Upload
others
View
3
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Laurent-Reihen und isolierte Singularitäten
Seminar Analysis III (SoSe 2013)
Pascal Niehus
- Vortrag vom 27.05.2013 -
Kontaktdaten:
Name: Pascal Niehus
Studiengang: BfP
Fächer: Mathematik, Physik
E-Mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1 Laurent-Reihen 4
2 Isolierte Singularitäten 16
2.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2 Hebbare Singularitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.3 Pole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.4 Wesentliche Singularitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Literatur 23
2
Kurzfassung
Der Inhalt dieser Seminararbeit beschäftigt sich mit dem Themengebiet der Laurent-Reihen
und isolierten Singularitäten. Dabei wird im ersten Teil zunächst die Laurent-Reihe als Verall-
gemeinerung der gewöhnlichen Potenzreihe eingeführt und definiert. Darüber hinaus werden
wesentliche Eigenschaften, sowie die Eindeutigkeit und Existenz diskutiert und bewiesen. Im
zweiten Teil werden isolierte Singularitäten von Funktionen näher untersucht und charak-
terisiert. Dabei werden anhand einiger Beispiele die drei unterschiedlichen Typen erörtert.
Außerdem wird der Zusammenhang zwischen der Charakterisierung von isolierte Singulari-
täten durch Laurent-Reihen und der Eigenschaften der entsprechenden Funktion ausführlich
diskutiert und hergeleitet.
Abstract
The content of this paper deals with the topic of Laurent series and isolated singularities. In the
first part the Laurent series is introduced and defined as a generalization of the ordinary power
series. There are essential characteristics, as well as the uniqueness and existence discussed
and demonstrated. In the second part isolated singularities of functions are examined and
characterized. The three different types are discussed by some examples. In addition, the
relationship between the characterization of isolated singularities by Laurent series and the
properties of the corresponding function is derived and discussed in detail.
3
1 Laurent-Reihen
Die Laurent-Reihe ist eine wichtige Verallgemeinerung der bekannten Potenzreihe und spielt
bei dem Studium und bei der Charakterisierung der isolierten Singularitäten von Funktionen
eine wichtige Rolle. Jede reguläre Funktion f kann in der Umgebung eines Regularitätspunktes
z0 durch eine Potenzreihe dargestellt werden. Ist die Funktion f in dem Punkt z0 jedoch nicht
regulär (oder nicht einmal definiert), so ist eine Potenzreihenentwicklung nicht möglich. In
diesem Fall bietet die Laurent-Reihen-Entwicklung eine ersatzweise Darstellung.
Wir beginnen zunächst mit der allgemeinen Definition einer Laurent-Reihe. Anschließend
diskutieren wir wesentliche Eigenschaften und beweisen die Eindeutigkeit und Existenz der
Laurent-Reihen-Entwicklung.
Definition 1.1. (Laurent-Reihe)
Ist {an}∞n=−∞ = {an}∞n=0 ∪ {a−n}∞n=1 ein Folge komplexer Zahlen und z0 ∈ C, so heißt die
unendliche Reihe der Form
L(z) :=
+∞∑n=−∞
an (z − z0)n =
∞∑n=0
an (z − z0)n +
∞∑n=1
a−n (z − z0)−n (1)
eine Laurent-Reihe mit dem Entwicklungspunkt z0. Wir unterteilen die Laurent-Reihe in die
Summe aus zwei unendlichen Reihen und nennen die gewöhnliche Potenzreihe
N(z) :=∞∑n=0
an (z − z0)n (2)
Nebenteil und die Reihe
H(z) :=
∞∑n=1
a−n (z − z0)−n (3)
Hauptteil der Laurent-Reihe.
Bemerkung 1.2. Die Laurent-Reihe ist an z = z0 und z =∞ nicht definiert.
Wir wollen zunächst das Konvergenzgebiet einer solchen Laurent-Reihe näher beschreiben
und untersuchen. Man sagt, dass eine Laurent-Reihe genau dann im Punkt z ∈ C konvergiert,
wenn sowohl ihr Hauptteil als auch ihr Nebenteil in diesem Punkt konvergieren. Dabei werden
wir uns im wesentlichen auf das Konvergenzkriterium für gewöhnliche Potenzreihen beziehen,
was an dieser Stelle kurz in Erinnerung gerufen werden soll.
4
Wiederholung 1. (Konvergenzkriterium für Potenzreihen)
Zu jeder Potenzreihe∑∞
n=0 an(z− z0)n mit an ∈ C existiert eine eindeutig bestimmte Zahl ρ,
0 ≤ ρ ≤ ∞ der sogenannter Konvergenzradius, mit folgender Eigenschaft:
Die Potenzreihe ist absolut konvergent für jedes z ∈ C mit |z − z0| < ρ
Die Potenzreihe ist divergent für jedes z ∈ C mit |z − z0| > ρ
Insbesondere gilt:
Ist ρ = 0, so konvergiert die Potenzreihe nur für z = z0
Ist ρ =∞, so konvergiert die Potenzreihe für jedes z ∈ C absolut
Wir setzten
α := lim supk→∞
k√|ak|, so gilt ρ =
1
α, falls 0 < α <∞
0, falls α =∞
∞, falls α = 0
Wiederholung 2. (Kompakte Konvergenz)
Ist ρ > 0, so ist die Potenzreihe auf der kompakten Menge |z − z0| ≤ r mit 0 < r < ρ sogar
gleichmäßig konvergent. Wir sprechen dann von kompakter Konvergenz der Reihe.
Eine Potenzreihe∑∞
n=0 an(z − z0)n mit dem Konvergenzradius 0 < ρ ≤ ∞, ist also auf
Uρ(z0) = {z ∈ C : |z − z0| < ρ} kompakt konvergent, das heißt lokal gleichmäßig auf kompak-
ten Teilmengen.
Unter Verwendung, des bekannten Konvergenzkriterium der Potenzreihen, ergibt sich für die
Konvergenz der Laurent-Reihe damit der folgende Satz.
Satz 1.3. (Konvergenzverhalten von Laurent-Reihen)
Eine Laurent-Reihe∑+∞
n=−∞ an (z − z0)n konvergiert entweder
1. nirgends, oder
2. auf Teilen einer Kreislinie um z0, oder
3. absolut und kompakt auf einem Ringgebiet um z0.
5
Beweis.
Wir betrachten zunächst die Konvergenz des Nebenteils∑∞
n=0 an (z − z0)n der Laurent-Reihe.
Zu dieser gewöhnlichen Potenzreihe existiert nach dem Konvergenzkriterium für Potenzreihen
eine eindeutig bestimmte Zahl R2 mit 0 ≤ R2 ≤ ∞, sodass die Reihe für jedes z ∈ Z mit
|z − z0| < R2 absolut konvergiert und für |z − z0| > R2 divergiert.
z0
R2
divergent
konvergent
Abbildung 1: Konvergenzverhalten des Nebenteils
Der Nebenteil der Laurent-Reihe konvergiert also absolut auf der offenen Kreisscheibe
UR2(z0) = {z ∈ C : |z − z0| < R2}. Für kompakte Teilmengen der Kreisscheibe konvergiert
der Nebenteil sogar gleichmäßig.
Als nächstes betrachten wir den Hauptteil∑∞
n=1 a−n (z − z0)−n der Laurent-Reihe und schrei-
ben∞∑n=1
a−n (z − z0)−n =∞∑n=1
a−n · ω(z)n mit ω(z) =1
z − z0. (4)
Auch für diese Potenzreihe gibt es nach dem Konvergenzkriterium eine eindeutig bestimmte
Zahl ρ mit 0 ≤ ρ ≤ ∞, sodass die Reihe für jedes z ∈ Z mit |ω(z)| < ρ konvergiert und für
|ω(z)| > ρ divergiert. Konvergenz des Hauptteils ergibt sich also für
|ω(z)| < ρ
⇔ 1
|z − z0|< ρ ⇔ |z − z0| >
1
ρ⇔ |z − z0| > R1 mit R1 =
1
ρ.
6
z0
R1
divergent
konvergent
Abbildung 2: Konvergenzverhalten des Hauptteils
Der Hauptteil der Laurent-Reihe konvergiert also absolut auf dem Außengebiet einer Kreis-
scheibe UR1(z0) = {z ∈ C : |z − z0| > R1}. Auch hier gilt, für kompakte Teilmengen des Au-
ßengebietes konvergiert der Hauptteil sogar gleichmäßig.
Für das Konvergenzverhalten der Laurent-Reihe ergeben sich daraus die folgenden Fälle:
1. IstR2 = 0, so konvergiert der Nebenteil nur an z0 und ist sonst divergent, dann divergiert
die Laurent-Reihe überall, da die Reihe an z = z0 nicht definiert ist.
2. Ist R1 = ∞, so divergiert der Hauptteil für alle z ∈ C und damit divergiert auch die
Laurent-Reihe überall.
3. Ist 0 ≤ R1 <∞, 0 < R2 ≤ ∞ und ist zusätzlich
(a) R1 > R2, so existiert kein z, für das beide Teilreihen zugleich konvergieren. Die
Laurent-Reihe divergiert entsprechend überall.
(b) R1 = R2, so kann die Konvergenz beider Teilreihen höchstens an gewissen Punkten
der Kreislinie KR1 = {z ∈ C : |z − z0| = R1} vorliegen, für die dann auch die Lau-
rent-Reihe entsprechend konvergiert.
(c) R1 < R2, so konvergieren beide Teilreihen auf dem Ringgebiet RR1,R2(z0) um z0.
RR1,R2(z0) := {z ∈ C : R1 < |z − z0| < R2} mit 0 ≤ R1 < R2 ≤ ∞ (5)
Der Nebenteil konvergiert auf der Menge {z : |z − z0| < R2}, der Hauptteil kon-
vergiert auf {z : |z − z0| > R1}. Auf dem Durchschnitt dieser beiden Mengen, dem
Ringgebiet RR1,R2(z0), konvergieren also beide Teilreihen und damit die Laurent-
Reihe.
7
Wählten wir eine kompakte Teilmenge des Ringgebietes zu
R̄R̃1,R̃2(z0) :=
{z ∈ C : |z − z0| ≥ R̃1
}∩{z ∈ C : |z − z0| ≤ R̃2
}(6)
mit R̃1 > R1 und R̃2 < R2, wobei R̃1 < R̃2,
dann konvergiert die Laurent-Reihe sogar gleichmäßig auf R̄R̃1,R̃2(z0), da dann
auch die beiden Teilreihen gleichmäßig konvergieren. Auf RR1,R2(z0) konvergiert
die Laurent-Reihe also kompakt.
z0
R2 R1
divergent
konvergent
RR1,R2(z0)
Abbildung 3: Konvergenzverhalten der Laurent-Reihe
Im weiteren Verlauf sollen nun ein paar Erkenntnisse und Resultate der einführenden Ana-
lysis wiederholt werden. Diese werden für das Verständnis der darauffolgenden Sätze eine
wesentliche Rolle spielen.
Wiederholung 3. (komplexes Kurvenintegral)
Ist K = {z ∈ C : z = z(t), t ∈ [α, β]} eine Kurve und weiter z′(t) stetig auf [α, β] und f stetig
auf K, so heißt ∫Kf(z)dz =
∫ β
αf(z(t)) · z′(t)dt
das komplexe Kurvenintegral von f längs K.
8
Wiederholung 4. (Cauchysche Integralformel CIF)
Sei die Funktion f regulär auf dem Gebiet G ⊂ C und es sei K eine einfach geschlossene,
positiv orientierte, rektifizierbare Jordan-Kurve, die samt ihrem Inneren I(K) in G enthalten
ist. Mit anderen Worten liegt die kompakte Teilmenge I(K) ∪ ∂K in G. Dann gilt:
1
2πi·∮K
f(z)
z − z0dz = f(z0) für alle z0 ∈ I(K)
1
2πi·∮K
f(z)
z − z0dz = 0 für alle z0 ∈ A(K)
Wobei A(K) das Außengebiet bezüglich K beschreibt.
Wiederholung 5. (Wegunabhängigkeit des Ringintegrals)
Seinen K1 und K2 zwei einfach geschlossene, positiv orientierte, rektifizierbare Jordan-Kurven
mit K1 ⊂ I(K2), die ganz in einem Gebiet G verlaufen. Das Ringgebiet R(K1,K2) zwischen
K1 und K2 sei ganz in G enthalten. Die Funktion f sei regulär in dem Gebiet G. Dann gilt:∮K1
f(z)dz =
∮K2
f(z)dz (7)
Wiederholung 6. (Beispiel zum komplexen Kurvenintegral)
Sei m ∈ Z, z0 ∈ C und R > 0. Dann gilt für das Kurvenintegral über den Kreis KR(z0) um
z0 mit Radius R ∮KR(z0)
(z − z0)mdz =
0 wenn m 6= −1
2πi wenn m = −1.
Beweis.
Die Kreislinie KR(z0) ist eine glatte Kurve. Eine mögliche Parameterdarstellung ist gegeben
durch z(t) = z0 +Reit = z0 +R(cos t+ i sin t) mit t ∈ [0, 2π].
Wegen z′(t) = −R sin t+ iR cos t = iReit erhalten wir dann∮KR(z0)
(z − z0)mdz =
∫ 2π
0Rmeimt · iR · eitdt = iRm+1 ·
∫ 2π
0ei(m+1)tdt
=iRm+1 ·∫ 2π
0{cos(m+ 1)t+ i sin(m+ 1)t} dt (8)
9
Damit ergibt sich für
(1) m 6= −1
∮KR(z0)
(z − z0)mdz = iRm+1 ·{
sin(m+ 1)t
m+ 1− icos(m+ 1)t
m+ 1
}∣∣∣∣2π0
= 0 (9)
(2) m = −1
∮KR(z0)
(z − z0)−1dz = i ·∫ 2π
01dt = 2πi (10)
Zusammen mit der Wegunabhängigkeit von Ringintegralen aus Wiederholung 5 gilt dieser
Zusammenhang für beliebige einfach geschlossene, positiv orientierte, rektifizierbare Jordan-
Kurven K mit z0 im ihrem Inneren.
Genau wie für Potenzreihen, gilt auch für Laurent-Reihen, dass die Koeffizienten eindeutig
durch die dargestellte Funktion bestimmt sind.
Satz 1.4. (Eindeutigkeitssatz für Laurent-Reihe)
Konvergieren die beiden Laurent-Reihen
A(z) =+∞∑
n=−∞an (z − z0)n , B(z) =
+∞∑n=−∞
bn (z − z0)n
auf einem Ringgebiet RR1,R2(z0) und gilt dort zusätzlich
A(z) = B(z),
so folgt an = bn für alle n ∈ Z.Ist K eine einfach geschlossene, positiv orientierte, Jordan-Kurve endlicher Länge, die ganz in
RR1,R2(z0) verläuft und in ihrem Inneren z0 enthält, so ergibt sich weiter für die Koeffizienten
der Laurent-Reihe der Zusammenhang
an =1
2πi
∮K
A(z)
(z − z0)n+1dz für n ∈ Z.
Beweis.
Es sei k ∈ Z und wir betrachten eine geschlossene, positiv orientierte, Jordan-Kurve endlicher
LängeK ⊂ RR1,R2(z0), welche in ihrem Inneren die KreislinieKR1(z0) enthält. Die Integration
10
über die Kurve K ergibt dann
A(z) = B(z)
⇔ A(z)
(z − z0)k+1=
B(z)
(z − z0)k+1
⇒∮K
A(z)
(z − z0)k+1dz =
∮K
B(z)
(z − z0)k+1dz
⇔∮K
+∞∑n=−∞
an (z − z0)n−k−1 dz =
∮K
+∞∑n=−∞
bn (z − z0)n−k−1 dz. (11)
Da die Laurent-Reihen auf dem Ringgebiet gleichmäßig konvergieren, darf die Integration und
Summation vertauscht werden und es gilt
⇔+∞∑
n=−∞an
∮K
(z − z0)n−k−1 dz =
+∞∑n=−∞
bn
∮K
(z − z0)n−k−1 dz. (12)
Das Integral können wir mit der Wiederholung 6 bestimmen und es ergibt sich daraus sofort
⇔ 2πi · ak = 2πi · bk
⇔ ak = bk (13)
Weiterhin haben wir also gezeigt wie sich die Koeffizienten der Laurent-Reihen bestimmen
lassen, denn wir stellen fest
ak =1
2πi
∮K
A(z)
(z − z0)k+1dz für k ∈ Z. (14)
11
In Analogie zur Entwicklung einer regulären Funktion in einer Potenzreihe betrachten wir nun
die Entwicklung einer Funktion in einer Laurent-Reihe.
Satz 1.5. (Existenzsatz der Laurent-Entwicklung)
Die Funktion f sei auf dem Ringgebiet RR1,R2(z0) regulär.
(1) Dann lässt sich f auf RR1,R2(z0) in eine Laurent-Reihe entwickeln,
f(z) =+∞∑
n=−∞an (z − z0)n ,
sodass die Reihe auf dem Ringgebiet RR1,R2(z0) kompakt konvergiert.
(2) Ist K eine einfach geschlossene, positiv orientierte, Jordan-Kurve endlicher Länge, die
ganz in RR1,R2(z0) verläuft und in ihrem Inneren z0 enthält, so gilt für alle n ∈ Z
an =1
2πi
∮K
A(ζ)
(ζ − z0)n+1dζ.
z0
K
z
R1
R2
Abbildung 4: Ringgebiet RR1,R2(z0) mit Jordan-Kurve K
Beweis.
Als Hilfsaussage leiten wir zunächst die Cauchysche Integralformel für Kreisringe her, aus der
wir anschließend die Existenz der Laurent-Reihen-Entwicklung beweisen können.
(1) Wir betrachten die Situation aus Abbildung 4. Da K stets einen positiven Abstand
zu den Rändern des Ringgebietes RR1,R2(z0) besitzt, gibt es zwei Zahlen R̃1 und R̃2
mit R1 < R̃1 < R̃2 < R2, sodass die Kurve K auch ganz in dem kleinen Ringgebiet
RR̃1,R̃2(z0) verläuft. Auf diese Art und Weise erhalten wir zwei neue Kreiskurven K̃1
mit Radius R̃1 und K̃2 mit Radius R̃2, die ganz im Inneren des Ringgebietes RR1,R2(z0)
liegen.
12
z0 K1
K2
R1
R2
K
z
Abbildung 5: Verkleinertes Ringgebiet RR̃1,R̃2(z0) mit Kreislinien K̃1 und K̃2
Weiter sein nun z ∈ RR̃1,R̃2(z0) ein fester Punkt. Wir teilen nun das verkleinerte Ring-
gebiet längs zweier Strecken D und E (die nicht durch z gehen) auf. Es entstehen
zwei einfach geschlossene, positiv orientierte, rektifizierbar Jordan-Kurven Γ1 und Γ2,
die jeweils aus den Strecken D, E und den entsprechenden Teilbögen von K̃1 und K̃2
zusammengesetzt sind. Dabei liegt der Punkt z im Innengebiet von Γ1.
z
D
E
Γ1
Γ2
z0
Abbildung 6: Aufgeschnittenes Ringgebiet mit Jordan-Kurve Γ1 und Γ2
Nach der Cauchyschen Integralformel (vergleich Wiederholung 4) gilt dann also der
folgende Zusammenhang
1
2πi·∮
Γ1
f(ζ)
ζ − zdζ = f(z),
1
2πi·∮
Γ2
f(ζ)
ζ − zdζ = 0. (15)
Durch Addition der beiden Integrale erhalten wir
f(z) + 0 =1
2πi·∮
Γ1
f(ζ)
ζ − zdζ +
1
2πi·∮
Γ2
f(ζ)
ζ − zdζ. (16)
Da die Strecken D und E jeweils einmal positiv und einmal negativ durchlaufen werden,
entfallen diese und wir können unter Berücksichtigung der Orientierung den Integra-
13
tionsweg anpassen und ändern.
f(z) =1
2πi·∮K̃2
f(ζ)
ζ − zdζ − 1
2πi·∮K̃1
f(ζ)
ζ − zdζ (17)
= I2(z)− I1(z)
Da K̃1 nun im mathematisch negativen Sinne durchlaufen wird, ergibt sich der Vorzei-
chenwechsel vor dem Integral über K̃1. So erhalten wir in Gleichung (17) die Cauchysche
Integralformel für Kreisringe.
(2) Für die Reihenentwicklung der Funktion f(z) betrachten wir nun zur besseren Übersicht
die Integrale I2(z) und I1(z) getrennt voneinander.
Reihenentwicklung für I2(z):
Für ζ ∈ K̃2 gilt
1
ζ − z=
1
(ζ − z0)− (z − z0)=
1
ζ − z0· 1
1− z − z0
ζ − z0
geom. Reihe=
1
ζ − z0·∞∑n=0
{z − z0
ζ − z0
}n. (18)
Wobei die auftretende geometrische Reihe (bei festem z) für ζ ∈ K̃2 wegen∣∣∣∣z − z0
ζ − z0
∣∣∣∣ =|z − z0|R̃2
< 1 (19)
gleichmäßig konvergiert. Auf Grund der gleichmäßigen Konvergenz können Summation
und Integration vertauscht werden und es ergibt sich
I2(z) =1
2πi·∮K̃2
f(ζ)
ζ − z0·
{ ∞∑n=0
{z − z0
ζ − z0
}n}dζ
=∞∑n=0
{1
2πi·∮K̃2
f(ζ)
(ζ − z0)n+1dζ
}︸ ︷︷ ︸
=an
(z − z0)n (20)
=
∞∑n=0
an (z − z0)n .
Wir erhalten den Nebenteil der Laurent-Reihe. Unter Verwendung von Satz 1.4 und der
Wiederholung 5 ergibt sich schließlich
an =1
2πi·∮K̃2
f(ζ)
(ζ − z0)n+1dζ =
1
2πi·∮K
f(ζ)
(ζ − z0)n+1dζ. (21)
14
Reihenentwicklung für I1(z):
Für ζ ∈ K̃1 gilt
1
ζ − z=
1
(ζ − z0)− (z − z0)=−1
z − z0· 1
1− ζ − z0
z − z0
geom. Reihe= − 1
z − z0·∞∑n=0
{ζ − z0
z − z0
}n. (22)
Wobei die auftretende geometrische Reihe (bei festem z) für ζ ∈ K̃1 wegen∣∣∣∣ζ − z0
z − z0
∣∣∣∣ =R̃1
|z − z0|< 1 (23)
gleichmäßig konvergiert. Auf Grund der gleichmäßigen Konvergenz können Summation
und Integration vertauscht werden und es ergibt sich
−I1(z) =1
2πi·∮K̃1
f(ζ)
z − z0·
{ ∞∑n=0
{ζ − z0
z − z0
}n}dζ
=∞∑n=0
{1
2πi·∮K̃1
f(ζ)
(ζ − z0)−ndζ
}︸ ︷︷ ︸
=a−n−1
(z − z0)−n−1 (24)
=∞∑n=1
a−n (z − z0)−n .
Wir erhalten den Hauptteil der Laurent-Reihe. Unter Verwendung von Satz 1.4 und der
Wiederholung 5 ergibt sich schließlich
a−n =1
2πi·∮K̃1
f(ζ)
(ζ − z0)−n+1dζ =
1
2πi·∮K
f(ζ)
(ζ − z0)−n+1dζ. (25)
(3) Wie wir in Satz 1.3 gezeigt haben konvergiert die Reihe N(z) =∑∞
n=0 an (z − z0)n
kompakt auf dem Kreis {z : |z − z0| < R̃2} und die Reihe H(z) =∑∞
n=1 a−n (z − z0)−n
konvergiert kompakt auf {z : |z − z0| > R̃1}. Da wir R̃1 und R̃2 beliebig nahe an R1
beziehungsweise R2 wählen können, konvergiert schließlich auch die gesamte Laurent-
Reihe∑+∞
n=−∞ an (z − z0)n = N(z) +H(z) kompakt auf dem Ringgebiet RR1,R2(z0).
15
2 Isolierte Singularitäten
In diesem Kapitel betrachten wir Funktionen, die auf einer punktierten Umgebung eines Punk-
tes z00UR(z0) = {z ∈ C : 0 < |z − z0| < R} (26)
regulär sind, wobei über einen Funktionswert an z0 nichts bekannt ist. Der Punkt z0 erscheint
also bezüglich des Definitionsbereiches von f als eine singuläre Stelle. Die Untersuchung und
Klassifizierung einer solchen singulären Stellen ist unter anderem für den Residuensatz, aber
auch für weitere Anwendungen innerhalb der Funktionentheorie von Bedeutung und soll des-
halb hier näher erläutert werden.
Definition 2.1. (Isolierte Singularität)
Ist die Funktion f auf0UR(z0) = {z ∈ C : 0 < |z − z0| < R} regulär, so heißt z0 eine isolierte
Singularität von f .
Sei nun die Funktion f auf der punktierten Umgebung0UR(z0) regulär, so lässt sich diese
nach Satz 1.5 in eine auf0UR(z0) kompakt konvergenten Laurent-Reihe entwickeln. Das Ziel
im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll nun sein, die möglichen isolierten Singularitäten von
f , mit Hilfe des Hauptteils der Laurent-Entwicklung, näher zu charakterisieren.
Definition 2.2. (Charakterisierung von isolierten Singularitäten)
Die Funktion f sei regulär auf0UR(z0). Weiter Sei
H(z) =∞∑n=1
a−n (z − z0)−n (27)
der Hauptteil der Laurent-Entwicklung von f um z0. Der Punkt z0 heißt dann:
(1) hebbare Singularität, wenn a−n = 0 für n = 1, 2, 3, ...
(2) Pol der Ordnung p ∈ N, wenn H(z) von der Form ist
H(z) =
p∑n=1
a−n (z − z0)−n mit a−p 6= 0 (28)
(3) wesentliche Singularität, wenn H(z) unendlich viele Glieder enthält.
Eine isolierte Singularität z0 einer Funktion f ist also definiert durch die Form der Hauptteils
der Laurent-Reihe von f um z0.
In den folgenden Unterkapiteln wollen wir nun die Charakterisierung der verschiedenen Typen
von isolierten Singularitäten durch das Verhalten der Funktion f in der Umgebung von z0
näher beschreiben. Wir betrachten dazu zunächst drei unterschiedliche Beispiele.
16
2.1 Beispiele
Beispiel 1. (Beispiel zu hebbaren Singularitäten)
Wir betrachten die Funktion f gegeben durch
f(z) =sin z
zregulär für z 6= 0. (29)
Aus der Reihenentwicklung der Sinusfunktion erhalten wir dann die folgende Laurent-Entwick-
lung um z0 = 0
f(z) =1
z·∞∑n=0
(−1)n · z2n+1
(2n+ 1)!︸ ︷︷ ︸=sin z
=∞∑n=0
(−1)n · z2n
(2n+ 1)!(30)
Wir stellen fest, dass die Funktion f an z0 = 0 eine hebbare Singularität hat. Wegen
limz→0sin z
z= 1, können wir durch Festsetzen von f(0) = 1 die Singularität beheben. Da-
durch haben wir die Definition von f so erweitert, dass f nun auf ganz C regulär ist.
Beispiel 2. (Beispiel zu Polen)
Wir betrachten die Funktion f gegeben durch
f(z) =1
1 + z2regulär für z 6= ±i. (31)
Durch geschicktes Umformulieren auf bereits bekannte Reihenentwicklungen erhalten wir für
die Laurent-Entwicklung um den Punkt z0 = i schließlich
1
1 + z2=
1
(z − i)(z − i) + 2 + 2zi= − i
2· 1
z − i· 1
1− i2(z − i)
geom. Reihe= − i
2· 1
z − i·∞∑n=0
(i
2
)n(z − i)n = −
∞∑n=0
(i
2
)n+1
(z − i)n−1
=− i
2· 1
z − i−∞∑n=0
(i
2
)n+2
(z − i)n. (32)
Wir stellen fest das sich der Hauptteil also zu H(z) = − i2· 1
z − iergibt. Damit hat die Funk-
tion f an der Stelle z0 = i einen Pol der Ordnung 1. Analog können wir zeigen, dass diese
Funktion auch an z0 = −i einen Pol der Ordnung 1 hat.
17
Beispiel 3. (Beispiel zu wesentlichen Singularitäten)
Wir betrachten die Funktion f gegeben durch
f(z) = e1z regulär für z 6= 0. (33)
Aus der Reihenentwicklung der e-Funktion erhalten wir dann die folgende Laurent-Entwick-
lung um z0 = 0
f(z) =∞∑n=0
1
n!·{
1
z
}n. (34)
Damit hat der Hauptteil H(z) unendlich viele Glieder und die Funktion f besitzt an z0 = 0
eine wesentliche Singularität.
2.2 Hebbare Singularitäten
Beginnen wir zunächst mit dem einfachsten Fall einer isolierten Singularität, der hebbaren Sin-
gularität. Die Funktion f hat dann also auf der punktierten Umgebung0UR(z0) eine Laurent-
Entwicklung der Form
f(z) =∞∑n=0
an (z − z0)n (35)
Setzen wir nun also f(z0) = a0, so ist f auch an z0 regulär, das heißt mit anderen Worten
haben wir die Singularität „behoben“. Der folgende Satz liefert eine einfache und hinreichende
Bedingung, unter der eine Funktion f an z0 eine hebbare Singularität hat.
Satz 2.3. (Riemann’scher Hebbarkeitssatz)
Es sei z0 eine isolierte Singularität von f . Dann ist z0 eine hebbare Singularität, genau dann
wenn es eine punktierte Umgebung0U r(z0) von z0 gibt, sodass f auf
0U r(z0) beschränkt ist.
Beweis.
Nach der Definition 2.1 einer isolierten Singularität und dem Satz 1.5 der Laurent-Entwicklung,
gilt für ein R > 0
f(z) =
+∞∑n=−∞
an (z − z0)n für z ∈0UR(z0).
„⇒“:
Ist z0 eine hebbare Singularität, so gilt sogar
f(z) =
+∞∑n=0
an (z − z0)n für z ∈0UR(z0).
Diese Potenzreihe konvergiert für jede Umgebung0U r(z0) mit 0 < r < R und damit ist die
Funktion f entsprechend auf0U r(z0) beschränkt.
18
„⇐“:
Auf0U r(z0) mit 0 < r < R gelte |f(z)| ≤ M mit einer Konstanten M . Für jedes ρ mit
0 < ρ < r gilt dann für alle n ∈ Z
|an| =∣∣∣ 1
2πi·∮
Kρ(z0)
f(z)
(z − z0)n+1dz∣∣∣ ≤ M
2π·∮
Kρ(z0)
1
|z − z0|n+1dz
=M
2π·∮
Kρ(z0)
1
ρn+1dz =
M
2π · ρn+1· 2πρ =
M
ρn. (36)
Werten wir diesen Zusammenhang nun bezüglich des Hauptteils der Laurent-Entwicklung,
also für n < 0 aus, so erhalten wir mit ρ → 0, dass an = 0 gelten muss. Der Punkt z0 ist
damit eine hebbare Singularität.
2.3 Pole
Als nächstes betrachten wir den Fall, dass die Funktion f an der Stelle z0 einen p-fachen Pol
besitzt. Aus der Form der Laurent-Reihe von f ergibt sich dann der folgende Satz.
Satz 2.4. Die Funktion f hat an z0 genau dann einen Pol der Ordnung p, wenn es eine an
z0 reguläre Funktion g mit g(z0) 6= 0 gibt, sodass auf einer Umgebung von z0 gilt
f(z) = (z − z0)−p · g(z) für z 6= z0. (37)
Beweis.
„⇒“:
Sei z0 ein p-facher Pol der Funktion f . Dann lässt sich f durch die Laurent-Entwicklung
f(z) =∑∞
n=−p an (z − z0)n mit a−p 6= 0 regulär auf0UR(z0) darstellen. Hieraus folgt
f(z) =
∞∑n=−p
an (z − z0)n = (z − z0)−p ·∞∑
n=−pan (z − z0)n+p
= (z − z0)−p ·∞∑n=0
an−p (z − z0)n︸ ︷︷ ︸=:g(z)
= (z − z0)−p · g(z). (38)
Dabei ist die gewöhnliche Potenzreihe g(z) eine reguläre Funktion auf dem ganzen Gebiet
UR(z0) = {z ∈ C : |z − z0| < R}, für die außerdem g(z0) = a−p 6= 0 gilt.
19
„⇐“:
Sei g eine reguläre Funktion mit g(z) = f(z) · (z − z0)p und g(z0) 6= 0. Da die Funktion g
regulär ist kann sie durch ein Potenzreihenentwicklung dargestellt werden als
g(z) =∞∑n=0
bn (z − z0)n mit g(z0) = b0 6= 0. (39)
Weiter gilt dann
f(z) =(z − z0)−p · g(z) = (z − z0)−p ·∞∑n=0
bn (z − z0)n
=
∞∑n=0
bn (z − z0)n−p =
∞∑n=−p
bn+p︸︷︷︸=:an
(z − z0)n
=∞∑
n=−pan (z − z0)n mit b0 = a−p 6= 0. (40)
Damit hat die Funktion f an der Stelle z0 einen Pol der Ordnung p.
Als nächstes beschäftigen wir uns mit dem Zusammenhang zwischen Polen und Nullstellen.
Satz 2.5. Die Funktion f hat an z0 ∈ C genau dann einen Pol der Ordnung p, wenn1
fan z0
eine Nullstelle der Ordnung p hat.
Beweis.
„⇒“:
Die Funktion f habe an z0 einen Pol mit der Ordnung p. Dann gibt es nach Satz 2.4 eine an
z0 reguläre Funktion g mit g(z0) 6= 0, sodass auf einer Umgebung von z0 gilt
f(z) = (z − z0)−p · g(z) für z 6= z0.
Hieraus folgt schließlich1
f(z)= (z − z0)p · 1
g(z).
Wir stellen fest, dass1
fan der Stelle z0 eine Nullstelle der Ordnung p besitzt.
20
„⇐“:
Die reguläre Funktion1
fhabe an z0 eine Nullstelle der Ordnung p. Dann gibt es eine an z0
reguläre Funktion h mit h(z0) 6= 0, sodass auf einer Umgebung von z0 die Darstellung
1
f(z)= (z − z0)p · h(z)
gilt. Für z 6= z0 gilt dann weiter
f(z) = (z − z0)−p · 1
h(z)︸ ︷︷ ︸=:g(z)
= (z − z0)−p · g(z).
Wobei g(z) eine reguläre Funktion mit g(z0) 6= 0 ist. Damit hat f an z0 einen Pol der Ordnung
p.
Unter Verwendung dieses Satzes gelingt uns nun die wesentliche Charakterisierung eines Poles
durch den nachfolgenden Satz.
Satz 2.6. Es sei z0 eine isolierte Singularität von f . Der Punkt z0 ist ein Pol genau dann,
wenn gilt
limz→z0
|f(z)| =∞
Beweis.
„⇒“:
Die Funktion f habe an z0 einen Pol, so folgt direkt aus Satz 2.4
f(z) =1
(z − z0)p· g(z)
z→z0−−−→∞. (41)
„⇐“:
Es sei limz→z0 |f(z)| =∞. Dann existiert zu jedem M > 0 eine punktierte Umgebung0U r(z0)
von z0, auf der f regulär ist und weiter |f(z)| > M gilt. Insbesondere ist dort f(z) 6= 0. Wir
betrachten nun die Funktion
g(z) :=
1
f(z)für z ∈
0U r(z0)
0 für z = z0
. (42)
Da die Funktion g wegen limz→z0 g(z) = 0 auf0U r(z0) beschränkt ist, folgt nach Satz 2.3, dass
g in z0 eine hebbare Singularität hat. Durch das beheben der Singularität mit g(z0) = 0, lässt
sich die Funktion g in z0 regulär fortsetzen und hat dort eine Nullstelle, etwa der Ordnung p.
Nach Satz 2.5 folgt dann unmittelbar, dass f an z0 einen Pol der Ordnung p hat.
21
2.4 Wesentliche Singularitäten
Wir haben nun also bereits gezeigt, dass
(1) eine Funktion f an z0 eine hebbare Singularität besitzt genau dann, wenn |f(z)| be-schränkt ist für z → z0 und
(2) eine Funktion f besitzt an z0 einen Pol genau dann, wenn |f(z)| → ∞ für z → z0.
Hat die Funktion f weder eine hebbare Singularität noch einen Pol an z0, so besitzt f hier
eine wesentliche Singularität. Mit anderen Worten kann f in der Nähe von z0 denn weder
beschränkt sein, noch kann |f(z)| → ∞ gelten. In diesem Fall ergibt sich das folgende Ergebnis.
Satz 2.7. (Casorati-Weierstrass)
Es sei z0 eine isolierte Singularität der Funktion f . Dann ist z0 genau dann eine wesentliche
Singularität, wenn zu jedem ω ∈ C̃ := C ∪ {∞} eine Folge {zn}∞n=1 existiert mit
limn→∞
zn = z0 und limn→∞
f(zn) = ω
Mit anderen Worten können wir sagen, f kommt in jeder Umgebung von z0 jedem Wert ω ∈ C̃beliebig nahe.
Beweis.
„⇐“:
Gibt es zu jedem ω ∈ C̃ eine derartige Folge, so ist f weder beschränkt und kann an z0 nach
Satz 2.3 keine hebbare Singularität haben, noch gilt limz→z0 |f(z)| =∞ und somit kann f an
z0 nach Satz 2.6 auch keinen Pol haben. Folglich muss z0 eine wesentliche Singularität von f
sein.
„⇒“:
Es sei z0 eine wesentliche Singularität von f .
(a) Da z0 dann keine hebbare Singularität sein kann, ist |f(z)| nicht beschränkt für z → z0.
Damit existiert also eine Folge {zn} mit limzn→z0 f(zn)→∞
(b) Nehmen wir an, zu einer beliebigen komplexen Zahl ω ∈ C gäbe es keine Folge mit der
im Satz genannten Eigenschaft, sodass die Funktion f in jeder Umgebung von z0 jedem
Wert ω ∈ C nicht beliebig nahe kommt. So existiert dann ein ε > 0 und ein r > 0 mit
|f(z)− ω| ≥ ε für alle z ∈0U r(z0).
22
Wir betrachten nun die Funktion g mit
g(z) =1
f(z)− ωfür alle z ∈
0U r(z0).
Diese Funktion g ist regulär auf der punktierten Umgebung0U r(z0) und weiter ist g mit
|g(z)| ≤ 1
εbeschränkt. Nach Satz 2.3 ist z0 also eine hebbare Singularität von g. Durch
Festsetzung des Funktionswertes g(z0) können wir die Singularität beheben und g wird
auf dem gesamten Kreis |z − z0| < r regulär. Setzen wir g(z0) 6= 0, so ist auch f wegen
f(z) − ω =1
g(z)beschränkt und hat an z0 eine hebbare Singularität. Dies ist jedoch
nach Voraussetzung nicht möglich.
Hat g an der Stelle z0 eine Nullstelle, so hat die Funktion f(z)− ω =1
g(z)an z0 einen
Pol. Dies ist jedoch ebenfalls nach Voraussetzung nicht möglich. Damit ergibt sich die
Behauptung durch Widerspruch.
Literatur
[1] Kurt Endl und Wolfgang Luh. Analysis III. Eine integrierte Darstellung. Funktionen-
theorie, Differentialgleichung. studien-text. AULA-Verlag, Wiesbaden, 1987.
[2] R. E. Greene und S. G. Kranz. Funktion theory of one complex variable. Pure and
applied mathematics. John Wiley and Sons, 1997.
23