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Methoden zur Ermittlung von Kosten-Nutzen- Relationen für Arzneimittel in Deutschland Autoren J.-M. Graf von der Schulenburg 1 , C. Vauth 1 , T. Mittendorf 1 , W. Greiner 2 Institute 1 Institut für Versicherungsbetriebslehre, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Leibniz-Universität Hannover 2 Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld Bibliografie DOI 10.1055/s-2007-963108 Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1432-2625 Korrespondenzadresse Prof. Dr. J.-Matthias Graf von der Schulenburg Institut für Versicherungs- betriebslehre, Wirtschaftswis- senschaftliche Fakultät, Leibniz- Universität Hannover Königsworther Platz 1 30167 Hannover [email protected] Hintergrund ! Zum 1.4.2007 schreibt der Gesetzgeber vor, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt werden kann, die Nutzen und das Kosten-Nut- zen-Verhältnis von Arzneimitteln zu evaluieren. Dabei hat das Institut internationale Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesund- heitsökonomie anzuwenden. Darüber hinaus hat es die verwendeten Methoden und Kriterien im Internet zu veröffentlichen und eine hohe Ver- fahrenstransparenz sowie eine angemessene Be- teiligung Betroffener, u.a. von Patientenvertre- tern und der Pharmaindustrie, sicherzustellen. Dies bedeutet eine klare Strukturierung des Pro- zesses der Bewertung. Das Ziel dieses Methodenpapiers ist die opera- tionale Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die wirtschaftliche Bewertung von Arzneimitteln, d. h. der Ermittlung des Kosten- Nutzen-Verhältnisses. Entsprechend enthält die- ses Papier drei Teile: Der erste Teil gibt einen Überblick über die im Ausland verwendeten Methoden. Dies ist erfor- derlich, da es den „einen“ internationalen Lehr- buchstandard der Gesundheitsökonomie auf- grund einer andauernden Weiterentwicklung der Methoden nicht gibt. Stattdessen hat sich in der Wissenschaft und in der Praxis ein breiter Konsensus unter den weltweit führenden Ge- sundheitsökonomen sowie staatlichen Bewer- tungsinstitutionen auf dem Gebiet der ökono- mischen Evaluation von Gesundheitsleistungen herausgebildet, der die derzeitigen Standards bei der Vorgehensweise wirtschaftlicher Bewer- tungen dokumentiert. Beispiele ergeben sich aus der Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Evaluationen im Rahmen von Bewertungspro- zessen von Gesundheitstechnologien wie u. a. Operationstechniken, Diagnoseverfahren und Arzneimitteln. Zu nennen wären u.a. die Struk- turen in England und Wales, Schweden, Portu- gal, Kanada, Neuseeland, Australien sowie ganz aktuell auch Belgien. Während der erste Teil einen Überblick über die international verbreiteten Anwendungsgebiete der Gesundheitsökonomie bei politischen Ent- scheidungsprozessen liefert, soll der zweite Teil die methodischen Anforderungen an ökonomi- sche Evaluationsstudien in und für Deutschland spezifizieren. Dazu ist es erforderlich, den ge- setzlichen Rahmen, welcher sich aus dem Sozi- algesetzbuch fünftes Buch (SGB V) sowie den Änderungen auf Basis des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Kranken- versicherung (WSG) ergeben, zu skizzieren und darzustellen. Auf dieser Basis werden die Anfor- derungen an gesundheitsökonomische Studien (u. a. hinsichtlich Studienformen, ökonomische Endpunkte, Perspektive, einzubeziehende Kos- tenarten, Datengrundlagen und Transparenz, Umgang mit Unsicherheiten und Verfahren zur Qualitätssicherung) im Einzelnen dargestellt. Da der Gesetzgeber auch die Festlegung eines Bewertungsprozesses vorschreibt, damit eine hohe Verfahrenstransparenz und eine angemes- sene Beteiligung der im Gesetz Genannten si- chergestellt werden kann, widmet sich der dritte Teil des Methodenpapiers genau diesem Aspekt. Dabei soll der Prozess nicht als einfaches Ablauf- diagramm skizziert werden. Stattdessen sollen die einzelnen Prozessschritte einzeln aufgezeigt und begründet werden, sodass sich zu jeder Zeit für alle Beteiligte ein transparentes Vorgehen mit klaren Beteiligungsmöglichkeiten darstellt. Dazu gehört auch die Darstellung der Rechte und Pflichten der am Prozess Beteiligten: G-BA, BMG, IQWiG, durchführende Autoren, Sachver- ständige, Fachgesellschaften, Industrie und Pa- tienten. Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3– S25 Supplement S3

Methoden zur Ermittlung von Kosten-Nutzen- Relationen für Arzneimittel … · 2010. 6. 14. · Methoden zur Ermittlung von Kosten-Nutzen-Relationen für Arzneimittel in Deutschland

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  • Methoden zur Ermittlung von Kosten-Nutzen-Relationen für Arzneimittel in Deutschland

    Autoren J.-M. Graf von der Schulenburg1, C. Vauth1, T. Mittendorf1, W. Greiner2

    Institute 1 Institut für Versicherungsbetriebslehre, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Leibniz-Universität Hannover2 Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld

    BibliografieDOI 10.1055/s-2007-963108Gesundh ökon Qual manag2007; 12: S3 – S25 © GeorgThieme Verlag KG Stuttgart ·New York · ISSN 1432-2625

    KorrespondenzadresseProf. Dr. J.-Matthias Graf vonder SchulenburgInstitut für Versicherungs-betriebslehre, Wirtschaftswis-senschaftliche Fakultät, Leibniz-Universität HannoverKönigsworther Platz 130167 [email protected]

    Hintergrund!

    Zum 1.4.2007 schreibt der Gesetzgeber vor, dassdas Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeitim Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragtwerden kann, die Nutzen und das Kosten-Nut-zen-Verhältnis von Arzneimitteln zu evaluieren.Dabei hat das Institut internationale Standardsder evidenzbasierten Medizin und der Gesund-heitsökonomie anzuwenden. Darüber hinaus hates die verwendeten Methoden und Kriterien imInternet zu veröffentlichen und eine hohe Ver-fahrenstransparenz sowie eine angemessene Be-teiligung Betroffener, u. a. von Patientenvertre-tern und der Pharmaindustrie, sicherzustellen.Dies bedeutet eine klare Strukturierung des Pro-zesses der Bewertung.Das Ziel dieses Methodenpapiers ist die opera-tionale Umsetzung der gesetzlichen Vorgabenin Bezug auf die wirtschaftliche Bewertung vonArzneimitteln, d. h. der Ermittlung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Entsprechend enthält die-ses Papier drei Teile:Der erste Teil gibt einen Überblick über die imAusland verwendeten Methoden. Dies ist erfor-derlich, da es den „einen“ internationalen Lehr-buchstandard der Gesundheitsökonomie auf-grund einer andauernden Weiterentwicklungder Methoden nicht gibt. Stattdessen hat sich inder Wissenschaft und in der Praxis ein breiterKonsensus unter den weltweit führenden Ge-sundheitsökonomen sowie staatlichen Bewer-tungsinstitutionen auf dem Gebiet der ökono-mischen Evaluation von Gesundheitsleistungenherausgebildet, der die derzeitigen Standardsbei der Vorgehensweise wirtschaftlicher Bewer-tungen dokumentiert. Beispiele ergeben sich ausder Berücksichtigung gesundheitsökonomischerEvaluationen im Rahmen von Bewertungspro-zessen von Gesundheitstechnologien wie u. a.Operationstechniken, Diagnoseverfahren und

    Arzneimitteln. Zu nennen wären u. a. die Struk-turen in England und Wales, Schweden, Portu-gal, Kanada, Neuseeland, Australien sowie ganzaktuell auch Belgien.Während der erste Teil einen Überblick über dieinternational verbreiteten Anwendungsgebieteder Gesundheitsökonomie bei politischen Ent-scheidungsprozessen liefert, soll der zweite Teildie methodischen Anforderungen an ökonomi-sche Evaluationsstudien in und für Deutschlandspezifizieren. Dazu ist es erforderlich, den ge-setzlichen Rahmen, welcher sich aus dem Sozi-algesetzbuch fünftes Buch (SGB V) sowie denÄnderungen auf Basis des Gesetzes zur Stärkungdes Wettbewerbs in der Gesetzlichen Kranken-versicherung (WSG) ergeben, zu skizzieren unddarzustellen. Auf dieser Basis werden die Anfor-derungen an gesundheitsökonomische Studien(u. a. hinsichtlich Studienformen, ökonomischeEndpunkte, Perspektive, einzubeziehende Kos-tenarten, Datengrundlagen und Transparenz,Umgang mit Unsicherheiten und Verfahren zurQualitätssicherung) im Einzelnen dargestellt.Da der Gesetzgeber auch die Festlegung einesBewertungsprozesses vorschreibt, damit einehohe Verfahrenstransparenz und eine angemes-sene Beteiligung der im Gesetz Genannten si-chergestellt werden kann, widmet sich der dritteTeil des Methodenpapiers genau diesem Aspekt.Dabei soll der Prozess nicht als einfaches Ablauf-diagramm skizziert werden. Stattdessen sollendie einzelnen Prozessschritte einzeln aufgezeigtund begründet werden, sodass sich zu jeder Zeitfür alle Beteiligte ein transparentes Vorgehenmit klaren Beteiligungsmöglichkeiten darstellt.Dazu gehört auch die Darstellung der Rechteund Pflichten der am Prozess Beteiligten: G-BA,BMG, IQWiG, durchführende Autoren, Sachver-ständige, Fachgesellschaften, Industrie und Pa-tienten.

    Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25

    Supplement S3

  • Teil IWelche internationalen Standards haben sich in derGesundheitsökonomie etabliert?!

    Einerseits schreibt der deutsche Gesetzgeber in §35b SGB Vvor, dass bei der Kosten-Nutzen-Bewertung internationale me-thodische Standards der Gesundheitsökonomie anzuwendensind, andererseits gibt es in der aktuellen gesundheitspoliti-schen Diskussion Stimmen, die postulieren, dass es keine inter-nationalen Standards in der Gesundheitsökonomie gebe. Da estatsächlich derzeit keine supranationale Organisation gibt, dieeinen allgemein verbindlichen methodischen Standard festge-legt hat, und da wegen der nationalen Hoheit über die sozialenKranken(ver)sicherungssysteme ökonomische Evaluationsstudi-en in unterschiedlicher Intensität und Perspektive zur Anwen-dung kommen, ist es notwendig, zunächst zu klären, was derInhalt internationaler Standards der Gesundheitsökonomie ist.Demzufolge wird vor der Darstellung der in Deutschland anzu-wendenden Methoden und Prozesse der Kosten-Nutzen-Bewer-tung ein Überblick über die Einbindung dieser gesundheitsöko-nomischen Bewertungen in internationale Gesundheitssystemegegeben. Sie führt zu einer Deutung des Begriffs „internationaleStandards in der Gesundheitsökonomie“.Der Blick ins Ausland ist auch sinnvoll, um Fehler bei der sys-tematischen Bewertung bester vorliegender Evidenz, sowohl inmedizinischer als auch in ökonomischer Sicht, zu vermeiden.Dies ist angesichts der weitreichenden Folgen für die Bewer-tung und Erstattung von Arzneimitteln nicht nur sinnvoll, son-dern geboten.

    Der regulative Rahmen der Preisbildung und Kosten-erstattungDie Festlegung oder Beeinflussung von Preisen sowie ihrer Er-stattung kann theoretisch auf verschiedenen Ebenen oder We-gen erfolgen.So könnten Preisbildung und Erstattung basieren auf� der klinischen Wirksamkeit und Sicherheit einer Innovation,� einer gesundheitsökonomischen Evaluation,� den Kosten bereits etablierter Behandlungen oder Medika-

    mente oder� einem Vergleich mit bereits gesetzten Preisen in anderen

    Märkten (Referenzpreissysteme)

    � und evtl. ergänzt werden durch regelmäßige Kontrollen, dievon verschiedenen Faktoren abhängig sein können (z. B.Preis-Volumenbeschränkungen etc.).

    Eine durch die Europäische Gemeinschaft unterstützte Studiekommt in einer Übersicht europäischer Gesundheitsmärkte zudem Ergebnis, dass die verschiedenen Vorgehensweisen (teil-weise in Mischformen und unterschiedlicher Intensität) über-all in Europa eingesetzt werden. Die ●" Tab. 1 gibt einen klei-nen Einblick in die unterschiedlichen Ausprägungen [53].Bei der Betrachtung der einzelnen Verfahren wird deutlich, dasssich diese eigentlich nicht in der gleichen systematischen Ebenemit der nationalen Entscheidungsfindung befinden. So erfordertdie Festlegung von Preisen oder Höchsterstattungsbeträgen aufder Grundlage einer ökonomischen Evaluation die Durchfüh-rung einer eigenen Untersuchung unter Berücksichtigung derspeziellen Rahmenbedingungen des jeweiligen Gesundheitssys-tems. Hingegen kombinieren Referenzpreissysteme die Preiseaus anderen Ländern nach bestimmten Verfahren miteinanderund übertragen diese, ohne explizit die organisatorischen Be-sonderheiten des eigenen Gesundheitssystems zu berücksichti-gen.Die Systemunterschiede können jedoch erheblich sein undmüssen in der Regel unter Zuhilfenahme von gesundheitsöko-nomischen Modellen abgebildet werden. Wenn dies aufgrundzu großer Unterschiede nicht möglich erscheint, sollten eigenegesundheitsökonomische Evaluationen durchgeführt werden,um die Entscheidungsfindung zu unterstützen.Bei der Diskussion über die Übertragbarkeit von gesundheits-ökonomischen Studienergebnissen aus dem Ausland werdenin der europäischen Diskussion neben den grundsätzlichen Fra-gen nach der verfügbaren Vergleichs- bzw. Standardtherapie,den etablierten Behandlungsverfahren (z. B. Hausarzt als „Gate-keeper“) auch die Frage nach der Beeinflussung durch die Artder Finanzierung der Gesundheitssysteme gestellt. Internatio-nal werden zumindest drei Grundtypen von Krankenversiche-rungssystemen immer wieder hervorgehoben [58].Das erste ist das „Beveridge“-Modell, welches auf Steuerfinan-zierung beruht. Das zweite ist ein gemischtes Modell, welchesdie Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch ein bei-tragsfinanziertes soziales Versicherungssystem (Bismarck-Mo-dell) finanziert und über eine Mischung aus gesetzlichen undprivaten Leistungsträgern verfügt. Das dritte Modell schließ-

    Tab. 1 Preisfindung im europä-ischen Überblick

    Preisfestsetzung

    basiert auf klini-

    scher Perfor-

    mance

    Preisfestsetzung

    basiert auf öko-

    nomischer

    Evaluation

    Preisfestsetzung

    basiert auf Kos-

    ten bestehender

    Alternativen

    Preisfestsetzung

    basiert auf inter-

    nationalen Prei-

    sen

    kontrollierte

    Preisüber-

    prüfungen

    AT P P P P

    BE P P P P P

    DE

    DK

    ES P P P P

    FI P P P P P

    FR P P P

    HU P P

    IE P P P P

    IT P P P nicht mehr P

    NL P P P

    NO P

    PT P P P P P

    SK P P P P

    UK P

    Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25

    SupplementS4

  • lich, welches in Europa alleine keine Rolle spielt und dahernicht ausgeführt wird, ist geprägt durch die private Absiche-rung der ökonomischen Folgen von Krankheit. In diesem Mo-dell erfolgt die Finanzierung über Versicherungsprämien anprivate Versicherungsunternehmen oder durch direkte Bezah-lung der Leistungserbringer.Beim „gesetzlichen“ Beveridge-Model beruht die Finanzierung inerster Linie auf Steuermitteln und ist deshalb durch einen zen-tral organisierten nationalen Gesundheitsdienst gekennzeichnet.Leistungen werden hier zum großen Teil durch öffentliche Ein-richtungen erbracht (Krankenhäuser, Gemeindeärzte usw.). Beidiesem Modell konkurriert das Budget für Gesundheitsausgabenmit anderen Ausgabenprioritäten der Regierung. Länder wie z. B.Großbritannien, die dieses Modell nutzen, akzeptieren in hohemMaße die Rolle des öffentlichen Sektors als Hauptgeldgeber.Das „gemischte“ Modell wird hauptsächlich durch eine bei-tragsfinanzierte, soziale Pflichtversicherung finanziert. DiesesModell führt zu einer Mischung privater und gesetzlicher Leis-tungsträger und erlaubt eine flexiblere Finanzierung der Ge-sundheitsfürsorge als das erste Modell. Die Teilnehmer zahlenweitgehend einkommensabhängige Versicherungsbeiträge anim Wettbewerb stehende Krankenkassen. Es besteht eine all-gemeine Pflicht zur Versicherung über diese Kassen, jedochkönnen durch freiwillige Zahlungen Zusatzversicherungen ab-geschlossen werden.Unabhängig davon, an welches Modell das Gesundheitssystemangelehnt ist, besteht stets eine umfassende – aber von Landzu Land sehr unterschiedlich institutionell und instrumentellgestaltete – regulative Überwachung durch die Regierung, umKostensteigerungen zu begrenzen bzw. die universelle Verfüg-barkeit des Zugangs zu sichern. Aus dieser Heterogenität ergibtsich zwingend, dass im weltweiten Überblick verschiedene or-ganisatorische Herangehensweisen dafür identifiziert werdenkönnen, wie ökonomische Bewertungen in die Entscheidungenüber Verfügbarkeit und Preise von Gesundheitsleistungen or-ganisatorisch einbezogen werden.Die Frage ist damit nicht, ob die Verfahrensweise von z. B.Deutschland, Schweden oder Australien einen internationalenStandard darstellt. Die einzelnen Länder setzen vielmehr auf-grund ihrer systembedingten, spezifischen Fragestellungen ei-nen länderspezifischen Regulierungsrahmen fest, der sich ein-zelner gesundheitsökonomischer Methoden bedient. Hierbeierfolgt die Wahl einzelner Bewertungsregeln zumindest nichtvorrangig aufgrund der theoretischen Überlegenheit einzelnerMethoden, sondern vielmehr im Zuge eines Abwägungspro-zesses, der immer vor dem Hintergrund der nationalen Erfor-dernisse zu sehen ist. Deshalb sollten nicht einzelne oder aus-gewählte länderspezifische Regelungen bei der Suche nach„internationalen Standards in der Gesundheitsökonomie“ ana-lysiert werden; vielmehr ist zu prüfen, ob einzelne ausge-wählte Methoden aus der wissenschaftlichen Diskussion he-raus begründet werden können.Mit anderen Worten sind internationale Standards der Gesund-heitsökonomie nicht die Summe allen dessen, was in anderenGesundheitssystemen an Methoden angewandt wird, sondernvielmehr die methodischen Konzepte, die von Seiten der inter-nationalen gesundheitsökonomischen Forschung auf Basis derallgemeinen Wirtschaftstheorie entwickelt wurden, um derar-tige Bewertungen vornehmen zu können. Aus diesem Grundist es von höchster Bedeutung, dass die für die jeweilige Kos-ten-Nutzen-Bewertung am besten geeigneten Methoden aufBasis der internationalen Standards angewendet werden. Die

    Auswahl könnte, wie international auch üblich, im Rahmen ei-nes sogenannten Scoping-Workshops definiert werden.Eine Schlüsselrolle in der nationalen wirtschaftlichen Bewer-tung ist deren Umsetzung in Form eines Kosten-Nutzen-Verhält-nisses. Dazu ist es in der Regel erforderlich, eine gesundheits-ökonomische Modellierung anzufertigen, um die Problematikder unterschiedlichen und nicht immer vergleichbaren Gesund-heitssysteme oder auch mangelnden Daten zu internalisieren.Ferner zeigt die Erfahrung mit der internationalen Anwendungvon Kosten-Nutzen-Bewertungen durch Behörden und auch an-deren Institutionen, dass es in der Regel eines indikationsüber-greifendenden Vergleichs des Nutzens bedarf. In diesem Zusam-menhang kommt dem sogenannten indexbasierten Nutzwerten(z. B. QALYs) eine besondere Bedeutung zuteil.

    Internationaler Überblick über MethodenapplikationEine Orientierungshilfe für die Entwicklung von nationalen Be-wertungsmethoden, die internationalen Standards genügen,bietet ein internationaler Überblick. Hierzu existiert bereitseine umfangreiche Literatur, wobei an dieser Stelle auf die um-fassende Übersicht verwiesen wird, die vom Deutschen Institutfür Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) zu-sammengestellt wurde [69].Eine zunächst erscheinende große Heterogenität der regulatori-schen Rahmen löst sich bei tiefer gehender Betrachtung weitge-hend auf (die ●" Tab. 2 wurde aus einer der DIMDI-Studie folgen-den Quelle entnommen [70]).In allen betrachteten Ländern wird eine gesundheitsökonomi-sche Modellierung gefordert, die die Daten aus verschiedenenQuellen zusammenführt und dann extrapoliert oder schätzt.Auch die Betrachtung der Lebensqualität nimmt, wie der Über-sicht zu entnehmen ist, einen breiten Raum ein.Für die Gestaltung von gesundheitsökonomischen Evaluatio-nen existieren weltweit eine Vielzahl von Richtlinien, wie die-se durchgeführt werden sollten [32, 33]. Für Deutschland gel-ten als Beispiel die Guidelines zur ökonomischen Evaluation,die vom Hannoveraner Konsens publiziert wurden [31]. Umeinen umfassenden Überblick über weltweit vorhandeneGuidelines zu bekommen, sei auf eine aktuelle Übersicht vonTarn et al. [63] bzw. die Homepage der International Societyfor Pharmacoeconomics & Outcomes Research (ISPOR)(www.ispor.org) verwiesen. Ebenso wurden bereits umfassen-de Vergleiche über Unterschiede in Richtlinien einzelner Län-der vorgenommen [32].Einzelne Teilbereiche, wie z. B. die Festlegung, welche Kosten-bereiche für Deutschland relevant sind, werden im zweiten Teildieses Papiers näher beleuchtet und für die deutsche Situationuntersucht.Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass nicht die länderspe-zifische Zusammenstellung einzelner Analysemethoden vonInteresse ist, sondern vielmehr, ob die wissenschaftliche Dis-kussion bei einzelnen Methoden soweit vorangeschritten ist,dass von international akzeptierten Grundmethoden gespro-chen werden kann. Als Beispiele werden die wissenschaftlicheDiskussion zur Lebensqualitätsforschung und der Modellierunginnerhalb gesundheitsökonomischer Entscheidungsanalysennäher beleuchtet.

    Betrachtung der Lebensqualitätsforschung als Schlüssel-methodikIm Rahmen von klinischen Studien zur Darstellung der Wirk-samkeit einer Intervention ist es seit Jahren wissenschaftlicher

    Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25

    Supplement S5

  • Standard, Daten zur Entwicklung der krankheitsspezifischen Le-bensqualität der Patienten zu erheben. Die Erkenntnis, dass esnicht nur auf die Länge des Lebens, sondern auch und vor allemauf die dabei ganz individuell empfundene Qualität des Lebensankommt, ist gleichwohl schon sehr viel älter. Der Grundgedan-ke der Lebensqualitätsforschung ist dabei, dass ein zusätzlichesJahr, das in einem gesunden Gesundheitszustand verbracht wur-de, für den Patienten einen höheren Wert hat wie ein Jahr in ei-nem schlechteren Gesundheitszustand. Nicht zuletzt deshalbspiegelt die Lebensqualität einen der wichtigsten Nutzenpara-meter aus der Perspektive der Patienten wider [55].

    Aus der internationalen Übersicht geht hervor, dass im Rahmender Kosten-Nutzen-Bewertung die Berücksichtigung von QALYs(Quality-Adjusted-Life-Years – qualitätskorrigierte Lebensjahre)sehr weit verbreitet ist und von der überwiegenden Zahl derBewertungsinstitutionen eingefordert wird. Der Ansatz der QA-LYs ermöglicht es, sowohl Lebensverlängerung als auch Lebens-qualität als eine zusammengefasste Größe anzugeben. Als soge-nanntes Indexinstrument ermöglicht der Einsatz der QALYs denVergleich zwischen ganz unterschiedlichen Krankheitsgebietenund/oder Interventionen, wodurch eine objektivere Bewertungdes Kosten-Nutzen-Verhältnisses erst ermöglicht wird.

    Tab. 2 Internationaler Überblick über allgemeine Regulierungsrahmen bei Kosten-Nutzen-Bewertungen1

    bevorzugter

    Analysetyp

    Analyse-

    Perspektive

    bevorzugte

    Ergebnisgröße

    Bestimmung des

    Nutzwerts

    jährliche Diskontie-

    rungsrate

    Modellierung

    Australien KNWA, KMAbei gleichemGesundheits-ergebnis

    gesellschaft-lich

    QALY Angabe von Detailszur Bestimmung vonQALY erforderlich

    für Kosten und Nutzen5 %, Sensitivitätsanaly-se des Nutzen mit 0 %

    von Herstellerndurchgeführt

    England undWales

    KNWA Kostenträger(NHS), ge-sellschaftlichbei inkre-mentellemKosten-Nut-zen-Verhält-nis> 20 000£/QALY

    QALY direkt: Time-Trade-off, Standart Gamble(Rating-Skala nichtempfohlen), indi-rekt:ED-5D

    für Kosten und Nutzen3,5 %, Sensitivitätsana-lyse mit 0 % und 6 %

    von Herstellernund Institutiondurchgeführt

    Finnland alle Analysetypenmöglich, sofernbegründet

    gesellschaft-lich

    keine ausdrückli-che Präferenz

    keine ausdrücklichePräferenz

    für Kosten und Nutzen5 % und 0 %

    von Herstellerndurchgeführt

    Kanada KNWA, KNA gesellschaft-lich und Kos-tenträger(Provinzen)

    QALY (KNWA),Willingness ToPay (KNA)

    präferenzbasierteInstrumente

    für Kosten und Nutzen5 %, Sensitivitätsanaly-se mit 0 %, zusätzlich 3 %

    von Herstellernund Institutiondurchgeführt,Entscheidungs-baumanalyseempfohlen

    Neuseeland KNWA Kostenträger(DHB)

    QALY EQ-5D für Kosten und Nutzen10 %, auch mit 0 %, 5 %,15 %

    von Herstellernund Institutiondurchgeführt

    Niederlande KEA, KNWA Gesellschaft-lich

    natürliche Ergeb-niseinheit (KEA),QALY (KNWA)

    direkt: StandardGamble, Time-Trade-off, (visuelleAnalogskala wenigerempfohlen) indirekt:EQ-5D, HUI

    für Kosten und Nutzen:4 %

    von Herstellerndurchgeführt

    Norwegen alle Analysetypenmöglich, sofernbegründet; beiEinfluss auf Funk-tionalität und/oder Lebensquali-tät:KNWA oder KNA

    gesellschaft-lich und Kos-tenträger(NationaleVersiche-rung)

    gewonnenes Le-bensjahr odervermiedenes Er-eignis (KEA),QALY (KNWA)Willingnes to Pay(KNA)

    keine ausdrücklichePräferenz

    für Kosten und Nutzenzwischen 2,5 % und 5 %,Sensitivitätsanalyse mit0 % und 8 %

    von Herstellerndurchgeführt

    Österreich keine ausdrückli-che Präferenz

    keine aus-drücklichePräferenz

    keine ausdrückli-che Präferenz

    keine ausdrücklichePräferenz

    anzugeben, nicht spezi-fiziert

    von Herstellerndurchgeführt

    Schweden KNWA, KNA, KMAbei gleichem Ge-sundheitsergeb-nis

    gesellschaft-lich

    QALY (KNWA),Willingness ToPay (KNA)

    direkt: StandardGamble, Time-Trade-off, (Rating-Skala als zweiteWahl); indirekt: z. B.EQ-5D

    für Kosten und Nutzen3 %, Sensitivitätsanaly-se mit 0 % und 5 %, au-ßerdem 3 % für Kostenund 0 % für Nutzen

    von Herstellernund Institutiondurchgeführt

    1 DHB: District Health Boards, EQ-5D: EuroQol 5 Dimensionen, HUI: Health Utility Index, KEA: Kosten-Effektivitäts-Analyse, KNA: Kosten-Nutzen-Analyse, KNWA:Kosten-Nutzwert-Analyse, KMA: Kosten-Minimierungs-Analyse, NHS: National Health Service, QALY: Quality adjusted life years, SF-36: Short Form 36.

    Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25

    SupplementS6

  • Wenn es durch eine medizinische Intervention möglich ist,die Lebenszeit zu verlängern und/oder die Lebensqualität ei-nes Patienten zu verbessern, so lässt sich dies in gewonnenenqualitätskorrigierten Lebensjahren ausdrücken. Die Differenzzwischen dem Ausgangszustand und dem Wert nach der Be-handlung wird in Kosten-Nutzwert-Analysen den Kosten ge-genübergestellt. Bei dem Vergleich zweier möglicher Behand-lungsalternativen sind unterschiedliche Ergebnisse sowohl imLebensqualitätsverlauf als auch bei der Mortalität möglich.Für die Quantifizierung der Lebensqualität werden verschiede-ne Instrumente verwendet, die zu einem zusammengefasstenEinzelwert führen. Dazu eignen sich neben Methoden der di-rekten Generierung der Einzelwerte durch Standard-Gamble-und der Time-Trade-Off-Methode auch generische Indexin-strumente wie z. B. der EQ-5D der EuroQol-Gruppe, der z. B.auch vom NICE eingefordert wird.Es gibt eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mitden theoretischen Grundlagen des QALY-Konzepts. Eine ganzeReihe von Forschungsergebnissen hat gezeigt, dass beispielswei-se die Annahme eines konstanten Zusammenhangs zwischenden Restlebensjahren und der Verbesserung der Lebensqualitätempirisch nicht immer haltbar ist. Außerdem ist die Methodikzur Berechnung der Effekte medizinischer Maßnahmen auf dieLebensqualität in einzelnen Studien unterschiedlich und Ergeb-nisse sind daher u. U. nur eingeschränkt vergleichbar.Eine weitere, noch im Entwicklungsstadium befindliche Alterna-tive zu den QALYs sind die Saved-Young-Lifes-Equivalents (SAVE,„Äquivalente geretteter junger Lebensjahre“). Diese in wissen-schaftlichen Fachkreisen international häufig diskutierte Alter-native legt vom Ansatz her mehr Gewicht auf die Lebensqualitätund weniger auf die Anzahl zusätzlicher Lebensjahre. Dazu wer-den bei den SAVEs Veränderungen im Gesundheitszustand, nichtdie Gesundheitszustände selbst bewertet. SAVEs sind jedoch bis-lang nicht über das experimentelle Stadium herausgekommenund werden zurzeit sehr selten und vom Charakter her eher alsDemonstrationsobjekt in gesundheitsökonomischen Evaluations-studien verwendet. Der QALY-Wert bleibt vorerst der vorherr-schende Ansatz zur Wiedergabe sowohl von Lebensqualität alsauch Lebensquantität in einem einzigen Wert.Die Durchführung von Kosten-Nutzwert-Studien, in denen dieNutzwerte über QALYs auf der Basis von Patienten- und/oderGesellschaftspräferenzen erhoben werden, ist internationalergesundheitsökonomischer Standard. Eine der umfangreichstenDiskussionen der gesundheitsökonomischen Forschung auf die-sem Gebiet ist die Frage, ob die Bestimmung der Nutzwerte überBefragungen der betroffenen Patienten oder der Gesellschaft er-folgen soll und ob die Ergebnisse auf ein Gesamtkollektiv über-tragen werden können. Die Entscheidung, ob die Ermittlung derNutzwerte über die Patienten oder die Gesellschaft erfolgen soll,ist in erster Linie keine methodische, sondern vorrangig eine ge-sellschaftliche. Beide Werte können in Studien eingesetzt wer-den, je nach Inhalt des Konsenses, der bei der Bestimmung derMethoden gefunden wurde.Individuelle Präferenzen bilden somit keinen Sonderfall, der dieAblehnung von Studien dieses Typs rechtfertigen würde. Inso-fern kann aus den Überlegungen, ob sich innerhalb der Lebens-qualitätsforschung ein Grundkonsens über die zugrunde liegen-den Methoden gebildet hat, geschlossen werden, dass sich trotzder durchaus stattfindenden fruchtbaren Diskussion, eine breiteZustimmung zu der Bedeutung dieser Outcome-Dimension fürdie Bewertung von Innovationen herausgebildet hat. Aufgrundder Tatsache, dass Forscher sich kritisch mit den von ihnen mit

    entwickelten und verwendeten Methoden auseinandersetzen,darf im Umkehrschluss zudem nicht die Untauglichkeit der Me-thoden vermutet werden, insbesondere in Ermangelung überle-gener Methoden.

    Betrachtung der gesundheitsökonomischen Modellierungals SchlüsselmethodikGesundheitsökonomische Modellierungen werden wie darge-stellt in allen betrachteten Ländern akzeptiert oder gefordert.In der Analyse, ob Modellierungen in ihrem wissenschaftlichenKern anerkannt sind, kann auf eine breite Basis von Anwen-dungsstudien als auch theoretischen Betrachtungen zurückge-griffen werden.In einer verkürzten Erläuterung kann festgestellt werden, dasses sich bei der Modellierung um eine analytische Methode han-delt, mit der wesentliche Ereignisse beschrieben werden, dieüber einen definierten Zeitraum hinweg zu verschiedenen Zeit-punkten eintreten können. Modelle können die Form einfacherEntscheidungsbaumanalysen haben, die für Problemstellungenmit einem Betrachtungshorizont einer einzigen Zeitperiode ge-eignet sind (z. B. Operation ja oder nein, Antibiotikum A, B, Coder gar keins). Solche Entscheidungsbäume können jedoch zusehr vereinfachend sein, um Situationen zu beschreiben, in de-nen es zeitveränderliche Risiken gibt (z. B. Wirksamkeit nacheinem Jahr, zwei Jahren oder drei Jahren, Nebenwirkungen,Rückfallrisiken, Therapieabbruchquoten) oder wo chronischeKrankheiten vorliegen, bei denen dieselben Entscheidungen injeder Zeitperiode neu zu treffen sind. Daher sind komplexereModellierungsansätze entwickelt worden.So sind zum Beispiel Markov-Modelle besonders für die Model-lierung sich periodisch wiederholender Ereignisse (z. B. Schmer-zen) oder den Verlauf von chronischen Krankheiten mit definier-ten Krankheitsstadien (z. B. Hepatitis B, Asthma oder Rheuma)geeignet [10]. Die fragliche Krankheit wird in eine endliche Men-ge von vorher definierten klinisch relevanten Gesundheitszu-ständen unterteilt. Individuen bewegen sich über einen diskre-ten Zeitraum (z. B. ein Monat oder ein Jahr) zwischen diesenKrankheitszuständen hinweg. Diese Bewegungen unterliegenÜbergangswahrscheinlichkeiten, die mit fortschreitender Zeitinnerhalb des Modells variieren können.Die Übergangswahrscheinlichkeiten können sich bei Markov-Modellen im zeitlichen Verlauf ändern. Indem man den Zu-ständen und Übergängen im Modell Werte für den Ressour-cenverbrauch und die Konsequenzen für Gesundheitseffektezuordnet und dann das Modell viele Zyklen durchlaufen lässt,können die langfristigen Kosten und Effekte für hypothetischePatientenkohorten abgeschätzt werden. Danach kann der Ef-fekt von bestimmten Behandlungen berechnet (modelliert)werden, in dem Übergangswahrscheinlichkeiten und Kosten/Nutzen in das Modell einbezogen werden.Um komplexeren Situationen Rechnung zu tragen, können Mon-te-Carlo-Simulationen eingesetzt werden. Die Monte-Carlo-Si-mulation setzt wiederholte Zufallsberechnungen ein, um Effekt-verteilungen in unabhängigen wiederholten Durchläufen desModells zu erzielen. Vorteil dieser Methode ist, dass sie Patien-ten innerhalb eines Zustands differenzieren kann, die unter-schiedliche Anamnesen vor dem Erreichen dieses Zustands auf-weisen. Außerdem kann sie komplexere Annahmen wie zumBeispiel sich ändernde Übergangswahrscheinlichkeiten für be-stimmte Populationen handhaben.In der Gesundheitsökonomie werden Modelle eingesetzt, wennbisherige klinische Studien keine wirtschaftlichen Daten erfasst

    Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25

    Supplement S7

  • haben oder wenn die Studien andere Messparameter oder zu kur-ze Messzeiträume umfassen. Für wirtschaftliche Entscheidungenbenötigte Informationen können nicht immer aus prospektivenStudien abgeleitet werden. Hierüber ist es möglich, die fehlendenDaten für die Entscheidungsanalyse bereitzustellen. Weiterhinkommen sie dort zum Einsatz, wo klinische Studien Zwischensta-dien als Endpunkte haben oder nur kurzfristige Nachuntersu-chungen beinhalten. Hier wird die Modellierung eingesetzt, umdie Daten über die Prüfung hinaus auf endgültige Endpunkte wiedas Überleben zu extrapolieren. Die wichtigsten Vorteile gegen-über rein klinisch basierten Studien sind aber die Möglichkeitder Einbeziehung sämtlicher vorhandener Evidenz in das Modell,was in den klinisch basierten Kosten-Effektivitäts-Analysen nichtmöglich ist, die Möglichkeit indirekter Vergleiche, soweit keinedirekten vorliegen sowie ein Schlagen der Brücke zwischen maxi-maler interner (z. B. RCT) und maximaler externer Validität (z. B.prospektive Kohortenstudie) [59].Trotz des weit verbreiteten Einsatzes der Modellierung in der öko-nomischen Evaluierung gibt es Bedenken in Bezug auf die Qualitätvon Modellen. Angesprochen sind u. a. folgende Aspekte:� Transparenz oder Validität der Modelle. Die Möglichkeiten

    zur Manipulation sind bei Modellen weitaus zahlreicher alsbei randomisierten klinischen Studien.

    � Fehlende qualitativ hochwertige klinische Daten könnten inModellen durch Annahmen ersetzt werden, die einzelne Al-ternativen bevorzugen oder es können Annahmen ohne adä-quate Begründung eingeführt werden.

    � Die Möglichkeit von Bias bei in den in Modellen verwendetenBeobachtungsdaten.

    � Schwierigkeiten bei der Extrapolation klinischer Daten überlange Zeiträume.

    Um die genannten Herausforderungen zu adressieren, werdenin internationalen Guidelines zur Modellierung umfangreicheAnforderungen angeführt, die die Risiken, manipulierte Ergeb-nisse zu erhalten, minimieren sollen [66]. Einzelne Anforderun-gen, wie z. B. die vollkommene Transparenz der eingeflossenenDaten oder die physische zur Verfügungstellung des Modells,werden an späterer Stelle dieses Papiers noch einmal aufgenom-men. Welche Art der Modellierung in welcher Entscheidungssi-tuation angemessen ist, ist ebenfalls breit erforscht [6, 22, 38].Ein kürzlich durchgeführter Health Technology Report des NICEüber die Unterschiede von 15 über eine systematische Literatur-recherche identifizierten Guidelines zur entscheidungsanalyti-schen Modellierung kam zu dem Ergebnis, dass zum überwie-genden Teil keine wesentlichen Unterschiede in der Methodikerkennbar waren [48, 49]. In Teilfragen, in denen Dissens zu er-kennen war, werden Vorschläge gemacht, welches Vorgehenaufgrund des wissenschaftlichen Forschungsstands vorgeschla-gen wird. Unterschiede ergaben sich im Vergleich z. B. bei derFrage, ob Sensitivitätsanalysen deterministisch oder probabilis-tisch durchgeführt werden sollen. Aufgrund der Entscheidungs-situation folgern die Autoren, dass dies vorzugsweise probabi-listisch erfolgen sollte [48].Somit kann auch beim zweiten Themenkomplex gefolgertwerden, dass sich die wissenschaftliche Forschung sehr inten-siv und erfolgreich mit den methodischen Grundlagen ökono-mischer Bewertungen von Gesundheitsleistungen beschäftigthat, was zu einem internationalen Grundkonsens bei denKernmethoden geführt hat. Modelle liefern eine „beste Schät-zung“ aufgrund der aktuell verfügbaren Informationen undihre Ergebnisse können aufgrund der Flexibilität des Ansatzesauf verschiedene Situationen der Praxis übertragen oder ange-

    passt werden. Ferner können auch verschiedene Technologien,die eine Modifikation der gesetzten Datenanforderungen er-fordern (z. B. Hüftimplantate, bei denen aus ethischen Grün-den keine Verblindung in Studien möglich ist), über Modellemiteinander verglichen werden [25].

    Fazit zu den internationalen Standards in der Gesund-heitsökonomieZusammenfassend kann nach der Darstellung des internationa-len Forschungsstandes festgehalten werden, dass bei der Fragenach der Existenz von internationalen Standards in der gesund-heitsökonomischen Forschung folgende Themenbereiche diffe-renziert betrachtet werden müssen:1. Der internationale Vergleich der Rahmenbedingungen kann

    eine Hilfestellung geben, welche Methoden zur Bewertungzur Verfügung stehen. Vertiefende Betrachtungen der ange-wandeten Methoden haben gezeigt, dass ein internationalerKonsens in der Wissenschaft besteht, wie diese Methodenausgestaltet sein sollten. Nur hier kann und darf nach den in-ternationalen Standards in der Gesundheitsökonomie ge-sucht werden. Es wäre somit verfehlt, den gesundheitspoliti-schen Rahmen mittels einer Schnittmengenanalyse nach deminternationalen Standard zu durchsuchen.

    2. Die Frage, ob z. B. QALYs und Modellierungen in Studien ak-zeptiert werden, ist vorrangig eine gesellschaftliche, auf diejeweilige Ländersituation bezogene Entscheidung. Die Me-thodik bleibt hiervon unberührt und ist in sich jeweils als in-ternationaler Standard etabliert.

    3. Es existiert bei den Schlüsselkomponenten in der gesund-heitsökonomischen Evaluation ein breiter wissenschaftlicherKonsens über die Fundierung der Grundformen der zur Ver-fügung stehenden Analysearten. Diesem folgt auch jedes derdargestellten Länder bei der jeweiligen Entscheidung, welcheMethodik bei der Bewertung neuer Technologien angewen-det werden soll.

    Teil IIWie sieht ein minimaler Methoden- und Kriterienka-talog aus, der den gesetzlichen Vorgaben entspricht?!

    Nachfolgend wird zunächst der gesetzliche Auftrag skizziert.Eng daran angelehnt wird der Gesetztext dahingehend kom-mentiert, was der Gesetzgeber bezüglich einzusetzender Me-thoden vorgibt. Anschließend werden die wesentlichen metho-dischen Anforderungen kurz aufgelistet und – soweit nötig –inhaltlich erläutert.

    Notwendigkeit methodischer LeitlinienGesetzlicher Rahmen und erste FolgerungenDie nachfolgend erläuterten methodischen Anforderungen fürgesundheitsökonomische Evaluationen basieren auf dem ge-setzlichen Auftrag zur Durchführung von Bewertungen. Es wer-den keine methodischen Anforderungen formuliert, die darüberhinausgehen, also ggf. aus der einen oder anderen Sicht wün-schenswert wären, ohne dass sie zur Erfüllung des gesetzlichenAuftrages erforderlich erscheinen.Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsge-setz (GKV-WSG) im neu gestalteten § 35b Abs. 1 SGB V festge-legt, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge-sundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt werden kann, denNutzen oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Arzneimitteln

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    SupplementS8

  • zu bewerten. Nach § 31 Abs. 2a SGB V kann die Kosten-Nutzen-Bewertung zur Festlegung von Erstattungshöchstbeträgen fürArzneimittel herangezogen werden.§ 35b Abs. 1:„(1) Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-heitswesen kann nach § 139b Abs. 1 und 2 beauftragt werden,den Nutzen oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Arzneimit-teln zu bewerten. […] Die Bewertung erfolgt durch Vergleichmit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen unter Be-rücksichtigung des therapeutischen Zusatznutzens für die Pa-tienten im Verhältnis zu den Kosten. […] Das Institut bestimmtauftragsbezogen über die Methoden und Kriterien für die Erar-beitung von Bewertungen nach Satz 1 auf der Grundlage der inden jeweiligen Fachkreisen anerkannten internationalen Stan-dards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsöko-nomie. Das Institut gewährleistet bei der auftragsbezogenen Er-stellung von Methoden und Kriterien und der Erarbeitung vonBewertungen hohe Verfahrenstransparenz und eine angemes-sene Beteiligung der in § 35 Abs. 2 und § 139a Abs. 5 Genannten.Das Institut veröffentlicht die jeweiligen Methoden und Krite-rien im Internet. […]“Das IQWiG hat gemäß § 139a SGB V zu gewährleisten, dass dieBewertung des medizinischen Nutzens nach international aner-kannten Standards der evidenzbasierten Medizin zu erfolgenhat. Die ökonomische Bewertung hat analog den für ökonomi-sche Bewertungen maßgeblichen international anerkanntenStandards zu erfolgen. Ausdrücklich wird die Gesundheitsöko-nomie in diesem Zusammenhang vom Gesetzgeber genannt.§ 139a Abs. 4 und 5:„(4) Das Institut hat zu gewährleisten, dass die Bewertung desmedizinischen Nutzens nach den international anerkanntenStandards der evidenzbasierten Medizin und die ökonomischeBewertung nach den hierfür maßgeblichen international aner-kannten Standards, insbesondere der Gesundheitsökonomieerfolgt. Es hat in regelmäßigen Abständen über die Arbeits-prozesse und -ergebnisse einschließlich der Grundlagen fürdie Entscheidungsfindung öffentlich zu berichten.“„(5) Das Institut hat in allen wichtigen Abschnitten des Bewer-tungsverfahrens Sachverständigen der medizinischen, pharma-zeutischen und gesundheitsökonomischen Wissenschaft undPraxis, den Arzneimittelherstellern sowie den für die Wahrneh-mung der Interessen der Patientinnen und Patienten und derSelbsthilfe chronisch Kranker und behinderter Menschen maß-geblichen Organisationen sowie der oder dem Beauftragten derBundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patien-ten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnah-men sind in die Entscheidung einzubeziehen.“Bei der Nutzenbewertung fordert der Gesetzgeber die Berück-sichtigung des therapeutischen Zusatznutzens für die Patienten.Insbesondere, so führt er aus, sollen bei der Bewertung des Pa-tientennutzens folgende Aspekte berücksichtigt werden:� die Verbesserung des Gesundheitszustandes,� die Verkürzung der Krankheitsdauer,� die Verlängerung des Lebensdauer,� die Verringerung der Nebenwirkungen und� die Verbesserung der Lebensqualität.Aus gesundheitsökonomischer Perspektive ergeben sich hierauseine Reihe von Folgen und auch offenen Fragen, die es bei derBewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu berücksichti-gen gilt. Zuerst stellt sich das Problem des Nutzens. Aus gesund-heitsökonomischer Perspektive muss sehr genau zwischen dermedizinischen Nutzenbetrachtung und der ökonomischen Be-

    wertung des Patientennutzens unterschieden werden. Währendin der medizinischen Nutzenbewertung vorwiegend klinischeDaten zur Sicherheit und Wirksamkeit einer Intervention einbe-zogen werden, muss der Patientennutzen aus ökonomischerPerspektive im Ideal unter Alltagsbedingungen erfasst und be-wertet werden.Die vom Gesetzgeber explizit geforderte Betrachtung des Zu-satznutzens erfordert sowohl für die Nutzenbewertung als auchfür die Kosten-Nutzen-Bewertung die Definition des derzeitigenBehandlungsstandards. Ohne die Festlegung eines Standardskann es keine Berechnung eines Zusatznutzens geben. Somit istdie Bewertung auch kein Vergleich der absoluten Effektivitätvon Therapie und unterlassener Therapie, sondern ein Vergleichder relativen Effektivität von zu untersuchender Therapie undStandardtherapie. Dieser Punkt wird später noch von Bedeutungsein und dann gesondert diskutiert.Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob allein schon die Exis-tenz von Behandlungsleitlinien ein Präjudiz für einen Behand-lungsstandard darstellt. Leitlinien haben in der Regel lediglicheinen empfehlenden Charakter und müssen in der klinischenPraxis nicht automatisch flächendeckend umgesetzt sein. Ausdiesem Grund ist die Berücksichtigung der tatsächlichen, prak-tisch relevanten Behandlungsstandards unerlässlich.Die wirtschaftliche, d. h. die Kosten-Nutzen-Bewertung hatauch die „Angemessenheit und Zumutbarkeit einer Kosten-übernahme durch die Versichertengemeinschaft angemessen“(§ 35b Abs. 1 SGB V) zu berücksichtigen. Aus dieser Formulie-rung lässt sich der Wunsch des Gesetzgebers ableiten, dassneben dem internationalen Standard (Perspektive der Gesell-schaft bzw. der Volkswirtschaft) auch die Krankenkassenper-spektive zu berücksichtigen ist. Dies ist immer dann der Fall,wenn die Gefahr besteht, dass die Zusatzkosten durch denEinsatz des zu bewertenden Arzneimittels oder Verfahrensfür die Versichertengemeinschaft nicht angemessen oder zu-mutbar erscheinen.Damit hat der Gesetzgeber sowohl die Kompetenzen und denRahmen für die Aufgabenstellung abgesteckt als auch Hinwei-se auf die zu verwendenden Methoden gegeben. Außerdemwird ein klarer Hinweis gegeben, wie der Prozess der Bewer-tungen vom IQWiG gestaltet werden muss. Diese werden inTeil III noch ausführlicher dargestellt.

    Folgen für die Methodik der Kosten-Nutzen-BewertungDie Durchführung der Kosten-Nutzen-Analyse liegt nach demWunsch des Gesetzgebers in der alleinigen Verantwortung undKompetenz des IQWiG. Dieses hat als vordringlichste Aufgabe,die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen und für ein ordnungsge-mäßes Bewertungsverfahren zu sorgen. Ferner sind die Ergeb-nisse der in Auftrag gegebenen oder vom Institut selbst durch-geführten ökonomischen Evaluationsstudien so aufzubereiten,dass sie als Entscheidungsgrundlage für die zuständigen Stellen(G-BA oder Spitzenverband Bund der Krankenkassen) dienenkönnen. Dies setzt eine Eindeutigkeit der zu verwendendenMethoden, die vollständige Transparenz der Prozesse und einhöchstes Maß an Qualität der Bewertungen im Sinne einer ge-ringen Streuung der Arbeitweisen voraus.Diese gesetzlichen Bestimmungen und Aufgaben sind nur mitklaren, eindeutigen und operationalisierbaren Methoden er-reichbar. Im Einzelnen folgen aus den genannten Paragrafendes SGB V folgende Vorgaben, die bei den anzuwendenden Me-thoden zu beachten sind:

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    Supplement S9

  • � Die Methoden haben internationalen Standards zu entspre-chen. Ein Abweichen hiervon ist grundsätzlich nicht vorgese-hen und müsste gegebenenfalls im Einzelfall betrachtet undbegründet werden. Die ausgewählten wissenschaftlichenMethoden sind im Internet zu publizieren, sodass sie für ei-nen Diskurs gesundheitsökonomischer Fachkreise zugänglichsind. Eine gleichzeitige Veröffentlichung in englischer Spra-che ist wünschenswert, um die vom Gesetzgeber geforderteInternationalität zu fördern.

    � Die Kosten-Nutzen-Bewertung umfasst auch die ökonomi-sche Bewertung des Nutzens. Der Gesetzgeber präzisiert,dass ein Kosten-Nutzen-Verhältnis zu ermitteln ist, d.h. einQuotient aus Kosten und Nutzen. Dies ist nur möglich, wennsowohl der Zähler als auch der Nenner jeweils in einem Kar-dinalmaß berechnet werden. Für den Zähler, d. h. die Kosten,bietet sich die Aggregation zur Dimension Euro an.

    � Beim Nenner, d. h. dem Nutzen, sind die vom Gesetzgeber ge-nannten Nutzenmaße zu erfassen. Ist der wesentliche Zusatz-nutzen eines Arzneimittels gegenüber der Vergleichstherapieeine Null-Eins-Variable (z. B. Rückfall, kein Rückfall), so kanndiese in Form einer mittleren Häufigkeit Verwendung finden.Hat der Nutzen gleichzeitig mehrere Dimensionen (z. B. dieBelastung durch mehrere verschiedene Nebenwirkungen), sosind die verschiedenen Dimensionen mithilfe validierter Me-thoden zu einer Größe zu aggregieren. Wenn keine validierteMethode vorliegt, ist explizit zu erläutern, wie die Aggregati-on vorgenommen wurde und welchen Einfluss die spezifischgewählte Form der Aggregation auf das Ergebnis hat.

    Ausdrücklich erwähnt der Gesetzgeber als Nutzendimensionendie Quantität und die Qualität des Lebens. Wie bereits darge-stellt wurde, hat sich im Wesentlichen das QALY-Konzept als in-ternational gebräuchliches und anerkanntes Maß etabliert [27,55, 58]. Daneben existieren u. a. noch die DALYs (disability-ad-justed-life-years) [3 – 5, 43, 44] sowie das SAVE-Konzept (savedyoung life equivalent) [46, 47], welche auf das Zusammenfüh-ren von Lebensqualität und Dauer des Lebens abzielen.Neben den primär zur Abbildung der Lebensqualität entwi-ckelten Methoden hat sich international die Berücksichtigungvon sogenannten „Patient Reported Outcomes“ (PRO), welcheder Perspektive des Patienten eine hohe Bedeutung beimes-sen, etabliert [8, 65]. Daneben sind indikationsspezifisch soge-nannte intermediäre Endpunkte zu berücksichtigen, soweit eindirekter Zusammenhang zwischen z. B. einem Laborwert undder Verbesserung des Krankheitszustandes und/oder -progres-sion als evident eingeschätzt wird [40, 67]. Im Rahmen der ge-sundheitsökonomischen Kosten-Nutzen-Bewertung sind dieseFragen innerhalb der Festlegungen des Berichtsplans zu beant-worten. Für weitere Ausführungen wird auf Teil III verwiesen(Scoping-Workshop).Neben den zu berücksichtigenden Nutzenmaßen ist die Frageder einzubeziehenden Kosten bereits teilweise im Gesetz for-muliert. So verlangt der Gesetzgeber explizit immer dann auchdie Krankenkassenperspektive bei der Bewertung einzuneh-men, wenn „die Angemessenheit und Zumutbarkeit einer Kos-tenübernahme durch die Versichertengemeinschaft“ fraglichist. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn die Therapie für viele Pa-tienten infrage kommt, besonders kostspielig ist und/oder ei-nen nur geringen Zusatznutzen bereitstellt. In einigen Fällenkann es auch bedeuten, dass im Rahmen der Kosten-Nutzen-Bewertung eine Budgeteinflussanalyse [64] (Budget-Impact-Analyse) durchzuführen ist, soweit von dem zu bewertendenArzneimittel oder der zu bewertenden Arzneimittelgruppe ein

    signifikanter Budgeteffekt für die Gesetzliche Krankenversiche-rung zu erwarten ist.Gleichzeitig folgt aus § 35b SGB V, dass der Gesetzgeber bei derErmittlung und Bewertung der Kosten grundsätzlich die inter-national etablierte gesellschaftliche Perspektive als Maßstabder Kostenbewertung ansieht. Dementsprechend sind alle Kos-ten (analog die Kostenreduktionen) zu erfassen, unabhängigdavon, wer oder welche Institution sie innerhalb der Gesell-schaft trägt. Dies bedeutet, dass sowohl die direkt mit der The-rapie assoziierten Kosten als auch die indirekt verursachtenKosten (Produktivitätsverluste aufgrund von Erkrankungen [31,34]) zu erfassen sind [29].

    Anforderungen an die methodische Qualität gesund-heitsökonomischer EvaluationenKriterienkatalog für die qualitative BewertungIm Rahmen der ökonomischen Evaluation einer Gesundheits-leistung – § 35b SGB V sieht dies derzeit nur für Arzneimittelvor – sind zumindest alle vor dem deutschen Versorgungshin-tergrund publizierten Evaluationsstudien zu berücksichtigen.Ferner sind auch weitere internationale Studien einzubezie-hen, soweit sie direkt oder durch geeignete Anpassungen aufDeutschland übertragbar sind.Grundsätzlich sind alle einzubeziehenden Studien kritisch inHinblick darauf zu bewerten, inwieweit sie in ihrer Güte deninternationalen gesundheitsökonomischen Standards für dieDurchführung solcher Studien genügen. Die qualitative Bewer-tung der verwendeten Methodik muss anhand eines geeigne-ten Kriterienkatalogs erfolgen. Genügen in einigen Punkten dieStudien nicht den Kriterien, so ist zu prüfen, ob, inwieweit undfür welchen Aspekt die Studien für eine umfassende Beurtei-lung des zu bewertenden Arzneimittels herangezogen werdensollten. Lassen die veröffentlichten Ergebnisberichte Fragen of-fen, muss versucht werden, den Autoren Gelegenheit zu geben,diese zu beantworten. Wird eine Studie nicht berücksichtigt, istdies gesondert zu begründen.Im Folgenden wird eine Liste von Anforderungen im Sinne ei-nes Kriterienkatalogs präsentiert, die im Rahmen der qualitati-ven Bewertung der jeweils vorliegenden Studienmethodik ab-zuprüfen ist. Ferner muss das IQWiG die Kriterien auch gegensich selbst gelten lassen, soweit in seinem Auftrag ein eigenesModell zur Berechnung des Kosten-Effektivitäts-Verhältnisseserstellt wird. Der folgende Katalog folgt den gesetzlichen Vor-gaben, insbesondere der Forderung nach der Erfüllung inter-nationaler gesundheitsökonomischer Standards. Anschließendwerden die einzelnen Punkte noch kommentierend interpre-tiert. Dabei soll nach Möglichkeit vermieden werden, Lehr-buchwissen zu wiederholen. Idealtypisch antizipieren spätereAutoren diese Kriterien, wodurch die methodische Qualitätinsgesamt gesteigert würde.Im Einzelnen sind folgende methodischen Kriterien der gesund-heitsökonomischen Evaluation durch zu bewertende Studienbzw. Publikationen zu erfüllen:1. Perspektive

    a) Offenlegung der Perspektive bei der Berechnung der Kosten(grundsätzlich immer die gesellschaftliche Perspektive; beifraglicher Angemessenheit der Kostenübernahme durch dieVersichertengemeinschaft ist zusätzlich die Perspektive dergesetzlichen Krankenversicherung einzunehmen).

    b) Offenlegung der Perspektive bei der Berechnung der Kos-tenersparnisse, die durch die zu bewertende Arzneithera-pie oder deren Alternativen erreicht werden [19, 26, 41].

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    SupplementS10

  • 2. Studienforma) Benennung der verwendeten ökonomischen Studienform.b) Beschreibung und Begründung der Auswahl der zugrunde

    liegenden Indikation sowie der Studienpopulation.c) Beschreibung und Begründung der Auswahl der Nutzen-

    (Outcome-)Parameter, insbesondere bei der Wahl andererals der im Gesetz benannten.

    d) Benennung der Vergleichstherapien und Begründung, fallsmögliche Therapiealternativen nicht Berücksichtigungfinden (z. B. in Deutschland nicht zugelassene Verfahren).

    e) Beschreibung des Studiendesigns (z. B. Piggy-Back-Studie,Modellanalyse, stilisierte Head-to-Head-Studie) [27, 54,57].

    3. Datengrundlagena) Benennung der klinischen, epidemiologischen und ökono-

    mischen Datengrundlagen und der Daten zur Berechnungvon Lebensqualitätseffekten.

    b) Art und Umfang der Auswahl der in das Modell einge-brachten Daten (z. B. strukturierte Literaturrecherche).

    c) Benennung der Methoden, wie die Daten erfasst wurden(z. B. innerhalb klinischer Studien, epidemiologischen Stu-dien, Befragungen).

    d) Beschreibung der Methoden zur Prüfung der Vergleich-barkeit der einbezogenen Daten (z. B. bei Übernahme vonDaten aus mehreren Primärstudien).

    e) Bei Verwendung von aus dem Ausland stammenden Da-ten: Begründung ihrer Verwendung bzw. Beschreibungder Methodik zur Adaptation an deutsche Verhältnisse.[36, 54, 68]

    4. Berechnung der Kostena) Beschreibung der Methoden zur Auswahl und Ermittlung

    des Ressourcenverbrauchs, d. h. des Mengenvektors (z. B.durch Ressourcenerfassungsbogen, Krankenakten, Anga-ben in medizinischen Studien, Korrektur für Kosten auf-grund des Studiendesigns).

    b) Beschreibung der Methoden zur Ermittlung der monetä-ren Bewertung einzelner Ressourcenverbräuche, d. h. desPreisvektors (z. B. Verwendung von Gebührenkatalogen,Preisen oder Verrechnungsgrößen; Angabe des Jahres, aufdass sich der Preisvektor bezieht).

    c) Beschreibung der Methode zur Berechnung der indirektenKosten (z. B. innerhalb von klinischen Studien, über Befra-gungen, nach welcher Methodik [Humankapital- oderFriktionskostenansatz]).

    d) Beschreibung der Methode zur Aggregation von zu ver-schiedenen Zeitpunkten anfallenden Kosten (z. B. Diskon-tierung).

    e) Beschreibung der Methode zur Anpassung von Währungs-unterschieden (z. B. Wechselkurs und Anpassung derKaufkraftparität).

    f) Beschreibung der Methoden zur statistischen Analyse derMengen und Preise (z. B. Methoden zur Auswertung un-vollständiger Daten auf Patientenebene, Test auf statisti-sche Signifikanz, deskriptive Statistik der Lage- und Streu-ungsmaße; probabilistische Analyse). [17, 18, 24, 27, 29,31, 35]

    5. Berechnung der Nutzenmaßea) Beschreibung der Methoden zur Erfassung der Nutzen

    (z. B. bei Lebensqualität die Angabe der verwendeten Er-fassungsinstrumente).

    b) Beschreibung der Methoden zur Bewertung der Nutzen(z. B. Verwendung der Zahl der Nebenwirkungen oder der

    Rückfälle, bei Lebensqualität die Nennung der Methodezur Ermittlung eines Indexwertes).

    c) Beschreibung der Methode zur Bewertung der indirektenNutzen (z. B. innerhalb von klinischen Studien, Befragun-gen oder veröffentlichte Arbeitsausfallstatistiken, Human-kapitalansatz oder Friktionskostenansatz).

    d) Methode zur Aggregation von zu verschiedenen Zeitpunk-ten anfallenden Nutzenwerten (z. B. Diskontierung).

    e) Beschreibung der Methoden zur statistischen Analyse derErgebnisse der Nutzenberechnung (z. B. Methoden zurAuswertung unvollständiger Daten auf Patientenebene,Test auf statistische Signifikanz, deskriptive Statistik derLage- und Streuungsmaße, probabilistische Analyse). [24,27, 30, 58]

    6. Modellierunga) Begründung der Notwendigkeit der Modellierung bzw. im

    Fall, dass im Auftrag des IQWiG kein eigenes Modell er-stellt wird: Begründung für den Verzicht auf die Modellie-rung.

    b) Transparente Beschreibung und Begründung der Modell-struktur.

    c) Darlegung der Validierung der Modellstruktur durch klini-sche und andere Experten.

    d) Transparente Beschreibung der in das Modell eingebrach-ten Daten.

    e) Angabe des Rechenprogramms zur Durchführung der Mo-dellierung. [20, 39, 52, 60]

    7. Umgang mit Unsicherheiten und Prüfung der Ergebnisvalidi-täta) Begründung der Auswahl der Parameter, bezüglich deren

    Variation die Robustheit des Ergebnisses überprüft wird.b) Begründung der Bandbreite der Parametervariation und

    der Form der Sensitivitätsanalyse (z. B. univariate versusmultivariate Sensitivitätsanalyse, probabilistische Analy-sen).

    c) Art und Umfang der Ergebnisdarstellung und -bewertungder Sensitivitätsanalyse.

    d) Tiefe der Diskussion mit anderen bereits publizierten Er-gebnissen im Indikations- und Interventionsgebiet. [9,11 – 13, 30, 42]

    8. Interessenkonflikte und Finanzierung der Studiea) Offenlegung von potenziellen Interessenkonflikten (d. h.

    auch expliziter Ausschluss von Interessenkonflikten).b) Offenlegung der Finanzierungsquellen der Studie.

    Die vorgenannten methodischen Anforderungen und Kriteriensollen in den folgenden Kapiteln noch einmal detaillierter kom-mentiert werden.

    Wahl der PerspektiveKosten und Kostenersparnisse aufgrund von indikationsgerech-ten Behandlungen können immer nur aus der Perspektive einesIndividuums oder einer Institution bewertet werden. So ent-sprechen bei einem Kaufvertrag die Kosten durch Zahlung desPreises für den Käufer mindestens dem Zugewinn an Nutzenbeim Verkäufer. Was für den Einen Kosten darstellt, kann fürden Anderen Nutzen bedeuten. Außerdem wird man z. B. beieiner gesellschaftlichen Perspektive die mit einer Behandlungverbundenen Ressourcenverbräuche mit den Marktpreisen be-werten, bei der Einnahme einer Krankenkassenperspektive mitden jeweiligen Zahlungen der Krankenkassen. Die Wahl derStudienperspektive gehört deshalb zu den grundlegenden Ent-scheidungen, die zu Beginn einer Analyse von Kostenwirkun-

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    Supplement S11

  • gen getroffen werden müssen. Je nachdem, aus welcher Sichtdiese ermittelt werden, kann das Ergebnis der Untersuchungsehr unterschiedlich ausfallen [27].Die meisten internationalen Leitlinien schreiben hierfür eine ge-sellschaftliche bzw. gesamtwirtschaftliche Perspektive vor, beider sämtliche Kosten und Kostenersparnisse einbezogen wer-den – ohne Berücksichtigung, wer die Kosten trägt, bei wemdie Kosten entstehen bzw. wer der Nutznießer von Kostener-sparnissen ist. Diese Perspektive ist auch für Bewertungen vonLeistungen, die durch die GKV zu tragen sind, prioritär heranzu-ziehen, da die gesetzlichen Krankenkassen zum einen als Kör-perschaften öffentlichen Rechts dem öffentlichen Auftrag unddem öffentlichen, d. h. gesamtgesellschaftlichen Interesse ver-pflichtet sind. Zum anderen legitimiert der zunehmende Anteilder Finanzierung durch Steuermittel die Priorität der gesell-schaftlichen bzw. gesamtwirtschaftlichen Perspektive, da imRahmen des Nonaffektationsprinzips alle Steuermittel durchdie gesamte Gesellschaft aufgebracht werden.Die gesamtwirtschaftliche Perspektive darf nicht mit der Sicht-weise der Regierung verwechselt werden, die im Falle von na-tionalen Gesundheitsdiensten (z. B. in Großbritannien) direktvon Kostenwirkungen neuer therapeutischer Verfahren in ih-rem Haushaltsbudget betroffen ist, und die im Falle parafiskali-scher Gesundheitsfinanzierung (z. B. in Deutschland) als Arbeit-geber, der Krankenkassenbeiträge zahlt, ein indirektes Interessean einer Begrenzung der Ausgaben im Gesundheitswesen hat.Die Perspektive der Regierung deckt sich weitgehend mit derSicht der Kostenträger (in Deutschland vor allem die der ge-setzlichen Krankenkassen), für die z. B. die Kosten, die durch Ar-beitsausfall bei kranken Erwerbstätigen entstehen (= indirekteKosten) und die Kostenersparnisse, die entstehen, wenn schnellwirkende Therapien die Arbeitsfähigkeit erhöhen (= indirekteNutzen), nur von eingeschränkter Bedeutung sind.Wie bereits dargestellt, schreibt der Gesetzgeber in § 35b SGBV vor, dass eine wirtschaftliche Evaluation von Arzneimittelnauch die Angemessenheit und Zumutbarkeit einer Kostenüber-nahme durch die Versichertengemeinschaft zu berücksichti-gen hat. D. h., dass im Rahmen einer wirtschaftlichen Bewer-tung zu prüfen ist, ob die Angemessenheit und Zumutbarkeitdurch die zu bewertenden Gesundheitsleistungen überschrit-ten wird. Sollte also z. B. der Grundsatz der Beitragssatzstabili-tät (§ 71 SGB V) durch die Bezahlung einer innovativen Arznei-mitteltherapie gefährdet sein, so ist die Bewertung der Kostenzusätzlich aus Krankenkassenperspektive, welche nur die Aus-gaben der Krankenkassen berücksichtigt, vorzunehmen. Ggf.kann diese Bewertung im Rahmen einer Budgeteinflussanalyseinnerhalb der Kosten-Nutzen-Bewertung erfolgen.In diesem Grundzusammenhang ist es allerdings fraglich, obnicht allein schon die unklare Definition der Angemessenheitund Zumutbarkeit in Zusammenhang mit der Kosten-Nutzen-Bewertung dringend der Klarstellung bedarf. Zur transparentenEntscheidung, ob eine Intervention kosteneffektiv ist oder nicht(vgl. § 31 Abs. 2a SGB V), müsste zunächst die tatsächliche ge-sellschaftliche Zahlungsbereitschaft ermittelt werden. Da dieDefinition dieser Schwelle nicht Aufgabe des IQWiG sein kann,müsste der Schwellenwert von Seiten des G-BA bzw. des BMGvorgegeben werden.Neben den Perspektiven der Gesellschaft sowie der Kostenträgerkönnen Kosten und Nutzen einer medizinischen Leistung auchaus der Sicht der Leistungserbringer (z. B. Krankenhausmanage-ment, Ärzte) oder der Patienten (z. B. Zuzahlungen und Kosten-belastungen der Patienten) berechnet werden. In der Regel wer-

    den diese Perspektiven aber bei der wirtschaftlichen Bewertunggemäß § 35b SGB V keine Rolle spielen.

    Geeignete StudienformenDer gesundheitsökonomische Evaluator muss klar benennen,welche Studienform er warum gewählt hat [27, 56]. Da der Ge-setzgeber bei der Bewertung von einem Kosten-Nutzen-Ver-hältnis spricht, kommen folgende Studienformen infrage:� Kostenvergleichs- oder Kostenminimierungsanalyse, soweit

    die Nutzen bei den zu vergleichenden Therapieoptionennachweisbar gleich sind.

    � Kosten-Effektivitäts-Analyse, wenn der Nutzen der Therapiesich in einer kardinal messbaren medizinischen Einheit mes-sen lässt und alle anderen Nutzendimensionen sich nichtoder nur unwesentlich unterscheiden.

    � Kosten-Nutzwert-Analyse, wenn sich der Nutzen vor allem ineiner Erhöhung der Qualität und/oder Quantität des Lebensmanifestiert.

    Die reine (Krankheits-)Kostenanalyse ist hingegen keine geeig-nete Evaluationsmethode, da sie weder Therapien vergleichtnoch Kosten und Nutzen in ein Verhältnis setzt. Dennoch kannauch diese Studienform wertvolle Daten für nachfolgende Eva-luationsstudien und Budgeteinflussanalysen enthalten. Aus die-sem Grund soll auch die Krankheitskostenanalyse kurz vorge-stellt werden.

    KrankheitskostenanalysenDie Krankheitskostenanalysen, international als „Cost-of-Ill-ness-Studien“ bezeichnet, sind – wie bereits vorab erwähnt –keine Evaluationsstudien im engeren Sinne, da sie den Nutzenweder die Kosten im engeren Sinn noch die Kosten alternati-ver Therapien gegenüberstellen [2, 21, 58]. Sie können wert-voll sein, um Budgeteffekte für die Versichertengemeinschaf-ten abzuschätzen. Außerdem dienen die über sie gewonnenDaten, z. B. bezüglich Korrelationsbeziehungen der Behand-lungskosten mit dem Schweregrad der Erkrankung, als Daten-basis für ökonomische Evaluationsstudien und hierbei insbe-sondere von Modellanalysen.Abhängig vom Aggregationsniveau kann dabei u. a. zwischenfolgenden Studiendesigns unterschieden werden, die explizitzu benennen und zu begründen sind:� Berechnung der Krankheitskosten pro Patient, Kohorte oder

    Patientenpopulation.� Aggregation der Kostendaten auf Patientenebene und Über-

    tragung auf das Niveau der Gesamtgesellschaft („Bottom-up-Ansatz“) oder Disaggregation der Gesamtkosten aus gesell-schaftlicher Sicht und anschließender Aufschlüsselung aufeinzelne Erkrankungen („Top-down-Ansatz“).

    � Berechnung der Kosten nach dem Inzidenz- oder Prävalenz-ansatz.

    Kostenvergleichs- oder KostenminimierungsanalyseWenn der Nachweis erbracht ist, dass die Nutzen (z. B. bezüg-lich Gesundheitszustand, Krankheitsdauer, Lebensdauer, Ne-benwirkungen, Lebensqualität, intermediäre Endpunkte) zweieroder mehrerer Therapien gleich sind, reicht ein Kostenvergleichaus. Dieses stellt eine absolute Ausnahme dar, da sich alternati-ve Therapiekonzepte meist bezüglich des Nutzens unterschei-den. Ein einfacher Kosten-Kosten-Vergleich ist dann für die Be-urteilung der alternativen Methoden nicht mehr ausreichend,da bei diesem Studientyp nur die Kostendifferenz, nicht aberdie Nutzendifferenz zur Evaluierung herangezogen wird. Das

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    SupplementS12

  • Fehlen des Nachweises der Überlegenheit ist allerdings keinhinreichendes Kriterium für eine Kostenvergleichsanalyse [14].

    Kosten-Effektivitäts-AnalyseBei der Kosten-Effektivitätsanalyse, auch Kosten-Wirksamkeits-Analyse genannt, wird den Kosten der Nutzen gegenüberge-stellt, wobei diese in natürlichen medizinischen oder epidemio-logischen Maßeinheiten gemessen wird [27, 56, 58]. Dadurchbesteht nicht die Notwendigkeit der Bewertung von Nutzen inGeldeinheiten, womit methodische Probleme entfallen.Unterschieden wird dabei zwischen finalen Outcome-Parame-tern (z. B. Veränderung des Krankheitszustandes) und Surrogat-Parametern (z. B. Senkung eines medizinisch relevanten Mess-/Laborwerts). Wie bereits erwähnt, können nach §35b SGB Vbeide Parametertypen für die Messung des relevanten Nutzensgeeignet sein. Die im konkreten Fall verwendeten Ergebnispara-meter müssen mit dem Hauptziel der Behandlung korrespon-dieren und sind in der Untersuchung zu begründen.Das Ergebnis einer Kosten-Effektivitäts-Analyse wird als Quo-tient aus den (zusätzlichen) Kosten und den (zusätzlichen)Nutzen, gemessen in natürlichen medizinischen Einheitenausgedrückt. Diese inkrementellen Kosten je zusätzlicher Nut-zeneinheit (z. B. in Euro pro zusätzlichem Lebensjahr oder prozusätzlich verhindertem Todesfall) stellen das Kosten-Nutzen-Verhältnis dar. Wie bereits zuvor ausgeführt, ist eine breitegesellschaftliche Diskussion darüber erforderlich, bis zu wel-chem Schwellenwert eine grundsätzlich effektive Interventionals kosteneffektiv gilt. Dagegen würde eine rein wirtschaftli-che Perspektive entsprechend des ökonomischen Prinzips for-dern, dass bei gegebenem Input ein möglichst hoher Outputzu erreichen ist. Als Ergebnis müsste die Alternative mit dergünstigsten Input-Output-Relation (z. B. die wenigsten Geld-einheiten pro vermiedener Krankheitsepisode) grundsätzlichzu favorisieren sein. Bei gesundheitlichen Fragestellungenkann dieses nicht nur aus ethischen Erwägungen jedoch nichtimmer das zu verfolgende Ziel sein [37].Der Gesetzgeber schreibt in diesem Zusammenhang nicht vor,ob der Vergleich eines Arzneimittels nur mit einem anderenArzneimittel erfolgen soll oder auch ergänzend mit Therapie-optionen ganz anderer Art. Gemäß internationalen Standardswird erwartet, dass der Vergleich zumindest mit der Standard-therapie erfolgt, sei sie medikamentös, verfahrensbezogen odersogar invasiv. Da klinische Studien, die für die Zulassung durch-geführt werden, in der Regel nicht den nationalen (also deut-schen) Therapiestandard zum Vergleich haben, der wirtschaft-liche Vergleich jedoch einen solchen Vergleich erfordert, sinddie Ergebnisse klinischer Studien in dreierlei Hinsicht für dieökonomische Evaluation aufzubereiten bzw. zu modifizieren:1. Es ist zu überprüfen und zu begründen, ob und inwieweit Da-

    ten aus placebokontrollierten Studien für einen Head-to-Head-Vergleich herangezogen werden können.

    2. Es ist zu überprüfen, ob die Daten aus klinischen Studienauch valide für den klinischen Alltag sind, da klinische Studi-en protokollinduzierte Leistungen enthalten („protocoldriven procedures“) und Patienten u. U. intensiver oder an-ders geführt und betreut werden als im medizinischen Alltag.

    3. Es ist zu überprüfen, ob die in klinischen Studien eingeschlos-senen Patienten repräsentativ für die im medizinischen All-tag zu behandelnden Patienten sind oder ob wegen eines zubefürchtenden Selektionsbias eine direkte (unmodifizierte)Verwendung der Daten nicht erfolgen sollte.

    Aus diesen Gründen müssen die aus klinischen Studien stam-menden Daten in der Regel modifiziert werden, Daten aus Be-obachtungsstudien mit herangezogen werden bzw. mithilfevon Modellanalysen neue Datensätze generiert werden. Gera-de Kosten-Effektivitäts-Analysen, die kurz nach einer Markt-zulassung erstellt wurden, kommen ohne die Modellierungder Alltagsbedingungen kaum aus. Da hierbei eine besonderemethodische Sorgfalt geboten ist, bedarf es einer eingehendenDiskussion und Bewertung im Evaluationsbericht sowie in derPublikation der Studienergebnisse.Ein Problem der Kosten-Effektivitäts-Analyse liegt darin, dassnur Gesundheitsprogramme verglichen werden können, dieidentische Outcomes, gemessen in denselben natürlichen Ein-heiten, liefern. Damit ist die Einsetzbarkeit der Kosten-Effektivi-täts-Analyse zur Ermittlung des vom Gesetzgeber erwünschtenKosten-Nutzen-Verhältnis in vielen Fällen nur bedingt möglich.Aus diesem Grund ist im Rahmen der Kosten-Nutzen-Bewer-tung bei Erstellung des Berichtsplans die Auswahl der medizini-schen Outcomes insbesondere dann besonders zu begründen,wenn in der zu untersuchenden Indikation andere etablierteNutzenmaße als die im Gesetz benannten akzeptiert und ver-breitet sind.

    Kosten-Nutzwert-AnalyseDie im englischen Sprachraum häufig unter der Kosten-Effekti-vitäts-Analyse subsumierte Kosten-Nutzwert-Analyse setzt dieKosten ins Verhältnis zu einer Maßgröße für den Patientennut-zen. Diese Maßgröße ist ein Konstrukt, das die verschiedenen re-levanten Nutzendimensionen aus der Sicht des Patienten durchAggregation abbildet. Wenn die Verbesserung der Qualität alsauch die Verlängerung des Lebens von einer Behandlung positivbeeinflusst werden, was bei vielen therapeutischen Maßnahmendas erklärte Ziel ist (z. B. Aids-Therapie), dann muss eine Aggre-gation beider Größen zu einem Maß erfolgen, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis ermitteln zu können [27, 56, 58].Wie der Überblick in Teil I bereits aufzeigte, hat sich internatio-nal das Konzept der „qualitätskorrigierten Lebensjahre“ (QALYs)etabliert [50, 55]. Als Ergebnis erhält man im Rahmen der Kos-ten-Nutzwert-Analyse einen Wert, der die Kosten pro zusätzlichgewonnenem QALY beschreibt (Kosten/QALY). Übersteigt dieserWert einen durch die gesundheitspolitische Entscheidungsin-stanz zu setzenden Schwellenwert, sollte die Leistung als nichtkosteneffektiv eingestuft werden. Angesichts verschiedener va-lidierter Methoden, wie die verschiedenen Dimensionen der Le-bensqualität in einem Maß aggregiert werden können, ist in derStudienpublikation die jeweils gewählte Methode anzugeben.

    Datengrundlagen ökonomischer EvaluationsstudienFür die Verwendung von Datenquellen gibt es keine Begren-zung, soweit ihre Verwendung angemessen bzw. angebrachtist und ihre Generierung wissenschaftlichen Kriterien genügt[54]. Insbesondere ist darauf zu achten, dass eine hohe Trans-parenz darüber besteht, wie die Daten identifiziert wurden,woher sie stammen, wie sie generiert wurden und welche Da-tenqualität diese im Sinne von Zuverlässigkeit und Streuunghaben.Regelmäßig werden folgende Datenquellen innerhalb von öko-nomischen Evaluationsstudien verwendet:� Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit aus klinischen Studien,� Ressourcenverbrauchsdaten aus klinischen Studien oder ge-

    sonderten Erhebungen (Mengenvektor),

    Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25

    Supplement S13

  • � Kostendaten, die in der Regel gesondert zu erheben sind(Preisvektor),

    � Daten aus Anwendungsbeobachtungen, die den medizini-schen Alltag über längere Zeiträume abbilden,

    � Registerdaten, die sowohl medizinische wie auch epidemio-logische Daten zur Alltagswirksamkeit liefern,

    � Daten aus speziell für die Untersuchung durchgeführten Er-hebungen zum klinischen Versorgungsalltag und Epidemio-logie der Erkrankung.

    Hilfsweise muss zudem bei fehlenden klinischen Daten auchauf Expertenurteile zurückgegriffen werden. Hierbei ist zu be-achten, dass die Form der Erhebungsmethodik transparent undnachvollziehbar dargestellt ist (z. B. zweistufige Delphi-Befra-gung [61]).Für die Überprüfung der Zumutbarkeit der Kosten für die Kos-tenträger (Budgeteinflussanalysen) sind zusätzlich Inzidenz-und/oder Prävalenzdaten, die in der Regel aus epidemiologi-schen Studien und/oder aus Daten der Gesetzlichen Kranken-versicherung stammen, erforderlich.

    Berechnung der KostenGrundsätzlich sind alle relevanten Kosten und Kostenersparnis-se, die durch die zu bewertende Therapie erreicht werden, zuerfassen, um der gesellschaftlichen Bewertungsperspektive ge-recht zu werden. Wird die Angemessenheit und Zumutbarkeitder Belastungen für die Versichertengemeinschaft bewertet, sosind nur die Ausgaben und monetären Entlastungen der Kran-kenkassen zu analysieren. Werden relevante Kosten ausgelas-sen, so ist dies zu benennen und zu begründen.

    Direkte und indirekte KostenBeim Einnehmen einer gesellschaftlichen Perspektive sind alledirekten Kosten einer Therapie (z. B. personeller Behandlungs-aufwand, Einsatz von Arzneimitteln, Einsatz von Heil- undHilfsmitteln, diagnostische und operative Leistungen, Therapieder Nebenwirkungen), als auch deren indirekten Wirkungenin Form von indirekten Kosten durch Produktionsausfälle zuberücksichtigen [29].Die indirekten Kosten sind nicht zu verwechseln mit indirektdurch die Erkrankung oder die Therapie verursachten Kostenoder monetären Ersparnissen, wie sie z. B. bei einer Pflege durchAngehörige anfallen. Diese Kosten sind im Zweifelsfall den di-rekten Kosten zuzuordnen. Indirekte Kosten beziehen sich da-gegen auf volkswirtschaftliche Produktivitätseffekte, die durcheine Erkrankung oder deren Therapie verursacht werden. EineVernachlässigung der indirekten Kosten kann im Einzelfall zueiner groben Fehleinschätzung führen, da im Gesundheitswe-sen nicht selten die indirekten Kosten höher sind als die direk-ten [34, 58].Die Erfassung und Bewertung des Ressourcenverzehrs kann aufsehr vielfältige Art und Weise erfolgen. Im ambulanten Sektorkönnen die abgerechneten Gebührenordnungsziffern und ihreBewertungen genutzt werden, um die finanziellen Belastungenaus der Perspektive der Krankenkassen abzuschätzen, obwohldie Grenzkosten für die Krankenkassen durch die bisher ver-einbarten Pauschalen unter Einbindung der Kassen(zahn)ärzt-lichen Vereinigungen nahe Null liegen.Für die Kosten der Medikamente können die Apothekenver-kaufspreise herangezogen werden, wobei u. a. gesetzliche Ra-batte zu berücksichtigen sind. Sollte eine medikamentöse wirk-stoffbezogene Alternative mehrere Produkte umfassen, sollte

    auf mittlere Apothekenverkaufspreise zurückgegriffen werden.Liegen die Daten vor, kann eine Marktgewichtung durchgeführtwerden. Analog sind Heil- und Hilfsmittel zu bewerten, die imRahmen des Therapiekonzepts eingesetzt werden.Im stationären Bereich kommen als Hilfsmaß für die tatsächli-chen Kosten die diagnoseorientierten Fallpauschalen (DRGs) inBetracht, die inzwischen die tagesgleichen Pflegesätze und pro-zedurorientierten Fallpauschalen weitgehend abgelöst haben.Je nach Perspektive und dem System der Abrechnung kann esnotwendig sein, Personalkosten, Kosten für Medikamente, Ver-brauchsmaterial, diagnostische Leistungen wie Röntgen- undLaboruntersuchungen sowie die Verwaltungskosten von Kran-kenhäusern detailliert zu erfassen und einzeln mit Fremdbe-zugs- oder Herstellungspreisen zu bewerten.Bei der Berechnung der indirekten Kosten und Nutzen muss dieBerechnungsmethode angegeben sein, um eine Vergleichbarkeitvon Ergebnissen ökonomischer Evaluationsstudien zu ermögli-chen (z. B. nach dem Humankapital- oder Friktionskostenansatz)[16].Transferzahlungen wie Krankengeld und Erwerbsminderungs-renten sind keine Kosten im volkswirtschaftlichen Sinne, wes-halb ihre Erfassung generell überflüssig ist. Lediglich im Fallder Krankenkassenperspektive sollten diese Zahlungen separatberichtet werden, soweit es sich wie bei Krankengeld um Leis-tungen bzw. Ausgabenpositionen der Gesetzlichen Krankenver-sicherung handelt.

    Grenzwertbetrachtung und GemeinkostenschlüsselungBasierend auf der ökonomischen Theorie sind im Rahmen derökonomischen Evaluation von Gesundheitsleistungen dieGrenzkosten heranzuziehen (Prinzip der Marginalbetrach-tung). Mit Grenzkosten sind die Kosten der Produktion einerzusätzlichen Outputeinheit gemeint. In der Praxis ist dieGrenzkostenbetrachtung häufig schwierig, weswegen teilweisemit Durchschnittswerten gearbeitet werden muss. Dieses istbei der Publikation der Studienergebnisse anzugeben.

    DiskontierungWie bei anderen Investitionsprojekten fallen auch im Gesund-heitswesen häufig die Kosten und der (monetäre) Nutzen einerMaßnahme zeitlich relativ weit auseinander, wie es z. B. bei denEffekten von Impfungen oder auch bei chronischen Erkrankungender Fall ist [17]. Um den Entscheidungsträgern eine objektive Be-wertungsgrundlage zu ermöglichen, ist die Überwindung dieserzeitlichen Diskrepanz von Kosten und Nutzen ein wesentlichesZiel der ökonomischen Analyse. Aus diesen Gründen muss ange-geben werden, ob und in welcher Höhe eine Diskontierung vorge-nommen wurde. Um die Vergleichbarkeit zu ermöglichen, sollteentsprechend der deutschen Empfehlungen für gesundheitsöko-nomische Evaluationen in jeder Studie eine Diskontrate von 5%angewendet werden [31]. Dieses entspricht auch den meisten in-ternationalen Vorgaben, wobei auch eine Koppelung an die Zins-rate langfristiger Staatsanleihen denkbar wäre [69].

    Berechnung des NutzensGrundsätzlich sind alle relevanten Nutzen zu erfassen, inDeutschland mit der Umsetzung des WSG insbesondere aberdie in § 35b SGB V benannten. Werden relevante Nutzen aus-gelassen, so ist dies bei der Publikation der Studienergebnissebzw. bei Bewertung durch das IQWiG im Studienbericht anzu-geben und zu begründen.

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    SupplementS14

  • Tangible und intangible NutzenVon tangiblen Nutzen spricht man, wenn diese direkt in einemkardinalen oder ordinalen Maß messbar sind (z. B. Reduktionder Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarktes). Intangible Nutzensind solche, die zunächst nicht direkt messbar sind, sonderndie erst mit einem zusätzlichen Instrument in ein auswertba-res Nutzenmaß transformiert werden müssen (z. B. Schmerzen,Lebensqualität).

    Lebensqualität und das QALY-KonzeptWie bereits kurz dargestellt, ist es sinnvoll, die beiden Nutzen-dimensionen Lebenslänge und Lebensqualität in ein einheitli-ches Nutzenmaß zu aggregieren. Das Konzept der qualitätskor-rigierten Lebensjahre (QALY = Quality Adjusted Life Years) hatsich dabei international durchgesetzt [27, 58, 69]. Zur Berech-nung von QALYs muss die Wirkung einer Behandlung sowohlbezüglich der Lebenszeitverlängerung (quantitative Dimensi-on) wie auch des Lebensqualitätseffekts (qualitativen Dimensi-on) bekannt sein.Bei der Messung der Lebensqualität ist anzugeben, welche In-strumente verwendet wurden, wobei nur validierte Instrumen-te infrage kommen [51]. Außerdem ist anzugeben, mit welcherMethode die Gesundheitszustände bewertet wurden, d. h in Le-bensqualitätseinheiten umgerechnet wurden: z. B. mithilfe ei-ner visuellen Analogskala, der Standard-Gamble-Methode oderdem Time-Trade-Off-Ansatz. Für ökonomische Evaluationsstu-dien werden generische (krankheitsübergreifende) Indexinstru-mente benötig, wie z. B. der SF-6D [7] oder der EQ-5D [15, 50],da sonst ein mit anderen Studien vergleichbarer Quotient ausKosten und QALYs und damit ein vergleichbares Kosten-Nut-zen-Verhältnis nicht zu bilden ist.Maßgeblich für die hohe Akzeptanz und weite Verbreitung desQALY-Konzepts sind die umfangreich publizierten Forschungs-arbeiten, die breite Diskussion der Werturteile und Annahmen,auf denen das Konzept beruht, fehlende überlegene Alternati-ven und vor allem die Möglichkeit der Vergleichbarkeit der Kos-ten-Nutzen-Verhältnisse über unterschiedliche Indikationen. Essei angemerkt, dass die Auswertung und Präsentation von Er-gebnissen medizinischer Studien auf ähnlichen Werturteilenberuht. So geht in klinischen Studien regelmäßig jeder Probandmit dem gleichen statistischen Gewicht in die Auswertung einoder wird z. B. der Mortalität zweier – ggf. sehr unterschiedlichalter – Probanden ein gleiches Gewicht zugestanden.

    GrenzwertbetrachtungAnalog zu der Berechnung der Kosten ist gemäß der ökonomi-schen Theorie auch für die Bewertung der Nutzen der Grenz-nutzen heranzuziehen (Prinzip der Marginalbetrachtung). MitGrenznutzen bezeichnet man den Nutzen, den die letzte kon-sumierte Einheit stiftet. In der Praxis ist die Grenznutzenbe-trachtung häufig schwierig zu gestalten, weswegen teilweisemit Durchschnittswerten gearbeitet werden muss. Dieses istbei der Publikation der Studienergebnisse anzugeben.

    Entscheidungsanalytische ModellierungenVielfach kann eine ökonomische Evaluation nicht ohne eine Mo-dellierung der möglichen Patientenkarrieren erfolgen, da� klinische, epidemiologische, monetäre und Lebensqualitäts-

    daten miteinander zu kombinieren sind,� Ressourcendaten aus ausländischen Studien stammen und

    adaptiert werden müssen,

    � klinische Studien kürzere Zeiträume abbilden, als dies füreine sachgerechte Bewertung der Kosten und Nutzen not-wendig ist,

    � gerade für neue, innovative Produkte naturgemäß langfristi-ge Daten fehlen, die für eine Beurteilung des Produkts not-wendig sind,

    � ein Selektionsbias vermieden werden soll, d.h. die in klini-schen Studien eingeschlossenen Patienten nicht repräsentativfür die Patienten der entsprechenden Indikationsgruppe sind.

    Aus diesem Grunde gehören entscheidungsanalytische Modellezu den internationalen Standards gesundheitsökonomischerEvaluationen. Von dem Evaluator wird erwartet, dass er dasModell genau beschreibt und die verwendete Methode der Mo-dellierung nennt [15, 20, 39, 60].Außerdem muss begründet werden, warum zur Entscheidungs-unterstützung eine Modellierung verwendet wurde. Als Gründekönnten genannt werden:� Extrapolieren von klinischen, medizinisch definierten Ergeb-

    nissen (intermediärer Endpunkt) zu finalen Behandlungszie-len („final endpoints“, z. B. die Verringerung von Schlaganfäl-len durch Senkung des Bluthochdrucks),

    � Integrieren (Berücksichtigung von verschiedenen Datenquel-len),

    � Generalisieren (Übergang vom klinischen Setting in die tägli-che Praxis oder die Anpassung bei länderübergreifenden öko-nomischen Daten),

    � Synthetisieren (Betrachtung von Behandlungsalternativen, fürderen direkten Vergleich keine klinischen Studien existieren),

    � Aktivieren (Beschleunigung von Entscheidungsprozessen, dadas Warten auf die Ergebnisse einer Primärstudie die Diffusi-on einer als positiv eingeschätzten Therapie zu lange verhin-dern würde),

    � Expandieren (Überwinden des Zeitrahmens einer klinischenStudie auf einen entscheidungsrelevanten Zeitrahmen).

    Um die allgemeine Akzeptanz der Ergebnisse zu erhöhen so-wie die Wahrscheinlichkeit einer Verzerrung zu minimieren,sind folgende Anforderungen einzuhalten:� Transparenz (detaillierte Darstellung des Modells, der zu-

    grunde liegenden Theorie und Annahmen sowie der Metho-dik der Literaturidentifikation und -gewichtung),

    � interne Konsistenz (die Kombination der einzelnen Parame-ter muss in sich widerspruchsfrei sein),

    � Reproduzierbarkeit (die Ergebnisse müssen unter der Berück-sichtigung normaler Schwankungsvariationen in weiterenStudien gleicher Art nachvollzogen werden können),

    � Interpretierbarkeit (die Ergebnisse müssen der vorab klar ge-stellten Fragestellung zuzuordnen sein),

    � Analyse der Unsicherheiten (kritische Faktoren für das Ergeb-nis müssen in Sensitivitätsanalysen identifiziert und disku-tiert werden)

    � Validierung der Modellstruktur (entspricht das Modell denAbläufen im Alltag) [1].

    Insbesondere die klinischen Inputfaktoren (Behandlungsabfol-gen, diagnostische Maßnahmen, Epidemiologie, Sicherheit undWirksamkeit der Therapien, Abbruchkriterien der Behandlung)sind äußerst kritisch zu hinterfragen. Grundsätzlich ist immerein systematisches Review der Modellerstellung voranzustel-len, um sämtliche verfügbare Evidenz einzubeziehen.

    SensitivitätsanalysenUnter einer Sensitivitätsanalyse wird die Überprüfung der Ro-bustheit von Studienergebnissen bezüglich einer Variation ein-

    Graf v. d. Schulenburg JM et al. Methoden zur Ermittlung… Gesundh ökon Qual manag 2007; 12: S3 – S25

    Supplement S15

  • zelner Größen bzw. einer Gruppe von Parametern oder aller Pa-rameter verstanden. Alle Evaluationsstudien, die auf Annahmenberuhen, Angaben aus Streuungs- oder Wahrscheinlichkeitsma-ßen benutzen oder für deren Inputfaktoren widersprüchliche Er-gebnisse publiziert wurden, bedürfen in jedem Fall einer umfas-senden Sensitivitätsanalyse.Weil häufig Preise von Gesundheitsleistungen zwischen den An-bietern nicht unerheblich differieren (z. B. unterschiedliche Arz-neimittelpreise für den gleichen Wirkstoff), muss für die Analyseein bestimmter Preis angenommen werden. Eine Sensitivitäts-analyse, bei der der Preis variiert wird, ist in diesem Falle unver-zichtbar.Die Wahl der Variablen, die für eine Sensitivitätsanalyse heran-zuziehen sind, ist vom Studiengegenstand abhängig. Die ver-wendete Methode der Sensitivitätsanalyse ist vorab festzule-gen und zu begründen. Es bieten sich u. a. an:� Verwendung bekannter Streuungsmaße bzw. Verteilungen,� der Ansatz von Extremwerten (z. B. Höchst- und Tiefstpreise

    für die eingesetzten Ressourcen, Höchst- oder Tiefswerte fürNebenwirkungs- oder Wirksamkeitsraten),

    � Verwendung probabilistischer Modelle (z. B. durch eine Mon-te-Carlo-Simulation),

    � festgelegter Veränderungsprozentsatz (z. B. für jede Variable20 % Zu- und Abschlag vom Ausgangswert) für die betreffen-den Variablen, die vorher im Studienprotokoll bestimmt wur-den,

    � Bildung von Szenarien, bei denen verschiedene Parameterbzw. Annahmen (z. B. diverse Preise und Gebührensätze,Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten von Gesundheitszu-ständen und epidemiologische Annahmen) gleichzeitig ver-ändert werden, um auf diese Weise z. B. bei unsicherer klini-scher Datenlage eine Kostenschätzung vornehmen zu können[12, 13, 30].

    Eine Sensitivitätsanalyse, die ausschließlich auf der Basis vonExtremwerten durchgeführt wird, ist in der Regel unzureichendund entspricht nicht dem Standard.

    Fazit zu den anzuwendenden Methoden und KriterienZiel ökonomischer Evaluationen ist eine wissenschaftlich be-gründete Entscheidungshilfe für die Allokation von Gesund-heitsleistungen im Sinne einer Verbesserung der Gesundheits-versorgung durch eine optimierte Mittelverwendung. Die hierdargestellten methodischen Grundlagen entsprechen den der-zeit gültigen nationalen und internationalen Standards ge-sundheitsökonomischer Evaluation, wie sie in verschiedenenGuidelines festgelegt sind. Sie sind zudem direkt aus dem Ge-setzestext abgeleitet, aus dem sich insbesondere die infragekommenden Studienformen sowie Kosten- und Nutzenkatego-rien ergeben.Gemäß dem ökonomischen Dualitätspostulat soll mit gegebe-nen Mitteln (Kosten) ein möglichst großer Nutzen (z. B. zu-sätzliche Lebensjahre, QALYs) erreicht werden (Maximierungs-prinzip) bzw. für die Erreichung eines gegebenen Nutzens einmöglichst geringer Aufwand getätigt werden (Minimierungs-prinzip). Durch Ermittlung eines Kosten-Nutzen-Verhältnisseserhält der Entscheidungsträger Informationen darüber, in wel-che Verwendungen im Gesundheitswesen zusätzliche Mittelgelenkt werden sollen bzw. für welche Verwendungen im Ge-sundheitswesen die Mittel reduziert werden sollten, um dasZiel der Steigerung der Kosteneffektivität, d. h. des Kosten-Nut-zen-Verhältnisses im Gesundheitswesen insgesamt, zu opti-mieren. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die wirtschaftli-

    che Bewertung in unserer Gesellschaft mit anderen wichtigenPrinzipien konkurriert. Zu nennen ist das Gleichheitsgebotbeim Zugang zu Gesundheitsleistungen, das Gebot der Hilfe-leistung in Notfällen sowie eine Therapie in Situationen, in de-nen keine andere Alternative zur Verfügung steht.

    Teil IIIWie sollte der Prozess der Kosten-Nutzen-Bewertunggestaltet werden?!

    Gesetzlicher RahmenDer Gesetzgeber hat in den Änderungen der Paragrafen §§ 35bund 139a SGB V durch das GKV-Wettbewerbstärkungsgesetzdie Bedingungen und den Prozess für die Durchführung derzukünftigen Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG defi-niert. Aus diesem Grunde stellen diese zwei Paragrafen denwesentlichen gesetzlichen Rahmen dar.Für den Bewertungsprozess ergibt sich daraus eine Reihe vonersten konkreten Handlungsanweisungen:� Eine Bewertung erfolgt immer im Vergleich gegen eine oder

    mehrere Alternativen.� Die Methoden und Kriterien für die Bewertung werden auf-

    tragsbezogen nach internationalen Standards der Gesund-heitsökonomie festgelegt.

    � Das Verfahren zur Festlegung der Methoden und Kriterien so-wie die Durchführung der Bewertung sind transparent zu ge-stalten.

    � Die im Gesetz in § 35 Abs. 2 und § 139a Abs. 5 Genannten wer-den an der Festlegung der Kriterien und Methoden sowie spä-ter im Rahmen der Bewertung angemessen beteiligt.

    � Stellungnahmen der in § 139a Abs. 5 Genannten sind in dieEntscheidung mit einzubeziehen.

    � Alle wesentlichen Schritte bedürfen der Beteiligung aller Sta-keholder.

    Aus diesen Punkten wird deutlich, dass der Prozess der Kosten-Nutzen-Bewertung in zwei wesentliche Teile zu trennen ist:1. Die Erstellung des Berichtsplans, in welchem die einzubezie-

    henden Vergleichsinterventionen, Zielkriterien, Bewertungs-methoden sowie ein einzuhaltender Zeitplan definiert wirdund

    2. die Durchführung der eigentlichen Kosten-Nutzen-Bewertung.Um die nach § 31 Abs. 2a SGB V gewünschten Erkenntnisse zurWirksamkeit von Arzneimitteln zu erhalten, stellt das IQWiGzudem Beratungsleistungen für die Konzeption neuer Studienzur Verfügung. Insbesondere die Hersteller innovativer Gesund-heitsleistungen, für die noch keine Bewertung vom G-BA in Auf-trag gegeben wurde, sollen diese Beratungsleistungen abrufenkönnen.

    Entwicklung des BerichtsplansAuf Basis der im Gesetz spezifizierten und erweiterten Anfor-derungen an die Kosten-Nutzen-Bewertung zeigt ●" Abb. 1 denProzess der Erstellung des Berichtsplans auf.Im Wesentlichen ist der Prozess zur Erstellung des Berichtsplansin vier Schritte unterteilt:1. Auftragsvergabe durch den G-BA oder das BMG.2. Präzisierung der Fragest