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Leseprobe Buch: „No Way Out“

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NO WAY OUT. Es gibt keinen Ausweg. Nicht mal einen Notausgang.Michael Fuchs-Gamböck präsentiert in 18 Short Stories gebrochene Helden auf der Suche nach Liebe – oder was sie dafür halten. http://www.pax-et-bonum-verlag.de/shop?page=shop.product_details&flypage=flypage_new.tpl&product_id=100&category_id=1

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Michael Fuchs-Gamböck

No Way Out

Gut gegen schlecht, das gibt es nicht.

pax-et-bonum-verlag.de

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Über den Autor

Michael Fuchs-Gamböck, seit 2011 in Diessen am Ammersee zu Hause,

gewann 1985 den Literatur-Nachwuchspreis des Theaterfestivals Mün-

chen. Der ausgebildete Redakteur hielt sich mehrere Jahre in Japan

und Italien als Kulturkorrespondent für verschiedene Pressebüros auf.

In Italien arbeitete er als Redaktionschef eines zweisprachigen Radio-

senders. Von 1989 bis 1994 war er Ressortleiter bei der deutschsprachi-

gen Ausgabe des Zeitgeist-Magazins Wiener, später in gleicher Funk-

tion beim Playboy. Seit 1995 ist er freier Autor, u.a. für Cosmopolitan,

Focus, MusikExpress und Marie Claire.Aktuell gibt es von Michael Fuchs-Gamböck rund drei Dutzend Buch-

veröffentlichungen, unter anderem autorisierte Biografien über Xavier

Naidoo, James Blunt oder Genesis, außerdem Interviewsammlungen

von Gesprächen mit Madonna, den Rolling Stones, David Bowie und

vielen mehr. (Ich hatte sie alle – Tee mit Madonna, Cognac mit RonWood. 40 Anekdoten aus 20 Jahren Rock’n’Roll-Irrsinn). 2011 ist darüber

hinaus sein Gedichtband Die Lady kommt pünktlich erschienen. Mit

den 2013 erschienenen Romanen Volksmusik! – Abgefuckt! – Liebe!zeigt der gebürtige Friedberger eine weitere Seite seines künstlerischen

Schaffens. Beide Romane sind als Wendecover-Buch in einer Ausgabe

vereint. Mit No Way Out legt Michael Fuchs-Gamböck nach: Es han-

delt sich hier um eine Sammlung von älteren, aber noch nie veröffent-

lichen Kurzgeschichten.

Mehr zum Autor unter www.fuchs-gamboeck.de

© Mai 2014

Michael Fuchs-Gamböck

ISBN 978-3-943650-61-7

Verlag: Pax et Bonum (pax-et-bonum-verlag.de)

Satz/Covererstellung: Matthias Gerschwitz (gerschwitz.com)

Herzlichen Dank an Fred-Jürgen Rogner (juergenrogner.com) für die kostenlose Überlassung der Bilder auf Vorder- und Rückseite des Covers.

Alle Rechte vorbehalten. Keine unerlaubte Vervielfältigung oder Verbreitung.

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I

D A S N E U E J A H R

ES KLINGELTE.Ich überlegte verdammt lange, ob ich an die Tür gehen sollte. Die Weltkonnte mir wie gewohnt gestohlen bleiben. Innerlich verfluchte ich die-ses aufdringliche Geräusch, das nichts anderes tat, als etwas von mir zufordern.

Es klingelte nochmals.Silvesterabend. Ich spürte, wie kalt meine Bude war. Vor der Tür lag

Schnee, und ich hatte natürlich vergessen, Öl für die Heizung zu kaufen.Auch ansonsten war es um Sprit knapp bestellt, der Kühlschrank hatteweitaus festlichere Tage gesehen.

Es klingelte ein drittes Mal, jetzt eher müde. Meine letzte Chance.Kein Fetzchen Spaß in Sicht. Ich dachte daran, dass ich zum ersten Mal

auf keine dieser gottverflucht langweiligen Neujahrspartys eingeladenwar. Irgendwie hatte es sich nicht ergeben. Tatsächlich – meine letzteChance. Ich hatte gar keine andere Wahl, als zu öffnen.

Vor der Tür war Georg, der sich gerade Schnee von den Schulternklopfte. Neben ihm stand ein mickriger Kerl mit Buckel und straff gezo-genem Seitenscheitel, der still vor sich hin zitterte und den ich nie zuvorgesehen hatte.

»Ey, Alter, große Klasse, dich zu sehen!« Georg grinste wie ein betrun-kenes Pferd und hieb der Gestalt neben ihm mit einer seiner mächtigenPranken ins Kreuz. Die fiel mir beinahe entgegen. »Das ist mein KumpelFeldadler.«

»Ich heiß nicht so, ich heiß Thomas«, quengelte der, nicht sehr über-zeugend.

»Quatsch«, brüllte Georg ihn an und hob schon wieder seine Pranke.»Du bist der Feldadler. The one and only!«

Feldadler duckte sich, er erwartete einen weiteren Schlag. Doch Georgließ die ausgestreckte Hand nur träge nach unten gleiten. ›Wahrschein-lich ein neues Gesellschaftsspiel‹, dachte ich.

»Na fein«, sagte ich. »Kommt rein, Jungs.«

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Mir war klar, dass man Thomas bis ans Ende seiner Tage Feldadler nen-nen würde. Er war einer von der Sorte, die zum Verlieren geboren war, dassah ich auf den ersten Blick. Einer, den man bis zum Hals in die Scheißegetaucht hatte und der sich bei seinen Peinigern noch dafür bedankte,dass sie ihn nicht ganz rein gedrückt hatten. ›Prima‹, dachte ich. ›Ichstarte das neue Jahr mit einem Verlierer.‹ Nichts ändert sich jemals. Ichatmete tief durch. Dann gab ich den Weg für meine Kumpels frei.

Sie trotteten gehorsam die endlosen Treppen in den dritten Stock desAltbaus, in dem ich wohnte, und schließlich ins einzige Zimmer meinerBude – Georg mit weit ausholenden Schritten und leicht schwankend,Feldadler trippelnd und mit verkniffenem Arsch vor mir her. Artig hock-ten sie sich wie ein altes Ehepaar dicht nebeneinander auf das speckigeLeintuch, das die schmale Matratze bedeckte. Ich setzte mich ihnengegenüber auf den einzigen Stuhl im Raum, ein knarrendes, schlechtgepolstertes Etwas, das mir meine Tante Mimi vererbt hatte.

Feldadler starrte an die rissigen, unverputzten Wände, ging meineBildergalerie durch. Er blickte auf ein handsigniertes Poster von MaxSchmeling, der seine Fäuste siegesgewiss in die Luft reckte; seine Augenwanderten zu dem schreiend bunten Miro-Ausstellungsplakat hinter dergesprungenen Glasscheibe und blieben schließlich für eine Ewigkeit beider nicht unbeträchtlichen, aber etwas vergilbten Oberweite des Play-mates aus dem Monat September ’72 hängen. Ich hielt Feldadler bereitsnach drei Minuten für einen verklemmten Langweiler. Leider sollte ichmit meiner Einschätzung recht behalten. Georg erzählte mir später, derKerl arbeite seit zehn Jahren bei der Post, wo er Briefe sortiere. Er hatteihn völlig besoffen in einer Kneipe kennengelernt und war ihn seitdemnicht mehr losgeworden. Klar, Feldadler hatte jede Menge Zeit – keineneinzigen, gottverdammten Freund und schon gar kein Mädchen.

»Er tut mir leid, der Idiot«, meinte Georg, »deshalb habe ich ihnauch zu dir mitgeschleppt. Das ist meine große gute Tat für die Mensch-heit in diesem Jahr. Ein Bursche wie er ist an so einem Tag schließlich zuallem fähig ...

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III

D I E V A G E S E H N S U C H T N A C H G O L D

LOUIE WAR TAGELANG in der Wüste herumgekrabbelt. Er hatte den Sandgerochen. Er hatte begonnen, die Erde zu verstehen. Alle die Taten, dieTag für Tag auf ihr begangen wurden. Das Geheimnis des Lebens war soeinfach. Und je weniger Louie an seine Vergangenheit dachte, destoweniger machten ihm Hunger und Durst zu schaffen. Er krabbelte nur.Er wollte nicht mal wissen, wohin.

An den ersten beiden Tagen ohne Nahrung und Wasser hatte er nochvon Wein und einem saftigen Steak geträumt. Er hatte geglaubt, ohneWein und ein Steak müsse er auf der Stelle sterben. Doch Louie war wei-ter gekrabbelt und schon am dritten Tag unter sengender Hitze hattesein Gaumen vergessen, wie sämtliche Gerichte und Getränke der Weltschmeckten. Jetzt hatte er nur noch eine unbändige Gier nach klarem,kaltem Wasser. Diese Gier trieb ihn dazu, weiterzukrabbeln. Sie hatteseine Sinne wild gemacht und geschärft. Wenn er schließlich auf demheißen Wüstensand vor Erschöpfung einschlief, so träumte er von einemgigantischen Wasserfall, dessen Quell im Sonnenlicht golden schimmer-te. Und wenn Louie schweißüberströmt erwachte, so hatte sich in ihmein alles versengender Hass angestaut, der ihn anstachelte. »Weiter, nurweiter«, sagte er sich dann.

Am fünften Tag war Louie in einen Zustand von Gleichmut und ineine sorglose Schwerelosigkeit verfallen. Der goldene Sand unter ihm, derbis zum Horizont reichte, erschien ihm wie eine saftige Wiese. SeineGedanken waren luftige Momente, die sofort nach ihrem Erscheinen imNichts verpufften. Louie begann in dieser Zeit auch, seinen Körper überalle Maßen zu lieben. Er spürte jedes Gelenk. Er spürte die Schweiß-tropfen auf den zuckenden Muskeln. Er spürte jedes einzelne der dunk-len Haare auf seiner hager gewordenen Brust. Louie kroch Stunde fürStunde vor sich hin und immer öfter hielt er an, um auf seine Gestalthinabzublicken. Er wusste selbstverständlich, dass der Tod auf ihn lauer-te. Und er begegnete ihm mit einer geradezu fröhlichen Gelassenheit.

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Am sechsten Tag begann Louie, dem Meer aus Sand wirre Wortfetzenentgegen zu murmeln. Er grinste tumb und hatte die Vision, dass er seitAnbeginn aller Tage an keinem anderen Ort als in dieser Wüste existierthatte. Er ging sogar so weit, sich für unsterblich zu halten, für den einzi-gen Menschen auf der Erde und die Wüste für sein Reich. Er war voll-kommen glücklich. Selbst Hunger und Durst nagten nicht mehr an ihm.Und trotzdem krabbelte er weiter.

Nicht lange, und Tag und Nacht bildeten keinen Unterschied mehr fürLouie. Seine Augen wurden trüb wie zwei matte Spiegel. Das Sonnen-licht drang nur noch während der Träume in seinen Körper.

Louie kroch weiter und weiter, Arme und Beine nichts anderes alsstumpfe Werkzeuge mit einer einzigen Funktion. Es gab kein Ziel mehrund keine Erinnerung. Für Louie gab es nichts als Sand und seinen Kör-per. Das war die einzige Realität. Auch die Träume schwanden aus seinemHirn, das nunmehr einer Nussschale glich, die auf ruhigem Wasser segel-te. Irgendwann sah Louie seinen Körper, der weiter auf dem Wüstensandvor sich hin taumelte, während seine Muskeln keinerlei Anspannungmehr verrieten. Louie konnte sich selbst beobachten, obwohl ihm etwastief im Inneren zuflüsterte, dass er wehrlos auf dem Rücken lag. Wie einKäfer, der sich auf den Tod vorbereitet. Er wusste das. Und trotzdem saher seinen Körper, der weiterkroch. Er hörte den Sand, der knirschendunter seinen Händen und Füßen nachgab. Er lauschte der gleichmäßigen,harmonischen Melodie dieser Bewegungen. Louie spürte, wie sein Leibvon einem undefinierbaren, grenzenlosen Glück durchströmt wurde. DerKörper zitterte sacht, ehe Louie die Augenlider zufielen.

Ein Schmerz in der rechten Seite … und Louie hörte, dass seinem Mundein Stöhnen entwich. »Der Mann lebt, er hat sich gerade bewegt.«

Hände, die sich an seinem Mund zu schaffen machten, seine Lippenauseinanderrissen. Etwas Hartes, das zwischen seine Zähne geschobenwurde ...

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IX

G U T G E G E N S C H L E C H T , D A S G I B T E S N I C H T

»GUT GEGEN SCHLECHT, DAS GIBT ES NICHT.«Ich hätte noch ewig über diesen Satz meditieren können. Aber das halfnichts. Er öffnete mir Tür und Tor zur Welt, darüber war ich mir imKlaren. Und er erklärte mir die Liebe in ihrer alles umfassenden Macht.Doch danach suchte ich gar nicht. Dachte ich wenigstens.

Und dann stand neben mir plötzlich diese 2-Liter-Flasche Weißwein.Billig zwar, aber von durchaus akzeptabler Qualität. Und – sie war gutzur Hälfte gefüllt und der Abend noch lang. Ein bisschen zu lang, fürmeinen Geschmack. Jedenfalls hatte mir ein Nachbar schon vor etlichenWochen erklärt, wo der beste – da einzige – Puff am Ort zu finden war.Die ersten Tage hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, in denletzten Tagen allerdings mehr und mehr. Du kannst meditieren, soviel duwillst – Sex und Vergnügen werden sich stets gewaltsam Einlass in deineWelt verschaffen. Eine Sache der Gewohnheit. Denn trotz voranschrei-tender Weisheit kommst du immer an den Punkt gewaltigerVerzweiflung – der Punkt, an dem sich das Leben als nichts als einTrugschluss herausstellt und du selbst als ein mäßig lustiger Scherz. Dabieten Sex und Spaß mehr Garantien für ein bisschen hemdsärmeligeGlückseligkeit. Ich habe damit auch mehr Erfahrung. Und ich bin derje-nige, der die Zügel in der Hand hält. Zumindest rede ich mir das ein.

Ich setzte die Flasche wieder an den Hals. Steckte mir eine weitere Kip-pe an. War unschlüssig, was zu tun sei.

Gut gegen schlecht, das gibt es nicht.

Jeder einzelne Buchstabe dieses Satzes glitt an meinem geistigen Augevorüber. Wieder und wieder. Es gab eine Bedeutung dahinter und ichglaubte, sie zu kennen. Aber sie war unglaublich weit weg. Ich war wie-der der kleine Junge, der ratlos vor dem Baukasten sitzt, den sein Vaterihm zum Geburtstag geschenkt hat. Ohne Erklärung, ohne Sinn. Dabei

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wollte ich viel lieber eine Stoffpuppe. Ich liebte die Mädchen schondamals über alles, ihre Weichheit, ihre Zartheit und ihre mir so fremde,aufregende kleine Welt. Aber ich hatte Angst, das meinem Alten zusagen. Er fragte auch nie. Also ein Baukasten. Ich stocherte ein bisschendarin herum und dann wanderte er ins stille Eck, wo schon die Renn-bahn und die Spielzeugindianer ihr tristes Dasein fristeten.

Jetzt war mir wieder zum Heulen, so wie damals. Stilles Unglück unddie Tränen fallen nach innen. Den ganzen Tag hatte ich nur dagesessen,geraucht, geglotzt und getrunken. Ich machte mir mächtige Vorwürfedeshalb. Obwohl mir klar war, dass die Zeit in jedem Fall vergehen wür-de. Egal, ob ich hektische Aktivitäten entfaltete oder rein gar nichts tat.

Mein Herz tuckerte rastlos vor sich hin. Und der plumpe Körper schienauf dem viel zu harten Stuhl festgemeißelt zu sein, aber jedes Glied tatmir weh. Die Welt wartete auf meinen Einsatz. Nur kannte ich die Spiel-regeln nicht. Ich lebte zu dieser Zeit in einem winzigen norditalienischenBergdorf und erzählte jedem, der es hören wollte oder auch nicht, dassich am großen, die Literaturgeschichte revolutionierenden Romanschrieb. Was natürlich nicht stimmte. Wenn ich schrieb – was selten ge-nug vorkam –, wanderte das Zeug am nächsten Morgen ungelesen in denPapierkorb. Ansonsten trank ich, viel und unmäßig. In den wenigen kla-ren Stunden des Tages beschäftigte ich mich mit Büchern aus dem 17.Jahrhundert. Sie ödeten mich schrecklich an, aber ich blieb am Ball.Schließlich hatte ich mir das vorgenommen.

Es passierte in meiner selbst gewählten Klausur nichts, was mich nurim geringsten inspiriert hätte. Die kleine Welt um mich herum gab sichfreundlich und war von gleichmäßigem Fluss, gleichzeitig verstaubt undohne Kontur. Das redete ich mir wenigstens ein. Ich tat das überzeugendgenug, sodass diese Ansicht sich inzwischen auf mein Gemüt übertragenhatte. Ich fühlte mich wie gelähmt bei all der Freundlichkeit, die michumgab ...

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XI

K L E I N E L I E B E

HUBERT HOCKTE MAL WIEDER in der U-Bahn und ließ sich einfach trei-ben. Das tat er oft – denn er liebte es, Leute zu beobachten. Er liebte es,ständig neue Gesichter serviert zu bekommen: An jeder Haltestelle wur-den junge durch alte Gesichter ersetzt, hässliche durch hübsche, männli-che durch weibliche. Hubert musste einfach nur dasitzen und starren.Das war die sinnvollste und aufregendste Beschäftigung, die er sich vor-stellen konnte.

Manchmal blieben Gesichter lange in seiner Erinnerung hängen – einebesonders ausgeprägte Nase, zwei verschieden große Augen, eine unge-wöhnliche Haarfarbe waren schuld daran –, und dann malte Hubert sichGeschichten aus, in denen die Besitzer dieser Gesichter die entscheidendeRolle spielten. Hubert pflanzte sie in Orte, die er nur aus dem Fernsehenkannte: einen Urwald, monströse Berge, die Wüste. Dort hatten sie un-glaubliche Abenteuer zu bestehen. Und immer starben sie einen zwargrauenvollen, aber auch heldenhaften Tod. Hubert fand, ein solches Endesei er seinen Hauptdarstellern schuldig. So verbrachte er seine Zeit – inder Bahn unter der Stadt. Hubert hatte keinen Job, keine Kumpels undkein Mädchen. Er war 23, wohnte bei den Eltern und fühlte sich sehrwohl in seiner Haut.

Seiner Ma und seinem Alten versuchte er, so gut wie möglich aus demWeg zu gehen. Warum er das tat, wusste er nicht recht: Immerhin hattesein Vater ihn nicht mehr verprügelt, seit er 15 war, und seine Mutter warkeine Frau, die viele Fragen stellte oder ihn gar stundenlang mit Vorhal-tungen und Ratschlägen gequält hätte. Nein, seine Alten waren ganzokay. Es war nur so, dass Hubert am liebsten allen Menschen gezielt ausdem Weg ging. Nicht aus Angst, sondern aus purem Desinteresse an ih-rem Innenleben. Er schaute sich gerne ihre Gesichter an, aber es kümmer-te ihn nicht im geringsten, was sich dahinter verbarg. Die Gesichter dien-ten ihm nur als Vorlage für seine eigenen Geschichten.

Mit Menschen keinen Kontakt aufnehmen zu müssen, war kein Pro-blem. Hubert lebte in einer großen Stadt, in der die Leute eh’ genug mit

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ihrem eigenen Kram zu tun hatten. Nur bei seinen Eltern war die Sacheein bisschen anders gelagert: Es war schwierig, sie völlig zu ignorieren.Seine Mutter hatte er bereits so weit, dass sie ihm wortlos das Essen aufden Tisch stellte, wenn er abends von seinen U-Bahn-Fahrten nach Hau-se kam. Doch sein Vater löcherte ihn weiterhin mit Fragen. »Geht’s dirgut, Hubert? Hast du ’ne Flamme, Hubert? Kümmerst du dich um einenJob, Hubert?« Was Väter eben so wissen wollen.

»Natürlich«, murmelte Hubert dann gequält. Doch so natürlich wardas gar nicht. Schlecht ging’s ihm eigentlich nicht. Aber eine Freundinhatte er beispielsweise noch nie gehabt. Und um einen Job kümmerte ersich schon lange nicht mehr. Hubert hatte die Volksschule abgeschlos-sen, daraufhin irgendwie eine Ausbildung als Dreher in einer großen Fa-brik rumgekriegt, danach hatte er seinen Wehrdienst geleistet. Dann warer 20 gewesen. Von da an hatte er nichts mehr getan.

Nicht nur, was die Arbeit anging. Auch sonst widmete sich Hubertnichts von dem, worunter die Allgemeinheit einen ausgefüllten Tages-ablauf versteht. Seine Tage besaßen ihren eigenen Rhythmus. Was zubedeuten hatte, dass er ziemlich früh am Morgen aufstand, Frühstückverputzte und sich danach auf den Weg in die City machte – egal, beiwelchem Wetter. Seine Eltern wohnten ein wenig außerhalb der großenStadt. Mit dem Zug war es eine knappe Stunde ins Zentrum. Dort ange-kommen lief er ziellos umher. Er lief und schaute – aber er bemerkte nichtdie Menschen, lediglich ihre Gesichter. Beinahe sofort machten sichdann diese Geschichten in seinem Hirn breit, ohne dass Hubert etwasdazugetan oder dies gar herbeigesehnt hätte.

Am Nachmittag und in den frühen Abendstunden fuhr Hubert U-Bahn. Er war stolzer Besitzer einer Jahreskarte, die ihm ermöglichte, jedex-beliebige Strecke innerhalb der Stadt zu nutzen ...

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XVII

G A N Z W E I T U N T E N

DIESMAL WAR ICH GANZ WEIT UNTEN. Ich hockte seit zwei Wochen indiesem Nest an der Riviera, nur wenige Kilometer und doch endlos weitvom Meer entfernt. Ich ließ mich jeden Abend volllaufen und hatte keineAhnung, was um mich herum geschah. Ich wusste nicht mal genau,warum ich hierher gekommen war, nach Italien, warum ich mir diesesbillige Appartement gemietet hatte, unbefristet, und warum ich die Tageins Land ziehen ließ, wahllos. Es war November, der schlimmste allerMonate in diesem Nest. Der November war grau und trübe und ohneKontur. Mir war, als wäre ich im Niemandsland gestrandet. Alles schienzusammenzukommen. Ich wartete auf den großen Knall. Und wäre ver-mutlich als Erster davongelaufen – weit, weit weg –, wenn es dazu ge-kommen wäre.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, hier in Italien einen Roman zuverfassen, das definitive Dokument einer verlorenen Generation, meinerGeneration. Doch seit ich hier war, hatte ich keine Zeile geschrieben,meine spärlichen Notizen hatte ich eines Morgens verbrannt, in einemAnfall von geistiger Abwesenheit. Statt zu schreiben hatte ich fünfzigGramm Pulver über die Grenzen geschmuggelt, das ich mir jetzt hektischin die Nase schaufelte, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Ich wurde immerparanoider. Und mein Vorrat war bereits nach den zwei Wochen, die ichhier feststeckte, erschreckend reduziert. Mich befiel Panik, wenn ich nurdaran dachte, dass ich eines Morgens aufwachen und die letzte Line die-ses Wahnsinnszeugs schnupfen würde.

Außer zu schnupfen, hockte ich Abend für Abend in den wenigen,stets billigen Kaschemmen dieses Orts rum, in den es mich verschlagenhatte, ich stopfte billiges Essen in mich rein, schlürfte billigen Wein undalle dreißig Minuten verschwand ich im stinkenden Scheißhaus undhackte mit stumpfer Rasierklinge das weiße Gift klein. Wenn das Pulverin meinem Hirn explodierte, war mir alles egal. Ich war böse, die Weltsowieso und nichts hatte irgendwie Bedeutung. Ich würde sterben, dem-nächst. Das Einzige, was ich gegen die Angst vor dem Sterben tun konn-

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te – weitermachen wie bisher und fiebrig auf mein Ende warten. Nichtspassierte. Alles ging seinen Gang. Das Kaff war so unsäglich langweilig,dass die Hölle dagegen ein Kurort sein musste. Und das Kaff machtemich fertig, weil es nichts zu bieten hatte. Nichts, was mir irgendeine Ge-nugtuung verschafft hätte. Doch wer nicht mehr weiß, wohin, für denwar es aus. Völlig aus. Das immerhin wusste ich. Nein, nichts war so, wieich es erwartet hatte. Bis mir eines Tages klar wurde, dass ich nie etwaserwartet hatte.

Auf einer meiner allabendlichen ziellosen Wanderungen durch dasKaff entdeckte ich das Canelupo. Wahrscheinlich war es der Name, dermir gefiel und mich zu dieser Kneipe hinzog. Viel wahrscheinlicher aberwaren es die pure Langeweile und die Stumpfheit meines Geistes, diemich anlockten. Endlich etwas Neues, Anderes in diesem Hort derÖdnis. Zumindest für eine Nacht konnte ich mir einreden, dass sich anmeiner grässlichen Existenz etwas änderte, dass mein Lebensfluss mäch-tige Wellen schlug, anstatt langsam im Morast zu versickern. Canelupo.

Sie hatten Eröffnungsparty an diesem Abend – neuer Laden, Neu-beginn. Ich ging rein und in der Tat war dieser Schuppen anders als dieanderen Kaschemmen im Ort: Es gab mehr Licht dort, an den Wändenhingen Autoreifen und Motorradfotos statt der üblichen Marienbilderoder Barockrahmenscheußlichkeiten und aus den Lautsprechern an denWänden dudelte Schweinerock aus den 70ern statt der italienischenKitsch-Balladen, die einen erst recht zum Glas greifen ließen. Na ja,immerhin.

Es war gegen acht und der Laden brummte. Klar, es war der ersteAbend, das Volk war neugierig. Das Canelupo bot Platz für vielleichtachtzig Leute und die waren da – alle aus dem Ort, die unter dreißig wa-ren und vermutlich noch ein paar Typen im selben Alter aus den Nach-barkäffern. Ich hatte in den letzten zwei Wochen noch nie so viele Men-schen auf einem Haufen gesehen ...

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Im Verlag

sind weiterhin erschienen:

Die menschliche Welle (Bd. 1 – Ebbe) ISBN 978-3-943650-01-3

Die menschliche Welle (Bd. 2 – Flut) ISBN 978-3-943650-04-4

Irrlichter des Todes ISBN 978-3-943650-33-4

Jenseits, Tod und Sterben ISBN 978-3-943650-29-7

Shiva kläfft - Der berühmteste Hund von Berlin ISBN 978-3-943650-28-0

Gourmetkatze - Als die Katze einen Tisch reservierte ISBN 978-3-943650-36-5

Alle Bücher auch als eBook (epub und Kindle) erhältlich!www.pax-et-bonum-verlag.de

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