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Isabelle Naumann
Lehramtsstudierende mit
Migrationshintergrund an der
Universität Kassel Eine Analyse qualitativer Interviews im Rahmen des Projektes
„Mentoring für Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund“
Kassel 2011
2
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung ...................................................................................................................... 3
2. Nationale und internationale Befunde zu (angehenden) Lehrerinnen und Lehrern mit
Migrationshintergrund.................................................................................................. 7
3. Qualitatives Material ................................................................................................... 11
4. Auswertungsmethode: Qualitative Inhaltsanalyse....................................................... 13
5. Fragestellungen und Kategorien.................................................................................. 13
6. Ergebnisse der Qualitativen Inhaltsanalyse................................................................. 14
6.1 Studienwahl ......................................................................................................... 14 6.2 Probleme.............................................................................................................. 18 6.3 Ängste .................................................................................................................. 23 6.4 Unterstützungsbedarf .......................................................................................... 25
7. Diskussion ................................................................................................................... 26
8. Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 31
3
1. Einleitung
„Man sieht das ja auch in den Schulen, wenn man im Lehrerzimmer ist, da gibt es kaum
jemanden mit Migrationshintergrund, geht man aber in die Klasse, sieht das Spiel komplett
anders herum aus und ich finde, da muss irgendwas gemacht werden.“ (B7)
Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind Studierende mit Migrationshintergrund an
deutschen Universitäten noch immer deutlich unterrepräsentiert. Einem Anteil von rund 27
Prozent im Alter unter 25 Jahren (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 142)
stehen lediglich 11 Prozent Studierende mit Migrationshintergrund gegenüber (vgl. BMBF
2010, 7). Besonders niedrig ist der Anteil in den Lehramtsstudiengängen. Hier machen
Studierende mit Migrationshintergrund nur 6 Prozent der Studentenschaft aus (vgl. ebd.
2007, 440). Demzufolge sind auch innerhalb der Lehrerschaft nur wenige Migrantinnen
und Migranten vertreten. Nur 5 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an deutschen Schulen
weisen einen Migrationshintergrund auf. Etwa dreimal so viele Personen mit
Migrationshintergrund sind hingegen in vergleichbaren Berufsgruppen mit (Fach-)
Hochschulabschluss vertreten (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 77). In
deutlichem Missverhältnis dazu steht der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit
Migrationshintergrund. Im Jahr 2005 hatten rund 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen
im Alter zwischen 10 und 16 Jahren einen Migrationshintergrund, bei den Schülerinnen
und Schülern zwischen 6 und 10 waren es etwa 29 Prozent. Dieser Anteil wird in den
nächsten Jahren weiter steigen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 143).
Auf bildungspolitischer Ebene ist in den letzten Jahren vermehrt die Forderung laut
geworden, mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund für die Tätigkeit an
deutschen Schulen zu gewinnen. Erstmals wies der Verband Bildung und Erziehung (VBE)
auf die Bedeutung von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund für das
deutsche Schulsystem hin:
„Besonders Kinder und Jugendliche aus zwei Kulturen brauchen Lehrerinnen und Lehrer
sowie Erzieherinnen und Erzieher mit pädagogischem Profil, die die Werte des
Grundgesetzes überzeugend vertreten und in der Schulgemeinde durchsetzen können.
Besonders glaubwürdig können hier Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund
sein“ (VBE 2006).
4
Auch im nationalen Integrationsplan werden Migrantinnen und Migranten im Lehrerberuf
als Bereicherung gesehen. Wiederum wird explizit auf die Bedeutung für Schülerinnen und
Schüler mit Migrationshintergrund verwiesen:
„Die interkulturelle Kompetenz und damit die Unterrichtsqualität in Schulen mit hohem
Migrantenanteil wird durch eine größere Zahl von Migrantinnen und Migranten in der
Lehrerschaft […] verbessert“ (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007,
117).
Auf Landesebene sind in den letzten Jahren einige Anfragen an die Regierungen gestellt
worden, in denen ebenfalls auf einen positiven Einfluss von Lehrkräften mit
Migrationshintergrund auf Schülerinnen und Schüler mit eben solchen biographischen
Hintergründen und auf die Förderung eines interkulturellen Klimas an den Schulen
hingewiesen wird (vgl. Karakaşoğlu 2011, 121). In einem Antrag der Fraktionen der SPD
und der Grünen an die Bremische Bürgerschaft wird ein Konzept gefordert, durch das
mehr Migrantinnen und Migranten für das Lehramtsstudium gewonnen werden sollen.
Hier wird die interkulturelle Kompetenz als Ressource und die Vorbildfunktion dieser
Lehrkräfte betont (vgl. Buhse et al. 2009). Ähnliche Anträge wurden im Jahr 2006 an die
Hamburger Bürgerschaft und 2009 an den Bayerischen Landtag gestellt (vgl. Karakaşoğlu
2011, 121). Darüber hinaus sind auch regionale Aktivitäten in diese Richtung zu
verzeichnen. Seitens der Stadt Stuttgart wird unter dem Titel „Migranten machen Schule!
Vielfalt im Klassenzimmer – Vielfalt im Lehrerzimmer“ die Bedeutung von Lehrerinnen
und Lehrern mit Migrationshintergrund als „Brückenbauer“ (Schuster 2008, 2)
herausgestellt. Im Gegensatz zu den vorherigen Quellen werden hier Lehrerinnen und
Lehrer mit Migrationshintergrund als Bereicherung für die gesamte Schülerschaft
anerkannt:
„Lehrerinnen und Lehrer mit eigenem Migrationshintergrund stellen […] eine große
Bereicherung für unsere Schulen dar. Mit ihrem oftmals vielgestaltigen Bildungsgang, der
eigenen Überwindung sprachlicher Hürden als Voraussetzung für eine erfolgreiche
Lehramtsausbildung und ihrem besonderen kulturellen Hintergrund bringen sie
Erfahrungen ein, von denen alle am Schulleben Beteiligten in vielfältiger Weise profitieren
können. Durch ihre besonderen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen können sie
allen Schülerinnen und Schülern erweiterte Perspektiven und neue Erfahrungen vermitteln,
sie können bei schulischen Schwierigkeiten den Zugang zu Schülerinnen und Schülern mit
Migrationshintergrund eröffnen und das Gespräch zwischen Schule und Elternhaus
5
erleichtern. Damit können diese Lehrerinnen und Lehrer einen wichtigen Beitrag dazu
leisten, dass ihre Schule und die darin Unterrichtenden ihren Erziehungs- und
Bildungsauftrag erfolgreich wahrnehmen“ (Rau 2008, 4).
Zunehmend sind eigene Initiativen von Lehrerinnen und Lehrern mit
Migrationshintergrund zur Vernetzung zu verzeichnen (z.B. „Netzwerk für Lehrkräfte mit
Zuwanderungsgeschichte“ 1). Aktivitäten im Bereich der pädagogischen Ausbildung von
Migrantinnen und Migranten sind das Lehramtsstipendium der Hertie-Stiftung
„Horizonte“2 oder auch das Schülercampusprojekt „Mehr Migranten werden Lehrer“3,
welches u.a. von der Zeit-Stiftung gefördert wird.
Ausgangspunkt dieser Arbeit war das Anliegen, an der Universität Kassel ein
Mentorenprogramm4 für Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund5 zu
implementieren, durch welches diese Gruppe der Studierenden unterstützt werden soll.
Außerdem stellt das von Frau Professor Dr. Friederike Heinzel initiierte Projekt eine
Profilerweiterung der Lehramtsstudiengänge an der Universität Kassel dar. Anstoß für die
Projektentwicklung waren Einzelgespräche mit Studierenden, in denen besondere
Schwierigkeiten und Belastungen zum Ausdruck kamen. Diese umfassen beispielsweise
Unsicherheiten beim wissenschaftlichen Arbeiten oder Ängste vor mündlichen Prüfungen
und im Kontakt mit Lehrenden. Aber auch für den Lehrerberuf alltägliche Tätigkeiten, wie
das Anschreiben an der Tafel oder der Umgang mit Eltern, sind offenkundig mit Ängsten
behaftet. Neben diesen subjektiven Schilderungen weisen auch Georgi, Ackermann und
Karakaş (2010) sowie Karakaşoğlu (2011) auf einen höheren Unterstützungsbedarf von
Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund hin. Zudem belegen Analysen des
Deutschen Studentenwerkes6, dass Studierende mit Migrationshintergrund im Vergleich zu
1 http://www.raa.de/mehr-lehrkraefte-mit-zuwanderung.html (Zugriff: 01.06.2011) 2 http://www.horizonte.ghst.de/index.php?c=2 (Zugriff: 01.06.2011) 3 http://www.mehr-migranten-werden-lehrer.de/h/wie__5.php (Zugriff: 01.06.2011) 4 Allgemein steht der Begriff „Mentoring“ für Maßnahmen und Angebote, die das Potenzial junger Nachwuchskräfte fördern sollen. Der Rolle des Mentors bzw. der Mentorin wird in der Regel von einer im jeweiligen Arbeitsfeld erfahrenen Person übernommen, die als Berater und Coach dem Mentee zur Seite steht (vgl. Peters 2004, 8). Für die Mentees stellt das Mentoring die Möglichkeit dar, an den persönlichen und beruflichen Erfahrungen des Gegenübers zu partizipieren und davon zu profitieren (vgl. Peters 2004, 16). 5 Der Begriff „Migrationshintergrund“ ist nicht eindeutig definiert. In der vorliegenden Arbeit wird die Definition des Statistischen Bundesamtes zugrunde gelegt. Als Menschen mit Migrationshintergrund gelten demnach „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit mindestens einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ (Statistisches Bundesamt 2007, 6). 6 Die 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks basiert auf einer anderen Definition des Migrationshintergrundes. Als Studierende mit Migrationshintergrund gelten hier Studierende mit
6
Studierenden ohne Migrationshintergrund mit besonderen Herausforderungen konfrontiert
sind.
Studierende mit Migrationshintergrund
- stammen häufiger aus niedrigen sozialen Herkunftsgruppen (vgl. BMBF 2007,
436).
- verfügen seltener über eine allgemeine Hochschulreife (vgl. ebd. 438).
- sind häufiger auf BAföG und eigenen Verdienst angewiesen (vgl. ebd. 442f.).
- unterbrechen ihr Studium häufiger als die Gesamtheit der Studierenden (vgl. ebd.
440).
- geben als Grund für eine Studienunterbrechung am häufigsten finanzielle Gründe
an (34% vs. 19% ohne Mig-H.) (vgl. ebd. 440).
- unterbrechen ihr Studium häufiger aufgrund von Erwerbstätigkeit neben dem
Studium (vgl. ebd.).
Im Fokus der vorliegenden, qualitativ angelegten Arbeit stehen Lehramtsstudierende mit
Migrationshintergrund an der Universität Kassel. Im Rahmen der Vorbereitungen des
Projekts „Mentoring für Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund“, das im Rahmen
des Programms „Heterogenität“ des Studiencenters Lehre der Universität Kassel gefördert
wird, wurden qualitative Interviews mit neun (ehemaligen) Studierenden durchgeführt.
Ziel dieser Interviews war es, herauszufinden, mit welchen subjektiv erlebten
Problemfeldern die Studierenden konfrontiert und welche Unterstützungsangebote aus
ihrer Sicht erforderlich sind. Hierfür wurden die Interviews einer Qualitativen
Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2008) unterzogen. Vorgehen und Ergebnisse werden im
Folgenden aufgezeigt.
Der Aufbau der Arbeit gliedert sich wie folgt: In Kapitel 2 wird zunächst auf den
nationalen und internationalen Forschungsstand zum Thema Lehrerinnen und Lehrer bzw.
Lehramtsstudentinnen und -studenten mit Migrationshintergrund eingegangen.
Anschließend wird das qualitative Datenmaterial vorgestellt. In Kapitel 4 wird die
Auswertungsmethode erläutert. In Kapitel 5 erfolgt die Darstellung der Fragestellungen
sowie der Auswertungskategorien. Die Ergebnisse der Qualitativen Inhaltsanalyse werden
ausländischer Staatsangehörigkeit, die in Deutschland die Hochschulzugangsberechtigung erworben haben (sog. Bildungsinländer), eingebürgerte Studierende sowie Studierende, die neben der deutschen eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Studierende, deren Eltern oder Großeltern zugewandert sind sowie Studierende, die zum Zweck des Studiums nach Deutschland gekommen sind (sog. Bildungsausländer) bleiben unberücksichtigt (vgl. BMBF 2007, 433).
7
in Kapitel 6 aufgezeigt. Anschließend werden diese im letzten Teil dieser Arbeit (Kapitel
7) diskutiert und ein Fazit hinsichtlich des Projektes gezogen.
2. Nationale und internationale Befunde zu (angehen den)
Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund
Trotz der vielfach betonten Bedeutung eines höheren Anteils von Lehrerinnen und Lehrern
mit Migrationshintergrund liegen in Deutschland noch keine empirischen Befunde vor, die
die Annahme, dass sich dies auf Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund oder
auf das interkulturelle Klima in Schulen positiv auswirkt, belegen. Die hohen Erwartungen
fußen vielmehr auf der Vermutung einer „größeren kulturellen Nähe“ (Deutsches PISA-
Konsortium 2002) zwischen Lehrenden und Lernenden mit Migrationserfahrung (vgl.
Strasser/Steber 2010, 97).
Untersuchungen, die sich mit Lehrpersonen mit Migrationshintergrund befassen, stammen
bislang vor allem aus dem angloamerikanischen Raum. Quiocho und Rios (2000) weisen
darauf hin, dass Lehrkräfte mit Migrationshintergrund für alle Schülerinnen und Schüler
eine Bereicherung darstellen. Durch die größere kulturelle Heterogenität der Lehrerschaft
entwickeln Kinder ohne Migrationshintergrund ein positiveres Bild von Minderheiten.
Zudem bauen sie eine realistische Vorstellung zur Entwicklung einer multikulturellen
Gesellschaft auf und erlangen mehr Verständnis für kulturelle Unterschiede, so die
Autoren (zit. n. Strasser/Steber 2010, 97).
Die Sicht von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund auf ihren Beruf wurde
vorrangig in qualitativen Studien untersucht. Galindo (1996) arbeitete heraus, dass für
Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund der hohe Wert der Bildung in ihrer
Herkunftsfamilie eine große Rolle für ihren Beruf spielt. Sie sehen es als ihre Aufgabe an,
diesen Wert als Teil ihres kulturellen Erbes weiterzugeben (zit. n. Strasser/Steber 2010,
105). Klassen und Carr (1997) zufolge stellt für diese Lehrerinnen und Lehrer ein Motiv
für die Berufswahl die eigene Erfahrung mit Vorurteilen, sowie die Überzeugung, dass
Angehörige einer Minderheit im Bildungssystem systematisch benachteiligt werden, dar
(zit. n. Strasser/Steber 2010, 106).
In Deutschland stellt die Frage, wie Lehrerinnen und Lehrer sowie Lehramtsstudierende
ihre (zukünftige) Tätigkeit sehen und welche Gründe die Berufswahl beeinflusst haben, ein
noch weitgehend unerforschtes Feld dar. Erste empirische Befunde zu Lehrkräften mit
8
Migrationshintergrund an deutschen Schulen wurden im Herbst des Jahres 2010 im
Rahmen der Konferenz „Vom multikulturellen Klassenzimmer zum multikulturellen
Lehrerzimmer“ der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin vorgestellt. Die Studie „Lehrende mit
Migrationshintergrund in Deutschland: Eine empirische Untersuchung zu
Bildungsbiographien, professionellem Selbstverständnis und schulischer Integration“
(Georgi/Ackermann/Karakaş 2011) stellt die erste wissenschaftliche Untersuchung zu
dieser Thematik auf nationaler Ebene dar. Da zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit
die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind,7, kann lediglich auf Auszüge, die während
der Konferenz vorgestellt wurden und in Form einer Presseinformation vorliegen, Bezug
genommen werden.
Das mehrperspektivische Untersuchungsdesign aus quantitativen und qualitativen
Methoden beinhaltete eine Fragebogenerhebung mit 200 Lehrpersonen mit
Migrationshintergrund, die durch 60 biographische Interviews ergänzt wurde. Die Studie
ergab, dass die Befragten aus subjektiver Sicht einen bewussten Umgang mit sprachlicher
und kultureller Differenz in der Schule pflegen, was die Autoren auch auf die
lebensgeschichtliche Erfahrung kultureller Differenz zurückführen. 78 Prozent der
befragten Lehrerinnen und Lehrer äußerten, bewusst mit sprachlicher und kultureller
Differenz umzugehen. Dieser bewusste Umgang führt aber nicht dazu, dass im Unterricht
eine andere als die deutsche Sprache zum Einsatz kommt (Pressedienst-Wissenschaft
Nr.280/2010, 1f.). Die Studie zeige somit, so Georgi in ihrem Vortrag zur Studie, dass trotz
zunehmender Multikulturalität in der Lehrerschaft der monolinguale Habitus (Gogolin
1994) der deutschen Schule unverändert bleibt. Es wurde aber deutlich, dass die
Herkunftssprachen durchaus außerhalb des Unterrichts in der Kommunikation mit
Schülerinnen und Schülern sowie Eltern genutzt werden. Die Autoren konstatieren weiter,
dass ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Lehrerinnen und Lehrern sowie
Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund bestehe. 64 Prozent der Befragten
stimmten der Aussage „Es wird mir von Schülerinnen und Schülern mehr Vertrauen
entgegengebracht, als Lehrern ohne Migrationshintergrund“ zu. Zudem zeigte sich, dass
die befragten Lehrerinnen und Lehrer auf die Situation der Schülerinnen und Schüler mit
Migrationshintergrund intensiv eingehen (vgl. Pressedienst-Wissenschaft Nr.280/2010, 2).
Als Argument für mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund wird vielfach
angeführt, dass diese den Schülerinnen und Schülern aus Migrantenfamilien als Vorbild
7 Mittlerweile erschienen bei Waxmann: Georgi/ Ackermann/ Karakas (2011): „Vielfalt im Klassenzimmer – Vielfalt im Lehrerzimmer“ (Stand: November 2011)
9
dienen können (vgl. Strasser/Steber 2010, 113). Unter Bezug auf Irvine (1988)8 verweisen
Strasser und Steber darauf, „dass für Schüler/innen aus ethnischen Minderheiten die
Lehrperson eine weitaus wichtigere Rolle in ihrem Leben einnimmt, als dies für
Angehörige der Majorität der Fall ist“ (Strasser/Steber 2010, 113). Außerdem könne die
Wirksamkeit von Lehrpersonen mit Migrationshintergrund durch sozialpsychologische
Forschungen zu Stereotypen erklärt werden. Da Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer
oft erkennbaren Zugehörigkeit zu einer Minderheit mit negativen Stereotypisierungen
konfrontiert seien, wirke es sich förderlich aus, ein positives Rollenvorbild zu haben,
welches selbst einer stereotypisierten Gruppe angehört (vgl. ebd. 114). In der
Untersuchung von Georgi, Ackermann und Karakaş zeigten sich in Bezug auf die
Vorbildfunktion seitens der befragten Lehrerinnen und Lehrer unterschiedliche
Sichtweisen. Während ein Großteil die Rolle als Vorbild annimmt und sich bemüht, diese
auszufüllen, sehen andere diese Erwartung aber auch als Belastung an (vgl. Pressedienst-
Wissenschaft Nr.280/2010, 3).
Des Weiteren nahmen die Forscherinnen die Rolle der Befragten im Schulkollegium in den
Blick. Akzeptanz, Anerkennung und Wertschätzung wurden positiv bewertet. Fast zwei
Drittel stimmten der Aussage „Ich fühle mich im Kollegium anerkannt“ zu. Allerdings sind
der Studie zufolge Lehrerinnen und Lehrer im deutschen Bildungssystem mitunter auch
von Diskriminierungen betroffen. 13 Prozent schilderten Diskriminierungserfahrungen
während des Studiums. 23 Prozent der Befragten gaben an, während der 2.
Ausbildungsphase Diskriminierung erlebt zu haben. Ebenso viele geben benachteiligende
oder diskriminierende Erfahrungen in der schulischen Praxis an. Es wird konstatiert, dass
„die Befunde der Studie zeigen, dass die Befragten in unterschiedlicher Ausprägung,
Akzentuierung und Intensität und zumeist im Lehrerzimmer weiterhin Diskriminierung
erleben, und zwar in allen in der Studie untersuchten Diskriminierungsformen im Kontext
Schule. – Dazu gehören: Diskriminierung aufgrund phänotypischer Merkmale, aufgrund
des ethnisch-kulturellen Hintergrundes, aufgrund von Sprache […] und aufgrund von
Religionszugehörigkeit […] sowie strukturelle und institutionelle Diskriminierung
(Pressedienst-Wissenschaft Nr.280/2010, 3).
Auch im Hinblick auf die Situation von Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund
muss die Forschungslage auf nationaler Ebene als dürftig bezeichnet werden. Wie bereits
erwähnt, entscheiden sich von den Studierenden mit Migrationshintergrund in Deutschland
besonders wenige für ein Lehramtsstudium. Nach Angaben des Deutschen Studentenwerks 8 Die Quellenangabe zu Irvine (1988) fehlt im Literaturverzeichnis Strasser/Steber (2010).
10
betrug ihr Anteil im Jahr 2006 nur 6 Prozent (vgl. BMBF 2007, 440). Zum gleichen
Zeitpunkt lag der Anteil der Studierenden mit Migrationshintergrund an der gesamten
Studentenschaft an deutschen Universitäten bei 8 Prozent (vgl. ebd., 8). Forschungs-
ergebnisse zur Situation dieser Lehramtsstudierenden liegen bislang nur aus einer Bremer
Regionalstudie mit dem Titel „Studienmotivation, -erfahrungen und -verlauf von
Lehramtsstudierenden mit und ohne Migrationshintergrund“ (Karakaşoğlu) vor. Neben der
Erhebung des tatsächlichen Anteils der Studierenden mit Migrationshintergrund über die
Staatsbürgerschaft und die ausländische Hochschulzugangsberechtigung hinaus, sollte
untersucht werden, welche Art der Unterstützung von den Studierenden selbst gewünscht
wird (vgl. Karakaşoğlu 2011, 128). Das Forschungsanliegen dieser Untersuchung weist
damit eine enge inhaltliche Nähe zu der vorliegenden Arbeit auf. Da das Geburtsland der
Eltern bei der Feststellung des Migrationshintergrundes erhoben wurde, ergab sich in
Bremen ein deutlich höherer Anteil unter den Studierenden. Von den 304 befragten
Lehramtsstudierenden traf auf 25 Prozent die Kategorie „Migrationshintergrund“ zu (vgl.
ebd.). Im Rahmen der Studie konnten die Befunde des Deutschen Studentenwerks zum
sozioökonomischen Status der Studierenden mit Migrationshintergrund bestätigt werden.
Karakaşoğlu wies ebenfalls nach, dass diese Gruppe der Studierenden überproportional
häufig aus Familien mit einem niedrigeren sozialen Status stammt (vgl. dies., 129). Die
Studie belegt außerdem, dass sich Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund von
ihren Kommilitonen ohne Migrationshintergrund in Bezug auf ihre Studienfinanzierung
unterscheiden: „Studierende mit Migrationshintergrund finanzieren sich in erster Linie
über BAföG, in zweiter Linie über die Eltern/Familie - bei den Studierenden ohne
Migrationshintergrund ist dies umgekehrt“ (Karakaşoğlu 2010, 29).
Darüber hinaus wurde beleuchtet, welchen Unterstützungsbedarf die Studierenden mit und
ohne Migrationshintergrund haben:
- Ein mündliches Fachsprachentraining in Deutsch zur Unterstützung im Studium
wünschen sich 24 Prozent der Studierenden mit Migrationshintergrund. Bei den
Studierenden ohne Migrationshintergrund geben nur 11 Prozent an, hier einen
Unterstützungsbedarf zu haben.
- Ein schriftliches Fachsprachentraining wird von 28 Prozent dieser Studierenden
gewünscht. Hingegen besteht nur bei 14 Prozent der Studierenden ohne
Migrationshintergrund der Wunsch, hier Angebote zu erhalten (vgl. Karakaşoğlu
2011, 129).
11
- Der größte Unterstützungsbedarf zeigt sich bei organisatorischen Fragen. Beim
Arbeits- und Zeitmanagement äußern 72 Prozent der Studierenden mit und 59
Prozent ohne Migrationshintergrund den Wunsch, Unterstützung zu erhalten.
Hinsichtlich Studienplanung und –aufbau liegt der Anteil sogar bei 88 Prozent
(mit Migrationshintergrund) bzw. 74 Prozent (vgl. Karakaşoğlu 2010, 30).
Auf den ersten Blick zeigte sich jedoch kein Unterschied bei den Gründen für die Wahl des
Studienganges. Die Freude an der Arbeit mit Kindern und der Wunsch, Wissen zu
vermitteln, spielt auch bei Studierenden mit Migrationshintergrund eine deutlich größere
Rolle, als der Wunsch, auf Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund besonders
eingehen zu wollen. Im direkten Vergleich geben aber Studierende mit
Migrationshintergrund diesen Grund signifikant häufiger an, als die Studierenden ohne
Migrationshintergrund (14% vs. 3%).
Die dargestellten Befunde zu (zukünftigen) Lehrerinnen und Lehrern mit
Migrationshintergrund weisen auf Handlungsbedarf hin, damit mehr junge Menschen aus
dieser Bevölkerungsgruppe den Lehrerberuf ergreifen. An welchen Stellen Unterstützung
an der Universität Kassel ansetzen könnte, soll durch die Analyse der Interviews ermittelt
werden.
3. Qualitatives Material
Im August 2010 führte ich leitfadengestützte Experteninterviews mit neun (ehemaligen)
Lehramtsstudierenden der Universität Kassel durch. Das Experteninterview ist dadurch
gekennzeichnet, dass der Befragte als Stellvertreter für eine Gruppe und damit als Experte
für ein bestimmtes Handlungsfeld betrachtet wird (vgl. Flick 2007, S. 214). Meuser und
Nagel weisen darauf hin, dass der Expertenbegriff noch nicht hinlänglich diskutiert ist und
schlagen folgende Definition vor: "Expertin ist […] ein hinsichtlich des jeweiligen
Erkenntnisinteresses vom Forscher verliehener Status; jemand wird zum Experten in ihrer
und durch ihre Befragtenrolle" (vgl. Meuser/Nagel 1991, S. 443; Walter 1994, S. 271; zit.
n. Meuser/Nagel 1997, S. 483f.). Flick definiert unter Bezug auf Boger und Menz den
Befragten als Experten folgendermaßen: "Der Experte verfügt über […] Prozess- und
Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches professionelles oder berufliches
Handlungsfeld bezieht, […] in das verschiedene und durchaus disparate Handlungs-
maximen und individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen und soziale
Deutungsmuster einfließen" (dies. 2002, S. 46; zit. n. Flick 2007, S. 215).
12
Experteninterviews werden in der Regel an Hand eines Leitfadens geführt, der je nach
Bedarf flexibel eingesetzt werden kann (vgl. Meuser/Nagel 1997, S. 486.). In der hier
dargestellten Untersuchung wurde der Leitfaden in Anlehnung an das Problemzentrierte
Interview nach Witzel (2000) konzipiert, das auf „eine möglichst unvoreingenommene
Erfassung individueller Handlungen sowie subjektiver Wahrnehmungen und
Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität“ (ebd. o. S.) abzielt. Zu Beginn des
Interviews wurden die Sozialdaten abgefragt. Dadurch sollte das nachfolgende Interview
von Fragen entlastet werden, die als Frage-Antwort-Schema aufgebaut sind, wodurch die
Konstruktion von subjektiven Sichtweisen nicht gestört werden sollte (vgl. ebd.). Daran
schlossen sich offene Fragen zu folgenden Themenbereichen an:
- Berufsmotivation
- Studienverlauf
- Studienfinanzierung
- Ideen für das Mentorenprogramm
- Familiäre Unterstützung/ Akzeptanz
Von den neun befragten Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund (B1 bis B9)
waren acht weiblich. Die Interviewpartner stammten aus allen vier Lehramts-
studiengängen. Ihr Migrationshintergrund bezieht sich auf vier verschiedene Länder: Iran,
Polen, Tansania, und die Türkei. Drei der Befragten sind in Deutschland geboren. Die
Altersspanne lag zwischen 19 und 34 Jahren, das Durchschnittsalter betrug rund 26 Jahre.
Der Studiengang Lehramt an Grundschulen (L1) war mit drei Interviewpartnern vertreten,
von denen zwei das Studium bereits abgeschlossen hatten und gerade den
Vorbereitungsdienst absolvierten. Jeweils zwei Interviewpartner studierten Haupt- und
Realschullehramt (L2), Gymnasiallehramt (L3) und Wirtschaftspädagogik (L4). Die Dauer
der Interviews lag zwischen 1:42 Stunden und 34 Minuten. Im Mittel betrug die
Interviewdauer 1:08 Stunden. Alle Interviewpartner wurden zuvor über das geplante
Projekt und das Anliegen des Interviews informiert. Fünf von ihnen hatten zuvor an einem
informellen Treffen teilgenommen, zu dem durch Aushänge eingeladen wurde und bei dem
erste Ansätze des Mentorenprogramms vorgestellt und ein Erfahrungsaustausch zwischen
den Studierenden angestoßen wurde. Drei der neun Interviews wurden vollständig
transkribiert, die anderen Interviews zunächst akustisch analysiert und nur die relevanten
Passagen transkribiert. Alle Interviews wurden mit dem Programm MAXqda
inhaltsanalytisch ausgewertet.
13
4. Auswertungsmethode: Qualitative Inhaltsanalyse
Die Interviews werden einer Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring unterzogen, die als
"eine der klassischen Vorgehensweisen zur Analyse von Textmaterial" (Flick 2007, 409)
gilt und an den verschiedensten Textarten zum Einsatz kommen kann. Für die Auswertung
von Experteninterviews empfehlen Meuser und Nagel die Qualitative Inhaltsanalyse (vgl.
dies. 1997, 488), deren zentrales Anliegen die Entwicklung von Kategorien, ist. Die
Qualitative Inhaltsanalyse stellt ein regelgeleitetes Vorgehen dar, durch das Transparenz
und intersubjektive Nachvollziehbarkeit gewährleistet werden sollen (vgl. Mayring/
Brunner 2010, 328). Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Zuordnung von
Textmaterial zu inhaltsanalytischen Kategorien immer bereits einen ersten
Interpretationsvorgang darstellt (vgl. ebd., 7).
Die Auswertung erfolgt in Anlehnung an die strukturierende Inhaltsanalyse, welche die
zentrale inhaltsanalytische Technik darstellt (vgl. Mayring 2008, 82). Ziel ist es,
„bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten
Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material
aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen“ (ebd., 58).
5. Fragestellungen und Kategorien
Wie bereits erwähnt, wurden die Interviews durchgeführt, um Informationen für die
Entwicklung des Mentorenprogramms zu gewinnen. Daher werden die Probleme im
Studium und der Unterstützungsbedarf der Studierenden mit Migrationshintergrund in den
Fokus der Analyse gerückt. Darüber hinaus wird beleuchtet, aus welchen (biographischen)
Gründen das Lehramtsstudium gewählt wurde und welche Vorschläge die Befragten für
das Mentoring haben. Folgende Fragestellungen liegen der qualitativ-inhaltsanalytischen
Auswertung zugrunde:
1. Welche Gründe werden für die Studienwahl angegeben?
2. Welche Probleme und Ängste treten im Studium auf?
3. Welcher Unterstützungsbedarf wird artikuliert?
In Korrespondenz dazu wurden vier Hautkategorien (Studienwahl, Probleme, Ängste,
Unterstützungsbedarf) gebildet, anhand derer die Interviews kodiert wurden.
Die Ergebnisse dazu werden im folgenden Kapitel aufgezeigt.
14
6. Ergebnisse der Qualitativen Inhaltsanalyse
6.1 Studienwahl
Unter diese Kategorie wurden alle Aussagen gefasst, in denen die Befragten angeben, aus
welchen Gründen sie sich für ein Lehramtsstudium entschieden haben. Insgesamt fallen
hierunter 37 Kodierungen.
Negative Erfahrungen während des eigenen Bildungswe ges
Negative Erfahrungen in der eigenen Bildungsbiographie als Migrantin bzw. Migrant und
der Wunsch, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund als Lehrkraft gezielt zu
unterstützen, geben vier der neun Befragten als Grund für die Wahl des Lehramtsstudiums
an.
B1 beschreibt im Interview einen Bildungsweg voller Hürden. Nachdem sie im Alter von
10 Jahren nach Deutschland kam, wurde sie in die erste Klasse eingeschult. Trotz guter
Leistungen in der Grundschule erhielt sie keine Gymnasialempfehlung und besuchte
anschließend die Förderstufe. Sie schildert, nach der 6. Klasse, im Alter von 16 Jahren,
keine Schulverlängerung erhalten zu haben, so dass sie die Schule ohne Abschluss
verlassen musste. Auf eigene Initiative hin holte sie den Hauptschulabschluss nach,
besuchte die Abendschule, um den Realschulabschluss zu erlangen und absolvierte
anschließend eine Ausbildung zur Betriebswirtschaftsassistentin. Anschließend bewarb sie
sich an der Kunsthochschule und studierte Bildende Künste. Nach dem Abschluss des
Studiums entschied sie sich, das Lehramtsstudium aufzunehmen:
„Aber ich hab mich bewusst hierfür entschieden, weil ich gesagt habe, nachdem ich
das dann alles so durchgemacht habe, hab ich mir gedacht, also da muss was
geschehen [...] ich [will] auch selber [...] versuchen, das zu ändern“ (B1)
Besonders schwierige Startbedingungen im deutschen Schulsystem schildert auch B8. Sie
musste wegen schlechter Deutschkenntnisse bereits die erste Klasse wiederholen und
berichtet, von der Lehrerin mit der Umschulung auf eine Sonderschule „bedroht“ worden
zu sein. Förderung in der Grundschule habe sie keine erhalten. Da ihre Mutter
Analphabetin ist, konnte sie auch zu Hause kaum unterstützt werden. Aus diesen
Erfahrungen erwächst die eigene Berufsmotivation:
15
„Naja, wenn ich weiß, die Schule hat mich nicht gefördert und dementsprechend
sehe ich halt zu, dass ich meine Schüler, die da vor mir sitzen und das nicht
verstehen, sie im Unterricht mit Differenzierung fördere und da auch viel bewusster
damit umgehe und weiß, wie es einem Kind so geht, deren Mutter und Vater
Analphabeten sind. […] Ich habe hier immer noch in meiner Klasse Kinder, wo die
Mutter und der Vater in der jetzigen Zeit, ich meine, bei mir ist das 30 Jahre her,
aber in der jetzigen Zeit noch Analphabeten sind. Wo man als Lehrerin an seine
Grenze kommt, und wo ich dann denke, ja, bleib mal ganz unten, dir ging es auch
nicht besser, und dieses kann man halt nicht erlernen. […]
Ich wollte Lehrerin werden, um Kinder erst einmal nicht so abzustempeln, dass
Kinder nicht sitzenbleiben, so wie ich das damals als Kind erlebt habe. […] Das ist
so der größte Anlass, warum ich jetzt gesagt habe, ich will Lehrerin werden, die
Kinder unterstützen und dass da keiner zu Unrecht in eine Sonderschule, in eine
Förderschule gehen muss.“ (B8)
Sehr deutlich formuliert auch B4, sich aufgrund eigener negativer Erfahrungen für den
Beruf des Lehrers entschieden zu haben:
„Die Lehrer dort [an einer Fachoberschule; Anmerkung I.N.] haben […] die ganze
Klasse, auch Schüler ohne Migrationshintergrund, […] schlecht behandelt. Sie
haben gesagt, warum bringe ich euch das bei, ihr werdet doch so und so Hartz IV
bekommen. […] An der Fachoberschule habe ich gesehen, dass die Lehrer nicht so
mit den Schülern umgehen, wie das eigentlich sein sollte, und ich wollte auch den
Schülern mit Migrationshintergrund helfen. Ich weiß wie es ist, ich kann mich
besser […] in die Situation hineinversetzen, ich habe das schon mal erlebt.“ (B4)
Vorbildfunktion
Ein häufig genannter Grund, selbst Lehrerin oder Lehrer werden zu wollen, ist der
Wunsch, Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ein Vorbild zu sein. Dies
wird explizit von sechs Studierenden formuliert. Auf die Frage, warum sie sich für das
Lehramtsstudium entschieden hat, schildert beispielsweise B1 den Gedanken der
Vorbildfunktion folgendermaßen:
„Haupt- und Realschule, […] weil da, gerade da einige Sachen schief laufen und
dementsprechend, […] ich möchte gerne Schülern mit Migrationshintergrund auch
so eine Art Vorbild [sein], […] ich bin ein lebendes Beispiel, […] ich hab den
selben Hintergrund wie ihr und hab das trotzdem geschafft, und dass man denen
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auch mal Wege zeigen kann, dass man das kann, dass die sich auch nicht selber
aufgeben und resignieren.“ (B1)
Weiter gibt sie an, sich als „Multiplikator zwischen zwei Welten“ zu sehen.
B4 hofft, wegen des eigenen biographischen Hintergrundes als Motivator für Schülerinnen
und Schüler mit Migrationshintergrund fungieren zu können:
„Ich denke, das wäre eine extra Motivation für die Schüler, weil die dann [sehen],
einer von uns […], der hat das geschafft und ich kann das auch, wenn er das kann.
Und ich hoffe, dass würde dann auch weiterhelfen, mehr Ausländer, Migranten,
Schüler mit Migrationshintergrund auch zum Studium bewegen können.“ (B4)
B7 arbeitet neben dem Studium in der Mittagsbetreuung einer Grundschule und schildert
aus diesen Erfahrungen heraus das Gefühl, den Kindern ein Vorbild sein zu können:
„Da ist man eher so ein Vorbild für die Kinder. Sobald die erfahren, man ist aus
einem anderen Land oder spricht mehrere Sprachen, die finden das wirklich ganz toll
und das motiviert die eher. Die denken sich, ich könnte es ja auch schaffen.“ (B7)
Kulturelle Nähe
Der eigene kulturelle Hintergrund wird von vier der Interviewten als Ressource für die
Arbeit in der Schule erlebt. Es werden Vorteile für die Arbeit mit Schülerinnen und
Schülern mit Migrationshintergrund und deren Eltern geschildert.
„Ich glaube, […] wenn ich dahin komme und denen das erzähle, das ist
authentischer und glaubwürdiger, als wenn jetzt eine Lehrerin kommt, die keinen
Migrationshintergrund hat. […] Ich hab das auch im Praktikum gemerkt. Ich bin
da rein, habe meinen Namen an die Tafel geschrieben, gleich wird dann gefragt,
gecheckt, okay, […] woher kommt es, dass die Mädels um mich herum stehen und
mich ausfragen, […] dann sofort einen Bezug zu sich selber finden, zu ihrem
Leben“ (B1)
B4 sieht einen Vorteil darin, dass die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund
zu einem Lehrer mit gleichen Erfahrungen einen besseren Zugang finden:
„Ich glaube, das würde den Schülern einiges erleichtern, weil sie sehen, ich bin auch
ein Lehrer mit Migrationshintergrund, und sie wären dann wahrscheinlich auch
offener mir gegenüber, wie gesagt, ich bin ja auch ein Ausländer und das ist so,
gegenüber Deutschen verschließen sich die meisten Schüler mit
17
Migrationshintergrund. Aber wenn sie sehen, da ist einer von uns, dann würden sie
sich auch öffnen. Ich würde das auch so machen, ich würde lieber zu einem gehen,
der von meinen Leuten ist, weil ich weiß, er denkt genauso wie ich.“ (B4)
Zudem stellt er seine Kompetenz der Zweisprachigkeit als Bereichung für das Schulsystem
heraus:
„Ich finde das auch besser wenn man zum Beispiel bei den Elternabenden, die
meisten sind ja Türken, dass man dann auch gezielter die Probleme ansprechen
kann, auf ihrer Heimatsprache, dass sie das dann auch verstehen, weil
normalerweise fängt das Problem zu Hause an, die Schüler sagen nichts den Eltern
und die Eltern verstehen sowieso kein Deutsch und können nicht helfen, aber wenn
sie verstehen würden, was das Problem ist, würden sie zu Hause den Kindern auch
helfen und das fehlt, finde ich, im deutschen Schulsystem“ (B4)
Integration/ Interkulturelle Schule
Eine bessere Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in das
System Schule führen vier Personen als Motivationsgrund für die eigene Lehrertätigkeit
an:
„Dass sie sich auch dann dazugehörig fühlen. Ich denke, wenn man sich
angenommen fühlt, dann gibt man auch etwas weiter. Da fängt nämlich […]
Integration an. Wenn man angenommen wird, dann gibt man auch Vieles wieder
zurück. Also, ich denke, das wäre dann schon auch ein Schritt dazu.“ (B1)
„Ich denke mal, die würden sich auch wohler fühlen, wenn die auch einige Lehrer
mit Migrationshintergrund hätten. Das würde die Arbeit auch erleichtern, weil sie
wahrscheinlich denken, hier habe ich jetzt jemanden, der nicht nur sagt, was ich zu
tun habe, sondern auch bescheid weiß, wie es für mich ist.“ (B6)
Eine der Befragten äußert, durch den eigenen Migrationshintergrund einen Beitrag zur
interkulturellen Schule leisten zu wollen, von dem auch Schülerinnen und Schüler ohne
Migrationshintergrund profitieren können:
„Ich finde es eigentlich ganz gut, dass die Kinder [mit deutscher Abstammung;
Anmerkung I.N.] damit in Berührung kommen, […] dass es für die irgendwann mal
selbstverständlich ist, dass ein Lehrer rein kommt, der dunkelhäutig ist, […]
südländisch aussieht oder einen anderen Namen trägt. Vielleicht kann der Lehrer
auch dazu beitragen, dass die Kinder auch zusätzlich etwas über verschiedene
Kulturen lernen, wie die Kulturen sind oder wie die Leute denken.“ (B1)
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Des Weiteren wurden die Freude an der Arbeit mit Kindern, fachliches Interesse, die
Sicherheit des Lehrerberufs und gute Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und
Beruf als Gründe für die Studienwahl genannt.
6.2 Probleme
Zentrales Anliegen der Interviews war es, herauszufinden, mit welchen spezifischen
Problemen die Studierenden mit Migrationshintergrund konfrontiert sind. Dieser
Themenbereich ist für das Projekt besonders relevant, da es darum gehen soll, Angebote zu
entwickeln, die an den realen Problemen der Studierenden ausgerichtet sind. Es zeigte sich
eine breite Palette von Problembereichen, die im Folgenden erläutert werden. Insgesamt
wurden unter diese Kategorie 78 Textstellen subsumiert.
Studienberechtigung
In der Befragung zum Bildungsverlauf durch das deutsche Schulsystem wurde deutlich,
dass nur drei der neun Befragten über eine allgemeine Hochschulreife verfügen. Die
anderen sechs verfügen über die Fachhochschulreife, die teilweise nebenberuflich oder per
Abendschule auf dem zweiten Bildungsweg erworben wurde.
In den Interviews wird geschildert, dass dadurch im Vergleich zu anderen Studierenden
Defizite vorhanden seien, deren Kompensation eine besondere Herausforderung darstellt.
B1 äußert sich dazu wie folgt:
„Das kostet auch Kraft, muss man dazu sagen, […] diese Defizite, die man selber
kompensieren muss, irgendwie ausgleichen muss. Ich mein, 6. Klasse und nachher
Hauptschule und BVJ [Berufsvorbereitungsjahr; Anmerkung I.N.], das ist […] vom
Bildungsniveau her nicht so viel, man hat sich zwar die
Hochschulzugangsberechtigung auf dem 2. Bildungsweg irgendwie beschaffen,
aber Defizite, wie die einen dann immer noch sozusagen plagen. [… ] Ich hab
aufzuholen, auf jeden Fall. […] wenn jemand 13 Jahre in der Schule war, hat der
ein ganz anderes Bildungsniveau, als jemand […] der sich über Umwege diese
Möglichkeit schafft, ist klar.“ (B1)
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B8 konstatiert:
„Obwohl der Weg Fachabitur, Sozialwesen und dann Lehramt eigentlich auch
nicht einfach ist im Studium, weil einem da Basiswissen fehlt, wäre es gar nicht so
schlecht gewesen, trotzdem das Abendgymnasium zu machen, statt das Fachabitur,
weil da hätte ich eine gewisse Basis vom Abitur mitgebracht.“ (B8)
Finanzielle Situation
Ein weiteres Problem, das von einem Großteil der befragten (6 von 9) Studierenden
genannt wird, ist die finanzielle Situation im Studium. Es wird mehrfach geschildert, dass
seitens der Eltern keine oder nur eine geringfügige finanzielle Unterstützung möglich sei,
weswegen Jobben neben dem Studium, teils in erheblichem Umfang, erforderlich sei. Dies
führe mitunter zu Problemen im Studium, da sehr viel Zeit für Nebentätigkeiten
aufgewendet werden müsse.
„Also ich konnte gar kein Geld von meinen Eltern nehmen. Das war schon extrem
hart, wenn ich da gesehen habe, dass andere Studenten von Mami und Papi eine
Zweizimmerwohnung bezahlt bekommen und gleichzeitig noch Taschengeld und
Studiengebühren, das war schon heftig. […]. Also es war wirklich extrem knapp.
Ich glaube wir konnten in der Woche nur 20 Euro für Essen ausgeben. Das war
ganz klar. Das ging dann die ersten Semester so und das war eben schon
schwierig.“ (B3)
Des Weiteren schildert eine Studentin, ihre Eltern ungern um Geld zu bitten, da diese die
Situation einer Studentin nicht nachvollziehen könnten:
„Es ist auch so, dass meine Eltern relativ früh auf eigenen Beinen stehen mussten.
Das ist auch so ein bisschen ein Konflikt, einerseits sind sie stolz auf uns und freuen
sich, dass wir uns weiterbilden und studieren, aber andererseits möchten sie auch,
dass wir bald auf eigenen Beinen stehen und uns möglichst alleine finanziell über
Wasser halten und deswegen hat man da so ein bisschen so eine Scheu, die Eltern
um Geld zu fragen. […] Sie [können] nicht nachvollziehen, dass man nebenbei
nicht so viel Zeit findet, um zu arbeiten und Geld zu verdienen, weil es ihnen eben
fremd ist, das ist so ein bisschen schwierig, (...) weil die Ausbildung so lange geht.“
(B5)
Als besonders schwierig schildert B7, die auf dem zweiten Bildungsweg studiert, ihre
finanzielle Situation. Zu Beginn des Studiums habe sie BAföG erhalten. Da sie nebenher
20
arbeitet, habe sie nicht ausreichend Leistungsnachweise vorlegen können, so dass sie nun
kein BAföG mehr erhalte. Sie berichtet, parallel mehrere Nebenjobs zu haben und arbeitet
darüber hinaus weiter in ihrem vorherigen Beruf. Sie schildert, dass sich die Tätigkeit
verzögernd auf das Studium auswirkt:
„Ich kann nicht so viele Sachen belegen, wie die anderen belegen, ich muss mir das
schon aussuchen. Vor allem habe ich am Anfang auch den Fehler gemacht, alles
voll gepackt, neben der Arbeit, bin am Anfang hin und später, wenn die Klausuren
waren, sechs bis sieben Klausuren auf einmal, das habe ich nie im Leben geschafft.
Da hat man draus gelernt, dann sucht man sich nur zwei Sachen raus, die man
vernünftig macht und das war es dann im Semester“. (B7)
Das finanzielle Problem korrespondiert mit der Tatsache, dass eine große Unwissenheit
hinsichtlich finanzieller Unterstützungsmöglichkeiten besteht. Fast alle Befragten geben
an, nichts über Finanzierungsmöglichkeiten durch Stipendien zu wissen. Es herrscht der
Glaube vor, dass diese nur für besonders leistungsstarke Studierende in Frage kämen,
weswegen sich die meisten nicht mit dieser Möglichkeit auseinandergesetzt haben.
Exemplarisch hierfür ist folgende Aussage:
„Also ich habe das Gefühl, Stipendium, das ist so etwas Verborgenes, worum man
sich dann bewirbt, und wenn man Glück hat, dann kriegt man es, weil man dann
irgendwie nur überall Einsen hat und sonst gar nicht. Also so war das immer in
meiner Vorstellung, dass man dann eine super Studentin sein muss, die überall gut
und sehr gut, also nicht mal gut, sondern sehr gut abschließt, um das dann
überhaupt zu bekommen, und deswegen war das dann für mich (lacht) gar nicht in
meinem Blick.“ (B2)
Nur eine Studentin erhält ein Stipendium einer Stiftung in Höhe des BAföG-Höchstsatzes
(585 Euro) sowie ein zusätzliches Büchergeld in Höhe von 80 Euro:
„[…] also ohne Stipendium hätte ich mit Sicherheit nicht mein Lehramtsstudium
[…] anfangen können. Also, gar nicht, ich glaub nach zwei Monaten hätte ich
aufgehört, auf jeden Fall, weil ich das finanziell absolut nicht schaffen kann.“ (B1)
Finanziell unbelastet sind lediglich drei Studierende mit türkischem
Migrationshintergrund. Alle drei wohnen noch bei den Eltern, so dass Kosten für Miete
etc. entfallen. Auf Nachfrage geben alle an, nicht den Wunsch zu haben, auszuziehen und
selbstständig zu leben, wobei finanziellen Gründe nicht ausschlaggebend zu sein scheinen.
21
Sprache
Sechs der Befragten geben an, sprachliche Probleme zu haben, insgesamt fallen 20
Kodierungen unter diese Subkategorie. Diese erstrecken sich sowohl auf den mündlichen,
als auch den schriftlichen Sprachgebrauch. Es werden grammatikalische Probleme, aber
auch Schwierigkeiten im mündlichen und schriftlichen Umgang mit der Fachsprache
geschildert. B4 äußert beispielsweise, dass sich seine Muttersprache grammatikalisch stark
vom Deutschen unterscheidet, woraus Schwierigkeiten resultieren:
„Auf jeden Fall würde ich sagen, bei mir ist das die Rechtschreibung, ich habe
Rechtschreibschwächen, und das würde ich auch gerne verbessern, und manchmal
ist es ja so, im Türkischen gibt es kein der, die, das, Artikel, und dann vergisst man
die, wenn man Sachen auf Deutsch übersetzt, vergisst man diese Artikel.“ (B4)
Für B8 sind neben dem schriftlichen Bereich auch mündliche Situationen im Studium mit
Ängsten behaftet:
„Über Fachwissen zu argumentieren, da haben ganz viele ausländische
Studierende Schwierigkeiten, denke ich. Ich habe da auch meine Schwierigkeiten
gehabt. Das war auch der Grund, warum ich in der mündlichen Prüfung so zitternd
da saß und einfach Angst hatte.“ (B8)
Für B1 führen sprachliche Defizite mitunter dazu, Zweifel an der Wahl des Studienfaches
zu entwickeln:
„Wenn ich gerade an einer Hausarbeit sitze, wo ich dann meine Probleme habe,
dann würde ich am liebsten alles hinschmeißen und sagen, was habe ich mir
überhaupt gedacht, […] wieso mache ich mir das Leben so schwer. Wenn ich nicht
mal richtig Sachen schreiben kann, was formulieren kann und eine Hausarbeit
schreiben kann, dann bin ich nicht dafür geeignet, um als Lehrer zu arbeiten. Also
man ist soweit, dass man die Meinung der anderen annimmt.“ (B1)
Hinzu kommt, dass im privaten Umfeld Unterstützungsmöglichkeiten fehlen, wie
beispielweise B3 schildert:
„Ich hatte das Problem, wer soll meine Examensarbeit Korrektur lesen können,
[…] alle anderen lassen ihre Eltern Korrektur lesen, meine Eltern können nicht
Korrektur lesen.“ (B3)
22
Diskriminierungserfahrungen
In den Interviews zeigte sich, dass die Studierenden vor allem in der Schulpraxis mit
Diskriminierungen konfrontiert sind. Sehr konkret schildert B3 das Gefühl, in der Schule
aufgrund ihres Migrationshintergrundes von Lehrern nicht akzeptiert und auf ihre Herkunft
reduziert zu werden:
„Ich erinnere mich zum Beispiel daran, ich habe ein Praktikum gemacht, hier an
einer Schule, das war in XY, da hat mich der Mentor angeguckt wie, warum bist du
eigentlich hier, was suchst du hier eigentlich, also im Sinne von, was suchst du hier
in Deutschland und das war auch so unangenehm, und dann meinte der auch noch
so zu mir, das ist hier eine gute Schule, hier gibt es kaum Ausländer, wo ich auch
wieder dachte, Dankeschön, ich fühle mich gleich gut aufgehoben […] Ja, das war
der Mentor […]. Er hat mich ständig gefragt, was ich denn hier zu suchen habe,
warum bin ich überhaupt in Deutschland und irgendwie […] unterschwellig kam
dann auch so etwas wie, wie kannst du es überhaupt wagen, Deutsch zu studieren
(leiser) und dann in die Schule zu kommen. Das war irgendwie ganz blöd.“ (B3)
Weitere Interviewpartnerinnen deuten Diskriminierungserfahrungen im Studium, in den
schulpraktischen Studien oder im Referendariat an, zu denen sie sich jedoch nicht konkret
zu äußern wagen (vgl. dazu Georgi/Ackermann/Karakaş 2011, 214ff)
Weitere Problembereiche
Darüber hinaus wurden in den Interviews zahlreiche Problembereiche geschildert, die aber
aufgrund des vereinzelten Auftretens nicht in Subkategorien zusammengefasst werden
konnten. Daher werden im Folgenden einige Punkte stichpunktartig und mit
exemplarischen Zitaten aufgeführt:
- Mangelnder Zuspruch und Unterstützungsmöglichkeiten im privaten Umfeld:
„Die allgemeinen Probleme von Studierenden sind, sie bekommen halt auch wenig
Zuspruch durch Eltern für das Studium, von Verwandten oder von Freunden. Viele
sagen, ach, mach doch eine Ausbildung, statt zu studieren.“ (B8)
„Ich muss das mit mir selber ausmachen. […] Also da kommt kein Verständnis. Ja,
ich kann es nachvollziehen, dass du Angst davor hast, zu versagen, zu scheitern im
Referendariat. Wenn man so was anspricht oder mal darüber reden will, dann ist
es so, hä, du spinnst doch. […] Ich denke, das geht auch vielen anderen so, die
einen Migrationshintergrund haben.“ (B1)
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- Schlechtes gesellschaftliches Ansehen des Lehrerberufes im Herkunftsland:
„Ich glaube, in vielen Ländern aus denen die ausländischen Studenten oder
Studenten mit Migrationshintergrund kommen, ist der Lehrerberuf kein
angesehener Beruf.“ (B2)
- Mangelndes Zugehörigkeitsgefühl unter den Studierenden:
„Man kommt sich total blöd vor, weil ich das Gefühl habe, man findet niemanden
der jetzt so ist, wie ich, und das ist schwierig. Ich hab das auch immer vermisst,
[…] aber ich habe immer das Gefühl, ich passe da irgendwie nicht so ganz rein,
nirgends und das ist bitter.“ (B3)
- Bewältigung bürokratischer Aufgaben:
„Problematisch sind vielleicht solche Dinge, so bürokratische Sachen, BAföG-
Anträge ausfüllen oder so etwas, da hatte ich dann immer große Schwierigkeiten,
weil meine Eltern mir nicht dabei helfen konnten, das war immer sehr, sehr
mühsam.“ (B5)
- Kooperationsprobleme mit Kommilitonen aufgrund anderer Lebensbedingungen:
„Das Problem ist ja auch bei Lehramt, da kommen ganz viele direkt nach dem
Abitur. Problematisch wird es, wenn man mit denen Referate oder irgendwelche
Arbeiten machen muss. Viele haben auch kein Verständnis, dass man zu dem und
dem Termin nicht kommen kann, weil man arbeiten muss. Die können einfach nur
studieren und das war es halt.“ (B7)
6.3 Ängste
In Abgrenzung zu den erlebten Problemen wurde versucht, an Hand dieser Kategorie
subjektiv empfundene Ängste und Befürchtungen aus dem Interviewmaterial
herauszufiltern. 38 Interviewpassagen wurden dieser Kategorie zugeordnet.
Es wurde deutlich, dass vor allem die 2. Ausbildungsphase mit Ängsten behaftet ist:
„Ich hab schon panische Angst davor, im Referendariat zu versagen, weil das
Studium an sich habe ich ja jetzt bestanden, […] aber die Hürde kommt ja noch im
Studienseminar, während des Referendariats. […] Ich würde mich auch nicht
trauen, zum Studienseminarleiter oder zu irgendeinem Kursleiter hinzugehen und
sagen, ich hab da und da meine Probleme. Was würde er dann denken? Vielleicht
würde er es mir später im Unterrichtsbesuch ankreiden.“ (B1)
24
Unsicherheit herrscht auch davor, von Eltern als Lehrkraft mit Migrationshintergrund nicht
akzeptiert zu werden:
„Das ist ein großes Problem, also […]die Eltern [am Gymnasium; Anmerkung
I.N.] haben sowieso schon ihre Ziele im Blick, was aus ihren Kindern werden soll
und das ist dann schwierig, wenn man dann daher kommt und sagt, naja, Ausländer
in dem Sinne, die sagen da ja nie Migrationshintergrund oder sonst irgendetwas.
Die sehen dann ja schon jemanden, der anders aussieht und denken, was soll die
denn unserem Kind beibringen.“ (B2)
B9 schildert die Sorge, als Lehrerin auf ihren Migrationshintergrund reduziert zu werden:
„Als ich mein Praktikum gemacht habe, da gab es Elternsprechtage und da durfte
ich teilnehmen. Da kamen auch ausländische Eltern und da musste ich auch als
Übersetzerin dienen, und da hab ich mich gefragt, wenn du später mal Lehrerin
bist, wenn dann mal ausländische Eltern kommen, ob türkische Eltern dann
versuchen, mit mir türkisch zu sprechen versuchen […] dass ich mich dann nur auf
ausländische Schüler begrenze. […] Ich möchte auch Lehrerin der deutschen
Schüler sein.“ (B9)
In zwei Interviews wird auch die Angst geschildert, von Schülerinnen und Schülern nicht
als Lehrkraft akzeptiert zu werden:
„[…] und dann habe ich gemerkt, was man für Probleme hat als Lehrerin, wenn
man so vor einer Klasse steht und vor allem wenn die pubertieren […], und dann
habe ich mich gefragt, ja okay, wenn man jetzt schon als deutsche Lehrerin so
Probleme hat, hat man dann als eine türkische Lehrerin mehr Probleme, das fragt
man sich dann halt irgendwie.“ (B9)
B2 schildert ebenfalls Ängste, aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aussehens von den
Schülerinnen und Schülern nicht als Lehrerin angenommen zu werden:
„Also ich habe immer gedacht, die Kinder wären viel zurückhaltender, die werden
mich nicht annehmen, also diese Angst, wie Leute einem in der Gesellschaft
begegnen, diese Distanz, die habe ich dann auch bei den Schülern befürchtet. Habe
mir wirklich Sorgen gemacht und habe gedacht, naja, was machst du dann, wenn
das dann der Fall ist, wenn dich dann irgendwie die Schüler nicht annehmen oder
Schwierigkeiten mit dir haben, oder Eltern, das ist ja noch schlimmer, also das ist
dann wirklich das Härteste, dann hat man ein Problem.“ (B2)
25
Da sie mittlerweile bereits im Vorbereitungsdienst ist, berichtet sie aber auch, dass sich
diese negativen Erwartungen nicht realisiert haben:
„Mein Bild von mir, was ich gedacht habe, was ich erwartet habe, was die Kinder
haben werden, das hat sich dann als falsch herausgestellt, weil die Kinder sind
einfach total offen.“ (B2)
6.4 Unterstützungsbedarf
Die Befunde zum Unterstützungsbedarf der befragten Studierenden werden im Folgenden
stichpunktartig aufgelistet, in der Hoffnung, dass dies einen ausreichenden
Orientierungsrahmen für die Ausgestaltung des Mentorenprogramms darstellen kann.
Folgende Ideen für das Projekt und Bereiche, zu denen Unterstützung angeboten werden
könnte, artikulierten die Befragten:
- Möglichkeit zur (kostengünstigen) Korrektur von Hausarbeiten
- Seminare mit praktischen Schwerpunkten zur Vorbereitung für den Lehrerberuf
(z.B. Auftreten vor der Klasse)
- Rhetorik-Kurse
- Mündliches Fachsprachentraining
- Kurse zum wissenschaftlichen Arbeiten
- Kurse zur Kompensation von Defiziten im orthographischen und
grammatikalischen Bereich
- Kurse zur guten Gestaltung von Vielfalt in der Schule, zur gezielten Förderung
interkultureller Lernprozesse und zum Umgang mit den Rollen (Vorbildrolle,
Rolle der Kulturübersetzer)
- Umgang mit Diskriminierungserfahrungen
- Informationen über Stipendien
- Unterstützung bei Stipendien- und BAföG-Anträgen
- Lernräume in der Bibliothek
- Informationen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund über
Perspektiven des Lehrerberufs
- Informationen für Eltern von Schülerinnen und Schülern mit
Migrationshintergrund über den Lehrerberuf
- Förderung des Austausches zwischen Studierenden mit Migrationshintergrund
- Begleitung während der 2. Ausbildungsphase
- Kooperation mit Studienseminaren zur Vielfalt im Lehrerzimmer
26
7. Diskussion
Die Analyse der Interviews macht deutlich, dass das geplante Mentorenprogramm seitens
der Zielgruppe auf Bedarf und Resonanz stößt. Alle Befragten zeigten sich an dem Projekt
interessiert und brachten konstruktive Vorschläge in die Projektentwicklung ein. Es zeigte
sich, dass die Studierenden mit Migrationshintergrund mit verschiedenen Problemen
konfrontiert sind, an denen Unterstützungsangebote des Mentorenprogramms ansetzen
können. Sie äußerten vielfach, dass vor allem die finanzielle Situation im Studium als
problematisch empfunden wird. In Verbindung damit schildern die Befragten, dass seitens
der Eltern nur geringe finanzielle Unterstützung möglich sei. Mehrheitlich geben die
Studierenden an, ihre eigene Familie sei einer niedrigen bis mittleren sozialen Statusgruppe
zuzuordnen. Diese Informationen decken sich mit Aussagen in der Literatur, denen zufolge
Studierende mit Migrationshintergrund häufiger aus niedrigen sozialen Statusgruppen
stammen und weniger finanzielle Unterstützung aus dem Elternhaus in Anspruch nehmen
können (vgl. BMBF 2007, 432; Karakaşoğlu 2011, 129 ). Infolgedessen finanzieren von
den neun Befragten sieben ihr Studium unter anderem durch Jobs neben dem Studium, so
dass mitunter weniger Zeit in universitäre Aufgaben investiert werden kann. Zudem zeigte
sich in den Interviews, dass die Studierenden nur über unzureichende Informationen
hinsichtlich Stipendienmöglichkeiten verfügen. Es herrscht die Ansicht vor, dass dies nur
eine Option für besonders leistungsstarke Studierende sei, so dass der Versuch, auf diesem
Weg finanzielle Unterstützung zu bekommen, überwiegend nicht in Erwägung gezogen
wurde. Gerade vor dem Hintergrund, dass es aktuell einige Stiftungen gibt, die gezielt
Migrantinnen und Migranten im (Lehramts-) Studium fördern, sind an dieser Stelle
Informationen und Beratungsangebote zur Realisierung von Stipendienanträgen
erforderlich. Dies ist mit Sicherheit ein Teilbereich, an dem das Mentorenprogramm aktiv
ansetzen kann.
Ein Punkt, der für die Studierenden eine immer wiederkehrende Hürde darstellt, ist das
Erstellen von wissenschaftlichen Arbeiten. Von fast allen Befragten wurde geäußert, dass
diesbezüglich Unterstützungsbedarf vorhanden sei. Auch hier zeigten sich im Vergleich zu
anderen Studien (Karakaşoğlu 2011, 129) äquivalente Ergebnisse, so dass es als
abgesichert angesehen werden kann, dass insgesamt bei einem Großteil der
Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund diesbezüglich Handlungsbedarf besteht.
Denkbar wäre in diesem Bereich ein Korrekturangebot hinsichtlich Grammatik und
Orthographie, so dass Unsicherheiten und Ängste vor dem Einreichen von Hausarbeiten
reduziert werden könnten. Darüber hinaus würden dadurch mangelnde familiäre
27
Unterstützungsstrukturen, die aufgrund der Sprache und des Bildungshintergrundes der
Eltern existieren, kompensiert.
Im Rahmen der Interviews zeigte sich auch, dass ein vergleichsweise großer Anteil der
Befragten als „nicht-traditionelle Studierende“ (Alheit/Rheinländer/Watermann 2008)
bezeichnet werden kann. Darunter sind solche Studierenden zu verstehen, die nicht über
die allgemeine Hochschulreife verfügen, sondern über den zweiten oder dritten
Bildungsweg studieren. Von den neun Befragten verfügen nur drei über die allgemeine
Hochschulzugangsberechtigung. Alle weiteren verfügen über die Fachhochschulreife. Drei
der befragten Studentinnen haben den Weg zur Universität erst nach einer Ausbildung und
Berufstätigkeit gefunden, das Fachabitur deutlich später erworben und können somit also
als „nicht-traditionelle Studierende“ bezeichnet werden. Dadurch ergibt sich auch unter
den Studierenden mit Migrationshintergrund eine erhebliche Diversität. Inwiefern sich
diese Gruppe von Mitstudierenden ohne Migrationshintergrund unterscheidet, kann anhand
der vorliegenden Daten nicht beantwortet werden, da keine Vergleichsgruppe
herangezogen wurde. Ein Blick in die Literatur lässt aber die Vermutung zu, dass sich
unter den Studierenden mit Migrationshintergrund ein vergleichsweise hoher Anteil von
Studierenden mit Fachhochschulreife sowie „nicht-traditionellen Studierenden“ befindet.
Innerhalb der Gesamtstudierendenschaft liegt der Anteil der Studierenden mit allgemeiner
Hochschulreife bei 83 Prozent, weitere 13 Prozent verfügen über die Fachhochschulreife.
Ein geringer Anteil erlangt den Hochschulzugang fachgebunden oder gelangt über eine
andere Hochschulzugangsberechtigung (z.B. berufliche Qualifikation) zur Universität (3
bzw. 1 Prozent) (vgl. BMBF 2010, 57). Der überwiegende Teil der Befragten stammt aus
eher bildungsfernen Schichten und seine Eltern verfügen selbst nicht über ein
Hochschulstudium. Heine und Willich konstatieren, „dass sich Studienberechtigte, deren
Eltern selbst keine akademische Ausbildung abgeschlossen haben, überdurchschnittlich
häufig die Eignung für ein Universitäts- oder Fachhochschulstudium absprechen (18 % vs.
13 %)“ (vgl. dies. 2006, 27). Dazu kommen die von den Befragten geschilderten
Unsicherheiten und Ängste, aufgrund des Migrationshintergrundes für ein
Lehramtsstudium in Deutschland nicht geeignet zu sein. Unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass der Hochschulzugang in Deutschland noch immer hoch selektiv und stark
durch die soziale Herkunft beeinflusst ist (vgl. Alheit/Rheinländer/Watermann 2008, 579),
ist anzunehmen, dass auch hierin Gründe für den niedrigen Anteil von (Lehramts-)
Studierenden mit Migrationshintergrund liegen. Im aktuellen Bildungsbericht wird jedoch
darauf verwiesen, dass Personen aus bildungsfernen Familien einschließlich derer mit
28
Migrationshintergrund die wichtigste Gruppe darstellen, die es für eine höhere
Studienbeteiligung zu gewinnen gilt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010,
134). Um dies zu realisieren, sind aber auch spezifische Unterstützungsangebote
erforderlich. Unter Bezug auf Teichler und Wolter (2004) kritisieren Alheit, Rheinländer
und Watermann, dass Universitäten in Deutschland weitaus weniger als in anderen
Ländern Sorge dafür tragen, dass „nicht-traditionelle Studierende“ „mit ihren besonderen
‚Stärken’ und ‚Schwächen’ ihr Studium erfolgreich bewältigen“ (dies., 2008, 581). Das
Mentorenprogramm kann einen Beitrag dazu leisten, dieses Defizit auszugleichen und eine
Motivation darstellen, so dass sich mehr junge Migrantinnen und Migranten für das
Lehramtsstudium entscheiden.
Nicht zuletzt besteht in dem Mentorenprogramm für die Universität Kassel die
Möglichkeit, im Bereich des Lehramtsstudiums das eigene Profil zu stärken und einen
Wettbewerbsvorteil unter den deutschen Universitäten zu erlangen. Zu berücksichtigen ist
meines Erachtens der Vorschlag einer Studentin, bereits in den Schulen aktiv zu werden
und Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zum Lehramtsstudium zu
motivieren. Möchte man die Anzahl der Lehramtsstudierenden mit Migrationshintergrund
signifikant erhöhen, und nicht nur diejenigen, die sich sowieso bereits dafür entschieden
haben, unterstützen, scheint ein Angebot, dass ausschließlich im universitären Rahmen
verankert ist, nicht auszureichen. Um bereits frühzeitig jungen Migrantinnen und
Migranten das Lehramtsstudium als Perspektive aufzuzeigen, ist eine Kooperation mit
anderen Akteuren denkbar, wie zum Beispiel der Zeit-Stiftung, durch die das Projekt
„Schüler-Campus“ gefördert wird. Eventuell könnten hierbei auch Teilnehmerinnen und
Teilnehmer des Mentorenprogramms aktiv mitwirken und ihre Erfahrungen an zukünftige
Studierende mit ähnlichen biographischen Hintergründen weitergeben. Die potentiellen
Studierenden könnten auf diese Weise die Möglichkeit, an der Universität durch das
Mentorenprogramm Unterstützung zu erfahren, bereits frühzeitig kennenlernen, so dass die
Universität Kassel für diese Zielgruppe an Attraktivität gewinnen könnte. Die beteiligten
Studierenden könnten darüber hinaus praktische Erfahrungen in der Schule und im
Auftreten vor einer Gruppe sammeln, was mehrfach als Wunsch geäußert wurde.
In mehreren Interviews wurde auch das Anliegen geäußert, spezielle Seminare besuchen zu
können, in denen auf die Tätigkeit in der Schule vorbereitet wird. Ein solches Angebot
besteht an der Universität Kassel bereits seit längerem in Form des Projektes „BASIS“.
Das Seminar zur Förderung psychosozialer Basiskompetenzen für den Lehrerberuf
ermöglicht
29
- individuellen Erwerb von psychosozialen Basiskompetenzen
- Selbsterfahrung eigener Kommunikations- und Interaktionsmuster
- Reflexion der Studienwahlmotivation vor dem Hintergrund eigener Lernerfahrungen
- individuelle Beratung zur kompetenzorientierten Gestaltung der Ausbildung
(http://cms.uni-kassel.de/unicms/index.php?id=9035 [Zugriff: 04.07.2011])
Aufgrund der Interviews lässt sich sagen, dass all diese Bereiche wichtige Lernfelder auch
für die Studierenden mit Migrationshintergrund darstellen. Jedoch ist das Projekt „BASIS“
nicht für L4-Studierende geöffnet, so dass ein Teil meiner Interviewpartner nicht die
Möglichkeit hat, daran teilzunehmen. Darüber hinaus schilderten einige, dass die
migrationsbedingten Probleme und Unsicherheiten auch mit Scham besetzt sind und es
schwer fällt, über diese offen zu sprechen. Einige Interviewpartner brachten große
Erleichterung zum Ausdruck, im Rahmen des Projektes erstmals die Möglichkeit zu haben,
in einer Gruppe aus Studierenden mit gleichem Hintergrund darüber sprechen zu können.
Daher wäre es meines Erachtens ein sinnvoller Ansatz, auch eine Kooperation mit dem
Projekt „BASIS“ anzustreben, so dass spezielle Seminare für Lehramtsstudierende mit
Migrationshintergrund aus allen vier Lehramtsstudiengängen angeboten werden könnten.
Dabei muss jedoch die Möglichkeit bestehen bleiben, auch an einem regulären Seminar
teilzunehmen, um Diskriminierungen durch eine gesonderte Gruppenbildung zu
vermeiden. Ein weiteres Ergebnis, auf das ich an dieser Stelle eingehen möchte, sind die
beschriebenen oder angedeuteten Diskriminierungserfahrungen von Studierenden des
Lehramts. In der Studie von Georgi, Ackermann und Karakaş (2011, 215f) werden als
Diskriminierungsformen unterschieden: Diskriminierung aufgrund phönotypischer
Merkmale, Diskriminierung aufgrund des ethisch-kulturellen Hintergrundes,
Diskriminierung aufgrund von Sprache (Sprachbeherrschung, Akzent) und
Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit.
Auch wenn diesen Problemen nur schwer begegnet werden kann, sendet man durch das
Mentorenprogramm aber an die Studierenden selbst ein wichtiges Signal. Es wird deutlich
gemacht, dass sie als Lehramtsstudierende und zukünftige Lehrerinnen und Lehrer gewollt
und willkommen sind. Es wird signalisiert, dass sie gebraucht werden und eine wichtige
gesellschaftliche Bedeutung haben. Dadurch wird den Studierenden Respekt bekundet und
ihre Position auch nach außen aufgewertet, so dass solche negativen Erfahrungen
hoffentlich weniger entmutigend und verletzend wirken. Das Mentorenprogramm kann
damit einen wichtigen Beitrag zur Integration von jungen Migrantinnen und Migranten
leisten.
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Trotz der deutlichen Ergebnisse hinsichtlich des Unterstützungsbedarfs muss
einschränkend darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den Befragten um keine
zufällig ausgewählte Gruppe handelt. Da der Migrationshintergrund an der Universität
nicht im Sinne der Definition des Statistischen Bundesamtes (siehe Kapitel 1) erfasst
werden kann, war es nicht möglich, über offizielle Daten Teilnehmerinnen und Teilnehmer
für die Befragung zu gewinnen. Stattdessen wurden Studierende, die uns bekannt waren
oder von anderen Lehrenden an der Universität genannt wurden telefonisch oder per Email
kontaktiert und über das geplante Projekt informiert. So wurde versucht, die Bereitschaft
zur Teilnahme an einem Interview zu erhöhen. Daher ist ein sogenannter „Creaming-off-
Effekt“ (Alheit/Rheinländer/Watermann 2008, 583), der dadurch gekennzeichnet ist, dass
sich möglicherweise nur solche Personen bereit erklärten, die ohnehin Interesse an dem
Projekt haben, nicht auszuschließen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass keine
Vergleichsdaten aus Interviews mit Studierenden ohne Migrationshintergrund vorliegen.
Inwiefern diese mit vergleichbaren Problemen konfrontiert sind und ebenfalls
Unterstützungsbedarf hätten, kann nicht gesagt werden.
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8. Literaturverzeichnis
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