrale Neuregelung einen Auskunftsanspruch geschaffen: Beschäf-tigte können eine ihrer eigenen Tätigkeit gleiche oder gleich-wertige Tätigkeit benennen und Auskunft zu den Kriterien und zum Verfahren der Entgeltfindung verlangen. Die Aus-kunft muss sich auf das Entgelt des Arbeitnehmers und auf das Entgelt für die Vergleichstätigkeit erstrecken und das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt sowie bis zu zwei wei-tere Entgeltbestandteile (etwa vermögenswirksame Leistun-gen oder Dienstwagen) erfassen.

Eine tatsächliche Diskriminierung wird sich aus der erteil-ten Auskunft allerdings kaum jemals ergeben, da der Arbeit-geber lediglich den statistischen Median des durchschnitt-lichen monatlichen Bruttoentgelts hochgerechnet auf Vollzeitäquivalente für die Vergleichstätigkeit mitteilen muss. Die Antwort auf die Frage, wie aus dem statistischen Median ein individueller Anspruch auf Angleichung der Vergütung abgeleitet werden kann, bleibt der Gesetzgeber schuldig.

Arbeitgeber sind gut beraten, eine entsprechende Aus-kunft auf Verlangen zu erteilen, da bereits die Nicht- oder Schlechtbeantwortung einer entsprechenden Anfrage als Indiz für eine Geschlechterdiskriminierung gewertet werden kann, die nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann.

Der bürokratische Aufwand für die Aufbereitung der rele-vanten Informationen ist erheblich, da zunächst einmal glei-che oder gleichwertige Tätigkeiten identifiziert werden müs-sen und anschließend der Arbeitgeber die Berechnungen zur Beantwortung der Anfrage anstellen muss.

Bemerkenswert ist, dass der Arbeitnehmer sein Aus-kunftsverlangen nicht etwa an den Arbeitgeber zu richten hat, sondern – soweit vorhanden – an den Betriebsrat! Der Arbeit-

geber wiederum ist verpflichtet, dem Betriebsrat die für die Beantwortung notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist der Arbeitgeber berechtigt, die Beant-wortung von Auskunftsverlangen im Einzelfall oder generell an sich zu ziehen. Da derzeit ungeklärt ist, ob und in welchem Rahmen der Arbeitgeber für fehlerhafte Auskünfte des Betriebsrates haftet, kann dies nur dringend empfohlen wer-den!

Nicht jede ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen auf gleichen bzw. gleichwertigen Arbeitsplätzen bedeutet im Übrigen zwangsläufig eine Geschlechterdiskriminierung. Davon geht auch der Gesetzgeber des Entgelttransparenz-gesetzes aus: So können die Arbeitsmarktsituation, die Lei-stung oder die Arbeitsergebnisse des Arbeitnehmers ein unterschiedliches Entgelt rechtfertigen. Auch die Historie von Arbeitsverhältnissen etwa infolge von Betriebsübergängen oder Umwandlungen darf zu unterschiedlichen Vergütungen im selben Betrieb führen. So erfreulich die vom Gesetzgeber anerkannte Rechtfertigungsmöglichkeit ist, so unerfreulich ist es, dass Arbeitgeber ab sofort die Gründe für eine etwaige unterschiedliche Vergütung trotz gleicher oder gleichwertiger Arbeit dokumentieren sollten. Vorteilhaft ist es nämlich, wenn der Arbeitgeber auch noch Jahre nach der Einstellung eines Arbeitnehmers plausible Gründe für die Vergütung des ein-zelnen Arbeitnehmers nennen und dokumentieren kann.

Das Entgelttransparenzgesetz gilt nur für solche Arbeit-geber, die im selben Betrieb mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigen. Kleine und mittlere Unternehmen können den bürokratischen Aufwand, den das Gesetz verursacht, also vermeiden. Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten hingegen, die gleichzeitig verpflichtet sind, nach handels-rechtlichen Vorschriften einen Lagebericht zu veröffentlichen, sind „aufgefordert“, einen Bericht zur Gleichstellung und Ent-geltgleichheit zu verfassen und mit dem Jahresabschluss zu veröffentlichen. Eine Verpflichtung hierzu besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht. Arbeitgeber sind daher gut beraten, einen solchen Bericht nicht zu verfassen: Wenn der Bericht keinen Anlass gibt, über Entgeltungleichheit nachzu-denken, ist er überflüssig. Enthält der Bericht hingegen Indi-zien, die auf eine Ungleichbehandlung bei der Entgeltfin-dung hindeuten, bietet er für alle Beschäftigten, die sich diskriminiert fühlen, Anlass für Klagen auf Lohnanpassung.

Fazit

Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, eine gleiche Vergütung von Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit zu erreichen, ist und bleibt richtig. Einer weiteren gesetzlichen Anspruchsgrundlage hätte es allerdings ange-sichts zahlreicher Vorgängerregelungen, insbesondere angesichts des AGG, nicht bedurft. Der vom Gesetzgeber in - vermuteter - guter Absicht geschaffene Auskunftsanspruch führt bei der individuellen Durchsetzung von Angleichungs-ansprüchen kaum jemals weiter. Der bürokratische Aufwand,

Arbeitsrecht

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der bei der Beantwortung der Auskunftsverlangen entsteht, ist auch für eine gut organisierte Personalabteilung erheblich. Ungeachtet dessen birgt das Gesetz noch eine Fülle hand-werklicher Fehler, die zu Auslegungsproblemen führen und die Anwendung des Gesetzes erschweren werden.

Das Entgelttransparenzgesetz führt zu einer weiteren Belastung der Unternehmen. Der sich für den einzelnen Arbeitnehmer (bzw. für die einzelne Arbeitnehmerin) erge-bende Nutzen steht hierzu in keinem Verhältnis, da sich aus den erteilten Auskünften kaum jemals eindeutig eine Diskri-minierung ableiten lassen dürfte.

Dr. Sören Kramer RechtsanwaltFachanwalt für ArbeitsrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Die Krankheit als Druckmittel

Gerade in „gestressten“ Arbeitsverhältnissen werden Arbeit-nehmer häufig für längere Zeiträume krankgeschrieben. Der aus der Krankschreibung resultierende wirtschaftliche Nach-teil des Arbeitgebers ist überschaubar. Grundsätzlich ist die Entgeltfortzahlungspflicht auf 6 Wochen begrenzt. Dies gilt aber nur, wenn die Arbeitsunfähigkeit durchgängig auf der gleichen Krankheit beruht. Bei Krankschreibungen aufgrund eines anderen Krankheitsbildes beginnt der Entgeltfortzah-lungszeitraum erneut. Dieser Umstand wird von einigen Arbeitnehmern in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen ganz bewusst als Druckmittel gegen den Arbeitgeber einge-setzt. Am Ende eines Sechswochenzeitraums lassen sich diese Arbeitnehmer mit einer Erstbescheinigung nahtlos wegen einer anderen Krankheit die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Oft werden hierbei die Ärzte ausgetauscht. Spezialisten dieses Stilmittels schaffen es, die Entgeltfort-zahlungszeiträume zu vervielfachen und monatelang in der Arbeitsunfähigkeit zu verbleiben, ohne aus der Entgeltfort-zahlung zu fallen. Der Schaden für den Arbeitgeber ist erheb-lich.

Schäden sind vermeidbar

Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen genießen in arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen einen hohen Stellenwert. Gleichwohl ist es für den Arbeitgeber verhältnis-mäßig einfach, der missbräuchlichen Verlängerung von Entgeltfortzahlungszeiträumen wirksam entgegenzuwirken. Erforderlich ist die Kenntnis der Darlegungs- und Beweislast im Krankheitsfall.

Der Fall

Der Kläger war vom 09.09.2013 bis einschließlich Sonntag, den 20.10.2013 krankgeschrieben. Am Montag den 21.10.2013 attestierte der Hausarzt mit einer Erstbescheini-gung die Arbeitsunfähigkeit wegen einer erneuten Erkran-

kung. Der Kläger blieb bis in den Dezember erkrankt. Der Arbeitgeber zahlte das Gehalt des Klägers (nur) für die ersten 6 Wochen der krankheitsbedingten Fehlzeit, also vom 09.09.2013 bis zum 20.10.2013. Mit der Klage verfolgte der Kläger die Fortzahlung seines Gehalts durch den Arbeitgeber über den 20.10.2013 hinaus.

Nachdem der Kläger in der ersten Instanz zunächst Recht bekam, vernahm das Landesarbeitsgericht den Hausarzt des Klägers als Zeugen. Hierbei konnte nicht geklärt werden, ob die neue Erkrankung des Klägers, aufgrund derer er ab dem 21.10.2013 krankgeschrieben war, die Arbeitsunfähigkeit nicht schon vor dem 21.10.2013 bedingt hatte. Das LAG und das BAG (Urt. vom 25.05.2016) wiesen nachfolgend die Klage ab.

Rechtlicher Hintergrund

Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls liegt keine Neuerkrankung vor, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Erkrankung auftritt, die eben-falls zur Arbeitsunfähigkeit führt. Ein neuer Entgeltfortzah-lungsanspruch besteht nur dann, wenn die erste Arbeits- unfähigkeit bereits beendet war. D.h., dass der Arbeitnehmer zwischen zwei Erkrankungen tatsächlich arbeitsfähig gewe-sen sein muss und sei es nur für wenige außerhalb der Arbeitszeiten gelegene Stunden. Die Beweislast für den Umstand, dass die Arbeitsfähigkeit zwischen zwei Krank-heitszeiträumen tatsächlich wieder hergestellt war, trägt der Arbeitnehmer. Dieser Beweis wird bei zwei unmittelbar aufei-nander folgenden Krankheitszeiträumen in vielen Fällen schwer zu führen sein.

Fazit

Besteht der Verdacht, dass der Arbeitnehmer bewusst und missbräuchlich auf die Verlängerung der Entgeltfortzah-lungszeiträume hinwirkt, sollte der Arbeitgeber die Entgelt-fortzahlung nach den ersten sechs Wochen trotz einer erneuten Erstbescheinigung des Arztes einstellen. In dem nachfolgenden Verfahren muss der Arbeitgeber bestreiten, dass der Arbeitnehmer zwischen den zwei unmittelbar auf-einander folgenden Arbeitsunfähigkeitszeiträumen zwischen-zeitlich wieder arbeitsfähig war. Das Risiko der Nichter- weislichkeit dieser Tatsache trägt der Arbeitnehmer.

Bernd Kaufhold Rechtsanwalt und Mediator Fachanwalt für Arbeitsrecht Fachanwalt für Strafrecht BRANDI Rechtsanwä[email protected]

Neue Entgeltordnung im Bereich der VKA – Erste Erfahrungen

Nach mehrjährigen Verhandlungen trat zum 01.01.2017 eine neue Entgeltordnung für kommunale Beschäftigte in Betracht.

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Die neue Entgeltordnung orientiert sich an den bisherigen Strukturen. In zahlreichen Entgeltgruppen wurden veraltete Tätigkeitsmerkmale erneuert und ergänzt. Die üblichen Struk-turen der Tätigkeitsmerkmale blieben weitgehend unverän-dert.

Durchbrechung der Tarifautomatik

Wichtig ist für kommunale Arbeitgeber zu wissen, dass mit Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung die Tarifautomatik z. T. ausgesetzt wurde. Grundsätzlich gilt im Anwendungsbe-reich des TVöD das Prinzip der Tarifautomatik, nach dem ein Beschäftigter in die Entgeltgruppe eingruppiert ist, deren Tätigkeitsmerkmale der gesamten nicht nur vorübergehend auszuübenden Tätigkeit entsprechen. Dieser Grundsatz wurde mit der neuen Entgeltordnung eingeschränkt. In den Besitzstandsregelungen des TVÜ-VKA ist geregelt, dass die Überleitung unter Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit erfolgt und eine Überprüfung und Neufeststellung der Eingruppie-rung aufgrund der Überleitung nicht stattfindet. Die Frage, welche Folgen es hat, wenn ein Beschäftigter am 31.12.2016 falsch eingruppiert war, wurde von den Tarifvertragsparteien nicht geregelt. Es bleibt abzuwarten, wie diese Frage von den Gerichten entschieden wird.

Eine tarifautomatische Überleitung in die neue Entgelt-ordnung erfolgt nur für Beschäftigte der Entgeltgruppe 9 und der Entgeltgruppe 13 plus Zulage. In den anderen Fällen erfolgt eine Überleitung nur bei einer Änderung der auszu-übenden Tätigkeit.

Antrag auf Höhergruppierung vom 01.01.2017 bis 31.12.2017

Wäre ein Mitarbeiter nach der neuen Entgeltordnung in eine höhere Entgeltgruppe eingruppiert, so kann er befristet für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2017 einen Antrag auf Höhergruppierung stellen. Von diesem Antragsrecht wird nach den bisherigen Erfahrungen nur sporadisch Gebrauch gemacht. Mit dem Antrag wird die Tarifautomatik wieder in Kraft gesetzt und der beantragende Mitarbeiter ist an das Ergebnis der Bewertung seiner Tätigkeit gebunden. Dies kann in Einzelfällen zu finanziellen Nachteilen aufgrund unterschiedlicher Stufenlaufzeiten führen. Ob ein solcher Antrag sinnvoll ist, muss der einzelne Mitarbeiter sorgfältig prüfen. Die kommunalen Arbeitgeber sind gut beraten, keine Vergleichsberechnungen für die Mitarbeiter anzustellen, da sie schlechtestenfalls für Fehler in der Ermittlung der finanzi-ellen Folgen eines Antrags auf Höhergruppierung haften könnten.

Dr. Sandra VyasRechtsanwältinFachanwältin für ArbeitsrechtFachanwältin für Bau- und ArchitektenrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Urlaubsanspruch bei veränderter Wochenarbeitszeit

Das BAG stellte im März 2017 eine konkrete Berechnungsfor-mel vor, nach der der Urlaub zu berechnen ist, wenn sich die Anzahl der Wochenarbeitstage innerhalb des Kalenderjahres verändert. Im entschiedenen Fall hatte sich die Arbeitsvertei-lung einer Mitarbeiterin von 4-Wochentagen auf 5-Wochen-tage innerhalb eines Jahres erhöht. Auf den dem Urteil zugrunde liegenden Fall fand der Tarifvertrag für den öffentli-chen Dienst (TVöD) Anwendung. Dort ist - wie in vielen Tarifverträgen - der Urlaubsanspruch ausgehend von einer 5-Tage-Woche geregelt. Ferner heißt es: „Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit (...) erhöht oder ver-mindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend.“

Das BAG stellt klar, dass tariflicher Referenzzeitraum das gesamte Kalenderjahr ist, das sich nicht aufspalten lasse. Sinn und Zweck der Umrechnung sei es, die Gleichwertigkeit der Urlaubsdauer, unabhängig von der Anzahl der wöchent-lichen Arbeitstage, sicherzustellen. Ändere sich die Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht, bevor der Arbeitnehmer den gesamten Urlaub in Anspruch genommen habe, so ist der noch zu gewährende Urlaub wie folgt zu berechnen:

Die Anzahl der zum Zeitpunkt des Wechsels noch nicht genommenen Urlaubstage wird mit dem Quotienten multipli-ziert, der sich aus der Anzahl der Wochenarbeitstage unter dem neuen Arbeitszeitregime und der Anzahl der Wochenar-beitstage unter dem alten Arbeitszeitregime ergibt. Konkret bedeutet dies Folgendes:

Resturlaubstage (alt) x Wochenarbeitstage neu/Wochenarbeitstage alt = Resturlaubstage neu

Beispiel 1:

Ein Arbeitnehmer arbeitet bis zum 31.08.2017 an fünf Tagen pro Woche. Er hat 30 Tage (6 Wochen) Urlaub im Kalender-jahr. Von diesem Urlaub hat er bis zum 31.08.2017 20 Tage genommen. Es verbleiben 10 Urlaubstage. Ab dem 01.09.2017 arbeitet der Mitarbeiter nur noch an vier Tagen pro Woche. Daraus ergibt sich folgender Resturlaubsan-spruch:

10 x 4/5 = 8 Tage Resturlaub (neu)

Beispiel 2:

Ein Arbeitnehmer arbeitet bis zum 31.08.2017 an vier Tagen pro Woche. Für die 4-Tage-Woche hat er im gesamten Kalen-derjahr 24 Tage (6 Wochen) Urlaub. Von diesem Urlaub hat der Arbeitnehmer bis zum 31.08.2017 20 Tage genommen. Es verbleiben 4 Urlaubstage, ausgehend von einer 4-Tage-Woche. Seit dem 01.09.2017 arbeitet der Arbeitnehmer an fünf Wochentagen. Die Umrechnung kommt zu folgendem Ergebnis:

4 x 5/4 = 5 Tage Resturlaub (neu)

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Beispiel 3:

Ein Arbeitnehmer arbeitet bis zum 31.08.2017 an vier Tagen pro Woche. Für die 4-Tage-Woche hat er im gesamten Kalen-derjahr 24 Tage (6 Wochen) Urlaub. Von diesem Urlaub hat der Arbeitnehmer bis zum 31.08.2017 alle 24 Tage genom-men. Seit dem 01.09.2017 arbeitet der Arbeitnehmer an 5 Wochentagen. In diesem Fall ist der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers bereits für das gesamte Kalenderjahr erfüllt, auch wenn sich die Anzahl der Arbeitstage ab dem 01.09.2017 auf fünf Tage erhöht hat.

0 x 5/4 = 0 Tage Resturlaub (neu) Der maßgebliche Zeitpunkt für die Berechnung des Urlaubs ist der Zeitpunkt, an dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub gewährt. Unter Berücksichtigung der 4-Tage-Woche zum Zeitpunkt der Urlaubsgewährung hatte der Arbeitnehmer 6 Wochen Urlaub im Kalenderjahr und der Urlaubsanspruch ist (bereits vor Änderung der Wochenarbeitstage) erfüllt.

Dr. Sandra VyasRechtsanwältinFachanwältin für ArbeitsrechtFachanwältin für Bau- und ArchitektenrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Das neue Mutterschutzrecht

In diesem Jahr wurde das Mutterschutzrecht erstmals seit Jahrzehnten umfangreich reformiert. Bereits zum 30.05.2017 haben u.a. der viermonatige Sonderkündigungsschutz für Arbeitnehmerinnen, die nach der zwölften Schwanger-schaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, und die Verlänge-rung der Schutzfrist nach der Entbindung von acht auf zwölf Wochen für Mütter von Kindern mit einer Behinderung Einzug in das „bisherige“ Mutterschutzgesetz (MuSchG) gehalten. Alle weiteren Änderungen dieser Novelle treten zum 01.01.2018 in Kraft, wodurch das MuSchG zu Jahresbeginn an einigen Stellen grundlegend geändert und damit einher-gehend auch manche Regelung an anderer Stelle zu finden sein wird.

Bisher galt das MuSchG nur für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind. Nunmehr erfolgt eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des MuSchG, die jedoch in Teilen bloß eine Klarstellung dar-stellt. So galt das „bisherige“ MuSchG beispielsweise auch für Auszubildende.

Nunmehr wird sich der Anwendungsbereich des MuSchG (mit Ausnahme des Sonderkündigungsschutzes und des Anspruchs auf Mutterschutzlohn bzw. Mutterschaftsgeld) auch auf Schülerinnen und Studentinnen erweitern, die ein schulrechtliches Pflichtpraktikum absolvieren - also Prakti-kantinnen, die nicht ohnehin als Arbeitnehmerinnen einzu-ordnen sind.

Praktische Bedeutung dürfte aber vor allem die Auswei-tung des Anwendungsbereichs (mit Ausnahme des An-spruchs auf Mutterschutzlohn bzw. Mutterschaftsgeld) auf arbeitnehmerähnliche Personen haben. Eine selbständige Unternehmerin, die zwar wegen fehlender Eingliederung in eine betriebliche Organisation nicht persönlich, wohl aber wirtschaftlich von ihrem Auftraggeber abhängig ist, kann künftig den gesetzlichen Mutterschutz beanspruchen. Ver-träge können dann nicht ordentlich gekündigt werden, solange noch die einschlägigen Schutzfristen des MuSchG laufen. Relevant dürfte dies insbesondere bei Handelsvertre-terinnen werden.

Besonderes Augenmerk verdient der Sonderkündigungs-schutz, der nun auch auf Maßnahmen erstreckt wird, die lediglich der Vorbereitung einer Kündigung dienen. Das betrifft insbesondere die gesetzlichen Mitwirkungsrechte. Die Anhörung des Betriebsrats oder eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist unzulässig, solange noch die Schutzfristen des MuSchG laufen. Trifft der Arbeitgeber während des Sonderkündigungsschutzes Vorbereitungs-maßnahmen, ist die anschließende Kündigung nichtig. Dies wird in vielen Fällen zu einer faktischen Verlängerung des Sonderkündigungsschutzes führen, da es dem Arbeitgeber schlicht nicht mehr möglich sein wird, eine Kündigung direkt im Anschluss an das Ende der Schutzfrist auszusprechen.

Des Weiteren gilt das Kündigungsverbot künftig minde-stens solange, wie auch ein Beschäftigungsverbot besteht. Praktisch relevant kann dies bei der vorzeitigen Entbindung von Mehrlingen oder eines Kindes mit Behinderung werden.

Flexibilisiert wurden die Beschäftigungsmöglichkeiten von stillenden und schwangeren Arbeitnehmerinnen wäh-rend der Nachtzeit und an Sonn- bzw. Feiertagen. Schwan-gere oder stillende Frauen dürfen künftig bis 22 Uhr beschäf-tigt werden, wenn die Arbeitnehmerin einwilligt, aus ärztlicher Sicht nichts dagegen spricht und eine „unverantwortbare Gefährdung“ der Frau oder ihres Kindes durch eine „nächt-liche Alleinarbeit“ ausgeschlossen ist. Dies erfordert, dass sichergestellt ist, dass die Arbeitnehmerin ihren Arbeitsplatz jederzeit verlassen oder Hilfe erreichen kann. Die Arbeitneh-merin kann ihre Einverständniserklärung zur Nachtarbeit jederzeit widerrufen. Eine Beschäftigung zwischen 22 und 6 Uhr ist denkbar, aber nur in „besonders begründeten Einzel-fällen“ zulässig.

Beide Konstellationen setzen eine Erlaubnis der Auf-sichtsbehörde voraus. Bei einer Beschäftigung vor 22 Uhr darf die Arbeitnehmerin jedoch bereits ab Antragstellung vor-läufig eingesetzt werden. Lehnt die Behörde den Antrag nicht innerhalb von sechs Wochen ab, gilt er als genehmigt.

Unter ähnlichen Voraussetzungen, jedoch ohne das Erfordernis einer behördlichen Erlaubnis, dürfen schwangere oder stillende Frauen auch an Sonn- und Feiertagen beschäf-tigt werden.

Für besonderes Aufsehen dürfte auch die neue Rege-lung zur allgemeinen Gefährdungsbeurteilung sorgen. Ab 01.01.2018 hat der Arbeitgeber bei jeder Gefährdungsbeur-teilung die Tätigkeit auch daraufhin zu überprüfen, ob und

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gegebenenfalls in welchem Ausmaß sich mit ihr Risiken für schwangere, stillende Arbeitnehmerinnen oder deren Kinder verbinden könnten und welche Schutzmaßnahmen erforder-lich sind. Eine solche Überprüfung ist nunmehr „anlasslos“ durchzuführen, also auch dann, wenn die jeweilige Stelle durch einen Mann oder eine nicht geschützte Frau besetzt ist und auch in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, dass ihn eine Arbeitnehmerin einnehmen wird. Im Falle der Nichtbeach-tung sieht das neue Mutterschutzrecht Bußgelder bis 5.000,00 Euro vor. Dieser Ordnungswidrigkeitstatbestand tritt jedoch erst zum 01.01.2019 in Kraft, womit Arbeitgebern ausreichend Zeit gegeben werden soll, die entsprechenden Beurteilungen vorzunehmen bzw. vorhandene Beurteilungen anzupassen.

Björn MaiRechtsanwaltBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Auswirkungen einer unwirksamen Versetzungs-klausel bei der betriebsbedingten Kündigung

In zahlreichen Arbeitsverträgen sind Versetzungsklauseln enthalten. Abgesehen von der Frage, in welchem Umfang der Einsatz eines Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis geändert werden kann, kommt der Versetzungsklausel auch im Falle einer betriebsbedingten Kündigung eine besondere Bedeutung zu. Die Versetzungsklausel hat entscheidenden Einfluss auf den Kreis der in eine Sozialauswahl einzube-ziehenden Arbeitnehmer. Ist eine Versetzungsklausel unwirk-sam, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber sich zu seinen Gunsten auf die Unwirksamkeit der Versetzungsklausel beru-fen kann.

1. Bedeutung von Versetzungs- und Umsetzungs- klauseln im Arbeitsverhältnis

Grundsätzlich gilt, dass im Rahmen eines Arbeitsverhält-nisses der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach billigem Ermessen bestimmen kann. Dies gilt allerdings nur so weit, wie der Inhalt der Tätigkeit nicht durch anderwei-tige Regelungen – insbesondere durch den Arbeitsvertrag – festgelegt ist. Hier gilt generell, dass, je allgemeiner die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bzw. seine Funktion bezeich-net ist, umso „freier“ ist der Arbeitgeber, den Arbeitnehmer einzusetzen. Hierbei hat der Arbeitgeber „billiges Ermessen“ zu wahren, also auch die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Dies bedeutet insbesondere, dass er dem Arbeitnehmer nicht ohne Weiteres Aufgaben zuweisen kann, die nicht gleichwertig und zumutbar sind. Der Regelfall dürfte allerdings der sein, dass ein Arbeitnehmer arbeitsvertraglich für eine bestimmte Position bzw. Funktion eingestellt wird, wodurch das Direktionsrecht des Arbeitnehmers zunächst einmal eingeschränkt wird. Um dem entgegenzuwirken, wird in Arbeitsverträgen üblicherweise eine Versetzungs- oder Umsetzungsklausel aufgenommen, die es dem Arbeitgeber ermöglichen soll, den Arbeitnehmer mit anderen fachlichen

Tätigkeiten und/oder an einem anderen Tätigkeitsort zu beschäftigen. Derartige Klauseln sind so lange unbedenklich, wie sie dem oben dargestellten gesetzlich vorgesehenen Direktionsrecht entsprechen. Voraussetzung hierfür ist dann insbesondere auch, dass in der Klausel klargestellt wird, dass dem Arbeitnehmer nur eine „gleichwertige“ Tätigkeit zugewiesen werden kann. Ist eine Versetzungsklausel dem-entgegen so gestaltet, dass sie auch die Zuweisung von geringwertigeren Tätigkeiten ermöglichen könnte, dürfte sie regelmäßig unwirksam sein. Die Folge wäre, dass etwa die Zuweisung einer anderen Tätigkeit als der, die im Arbeitsver-trag vorgesehen ist, einseitig vom Arbeitgeber nicht im Wege der Versetzung durchgesetzt werden könnte. Der Arbeitge-ber müsste ggf. eine Änderungskündigung aussprechen.

2. Versetzungs- und Umsetzungsklauseln im Rahmen der Sozialauswahl

Abgesehen von dem oben Gesagten, spielen Versetzungs-klauseln im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen eine nicht unwesentliche Rolle. Zur Erinnerung: Trifft ein Unternehmer eine unternehmerische Entscheidung, die – etwa durch die Streichung bestimmter Positionen – zu einem Arbeitskräfteüberhang und damit zum Wegfall des Beschäfti-gungsbedarfs führt, kann er grundsätzlich betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Um festzustellen, welchem Arbeitnehmer eine Kündigung auszusprechen ist, ist in einem zweiten Schritt eine Sozialauswahl durchzuführen, durch die sichergestellt werden soll, dass der „sozial am wenigsten schutzwürdige“ Arbeitnehmer gekündigt wird. Führt eine unternehmerische Entscheidung beispielsweise nur zu dem Wegfall einer bestimmten Position, sind in die Sozialauswahl alle Arbeitnehmer derselben Hierarchieebene einzubeziehen, die mit dem „vorrangig betroffenen“ Arbeitnehmer, dessen Stelle wegfällt, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ver-gleichbar sind. Da die Sozialauswahl betriebsbezogen durch-zuführen ist, kommen hierfür grundsätzlich zunächst allein Mitarbeiter desselben Betriebes in Betracht. Tatsächlich ver-gleichbar sind hier solche Arbeitnehmer, deren Stelle der Arbeitnehmer – ggf. nach einer angemessenen Einarbei-tungszeit – tatsächlich übernehmen könnte. Rechtlich ver-gleichbar sind solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsaufgaben dem vorrangig betroffenen Arbeitnehmer im Wege des Direk-tionsrechts einseitig zugewiesen werden können. Hier gilt: Je größer der Kreis der einzubeziehenden Arbeitnehmer ist, umso besser ist der Arbeitnehmer geschützt; je kleiner der Kreis einzubeziehenden Arbeitnehmer ist, desto „sicherer“ kann der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung gestalten. Existieren ggf. gar keine vergleichbaren Arbeitneh-mer, muss der Arbeitgeber auch keine Sozialauswahl durch-führen.

Umstritten und noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, welche Auswirkungen die Vereinbarung einer unwirk-samen Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag auf den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer hat. Kommt es zum Kündigungsschutzprozess, wird der Arbeitnehmer sich regelmäßig darauf berufen, dass eine Sozialauswahl durchgeführt werden müsste, in die alle in tat-sächlicher Hinsicht mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer, auf deren Position er aufgrund der – unwirksamen – Verset-

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zungsklausel versetzt werden könnte, einzubeziehen wären. Sollten hierunter Arbeitnehmer sein, die sozial weniger schutzwürdig als der bereits gekündigte Arbeitnehmer sind, steht die Unwirksamkeit der Kündigung im Raum.

Es stellt sich daher die Frage, ob der Arbeitgeber im Rah-men des Kündigungsschutzprozesses argumentieren kann, dass der Einbeziehung der weiteren Arbeitnehmer in eine Sozialauswahl die Unwirksamkeit der Versetzungsklausel entgegensteht.

In der Literatur wird in diesem Zusammenhang vertreten, dass der Arbeitgeber trotz Unwirksamkeit einer Versetzungs-klausel eine erweiterte Sozialauswahl durchzuführen habe. Dies entspreche dem Grundsatz, dass sich ein Verwender nicht auf die Unwirksamkeit der von ihm selbst erstellten arbeitsvertraglichen Klausel berufen darf. Dem Arbeitgeber stehe es frei, wirksame Versetzungsklauseln im Arbeitsver-trag zu vereinbaren, sodass er das vollständige Risiko einer Klauselunwirksamkeit tragen müsse.

Dieses Verständnis ist sicherlich nicht völlig von der Hand zu weisen, führt aber andererseits zu einer nicht unerheb-lichen „rechtlichen Schieflage“, die schwer aufzulösen ist. Insoweit könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass in diesem Fall eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen ist, nach dem der Arbeitgeber sich nicht auf die Unwirksam-keit einer von ihm selbst gestellten Regelung berufen darf.

Zum einen ist zu beachten, dass die Frage der Wirksam-keit oder Unwirksamkeit der Versetzungsklausel nicht nur das Verhältnis des Arbeitgebers zu einem Arbeitnehmer betrifft, sondern davon über die Sozialauswahl auch die Rechtsstellung anderer Arbeitnehmer berührt wird, deren Arbeitsverhältnisse dann ggf. zu kündigen wären. Überdies würde es, wenn man dem Arbeitgeber verwehren würde, sich auf die Unwirksamkeit der Versetzungsklausel im Rahmen der Sozialauswahl zu berufen, dazu führen, dass der Arbeit-geber ggf. einen anderen Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz kündigen müsste und es ihm im Nachhinein wegen der Unwirksamkeit der Versetzungsklausel verwehrt wäre, den ursprünglich betroffenen Arbeitnehmer auf den „freigekündigten“ Arbeitsplatz zu versetzen. Hier wäre der Arbeitgeber dann ggf. dazu gezwungen, dem ursprünglich vorrangig betroffenen Arbeitnehmer eine Änderungskündi-gung auszusprechen.

Insgesamt sprechen daher wohl gute Argumente dafür, einem Arbeitgeber das Recht zuzubilligen, sich im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses auf die Unwirksamkeit der Versetzungsklausel in Bezug auf die Sozialauswahl zu beru-fen.

Nichtsdestotrotz bleibt es dabei, dass diese Frage in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt ist. Klargestellt wurde wohl nur, dass ein Arbeitgeber sich dann nicht auf die Unwirksamkeit einer Versetzungsklausel im Kündigungs-schutzprozess berufen kann, wenn er sich im laufenden Arbeitsverhältnis bereits mehrfach die unwirksame Klausel zu Nutze gemacht hat. Insgesamt stellt die dargestellte Argu-mentation damit eher einen „Notnagel“ für solche Fälle dar, in denen sich der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess

auf eine Vergleichbarkeit mit ggf. nicht im Rahmen der Sozial-auswahl berücksichtigten sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmern beruft und eine unwirksame Versetzungs-klausel im Arbeitsvertrag enthalten ist. Um Rechtsunsicher-heiten zu vermeiden, ist es sicherlich vorzugswürdig, von vornherein wirksame und angemessene Versetzungsklau-seln in Arbeitsverträgen zu vereinbaren und auch die kor-rekte Durchführung einer Sozialauswahl sicherzustellen.

Dr. Christopher Hilgenstock, LL.M. (Wellington)RechtsanwaltFachanwalt für ArbeitsrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Die unbillige Weisung des Arbeitgebers - Änderung der Rechtsprechung!

Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ist ein prägendes Merkmal für ein Arbeits-verhältnis. Die Arbeitsbedingungen eines Arbeitnehmers werden regelmäßig durch Arbeitsverträge, Bestimmungen in Betriebsvereinbarungen, anwendbare Tarifverträge oder gesetzliche Vorschriften nur rahmenmäßig festgelegt. Soweit Arbeitsbedingungen nur rahmenmäßig festgeschrieben sind, kann der Arbeitgeber diese durch Ausübung seines Wei-sungsrechts einseitig festlegen. Das Weisungsrecht (oder auch Direktionsrecht) erstreckt sich auf den Inhalt, den Ort und die Zeit der Arbeitsleistung. Der Arbeitgeber bestimmt in diesem Rahmen beispielsweise, ob er einen bei ihm beschäf-tigten Verkäufer an der Kasse oder auf der Fläche einsetzen möchte, ob sein Mitarbeiter eine bestimmte Arbeitskleidung zu tragen hat oder in welcher Schicht und in welcher seiner Filialen er seine Mitarbeiter einsetzt. Der Arbeitgeber muss das Weisungsrecht aber nach billigem Ermessen ausüben. Die Wahrung billigen Ermessens setzt voraus, dass die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die bei-derseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Was aber gilt, wenn eine arbeitgeberseitige Weisung unbillig ist, weil der Arbeitgeber z. B. bei der Festlegung der Arbeits-zeit einer alleinerziehenden Mutter oder eines alleinerziehen-den Vaters nicht hinreichend auf deren familiäre Interessen, nämlich die Betreuungsbedürftigkeit eines Kindes, Rücksicht genommen hat? Muss sich ein Mitarbeiter in einem solchen Fall der unbilligen Weisung zunächst beugen und um gericht-lichen Rechtsschutz suchen oder darf er die Arbeitsleistung verweigern?

Der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts erkannte in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012, dass ein Arbeitnehmer sich über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts nicht hinwegsetzen dürfe, sondern die Gerichte für Arbeitssachen anrufen müsse. Wegen der das Arbeitsverhältnis prägenden Weisungsgebundenheit sei der Arbeitnehmer an die durch die Ausübung des Weisungsrechts erfolgte Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses vorläufig gebunden, bis durch ein rechtskräftiges Urteil die Unverbindlichkeit der Leistungsbe-stimmung feststehe. Damit blieb einem Arbeitnehmer in der Praxis nichts anderes übrig, als der unbilligen Weisung sei-nes Arbeitgebers zunächst Folge zu leisten und deren Unver-

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bindlichkeit in einem oftmals langen Rechtsstreit feststellen zu lassen. Demgegenüber setzte sich ein Arbeitgeber in sol-chen Fällen kaum einem Risiko aus. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stieß deshalb auf heftige Kritik und wurde nicht ganz zu Unrecht unter anderem als „eine Spiel-wiese für trennungswillige Arbeitgeber“ bezeichnet.

Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit einem Beschluss vom 14.06.2017 eine von der Entscheidung des 5. Senats aus dem Jahr 2012 abweichende Rechtsauffas-sung vertreten. Auf Anfrage des 10. Senats hat der 5. Senat zwischenzeitlich erkannt, an seiner Rechtsauffassung aus dem Jahr 2012 nicht festzuhalten. Danach gilt nunmehr fol-gendes: Ein Arbeitnehmer ist an eine Weisung des Arbeitge-bers nicht - auch nicht vorläufig - gebunden, welche die Gren-zen billigen Ermessens nicht wahrt. Der Arbeitnehmer darf die Erfüllung einer unbilligen Weisung des Arbeitgebers also sofort verweigern. Er muss nicht zunächst eine gerichtliche Klärung über die Rechtmäßigkeit der arbeitgeberseitigen Weisung herbeiführen.

Das führt keineswegs dazu, dass ein Arbeitnehmer sich ohne jedes Risiko Weisungen widersetzen darf, weil er sie für unbillig hält. Akzeptiert der Arbeitnehmer eine Weisung - die er als unbillig ansieht - nicht, und erbringt keine Arbeitslei-stung, setzt er sich der Gefahr disziplinarischer Maßnahmen bis hin zu einer fristlosen Kündigung des Arbeitgebers wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung aus. Ebenso verliert der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch, wenn die Wei-sung des Arbeitgebers entgegen seiner Einschätzung recht-mäßig war. Insbesondere trägt der Arbeitnehmer auch das Risiko, ob ein Gericht im Rahmen der Prüfung seine Ein-schätzung teilt. Auf der anderen Seite trägt der Arbeitgeber infolge dieser geänderten Rechtsprechung das Annahmever-zugsrisiko. Fügt sich der Arbeitnehmer einer unbilligen Wei-sung nicht, bleibt der Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung des Arbeitnehmers verpflichtet, ohne eine Gegenleistung in Gestalt der Arbeitsleistung erhalten zu haben. Dies dürfte auch im Ergebnis eine angemessene Risikoverteilung sein.

Dr. Robert LepsienRechtsanwalt und NotarFachanwalt für ArbeitsrechtFachanwalt für Handels- und GesellschaftsrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Ist das wichtig oder kann das weg? - Umgang mit wichtigen Dokumenten bei der Digitalisierung von Personalakten

Keine Personalverwaltung kommt ohne Personalakten aus. Die Digitalisierung macht auch vor der Personalabteilung kei-nen Halt. Die elektronische Personalakte hat viele Vorteile: Elektronische Dokumente verbrauchen nur Speicherplatz, aber keinen Raum für Aktenschränke. Sie erleichtern zudem den (zeitgleichen) Zugriff mehrerer Nutzer, deren Nutzungs-rechte zudem individuell vergeben werden können.

Am einfachsten ist es für den Arbeitgeber, alle Unterlagen aus der Personalakte einzuscannen und digital zu archivie-ren. Es ist aber dringend zu empfehlen, bestimmte Doku-mente trotzdem zusätzlich im Original in einer Papierakte aufzubewahren. Der Arbeitgeber kann sonst nämlich im Streitfall unter Umständen in (teure) Beweisnot geraten. Das sollen folgende Beispielfälle illustrieren:

- Der Arbeitgeber schließt mit dem Arbeitnehmer einen befri-steten Arbeitsvertrag, der beiderseits ordnungsgemäß unterzeichnet wird. Anschließend wird der Vertrag einge-scannt, der elektronischen Personalakte zugeführt und das Papierdokument vernichtet. Der Arbeitnehmer erhebt nach Ablauf der Befristung eine Entfristungsklage und behauptet, der Vertrag sei nicht von beiden Parteien unterzeichnet worden. Das einzige, was er vorlegen könne, sei der damals per E-Mail übermittelte Vertragsentwurf. Danach habe er angefangen zu arbeiten.

- Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbarten 2009 ein nach-vertragliches Wettbewerbsverbot. Der Vertrag wurde von beiden Seiten unterzeichnet. Der Arbeitnehmer erhielt eine vom Arbeitgeber unterzeichnete Fassung. Im Jahre 2010 wurden alle Personalakten eingescannt und die Papierak-ten anschließend komplett vernichtet. Der Arbeitnehmer scheidet im Jahre 2017 aufgrund Eigenkündigung aus und wechselt sofort zum Haupt-Wettbewerber des Arbeitge-bers. Der Geschäftsführer, der die Vereinbarung unter-schrieb, ist 2011 verstorben; der damalige Personalleiter ist 2012 ins Ausland ausgewandert; sein Wohnsitz ist unbe-kannt. Wer 2010 die Personalakten eingescannt und dann vernichtet hat, kann nicht mehr aufgeklärt werden. Der Arbeitnehmer wird auf Unterlassung von Wettbewerb in Anspruch genommen. Er behauptet, eine beiderseits ord-nungsgemäß unterzeichnete nachvertragliche Wettbe-werbsabrede gebe es gar nicht. Es sei damals nur eine eingescannte Unterschrift des Geschäftsführers verwen-det worden.

In beiden Fällen kann der Arbeitgeber in Beweisnot geraten: Die Wirksamkeit der nachvertraglichen Wettbewerbsabrede bzw. der Befristung hängt von den beiderseitigen Unterschrif-ten ab, weil die Vereinbarungen kraft Gesetzes der Schrift-form bedürfen. Zwar kann der Arbeitgeber im Prozess den eingescannten Vertrag zum Beweis vorlegen. Durch die Vor-lage des eingescannten Dokuments kann der Arbeitgeber im Ernstfall aber nicht beweisen, dass der Vertrag von beiden Parteien eigenhändig unterzeichnet wurde. Wenn der Arbeit-nehmer einwendet, selber kein Exemplar (mehr) zu haben, kann der Arbeitgeber auch über das Gericht keine Vorlage durchsetzen. Er kann dann nur noch versuchen, durch Zeu-gen zu beweisen, dass der Vertrag beiderseits unterschrie-ben wurde und dass das nachvertragliche Wettbewerbsverbot dem Arbeitnehmer in einer vom Arbeitgeber unterschrie-benen Fassung ausgehändigt wurde. Im oben skizzierten Beispielsfall wird ihm das schwerlich gelingen.

Vor der kompletten Digitalisierung von Personalakten sollten also die Verträge und Erklärungen, die der gesetz-lichen Schriftform bedürfen, am besten sorgfältig separiert und in einer Papierakte aufbewahrt werden. Zu solchen Dokumenten gehören:

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- befristete Arbeitsverträge und Vereinbarungen über die Verlängerung von Befristungen

- Aufhebungsverträge - Eigenkündigungen des Arbeitnehmers - Vereinbarungen über nachvertragliche Wettbewerbsver-

bote.

Sollen die Papierakten trotzdem komplett digitalisiert werden, sollten vorher bestimmte Sicherheitsmaßnahmen beachtet werden, die zumindest helfen, die Beweisnot zu vermeiden oder zu verringern. Sprechen Sie uns gern an.

Dr. Andrea PirscherRechtsanwältinFachanwältin für ArbeitsrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Wann trägt der Arbeitgeber die Kosten eines Betriebsratsberaters?

Nicht selten konfrontiert der Betriebsrat den Arbeitgeber mit dem Begehren, sich durch einen Rechtsanwalt außergericht-lich beraten zu lassen und die Kosten hierfür zu übernehmen. Ein solcher Anspruch des Betriebsrates besteht allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Im Falle der Konfronta-tion mit einem entsprechenden Begehren des Betriebsrates ist daher sorgfältig zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Es sind grundsätzlich zwei Konstellationen zu unterscheiden, in denen der Betriebsrat auf Kosten des Arbeitgebers einen Rechtsanwalt beauftragen kann.

Zum einen kann ein Rechtsanwalt zur außergerichtlichen Beratung des Betriebsrates als Sachverständiger beauftragt werden (§ 80 Abs. 3 BetrVG). Voraussetzung hierfür ist, dass eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem zu beauftragenden Rechtsanwalt getrofffen wird, in der auch die Vergütung geregelt wird. Ohne eine solche Vereinbarung muss ein für den Betriebsrat tätig werdender Anwalt vom Arbeitgeber nicht bezahlt werden. Soweit also der Betriebsrat zur Beratung einen Rechtsanwalt beauftragen will, muss er zuvor einen entsprechenden Beschluss fassen und den Arbeitgeber auffordern, mit dem Rechtsanwalt eine entspre-chende Vereinbarung zu treffen. In diesen Fällen wird der Arbeitgeber dann mit einem Antragsschreiben des Betriebs-rates konfrontiert, der Beauftragung eines Rechtsanwalts zuzustimmen und zugleich eine in der Regel beigefügte Ver-gütungsvereinbarung mit dem Rechtsanwalt zu unterzeich-nen.

In formeller Hinsicht ist erforderlich, dass ein ordnungsge-mäßer Betriebsratsbeschluss über die begehrte Beauftra-gung des Rechtsanwalts als Sachverständiger vorhanden ist und vorgelegt wird. Aus diesem Beschluss muss sich erge-ben, zu welchen Beratungsthemen der Rechtsanwalt beauf-tragt werden soll.

Inhaltlich ist Voraussetzung, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur Beratung im Hinblick auf einen konkreten Sachverhalt erforderlich ist. Es stellt sich daher die Frage,

wann eine solche Erforderlichkeit vorliegt. Das ist anzuneh-men, wenn der Rechtsanwalt schwierige Rechtsfragen prüfen und beantworten muss oder bei der Vorbereitung für Interes-senausgleichs- und Sozialplanverhandlungen tätig werden soll. Dafür muss ein konkreter Sachverhalt vorliegen, bezüg-lich dessen die Beratung erfolgen soll. Soweit diese Voraus-setzungen erfüllt sind, hat der Betriebsrat einen Anspruch auf Beratung durch einen Anwalt auf Kosten des Arbeitgebers. Insofern kann der Betriebsrat nicht auf die Teilnahme an all-gemeinen Schulungen verwiesen werden. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass der Betriebsrat ohne einen konkreten Sachverhalt einen Rechtsanwalt beauftragen kann, um sich allgemein sachkundiger zu machen. In diesem Falle der allgemeinen Vermittlung von Kenntnissen für die Betriebs-ratstätigkeit ist das probate Mittel die Teilnahme an entspre-chenden Schulungen.

Aber auch wenn eine konkrete Situation vorliegt, in der schwierige Rechtsfragen zu prüfen sind, steht dem Betriebs-rat nicht ohne weiteres das Recht zu, einen Rechtsanwalt auf Kosten des Arbeitgebers zu beauftragen. Aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat folgt, dass der Betriebsrat sich bemühen muss, unnötige Kosten des Arbeitgebers zu vermeiden. Der Betriebsrat hat sich daher – soweit vorhanden – an sachkun-dige Personen zu wenden, die ihm der Arbeitgeber benennt und zur Verfügung stellt. Arbeitgeberseits ist daher bei einem geäußerten Begehren des Betriebsrates, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, zu prüfen, ob dem Betriebsrat nicht ein Mitar-beiter benannt werden kann, der die Rechtsfragen des Betriebsrates beantworten kann. Der Betriebsrat ist insoweit nicht berechtigt, eine solche Person abzulehnen, nur weil sie vom Arbeitgeber benannt wurde und der Betriebsrat daher kein Vertrauen zu ihr habe. Für solche Vorbehalte müssen auf Seiten des Betriebsrates konkrete Anhaltspunkte vorliegen und auch vorgebracht werden.

Wenn die Voraussetzungen für die Beauftragung eines Rechtsanwalts als Sachverständiger erfüllt sind, ist des wei-teren zu überprüfen, ob die Konditionen, zu denen der Rechts-anwalt tätig werden soll, berechtigt sind. Es ist keinesfalls so, dass der Arbeitgeber im Fall der Erforderlichkeit des Tätig-werdens eines Rechtsanwalts die dann vom Betriebsrat oder vom Rechtsanwalt vorgegebenen Vergütungsanforderungen akzeptieren muss. Auch über die Vergütungshöhe muss eine Vereinbarung getroffen werden, bei der der Arbeitgeber unbe-rechtigt hohe Forderungen zurückweisen kann.

Wenn keine Einigkeit über die Beauftragung eines Rechts-anwalts und/oder die Vergütung erzielt werden kann, kann und muss der Betriebsrat vor dem Arbeitsgericht im Beschlussverfahren beantragen, die fehlende Zustimmung des Arbeitgebers zu ersetzen. Ohne eine Zustimmung des Arbeitgebers bzw. eine durch das Arbeitsgericht ersetzte Zustimmung ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Rechts-anwalt zu zahlen, unabhängig davon, ob in der Sache das Begehren des Betriebsrates berechtigt war.

Neben dieser geschilderten Möglichkeit des Betriebs-rates, einen Rechtsanwalt als Berater zu beauftragen, besteht eine weitere Option. Voraussetzung dafür ist, dass die Heran-ziehung zur Durchsetzung der Mitbestimmungsrechte des

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Betriebsrates erforderlich ist bzw. der Betriebsrat die Heran-ziehung für erforderlich halten durfte. Dem Betriebsrat wird bei der Frage der Erforderlichkeit ein gewisser Spielraum zugestanden. Wenn die Erforderlichkeit vorliegt, hat der Betriebsrat einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Rechtsanwalts. Im Gegensatz zu der unter 1. beschrie-benen Alternative ist hierbei eine Zustimmung des Arbeitge-bers und eine entsprechende Vereinbarung über das Tätig-werden und über die Kosten nicht erforderlich. Des weiteren ist der Arbeitgeber auch nur verpflichtet, die Kosten für das Tätigwerden des Rechtsanwalts in Höhe der gesetzlichen Gebührenordnung zu übernehmen. Ein Anspruch auf Zah-lung von Kosten, die darüber hinausgehen, besteht nicht.

Es ist daher genau zu prüfen, welche der genannten Alter-nativen vorliegt, wenn der Betriebsrat um Zustimmung zur Beauftragung eines Rechtsanwalts bittet und insofern auch um Zustimmung zur Übernahme der Kosten. Nicht selten wird versucht, die Beauftragung eines Rechtsanwalts auf der Grundlage einer Honorarvereinbarung zu erreichen, die ober-halb der gesetzlichen Gebühren liegt. Dies ist, wie dargestellt, aber nicht in jedem Fall zulässig. Der Arbeitgeber sollte daher wissen, ob er zu einer verlangten Kostenübernahme ver-pflichtet ist oder nicht.

Denn wenn keine dieser Alternativen erfüllt ist, besteht überhaupt keine Verpflichtung des Arbeitgebers, etwaige Rechtsanwaltskosten zu übernehmen.

Dr. Rainer KrügerRechtsanwaltFachanwalt für ArbeitsrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Unabdingbare Beteiligung der Schwerbehinder-tenvertretung bei der Kündigung von schwer-behinderten Menschen

Mit dem Bundesteilhabegesetz, das der Bundestag bereits am 01.12.2016 verabschiedet hatte, wurden auch für die arbeitsrechtliche Praxis überaus relevante Regelungen getroffen. Besonders hervorzuheben ist die Regelung, dass Kündigungen von schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne Beteiligung einer bestehenden Schwerbe-hindertenvertretung ausgesprochen hat, unwirksam sind. Neben das Erfordernis der Zustimmung des Integrations-amtes und der ggf. erforderlichen Anhörung eines Betriebs-rats tritt damit ein weiteres Formerfordernis, dass sich in der Praxis als „echter“ Fallstrick darstellen kann.

Das Sozialgesetzbuch IX wird durch das Bundesteilhabe-gesetz ganz grundlegend überarbeitet. Ab dem 01.01.2018 wird das Schwerbehindertenrecht in den §§ 151 ff. SGB IX zu finden sein. Insofern werden sich zum Jahresbeginn 2018 alle an eine neue Sortierung der Paragrafen gewöhnen müssen. Bereits ab dem 30.12.2016 gilt jedoch die neu eingefügte Regelung in § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, nach der die Kündi-gung eines schwerbehinderten Menschen ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam ist.

Nach § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX hat der Arbeit-geber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegen-heiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Men-schen als Gruppe betreffen, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Der Arbeitgeber hat der Schwerbehindertenvertretung seine getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Solche Angelegenheiten sind u.a. alle personellen Einzelmaßnah-men wie z.B. Einstellungen, Eingruppierungen, Umgruppie-rungen und Versetzungen, aber auch Abmahnungen und Kündigungen. Die Schwerbehindertenvertretung hat die Mög-lichkeit, Stellung zu nehmen. Der Arbeitgeber seinerseits hat dann die Stellungnahme entgegenzunehmen und zu würdi-gen. Eine inhaltlich belastende Verpflichtung ergibt sich daraus aber nicht. Insbesondere muss der Arbeitgeber der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung oder einer Empfehlung derselben nicht folgen.

Bislang führte ein Verstoß gegen die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht auch im Fall einer Kündigung lediglich zur Aussetzung der Durchführung oder Vollziehung der getrof-fenen Entscheidung; darüber hinaus war die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung innerhalb von sieben Tagen nachzuholen. Diese Regelung gilt unverändert fort, § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX. In Bezug auf die zeitliche Reihenfolge galt bei einer Kündigung eines schwerbehinderten Menschen auch in der Vergangenheit, dass die Schwerbehindertenver-tretung vor dem Antrag auf Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung beim Integrationsamt angehört werden musste.

Nunmehr stellt § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX klar, dass die Kündigung ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertre-tung unwirksam ist. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit ist gravierend und „unabdingbar“. Unklar ist jedoch, ob das Inte-grationsamt die Zustimmung zur Kündigung so lange verwei-gern kann, bis die Anhörung vorgenommen wurde. Oder andersherum: Kann das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung abschließend verweigern, wenn der Arbeitgeber im Antrag angegeben hat, dass die Schwerbehindertenver-tretung (noch) nicht angehört wurde?

Der Gesetzgeber hat leider nicht geregelt, innerhalb wel-chen Zeitraums die Schwerbehindertenvertretung ihre Stellungnahme abgeben muss. In Anlehnung an die Anhö-rungspflichten bei Kündigungen nach dem Betriebsver- fassungsgesetz kann es nicht falsch sein, mit Blick auf § 102 Abs. 2 BetrVG bei ordentlichen Kündigungen eine Äuße-rungsfrist von einer Woche und bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eine Frist von drei Tagen anzu-nehmen.

Besondere Formerfordernisse für die Beteiligung gelten nicht, sie kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Zum Zwe-cke eines etwaigen Nachweises ist jedoch dringend die Ein-haltung der Textform (per Brief, E-Mail oder Telefax) zu emp-fehlen.

Beim zeitlichen Ablauf im Vorfeld einer Kündigung eines schwerbehinderten Menschen sollte „zur Vermeidung von Experimenten“ bei Existenz einer Schwerbehindertenvertre-tung und eines Betriebsrats wie folgt vorgegangen werden:

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- Zuerst ist die Schwerbehindertenvertretung über die Kündi-gungsabsicht zu unterrichten. Die Kündigungsgründe sind mitzuteilen.

- Gibt die Schwerbehindertenvertretung innerhalb der Fri-sten (ordentliche Kündigung eine Woche, außerordentliche Kündigung drei Tage) keine Stellungnahme ab, kann der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrations-amt gestellt werden.

- Wird eine Stellungnahme abgegeben, hat der Arbeitgeber diese zu würdigen und danach der Schwerbehindertenver-tretung mitzuteilen, ob er das Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt durchführt. Danach kann der Arbeitgeber den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrati-onsamt stellen.

- Besteht ein Betriebsrat, kann der Arbeitgeber den Betriebs-rat ebenfalls bereits vor der Antragstellung beim Integrati-onsamt anhören. Der Betriebsrat ist in diesem Fall auf die noch erforderliche Antragstellung beim Integrationsamt hinzuweisen.

- Es ist sinnvoll, den Betriebsrat und die Schwerbehinderten-vertretung zeitgleich zu beteiligen.

- Die Beteiligungsrechte sind aber auch noch gewahrt, wenn der Betriebsrat während des Zustimmungsverfahrens beim Integrationsamt oder sogar noch nach dessen Abschluss angehört wird.

Dr. Oliver EbertRechtsanwaltFachanwalt für ArbeitsrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Eine Mauer mit zahllosen Türen - Arbeitserlaub-nisse für ausländische Fach- und Führungskräfte

Die Zahl der potentiellen Arbeitnehmer wird bundesweit bis zum Jahr 2030 um 14 % und bis zum Jahr 2060 um 38 % sinken. Die fortschreitende Digitalisierung trägt zu einem wei-teren Anstieg der Nachfrage nach gut ausgebildeten Fach-kräften bei. Mittelfristig werden weder der Pool heimischer Arbeitskräfte, noch die Zuwanderung aus dem europäischen Ausland oder die Fluchtmigration ausreichen, um diesen Bedarf zu decken.

Deutschland wird bei der Rekrutierung von ausländischen Fachkräften sowohl mit europäischen Mitgliedstaaten als auch mit klassischen Einwanderungsländern wie den USA und Kanada in Wettbewerb treten. Daher ist es für Unterneh-men zunehmend von großer Bedeutung, Arbeitnehmer aus Ländern außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums schnell und rechtssicher einstellen und beschäftigen zu kön-nen. Die Möglichkeiten für die Einwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten wurden seit dem Jahr 2012 sukzessive erweitert. Die rechtlichen Voraussetzungen bleiben jedoch komplex und vielfältig.

Die Anzahl der möglichen Aufenthaltstitel und der not-wendigen Arbeitserlaubnis ist mit einer Mauer mit zahllosen Türen vergleichbar. Die Auswahl der richtigen „Tür“ bestimmt, ob und wie lange die gewünschte Erwerbstätigkeit genehmigt

wird. Die berufliche Qualifikation und der persönliche Hinter-grund des Bewerbers müssen geprüft und die Konditionen des angebotenen Arbeitsplatzes im Vorfeld richtig gestaltet werden. Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die langfri-stige Zusammenarbeit spielt der Nachzug von Familienange-hörigen, der wiederum von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt.

Besonders ärgerlich ist es, wenn ein bereits erfolgreich eingearbeiteter Arbeitnehmer seinen Aufenthaltstitel und damit seine Arbeitserlaubnis wieder verliert. Daher sollten Arbeitgeber von Anfang an die Grundlagen für den Erwerb eines unbefristeten Aufenthaltstitels im Blick haben.

Für alle ausländischen Arbeitnehmer muss zudem stets gewährleistet sein, dass die ausgeübte Tätigkeit noch im Ein-klang mit dem erteilten Aufenthaltstitel und den sonstigen migrations- sowie arbeitsrechtlichen Vorschriften steht. Es drohen sonst empfindliche Bußgelder oder sogar Strafen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Jens Hanschmidt, Ass. iur.Ab 01.01.2018 Rechtsanwalt bei BRANDI Rechtsanwälte

Mitarbeiterentsendungen nach Österreich - Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz 2017

Am 01.01.2017 trat in Österreich das Lohn- und Sozialdum-ping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) in Kraft. Die Einhal-tung der Regelungen des LSD-BG ist für Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die Mitarbeiter zur Auftragserfüllung in Österreich einsetzen bzw. Mitarbeiter nach Österreich ent-senden oder überlassen, von großer praktischer Relevanz. Bei Nichteinhaltung drohen hohe Verwaltungsstrafen und weitere Nachteile, beispielsweise bei Vergabeverfahren.

1. Erstattung einer ZKO-Meldung

Beim Einsatz von nach Österreich entsandten oder überlas-senen Arbeitskräften ist vor der Arbeitsaufnahme mittels For-mular eine sogenannte ZKO-Meldung an die Zentrale Koordinationsstelle beim Bundesministerium für Finanzen zu erstatten. Darin sind zahlreiche Pflichtangaben zu machen und unter anderem eine Ansprechperson zu nennen. Deren Aufgabe ist es, Unterlagen bereitzuhalten, Dokumente entge-genzunehmen und Auskünfte zu erteilen. Die Ansprechper-son kann aus dem Kreis der nach Österreich entsandten Arbeitnehmer stammen oder eine in Österreich niedergelas-sene und zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Per-son, wozu auch Rechtsanwälte zählen, sein. Weiter ist in der Meldung anzuführen, wo die Melde- und Lohnunterlagen bereitgehalten werden (siehe sogleich). Bei regelmäßigem grenzüberschreitendem Einsatz von Arbeitnehmern kann eine „Rahmenmeldung“ oder eine „Sammelmeldung“ erfol-gen.

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2. PflichtzurBereithaltungvonLohnunterlagen

Während der gesamten Einsatzdauer sind eine Reihe an Loh-nunterlagen, das Sozialversicherungsdokument A1 sowie die ZKO-Meldung zur jederzeitigen und unangekündigten Ein-sicht durch die Finanzpolizei bereitzuhalten. Es sind gewisse Bereithalteorte vorgesehen, aus denen einer ausgewählt wer-den muss (z.B. am Arbeitsort, bei einem österreichischen Steuerberater oder Anwalt, bei der österreichischen Zweig-niederlassung des ausländischen Arbeitgebers).

3. Strafen und Sanktionen

Ab 01.01.2017 beträgt der Strafrahmen für Meldeverstöße 1.000 Euro bis 10.000 Euro, im Wiederholungsfall 2.000 Euro bis 20.000 Euro, und zwar pro Arbeitnehmer.

4. Ausnahmebestimmungen und Sonderbestimmungen

Im Einzelfall ist zu prüfen, ob möglicherweise ein Ausnahme-tatbestand erfüllt ist, beispielsweise für kurzzeitige Bespre-chungen ohne Erbringungen weiterer Dienstleistungen. Für im Bau- und Baunebengewerbe tätige Unternehmen gelten massiv erweiterte Haftungsbestimmungen.

Dr. Anna MertinzRechtsanwältin KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH, Wien [email protected]

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Die Bedeutung von Compliance Systemen zur Vermeidung von Steuerhinterziehung

Seit 2009 mit der Grundsatzentscheidung des BGH zur Berli-ner Stadtreinigung (BGH, Urteil vom 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08) der Begriff Compliance in der deutschen Rechtspre-chung das erste Mal auftauchte, scheint Compliance heute rund acht Jahre später, allgegenwärtig. Im Steuerrecht spricht man von Tax Compliance. Nun hat auch der Fiskus den Begriff Compliance für sich entdeckt. Er nennt es innerbe-triebliches Kontrollsystem und es soll der Verhinderung von Steuerhinterziehung im Unternehmen dienen.

Ausgangslage - Steuerhinterziehung durch mangelnde Organisation

Viele Steuererklärungen sind fehlerhaft. Das ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass es vor allem kleinen und mit-telständischen Unternehmen inzwischen fast unmöglich ist, alle steuerlichen Regelungen zu kennen und zu beachten. Solange Menschen diese Steuererklärungen fertigen, wird das auch so bleiben. Mit Steuerhinterziehung hat das in den allermeisten Fällen gar nichts zu tun. Bis 2011 war die Welt in Deutschland noch in Ordnung. Wenn die Unternehmenslei-tung in den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen oder den Jahreserklärungen einen Fehler entdeckte, wurde dieser korrigiert. Man gab korrigierte Steuererklärungen ab, zahlte die nachzuentrichtende Steuer mit Zinsen nach und die Sache war erledigt. Mit der seit Anfang der 1990er fortschrei-tenden Hysterie zum Thema Steuerhinterziehung, dem sowohl die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wie auch der Gesetzgeber anheimfielen, hat sich das verändert.

Im Jahr 2011 änderte sich alles

2011 wurde der § 371 AO durch das Schwarzgeldbekämp-fungsgesetz (vom 28.04.2011, BGBl. I S. 676, BStBl I S. 495) derart verkrüppelt, dass heute faktisch eine wirksame Selbst-anzeige jedenfalls in Mittelstandsunternehmen und Konzer-nen nicht mehr möglich ist. Plötzlich ist jede korrigierte Steuererklärung die Offenbarung einer Straftat. Die teilweise Abmilderung des § 371 AO nach massiver Intervention der Wirtschaft und der Beraterschaft im Jahr 2015 hat nur wenig Linderung verschafft. Im Ergebnis erlebt man folglich als Berater und Verteidiger, dass in völliger Umkehrung der Ver-hältnisse heute nahezu jede fehlerhafte Steuererklärung zunächst als Straftat eingestuft wird und ein Verfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen die Unterneh-mensleitung eingeleitet wird. Nur unter größten Anstren-gungen gelingt es den Verteidigern, diese Verfahren zu beenden. Nicht selten nimmt die Unternehmensleitung dafür abstrus hohe Geldauflagen oder Strafzinsen nach § 398 a AO in Kauf, nur um dem Drohszenario einer öffentlichen Haupt-verhandlung zu entgehen, in der in einer Vielzahl von Fällen zu klären wäre, dass nie eine Steuerhinterziehung stattgefun-den hat.

Der Fiskus hat 2015 reagiert

2015 war in zweifacher Hinsicht für Compliance Systeme von Bedeutung: Zum einen kamen die GoBD (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff vom 04.11.2014) heraus, mit denen der Fis-kus die Regeln zur elektronischen Verarbeitung und Aufbe-wahrung von Belegen neu geregelt hat. Zum anderen hat das Bundesfinanzministerium (BMF-Schreiben vom 23.05.2015) mit einem Schreiben zu § 153 AO versucht, seinen Beamten Prüfungs- und Argumentationshilfen an die Hand zu geben, dass eben nicht jede fehlerhafte Steuererklärung gleich eine Steuerhinterziehung ist. Ob das in Zukunft hilft, darf bezwei-felt werden. Die Tendenz, falsche Steuererklärungen als Steuerhinterziehung zu bewerten, wird vor allem mit stei-genden steuerlichen Auswirkungen deutlich steigen.

Die Einrichtung eines Compliance Systems als Schutz vor Steuerhinterziehung?

Überraschend hat sich der Fiskus in Textziffer 2.6 des Erlasses zu § 153 AO erstmals zu einer möglichen Bedeu-tung von Compliance Systemen geäußert:

Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsy-stem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflich-ten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jewei-ligen Einzelfalls.

In börsennotierten Aktiengesellschaften und großen GmbHs ist das interne Kontrollsystems (IKS) schon länger die Regel. Nicht immer aber doch immer häufiger ist auch ein steuer-liches Compliance System integriert. In Mittelstandsunter-nehmen dagegen, die häufig noch durch familiäre Strukturen geprägt sind, ist ein internes Kontrollsystem für Steuerzwecke die Ausnahme. Gerade in diesen Unternehmen, die eine deutlich flachere Führungshierarchie aufweisen und Gesell-schafter deutlich häufiger unmittelbar Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen, kann sich die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems anbieten. Wie genau das aussehen soll, dazu macht die Finanzverwaltung keine Vor-gaben. Den Unternehmen steht es frei, selbst zu entscheiden, wie sie im steuerlichen Bereich ihr Compliance System auf-bauen. Anhaltspunkte kann hier das IDW-Schreiben PS 980 bieten. Ignorieren kann man diese Entwicklung im Steuer- und Steuerstrafrecht kaum. Bei fehlerhaften Steuererklä-rungen laufen die Organe sonst Gefahr, auch persönlich in Haftung genommen zu werden.

Es besteht Handlungsbedarf, denn der Umkehrschluss aus Textziffer 2.6 des Erlasses zu § 153 AO dürfte von der Finanzverwaltung auch sehr schnell geltend gemacht wer-den: Wer kein Compliance System zur Sicherung seiner steu-

Compliance

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erlichen Pflichten im Unternehmen einführt, obwohl es sich aufdrängt, der nimmt im Zweifel die falsche Steuererklärung billigend in Kauf und ist deswegen strafbar.

Michael Weber-Blank, NLP M.RechtsanwaltFachanwalt für SteuerrechtFachanwalt für StrafrechtZertifizierter Compliance OfficerWirtschaftsmediator (DAA)BRANDI Rechtsanwä[email protected]

Pflicht zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit

Im Jahr 2014 hat das Europäische Parlament und der Rat die sogenannte Corporate Social Responsibility-Richtlinie (CSR-Richtlinie) erlassen. Diese CSR-Richtlinie ist im April diesen Jahres in Deutschland in Kraft getreten. Ziel der CSR-Richtli-nie und des Umsetzungsgesetzes ist es, dass einerseits die Berichterstattung über bestimmte Nachhaltigkeitsthemen für gewisse Unternehmen verpflichtend, andererseits diese Berichterstattung auch vereinheitlicht wird. Nach der nun gel-tenden Gesetzeslage müssen große kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie große Kreditinstitute und Versiche-rungen, die jeweils im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, eine sogenannte „nichtfinanzi-elle Erklärung“ abgeben. Diese Berichtspflichten betreffen Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.2016 begonnen haben.

Das Gesetz sieht vor, dass der Lagebericht um eine nicht-finanzielle Erklärung ergänzt wird. In dieser nichtfinanziellen Erklärung müssen die betroffenen Unternehmen Auskunft über ihre Maßnahmen zum Umweltschutz, zur Achtung der Menschenrechte, zu Korruptionsbekämpfung sowie zu den Arbeitnehmer- und Sozialbelangen geben. Dabei müssen auch die von den Unternehmen verfolgten Konzepte zur Erreichung dieser Ziele beschrieben sowie deren Ergebnisse genannt werden. Sofern kein konkretes Konzept verfolgt wird, ist dies klar und begründet zu erläutern.

Auf den ersten Blick scheint die CSR-Richtlinie und das Umsetzungsgesetz in Deutschland viele mittelständische Unternehmen nicht zu betreffen. Dies ist betrachtet vom origi-nären Anwendungsbereich her auch richtig. Allerdings ist zu beachten, dass in der nichtfinanziellen Erklärung auch Anga-ben darüber gemacht werden müssen, die für das Verständ-nis des Geschäftsverlaufes, die Lage und Entwicklung der Gesellschaft sowie die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf nichtfinanzielle Belange erforderlich ist. Zudem sind Angaben zu den wesentlichen Risiken zu machen, die mit den Geschäftsbeziehungen des Unternehmens zusammenhän-gen. Hier wird die Lieferkette des Unternehmens, das zur Berichterstattung verpflichtet ist, relevant. Wenn das Unter-nehmen aufgrund seiner Aufstellung wesentlich von Subliefe-ranten bzw. Zulieferanten für die eigenen Produkte abhängig ist, ist davon auszugehen, dass zukünftig von den Zulieferern der berichtspflichtigen Unternehmen weitere Berichtspflich-ten eingefordert werden. Dies ist zwar bereits in heutigen Rahmenverträgen eine häufig anzuwendende Praxis. Regel-

mäßig sind solche Berichtspflichten in einem Code of Con-duct versteckt, auf den in einem Rahmenvertrag Bezug genommen wird. Es ist aber davon auszugehen, dass solche Berichtspflichten noch einmal intensiviert werden und damit mittelbar vermehrt auch solche Unternehmen in den Anwen-dungsbereich der CSR-Richtlinie einbezogen werden, die nicht originär verpflichtet sind.

Dr. Sörren KieneRechtsanwaltSolicitor (England & Wales)Fachanwalt für internationales WirtschaftsrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Neue Pflichten des Arbeitgebers im Rahmen der Korruptionsbekämpfung in Frankreich

Das am 09.12.2016 verabschiedete Gesetz zur Transparenz im Kampf gegen die Korruption und die Modernisierung des Wirtschaftsleben (so genanntes „Loi SAPIN II“) hat die Pflich-ten der französischen Unternehmen im Rahmen der Korrupti-onsbekämpfung neu definiert.

Zum einen sieht das Gesetz für Unternehmen oder Unter-nehmensgruppen mit Sitz in Frankreich, die mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigen und einen konsolidierten Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro erwirtschaften, die Durchfüh-rung von 8 Maßnahmen zur Erfassung und Vermeidung der Korruption (nachfolgend 1.) vor. Darüber hinaus werden Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern verpflichtet, ein Verfahren zur Erfassung von Anzeigen betreffend gesetz-licher Verstöße und den Schutz von Whistleblowern einzufüh-ren (nachfolgend 2.).

Schließlich hat das Gesetz eine Antikorruptionsagentur geschaffen, deren Aufgabe ist, für die Einhaltung der vorste-henden bezeichneten Verpflichtungen des Arbeitgebers zu sorgen. Entsprechende Verwaltungsstrafen werden ebenfalls vorgesehen.

1. Maßnahmen zur Erfassung und Vermeidung von Korruption (Artikel 17 SAPIN II)

Wie bereits angesprochen, betrifft diese Verpflichtung vor allem größere Unternehmen und Unternehmensgruppen. Die Besonderheit des Gesetzes besteht darin, dass der Leiter des Unternehmens persönlich für die Einhaltung der entspre-chenden Vorschriften durch sein Unternehmen haftet. Er ist daher persönlich gehalten, sicherzustellen, dass das von ihm geleitete Unternehmen die vorgeschriebenen Korruptionsbe-kämpfungsmaßnahmen durchführt.

Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass diese Maßnah-men zumindest indirekt auch Einfluss auf Gesellschaftspart-ner dieser Unternehmen haben. Sollen diese den angestell-ten Anforderungen nicht genügen, riskieren sie ein Ende der Geschäftsbeziehungen.

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Konkret sieht Artikel 17 des Gesetzes 8 verschiedene Maßnahmen vor:

- Erstellung eines Verhaltenskodexes: Zunächst sind die Unternehmen verpflichtet, einen Kodex einzuführen, wel-cher die verschiedenen verbotenen Verhaltensweisen im Hinblick auf die Korruption darstellt. Dieser Kodex ist der Betriebsordnung („Règlement intérieur“) beizufügen und als solche der Personalvertretung zur Anhörung vorzule-gen.

- Einführung eines Whistleblower-Systems: Die Unter-nehmen sind weiter verpflichtet, ein internes Verfahren zur Erfassung von Anzeigen einzuführen. Dieses ist dazu gestimmt, Anzeigen betreffend Verhaltensweisen, die gegen den Kodex verstoßen, aufzunehmen und zu bearbei-ten (vgl. auch nachfolgend 2.).

- Durchführung einer Risikoanalyse: Vorgesehen ist zudem die Erstellung einer Risikokartierung. Es handelt sich dabei um eine ständig aktualisierte Dokumentation, welche die Korruptionsrisiken des Unternehmens identifi-zieren, analysieren und hierarchisieren soll. Dies soll insbe-sondere im Hinblick auf die verschiedenen Geschäfts- bereiche und Regionen, in denen das Unternehmen aktiv ist, geschehen.

- Überprüfung von Kunden und Geschäftspartnern: Die Unternehmen werden daneben verpflichtet, Verfahren zur Einschätzung der Risiken ihrer Kunden, Zulieferern ersten Ranges sowie ihrer Zwischenhändler einzuführen und deren Risiken zu kartographieren.

- Kontrolle der Buchhaltung: Die Unternehmen haben in diesem Kontext besondere Verfahren zur Prüfung der Buchhaltung einzuführen. Ziel ist, sicher zu stellen, dass Konten sowie alle sonstigen Methoden zur Verschleierung von Korruption und unzulässiger Beeinflussung aufgedeckt werden. Diese Kontrollen können durch eine interne Revi-sion oder durch externe Auditoren im Rahmen der Zertifi-zierung der Jahresabschlüsse durchgeführt werden.

- Durchführung von Schulungen: Die Unternehmen sind ergänzend verpflichtet, ihre Führungskräfte sowie alle besonders gefährdeten Personen im Rahmen spezieller Fortbildungsmaßnahmen über die Compliance-Standards und Korruptionsrisiken aufzuklären.

- Einführung von Disziplinarmaßnahmen: Die Unterneh-men haben ferner einen Katalog mit disziplinarischen Maß-nahmen aufzustellen. Diese kommen dann zur Anwendung, wenn Angestellte des Unternehmens gegen den Kodex ver-stoßen.

- Schaffung interner Kontrollen des Compliance-Sys-tems: Last but not least, sind Kontrollmaßnahmen zu schaffen, die eine ständige Evaluierung der vorstehend bezeichneten Maßnahmen sicherstellen.

In diesem Rahmen ist zu beachten, dass nach französischem Recht Unternehmen, die der Korruption schuldig sind, straf-rechtlich belangt werden können. Dabei kann die Strafe bis zu 5 Millionen Euro bzw. den 10fachen des aus dem Verstoß gezogenen Gewinns betragen.

Darüber hinaus sieht SAPIN II Bußgelder vor, wenn das Unternehmen die vorstehend bezeichneten Maßnahmen nicht umsetzt. Diese können bis zu 1 Million Euro betragen.

Schließlich kann das Unternehmen zusätzlich zur Einfüh-rung eines Monitorings auf eigene Kosten für die Dauer von bis zu 5 Jahren verurteilt werden.

Natürliche Personen können darüber hinaus bei Verurtei-lung wegen Korruption mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren bzw. mit einer Geldstrafe von bis zu 1 Million Euro belangt werden. Der Versuch wird wie die vollendete Tat bestraft. Darüber hinaus können diese Personen ihre Wähl-barkeit verlieren.

Schließlich sieht SAPIN II ein Bußgeld von bis zu 200.000 Euro für Unternehmensleiter vor, die nicht die vorstehenden Maßnahmen umsetzen.

2. Einführung eines Systems zur Erfassung von Anzei-gen (sog. Whistleblower-System)

Unternehmen, die grundsätzlich mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigen, sind darüber hinaus ab dem 01.01.2018 gehal-ten, ein Verfahren zur Anzeige von Gesetzesübertretungen oder anderen Rechtsverletzungen einzuführen. Ziel ist es, einen Rahmen zu schaffen, durch den sog. Whistleblower vor Repressalien geschützt werden. Darüber hinaus sollen Ver-traulichkeit und Anonymität gewahrt werden.

Wichtig ist, dass dieser Schutz die Arbeitnehmer des Unternehmens, externe Mitarbeiter sowie Zeitarbeiter umfasst. Juristische Personen sind vom Schutzbereich aus-geschlossen.

Darüber hinaus hat der Whistleblower zunächst seinen Vorgesetzten oder den vom Unternehmen bestimmten Refe-renten zu kontaktieren. Sollte sein Ansprechpartner nicht innerhalb einer angemessenen Frist, die durch das Unterneh-men zu definieren ist, reagieren, kann er sich an die Behör-den wenden. Wenn diese ebenfalls nicht reagieren, kann sich der Whistleblower an die Öffentlichkeit wenden. Dies ist grundsätzlich nach drei Monaten möglich.

Darüber hinaus sieht die entsprechende Verwaltungsvor-schrift vor, dass in Fällen einer besonderen Gefahr oder zur Abwendung von nicht wiedergutzumachenden Schäden die Öffentlichkeit gleichzeitig mit den Behörden informiert werden kann.

Schließlich ist vorgesehen, dass der Whistleblower über das Ergebnis der Ermittlungen/des Verfahrens (?) informiert werden muss. Sollten die Ermittlungen ohne Ergebnis blei-ben, ist das Verfahren einzustellen und alle Unterlagen sind zu zerstören.

Schließlich hat das Unternehmen für eine effektive Kon-trolle des Verfahrens zu sorgen.

Uwe AUGUSTINRechtsanwaltSCP WENNER, [email protected]

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„Tatort“ wird Realität – Aussagepflicht auch vor der Polizei

„So, mir reicht es, das Weitere klären wir beide jetzt bei uns auf dem Präsidium.“

Wenn die aus dem sonnabendlichen „Tatort“ bekannten Ermittler Ballauf und Schenk mit solchen Aussagen Zeugen in Angst und Schrecken versetzten und diese sich in der nächsten Szene in einem schlecht beleuchteten Verneh-mungszimmer wiederfanden, konnte der erfahrene Strafver-teidiger darüber bis vor Kurzem nur müde lächeln. Die Strafprozessordnung sah nämlich bis zum 01.07.2017 gerade keine Pflicht für einen Zeugen vor, die Polizei zu begleiten und auszusagen. Dies hat sich nun grundlegend geändert. Der Zeuge hat nun sowohl auf Ladung der Staatsanwaltschaft als auch der Polizei seine Zeugenpflichten diesen gegenüber zu erfüllen. Die Ladung kann auch mündlich erfolgen, d.h. sie kann dem Betroffenen persönlich gegenüber ausgesprochen und die Erfüllung unmittelbar angefordert werden.

Zweck der Neuregelung

In der Gesetzesbegründung wird zwar ausgeführt, die Staats-anwaltschaften sollten mit Blick auf ihre begrenzten Ressour-cen davor geschützt werden, Vernehmungen durchführen zu müssen, ohne zu wissen, warum der Zeuge bei der Polizei keine Aussage gemacht habe und die Aussage überhaupt maßgeblich werden könne. Aus Sicht der Verteidigerschaft verfolgte der Gesetzgeber aber wohl eher den Zweck, entsprechende rechtsanwaltliche Beratung einzuschränken. Denn die Ressourcen der Polizei und der Staatsanwaltschaf-ten sind wohl ähnlich limitiert und in der Bevölkerung war die fehlende Aussagepflicht vor der Polizei weitestgehend unbe-kannt. Gerade im Rahmen einer nicht durch die Staatsanwalt-schaft begleiteten Durchsuchung ärgerten sich die ein- gesetzten Beamten aber häufig darüber, wenn sie auf ent-sprechenden anwaltlichen Hinweis ergebnislos abziehen mussten.

VerhinderungdesAnwaltscontraAussagepflicht?

Vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage wird der Wunsch auf anwaltliche Unterstützung zukünftig entscheidende Bedeutung erlangen:

Gerade im Rahmen der Durchsuchung von Unternehmen treffen die Beamten auf eine Vielzahl von potentiellen Zeugen in Form der Mitarbeiter. Die Erfahrung zeigt, dass allein die Anwesenheit eines Anwalts einen disziplinierenden Effekt auf die Beamten hat. Eine unbegleitete Aussage ist daher seit jeher Ziel entsprechender Compliance-Maßnahmen.

Seit 2009 steht jedem Zeugen ausdrücklich und ohne Ein-schränkungen das Recht zu, einen anwaltlichen Beistand

hinzuzuziehen. Dazu gehört auch ein umfassendes Bera-tungsgespräch vor der Vernehmung. Da aber ein Zeuge eher selten ständig von seinem Anwalt umgeben sein wird oder Letzterer auch bei Verständigung verhindert sein kann, stellt sich die Frage, ob dies den Zeugen von seinen Pflichten ent-bindet. Das Gesetz sieht bei fehlender Entschuldigung die Auferlegung der Kosten, ein Ordnungsgeld von regelmäßig 150,00 €, die zwangsweise Vorführung oder sogar Beugehaft vor.

In der Praxis kamen die Staatsanwaltschaften dem Wunsch eines Zeugen nach anwaltlicher Begleitung und Absprache eines Termins regelmäßig nach, wenn die Bereit-schaft zur Erfüllung der Zeugenpflicht bestätigt wurde und kein Hinweis bestand, dass die Zeugenaussage verhindert werden sollte. Es mag aber zumindest angezweifelt werden, ob die Kriminalbeamten in der Praxis ähnliches Verhalten zei-gen werden. Gerade bei Durchsuchungen ist es ein nachvoll-ziehbares Interesse der Beamten, aus der damit verbundenen Drucksituation schnellstmöglich Aussagen zu erlangen. Dies lässt befürchten, dass die beschriebene „Tatort“-Szene zum Alltag wird. Ermittler vom Schlag der Herren Ballauf und Schenk wird es sicherlich Vergnügen bereiten, Maßnahmen wie die Vorführung oder die Beugehaft in Aussicht zu stellen, um Aussagewilligkeit zu fördern.

Die Beamten können sich aktuell noch auf die vor 2009 ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berufen, wonach eine Verhinderung des Rechtsanwalts den Zeugen nicht genügend entschuldigt und daher auch kein Anspruch besteht, die Vernehmung auf einen mit dem Anwalt abge-stimmten Termin zu verlegen.

Lösungsansatz

Wie soll sich nun also ein Zeuge bei unangekündigtem Erscheinen verhalten, wie der Arbeitgeber seine Mitarbeiter auf eine solche Situation vorbereiten? Teilweise empfiehlt selbst die Anwaltschaft, notfalls ohne Anwalt auszusagen. Dieser Empfehlung ist nicht zu folgen!

Zunächst verleiht das neue Recht den Beamten ihre Befugnisse erst dann, wenn ein entsprechender Auftrag der Staatsanwaltschaft vorliegt. Damit wollte der Gesetzgeber die Stellung der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Vorver-fahrens“ nochmals klarstellen. Verlangt wird nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich eine vorherige Entschei-dung der Staatsanwaltschaft. Die erste Frage eines Zeugen oder Arbeitgebers muss daher künftig lauten, ob der Beamte über einen entsprechenden Auftrag verfügt. Dessen sollte sich der Betroffene durch Verlangen eines schriftlichen Nach-weises oder notfalls telefonisch übermittelte Bestätigung des zuständigen Staatsanwalts versichern. Es ist damit zu rech-nen, dass die Beamten nach ersten praktischen Erfahrungen und insbesondere bei vorbereiteten Maßnahmen (z.B. Durch-suchung) ein solches Schriftstück mitführen werden. In die-sem Fall muss der Betroffene – wie in der Vergangenheit

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Wirtschafts- und Steuerstrafrecht

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auch – darauf verweisen, dass er zwar grundsätzlich aussa-gebereit ist, dies aber nur im Beisein eines Anwalts. Dann wird sich der Zeuge zunehmend den vorstehend skizzierten Androhungen gegenübersehen (Kosten, Ordnungsgeld, zwangsweise Vorführung, Beugehaft). Dem Beamten ist dann zu entgegnen, dass diese Maßnahmen von einem Staatsan-walt oder Richter schriftlich angeordnet werden müssen, in dem Wissen, dass eine Beugehaft nur in absoluten Ausnah-mefällen verhängt wird. Ein Vorführungsbefehl setzt zudem voraus, dass der Zeuge eine Vorladung nicht befolgt. Mit dem Hinweis, dass eine Begleitung der Beamten durchaus in Betracht kommt, nur die Aussage unter anwaltlichem Bei-stand erfolgen soll, wird diese Maßnahme ausscheiden. Maß-geblich ist außerdem, dass es bei dem Wunsch des Zeugen auf anwaltlichen Beistand nicht darum geht, die Aussage zu verhindern, sondern diese unter Wahrung der eigenen Rechte vorzunehmen. Dass die Staatsanwaltschaft unter diesen Um-ständen eine Beugehaft beantragt, ist so gut wie ausge-schlossen. Sowohl aus Gründen der Verhältnismäßigkeit als auch vor dem Hintergrund der Begründung des 2009 einge-führten Rechts auf jederzeitige anwaltliche Begleitung dürfte dies sogar unzulässig sein. Denn der Gesetzgeber hat aus-drücklich darauf hingewiesen, dass „die Behörden im Inte-resse einer fairen und ausgewogenen Verfahrensführung gehalten sind, Zeugenvernehmungen so zu terminieren, dass der Zeuge in Begleitung seines Beistands erscheinen kann.“ Übrig bleibt somit die Möglichkeit, dass dem Zeugen wegen fehlender Bereitschaft, ohne seinen Anwalt auszusagen, die Kosten und ein Ordnungsgeld auferlegt werden. Sichert spe-ziell der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern die Übernahmen dieser Kosten zu, sollten ausreichende Schutzmaßnahmen gegen eine unbegleitete Aussage getroffen sein. Unerlässlich wird aber eine deutlich intensivere Vorbereitung auf die unge-liebten Besuche der Behörden sein, um ein sachgerechtes Verhalten aller Betroffenen sicher zu stellen.

Dr. Mario Bergmann, LL.M.RechtsanwaltLL.M. WirtschaftsstrafrechtFachanwalt für StrafrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Der Common Reporting Standard

Internationale Zusammenarbeit beim Kampf gegen Steuerhinterziehung

Steuerhinterziehung gilt in Deutschland schon lange nicht mehr als Kavaliersdelikt. Die Verfolgung ist intensiv und die Strafen sind - geprägt durch die Rechtsprechung des Bun-desgerichtshofes - vergleichsweise hart. Auch der Gesetzge-ber setzt bei der Eindämmung und Bekämpfung von Steuerkriminalität klare Prioritäten. Er hat beispielsweise die Anforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige immer wieder verschärft und den Tatbestand des besonders schwe-ren Falles der Steuerhinterziehung erweitert. Die Strafverfol-gungsbehörden sind heute in der Lage Sachverhalte aufzu-decken, deren Ermittlung noch vor wenigen Jahren aussichtslos gewesen wäre. Dies wird vor allem durch erwei-

terte Ermittlungskompetenzen ermöglicht. Sammelanfragen an Handelsplattformen wie Ebay sind den Ermittlern heute problemlos möglich. Das sog. steuerliche Bankgeheimnis (§ 30a AO) wurde im Sommer diesen Jahres ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen. Bei Verdacht auf bandenmäßige Steuerhinterziehung darf die Steuerfahndung die gesamte Telekommunikation der Beschuldigten überwachen. Daneben wurde eine Vielzahl von Datenbanken zur Ermittlung von Steuerstraftaten eingerichtet. Ein weiterer Ansatzpunkt sind die Finanzinstitute. Viele Verfahren, die wir heute sehen, gehen auf eine sog. Geldwäscheverdachtsanzeige der Haus-bank zurück, die ungewöhnliche Kontobewegungen an die zuständige Staatsanwaltschaft meldet. Diese geben solche Informationen häufig direkt an die Steuerfahndung weiter, was direkt zur Einleitung eines Strafverfahrens oder zu einer Betriebsprüfung führen kann.

Der Kampf gegen die Steuerkriminalität kann im Inland also einige Erfolge verbuchen. Problematisch ist für die Straf-verfolger nach wie vor die Verlagerung von Kapital ins Aus-land. Der Ankauf von Steuer-CDs und die Weißgeldstrategie der Schweizer Banken hat allerdings die Steuerflucht in Eur-opa bereits ganz erheblich erschwert. Nun geht es darum, zu besteuernde ausländische Vermögen möglichst weltweit auf-zudecken. Diesem Zweck dient der Common Reporting Stan-dard (CRS).

Was ist der CRS?

Beim CRS handelt es sich um einen internationalen Standard zum Austausch von Finanzkonteninformationen. Grundlage des CRS ist ein multilaterales internationales Abkommen, in dem sich die teilnehmenden Staaten verpflichten, Finanzkon-teninformationen gemäß dem gemeinsamen Standard aus-zutauschen. Es geht hierbei um Informationen über Personen, die nicht im Inland steuerlich ansässig sind. Wenn beispiels-weise eine Person in Deutschland steuerpflichtig ist und ein Konto in der Volksrepublik China unterhält, dann meldet China Informationen über dieses Konto nach Deutschland. Umgekehrt werden Informationen über chinesische Steuer-pflichtige mit Konten in Deutschland weitergegeben. Durch den gegenseitigen Austausch sollen alle teilnehmenden Staaten von dem Abkommen profitieren.

Wie ist der CRS entstanden?

Die Vereinigten Staaten haben 2010 ein Bundesgesetz namens FATCA erlassen. Dieses Gesetz verpflichtet auslän-dische Finanzinstitute sämtliche amerikanische Steuerpflich-tige im eigenen Kundenbestand zu erfassen und an den Internal Revenue Service (IRS) zu melden. Halten sich die Finanzinstitute nicht daran, dann können ihre Einkünfte auf dem amerikanischen Markt mit einer Quellensteuer von bis zu 30 % belegt werden. Dadurch ist jedes Finanzinstitut, welches am amerikanischen Markt tätig sein möchte, faktisch gezwungen, die geforderten Daten zu erheben. FATCA wurde für die USA zu einem Erfolg bei der Bekämpfung von Steuer-flucht. Es gab daher schnell Bestrebungen vergleichbare Instrumente zu entwickeln. Da aber nicht jedes Land die Mög-lichkeit hat, seine steuerlichen Interessen auf internationaler

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Ebene mit der gleichen Überzeugungskraft durchzusetzen wie die USA, wurde eine Lösung auf Basis einer freiwilligen internationalen Zusammenarbeit entwickelt.

In 2013 traten die G20-Staaten an die OECD heran und beauftragen diese mit der Entwicklung eines globalen Stan-dards für den Datenaustausch. Bereits ein Jahr später ist der Standard komplett fertig und wird von der OECD veröffent-licht. Kernelemente sind der CRS (Common Reporting Stan-dard) und das CAA (Competen Authority Agreement). Im CRS sind im Wesentlichen die Meldepflichten festgelegt, wel-che die teilnehmenden Staaten ihren Finanzinstituten auferle-gen. Das CAA ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag. In diesem verpflichten sich die Staaten zum gegenseitigen Datenaustausch und zur innerstaatlichen Umsetzung des CRS. Die Rahmenbedingungen wurden durch die OECD also bereits sehr genau vorgegeben. Inhaltlich ist eine starke Orientierung an FATCA erfolgt. Zusätzlich hat die OECD auch einen technischen Standart entwickelt, der die praktische Umsetzung erleichtern soll.

Bereits im Oktober 2014 unterzeichneten die ersten 51 Staaten als „early adopters“ in Berlin das multilaterale Abkom-men. Auf EU-Ebene wird der Standard direkt durch die Amts-hilferichtlinie 2014/107/EU umgesetzt. Die Mitgliedstaaten der EU sind also direkt durch EU-Recht verpflichtet, nach dem CRS-Standard Daten untereinander auszutauschen. In Umsetzung der Richtlinie tritt in Deutschland am 31.12.2015 das Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen in Kraft (FKAustG).

Von der Auftragsvergabe an die OECD in 2013 bis zur Umsetzung in nationales Recht in der Bundesrepublik vergin-gen also gerade einmal zweieinhalb Jahre. Für internationale Angelegenheiten wurde hier ein enormes Tempo vorgelegt, das zeigt, dass es den teilnehmenden Staaten mit dem Kampf gegen die Steuerflucht ernst ist.

Wer nimmt Teil?

Mittlerweile haben sich 96 Staaten dem automatischen Datenaustausch nach dem CRS angeschlossen, Tendenz steigend. Neben sämtlichen EU Staaten haben sich auch wei-tere europäische Staaten wie die Schweiz, Lichtenstein und Monaco dem CRS verpflichtet. Auch sogenannte Steueroa-sen wie z.B. Panama oder die Cayman Islands sind dem Abkommen beigetreten. Auch die G-20-Staaten sind beinahe vollständig an Bord. Der CRS ist daher bereits jetzt ein großer Erfolg. Die einzige große Wirtschaftsmacht die sich dem CRS noch verweigert sind die USA. Dies ist insoweit nachvollzieh-bar, als die USA durch FATCA bereits die nötigen Informatio-nen aus dem Ausland erhalten. Bei einem Beitritt zum CRS hätten die USA kaum Vorteile. Stattdessen müssten die ame-rikanischen Banken verpflichtet werden eine Vielzahl von Informationen zu erheben, um die Anforderungen des CRS erfüllen zu können. Allerdings erscheint es nicht konsequent von ausländischen Finanzinstituten die Erhebung von genau diesen Daten zu fordern, während die inländischen Banken davon verschont bleiben. Die USA werden dadurch zumin-dest zeitweise selbst zu einem attraktiven Ziel für Steuer-flüchtige.

Wie wird gemeldet?

Die für den Austausch erforderlichen Informationen werden in den Ursprungsländern durch die Finanzinstitutionen, insbe-sondere durch die Banken, erhoben und an die zentrale zuständige Behörde weitergeleitet. In der Bundesrepublik ist dies das Bundeszentralamt für Steuern. Dieses gibt die Infor-mationen einmal im Jahr an die zuständigen Institutionen der Partnerstaaten weiter. Gleichzeitig empfängt es die Informati-onen aus dem Ausland gebündelt und gibt diese dann an die jeweiligen Finanzämter weiter, die für das Besteuerungsver-fahren bzw. das Steuerstrafverfahren zuständig sind. Diese Verfahrensweise ist für die teilnehmenden Staaten attraktiv, weil der Verwaltungsaufwand durch die Zentralisierung ver-gleichsweise gering ausfällt. Verantwortlich für die Erhebung der Daten sind die Finanzinstitute, die durch nationales Recht hierzu verpflichtet werden. Die staatlichen Stellen müssen die Informationen nur entgegennehmen und weiterleiten. Die auszutauschenden Datensätze sind standardisiert, so dass der Datenaustausch maschinell und automatisch erfolgen kann.

Was wird gemeldet?

Die Meldepflichten nach dem CRS sind recht umfangreich. Es sollen möglichst alle Einkünfte aus Kapitalerträgen, wie z.B. Zinsen und Dividenden erfasst werden. Kontostände und Ver-äußerungsgewinne sollen ebenfalls erfasst und übermittelt werden. Daneben wird der Begriff des Finanzinstituts weit gefasst. Nicht nur Banken müssen Informationen über ihre Kunden erheben, sondern auch Investmentunternehmen, Versicherungsunternehmen und sog. Verwahrinstitute. Darü-ber hinaus sind nicht nur natürliche Personen, sondern auch Rechtsträger, wie z.B. Stiftungen und Trusts, zu durchleuch-ten. Die Finanzinstitute müssen feststellen, wer die wirtschaft-lich berechtigten Personen hintern den Rechtsträgern sind. Auch hierrüber muss eine Meldung erfolgen. In Kurzform las-sen sich die Meldepflichten wie folgt zusammenfassen:

Meldepflicht nach CRS - Persönliche Daten des Meldepflichtigen (insbesondere

Steueridentifikationsnummer) - Bei Rechtsträgern/juristischen Personen auch die persön-

lichen Daten der beherrschenden Personen - Kontonummern - Meldende Finanzinstitute - Kontosaldo oder Kontowert einschließlich des Barwerts

oder Rückkaufwerts bei Versicherungen oder deren Auflö-sung

- die Gesamtbruttobeträge der Zinsen, Dividenden und anderer Erlöse, die während des Jahres erzielt wurden

- die Gesamtbruttoerlöse aus der Veräußerung oder dem - Rückkauf von Finanzvermögen, die während des Kalender-

jahres gutgeschrieben werden - jeweils in der entsprechenden Währung

Wann wird gemeldet?

Der Datenaustausch findet einmal jährlich zum 30. Septem-ber statt. Viele Staaten, insbesondere in der EU, haben

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bereits Finanzkonteninformationen aus 2016 erhoben und diese Daten im September diesen Jahres ausgetauscht. Österreich, die Schweiz und viele weitere Länder werden in 2018 erstmals am Datenaustausch teilnehmen. Der CRS ist also bereits in Kraft und spätestens im kommenden Jahr sol-len alle teilnehmenden Staaten Daten übermitteln.

Fazit

Bereits FATCA hat gezeigt, dass globale Instrumente gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung wirksam sein können. Der CRS könnte ebenso erfolgreich werden. Viele Länder haben großes Interesse an einem Datenaustausch. Im Ein-zelfall wird es jedoch auf die innerstaatliche Umsetzung ankommen. Staaten mit effizienter Gesetzgebung und Ver-waltung werden in der Lage sein, die Finanzinstitute zur Datenerhebung zu verpflichten und dies auch zu kontrollieren. Es wird möglicherweise aber auch Länder geben, die hierzu effektiv nicht in der Lage sind oder für welche die Umsetzung des CRS nicht höchste Priorität genießt. Sanktionen gegen einzelne Staaten sind im Rahmen des CRS ausdrücklich nicht vorgesehen. Es bleibt daher abzuwarten, wie wirksam der Datenaustausch in der Praxis sein wird. Zumindest inner-halb von Europa und in den G-20 Staaten ist jedoch mit einer erfolgreichen Umsetzung zu rechnen.

Christopher JonesRechtsanwaltFachanwalt für StrafrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

Neue strafrechtliche Risiken bei der Umsatz- steuererklärung

Die Änderungen innerhalb der Vordruckmuster der Umsatz-steuerjahreserklärungen bzw. der Umsatzsteuervoranmel-dungen wurden durch die Finanzverwaltung bisher erst zum Ende des laufenden Kalenderjahres oder später entworfen und veröffentlicht. Seit Oktober 2016 stellt die Finanzverwal-tung nun bereits vorab die erforderlichen Formulare und Pro-gramme in Elster bereit.

Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsver-fahrens führte dabei zu einer überraschenden Neuerung. Danach müssen Steuererklärungen, die nach amtlich vorge-schriebenem Vordruck abgegeben oder nach amtlich vorge-schriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung über-mittelt werden und die nach § 155 Absatz 4 Satz 1 AO zu einer ausschließlich automationsgestützten Steuerfestset-zung führen können, es dem Steuerpflichtigen ermöglichen, in einem dafür vorgesehenen Abschnitt oder Datenfeld der Steuererklärung Angaben zu machen, die nach seiner Auf-fassung Anlass für eine Bearbeitung durch Amtsträger sind. Wenn über die Angaben in der Umsatzsteuererklärung hinaus weitere oder abweichende Angaben oder Sachver-halte berücksichtigt werden sollen, hat der Unternehmer ab dem Besteuerungszeitraum 2017 in Zeile 22 (Umsatzsteuer-

jahreserklärung 2017) und in Zeile 25 (Umsatzsteuerjahreser-klärung 2018) eine „1“ einzutragen. Gleiches soll nach Ansicht der Finanzverwaltung gelten, wenn bei den in der Steuererklärung erfassten Angaben bewusst eine von der Verwaltungsauffassung abweichende Rechts-auffassung zugrunde gelegt wurde. Diese Angaben sind in einer vom Unternehmer zu erstellenden gesonderten Anlage zu machen, welche mit der Überschrift „Ergänzende Anga-ben zur Steuererklärung“ zu kennzeichnen ist.

Der Unternehmer kann mit der Angabe „1“ daher steuern, ob seine Steuererklärung den automatischen Veranlagungs-prozess unkritisch durchläuft oder „ausgesondert“ und durch einen Finanzamtsmitarbeiter unter die Lupe genommen wird.

Weicht der Unternehmer oder sein Steuerberater mit den Angaben innerhalb der Umsatzsteuererklärung „bewusst“ von den Richtlinien der Finanzverwaltung ab, sind Schwierig-keiten vorprogrammiert. Der Verdacht einer Steuerhinterzie-hung steht dann im Raum. Demgegenüber ist der Unterneh-mer/Steuerberater jedoch lediglich an Gesetz und Rechtsprechung gebunden und es scheint fraglich, ob er sich mit den Rechtsauffassungen der Finanzverwaltung über-haupt befassen muss.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsa-chen ist hier seit einer Entscheidung aus dem Jahre 1999 zum Nachteil der Steuerpflichtigen eindeutig. Da sich hinter den mitgeteilten Zahlen innerhalb einer Steuererklärung die verschiedensten Sachverhalte verbergen können, die für das Finanzamt nicht erkennbar sind, besteht zumindest eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist. Dies ist ins-besondere dann der Fall, wenn die von dem Steuerpflichti-gen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechts-begriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht. In einem derartigen Fall kann es ausreichend sein, die abwei-chende Rechtsauffassung mitzuteilen, wenn deren Schilde-rung die erforderliche Tatsachenmitteilung enthält. Hiermit soll sichergestellt werden, dass strittige Punkte offen im Besteuerungsverfahren geklärt werden können.

Offen bleibt aber die Frage, wann „bewusst“ von den Richtlinien der Finanzverwaltung abgewichen wird.

Unter Compliance-Aspekten ist im Steuererklärungspro-zess eine Routine einzuführen, welche die Notwendigkeit von Eintragungen kontrolliert und dokumentiert. Dabei ist also zu klären, ob eine Eintragung nebst Konkretisierung der Anga-ben in einer Anlage notwendig ist und ob bereits in den Voran-meldungen erfolgte Angaben auch in die Jahreserklärung übernommen wurden.

Rüdiger HitzRechtsanwalt und SteuerberaterFachanwalt für SteuerrechtFachanwalt für StrafrechtBRANDI Rechtsanwä[email protected]

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