1
samstag, 16. mai 2020 wissen badische zeitung V samstag, 16. mai 2020 wissen badische zeitung V FRAGEN SIE NUR! Wohin verschwinden die Socken in der Waschmaschine? Zwei Socken hinein, eine hinaus: Die Gefräßigkeit von Waschmaschinen ist bekannt. Und keine Verschwörungs- theorie. Würde jemand alle Geschich- ten dazu sammeln, fiele bald auf, dass Toplader eine deutlich geringere Ver- lustrate haben als Waschmaschinen, die sich nach vorne hin öffnen lassen. Darin liegt auch des Rät- sels Lösung: Bei den runden Türen liegt zwischen Trom- mel und Gehäuse eine Gummidich- tung mit extra breitem Rand. Wäh- rend des Waschens kann es passieren, dass sich eine Socke in der Gummilippe verfängt und nach und nach in dem dar- unter liegenden Schlitz ver- schwindet. Wie groß dieser ist, hängt vom Hersteller ab. „Seit langer Zeit ach- ten unsere Konstrukteu- re darauf, dass der Schlitz sehr gering ist und der Trommelrand aufgrund seiner Formgebung so eng an der Dichtung anliegt, dass es quasi ausgeschlossen ist, einen Socken auf diesem Weg zu verlieren“, sagt Ines Mundhenke von Miele. Schafft es eine Socke durch, kann sie durchs Maschineninnere bis zu einem Heizstab wandern – und löst sich dort mit der Zeit auf. cfr Noch Fragen? Fragen Sie nur! Per E-Mail an [email protected] Mit – statt über – Afrika Die moderne Forschung über den Kontinent setzt auf Zusammenarbeit und gegenseitigen Austausch statt Exotisierung / Von Michael Saurer C hemische Reaktionen kann man im Labor nachvollzie- hen, physikalische Vorgänge berechnen und messen. Es sind Ergebnisse, die überall auf der Welt wiederholbar sind. In der Sozial- und Kul- turforschung ist das anders. Die Sichtwei- se auf eine Region, auf kulturelle Vorgän- ge und Veränderungen in einer Gesell- schaft ist stets eine interpretierende und subjektive, insbesondere wenn der For- scher auf eine Region blickt, die ihm fremd ist und deren Sprache er womög- lich nicht perfekt beherrscht. Das zeigt sich besonders in der For- schung zu Gemeinschaften und kulturel- len Prozessen in Afrika. Kein Wunder, denn diese hat ihren Ursprung in der Ko- lonialzeit und spiegelt die damals herr- schenden Hierarchien wider: Hier der Forscher – mit westlichem Bildungshin- tergrund, finanziellen Ressourcen und da- mals auch mit politischer Macht ausge- stattet – dort der Erforschte, auf den er he- rabblickt, den er oft für primitiv hält. Westliche Forscher haben vieles in Afrika exotisiert und somit falsch gedeutet. Es ist ein Anfangsfehler, von dem sich die Afrikaforschung bis in die heutige Zeit nicht vollständig erholt hat, dem sie aber zunehmend entschiedener begegnen will. Auch an der Uni Freiburg. Anfang Mai wurde dort das Kompetenzzentrum für Transregionale Afrikastudien und ge- sellschaftlichen Austausch mit Afrika (ACT) eröffnet – wegen der Corona-Pan- demie nur virtuell, statt Festredner gab es Grußworte auf Video. Das ACT ist so ein Versuch, die nach wie vor bestehenden Asymmetrien abzu- bauen und so ein differenzierteres Bild zu Vorgängen in afrikanischen Gesellschaf- ten zu bekommen. „Das Grundproblem an der Forschung zu Afrika war stets, dass man mit der westlichen Brille auf Afrika geschaut hat“, sagt Andreas Mehler, der Leiter des Freiburger Arnold-Bergstraes- ser-Instituts und Direktor des ACT. Afri- kaner selber seien dabei nur selten zu Wort gekommen, ihre Sicht sei kaum auf- genommen worden, sagt Mehler. Sprich: Wenn etwa ein Ethnologe über einen Ri- tus in einem afrikanischen Dorf schreibt, kommt dabei mitunter ein völlig anderes Ergebnis heraus, als wenn ein afrikani- scher Wissenschaftler darüber schreiben würde. Vieles wurde und wird von westli- chen Forschern falsch gedeutet, aus dem Kontext gerissen, exotisiert und sagt so- mit mehr über die westliche Sicht auf Afrika aus, denn über die tatsächliche Le- benswirklichkeit in den dortigen Gesell- schaften. In Afrika ist man sich dessen bewusst. „Das Wissen über Afrika stammt haupt- sächlich von europäischen und amerika- nischen Forschern“, betonte Dzodzi Tsi- kata, Direktorin des Instituts für Afrika- studien an der Universität Ghana, in ihrer Videobotschaft zur Eröffnung des ACT. Das Wissen über den Kontinent würde nicht immer mit den Realitäten auf dem Kontinent im Einklang stehen. Einrichtungen wie das ACT versuchen dem vorzubeugen, in- dem sie afrikanische Forscher ein- beziehen und ihnen so ermögli- chen, Prozesse und Entwicklun- gen in Afrika selbst zu deuten. Hierzu sollen Gastwissenschaftler nach Freiburg eingeladen wer- den, um gemeinsam einen Blick auf Prozesse auf dem Kontinent zu werfen – der Blick von innen soll dabei zu anderen Akzenten und Interpretationen führen. Auch in ethischen Fragen. Als Beispiel führt Mehler die Debatte um sogenannte „Human re- mains“ an, also menschliche Überreste. Immer noch lagern in vielen Museen, Universitäten und Sammlungen Knochenreste von Afrikanern, die während der Kolonialzeit nach Deutschland ge- bracht wurden. Auch in der Frei- burger Uni. Was nun mit ihnen passieren soll, wäre eine Frage, so Mehler, bei der der afrikanische Blick dringend hinzugezogen werden sollte. „Reziproke For- schung“ nennt sich der neue An- satz, der immer mehr Einzug hält. Forschung der Gegenseitigkeit, des kulturellen Austausches und vor allem: Forschung auf Augen- höhe, bei der afrikanische Wissenschaft- ler den westlichen gleichgestellt sind. Auch andere Zentren der Afrikafor- schung gehen diesen Weg, etwa in Bay- reuth, dem größten Standort der Afrika- Studien in Deutschland. Dem 1990 ge- gründeten Institut für Afrika-Studien ge- hören mittlerweile zwölf Fächergruppen aus sechs Fakultäten an. Nicht nur im Be- reich der Geistes- und Kulturwissenschaf- ten, auch die Biologie, die Wirtschafts- und Rechtswissenschaft sind dabei. 2018 wurde der Uni Bayreuth sogar ein Exzel- lenzcluster zur Afrikaforschung bewilligt, das 2019 seine Arbeit aufnahm. „Africa Multiple“ heißt der fächerüber- greifende Verbund, in den neben der Uni Bayreuth auch vier afrikanische Partner- universitäten eingebunden werden. 37 Millionen Euro werden über einen Zeit- raum von sieben Jahren bereitgestellt, um ein vielschichtiges Bild von Afrika und seinen Bewohnern zu ermöglichen. Auch hier gilt das Prinzip der Reflexivi- tät. „Forschung über Afrika nur mit Afri- ka“, betont Rüdiger Seesemann, der Spre- cher der Clusters. Die kollaborative For- schung gehe somit über bisherige Ansät- ze hinaus. „Postkoloniale Debatten wer- den vielerorts geführt“, so Seesemann. Aber dass das Ganze derart institutionali- siert werde, dass mit den Geldern auch die Arbeit afrikanischer Wissenschaftler einbezogen werden kann, schaffe eine neue Qualität. Die 21 derzeit bei Africa Multiple lau- fenden Projekte, die mit Afrikanern be- trieben werden, lassen auf spannende Er- gebnisse hoffen. So wird in einem auf vier Jahre angelegten Projekt die Geschichte von Flüchtlingscamps auf dem Kontinent aufgearbeitet. Ein anderes erforscht die Briefe von Kolonialbeamten und analy- siert die darin zutage tretende Weltsicht. Auch in Freiburg ist man in der Neu- ausrichtung der Afrikaforschung vorange- kommen – schon vor Gründung des ACT. 2018 wurde das Maria Sibylla Merian Ins- titute for Advanced Studies in Africa (MIASA) gegründet, ein internationales Forschungskolleg mit starker Freiburger Beteiligung. Es hat seinen Sitz an der Uni- versität Ghana in Accra, wurde aber von ABI-Leiter Andreas Mehler initiiert und wird von fünf Projektpartnern – unter an- derem dem Freiburg Institute for Advan- ces Studies – unterstützt. MIASA vergibt Stipendien an ghanaische Wissenschaft- ler für Forschungsaufenthalte in Deutschland. Das überge- ordnete Thema lautet derzeit „Sustainable Governance“, nachhaltige Regierungsfüh- rung – ein nicht nur im afrika- nischen Kontext wichtiges und praxisbezogenes Thema. ABI- Leiter Andreas Mehler ist von der Signalwirkung von MIASA und ACT überzeugt. Es sei al- lerdings noch ein langer Weg, die über Jahrzehnte verfestig- ten Ungleichheiten zwischen afrikanischen und westlichen Wissenschaftlern auszuglei- chen. Aber die ersten Schritte seien gegangen, weitere wer- den folgen, ist Mehler sicher. Inwieweit dies gelingt, wird sich zeigen. Dass die Finanzie- rung sowohl des ACT, wie auch von Africa Multiple und MIA- SA vorwiegend mit westlichen Mitteln erfolgt, ist zwar ange- sichts der knappen Ressourcen vieler afrikanischer Universitä- ten verständlich, wirft aber auch die Frage auf, ob damit nicht eine neuerliche Un- gleichheit geschaffen wird. Die große Unbekannte ist nun, wie die Zusammenarbeit mit afrikanischen Forschern in Zeiten der Pandemie aussehen kann. In Freiburg hat das Coronavirus nicht nur der Eröffnungsfeier des ACT einen Strich durch die Rechnung gemacht, auch die Planungen für die kommenden Monate wurden durcheinandergewirbelt. Dass es in diesem Jahr noch afrikanische Fellows geben wird, wird mit wachsenden Infek- tionszahlen auf dem Kontinent immer un- wahrscheinlicher. Aber vielleicht kann man aus der Not eine Tugend machen. Die Auswirkungen der Corona-Krise in Afrika wären ein interessantes For- schungsfeld, meint Mehler. „Dazu wer- den wir sicher bald forschen.“ Ein friedlicher Vegetarier Studie zum Höhlenbären Nur Pflanzliches oder auch Fisch und Fleisch? Bisherige Untersuchungen hat- ten darauf hingedeutet, dass der ausge- storbene europäische Höhlenbär alles drei zu sich genommen hatte. Diese An- nahme kann nun als widerlegt gelten – er soll rein vegetarisch gelebt haben. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Studie, die Wissenschaftler vom Senckenberg Cen- ter for Human Evolution and Palaeoenvi- ronment an der Universität Tübingen mit einem internationalen Team im Nature- Fachjournal Scientific-Reports veröffent- licht haben, wie die Uni mitteilt. Höhlenbären (Ursus spelaeus) lebten demnach in der bislang letzten Kaltzeit vor etwa 100 000 bis 25 000 Jahren in Europa. Mit bis zu 3,50 Meter Länge und 1,7 Meter Schulterhöhe waren die in Europa weit verbreiteten Tiere deutlich größer als ihre heutigen Verwandten, die Braunbären. „Umso erstaunlicher ist die Erkenntnis, dass sich die Tiere – trotz ihrer Größe und zudem in einer kalten und trockenen Umgebung – nur von Pflanzen ernährten“, erklärt Hervé Bo- cherens von der Universität Tübingen laut Mitteilung. „Während diese vegetari- sche Ernährungsweise für die allermeis- ten Höhlenbären Europas schon belegt ist, gab es bei Fossilfunden aus Rumänien zuletzt rege wissenschaftliche Diskussio- nen, ob sich die Bären dort auch von Fleisch ernährt haben könnten.“ Um die- ses Rätsel zu lösen, haben die Wissen- schaftler Fossilien aus drei verschiedenen Fundstätten in Rumänien untersucht. „Wir haben spezielle Aminosäuren im Knochen-Kollagen der Fossilien gemes- sen und anschließend mit denen von an- deren Höhlenbär-Knochen sowie mit ty- pischen Fleisch- und Pflanzenfressern, in unserem Fall ein Löwe und ein Pferd, ver- glichen“, erklärt der Tübinger Biogeologe die von ihm angewandte neue Methode – mit dem Ergebnis, dass auch in Rumänien Höhlenbären rein pflanzlich lebten. BZ Gefräßige Waschmaschinen Klischee oder Tradition? Farben und Formen der Massaikunst halten oft genug für Touristenkitsch her – sind aber auch Zeichen der kulturellen Identität. Studenten an der Uni Bayreuth FOTO: UNI BAYREUTH/ANDI WEILAND

Layout 16.05.2020/ges-5/mag/mag5/A//ngendaemon1 b...Title Layout 16.05.2020/ges-5/mag/mag5/A//ngendaemon1_b Author ngendaemon1_b Subject GTS_PDFXVersion (PDF/X-3:2002) Keywords PDF/X-3:2002

  • Upload
    others

  • View
    6

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Layout 16.05.2020/ges-5/mag/mag5/A//ngendaemon1 b...Title Layout 16.05.2020/ges-5/mag/mag5/A//ngendaemon1_b Author ngendaemon1_b Subject GTS_PDFXVersion (PDF/X-3:2002) Keywords PDF/X-3:2002

samstag, 16 . mai 2020 wissen b a d i s c h e z e i t u n g Vsamstag, 16 . mai 2020 wissen b a d i s c h e z e i t u n g V

F R A G E N S I E N U R !

Wohin verschwinden die Socken inder Waschmaschine?

Zwei Socken hinein, eine hinaus: DieGefräßigkeit von Waschmaschinen istbekannt. Und keine Verschwörungs-theorie. Würde jemand alle Geschich-ten dazu sammeln, fiele bald auf, dassToplader eine deutlich geringere Ver-lustrate haben als Waschmaschinen,die sich nach vorne hin öffnen lassen.

Darin liegt auch des Rät-sels Lösung: Bei den

runden Türen liegtzwischen Trom-mel und Gehäuseeine Gummidich-

tung mit extrabreitem Rand. Wäh-

rend des Waschenskann es passieren, dass

sich eine Socke in derGummilippe verfängt undnach und nach in dem dar-unter liegenden Schlitz ver-schwindet. Wie groß dieserist, hängt vom Hersteller

ab. „Seit langer Zeit ach-ten unsere Konstrukteu-re darauf, dass der Schlitz

sehr gering ist und derTrommelrand aufgrund seiner

Formgebung so eng an der Dichtunganliegt, dass es quasi ausgeschlossenist, einen Socken auf diesem Weg zuverlieren“, sagt Ines Mundhenke vonMiele. Schafft es eine Socke durch, kannsie durchs Maschineninnere bis zueinem Heizstab wandern – und löstsich dort mit der Zeit auf. cfr–Noch Fragen? Fragen Sie nur! Per E-Mailan [email protected]

Mit – statt über – AfrikaDie moderne Forschung über den Kontinent setzt auf Zusammenarbeit und gegenseitigen Austausch statt Exotisierung / Von Michael Saurer

Chemische Reaktionen kannman im Labor nachvollzie-hen, physikalische Vorgängeberechnen und messen. Es

sind Ergebnisse, die überall auf der Weltwiederholbar sind. In der Sozial- und Kul-turforschung ist das anders. Die Sichtwei-se auf eine Region, auf kulturelle Vorgän-ge und Veränderungen in einer Gesell-schaft ist stets eine interpretierende undsubjektive, insbesondere wenn der For-scher auf eine Region blickt, die ihmfremd ist und deren Sprache er womög-lich nicht perfekt beherrscht.

Das zeigt sich besonders in der For-schung zu Gemeinschaften und kulturel-len Prozessen in Afrika. Kein Wunder,denn diese hat ihren Ursprung in der Ko-lonialzeit und spiegelt die damals herr-schenden Hierarchien wider: Hier derForscher – mit westlichem Bildungshin-tergrund, finanziellen Ressourcen und da-mals auch mit politischer Macht ausge-stattet – dort der Erforschte, auf den er he-rabblickt, den er oft für primitiv hält.

–Westliche Forscher habenvieles in Afrika exotisiert undsomit falsch gedeutet.–

Es ist ein Anfangsfehler, von dem sichdie Afrikaforschung bis in die heutige Zeitnicht vollständig erholt hat, dem sie aberzunehmend entschiedener begegnenwill. Auch an der Uni Freiburg. AnfangMai wurde dort das Kompetenzzentrumfür Transregionale Afrikastudien und ge-sellschaftlichen Austausch mit Afrika(ACT) eröffnet – wegen der Corona-Pan-demie nur virtuell, statt Festredner gab esGrußworte auf Video.

Das ACT ist so ein Versuch, die nachwie vor bestehenden Asymmetrien abzu-bauen und so ein differenzierteres Bild zuVorgängen in afrikanischen Gesellschaf-ten zu bekommen. „Das Grundprobleman der Forschung zu Afrika war stets, dassman mit der westlichen Brille auf Afrikageschaut hat“, sagt Andreas Mehler, derLeiter des Freiburger Arnold-Bergstraes-ser-Instituts und Direktor des ACT. Afri-kaner selber seien dabei nur selten zuWort gekommen, ihre Sicht sei kaum auf-genommen worden, sagt Mehler. Sprich:Wenn etwa ein Ethnologe über einen Ri-tus in einem afrikanischen Dorf schreibt,kommt dabei mitunter ein völlig anderesErgebnis heraus, als wenn ein afrikani-scher Wissenschaftler darüber schreibenwürde. Vieles wurde und wird von westli-chen Forschern falsch gedeutet, aus dem

Kontext gerissen, exotisiert und sagt so-mit mehr über die westliche Sicht aufAfrika aus, denn über die tatsächliche Le-benswirklichkeit in den dortigen Gesell-schaften.

In Afrika ist man sich dessen bewusst.„Das Wissen über Afrika stammt haupt-sächlich von europäischen und amerika-nischen Forschern“, betonte Dzodzi Tsi-kata, Direktorin des Instituts für Afrika-studien an der Universität Ghana, in ihrerVideobotschaft zur Eröffnung des ACT.Das Wissen über den Kontinent würdenicht immer mit den Realitäten auf demKontinent im Einklang stehen.

Einrichtungen wie das ACTversuchen dem vorzubeugen, in-dem sie afrikanische Forscher ein-beziehen und ihnen so ermögli-chen, Prozesse und Entwicklun-gen in Afrika selbst zu deuten.Hierzu sollen Gastwissenschaftlernach Freiburg eingeladen wer-den, um gemeinsam einen Blickauf Prozesse auf dem Kontinentzu werfen – der Blick von innensoll dabei zu anderen Akzentenund Interpretationen führen.

Auch in ethischen Fragen. AlsBeispiel führt Mehler die Debatteum sogenannte „Human re-mains“ an, also menschlicheÜberreste. Immer noch lagern invielen Museen, Universitätenund Sammlungen Knochenrestevon Afrikanern, die während derKolonialzeit nach Deutschland ge-bracht wurden. Auch in der Frei-burger Uni. Was nun mit ihnenpassieren soll, wäre eine Frage, soMehler, bei der der afrikanischeBlick dringend hinzugezogenwerden sollte. „Reziproke For-schung“ nennt sich der neue An-satz, der immer mehr Einzug hält.Forschung der Gegenseitigkeit,des kulturellen Austausches undvor allem: Forschung auf Augen-höhe, bei der afrikanische Wissenschaft-ler den westlichen gleichgestellt sind.

Auch andere Zentren der Afrikafor-schung gehen diesen Weg, etwa in Bay-reuth, dem größten Standort der Afrika-Studien in Deutschland. Dem 1990 ge-gründeten Institut für Afrika-Studien ge-hören mittlerweile zwölf Fächergruppenaus sechs Fakultäten an. Nicht nur im Be-reich der Geistes- und Kulturwissenschaf-ten, auch die Biologie, die Wirtschafts-und Rechtswissenschaft sind dabei. 2018wurde der Uni Bayreuth sogar ein Exzel-lenzcluster zur Afrikaforschung bewilligt,das 2019 seine Arbeit aufnahm.

„Africa Multiple“ heißt der fächerüber-greifende Verbund, in den neben der UniBayreuth auch vier afrikanische Partner-universitäten eingebunden werden. 37Millionen Euro werden über einen Zeit-raum von sieben Jahren bereitgestellt, umein vielschichtiges Bild von Afrika undseinen Bewohnern zu ermöglichen.

Auch hier gilt das Prinzip der Reflexivi-tät. „Forschung über Afrika nur mit Afri-ka“, betont Rüdiger Seesemann, der Spre-cher der Clusters. Die kollaborative For-schung gehe somit über bisherige Ansät-ze hinaus. „Postkoloniale Debatten wer-

den vielerorts geführt“, so Seesemann.Aber dass das Ganze derart institutionali-siert werde, dass mit den Geldern auchdie Arbeit afrikanischer Wissenschaftlereinbezogen werden kann, schaffe eineneue Qualität.

Die 21 derzeit bei Africa Multiple lau-fenden Projekte, die mit Afrikanern be-trieben werden, lassen auf spannende Er-gebnisse hoffen. So wird in einem auf vierJahre angelegten Projekt die Geschichtevon Flüchtlingscamps auf dem Kontinentaufgearbeitet. Ein anderes erforscht dieBriefe von Kolonialbeamten und analy-siert die darin zutage tretende Weltsicht.

Auch in Freiburg ist man in der Neu-ausrichtung der Afrikaforschung vorange-kommen – schon vor Gründung des ACT.2018 wurde das Maria Sibylla Merian Ins-titute for Advanced Studies in Africa(MIASA) gegründet, ein internationalesForschungskolleg mit starker FreiburgerBeteiligung. Es hat seinen Sitz an der Uni-versität Ghana in Accra, wurde aber vonABI-Leiter Andreas Mehler initiiert undwird von fünf Projektpartnern – unter an-derem dem Freiburg Institute for Advan-ces Studies – unterstützt. MIASA vergibtStipendien an ghanaische Wissenschaft-

ler für Forschungsaufenthaltein Deutschland. Das überge-ordnete Thema lautet derzeit„Sustainable Governance“,nachhaltige Regierungsfüh-rung – ein nicht nur im afrika-nischen Kontext wichtiges undpraxisbezogenes Thema. ABI-Leiter Andreas Mehler ist vonder Signalwirkung von MIASAund ACT überzeugt. Es sei al-lerdings noch ein langer Weg,die über Jahrzehnte verfestig-ten Ungleichheiten zwischenafrikanischen und westlichenWissenschaftlern auszuglei-chen. Aber die ersten Schritteseien gegangen, weitere wer-den folgen, ist Mehler sicher.

Inwieweit dies gelingt, wirdsich zeigen. Dass die Finanzie-rung sowohl des ACT, wie auchvon Africa Multiple und MIA-SA vorwiegend mit westlichenMitteln erfolgt, ist zwar ange-sichts der knappen Ressourcenvieler afrikanischer Universitä-ten verständlich, wirft aberauch die Frage auf, ob damitnicht eine neuerliche Un-gleichheit geschaffen wird.

Die große Unbekannte istnun, wie die Zusammenarbeitmit afrikanischen Forschern in

Zeiten der Pandemie aussehen kann. InFreiburg hat das Coronavirus nicht nurder Eröffnungsfeier des ACT einen Strichdurch die Rechnung gemacht, auch diePlanungen für die kommenden Monatewurden durcheinandergewirbelt. Dass esin diesem Jahr noch afrikanische Fellowsgeben wird, wird mit wachsenden Infek-tionszahlen auf dem Kontinent immer un-wahrscheinlicher. Aber vielleicht kannman aus der Not eine Tugend machen.Die Auswirkungen der Corona-Krise inAfrika wären ein interessantes For-schungsfeld, meint Mehler. „Dazu wer-den wir sicher bald forschen.“

Ein friedlicherVegetarierStudie zum Höhlenbären

Nur Pflanzliches oder auch Fisch undFleisch? Bisherige Untersuchungen hat-ten darauf hingedeutet, dass der ausge-storbene europäische Höhlenbär allesdrei zu sich genommen hatte. Diese An-nahme kann nun als widerlegt gelten – ersoll rein vegetarisch gelebt haben. Das istjedenfalls das Ergebnis einer Studie, dieWissenschaftler vom Senckenberg Cen-ter for Human Evolution and Palaeoenvi-ronment an der Universität Tübingen miteinem internationalen Team im Nature-Fachjournal Scientific-Reports veröffent-licht haben, wie die Uni mitteilt.

Höhlenbären (Ursus spelaeus) lebtendemnach in der bislang letzten Kaltzeitvor etwa 100000 bis 25000 Jahren inEuropa. Mit bis zu 3,50 Meter Länge und1,7 Meter Schulterhöhe waren die inEuropa weit verbreiteten Tiere deutlichgrößer als ihre heutigen Verwandten, dieBraunbären. „Umso erstaunlicher ist dieErkenntnis, dass sich die Tiere – trotzihrer Größe und zudem in einer kaltenund trockenen Umgebung – nur vonPflanzen ernährten“, erklärt Hervé Bo-cherens von der Universität Tübingenlaut Mitteilung. „Während diese vegetari-sche Ernährungsweise für die allermeis-ten Höhlenbären Europas schon belegtist, gab es bei Fossilfunden aus Rumänienzuletzt rege wissenschaftliche Diskussio-nen, ob sich die Bären dort auch vonFleisch ernährt haben könnten.“ Um die-ses Rätsel zu lösen, haben die Wissen-schaftler Fossilien aus drei verschiedenenFundstätten in Rumänien untersucht.„Wir haben spezielle Aminosäuren imKnochen-Kollagen der Fossilien gemes-sen und anschließend mit denen von an-deren Höhlenbär-Knochen sowie mit ty-pischen Fleisch- und Pflanzenfressern, inunserem Fall ein Löwe und ein Pferd, ver-glichen“, erklärt der Tübinger Biogeologedie von ihm angewandte neue Methode –mit dem Ergebnis, dass auch in RumänienHöhlenbären rein pflanzlich lebten. BZ

GefräßigeWaschmaschinen

Klischee oder Tradition? Farben und Formen der Massaikunst halten oft genug für Touristenkitsch her – sind aber auch Zeichen der kulturellen Identität.

Studenten an der Uni Bayreuth

FO

TO:

UN

IB

AY

RE

UTH

/A

ND

IW

EILA

ND