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Nr. 4 | 32. Jahrgang 2002 | Biologie in unserer Zeit | 205 | TREFFPUNKT FORSCHUNG EVOLUTION | Kiwi, Moa, Strauß und Kontinentaldrift Der phylogenetische Stammbaum der flugunfähigen Laufvögel ist seit Jahrzehnten umstritten. Jetzt haben vergleichende Sequenzanalysen der mitochondrialen DNA von rezenten und fossilen Laufvögeln neue Bewegung in die Diskussion gebracht. Strauße in Afrika, Emus in Australien, Kasuare in Neu Guinea und Austra- lien, Nandus in Südamerika, Elefan- tenvögel () in Madagaskar, Kiwis und Moa () in Neuseeland vertreten den Typ des flugunfähigen Laufvogels und sind damit ein klassisches Bei- spiel für die Vikarianz von Arten. Die genannten Laufvögel lassen sich auf einen gemeinsamen sekundär flugun- fähigen Vorfahren zurückführen, der vermutlich schon vor 140 Millionen Jahren auf dem südlichen Großkon- tinent Gondwana lebte. Sie bilden also eine monophyletische Verwandt- schaftsgruppe (monophyletische Taxa enthalten die Stammart und ihre sämtlichen Nachkommen). Nach dem Zerbrechen von Gondwana in Afrika, Antarktika, Australien, Indien, Mada- gaskar und Südamerika entwickelten sich die Laufvögel auf den Südkon- tinenten mehr oder minder isoliert voneinander weiter. Nach morphologischen Befunden gehören die neuseeländischen Lauf- vögel Kiwi und Moa in eine mono- phyletische Gruppe, deren Stammart sich bereits früh von den übrigen Laufvögeln getrennt hat. Kiwi und Moa lebten auf Neuseeland nebenein- ander, bis die letzten Moa um das Jahr 1800 herum von Eingeborenen ausgerottet wurden. Etwa zeitgleich verschwand auch der Elefantenvogel (Aepyornis) auf Madagaskar, er bildete nach morphologischen Befun- den zusammen mit dem Strauß eine monophyletische Gruppe. Die ältes- ten Straußfossilien stammen aus Eurasien, vermutlich gelangten Strauß- vorfahren mit der Norddrift von Indien nach Eurasien und von dort aus nach Afrika. Cooper et al. gelang es jetzt, die mitochondriale DNA (mt-DNA) dieser ausgestorbenen Arten zu sequenzie- ren, indem sie gut erhaltene Fossilien aus Kalksteinhöhlen verwendeten. Legt man ein bestimmtes Tempo von Veränderungen in der mt-DNA zu Grunde, erhält man eine molekulare Uhr für den Stammbaum. Die Ergeb- nisse bestätigen die Trennung von Emu und Kasuar vor etwa 33 bis 39 Millionen Jahren. Die mt-DNA vom Kiwi ähnelt allerdings mehr der vom Emu als der vom Moa. Demnach bilden Kiwi, Emu, Kasuar und wohl auch der Elefantenstrauß eine ab- geleitete Gruppe, der Moa gehört da- gegen mit Nandu und Strauß zu einer basalen Abzweigung. Die molekulare Uhr der mt-DNA datiert die Abzwei- gung des Moa auf etwa 82 Millionen Jahre und damit später als Nandu (vor 84 bis 94 Millionen Jahren) und früher als Strauß (vor etwa 73 bis 78 Millionen Jahren). Kiwi und Moa sind demnach unabhängig voneinander in Neuseeland eingedrungen, wobei der Kiwi erst vor etwa 65 bis 72 Millio- nen Jahren eintraf. Vermutlich nutzte er Landbrücken, die Neuseeland und Australien auch nach ihrer Trennung vor etwa 82 bis 85 Millionen Jahren noch miteinander verbanden. Auch Strauß und Elefantenvogel bilden nach den mt-DNA- Befunden keine monophyletische Gruppe. Sie könnten unabhängig voneinander von Australien/ Antarktika nach Indo- Madagaskar gelangt sein, denn diese Landmassen waren vor 80 Millionen Jahren noch über das Kerguelen- Plateau miteinander verbunden. Die Ergebnisse von Cooper et al. werden sicher dazu führen, dass auch die Biogeografie anderer Gondwana- Gruppen neu diskutiert wird. A. Cooper, C. Lalueza-Fox, S. Anderson, A. Ram- baut, J. Austin, R. Ward, Nature 2001, 409, 704- 707. Inge Kronberg, Hohenwestedt Tiere 1990 und 2001 in Namibia ge- funden wurden. Die beiden nach Plön übersandten Exemplare repräsentierten zwei weitere neue Arten einer dritten neuen Gattung und bestätigten gleichzeitig, dass Vertreter der neuen Insektenordnung bis heute überlebt haben – mindes- tens 45 Millionen Jahre lang. Vom 28. Februar bis zum 19. März 2002 fand die erste wissenschaftliche Expedition nach Namibia statt, um auf dem fast 2600 Meter hohen Brandberg nach Exemplaren der neuen Ordnung zu suchen. Das inter- nationale Expeditionsteam wurde fündig und entdeckte tatsächlich le- bende Tiere einer unbeschriebenen Art, die vorläufig „Gladiator“ genannt wurde. Die Tiere leben räuberisch und fressen andere Insekten, die sie mit den Vorder- und teilweise auch Mittelbeinen ergreifen. Die auf dieser Expedition gesam- melten Tiere befinden sich jetzt in den Klimakammern des Max-Planck- Instituts für Limnologie, wo Untersu- chungen über ihre Biologie gemacht werden. In den molekularbiologi- schen Labors der Universität Leeds in England und der Brigham Young Uni- versität in Provo, USA werden inzwi- schen erste DNA-Analysen durchge- führt, um die genaue Zuordnung der Ordnung Mantophasmatodea zum Stammbaum der Insekten zu klären. [1] G. Crampton, C. Ent. News 1915, 26, 337-350. [2] K.-D. Klass et al., Science 2002, 296, 1456-1459. [3] F. Silvestri, Boll. Lab. Zool. gen. agr. Portici 1913, 7, 193-209. [4] O. Zompro, Mitt. Geol.-Paläont. Inst. Univ. Hamburg 2002, 85, 229-261. [5] O. Zompro et al., Zool. Anz. 2002, im Druck. Joachim Adis, Plön Informationen im Internet: http://www.sungaya.de/ mantophasmatodea http://www.mpil-ploen.mpg.de/ mpiltcop.htm Videoclip: „Gladiator“ – a new insect Order (17 MB) von Joachim Adis & Kurt Hirschel (4/2002): http://www.mpg.de/pri02/pri0229.htm ABB. Die letz- ten Moa Neusee- lands wurden um das Jahr 1800 herum ausgerot- tet. Ihr Stamm- baum ist auch heute noch um- stritten.

Kiwi, Moa, Strauß und Kontinentaldrift

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Nr. 4 | 32. Jahrgang 2002 | Biologie in unserer Zeit | 205

| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

E VO LU T I O N |Kiwi, Moa, Strauß und KontinentaldriftDer phylogenetische Stammbaum der flugunfähigen Laufvögel ist seitJahrzehnten umstritten. Jetzt haben vergleichende Sequenzanalysen der mitochondrialen DNA von rezenten und fossilen Laufvögeln neue Bewegung in die Diskussion gebracht.

Strauße in Afrika, Emus in Australien,Kasuare in Neu Guinea und Austra-lien, Nandus in Südamerika, Elefan-tenvögel (†) in Madagaskar, Kiwisund Moa (†) in Neuseeland vertretenden Typ des flugunfähigen Laufvogelsund sind damit ein klassisches Bei-spiel für die Vikarianz von Arten. Diegenannten Laufvögel lassen sich aufeinen gemeinsamen sekundär flugun-fähigen Vorfahren zurückführen, dervermutlich schon vor 140 MillionenJahren auf dem südlichen Großkon-tinent Gondwana lebte. Sie bildenalso eine monophyletische Verwandt-schaftsgruppe (monophyletischeTaxa enthalten die Stammart und ihresämtlichen Nachkommen). Nach demZerbrechen von Gondwana in Afrika,Antarktika, Australien, Indien, Mada-gaskar und Südamerika entwickeltensich die Laufvögel auf den Südkon-tinenten mehr oder minder isoliertvoneinander weiter.

Nach morphologischen Befundengehören die neuseeländischen Lauf-vögel Kiwi und Moa in eine mono-phyletische Gruppe, deren Stammartsich bereits früh von den übrigenLaufvögeln getrennt hat. Kiwi undMoa lebten auf Neuseeland nebenein-ander, bis die letzten Moa um dasJahr 1800 herum von Eingeborenenausgerottet wurden. Etwa zeitgleichverschwand auch der Elefantenvogel(Aepyornis) auf Madagaskar, er bildete nach morphologischen Befun-den zusammen mit dem Strauß einemonophyletische Gruppe. Die ältes-ten Straußfossilien stammen aus Eurasien, vermutlich gelangten Strauß-vorfahren mit der Norddrift von Indien nach Eurasien und von dortaus nach Afrika.

Cooper et al. gelang es jetzt, diemitochondriale DNA (mt-DNA) dieserausgestorbenen Arten zu sequenzie-

ren, indem sie gut erhaltene Fossilienaus Kalksteinhöhlen verwendeten.Legt man ein bestimmtes Tempo vonVeränderungen in der mt-DNA zuGrunde, erhält man eine molekulareUhr für den Stammbaum. Die Ergeb-nisse bestätigen die Trennung vonEmu und Kasuar vor etwa 33 bis 39Millionen Jahren. Die mt-DNA vomKiwi ähnelt allerdings mehr der vomEmu als der vom Moa. Demnach bilden Kiwi, Emu, Kasuar und wohlauch der Elefantenstrauß eine ab-geleitete Gruppe, der Moa gehört da-gegen mit Nandu und Strauß zu einerbasalen Abzweigung. Die molekulareUhr der mt-DNA datiert die Abzwei-gung des Moa auf etwa 82 MillionenJahre und damit später als Nandu(vor 84 bis 94 Millionen Jahren) undfrüher als Strauß (vor etwa 73 bis 78Millionen Jahren). Kiwi und Moa sinddemnach unabhängig voneinander inNeuseeland eingedrungen, wobei derKiwi erst vor etwa 65 bis 72 Millio-nen Jahren eintraf. Vermutlich nutzteer Landbrücken, die Neuseeland undAustralien auch nach ihrer Trennungvor etwa 82 bis 85 Millionen Jahrennoch miteinander verbanden.

Auch Strauß und Elefantenvogelbilden nach den mt-DNA- Befundenkeine monophyletische Gruppe. Siekönnten unabhängig voneinandervon Australien/ Antarktika nach Indo-Madagaskar gelangt sein, denn dieseLandmassen waren vor 80 MillionenJahren noch über das Kerguelen-Plateau miteinander verbunden.

Die Ergebnisse von Cooper et al.werden sicher dazu führen, dass auchdie Biogeografie anderer Gondwana-Gruppen neu diskutiert wird.

A. Cooper, C. Lalueza-Fox, S. Anderson, A. Ram-baut, J. Austin, R. Ward, Nature 22000011, 409, 704-707.

Inge Kronberg, Hohenwestedt

Tiere 1990 und 2001 in Namibia ge-funden wurden. Die beiden nachPlön übersandten Exemplare repräsentierten zwei weitere neue Arten einer dritten neuen Gattungund bestätigten gleichzeitig, dass Vertreter der neuen Insektenordnungbis heute überlebt haben – mindes-tens 45 Millionen Jahre lang.

Vom 28. Februar bis zum 19. März2002 fand die erste wissenschaftlicheExpedition nach Namibia statt, umauf dem fast 2600 Meter hohenBrandberg nach Exemplaren derneuen Ordnung zu suchen. Das inter-nationale Expeditionsteam wurdefündig und entdeckte tatsächlich le-bende Tiere einer unbeschriebenenArt, die vorläufig „Gladiator“ genanntwurde. Die Tiere leben räuberischund fressen andere Insekten, die siemit den Vorder- und teilweise auchMittelbeinen ergreifen.

Die auf dieser Expedition gesam-melten Tiere befinden sich jetzt inden Klimakammern des Max-Planck-Instituts für Limnologie, wo Untersu-chungen über ihre Biologie gemachtwerden. In den molekularbiologi-schen Labors der Universität Leeds inEngland und der Brigham Young Uni-versität in Provo, USA werden inzwi-schen erste DNA-Analysen durchge-führt, um die genaue Zuordnung derOrdnung Mantophasmatodea zumStammbaum der Insekten zu klären.

[1] G. Crampton, C. Ent. News 11991155, 26, 337-350.

[2] K.-D. Klass et al., Science 22000022, 296, 1456-1459.

[3] F. Silvestri, Boll. Lab. Zool. gen. agr. Portici11991133, 7, 193-209.

[4] O. Zompro, Mitt. Geol.-Paläont. Inst. Univ.Hamburg 22000022, 85, 229-261.

[5] O. Zompro et al., Zool. Anz. 22000022, imDruck.

Joachim Adis, Plön

Informationen im Internet: http://www.sungaya.de/mantophasmatodeahttp://www.mpil-ploen.mpg.de/mpiltcop.htm

Videoclip:„Gladiator“ – a new insect Order (17 MB)von Joachim Adis & Kurt Hirschel (4/2002):http://www.mpg.de/pri02/pri0229.htm

A B B . Die letz-ten Moa Neusee-lands wurden umdas Jahr 1800herum ausgerot-tet. Ihr Stamm-baum ist auchheute noch um-stritten.