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    K R L J S P E R S

    S HELLING

    G R O S S E U N D V E R H A N G N I S

    R P I P E R CO V E R L A G

    M Ü N C H E N

    ( 1 JfiS)

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    Dem Schweizerischen Nationalfonds zur FOrderung der wissenschaftlichen Forschung sprecheid1 meinen Dank aus für die Gewahrung der Besoldung eines Assistenten dcr mir bei mei-nen philo so phiegeschichtlichen Arbeiten technisch bibliographisch und sachlich hilft. Herrn

    Privatdozent Dr. Gerhard Huber danke ich dall er diese Arbeit kundig zuverliissig und un

    verdrossen Jeistet

    lfgo

    Copyright 955 by R. Piper Co. Verlag MünchenSatz und Oruck: Holfmannsche Buchdruckerei Felix Krais Stuttgart

    Alle Rechte vorbehalten . Printed in Germany

    EM A N D E N K E N M E I N ES F R E U N D E S

    E R N S T MAYER

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    VORWORT

    Schelling, einst ein groBer Name, war schon fast vergessen, als er 1854star.b und der bayrische Konig Maximilian, der Zeit trotzend, seinemLehrer und r e u n e den er den »ersten Denker Deutschlands « nannte,auf dem Grabe in Ragaz ein prunkvolles Denkmal setzte. Jetzt, nachhundert Jahren, galt dort ein KongreB allein ihm und seiner Philosophie. Schweizer, Deutsche, Franzosen erneuerten sein Andenken. Dieakademische Philosophie beschaftigte sich seit J ahre n gelegentlich mit demDenker. Heute scheint er in ihrem Kreise und schon darüber hinaus

    zu neuer Wirkung aufzuerstehen.Ich mochte eine Anschauung geben von der GroBartigkeit Schelling

    schen Denkens, von seinem W erk u nd seinem W esen von seinem Lebenin seiner Welt. Aber auch wer ihn selber liest, wer an der Schonheitseiner Sprache und seines Denkstils, an dem Adel dieses Geistes Freudehat, mag meine Erürterungen, wie ich hoffe, als einen willkommenenLeitfaden bei seiner Schelling-Aneignung nutzen.

    Eine Schelling-Darstellung hat die groBte Schwierigkeit an der Viel

    deutigkeit dieses Mannes, die ihn zugleich so interessant macht. Schellingist vielleicht der erste moderne Denker im Sinne einer unserer W elt zugehürigen geistigen Brüchigkeit. n einem faktisch noch bergenden Lebensraum, in glanzenden Positionen: als Freund der ersten Geister seinerZeit und von Konigen, hatte er radikale Gedanken in konservativerGestalt. Diese Zweideutigkeit ist aber nur eine. Sie steht in Beziehungzu der UnfaBlichkeit seines Wesens: er ist zu Hause und nicht zu Hause,ist von tiefen philosophischen Anschauungen ergriffen und verliert sichin tauschendem Schein. Durch seine GroBe wi rd er zu einem Urbi ld, indem Genie und Zauberei eines werden . Er zieht an und kann ermutigen;er stoBt ab und kann lahmen. Ihn zu studieren bedeutet, uns selber besserzu v e r s ~ e h e nweil er uns bleibende Moglichkeiten unseres Zeitalters zeigt:den überga ng von GroBe in Gebarde, von W ahrhei t in Absurditat, vonheller Mitteilung in Magie. ir erkennen uns in ihm wieder, weil seinSchwung zur hochsten Aufgabe der Philosophie, zur Metaphysik, unswundersam erregt, und weil er den Gefahren nicht widerstanden hat, dieheute noch die unseren sind, wo immer wfr uns dem Zauber anvertrauen.

    Ich versuche, die GroBe dieses Philosophierens darzustellen in demBesten, was ich zu sehen vermochte, und .die V erfüh rung kennen zulehren mit dem Fragwürdigsten, das ich zu erfahren meinte. Selbst in der

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    Abwehr mochte ich noch der Gew alt d er Verfüh rung Geltu ng verscha:ffen.Ich ho:ffe, man wünsche den Zauber zu kennen und ihm doch nicht zuerliegen. Es ist gut zu wissen, was ein Genie verniag, wenn es sich vomZauber nicht reinigt und, soweit es an ihn verfallt, auch an GroBe verliert . Wfr mochten aber die Kostbarkeiten des Gedankens, die Beschwingungen der Seele, die uns von daher kommen, nicht verlieren, wenn wirdas Verhangnis durchleuchten, das sich mit ihnen verkn üpft hat.

    Schellings Denken lai3t sich nicht als ein systematisches Ganzes repro

    duzieren, das es nicht ist. Besser ist es, aus verschiedenen Fragestellungenin diese verwickelte Erscheinung hineinzuleuchten und jeweils uns mitdem Manne und seinem Denken in nachste Fühlung zu bringen. Meine

    . Darstellung mochte durch die Ansch ·auung seiner Wfrklichkeit und seinerzur Sprache kommenden Gedanken fundieren, was ich über ihn, kritischerhellend, bejahend und verwerfend, sage.

    Im ersten Kapitel ist das Thema der Mensch Schelling. Man muBdieses moderne, in der Wurzel schon mit dem Keim eines Verderbensangelegte, geistig genialePhilosophen leben sehen, wenn man seinDenkenverstehen will. Unerlafüich ist das Wissen um Caroline. Dann wendenwir uns an Schellings Gedanken, hüren ihn selbst. Im zweiten Kapitelsuche ich zu zeigen, welch hohen Sinn Schelling der Philosophie gegebenhat. Im dritten Kapitel soll der Kern des scheinbar zur Lehre werdendenDenkens, die Metaphysik, sein Ergrübeln des Seins, herausgearbeitetwerden. Im vierten Kapitel folgt die Kritik an der Substanz dieses Philosophierens durch die Frage nach dem Grund der Brüchigkeit, die selbereine eigentümliche GroBe und vertretende Allgemeingültigkeit hat. Imfünften Kapitel beobachten wir Schelling im Verhaltnis zu den ihm zeitgenüssischen Philosophen. Wir fragen, wie der deutsche Idealismus zudem sich verhalt, was er verneint und nicht mehr versteht, obgleich ersich darauf beruft, zur Kantischen Philosophie, und fragen dann, wieSchel11ng zu den anderen -Idealisten, zu Fichte und Hegel steht. Damitsehen wir Schelling im Raum der geistigen Machte und machen uns seine

    Bedeutung für heute bewui3t.Wenn ich versuche, in diesen Aspekten Schelling zu zeigen, so meine

    ich die eine Macht, die im Umgang mit Schelling auf uns eindringt. Ichhalte alle fünf Kapitel für wesentlich, einzelne für sich verleiten zumMiBverstandnis. W er Schelling unte r diesen Aspekt en in bezug auf dasunfaBbare, vieldeutige Eine, das durch alle wirkt, versteht, der muBwie mir scheint, zugleich zu hellerem Bewufüsein seiner selbst gelangenund dessen, was er will.

    8

    Mit Schelling habe ich seit mehr als dreifüg J a h r e ~p h i l o ~ o p h i e r t~ c h

    W 1 k . 'ff 'ch u ihm in der Abs1cht, eme der v1elenem ersten e t neg gn 1 z ch. . chi h k zu lernen · dann war 1arret eien d er Ph1losoph1eges c te ennen . ' d. ¿· ·ch hn mit dem Staunen ar-etroffen, ja hingenssen; dann stu ierte 1 1 ch

    1 1 ·ch · w hn verfangen. Durber wie sich s groBe Impu se g e sam rm ch d'' · · h · d ah zugle1 ieSchelling begriff ich klarer, was Ph1losop ie se1, un . . h

    . h'I h h Wahrhe1t im Wa n zurrgange. Aber wer hatte Je p i osop iert, o ne . .. . :ff h · b · gen m der s1e erst

    finden, um die Vernunft m Jene O en eit zu nn ' . . ¡ D1 Ich verdanke Schelling v1e . ieshre Souveranitat zu finden vermag. . S .Buch beruht auf Studien vor allem der zwanziger J h ~ e als ich . u -nare über Schelling hielt mit dem Blick auf den S c h e 1 d e w e ~zw_ s en

    E . h llung die uns erweckt zu uns selbst, und Gnos1s, die unsx1stenzer e 'betaubt mit Visionen eines Scheinwissens.

    Base , Juni 1955 K a r l J a s p e r s

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    I N H A LT S Ü B E R S I C H T

    ERSTES KAPITEL

    SCHELLINGS PERSONLICHKEIT UND W E R K 15

    1 Biographie. . . 15

    2 Caroline . . . . 19

    a Ihr Leben. 19 - b Carolines philosophische Lehensverfassung. 21e Caroline und Schelling bis zur Scheidung von Schlegel. 27 - d Ehe(1803-1809) und Tod Carolines. 33 - e Charakteristik Carolines. 38f Die Bedeutung Carolines für Schelling. 41 - g Kritische Fragestellung. 43

    3 Von Schellings Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

    4 Das Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

    Gesamtaspekt. 48 - Die Lebenskurve im Werk. 50 - Die Perioden desphilosophischen Gedankens und das Gleichbleibende in der Denkungsart Schellings:a Die Fragestellung. 53 - b Falsche Behauptungen der Wandlung inBeispielen. 54 - e Das Systemp 'rogramm 1796. 56 - d Beispiele für dasGleichbleibende, die Vorstufen, das Vorwegnehmende: Negative undpositive Philosophie, Christ ichkeit, philosophische Religion . 58 - e Schellings Selbstauffassung. 60 - Zusammenfassung und Grundsatze fürdie folgende Darstellung. 61

    ZWEITES KAPITEL

    WAS PHILOSOPHIE FÜR SCHELLING BEDEUTET 64

    1 Das Wesen der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . 64a Die hohen Gegenstande. 64 - b Philosophie ein Werk der Freiheit . 65e Philosophie ist Wille . 66 - d Erkennen und Ethos eins in der Metaphysik. 68 - e Für wen ist Metaphysik: für Auserwahlte oder fürAlle? 69 - Unterricht der Philosophie. 71

    2 Die Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74a Der Ursprung: 74 Erstens: die intellektuelle Anschauung in ihrenAhwandlungen. 74 Zweitens: kritische Charakteristik. 82 - b Die Rcflexion. 87 - e Bestimmte Methoden. 90

    3 Negative und positive Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96a Das Motiv der positiven Philosophie; Unterscheidung und Einheitnegativer und positiver Philosophie. 9 7 - b Autoritat für Philosophieoder Unhedingtheit der Philosophie. 101 - e Philosophische Religion.104 - d Charakteristik und Kritik der positiven Philosophie. 106

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    4. Das System . . . .a Fiir und wider das System. 110 - b Vergleicl 1. o ~· ~ e ~ e ·u ~ ~~ c ~ e l -ling. 116 . - Rückbliclc 120

    DRITTES KAPITEL

    DAS ERDENKEN DES SEINS

    110

    122

    1. ~ ~ ~ i ~ g sFrage: Warum ist überhaupt etwas, warum ist nicht

    Leibniz . 1 · 2 ~·_· s c : h ~ l l i ~ g ~~ 4 ·~ v ~ ; g i e i c l i· n ~ i ~K ~ ~ t :~ . . . . . .124

    2. Das Denken der Potenzen und der G iff b d' p • .r u er ie otenzen hmaus 131Einleitung: Zwei Scliritte . 13l

    Der erste Scliritt: 131a D a r s t e l l u ~ gde: drei Potenzen. Warum die drei? 131b W o h ~ rd e Ev1denz? Einheit von Vernunft und Sein Scliarfe und

    G ~ w 1 E h e 1 tDenken und Erfahrung. Erfahrun d .dntten Potenz. 133 g er ersten und der

    e ~ i e O ~ e ~ ~ t ~ nb i ~ dem Subjekt-Objekt-Verhaltnis. Die verscliie-~ n e n u ¡e ts egnffe. Potenzen sind niclit Kategorien Die »Ver-

    :irrung« und Scliellings Absiclit. Das »Verzw1 cl{te .1 di D s als unumgang-1 . as. tarsteclien. Die kritisclie Frage. 135

    Der zwe1te Scliritt: 138a Der Wendepunkt, die Umkehr. 139b DaE u ~ dinwiefern es niclit ein Denken ist. 141e W a ~ .dieses neue Denken denkt: Im Sclieitern der Kate . .

    pos1t1ven A b ¡ gonen. Inussagen: a so ute Freiheit, Unveranderliclikeit. 1443. Gott und W elt . . .

    Einleitung: .die F r a g e s t e l l u n ~~ · d ~ :~ e ~ ~ t i ~ ~ ~~ ~ n ~ ~ n~ ~ . . . 148

    a Warum em Anderes auEer Gott ist. 151b Der Beginn des Prozesses. 154e Der Abfallsgedanke. 158d Mythologie und Offenbarung. 159

    4. Schellings Gesamtbild in der erzahlten Geschichte des Seins.5. Zur vorlaufigen Charakteristik dieses Denkens .

    a Terminologie. 170b M ~ n n i g f a t i g k e i tund Widersprüclie. 170e Die ~ o : mdes Transzendierens und ihre Umkehrung. 171d »Fre1he1t«. 173e »Forscliung« . 173f Echo und Willkür. 174

    162

    170

    g ~ e i n eUmkehr im Gange der Schellingscl1en Philosophie. 1756. Kntik des Schellingschen Gottesgedankens

    a Obertragung der Kategorien auf Gott und n ~ g · a ~ i ~ e T h ~ ~ l ~ g i e :~;6 . . 176

    12

    b Schellings Obertragungen und seine negative Theologie. 177e Schellings Obertragung des Menschenbildes und der Freiheit auf

    Gott. 178d Prüfung dieser Obertragung . 180e Unsere Situation. 184f Ohnmacht und Starke der Philosophie, Gegenwartigkeit. 186g Der Zweifel an Gott und am Gottesbewufüsein. Gottesbeweise. 187h Schelling: Die Alternative ihm gegenüber. 190i Hinweis auf die philosophischen Methoden des Transzendierens. 191

    7. Kriti k der Schellingschen Objekti vierun g . . . · 192a Grundsatzliches über Unumganglichkeit und MiEverstandnis der Ob

    jektivierung. 192b Schellings rechte Einsicht . 197e Schellings methodische Behandlung des Subjekt-Objekt-Verhaltnisses

    durch dessen Verwandlung in einen ProzeE. 200d Kritik der Schellingschen Methode der Oberwindung der Subjekt-

    Objekt-Spaltung. 204e Gnosis oder Existenzerhellung. 208f Der Kampf in den Chiffern: 214

    Der Sinn der Frage nach der Bedeutung der Chiffern. 216 - Erstens:die Frage nach der Nichtigkeit von Chiffern. 216 - Zweitens: dieFrage nach dcr Herabsetzung der Objektivitaten zu Chiffern durchden Gottesgedanken. 216 - Drittens: die Frage nach der existentiellen Bedeutung einzelner Chiffern: Der SeinsprozeE, das Dunkel derNatur. 219 - Der Zustand der Betrachtung von Chiffern. 221

    VIERTES KAPITEL

    DIE FRAGE NACH DER SUBSTANZ SCHELLINGSCHENPHILOSOPHIERENS . . . . 222

    1. Reflexivitat . . . . . 222a Ober Reflexion. 222 - b Schelling über Reflexion: Seine Grundauffassung. 223 - Die Substanz des der Reflexion Vorhergehenden . 224Wagnis und Oberwindung der Reflexion. 224 - e Charakteristik derSchellingschen Reflexion. 226 - d Reflexivitat der Kontemplation. 227e Eclio Aneignung. 228 - f Schelling über den Unterschied der Ur-sprünglichkeit und der Reflexion . 230 - g Der Wille zur Oberwindungder Reflexivitat. 231 - h Die »Gebarde«. 232

    2. Das SendungsbewuBtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235a Vom SelbstbewuEtsein zum Sendungsbewufüsein. 235 - ) ScliellingsBewuEtsein des Zeitalters und Rechtfertigung seines Werkes aus derAufgabe heute. 235 - e Schellings Anspruch und Wirkungswille. 238d Ausbleiben der Wirkung, Einsamkeit und Reaktion darauf. 239e Kritik und Polemik. 240 - f Jena 1816 und Berlin 1841. 242

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    3 Schellings V d R ¡·ersaumen er ea itaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247a Wissenschaft. 247 - b Politik. 249 - e Religion. 256 - d Zusammenfassende Charakteristik. 257

    4. Vom W esen Schellingschen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

    a Vernunft und Magie. 259 -' b Schellings Verkehrungen. 261 _ e Red-ner und Schriftsteller. 264 - d Die Widersprüche. 266 - e Geborgenheitund : e r ~ w e i f l u n g ,Sch';ermut und Neurose. 266 - f Ver gleich mitursprunglicher Metaphys1k. 271 - g Sinn des Urteils über Schelling. 273

    FÜNFTES KAPITEL

    , SCHELLING IM RAUM DER MliCHTE UND DERGESCHICHTE . . . . .

    1 Schelling im Zeitalter des Idealismus\ a Jena u ~ der p h i l ~ s o p h i s c h eIdealismus. 274 - b Die groBen Philosophen: Fichte, Schellmg , Hegel. 281 - e Schellings Verhaltnis zu Fichte.und Hegel. 283 - Die Polemik der Idealisten: Fichte. 285 - Hegel. 300

    2. Der Bruch mit Kant

    3. Schellings Stellung in der Geschichte der Philosophie~ Schellings Verhaltnis zu den groBen Philosophen und Vergleich mitihnen. 324 - b Schellings Wirkung. 328

    4. Schellings Bedeutung für die Gegenwart . . . . . . .a Nochmalige Charakteristik Schellings in der Vielfachheit seiner Facetten. Umgang mit Schelling. 330 - b Die Situation, die zum Historismus führt. 333 - e Die Alternativen. 337 - d Zusammenfassung: GroBeund Verhangnis. 341 ,

    274

    274

    313

    324

    330

    Quellen und Literatur . . . . . . . 345

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    ERSTES KAPITEL

    SCHELLINGS PERSONLICHKEIT UND WERK

    1 Biographie

    Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sohn eines gebildeten Landgeistlichen, geboren in Leonberg in Württemberg ist aufgewachsen in schwabischen pietistischen und mystischen überlieferung en,

    aber früh vom Vater erzogen in philologischen Wissenschaften,und gründlich vertraut mit der klassischen Antike.

    Schon der Knabe war den Aitersgenossen weit überlegen an Konnen und Kenntnissen. Als er kaum zwolf Jahre alt war, erklartesein Lehrer in Nürtingen bei ihm konne er nichts mehr lernenDann übertraf er in Bebenhausen die alteren Klosterschüler, mitdenen er unterricht et wurde. Fünfzehnjahrig, drei J ahre früher,als es zulassig war, durfte er als Ausnahme an die Universitatgehen. Dort im Tübinger Stift, vereinte ihn mit Holderlin undHegel (beide fünf J ahre alter als er) die denkwürdige Freundschaft,die für die drei Jünglinge geistig bestimmend wurde und spaterdoch nicht hielt. Mit siebzehn J ahren wies er sich durch eine Dissertation über das dritte Kapitel der Genesis als gelehrter Forscheraus. Mit achtzehn J ahren schrieb er über Mythen, mit neunzehnJahren begannen seine sogleich in die Mitte eines neuen Philosophierens treffenden philosophischen Abhandlungen. Zwanzig

    J ahre alt, veroffentlichte er eine seiner tiefsten, ursprünglichsten,schonsten Schriften, die »Philosophischen Briefe über Dogmatismus und Kriticismus«. Mit unglaublicher Schnelligkeit eignete ersich alsbald an der Universitat Leipzig naturwissenschaftlicheKenntnisse an. Zweiundzwanzig Jahre alt, veri::iffentlichte er schondie »Ideen zu einer Philosophie der Natur« ein Jahr spater » Vonder Weltseele«. Mit diesen beiden Schriften wurde er der Schopferjener Naturphilosophi e, die damals einen gewaltigen Eindruckmachte und sogar die Medizin zu reformieren schien. Auf GoethesVeranlassung und unter Mitwirkung Fichtes war Schelling mitdréiundzwanzig Jahren auBerordentlicher Professor in Jena. lm

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    ZWEITES KAPITEL

    WAS PHILOSOPHIE FÜR SCHELLING

    l Das W esen der Philosophie

    BEDEUTET

    a) Vorbildlich hatte im Al .»den M ~ tund das Recht z ~ e ~ u m_ d i ~Philosophie nach Schellinderen w1llen allein es wert . n em.z1g groBen Gegenst anden g

    . . lSt ZU phil h ' umgememe W1ssen zu erh b . osop ieren und sich u b d

    Ph.l ' e en In ,h er asi osophie dagegen »ihren Cha k rer neueren Geschichte hat die~ u r.S S h G .. enns ~ pie aber diese Gegenstand . c de eg:nstande sind, die Philo-m h ~ · u n dsie m t dadur

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    bende Luft, sondern: die gemeinschaftliche Freiheit, deren Erschütterungen bis ins Innerste der Seele sich fortpflanzen. W o der Geisteines Menschen nicht vom Bewuíhsein der Freiheit erfüllt ist, ist allegeistige Verbindung unterbrochen, nicht nur mit anderen, sondernsogar mit sich selbst; kein Wunder, daG er sich selbst ebenso gut alsanderen unverstandlich bleibt und in seiner fürchterlichen Eini::idenur mit eiteln W orten sich ermüdet, denen kein freundlicher Wider-hall aus eigner oder fremder Brust) antwortet« I, 443). Enge undbeengende Ansichten haben in der Philosophie eine gleich engeSprache zur Folge. W eil sie »a uf alles nur einen gewissen Kreis vonFormeln und Redensarten anzuwenden« haben, ist eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht mi::iglich. Es artet zuletzt in Irrereden

    aus XII, 7).

    e Weil Philosophie ein Werk der Freiheit ist, ist sie im Ursprungein Wille. »Darum ist auch der Beweis nur ein Beweis für die fortschreiten und fortdenken Wollenden, nicht wie ein geometrischerBeweis, mit dem man auch den Beschrankten, ja den Dummenzwingen kann.« Niemand kann ich zwingen, durch Erfahrung klugzu werden, wenn er nicht will. »Die positive Philosophie ist dieeigentlich freie Philosophie; wer sie nicht will, mag sie lassen« XIII,132). »Eine allgemeingültige Philosophie ist ein ruhmloses Hirn-gespinst« II, 11 ).

    Der Wille, das Handeln ist der Ursprung der Philosophie. Sosagt der junge, so der alte Schelling. Der junge: Der Mensch ist zumHandeln, nicht zum Spekulieren geboren. Daher muG auch sein erster Schritt in der Philosophie den Antritt eines freien W esens verkündigen. »Das erste Postulat aller Philosophie ist, frei aus sich

    selbst zu handeln. So wenig der Geometer die Linie beweist die erauf das erste Postul at der Geometrie hin zieht), ebenso wenig sollteder Philosoph die Freiheit beweisen.« Nur für die moralische Tatig-keit haben die Ideen Realitat. Wo . der Mensch selbst zu schaffenbeginnt, darf er keine Objekte mehr begehren. Will er seine Ideentheoretisch bestimmen, wird ihm alles zum Hirngespinst, was überdie Kategorien des Verstandes hinausgeht. Dort i::iffnet sich der Freiheit des schaffenden Willens, was eigentlich ist. Aber dort, wo derPhilosoph erst recht frei sich fühlt, sieht der Verstand »nichts alsdas groGe Nichts vor sich, das er nicht auszufüllen weiG und dasihm kein anderes Bewuíhsein als das seiner eigenen Gedankenlosig-

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    keit übrig laíh« I, 243-244 . Der alte Schelling: Mit der reinen Vernunf wissenschaf gelange ich zur Idee Gottes, aber nicht zu Gottund Wirklichkeit selber. Daher treibt die Vernunftwissenschaft zurUmkehr. Diese kann nicht vom Denken ausgehen, das nur kontemplativ ist und es nur mit dem Notwendigen zu tun hat. EinWille muG es sein, von dem die letzte Krisis der Vernunftwissenschaf ausgeht. Sie begihnt mit dem Anspruch: »Ich will das, wasüber dem Sein ist.« Ein Gewolltes bewegt sie. Handeln ist es, dassich nicht begnügt mit einem ideellen Gott, sondern den wirklichenGott will. Darin entspringt die positive Philosophie XI, 560-565 ).

    W em Philosophie Wissenschaft ist im Sinne sachlichen, zwingendallgemeingültige n Wissens, der bef ragt ein geistiges W erk, das als

    Philosophie auftritt, ob es Wissenschaft sei. Im verneinenden Fallverwirft er es, wie etwa Franz Brentano oder Husserl Schellingnebst so vi el en anderen gro Gen Philosophen verworf en ha ben . SolcheVerwerfung hat Schelling von vornherein in ihrem Sinn durchschaut. » W er einem andere n sein philosophisches System angreif ,greift im Grunde nicht bloG seinen Verstand, son dern zugleich seinen Willen an« XIII, 201).

    Das bedeutet für Schelling nichts weniger als Beliebigkeit. DerWille selber ist, wenn er ursprünglich und damit wahr ist, eine Not-wendigkeit. Und der Gang des Willens im Denken ist wiederum aneine andere Notwendigkeit, an das Denken, an das nicht nicht zuDenkende gebunden. Beides gehi::irt zur Freiheit.

    Im Zusammenhang der Philosophien ware, da sie im Willen gründen, jeweils zu fragen, nicht, oh sie zwingend allgemeingültig sei,sondern was für ein Wille in dieser und in jener Philosophie spreche.Welche Macht steht in welcher Front? Welche Grundverfassung,

    welcher Lebenswille gibt sich kund? Wille reagiert auf Willen, Freiheit auf Freiheit. Und jeder gewinnt Mafütabe, die nicht allgemeingültig, nicht für sich abgesondert als das Gemeinsame aufzustellensind, nicht objektiv für alle da sind. Wer hier denkt und reagiertund meint, der steht mit seiner Empfindlichkeit in der W elt derMachte, spürt die Substanzen und Substanzlosigkeiten in den Denk-gebilden des Geistes.

    Schelling hat diese Konsequenz nicht gezogen. Seine Philosophieist allein wahr, sein Wille der wahre Wille aus dem Ursprung allerDinge trotz der scheinbar bescheidenen, gelegentlichen Einschrankungen). Aber das hi ndert nicht, die W ahrheit anzuerkennen, die

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    Schelling im W esen der Philosophie dadurch begriff, da6 er sie alsWille fafüe.

    d) »Der Geist der Sittlichkeit und der Philosoph ie ist einer undderselbe« (V, 116). Erkenntnis ohne Sittlichkeit ist so wenig wahrwie Sittlichkeit ohne Erkenntnis. Erkenntnis ist Philosophie, undPhilosophie ist Metaphysik. Daher ist die Metaphysik, fern davon,nur eine theoretische Beschaftigung zu sein, die Mitte, die Substanzunseres personlichen, staatlichen, religiosen Daseins.

    Da das philosophische Erkennen selber Handeln ist, der Freiheitentspringt, Wille ist, vollzieht sich in solchem Erkennen die Verwandlung und Wiedergeburt des Menschen. Schelling verwirft die

    Trennung von Denken und Ethos, verwirft daher auch die Frage,welches den V orrang ha be. » Eine Philosophie, die nicht in ihremPrincip schon Religion ist, erkennen wir auch nicht für Philosophiean« (V, 116).

    Die überzeugungskraft des philosophischen Gedankens liegt indem Ursprung, in dem Erkennen und Wollen eins sind. Die Praxisdes Denkens ist der Grund seiner Wahrheit. Schelling hat den Sinnder Substantialitat des Denkens ausgesprochen. Wieweit er sdberes verwirklicht hat, wieweit er seinerseits in blo6 begriffliche Operationen, leere Schematismen und verantwortungslose Kontemplationen gerat, ist eine andere Frage.

    Das Um greif ende für Schelling bleibt die theoretische Vernunf ,insof ern Erkennen immer im Wi llen anwesend ist, der Wille sd berErkennen ist. Freiheit hei6t, durch vernünftiges Denken in den eigenen Willen verwanddn. Das blo6e Objekt, eine Oífenbarung alsblind hingenommene Objektivit at kann ihr nicht gelten. »Gebt mir

    tausend Offenbarungen einer absoluten Causalitat au6er mir,ich

    werde nie an sie glauben konnen, solange meine theoretische Vernunft diesdbe bleibt« 1, 287). Ebenso will Schelling noch im Alterdie Oífenbarung in der Vernunft auff angen, nie sich der Oífenbarung unterwerf en. Sie ist Gegenstand, nicht Quelle der Philosophie.

    Diese Philosophie aber - ihrem W esen nach Metaphysik - ist alssubstantielles Denken die Mitte aller Dinge. Die Spannweite diesesPhilosophierens liegt nach Schellings Sinn zwischen der sublimenSpekulation aus intellektueller Anschauung einerseits und den konkreten Handlungen hier und jetzt, in diesem sittlich-politischen Zustand, in diesem Zeita ter, in dieser personlichen Situation andrer-

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    seits. Eines ohne das andere wird unwahr. Ohne die metaphysischeMitte sinkt alles in Zerstreuung und Nichtigkeit. Ohne Ver wirklichung ihrer Folgen in konkretester Gegenwart ist jene Spekulationeine leere Spiderei.

    e) Für wen ist Philosophie? Für wenige Auserwahlte? Für Alle?Schellings Antworten bejahen beides.

    W er philosophiert, mu6 selber etwas sein. » W er nichts Reales insich und au6er sich fühlt und erkennt - wer überhaupt nur von Begriífen lebt, und mit Begriífen spielt - wem seine eigene Existenzsdbst nichts als ein matter Gedanke ist - wie kann doch der i.iberRealitat sprechen?« 1, 353).

    Daher kann Philosophie »nicht jedermanns Ding sein. Sie mu6 inihrem ersten Postulat schon etwas enthalten, was gewisse Menschenauf immer von ihr ausschlie6t. Sie mu6 in ihren ersten Principienschon intolerant sein« 1, 417). Man sieht zu allen Zeiten, »da6 dasheilige Feuer der Philosophie von reinen Handen bewahrt wurde«1, 417).

    Mut gehort zur Philosophie. Es gibt zaghafte und kleinmütigeSeden, und es gibt gro6mütige und heroische Seden XIV, 16).Jene zweifeln, weil sie den Mut nicht haben, das zu ergreifen, wasfür unsere gewohnten Begriífe zu transzendent ist XIV, 16). Mutund Herz und Zuversicht und Vertrauen sind gefordert wegen derüberschwanglichkeit des Gegenstandes. Er mu6 aber überschwanglich sein, um allen Zweifel aufzuheben XIV, 16). »Dies Gold gottlicher Erkenntnis wird nicht auf dem W ege tatenloser Thr anen undmüfügen SeJmens gefunden, nur im Feuer des Geistes wird es ge-wonnen « VIII, 71).

    W er philosophieren will, muB auf dem W eg gehen, auf dem erwagt zu irren. »Wer aber garnicht einmal sich auf den Weg macht,sondern vollig zu Ha use sitzen bleibt, kann nicht irren. W er sich indie See wagt, kann durch Stürme oder eigene Ungeschicklichkeitfreilich vom W ege abkommen und verschlagen werden, wer abergarnicht aus dem Haf n auslauf , dessen ganzes Bestreben vielmehrdarin besteht, nicht auszulaufen, sondern durch ein ewiges Philosophieren über Philosophie zu verhindern, da6 es garnicht zur Philosophie komme, der hat freilich keine Gefahren zu befürchten«

    IX,211).Kurz, Philosophie ist eine Sache Auserwahlter. Durch Schellings

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    Werke klingt das odi profanum vulgus et arceo V, 5), geht dieVerachtung des Philosophiebetriebes derer, die Philosophie durchVerstand allein, durch zweckhafte Absicht für erreichbar halten, derZorn gegen die Unphilosophie .

    Aber ist Philosophie nicht doch für alle Menschen? Auch das hatSchelling bejaht. Philosophie, nur auf freie Weise erzeugbar, ist dasHochste, aber auch »das allen Menschen Angelegenste, Erwünsch-teste« VIII, 84). Philosophie erwirkt den Zustand der mensch -lichen Gemeinschaf . W er frei ist, will, daB alle um ihn frei sin d.Denn allein frei zu sein ist unmoglich. Und anders: » W as der Staatobjektiv, ist subjektiv die Philosophie als Teilnahme an allem Gu-ten und Schonen in einem offentlichen Leben.« Die Philosophie indiesem wirklichen Sinn e ist das Ziel aller bloBen Wissenschaft derPhilo ophie. Die Philosophie »kann nicht an sich selbst leben, so-lange es an dem offentlichen Leben f ehlt, in dem sie sich anschauenkonnte. Philosophie, die zum Leben wird, ist das, was Plato daspoliteuein nennt, das Leben mit und in einer sittlichen Totalitat«VI, 576).

    W ahre Metaphysik, die eigentliche Philosophie, ist die Mitte allerDinge. Sie ist die Tugend, die Religion, die Ehrfurcht vor dem Ge-setz, die Liebe zum Vaterland. Ohne alle Metaphysik würden Staatund offentliches Leben zusammenbrechen. »Mit Mathematik, Phy-sik, Naturgeschichte ich verehre diese Wissenschaften hoch), mitPoesie und Kunst selbst lassen sich die menschlichen Dinge nicht re -gieren. Den wahre n Verst and der W elt gibt eben die rechte Meta-physik, welche nur darum von jeher die konigliche Wissenschaftgenannt worden« XUI, 27).

    W enn es scheint, daB Philosophie sich in reiner, weltabgewandterSpekulation zu sublimer Wahrheit erhebt, so gilt ihr doch: »Damit

    sie Gewalt habe, selbst über geistlose Menschen, mu sie in ihrenersten Principien schon ein praktisches Interesse haben« I, 417).

    Wenn die Bemühungen der Philosophie als Wissenschaft mit Rechteine bestimmte Termino logie schaffen, so muB doch »gerade die ge-sunde Philosophie, da sie nicht der Schule, sondern dem Menschenangehüren soll, auch in jeder menschlichen Sprache verstandlich sein «I, 350).

    Doch bleibt eine Kluf zwischen der freien, schopf erischen, sichselbst offenbaren Philosophie und der allgemeinen Wirklichkeit desPhilosophierens. De r junge Schelling hat es rücksichtslos herausgestellt.

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    Die Philosophie begann gleichsam mit der Enthüllung der Myste-rien. Keineswegs darf Philosophie ihrerseits geheim gehalten wer-den. Die Neigung, das Edle vor der Menge durch Geheimhalten zuschützen, ware gegen den ursprünglichen Sinn der Philosophie selbstnur in vorübergehendem Unwillen konnte Schelling in der Jugend

    einmal solche Verborgenheit wünschen). »Ein Verbrechen an derMenschheit ware es, Grundsatze zu verbergen, die allgemein mitteil-bar sind.« Die Philosophie tritt in die weiteste Offentlichkeit . Trotz-dem aber bleibt sie verborgen, ein »offenbares Geheimnis«. »DiePhilosophie ist notwendig esoterisch, und br aucht nicht geheim ge-halten zu werden, sondern ist es vielmehr durch sich selbst« IV,232). Durch ihre Natur selbst ist sie für die Würdigen aufbewahrt.Sie kann nicht gelernt, nicht nachgebetet, nicht nachgeheuchelt wer-den. Sie ist ein Symbol für den Bund freier Geister, an dem sich alleerkennen, das sie nicht zu verbergen brauchen, und das doch, nurihnen verstandlich, für die andern ein ewiges R atsel sein wirdI, 341).

    In dem Jahrtausende alten Problem, ob Philosophie für wenigeoder für alle Menschen sei, hat Schelling also beides bejaht. Wenner seinem zweideutigen Selbstbewufüsein folgt, ist er gern Aristo-krat. W enn er im Wirkungswi llen denkt, was aus seiner Philoso-phie in der Welt und in der Zukunft werden solle, so will er sie füralle. Im Grunde bleibt ihm Philosophie eine vornehme Angelegen-heit. Sie gehürt nicht auf die StraBe.

    W enn aber Schelling doch sich an Alle wendet, wenn Philosophiedas ganze menschliche Dasein, den Zustand der Zeit durchdringenund die Zuku nf wirkend begründen soll, und wenn wir dann fra-gen: soll die weltf erne, esoterische, über nichts herrschende aristo-kratische Philosophie sich verwandeln in ein demokratisches Philo-

    sophieren Aller? so ist zu sagen, daB Schelling diese Frage so nichtstellt und nicht beantwortet. Er würde am Ende doch wohl denken:alle sind geruf en, wenige sind auserwahlt, dem Ruf zu folgen.

    f) Wie kann und soll bei solchem Sinn für den Rang der Philoso-phie der Philosophieunterricht sein?

    Offenbar kann Philosophie nicht gelernt werden wie Wissen-schaf en sonst. Sie mu »die müfügen Kopfe abwehren, die un ereinem auswendig gelernten J argon von Schulwürtern ihre Geistes-armut zu verbergen suchen« I, 417). Da Philosophie »nicht selbst

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    Wissenschaft ist, die man, wie jede andere, erlernen kann «, so muBman >den wissenschaf lichen Geist zum Lernen schon mitbrin gen,wenn dasselbe nicht in ein ledig.lich hi-storisches Wissen ausschlagensoll « I, 417).

    W ohl gibt es in d er Philosophie zu lernen. A her alle Ke nntniss esind nu r Mittel. » h r wa hres Wi ssen b es teht in etw as ganz Ander emals blo6 sogenannten K enntnis sen.« Lernen laíh sich nur, was abgeschlossen ist. »Solan ge dies Ziel nicht erreicht ist, ist nur in jenerzum Ziel fortschr eiten den Bewe gun g eigentliche lebendige Philosophie. « Auch wenn d er Abchlu6 der Philosophie err eicht war e, müfüejeder Nachfolgende d as Z iel auf demselben Weg erreichen. Unméi glich1 ann man etw as w as im Werden, in stets leb endiger, nie ruhend er Fortbewe gung ist , als etw as Abge storbenes, Fertiges, gleich samVorh ah dene s beh and eln I X , 357).

    Schelling w ar Lehr er der P hiloso p hi e mit Leiden schaft. Er h atzum Sinn des Philosophieunte rrichts als Jüngling und im Alter seinW ort gesagt:

    Erstens: Die Philosophie soll nicht ein »Kunststück sein, das nurden Witz ·seines Urhebers bewundern lafü « I, 293).

    Zweitens: Es darf keinerlei Zwan g geben. »Philosophie soll einmal und kann ihrer Natur nach keinen Einflu6 ausüben als durchfreie üb erzeu gung, sie mu6 mit jedem von vorn anfan gen, dennkein Mensch kann für den andern glauben, oder für den andernüberzeugt sein « IX, 360). »Meine Gabe zu lehren kann sich nu rau6ern, wo sie mit Vertrauen und Zuversicht unbeschrankt sichau6ern darf, wo freiwillige Neigun g des Herzens und G eistes ihrent gegenkommt. G ezwun genen Hürern hin ich st umm. Zwan g findet eigentlich nur statt, wo es blo6es Lernen gilt « IX , 356). Phil osophie drangt auf ein .Au6erstes. »Wo sie dur ch Zwang gehemmtwird, gleicht sie einem gefangen gehaltenen Adler , dem seine wahreHeimat, die Felsenspitze verwehrt ist « 358).

    Drittens: Die Philo sophie soll im Menschen erwecken und dannreinigen, was verborgen in ihm bereit lie gt. Dah er kann alle Anweisun g zur Philosophie nur negativ sein. Die Philosophie kanndem Menschen nicht etwas g eben, das er nicht schon hatte. IhreAbsicht ist, »ihn von dem Zufalligen, das der Leib, die Erscheinungswelt, das Sinnenleben zu ihm hinzugebracht haben, zu scheiden und auf das Ursprüngliche zurückzufüh ren « VI, 26). Gro6eserwartet er vom Studenten, der ihn héirt. Die spekulativen Ide en

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    »héiren auf, G egenstand einer müfügen Beschaftigung zu sein. Siewerde n zum Gesetz unseres Lebens« I, 341 ). In den » W eihestunden « des akad emischen Studiums werden »di e gro6en Entschlüs segefa6t, die Ideen empfangen, die nachher in die Wirklichkeit hervortr eten sollen: hier mu6 jeder .die Aufgabe seines Lebens findenund erkennen. Glaube keiner, da6 in der Folge ihm etwas entstehenkonn e, wozu er nicht hier schon .den Grund gelegt, oder da6 ihmirgendei n W erk, das er das W erk seines Lebens nennen mochte, gelingen konne, das nicht hier wenigstens schon als Ahndung vor seiner S eele gestanden. Selbst Traume der Ju gend - blieben sie auchT raume - sind nicht ohne Bedeutung, wenn sie für das künftigeLeben dem Gemeinen unzu gan glich machen « XIII, 28). Es »sollenjene gro6en das menschliche Bewufüsein aufrecht erhaltenden über-zeugungen gewonnen werden, ohn e die das Leben keinen Zweckhat, und darum aller Würde und Selbstandigkeit entbehren würde«

    XIII, 3).Viertens: Sollen etwa die Héirer ihrerseits schaffende Denker in

    der Philosophie werden? Offenbar nicht. »Die Meisten studierennicht Philosophie, um wieder Philosophen zu werden, sondern umjene gro6en zusammenhaltenden überzeugungen zu gewinnen, ohnedie es keine Selbstandigkeit der Gesinnung und keine Würde desLebens gibt « IX, 359) . Das Ziel der philosophischen Lehre ist, da-hin zu führen, wo sie als eine besondere Lehre aufhéirt. W ahre Philosophie übersetzt sich in Wirklichkeit, beim Lehrer, der selber philosophische Gedanken objekti viert, und beim Héirer, der sie aufnimmt.Philosophie »mu6 arbeiten, da6 die Akten sobald als moglich geschlossen werden, damit künftig alle fahi gen Kéipfe zu Wissenschaften eilen, die unmittelbar noch ins Leben eingreifen. Sie mu6 dahersuchen, da6 sie selbst in s Leben durch E rziehun g und Bildun g)

    . übergeht und künf ig nicht mehr gelehrt und gelernt zu werdenbrauche « I, 417).

    Das Wissen um da s, was Philosophie sein konne, was sie sei, wodurch sie Sinn habe, ist van Schellin g, wie mir scheint, herrlich ausgesprochen. Er reflektierte auf das, was er selbe r vielleicht in dieserVerwirklichun g im Vergleich etwa zu Spinoza, Plotin) nie war, wasihm standi g entrann , was aber dann im Stimmungsschauspiel derErgriffenheit doch gleichsam da wa .r. Wenn es ihm ohne begründende und durchherrschende Kraft für das Leben, für die wahre,naive Gebarde der Existenz selber blieb, so war um so merkwürdi-

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    ger die bewufüe Gebarde in Feierlichkeit, herrschaftlichem Anspruch,rhetorischer Gewalt.

    2. Die Methode

    a Der Ursprung

    Vor der Besinnung au f bestimmbare Methoden ist die Frage: W oliegt der Ursprung philosophischer Einsicht? Schelling hat sein Leben lang sich dessen zu vergewissern gesucht, worin alle philosophische Einsicht gründet, und worauf sie zielt. Eine eindeutige Antwort hat er nicht gegeben. Aber er hat unablassig zu erregen gesucht, um was es sich handelt, namlich das, womit die Eigenstandigkeit des Philosophierens entweder offenbar wird oder fallt.

    Schelling nennt dies, worin die philosophischen Gedanken ihreWahrheit und GewiBheit haben, mit verschiedenen Namen: intellektuelle Anschauung, absolute Vernunft, reines Denken, Ekstase,reales Verhaltnis des Menschen zu Gott; er spricht von Erfahrung,von dem, was vor allem Bewufüsein ist und in kein Bewufüsein eintritt. W as hier vergegenwartigt werden soll, scheint nie endgültigbestimmbar sondern sich in den Namen und Darstellungen verwan- delnd zu zeigen. W as Schelling meint, ist nur mit Ausdrücken zuumkreisen, die für unser en V ersta nd provoz ierend sind, weil sie imSinne rationaler Objektivi tat Unverstandlichkeiten oder nichts zusagen scheinen.

    Die intellekt uelle nschauung in ihren Abwandlungen Unser BewuBtsein findet statt, indem wir denkend auf Gegenstande gerichtet,von den Gegenstanden, die wir meinen, getrennt, das heiBt: indemwir in der Subjekt-Objekt-Spaltung sind. Dort aber, im Ursprungaller philosophischen Einsicht gibt es keine Subjekt-Objekt-Spaltung.Philosophierend müssen wir dorthin gelangen, um von dort auszugehen. Was Schelling meint, kann er der Natur der Sache nach nichtwiederum gegenstandlich sagen, sondern er umkreist es auf vielfacheW eise, z. B.:

    Anschauen in der Subjekt-Objekt-Spaltung ist Gebundenheit;denn wahrnehmen konnen wir nur passiv, was uns gegeben wird.Denken mit dem Verstande ist Gebundenheit, denn denken konnenwir nur, indem wir, was wir denken, in ein Objekt verwandeln. Anein Objekt gebunden sein ist Unfreiheit. Freiheit aber ist in der

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    intellektuellen Anschauung. Solange das Objektivsein des Seiendenunser Denken bestimmt, ist sie unmoglich. Sowie wir in sie eintreten, bringen wir durch freie Handlungen hervor. Wessen »Freiheitvon der eindringenden Macht der Objekte überwaltigt« wird, demmuB alle intellektuale Anschauung fremd und unbekannt bleibenI, 318).

    Oder anders: Die intellektuelle Anschauung, weder subjektiv nochobjektiv, ist zu denken als »totale Indifferenz des Subjektiven undObjektiven«. Als solche heifü sie »die absolute Vernunft«. Sie wird»zu dem wahren Ansich«. »Der Standp unkt der Philos ophie ist derStandpunkt der Vernunft. Da hort Nacheinander und Au6ereinander, aller Unterschied der Zeit auf.« In den Dingen ist dann nur

    das zu sehen, wodurchsie

    die absolute Vernunf ausdrücken, nichta her gi lt noch das, was sie als Gegenstande der Reflexion sind. »Esgibt keine Philosophie als vom Standpunkt des Absoluten« IV,114-115).

    Oder wieder anders: Dort, »wo das Geschopf sich selbst verschwindet und durchsichtig wird dem Schopfer, da ist Vernunft.«Wiirde die Philos ophie hinabsteigen, die Kopie eines N achbildes desUrbildes suchen, dann wiirde sie, weil hinabsteigend, zuletzt mittenin der Wiiste stehen. Es ist umgekehrt: »Das Erkennende und dasErkannte ist dasselbe in der Vernunft, und das, was diese Einheiterkennt, ist wiederum nur dasselbe.« Wer diese Einheit nicht begreift, »hat noch nichts auf ewige Weise erkannt« VII, 247-248).

    n der hochsten Wissenschaft schliefü sich das sterbliche Auge: dor tsieht nicht mehr der Mensch, sondern das ewige Sehen selber ist inihm sehend geworden. Wo nur das sterbliche Auge sieht, Dinge undGegenstande, da drangt es den Menschen darüber hinaus dorthin.»lns Transcendente strebt, wer selbst noch in einem anderen alsdiesem wurzelt, dem es nicht das Eins und Alles, das allein Wirk-liche geworden ist.« Schelling vergleicht dieses eigentliche Sehen, dieseigentliche Wissen mit dem bewufülosen organischen Leben. » mstillsten Dasein un d ohne Reflexion off enbart die Pflanze die ewigeSchonheit. So ware dir am besten, schweigend und gleichsam nichtwissend Gott zu wissen« VII, 248).

    Der haufigste Ausdruck für jenen Ursprung ist bei Schelling »intellektuelle Anschauung«. Wollte man sie der sinnlichen Anschau- ·ung verahnlichen, so würde sie durchaus unbegreiflich sein I, 181).Aber Anschauung heiBt sie doch, »weil sie unvermit telt ist« I, 401).

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    Will man sich die intellektuelle Anschauung durch eine jedenAugenhlick zur Verfügung stehende Erfahrung naherhringen, ~ istdas üherzeugendste die W eise, wie wir unseres Ich hewuBt smd.Indem ich mir meiner hewufü hin, hin ich zugleich Suhjekt und Ohjekt, Denkendes und Gedachtes als dasselhe. Dies ist ein jeder Zeitgegenwartiges Geheimnis, wenn wir für offenbar nur das halten,was ein vor uns stehender anschaulicher Gegenstand ist. Das Ichaber ist nur dadurch Ich, daB es niemals Objekt werden kann. Dasheifü: es kann kein Objekt sinnlicher Anschauung werden. Also,schlie6t Schelling, kann es nur bestimmhar sein in einer Anschauung, die gar kein Ohjekt anschaut, gar nicht sinnlich ist, d. h. ineiner intellektuellen Anschauung I, 181 .

    Schon Fichte nannte intellektuelle Anschauung die SelbstgewiBheit im

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    »Ich hin« und damit den Grund oder Leitfaden der apriorischen Vergewisserung aller für Objekte gültigen Denkformen.Denn im Denken des »Ich hin« ist Suhjekt und Objekt dasselhe,wahrend in aller sinnlichen Anschauung Subjekt und Objekt einAnderes sind. Kant hatte die SelbstgewiBheit des Ich gelegentlichauch einmal intellektuelle Anschauung genannt. Aher damit wollteer sagen, daB das Ich eben nicht Gegenstand einer Anschauung unddarum auch nicht hestimmhar sei. Intellektuelle Anschauung nannteKant sonst stets das uns Menschen nicht mogliche güttliche Denken,von dem mit dem Gedachten zugleich die ~ s c h a u u n ghervorgebracht wird, wahrend wir Menschen angewiesen sind auf Anschauung, die dem Denken gegeben wird.

    Schelling wollte nun mit dem Ausdruck erstens das treffen, wasKant als für den Menschen unmoglich geleugnet hatte, Schellingaher für das philosophische Denken des Menschen in Anspruchnahm. Zweitens wollte er damit üher Fichte hinaus , der sich in derSubjektivitat verfangen habe. Für Schelling war die SelbstgewiBheit des Ich, das sich zugleich Subjekt und Objekt ist, nur ein Leitfaden, an .dem er aus der Suhjektivitat des Ich heraus in die Tiefedes Seins selbst gelangen wollte. Dies wurde ihm daher geradezu»der Anfang der ohjektiven, von aller Suhjektivitat hefreiten Philosophie« X, 148).

    Schon sehr frü h ha t Schelling - noch mit Kantischen W orten, aherKant verleugnend - die Universalitat der intellektuellen Anschauung für alles Sein und sie als die Grunderfahrung eigentlichen Seinsausgesprochen: Kant trennte das Ich und das Ding an sich. Die

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    Grenze zwischen heiden, meint Schelling Kant miBverstehend), istdie Grenze der inneren Anschauung des Ich) und der auBeren Anschauung der Erscheinung dessen, was als Din g an sich uns unzuganglich ist). »Diese Grenze hinweggenommen, flieBen innere undauBere Anschauung zusammen.« Schelling meint sie hinwegzunehmen und kann dann hehaupten: »Alle Anschauung ist in ihremPrincip intellektuell, daher die ohjektive W elt nur die unter Schranken erscheinende intellektuelle« III, 459). Die intellektuelle Anschauung »ist die innerste eigenste Erfahrung, von welcher alleinalles ahhangt, was wir von einer übersinnlichen W elt wissen. DieseAnschauung zuerst überzeugt uns, daB irgend etwas im eigentlichenSinne ist wahrend alles übrige nur erscheint« I, 318).

    W enn Schelling nun in dieser intellektuellen Anschauung dachte,so konnte er, seinem eigenen Sinn entsprechend, nicht fassen, was erwollte. Er muBte üher einfache intellektuelle Anschauung, durch dieich mir meiner selhst bewuBt hin, hinaus. Dies Ich ist nur eine bestimmte Form des Subjekt-Ohjekts . Diese Form sollte ahgestreiftwerden, damit das Subjekt-Ohjekt überhaupt als der allgemeineInhalt allen Seins hervortrete. Dieses über die intellektuelle Selbstanschauung des Ich hinaustragende Anschauen des »bestimmungslosen Suhjekt-Ohjekt« konnte nicht mehr ein unmittelbar Gewisses,sondern nur noch Sache des reinen Gedankens sein X, 148). Dashatte für die Philosophie die Folge, daB sie in keiner Form stehenbleiben konnte. Das Vorhahen, sagt Schelling, ist von Anfang andas bloBe W ollen desselhen. Es kann seiner nicht habhaft werden,es kann sich nicht zum Stehen hringen. Daher gerat es unmittelbarin die fortziehende Bewegung. Es wird mit fortgerissen, da »sichdas Seiende bis zum Ende als das nie verwirklichte, nun erst zu

    verwirklichende verhalt« X, 149).Im

    Anfang, der als Indifferenzhezeichnet wurde, war da s Seiende unmoglich zu haben. Das Seiendeist ».das, was nie war, das, sowie es gedacht wird, verschwindet, undimmer nur im Folgenden Ist, aher auch da nur auf gewisse W eise,also erst am Ende eigentlich Ist.«

    Die intellektuelle Anschauung, n der Schelling ausdrücklich f esthalt X, 150), im Gegensatz zu einer Stelle, an der er sagt, der Ausdruck ware besser ganz beiseite ZU setzen IX, 229), liegt in demVerhaltnis dieses absolut Beweglichen zum Denken, jenes Beweglichen, das fortwahrend ein Anderes ist, in keinem Moment sichf esthalten lafü, erst im letzten Moment wirklich gedacht wird. Die-

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    ses Bewegliche ist nicht Gegenstand des Denkens, weil nichts Blei-bendes. Es ist vielmehr die Materie des Denkens.»>Denn daswirkliche Denken auBert sich ebennur in der fortgehenden Bestimmungund Gestaltung diesesan sich Unbestimmten, dieses niesich selbstGleichen, immer ein Anderes Werdenden.« Diese Materie desDenkens, die nichtin dem Sinne wie die einzelne Gestaltung gedacht ist,ist also das imDenken doch eigentlich nicht Gedachte. »Ein nichtdenkendesDenken wird aber wohlvon einem anschauendenDenken nicht weit entfernt sein.«

    Eine intellektuelle Anschauung liegt allem philosophischenDenken zu Grunde. Dies Verhaltnis vergleicht Schellingmit dem Verfahren der Geometrie, in der die gezeichnete Figur stetsnur der

    Trager einer inneren oder geistigen Anschauung ist X, 151). Die-ser Vergleichmit der Geometrielaíh ihn die intellektuelle Anschau-ung nun weiter als das Konstruktionsfeldauff assen, in dem diemetaphysischen Denkfiguren wie die geometrischen imRaum entwickelt werden. Intellektuelle Anschauung, sagt er, ist so wenig ge-heimnisvollund unbegreiflich wie die Anschauung des reinen Raums

    IV, 369).Das ist für Schelling in solchenWendungen also nichtnurein Vergleich. r führt beispielsweise aus:Raum und Zeit sind dieReflexe in der Sinnenwelt dessen, was die Einheit des SeinsundDenkens ist. Die Einheit beiderwird im Unendlichen reflektiert alsZeit, im Endlichen alsRaum. Jene ist subjektiv, dieser objektiv.Die Einheit von Zeit und Raum, des Subjektivenund Objektiven,an sich angeschaut, ist der Gegenstand der intellektuellen Anschau-ung und zugleich sie selbst, weil hier Anschauungund Gegenstandeines sind.In diesem Einssein des Ewigenhat die Philosophie eben-so ihre Konstruktionen darzustellen, wie die Geometrie die ihrigen

    in dem Universalbild des Ewigen, demRaum. Darstellung in intel-lektueller Anschauung ist philosophische Konstruktion.Ohne intel-lektuelle Anschauung keine Philosophie« V, 255).

    W s intellektuelle Anschauung sei,wird weiter im VergleichzurKunst ausgesprochen: »Phantasie ist die intellektuelle Anchauungin der Kunst.«Wie das Philosophierenin der Vernunft und gleich-sam vom Stoff der Vernunft die Ideenbildet und dann in intellek-tueller Anschauung darstellt, sowerden in der Einbildungskraft dieProduktionen der Kunst empfangenund dann in der Phantasie dasAngeschaute nach auBen gesetztund dargestellt.In beiden Fallen istdie intellektuelle Anschauung das »Ínnerlich Darstellende« V, 395 ).

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    Philosophiewurde als Freiheit bestimmt.Wenn ihr Ursprung in-tellektuelle Anschauung ist,so mu diese selbst wesentlich Freiheitsein. Intellektuelle Anschauung ist einAkt der Freiheit.»Im abso-luten W ollenwird der Geist seiner selbstunmittelbar inne oder erhat eine intellektuelle Anschauung seiner selbst« I, 401).

    W enn Freiheitim Philosophieren die Losungvon der Gebun -denheit an das Objekt bedeutet, so vollzieht die intellektuelleAnschauung gerade diese Losung. »Gabees kein intellektuales An-schauen, sowaren wir auf immer in unseren objektiven Vorstel-lungen befangen,es gabe auch keine Philosophie« I, 401). SinnlicheAnschauungwird uns gegeben. Intellektuelle Anschauungkann»nur durch Freiheit hervorgebracht werden« I, 318).

    Was ist diese Freiheit?Nicht von einer Freiheit der Beliebigkeitgeht die Philosophie aus, sondernvon der »ewigen Freiheit«.Wirmüssen dorthing ~ l a n g e nwo wir als unser alltagliches, nichtwis-sendes Dasein niemals sin d. Diese Tat ist der Akt, in dem wir desübei:schwanglichen inne werden.Die Notwendigkeit dieses Aktesmacht Schelling durch eine Darstellung unserer Situation deutlich.Wir sind hinausgesetzt aus demUrsprung oder der Mitte, derwir;zugehéiren.Wir leben jetzt in demDunkel des Nichtwissens, in derFesselung durch Objekte, in der Unfreiheit des Getriebenseins.Wirmüssen uns aus diesem Dasein heraussetzen, wiederum zurück inden Ursprung. Ekstase Herausgesetztheit)hat doppelte Bedeutung:die erste des Herausfallens aus dem Ursprung, die zweite des Sich-hinaussetzens aus dem gegenwartigen Verfallensein zurückin denUrsprung. Dieses zweitetut die freie Tat der intellektuellenAnschauung, die, wie Schellingnur an dieser Stelle sagt, besser Ekstasegenannt würde man sieht, daB dasWort hier kaum mit dem zutun hat, was sonst Ekstase heiíh,mit dem Versinken inTrancezustande, daBes aber zweideutigdaran anklingt). Aus demOrtunseres Daseins, gebundenan Objekte, verschlungen in die Endlich-keit, versetzenwir uns zurück in die ursprüngliche, die ewige Frei-heit, diewir verloren haben. Die Philosophie stehtvor der Frage:» Wie kann der Menschzu dieser Ekstase gebracht werden, welcheheiíh: wiewird der Menschzur Besinnung gebracht?«IX, 228).

    Es gilt, sichzu erheben über alles Wissen, das bloBvon mir aus-geht. Solange ich die Beliebigkeit des Zugreifensim Denken alsFreiheit nehme, verfalle ich an die Objekte.Für die Besinnung, diezur ewigen Freiheit führt,kommt es darauf an, alles Wissenauf-

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    zugeben. Solange der Philosophierende noch wissen will, wird ihmdie ewige Freiheit, jenes absolute Subjekt, mit dem eins zu w erden .Wahrheit und Sein bedeutet, wieder zum Objekt werden. Ebendarum wird er es dann nicht erkennen. Nur dadurch, daB er sichdes Wis sens be gib t , ma cht er den Raum frei für das, was das eigentliche Wiss en i st, »denn dieses Innewerden des überschwanglichenkann man wohl auch Wissen nennen« IX, 229 . Philosophie ist daseigentliche Wissen, namlich das Wissen der ewigen Freiheit, di e wirsind, die wir aber nicht wissen im Sinne unseres Wissens von Gegenstanden.

    1 Solchen Formulierungen gegenüber drangt sich die Frage auf, wiewir denn solche freie intellektudle Anschauung erleben oder wiesie im Bewufüsein vorkommt. Gar nicht, sagt Schelling verblüffendund k onsequent. Die intellektuelle Anschauung »kann ebensowenigals die absolute Freiheit im Bewufüsein vorkommen.« Denn Bewufüsein setzt ein Objekt voraus, die intellektuelle Anschauung aberist ja »nur dadurch moglich, daB sie gar kein Objekt hat«. Dahermu der Versuch, die intellektuelle Anschauung aus dem Bewufü- ·sein und aus Bewufüseinserscheinungen zu widerlegen oder zu beweisen, fehlschlagen . Für diese Quelle aller philosophischen Einsichtlehnt daher Schelling alle psychologische Beobachtung ab. Erst rechtmu der Versuch, der intdlektualen Anschauung durch das Bewufüsein etwa objektive Realitat zu geben, fehlschlagen. Dies zu versuchen, würde bedeuten, diese Anschauung aufzuheben. Anders gesagt: Schelling wehrt von vornherein auch alle Psychotechnik derBewufüseinszustande zur Erzeugung philosophischer Einsicht ab1, 181 .

    Schliefüich vergleicht Schelling das ursprüngliche Anschauen inuns sdbst, ohne Trennung zwischen i nnerer und auBerer W elt, sogar mit dem Schlaf: »Vom Kürper verlassen, ohne Beziehung aufeinen auBeren Raum, schaut die Sede in diesem Zustand alles nurin sich selbst an, es kommt ihr nicht zum Begriff, noch zum Urteil,deswegen auch nicht zur Erinnerung der gehabten Vorstellungen,kurz, die Sede scheint zugleich mit dem Kürper zu schlafen« 1, 391 .

    Der freie Geistesakt, das Hellste, ist von solcher Art, daB W ortewie »auBer dem Bewufüsein« und »Schlaf « sie interpretieren sollen, wahrend, da alle Meditationstechnik zur Herbeiführung vonZustanden verwehrt bleibt, alles Philosophieren auch für Schellingdoch im BewuBtsein geschieht, aber so, daB dieses ein gesteigertes,

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    erfülltes und durch einen Sprung in seinem Sein und seiner SelbstgewiBheit verwanddtes erscheint.

    W er nicht dorthin gelangt, dem ist alles, wovon im Philosophieren die Rede ist, ohne Realitat. Das »Absolute in uns«, das in derintellektuellen Anschauung, ohne Objekt zu sein, gegenwartig ist,ist für den, der an Objekte gebunden ist, wie etwas »Nichte x ist en-tes«. Es ist offenbar, daB der Mensch »da keine Objekte mehr finden darf, wo er selbst zu schaffen, zu realisieren beginnt«. Da, woder Philosophierende erst recht frei sich fühlt, sieht der Unfahige»nichts als das groBe Nichts vor sich, das e r nicht auszufü llen weiB,und das ihm kein anderes Bewufüsein als das seiner eigenen Gedan-kenlosigkeit übrig laBt.« Das zeigt, »daB er seinen Rang in der Geisterwelt nur durch ein mechanisches Denken zu behaupten weiB«1, 243 .

    Darum mu ihm, in seiner Bindung an Objekte der Sinne unddes Ver standes, der philosophische Gedanke auch unverstandlichbleiben. »Begriffe gibt es nur von Objekten, von dem, was begrenztist und sinnlich angeschaut wird. Freiheit wird nur von Freiheit erkannt, Tatigkeit nur von Tatigkeit aufgefafü« 1, 401 . Freiheit istnur für Freiheit verstandlich. Sie muB der Unfreiheit fremd undunbekannt bleiben 1, 318 . Sie entspringt daraus, daB die Philosophie das Geistige im Menschen, das jenseits des BewuBtseins liegt,zum Bewufüsein hervorrufen will. Aber unverstandlich ist sie nur»für diejenigen, welche dieses geistige Bewufüsein nicht geübt undgestarkt haben, oder denen auch das Herrlichste, was sie in sich tra-gen, nur durch tote, anschauungslose Begriffe zu erscheinen pflegt«1, 443 .

    Dieser einzige Ursprung des Philosophierens kann W ahrheit nurbringen, wenn er nicht verwechsdt wird. Schelling wehrt daher ab,was mit der Freiheit auch die intellektuelle Anschauung bedrohtund zerstürt. Hier haben Hypothesen und Beweise kein Recht. Erwendet sich auch gegen die in seiner Zeit unter dem Namen »Grund-satzphilosophie« auftretende Denkungsart. Geht die Philosophievon einem ersten Grundsatz aus, so mu sie durch solche unglücklichen Untersuchungen erlahmen. Abstrakte Grundsatze sind derTod alles Philosophierens. Die Frage, von welchen Grundsatzen diePhilosophie anfange n müsse, erklart er für eines freien Mannes, dersich selbst fühlt, unwürdig 1, 242 . .

    Die Quelle der intellektuellen Anschauung kann Wahrheit nur

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    bringen, wenn sie rein fliefü. Falsch ware der Weg zu i hr verstanden, wenn er aufgefafü würde von »dumpfsinnigen Menschen, diedem Anfanger in der Philosophie immer zuruf en, in sich selbst hineinzugehen - in seine tief sten Tiefen, wie sie sagen, was aber soviel heiíh: immer tiefer in seine eigene Beschranktheit. Nicht das insich hinein, das auBer sich Gesetztwerden ist dem Menschen not. «Solange der Mensch Subjekt bleibt, bleibt ihm die ewige FreiheitObjekt. Erst wenn er in die ewige Freiheit durch seine freie Geistestat eintritt, sich auBer sich d. h. auBer seines subjektiven Daseins inRaum und Zeit setzt, wird er Teilhaber am ewigen Wissen, denkter als das absolute Subjekt IX, 229). Nur in der Selbstaufgegebenheit kann ihm die ewige Freiheit aufgehen.

    n dem Ursprung des philosophischen Denkens liegt die Wirk-lichkeit selbst: Schelling hat jederzeit gemeint, mit dem Sein derewigen Freiheit eins zu sein, wo er eigentlich philosophiert. DasAbsolute »fordert eine ebenso absolute Erkenntnisart, die nicht erstzu der Seele hinzukommt durch Anleitung, Unterricht usw., sondernihre wahre Substanz und das Ewige von ihr ist. Das W esen derSeele ist Erkenntnis, welche mit dem schlechthin Realen, also mitGott eins ist« VI, 26). Und an anderer Stelle sagt der junge Schelling: »Gottes Dasein ist eine empirische Wahrheit, ja der Grundaller Erfahrung. Wer dies gefafü hat und innig erkannt, dem istder Sinn aufgegangen für Naturphilosophie. Sie ist keine Theorie, sondern ein reales Leben des Geistes in und mit der Natur«VII, 245).

    Spater spricht Schelling von »dem realen Verhaltnis des Menschen zu Gott«. Damit wird nur entschiedener herausgehoben, wasvon Anfang an im Schellingschen Philosophieren gemeint war. Aberhinzu komm t, daB jetzt der W andel dieses realen Verhaltnis ses alsdie Tiefe des geschichtlichen Geschehens begriffen wird, das Schelling in dieser Weltwende bis in den Grund, wie er glaubt, aufgegangen ist. W eil das ursprüngliche Wissen des Menschen des Seinsselbst innewi rd un d er von da den ganzen ProzeB des W eltgeschehens, der N atur und des Menschen begreif spricht Schelling voneiner Mitwissenschaft des Menschen mit der Schopfung. Denn derMensch war dabei. Dieses Wissen ist für gewohnlich verschüttet. Eskann wieder wach werden. Dann wird das vor und nach allem Denken liegende Einssein von Subjekt und Objekt der Ort der Erfahrung des Absoluten.

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    Kritische Charakteristik - Wir haben Schelling gehort über denUrsprung philosophischer Einsicht, über intellektuelle Anschauung,freie Geistestat, Ekstase, reales Verhaltnis des Menschen zu Gott,Erfahrung reinen Denkens, von Konstruktionen, von Mitwissenschaft mit dem _Grund der Dinge. Was er meint, tritt in mannigfachen Zusammenhangen in ungemein weitgehendenAbwandlungenauf. Es bleibt immer die eine Frage: woraus erfüllt sich die Philosophie? wo ist dieser Ursprung, der vor allem sinnvoll gegenstandlichen Philosophieren liegt, es tragen und führen soll?

    Wer Ansatze philosophisch denkender Vergewisserung kennt, werdies alles nicht von vornherein als Unsinn verwirft, der wird durchSchelling wundersam berührt, erregt, ermutigt. n unserem Antriebzum Philosophieren, durch ihn zwar beschwingt, geraten wir aberalsbald in Verwirrung. Was Schelling bringt, kann zufallig anmuten, wenn es nicht von dem einen Ursprung zusammengehaltenist. Philosophische Wahrheit und willkürlicher übermut gehen einenBund ein, der es demLeser schwer macht zu folgen. Woran liegt das?

    Was in der Sprache der Mystik, in metaphysischer Spekulation,in theosophischer Vision übersinnlicher Wirklichkeiten in groBenGestalten überliefert ist, scheint hier anzuklingen und das vieldeutige Sprechen Schellings zu bewirken. Er scheint es sich anzueignenund dann wieder aus seiner gewollten Souveranitat sich von ihm zudistanzieren. Doch ist er vielleicht gefangen in dem Wirbel derMoglichkeiten, deren eine vergessen ist, wenn von der anderen ge-sprochen wird. Schelling hat ihn nicht methodisch erhellt. Denn erverweilt beim je Besonderen der Vergegenwartigung, ohne sich aufdas andere zu beziehen, was er schon gesagt hat, weder faktischnoch ausdrücklich.

    Schelling hat sich hineingestürzt in die reflektierende Aneignung.

    Jede Weise, wie von jenem Ungenügen einst gesprochen und wie esüberwunden wurde, interessiert ihn nur eines hat Schelling nie beansprucht: Geisterseher zu sein, übersinnliche Dinge wahrzunehmen.Aber er hat, wenigstens zeitweise, dieses Geistersehen für moglichund relevant gehalten). Des Wirbels ist er sich nicht bewufü geworden. Vielleicht ist dieser selbst der Ausdruck einer Weise philosophierenden Daseins in der Reflexion auf das, was nicht Reflexionist. Das Eigentümliche Schellings ist es den W eg des Denkens ausdem Ursprung nicht eindeutig, hell, machtvoll zu schreiten, sondernvon ihm wissend, ihn bei den groBen .Denkern, M ystikern uµd

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    Theosophen spürend, selber zu versuchen, aber so daB er keinenWeg eigentlich und sicher geht und erürtert.

    Kaum ein Philosoph hat so vielfaltig gesucht, di e Quelle derphilosophischen Einsicht bewuBt zu mach en, in ihrer Reinheit zusehen, sie in der Mitte allen Seins zu fassen. Was früheren verlaBlich war, woraus sie dachten, und was sie gelegentlich eindeutig undgleichbleibend aussprachen, v on dem wufüe Schelling. Er selber mudie Erfahrung gekannt haben. Aber sie war ihm nicht nüchternruhige Quelle, s ondern im ü berschwa ng oder im V erschwinden,dann gewollt und nur beansprucht. Schelling reflektiert auf die Voraussetzung im Sein des Denkenden. Er selbst, dabei erregt von demAuBerordentlichen, nicht erfüllt von der Ruhe stetigen FlieBens der

    eirnm Wahrheit, blieb in der Unruhe der reflektierenden Qbersteigerung, im Nacherleben oder im vergeblichen Herbeizwingen. Dar-um enttauscht er. Man verliert das Vertrauen trotz der bewegenden Formulierungen.

    n seiner V ergewisserung eines unbegreiflichen Grundes unseresBewuBtseins, der vom Unvordenklichen her ins reflektierende Denken, vom Ursprung allen BewuBtseins in das BewuBtsein leuchtet,muB Wahrheit liegen. Diese Wahrheit bleibt auBer Sicht, wenn diewissenschaftliche Erkenntnis der Dinge in der Welt zum Erkennenüberhaupt verabsolutiert wird. Mache ich die Voraussetzung, philosophisches Erkenne n sei Feststellen von Sachverhalten, Analyse desallem BewuBtsein als solchem Gegenwartigen und Gegebenen, seieine wissenschaftliche Erforschung mit allgemeingültigen Ergebnissen etwa in der Meinung der Husserlschen Phanomenologie, derletzten Gestalt de r »Wissenschaftlichen Philosophie«), so ist das, wasSchelling will und wovon Schelling redet, nichts. Schelling wiederholt oft und mit Recht: Philosophie ist keine demonstrative Wissenschaft, die von einem Gewufüen ausgeht, Philosophie ist freieGeistestat IX, 228). Schelling hat mit unablassiger Eindringlichkeitdas Augenmerk dorthin gelenkt, wo der Mensch aus seinem Ur-sprung zu Einsichten gelangen méichte bei dcnen es um alles geht,das Sein schlechthin und ihn selbst im Ganzen.

    Nie darf man überhéiren, was hier von Schelling gefordert ist,woraus u nd wohi n er sprechen will. W enn das vergessen wird, soist für die Mafütabe wissenschaftlicher Forschung seitens des Verstandes alles, was Schelling sagt, das Faseln eines Trunkenen. Nurwenn man im Nachdenken seiner Gedanken sich vergewissert und

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    antwortet aus dem in uns, w as Schelling bei jedem philosophis chenGedanken vo rauss etzt, kann man ihn v erstehen und damit, was ersagt, auf seine Wahrheit hin prüfen an den dazugehorenden MaBstaben.

    Diesen Ursprung hat Schelling mit so vielen Namen benannt,auf so manni gfache W eise zu umkreisen gesucht, ohne ihn zu fassen - trotz des Scheins seines jeweils so selbstgewissen Sprechens.Daher sind seine Aussagen so verschieden, daB manchmal zwischenihnen schwer der Bezug zu finden ist. Dah er bleiben die Spann ungen, die es nicht erlauben, den Ursprung der Einsicht in einem einzigen Begriff zu treff en.

    W enn dies Schwankende seinen Grund d arin hat, daB Schellingden Ur sprung doch selber wesentlich im Wider hall, als Méiglichkeit,mehr versuchend als wirklich, mehr reflektierend als im Dabeiseinkennt, so ist doch zu bemerken: Es handelt sich um Grunderfahrungen, die durch Reflexion auf sie erweckt werden konnen. DieMitteilung des Denkens auf sie hin und noch im Scheine des vonihnen her Denkens ist eine sinnvolle Aufgabe.

    Durch Schelling kann man sich noch in seinem V ersagen, bewu füd e n Philosophieren bedarf eines inneren Dabeiseins, nicht bloB

    des Bewufüseins überhaupt oder des Verstandes, sondern der méig-lichen Existenz und des Umgreifenden des Daseins und des Geistes,das durch méigliche Existenz beseelt Sprache gewinnt, aber nur fürden, der aus verwandtem Ursprung dabei ist. Es gibt die entscheidenden Augenblid{e, in denen mit der philosophischen Einsicht zugleich mein W esen sich erhellt. Es gibt für die Philosophie selbernicht Sachen diese nur auf dem W ege der Studien zur Gewinnungihrer Sprache), die man wie Gegenstande unverbindlich untersuchenkann. Es kommt darauf an, diese »Sachen« zu treiben auf demG r ~ n d ejener ursprünglichen Erfahrungen oder mit dem vorbereitenden Willen, diese in glücklicher Stunde zu gewinnen.

    Offentlich im Medium des Allgemeinen und Unperséinlichen gibtes nur: davon reden, es umkreisen, darau f hindeuten; es gibt danndie Vorführung der Gedankenoperationen, den Entwurf von Bildern und Denkfiguren. Die philosophischen Akte selber sind einsam oder in der Kommunikation zu zweien.

    Man verfehlt den Ursprung, um den es sich hier handelt, wennman der naheliegenden Vorstellung folgt, hier werde eine eigentümliche Erkenntnisweise vollzogen, die neben den anderen be-

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    stande. Wohl wird das Wort Erkennen sowohl bei der Erforschungendlicher Dinge wie beim Philosoph ieren gebraucht. W ohl ist dasendliche Erkennen des Verstandes auch ein Kontrast, an dem dasandere deutlich wird. Aber das Wesentliche ist eine Tatigkeit d

    · d. ºf d esGe1stes, 1e umgre1 en das lnnewe rde n des Seins selber ist d hhl h h

    . . a erse ec t m eigenstandig, ja einzig und doch in ihrer mitteilbarenGestalt unvergefüich bleibt.

    Auch ware es irreführend, diese Geisteswelt überblicken ZU wollen d u r ~ hSu?sumtion un er »Gefühl«, » Tatsachen des Bewufüseins«,unter eme mnerhalb der Anthropologie aufgewiesene Funktion.Solcher Standpunkt, der die Philosophie auf ein bestimmtes Forschungsfeld gründet und damit sie selbst in dieses auflost ist ein

    beschrankter. Schelling verwehrt es den Namen Philoso;hie füru n t ~ r g e o r d ~ e t eV erfahren und Gegenstande, wie Psychologie undLog1k . zu verwenden. Die Sache, sagt er, hürt nicht auf zu sein,wenn 1hr Namen für anderes gebraucht wird.

    Schliefüich stellt das lnnewerd en dieses Ursprungs keine anwendbare ~ e t h o ? ezur ( erfügu?g, nach der man nun verfahren konnte,~ meme philosoph1sche Le1stung hervorzubringen. Man kann diemtellektuelle Anschauung nicht als ein Etwas wissen, bestimmenu n ~k e n n ~ n ;nur. a ~ sihr, nicht in Verfügung über sie, erfolgt diep ~ i l o s o p h i s c h eEmsicht. ~ n k a n ~die intellektuelle Anschauungn.icht handhaben, sondern ist auf sie angewiesen. Aber sie ist nichte i ~F r e m d ~ s~ o n d e r nim Philosophieren sie selbst als Akt der Freiheit, der si:Ii m ihr entfaltet. Man darf sich auf intellektuelle Anschauung mcht berufen als auf einen Grund, sondern kann nur inden .Raum der g ~ i s t i g e nM i ~ t e i l ~ n gsetzen, was aus ihr hervorging.. E i ~ eUnbegreifhchkeit, die die rationale Kontrolle aufhebt, kannm die Irre geraten lassen. Die Reflexion, die den AnstoB gebenkonnte, erzeugt auch die Tauschung, schon zu haben und zu seinwas m ~ nreflektierend mochte. W as beschwingt, kann auch v e r f ü h ~ren. Die. Begründung eines einsichtigen philosophischen Selbstbewufüsems kann zugleich alle kritische Selbstbegrenzung wegnehmen.

    D i ~ s e rA u ~ b r u c hder zugleich Verkehrung ist, beginnt, wenn das?pene.ren mit Begriffen im Konstruktionsf eld einer nun vermeinth c h ~ nmtellektuellen Anschauung wie eine Art von Sachforschungbegmnt. Was Wahrheit hat als Entwurf von Denkfiguren Entfaltungen, Analogien, die ihren Sinn für mogliche Existenz i:U Raum

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    der Machte haben, in dem sie als Chiffern die Mitteilungsmittel sind,das wird eine unwahre Objektivierung von Nichtexistentem, sobald es al s existentiell unverbindliche Sachforschung sich gibt. ImAugenblick, wo ich im Reflektieren, d. h. in der Su bjekt-Objek tSpaltung durch Gedankeninhalte, in der Tat und wider alle gegenteiligen Versicherungen, objektivierend und wissend ergreife, wasin intellektueller Anschauung gegenwartig ist, sie in ihren Inhaltenbestimme und mit diesen operiere, habe ich die Verkehrung voll

    zogen.Solange diese Verkehrung als Mitteilungsform, mit BewuBtsein

    von sich selbst, mit sich wieder zum Verschwinden bringendenChiffern spricht, kann mit ihnen eindringlich das SeinsbewuBtseinerhellt werden. Im Augenblick aber, wo dieser Charakter vergessen wird, und ich Sachen zu erkennen meine, hin ich in Absurditaten geraten. D ie Folgen dessen zeigen sich im Dasein der Existenz,im weiteren Denken und Handeln, in Denkungsart und Leben des

    so Irrenden.Nun aber ist das Entscheidende, sich durch das Faktum dieser

    Verkehrungen nicht zur Verneinung der unverkehrten spekulativenChifferschrift selber verleiten zu lassen. Die Kraft einer sich befreienden und befreiten Philosophie vermag die Verkehrungen zudurchschauen und die spekulative Musik rein zu spielen.

    b) Die ReflexionKeineswegs meint Schelling aus den Visionen intellektueller Anschauung unmittelbar die philosophische Einsicht in Machtsprüchen /zu gewinnen. Unter Philosophen versteht er »einzig diejenigen,welche Grundsatze und Methode haben« IV,114). »Im Schauen anund für sich ist kein V erstand . . . Schauen ist an und f ür sich

    stumm.« Wer unmittelb ar aus dem Schauen redet, »verliert das notwendige MaB, er ist eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie der Gegen stand sel her; eben darum nicht Meister seinerGedanken.« Also, sagt Schelling, mu alles erst zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur hochsten Darstellung gelangen konne. Hier geht die Grenze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der wissenschaf liebende Mensch zu bewahren suchen

    wird W eltalter 21/22). .W enn die Reflexion hineingenommen werden mu in den Ent-

    wicklungsgang, der von Schelling in allem Geschehen als Potenzie-

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    rungsproze6 wiedererkannt wird, wer ist es dann, der diesen Proze6 in W ahrheit denkt? das reine Denken eines Bewufüseins über-haupt? oder die Mitwissenschaft mit der Schopfung, die in derdurch Denken erweckten Erinnerung sich zum Bewufüsein kommt?oder ist es der Mensch, der, schauend mitgerissen, selber der Proze6ist, nicht reflektierend zusieht, sondern bewu6tlos der Reflexionunterworfen ist? Schelling la6t in seinen Antworten das Gewichteinmal dahin, einmal dorthin fallen.

    Wissen, in der Philosophie als Wissenschaf gewonnen, hat durchReflexion einen anderen Charakter als das Wissen in einer bewufülosen ursprünglichen Vollendung und als das Wissen in dem Ziel,zu dem die Philosophie drangt. »Die Natur wei6 nicht durch Wis

    senschaf , sondern durch ihr Wes

    en, oder auf magische W eise. DieZeit wird kommen, da die Wissenschaften mehr und mehr aufh Oren wer.den und die unmittelbare Erkenntnis eintreten wird. AlleWissenschaf en als solche sind nur erfunden aus Man gel der letzteren. Einzelne waren und werden sein, die der Wissenschaft nichtbedürfen, in denen die Natur sieht, und die selber in ihrem SehenNatur geworden sind. Diese sind die wahren Seher, die echten Empiriker« VII , 246).

    Aber solche Vollendung wird schon im Philosophieren in Augen-blicken erfahren. Es gibt den »schauenden Zustand«, durch den sichder Mensch in sein überweltliches Prinzip zu versetzen vermag.Dort schopft der Wissenschaf suchende bestandig frische Kraft.»Auch der Philosoph hat seine Entzückungen. Ein anderes aber ist,die Bestandigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welchesgegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Wirleben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d. h. es mu

    stückweise erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion ge-schehen kann« Weltalter 20 ff.).

    W as hier Reflexion heifü, mochten wir wohl Denken nennen.Aber auf die Frage, was Denken sei, gibt Schelling eine zweifacheAntwort, erstens es sei die Reflexion, zweitens es sei das Seinsinne-werden. Einmal wird dann die Reflexion, ein andermal die Unmittelbarkeit verworfen. Schliefüich ist das philosophische Denken ge-rade die Reflexion in dem Innewerden selber und zugleich einSehen über alle Reflexion hinaus.

    Dabei sind wir wieder bei dem ursprünglichen Denken, das inder intellektuellen Anschauung liegen sollte, das aber von vornher-

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    ein ReHexion in sich birgt, durch Reflexion an den Tag gelangt, imüberwinden der Reflexion zur Vollendung kommt_ und das inWahrheit die s alles in einem sein soll. Vergeblich suchen wir nachendgültiger Klarheit bei Schelling. Er bewegt sich in Geheimnissenund Helligkeiten, die sich standig zu vertauschen scheinen.

    Ein Seinsbewu6tsein will sich aussprechen im fortschreitendenDenken in Analogie zur Wissenschaf . Es sucht und prüf wie die se,es bewegt sich im Medium der Begriffe und Denkoperationen. Ab erDenken, Anschauen, Erkennen haben hier einen ganz anderen Sinna ls im natürlichen Sprachgebrauch. Noch einmal wiederholen wir:Dieses Denken ist ein wunderliches Denken, nicht gegenstandlich,nicht objektivierend, sondern ekstatisch. Diese Anschauung ist eine

    wunderliche Anschauung, nicht sinnlich, sondern intellektuell. Dieses Erkennen ist ein wunderliches Erkennen, nicht der Fortschrittim Begreifen von Dingen in der Welt, sondern ein Proze6, der sel-ber schon metaphysischen Charakter hat, ein Geschehen im umgreifenden Proze6 des Seins, ja Gottes selber ist.

    Eines ist gewi6: Es ist unmoglich, an den Sinn Schellings heranzukommen, wenn man auf dem Standpunkt der Moglichkeiten desVerstandes beharrt, von dem her gesehen diese ganze Denkweltnichtig ist.

    Die Quelle der W ahrheit, »das Princip, mit welchem der Menschüberhaupt erkennt« VII, 337), sucht Schelling deutlich zu machendurch »eine von den bisherigen ganz verschiedene Theorie der Erkenntnis« VII, 63 ). Wir »schauen eigentlich die Dinge an sich an, jasie sind das einzig Anschaubare.« Schelling kehrt also in dieser Theorie das natürliche Verhaltnis um. Das gemeinhin Reale wird zumSchein, das gemeinhin Unzugangliche, durch Phantasie Umkreiste,zur Wirklichkeit. Verstandesdenken und sinnliche Anschauung werden etwas Sekundares. Die »angebliche Erkenntnis durch Verstandesbegriffe ist keine notwendige, sondern eine blo6 angenommeneund wieder abzulegende D e n k- u n d Betrachtungsweise« VII, 63).

    Solche Theorie des Erkennens geht aber nicht der Philosophievorher, »als ware eine solche vor und au6er aller Philosophie mog-lich« XI, 526), sondern sie ist selbst ein Moment des Philosophie-rens. Zur Vorbereitung der Philosophie dient vielmehr die »Kritikdes natürlichen Erkennens«, dient das »Entfernen des unechtenWissens«. Aus der Aufl osung der natürlichen Erkenntnis erwachstdie W ahrheit.

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    e) Bestimmte Methoden

    Schelling spricht viel von Methode. Er betont seine Entdeckung einerneuen Methode (des Potenzierens) in seiner Jugend, seine Entdekkung der genetischen Philosophie. Aber keine Methode beherrschtsein gesamtes philosophisches Werk . Oft kommt Schelling - meistens beilaufig - zu Erürterungen bestimmter fafüicher Methoden.Auch dann haben die Erürterungen durchweg bei ihm den Sinn, dieDenkformen, Denkoperationen, Kunstgriffe zu fundieren im Wesen des Seins selbst. Daher wertet er eine Gedankenwelt um sohoher, je naher sie dem Ursprung oder je erfüllter von ihm sie ist.Einige Beispiele mogen zeigen, wie Schelling im Methodischen

    Tie fsinn und Unfug zusammengleiten laíkErstes Beispiel Die Logik falh Schelling auf in Stufen der Abnahme an Gehalt.Logik ist zuhochst und zuerst und wesentlich Veenunftwissenschaft und damitdie spekulative Philosophie selber; sie ist dann weiter das System reflektiertenErkennens (Kants transzendentale Logik); wiederum weniger ist sie als dieAbstraktion des Denkens, als die bloB subjektive Seite der realen Wissenschaft(formale Logik) (VI, 529). Unsere Reflexionsformen haben ihren Grund nichtin einer freischwebenden Beliebigkeit, sonden;_ im Sein selber, aus dem sie durchEntleerung entstehen. - Die Frage nach der Herkunft unseres logischen Denkens ist echt und bewegend. Schellings Antwort aber ist ein billiger Machtspruch.Die eigentliche methodologische Besinnung wird dadurch versaumt.

    Zweites Beispiel Wenn Schelling cine logische Form metaphysischen Denkenszu hochster SelbstbewuBtheit bringen will, vergegenwartigt er den »Zirkel«,in dem der philosophische Gedanke sich bewegt. Einmal will er ihn durchbrechen als einen gefangenhaltenden Zirkel. Ein andermal will er ihn ergreifen alsden wahren Zirkel.

    Ein gefangenhaltender Zirkel ist unser Angewiesensein auf Objekte. Wennwir denken, denken wir Objekte. Denken wir aber Objekte, denken wir nicht

    die Freiheit. Wir denken daher in der Subjekt-Objekt-Spaltung mit einer Folgevon Schritten, um unseren philosophischen Sinn zu erreichen. Unvermeidlich muBdas Philosophieren in einzelne Handlungen zersplitteen, was im Geist selbst nurEine Handlung ist . Die Reihe bleibt unverstandlieh ohne Vereinigung durch»transzendentale Einbildungskraft«. Jene Folge ist keine Aufeinanderfolge. AlleMomente müssen wechselseitig sich voraussetzen und hervorbringen. Es ist einWechsel von Handlungen, die stets in sich selbst zurücklaufen. »Aus diesemmagischen Kreis n ·un sollen wir herauskommen. Jede Handlung aber, die sichaufs Objekt bezieht, kehrt in diesen Kreis zurück.« Es ist nicht moglich, ihn zuverlassen, als durch eine Handlung, die kein Objekt mehr hat. »Der Geist kannseines Handelns, als solchem, sich nicht bewuBt werden, als inwiefeen er überalles Objektive hinausstrebt. Jenseits aller Objekte aber findet der Geist nichtsmehr, als sich selbst« (I, 394).

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    Dieser Gedanke des Zirkels wird in anderer Gestalt gedacht, indem nichtvon Subjekt und Objekt, sondeen von Form und Inhalt des m e n s c h l i ~ e nWissens die Rede ist . Sie fordeen sich gegenseitig im Kreise. Die allgememe Formsetzt irgendeinen Inhalt und die schlechthin unbedingt .allgemeine Fo:m e i n ~ nbestimmten für sie einzig moglichen Inhalt voraus. »H1er befinden w1r uns meinem magischen Kreise.«

    Den Kreis mochten wir durchbrechen zur Einheit der den Inhalt in sich schlie-Benden »Urform«, aber damit kommen wir in einen neuen Zirkel. Denn auf dieUrform des menschlichen Wissens komme ich »nur dadurch, daB ich eine solcheabsolute Einheit meiries Wissens voraussetze. Dies ist ein Cirkel.« Dieser Zirkelaber hat einen anderen Charakter. Er ist nicht Fessel, sondeen Befreiung. Einsolcher Zirkel ware »nur dann vermeidlich, wenn es gaenichts Absolutes immenschlichen Wissen gabe. Dieses Absolute kann nur durch das Absolute gegeben sein. Es gibt ein Absolures, nur weil es ein Absolutes gibt« (I, 92). Ausdem magischen Kreise konnen wir also »nicht anders herauskommen, d e ~ nnurdurch die Annahme, daB es Ein oberstes Princip gebe, durch welches m1t demInhalt auch seine Form gegeben wird, sodaB sich beidc einander wechselscitig

    begründen« (1, 94). . . .Wir kommen aus dem Zirkel heraus, indem wir ihn als den cmen e111z1gen

    ergreifen, der uns in die Mitte des Absoluten bringt, in d a ~s c h l e c h t h i ~Un-bedingte. Was ist es? »Nichts kann sich selbst setzen, als was em schlechthm unabhangiges ursprüngliches Selbst enthalt und das gcsetzt ist, weil ~ selbst dasSetzende ist« (1, 96). Das schlechthin Unbedingte ist das Ich. Es 1st »das ursprünglich durch sich selbst gesetzte Ich«. »Sein G e s e t z t s e ~ nist durch n .chtsauBer ihm bestimmt.« »Es ist gesetzt, nicht weil es gesetzt 1st, sondeen we1l esselbst das Setzende ist.« »Ich ist Ich«, das ist »die materiale und formale Form,die einander wechselseitig herbeiführen« (1, 97).

    Wir fragen Schelling: Wovon ist die Rede, von Gott oder v ~ mM e n s ~ e n

    Offenbar von beidem. Für Schelling ist eins im andeen. Er hat 111 der fruhenSchrift vom »lch«) unter dem EinfluB des Gottesgedankens Spinozas (Gott alsUrsache seiner selbst) und des Kantischen »Ich denke« (in der Fichteschen Gestalt des Sich-selbst-Setzens) eine Metaphysik gedacht, die beides in eins nimmt.Es ist eine spinozistische Metaphysik der Substanz, aber so, daB diese Substanzdas sich selbst setzende Ich ist. Wenn ich frei hin, so ist in meiner Freiheit Got

    tes Freiheit, die ursprüngliche Freiheit. kus dem Zirkel der Gegenseitigkeit vonSubjekt und Objekt, von Form und Inhalt, bin ich durch den G e d ~ n k e nd1eserFreiheit des Ursprungs in der Freiheit des sich selbst setzenden Ich hmausgelangt.

    Damit ist ausgesprochen, daB der Durchbruch durch den Zirkel selbst ~ i nneuer Zirkel ist. Der schlechte Zirkel in der Subjekt-Objekt-Spaltung der Rauo-nalitat ist überwunden im wahren Zirkel des Sich-selbst-Setzens der Freiheit. Dass a ~ tSchelling, wenn von der Frage die Rede ist, wovon wir in d e ~ P h i l o s o p h ~ eausgehen, und wohin wir gelangen: »Da wir das Wissen der. e w g e ~Fre1he1tzwar sind, aber es nicht wissen, so müssen wir in das Wissen dieses W1ssens erstwieder geführt werden durch die Wissenschaft. Allein die Wissenschaft hat dazuauch keinen anderen Weg, als indem sie von der ewigen Freiheit ausgeht; vondieser kann sie aber nicht ausgehen, ohne von ihr zu wissen. Hier ist also einoffenbarer Zirkel« IX, 228).

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    Schelling will auf den innersten Grund dringen, nicht in unendlichem Weitergehen, sondern mit einem Sprung, um aus ihm, nicht zu ihm hin denken zumüssen. n der Darstellung wahlt er gern die Form, nicht nur zu fragen, sondern nach der Frage zu fragen, zunachst zwar, um die Befreiung von jederBindung an eine unbemerkte Voraussetzung zu gewinnen, dann aber gerade, umdie eine umfassende wahre Voraussetzung in ihre groEe Erscheinung treten zula ssen (z. B . IX, 216 ff.). Die Liisung ist immer ein Zirkel, hier aber der wahreZirkel.

    Fragen wir unsererseits kritisch, was das bedeutet.Der hier gemeinte Zirkel ist nicht der in den Geisteswissenschaften sogenannte

    hermeneutische Zirkel Diltheys: im Verstehen geschieht ein stiindiges Beziehendes Einzelnen auf das vorweggenommene Ganze und wieder die Verwandlung

    des , Ganzen durch das Einzelne. Dadurch werden die idealtypischen Gesamtansch¡rnungen entweder zeitlosen oder geschichtlichen Charakters gewonnen, diedie Voraussetzung alles Verstehens sind. Der Zirkel tritt gar nicht auf in denWissen schaften, die unter bestimmten Voraussetzungen forschen und sehen, wieweit sie damit kommen, bei auftretenden Unstimmigkeiten die nun als partiku-lar sich erweisenden Voraussetzungen in griiEere Zusammenhange neuer Voraussetzungen aufnehmen.

    Der Schellingsche Zirkel gehiirt vielmehr zum Denken des Absoluten. Weildieses aus keinem Anderen abgeleitet werden kann, zu keinem, das auEer ihmware, in Beziehung treten kann, muE jede Aussage von ihm falschlich trennen,was eins ist, Bezugspunkte aufstellen von dem, was nicht in Beziehung ist.Daher wird das Absolute durch sich selbst gedacht, als Ursache seiner selbst, alssich selbst setzend, sich selbst hervorbringend. Es sind Aussagen, die im Sinneobjektiven endlichen Denkens von Dingen keinen Sinn haben und daher nachden MaEstaben der Logik Denkfehler.

    Solche Zirkel sind eine methodisch beherrschbare Form des metaphysischenDenkens und sollen - damit beginnt die irrende Metaphysik - zugleich Formen

    · der darin gedachten Wirklichkeiten sein. Die vom Denken beherrschte Form isteine Form logischen Scheiterns, die eintritt, wenn das Undenkbare gedacht werden sol . Der vermeintliche wirkliche Zirkel des Seins selbst ist kein Zirkel ansich, sondern der im Denken auftretende Aspekt der Transzendenz.

    Wenn der Zirkel eine unumgiingliche Form beim Sprechen vom Absolutenist, so gibt es zwei Miiglichkeiten: Entweder bin ich mit dem Zirkel im Seinselber. Dann weiE ich in dieser Form, was ist, bin ich mit meinem Denkenselbst hineingenommen. Oder ich stehe, indem ich den Zirkel denke, über demZirkel, lasse ihn zu einem Werkzeug der Selbstvergewisserung und Seinsvergewisserung werden .

    In beiden Fallen ist die Frage, ob und wie ich den Zirkel, den »magischenKreis« durchbreche. Schelling vollzieht diesen Durchbruch nur durch die Kreisedes Rationalen, um im Kreis des Absoluten selber die Befriedigung des Zuhauseseins zu erfahren. Daher ist ihm die wahre Metaphysik nur eine, bedeutet dasmetaphysische Denken im Sinne des Willens zur einen allgemeingültigen Wahrheit schon die Vollendung. Wenn er Satze des Sinnes braucht, daE die Forschung noch auf dem Wege sei, so zweifelt er doch nicht, daE grundsatzlich das

    Ziel erreichbar ist, und faktisch zweifelt er kaum, daE er selbst es erreicht hat.

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    Dagegen steht die radikal andere philosophische Grundhaltung: Durch denZirkel der Denkgehilde des Absoluten hindurch gelange ich nicht, auEer imScheitern des Wissens der Gegenwartigkeit des Ahsoluten, und was ich dabeierreiche, ist nur helleres BewuEtsain der Geschichtlichkeit meiner selbst alsmiiglicher Existenz in bezug auf das Geheimnis verborgener Transzendenz. DerDurchbruch durch die magischen Kreise erfolgt mit der Einsicht: Ich habe michnicht selbst geschaffen. Meine Freiheit bleibt in hezug auf Transzendenz undwird nicht selber Transzendenz. Ich kenne keine andere Freiheit. Absolute Freiheit ist eine sich nicht durch einen erfüllten Gedanken hewahrende, daher leereWendung. Ich gelange ins Sein allein durch Eintritt in meine Geschichtlichkeit,die sich erhellt in Chiffern der Transzendenz, darum auch mit dem Spiel dermagischen Gedankenkreise, die nun nicht mehr fesseln, sondern in die Tiefe desGeheimnisses weisen. Von hier aus gesehen ist es unredlich, weil eine Flucht vorder eigenen existentiellen Miiglichkeit, wenn ich in der Allgemeingültigkeit einesgedachten Soseins die Wahrheit und Wirklichkeit selbst zu haben meine. An dieStelle der miiglichen Unbedingtheit existentiellen Entschlusses in bezug aufTranszendenz tritt mir ein allgemeingültiges Ahsolutes und Unhedingtes, aufdas ich nicht mehr bezogen hin, sondern das selber in mir ist, das ich selber bin.

    Drittes Beispiel Schelling spricht in der Philosophie von »Erfahrung«. Er nenntErfahrung, was in der ursprünglichen Realitat der intellektuellen Anschauungund des realen Verhaltnisses zur Gottheit uns aufgeht. Diese Erfahrung solnicht verwechselt werden.

    Zunachst ist die Frage beiseite zu stellen, wie der Einzelne zur Philosophieüberhaupt komme. »Niemand wird sich vorstellen, daE die Seele, die noch vollkommen einer tabula rasa gleicht, sich zur Philosophie erhehe, und nicht vielmehr derjenige erst, welcher die ganze Weite und Tiefe des zu Begreifendendurch Erfahrung kennen gelernt hat, der zur Philosophie Berufenste sei«

    XI, 298).Auch handelt es sich für Schelling nicht um die Erfahrung, auf die man sich

    in der Philosophie oft falschlich berufen hat. So sollte von Tatsachen durchSchlüsse auf eine hiichste Ursache zu gelangen sein. Doch auf diesem syllogistischen Wege gelingt das nur unter überspringen in ein anderes Gebiet (metabasiseis allo genos). Als man das sah, sollten die Prinzipien durch Analysis des inder Erfahrung Vorliegenden gefunden werden. Aber auch diese Erfahrung führtnicht zum