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Molekulare Grundlagen der cytoplasmatisch vererbten Sterilitat hoherer Pjlanzen Wolfgang Schuster, Rudolf Hiesel, Werner Schobel, Bernd Wissinger, Axel Brennicke Molekulare Grundlagen der cytoplasmatisch vererbten Sterilitat hoherer Pflanzen Zu Beginn dieses Jahrhunderts fie1 den Gene- tikern die Unfahigkeit einiger Pflanzen auf, reife Pollen zu entwickeln: diese genetisch verankerte mannliche Sterilitat vererbt sich nicht nach den Mendelschen Regeln, sondern strikt maternal, uber andere, cytoplasmati- sche Erbtrager, nicht nach dem Spaltungsmu- ster chromosomal ubermittelter Information bei diploiden Organismen. Der direkte Nachweis von DNA in Mito- chondrien und Plastiden vor etwa zwanzig Jahren belegte die Moglichkeit, auch auger- halb des Zellkerns notwendige Informatio- nen an nachfolgende Generationen zu verer- ben. Lange bevor wir jetzt beginnen, mole- kulare Veranderungen des mitochondrialen Genoms in hoheren Pflanzen zu verstehen, die die normale Reifung des Pollens verhin- dern, benutzten Saatgutfirmen und Land- wirtschaft diese Mutanten zur Zuchtung er- tragreicherer Sorten. Aus der Beobachtung, dag die Nachkommen aus der Kreuzung zweier unterschiedlicher Eltern oft kraftiger und ertragreicher wuchsen als jede der Aus- gangsformen, entstand die Hybridzuchtung, die den Hybridsamen immer wieder neu aus den Elternformen herstellt und so zu der glo- balen Ertragssteigerung der Landwirtschaft erheblich beigetragen hat. Bei der Produktion solcher Hybride mug fur jedes Samenkorn die Herkunft aus Kreuzung der beiden Elternformen gewahrleistet sein, eine Trennung der selbstbefruchteten und der aus der Kreuzung entstandenen Samenkorner ist nicht moglich, sie unterscheiden sich au- Gerlich nicht. Der sicherste Weg, eine Selbst- befruchtung zu verhinern, bleibt immer noch die Ausschaltung des Pollens bei einer Eltern- form. Alle an diesen Pflanzen entstehenden Samen konnen dann nur aus der Kreuzung mit dem anderen Elternteil entstanden sein, die gewunschten, reinen Hybridsamen. Der Pollen einer Elternform kann mit verschiede- nen Methoden an der Befruchtung gehindert werden. Die mechanische Entfernung (mit dem schonen Namen ,,Handemaskulation") der StaubgefaRanlagen vor der Reifung des 144 Pollens benutzen Zuchter und Genetiker bei der Versuchsarbeit an wenigen Exemplaren und bei der Saatgutherstellung als letzte Moglichkeit, die Versorgung der Landwirt- schaft mit Hybridsaatgut im TonnenmaRstab auf diese Art verbietet sich gerade bei den Ge- treiden mit extrem kleinen Blutenansatzen. Erst der Einsatz der cytoplasmatisch vererb- ten mannlich sterilen (CMS) Varianten er- moglichte die kommerzielle Nutzung der Hybridvorteile (der Heterosis, engl. hybvid vigour), da alle auf dem nur sterilen Pollen produzierenden Elter reiferiden Samen aus der Kreuzung mit dem in der danebenliegen- den Reihe gepflanzten und funktionsfahigen Pollen abgebenden Elter entstanden sein mussen. Fur den Einsatz dieses Samens auf dem Feld durfen die anwachsenden Hybrid- pflanzen naturlich nicht mehr steril sein, sie mussen wieder Pollen bilden, um den Fruchtansatz zu ermoglichen. Fur viele CMS- Mutanten fanden die Zuchtungsgenetiker ausgleichende, kompensierende Mutationen im Zellkern, die Restorer-Gene, die die Rei- fung von fertilem Pollen trotz der cytoplas- matischen Defekte ermoglichen. Durch die Kombination der CMS-Mutante im einen El- ter mit der Restorer-Funktion in der anderen Ausgangsform entsteht normal fertiler Hy- bridsamen, der ohne weitere Hilfsmagnah- men auf dem Feld angebaut werden kann. Wie bedeutend das Hybridsaatgut fur die Landwirtschaft allmahlich geworden ist, zeigte sich im Jahr 1970 bei der Maisernte in den Vereinigten Staaten von Amerika. In die- sem Jahr wurden ungefahr 85 % der amerika- nischen Maisfelder mit Hybriden des mann- lich sterilen sogenannten T-Cytoplasma (T fur Texas) bepflanzt und etwa ein Drittel der Ernte durch Infektion mit dem Pilz Helmin- thosporium maydis vernichtet. Andere Cyto- plasmatypen von Mais, fertile wie Typ N (N = normal) und sterile wie die Typen C und S, sind weitgehend resistent gegen diesen spe- zifischen Pilzbefall. Diese Ernteverluste ver- deutlichten, wie wichtig das Verstandnis der grundlegenden Vorgange fur die Verwendung und Ausnutzung eines biologischen Phano- mens ist, um solche ungeahnten Nachteile und Nebeneffekte zu vermeiden oder effektiv zu kompensieren. Die seitdem intensiv gefiirderten Untersu- chungen am Mais ermoglichen uns heute, die molekularen Mechanismen der cytoplasma- tisch vererbten Pollensterilitat im Prinzip zu verstehen. Das spezielle Interesse am T-Cy- toplasma des Mais trieb diese Arbeiten bis zur Modellbildung fur die Entstehung von CMS- Mutationen. Vergleichende Analysen der beiden extra- chromosomalen Erbtrager, der Plastiden und der Mitochondrien, in den Zellen hoherer Pflanzen zeigten eine eindeutige Korrelation von CMS mit dem mitochondrialen Genom. Wahrend die Plastiden-DNA bei fertilen und sterilen Linien identisch aussieht, unterschei- det sich die Organisation der mitochondria- len DNA deutlich bei sterilen Pflanzen. Ei- nen Uberblick uber die Genomstruktur ge- ben die verschiedenen DNA-Fragmente, die aus dem Zerschneiden mit Restriktionsenzy- men entstehen. Die DNA-Fragmente aus normalen und sterilen Mitochondrien wer- den nebeneinander auf einem Gel ihrer Gro- fie nach getrennt und verglichen. Die Her- kunft neu angeordneter DNA kann dann uber Hybridisierungen verfolgt werden, die Fragmente mit den spezifischen Sequenzen selektiv radioaktiv markieren und im Autora- diogramm sichtbar machen (Abbildung 1). Im T-Cytoplasma des Mais treten mehrere neue Fragmente in Restriktionsfragment- Vergleichen auf, die bei Ruckmutationen des mitochondrialen Genoms zu mannlicher Fer- tilitat zum Teil wieder verschwinden [I, 21. Allen sekundar wieder fertilen Ruckmutatio- nen des T-Cytoplasmas ist die Mutation eines 6 600 Nucleotide langen Fragmentes gemein- Sam, das nach Verdau mit dem Restriktions- enzym XhoI im CMS T-Mitochondrion zu finden ist [3] (Abbildung 1). Dieses Fragment wird in verschiedene Boten-RNAs transkri- biert und enthalt Informationen fur zwei Pro- Biologie in unserer Zeit / 17. Jahrg. 1987 / Nr. 5 0 V C H Verlagsgesellscbafi mbH, 0-6940 Weinhcim, 1987 0045-205X/87/0~10-0l44 $ 02.50/0

Molekulare Grundlagen der cytoplasmatisch vererbten Sterilität höherer Pflanzen

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Molekulare Grundlagen der cytoplasmatisch vererbten Sterilitat hoherer Pjlanzen

Wolfgang Schuster, Rudolf Hiesel, Werner Schobel, Bernd Wissinger, Axel Brennicke

Molekulare Grundlagen der cytoplasmatisch vererbten Sterilitat hoherer Pflanzen

Zu Beginn dieses Jahrhunderts fie1 den Gene- tikern die Unfahigkeit einiger Pflanzen auf, reife Pollen zu entwickeln: diese genetisch verankerte mannliche Sterilitat vererbt sich nicht nach den Mendelschen Regeln, sondern strikt maternal, uber andere, cytoplasmati- sche Erbtrager, nicht nach dem Spaltungsmu- ster chromosomal ubermittelter Information bei diploiden Organismen.

Der direkte Nachweis von D N A in Mito- chondrien und Plastiden vor etwa zwanzig Jahren belegte die Moglichkeit, auch auger- halb des Zellkerns notwendige Informatio- nen an nachfolgende Generationen zu verer- ben. Lange bevor wir jetzt beginnen, mole- kulare Veranderungen des mitochondrialen Genoms in hoheren Pflanzen zu verstehen, die die normale Reifung des Pollens verhin- dern, benutzten Saatgutfirmen und Land- wirtschaft diese Mutanten zur Zuchtung er- tragreicherer Sorten. Aus der Beobachtung, dag die Nachkommen aus der Kreuzung zweier unterschiedlicher Eltern oft kraftiger und ertragreicher wuchsen als jede der Aus- gangsformen, entstand die Hybridzuchtung, die den Hybridsamen immer wieder neu aus den Elternformen herstellt und so zu der glo- balen Ertragssteigerung der Landwirtschaft erheblich beigetragen hat.

Bei der Produktion solcher Hybride mug fur jedes Samenkorn die Herkunft aus Kreuzung der beiden Elternformen gewahrleistet sein, eine Trennung der selbstbefruchteten und der aus der Kreuzung entstandenen Samenkorner ist nicht moglich, sie unterscheiden sich au- Gerlich nicht. Der sicherste Weg, eine Selbst- befruchtung zu verhinern, bleibt immer noch die Ausschaltung des Pollens bei einer Eltern- form. Alle a n diesen Pflanzen entstehenden Samen konnen dann nur aus der Kreuzung mit dem anderen Elternteil entstanden sein, die gewunschten, reinen Hybridsamen. Der Pollen einer Elternform kann mit verschiede- nen Methoden an der Befruchtung gehindert werden. Die mechanische Entfernung (mit dem schonen Namen ,,Handemaskulation") der StaubgefaRanlagen vor der Reifung des

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Pollens benutzen Zuchter und Genetiker bei der Versuchsarbeit an wenigen Exemplaren und bei der Saatgutherstellung als letzte Moglichkeit, die Versorgung der Landwirt- schaft mit Hybridsaatgut im TonnenmaRstab auf diese Art verbietet sich gerade bei den Ge- treiden mit extrem kleinen Blutenansatzen.

Erst der Einsatz der cytoplasmatisch vererb- ten mannlich sterilen (CMS) Varianten er- moglichte die kommerzielle Nutzung der Hybridvorteile (der Heterosis, engl. hybvid vigour), da alle auf dem nur sterilen Pollen produzierenden Elter reiferiden Samen aus der Kreuzung mit dem in der danebenliegen- den Reihe gepflanzten und funktionsfahigen Pollen abgebenden Elter entstanden sein mussen. Fur den Einsatz dieses Samens auf dem Feld durfen die anwachsenden Hybrid- pflanzen naturlich nicht mehr steril sein, sie mussen wieder Pollen bilden, um den Fruchtansatz zu ermoglichen. Fur viele CMS- Mutanten fanden die Zuchtungsgenetiker ausgleichende, kompensierende Mutationen im Zellkern, die Restorer-Gene, die die Rei- fung von fertilem Pollen trotz der cytoplas- matischen Defekte ermoglichen. Durch die Kombination der CMS-Mutante im einen El- ter mit der Restorer-Funktion in der anderen Ausgangsform entsteht normal fertiler Hy- bridsamen, der ohne weitere Hilfsmagnah- men auf dem Feld angebaut werden kann.

Wie bedeutend das Hybridsaatgut fur die Landwirtschaft allmahlich geworden ist, zeigte sich im Jahr 1970 bei der Maisernte in den Vereinigten Staaten von Amerika. In die- sem Jahr wurden ungefahr 85 % der amerika- nischen Maisfelder mit Hybriden des mann- lich sterilen sogenannten T-Cytoplasma (T fur Texas) bepflanzt und etwa ein Drittel der Ernte durch Infektion mit dem Pilz Helmin- thosporium maydis vernichtet. Andere Cyto- plasmatypen von Mais, fertile wie Typ N (N = normal) und sterile wie die Typen C und S, sind weitgehend resistent gegen diesen spe- zifischen Pilzbefall. Diese Ernteverluste ver- deutlichten, wie wichtig das Verstandnis der grundlegenden Vorgange fur die Verwendung

und Ausnutzung eines biologischen Phano- mens ist, um solche ungeahnten Nachteile und Nebeneffekte zu vermeiden oder effektiv zu kompensieren.

Die seitdem intensiv gefiirderten Untersu- chungen am Mais ermoglichen uns heute, die molekularen Mechanismen der cytoplasma- tisch vererbten Pollensterilitat im Prinzip zu verstehen. Das spezielle Interesse am T-Cy- toplasma des Mais trieb diese Arbeiten bis zur Modellbildung fur die Entstehung von CMS- Mutationen.

Vergleichende Analysen der beiden extra- chromosomalen Erbtrager, der Plastiden und der Mitochondrien, in den Zellen hoherer Pflanzen zeigten eine eindeutige Korrelation von CMS mit dem mitochondrialen Genom. Wahrend die Plastiden-DNA bei fertilen und sterilen Linien identisch aussieht, unterschei- det sich die Organisation der mitochondria- len D N A deutlich bei sterilen Pflanzen. Ei- nen Uberblick uber die Genomstruktur ge- ben die verschiedenen DNA-Fragmente, die aus dem Zerschneiden mit Restriktionsenzy- men entstehen. Die DNA-Fragmente aus normalen und sterilen Mitochondrien wer- den nebeneinander auf einem Gel ihrer Gro- fie nach getrennt und verglichen. Die Her- kunft neu angeordneter D N A kann dann uber Hybridisierungen verfolgt werden, die Fragmente mit den spezifischen Sequenzen selektiv radioaktiv markieren und im Autora- diogramm sichtbar machen (Abbildung 1).

Im T-Cytoplasma des Mais treten mehrere neue Fragmente in Restriktionsfragment- Vergleichen auf, die bei Ruckmutationen des mitochondrialen Genoms zu mannlicher Fer- tilitat zum Teil wieder verschwinden [ I , 21. Allen sekundar wieder fertilen Ruckmutatio- nen des T-Cytoplasmas ist die Mutation eines 6 600 Nucleotide langen Fragmentes gemein- Sam, das nach Verdau mit dem Restriktions- enzym XhoI im CMS T-Mitochondrion zu finden ist [3] (Abbildung 1). Dieses Fragment wird in verschiedene Boten-RNAs transkri- biert und enthalt Informationen fur zwei Pro-

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teine von 13 kDa (Abbildung 2) und 25 kDa Groge [4].

Beide Proteine existieren nur in Mitochon- drien vom Typ T, nicht im normalen, fertilen Cytoplasma. Abbildung 3 zeigt die Proteine, die isolierte Mitochondrien synthetisieren, im Vergleich [5, 61. In diesem Experiment werden den gereinigten Mitochondrien alle notwendigen Aminosauren mit einer radio- aktiv markierten darunter angeboten, meist die Aminosaure [35S] Methionin. Zur Aktivie- rung der Biosyntheseaktivitat gehoren noch Energietrager in Form von ATP oder Succi- nat, die die Mitochondrien leicht aufnehmen und umsetzen konnen. Anschliegend werden die Mitochondrien lysiert und die gesamten Proteine in einem Gel ihrer Groge nach ge- trennt.

Im Autoradiogramm des Gels erscheinen nur die Proteine, die im Mitochondrion selbst synthetisiert und auch ebendort kodiert wer- den. In der Tat konnen die klassisch mito- chondrial vererbten der etwa zwanzig Po- lypeptide schon an ihrer Groge identifiziert werden, in Analogie zu ihrem elektrophoreti- schen Verhalten nach Isolierung aus Saugetie- ren oder Hefe. Bei den sekundar fertilen Ruckmutanten fehlen meist beide dieser neu- en Proteine, immer aber das kleinere mit 13 kDa. Dieses steht in bisher luckenlosem Zu- sammenhang mit dem Auftreten von CMS Typ T und stellt den verantwortlichen Kandi- daten als Verursacher der Pollensterilitat.

Die derzeitige Modellvorstellung nimmt an, dai3 die normale Mitochondrienfunktion nicht durch die Gegenwart dieses Proteins

beeintrachtigt wird, sondern erst unter den noch undefinierbar extremen Anforderungen der Pollenreifung durch das 13 kDa Protein gestort wird und versagt, wodurch die Pollen- entwicklung zum Stillstand kommt.

Ein zweites Beispiel einer CMS-Linie der Hirse belegt die Hypothese der Funktions- storung durch veranderte Polypeptide [7]. In dieser mitochondrialen Mutation ist das Gen fur die Untereinheit I der Cytochrom c-Oxi- dase gestort (Abbildung 4). Eine Umkombi- nation hat den hinteren Abschnitt des Gens durch andere mitochondriale Sequenzen er- setzt, die durch die Fusion mit dem normalen Gen-Beginn zu einem veranderten Protein- produkt fuhren. Das in den mutierten Mito- chondrien synthetisierte chimare Polypeptid bekommt durch die in die neuen, hinzugefug- ten Sequenzen weiterlaufende Ubersetzung der Nucleinsaurematrize eine andere Protein- folge im hinteren Abschnitt, die zufallig so- gar zu einem verlangerten Leseraster und da-

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Abb. 4. Eine Veranderung des Gens fur die Untereinheit I der Cytochrom c-Oxidase in eineni Mitochonclrientyp der Hirse ist verantwortlich fur den Abbruch der Pol- lencntwicklung und damit die Ausbildung dieser Art von CMS. Durch Umordnung der Sequenzen wurde das Leseraster dieses Gens verlangcrt, und es entsteht ein neues, chimares Protein. Dieses genugt unter den normalen Anforderungen und versagt erst bei der Pollenreifung.

Abb. 5. (a)Nicht iinnier fuhren Umorga- nisationen zur Ausbildung von CMS in- duzierenden Neukombinationen. Im nor- mal fertilen mitochondrialen Genom der Nachtkerze Oenothera berteriana gesche- hen solche Reorganisationen von Sequen- zen extrein haufig. So finden sich neben den1 einen intakten Gen fur die Unterein- heit a der ATPase drei verschiedene Bruch- stucke dieses Gens in Kombinationen mit anderen Sequenzen in1 Mitochondrion. Die beiden Reorganisationsstellen liegen dabei nur 264 Nucleotide auseinander.

(b) Ein zweites Beispiel aus Oenothera zeigt die Verdoppelung und Urnkombination ei- ner funktionalen Region, die jetzt vor zwei verschiedenen Genen identisch ist, den Ge- nen fur die Untereinheiten I und 111 der Cytochrom c-Oxidase. Diese Umkombina- tion ist fur die Zelle vielleicht okonomisch von Vorteil, da beide Untereinheiten dieses Enzymkomplcxes nun uber die gleichen Faktoren gesteuert werden konnen.

mit zu einern vergroflerten Proteinprodukt fuhrt. Dieses expandierte Chimarprotein zeigt die normale Aktivitat in dem Enzym- komplex der Cytochrom c-Oxidase ohne rnerklichen Unterschied in allen Atmungs- tests dieser Mitochondrien. Erst bei der Pol- lenreifung reicht dann die Aktivitat dieses modifizierten Polypeptides nicht mehr aus und fuhrt zur beobachteten mannlichen Steri-

litat. Da in diesern CMS-Typ der Hirse- Mitochondrien keine andere Untereinheit I kodiert wird, la& sich der Effekt der CMS eindeutig auf die Veranderung in der Gen- Struktur der Untereinheit I der Cytochrorn c-Oxidase zuruckfuhren. Der Vergleich der Proteinprofile von isolierten Hirse-Mito- chondrien des CMS und des fertilen Typs be- legt ebenfalls den Ersatz desnorrnalen durch das rnutierte Polypeptid, das wegen der zu- satzlichen Aminosauren deutlich langsamer in der Elektrophorese wandert als die norma- le Untereinheit I.

Wie entstehen diese chimaren Gene in den Mitochondrien hoherer Pflanzen? Spontane CMS-Mutanten wurden bei fast allen darauf- hin untersuchten Pflanzen gefunden, bisher bei etwa 140 Spezies. Solche Mutationen scheinen sehr haufig unabhangig voneinan- der zu geschehen.

Diese CMS-Mutanten erscheinen als zufal- lige Produkte von Neukombinationen im mitochondrialen Genom, die laufend vor sich gehen und vielfache Veranderungen in der Struktur der mitochondrialen D N A auslosen. Viele dieser Neuordnungen fuhren wohl auch zur Zerstorung von Genen, was die Pflanze nicht uberleben kann, da sie auf die Atmung der Mitochondrien angewiesen ist. Wir beobachten solche verkruppelten Gene nur dann, wenn ursprunglich rnindestens zwei Allele existieren, von denen eines stabil und funktionsfahig erhalten bleibt, wahrend

das andere umkornbiniert. Ein extremes Bei- spiel fur solche Gen-Verdoppelungen und an- schlieflende Urnkombination finden wir in den Mitochondrien der Nachtkerze, Oeno- thera bertrriana, einer der klassischen Ver- suchspflanzen der Genetiker, an der vor etwa sechzig Jahren auf eine Vererbung von Merk- rnalen auch auRerhalb des Zellkerns geschlos- sen wurde.

In den Mitochondrien von Oenothera finden sich zu fast jedem intakten mitochondrialen Gen auch Bruchstucke, die nur einen Teil der gesamten Information enthalten und mit an- deren Sequenzen verknupft wurden. Die mei- sten dieser Gen-Fragmentc (Pseudogene) wurden in ihrem neuen Kontext sinnlos, sie werden meist gar nicht mehr in Boten-RNA umgeschrieben und tragen zur Vergroi3erung des mitochondrialen Genoms der Pflanze bei, ohne prirnar neue Information zuzufugen.

Als Beispiel zeigt die Abbildung 5 die Pseu- dogen-Allele des Gens fur die Untereinheit a der ATPase, in denen gleich zwei Neukombi- nationen rnit anderen Sequenzen stattgefun- den haben, die eine direkt im Initiationsko- don ATG der Translation, die zweite 264 Nucleotide entfernt in der kodierenden Re- gion [S]. An der Neukombination im ATG- Kodon ist ein Gen-Fragment aus der Unter- einheit I1 der Cytochrom c-Oxidase beteiligt, das aber nicht im gleichen Leseraster ver- knupft ist. Bei diesen Neukombinationen von Sequenzfragmenten aus Genen, die fur Pro-

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teine kodieren, wird bei statistischer Vertei- lung der Grenzen naturlich nur jedes dritte Ereignis zu einer Verbindung der Leseraster fuhren.

Unter den vielen Ereignissen von Umkombi- nationen und Sequenzneuordnungen entste- hen dann irgendwann auch Kombinationen, die in der normalen Mitochondrienfunktion keine Auswirkung zeigen, die Pflanze nicht gleich umbringen, sondern sich nur bei der Pollenreifung auswirken und so zur CMS fuhren. Diese CMS induzierenden Neukom- binationen konnen Teile von mitochondria- len,Protein-Genen enthalten (COX I bei der Hirse) oder auch aus anderen Genomregio- nen zu einem kodierenden Raster fur ein ganzlich neues Protein zusammengesetzt sein, wie das 13 kDa Polypeptid beim Mais.

Fur eine Expression der neuen Information wie bei den CMS induzierenden Proteinen mussen auch die notwendigen Kontrollse- quenzen fur Transkription und Translation vorhanden sein, die ein neu entstandenes Chi- mar-Gen zur Expression bringen.

In dem zweiten in Abbildung 5 gezeigten Bei- spiel aus Oenothera sehen wir die Verdoppe- lung einer solchen Kontrollregion, die jetzt zwei verschiedene Gene steuert, die beiden Urrtereinheiten I und I11 der Cytochrom c-Oxidase [9]. Durch dieses Ereignis kann nun die Produktion verschiedener an der Synthese eines Enzymkomplexes beteiligter Gene koordiniert gesteuert werden.

Uber die enzymatischen Faktoren, die an die- sen Umkombinationen beteiligt sind, konnen wir bisher nur Ruckschlusse aus den beobach- teten Produkten ziehen. Moglicherweise sind zwei verschiedene Mechanismen daran betei- ligt, einmal eine homologe Anlagerung von zwei Regionen identischer Sequenz nach ei- ner Verdoppelung, deren Randregionen dann ausgetauscht werden konnen. Ein zweiter Mechanismus konnte uber eine spezifische Erkennung einer kurzen Sequenz von etwa zehn Nucleotiden operieren, an der sich die beteiligten Protein- und/oder RNA-Enzyme anlagern, die den Austausch der Randsequen- zen katalysieren. Fur beide Mechanismen fin- den sich Hinweise in den bisherigen Untersu- chungen, die jetzt auf die Charakterisierung der beteiligten Faktoren ausgeweitet werden mussen.

taten wird auch die noch offene Frage klaren, wann und wie oft diese Umkombinationen stattfinden. Die absolute Ubereinstimmung einiger dieser wiederholten Sequenzabschnit- te mit ursprunglichen Sequenzen, wenn diese Unterscheidung uberhaupt moglich ist, deu- tet auf eine standig aktive Umkombination hin. Moglicherweise regulieren aber auch ent- wicklungsstadienspezifische Faktoren die Aktivitat der Umkombination, die sich dann vielleicht nur einmal in der Ontogenie einer Pflanze auswirkt und ebenfalls zu identi- schen Sequenzen in den duplizierten Regio- nen fuhrt, da die Zeit fur ein Auseinander- driften im Leben eines Individuums in diesem Fall zu kurz ist.

In der freien Natur konnen wir uns das Auf- treten von CMS-Varianten als einen Uberle- bensvorteil fur die gesamte Population einer Spezies vorstellen, da die Pflanze, die keinen Pollen mehr bilden kann, in jedem Fall von einer anderen befruchtet werden und der ent- stehende Samen aus einer Vermischung des genetischen Materials verschiedener Indivi- duen entstehen mui3. Wir konnen also das Auftreten von CMS als eine Verhinderung von Inzucht mit dem Effekt verstehen, dai3 der Gen-Pool der Population flexibel erhalten wird, und die Spezies anpassungsfahig uber- leben kann.

Die genauere Kenntnis der Gen-Struktur- veranderungen, die die Pollenreifung storen und der enzymatischen Hintergriinde dieses Systems wird es uns vielleicht ermoglichen, gezielt CMS zu induzieren und zu manipulie- ren, um die Produktion neuer Hybridsaaten zu vereinfachen.

Durch Einschleusen solcher chimaren Pro- tein-Gene konnte rnit einfachen manipulati- ven Techniken ohne jahrelange, klassische Einkreuzungen bei einem der zu kreuzenden Eltern rnit vorteilhaften Eigenschaften CMS induziert werden. Dies ware von direktem Nutzen fur die Verbesserung solcher Spezies, bei denen bisher keine naturlichen CMS- Mutanten gefunden wurden, wie etwa beim Spinat. Die Moglichkeit, gezielt und kontrol- lierbar die Pollenreifung zu unterbinden, er- offnet weitreichende Perspektiven in der Zuchtung neuer Hybride, in denen sich als Beispiele fur wichtige Eigenschaften hoher Ertrag, umfassende Resistenzen, klimatische Anpassung in kurzester Zeit kombinieren las- sen.

Literatur

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Die Autoren arbeiten am Lehrstuhl fur Spe- zielle Botanik der Universitat Tubingen an der Analyse des mitochondrialen Genoms hoherer Pflanzen. Die Untersuchungen kon- zentrieren sich gegenwartig darauf, die Struk- tur des mitochondrialen Genoms in Oeno- thera mit seinen vielen Umkombinationen und die Steuerung der Genexpression in den Mitochondrien zu verstehen.

Anschrift:

Lehrstuhl fur Spezielle Botanik der Univer- sitat Tubingen, Auf der Morgenstelle 1, D-7400 Tubingen. Die genauere Kenntnis der beteiligten Aktivi-

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