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JNM 05 17 01 Cover Beth Hart - vinotake.chvinotake.ch/pdf/Hart_Beth_Interview_JnM.pdf · dem Gitarristen Joe Bonamassa beinhaltet Covers von Billie Holiday, Etta James und Ray Charles

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Page 1: JNM 05 17 01 Cover Beth Hart - vinotake.chvinotake.ch/pdf/Hart_Beth_Interview_JnM.pdf · dem Gitarristen Joe Bonamassa beinhaltet Covers von Billie Holiday, Etta James und Ray Charles

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Als die US-Sängerin Beth Hart ”I’d Rather Go Blind” der Soul-Legende Etta James zum

ersten Mal sang, wurde unüberhörbar klar, dass in der Kalifornierin mehr als ihr bisheri-

ger gradliniger Bluesrock steckt. In ihrem exklusiven Interview mit JAZZ’N’MORE spricht

sie nicht nur über ihre musikalischen Einflüsse und ihr neues, stilistisch breiteres Album,

sondern auch ganz offen über ihren Respekt vor Musiklegenden, ihre Unsicherheiten

und ihre persönlichen Krisen. Text und Foto: Schwe Schweizer

JAZZ’N’MORE: Beth, du bist seit Februar

ununterbrochen auf Welttournee. Danke,

dass du uns zu einem exklusiven persönli-

chen Interview empfängst.

Beth Hart: Gern geschehen! Allerdings als klare Ausnahme: Auf der Tour erlaube ich La-bel und Management normalerweise nicht, meine Auszeiten zu stören. Ich brauche meine Ruhe, sonst bleibe ich nicht gesund.

JNM: Du präsentierst live dein neustes Al-

bum ”Fire on the Floor” und früheres Mate-

rial. Wann und wie entscheidest du, welche

Songs ins Programm kommen?

BH: Ich entscheide dies immer erst auf der Venue, wenn ich spüre, welche Schwingun-gen sie ausströmt, wie sich die Umgebung anfühlt, welches Wetter gerade herrscht. Ei-gentlich ist es ganz einfach: Ich wähle die Stü-cke aus, für die ich am Konzertabend jeweils in Stimmung bin. Auch die Band bringt Ideen ein. Die Sets sind immer wieder anders, wir wiederholen unsere Shows nicht.

JNM: Sind auf dieser Tour auch bisher un-

veröffentlichte Titel dabei?

BH: Als es noch kein YouTube gab und die

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Beth hart ”Fire On the FlOOr”

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Leute noch nicht mit ihren Smartphones film-ten, da habe ich oft neue Songs live auspro-biert, die ich gerade geschrieben hatte. Das kann ich leider heute nicht mehr tun: Sie wür-den aufgenommen, online verbreitet und un-kontrolliert weiterverwendet.

JNM: In deinen jüngeren Jahren gab es ne-

ben deiner Ausbildung in Gesang und auf

dem Piano auch Cellounterricht und klassi-

sche Musik.

BH: Cello und das Spielen mit dem Bogen müsste man täglich üben, das ist nicht wie Fahr-radfahren! Als junges Mädchen liebte ich die klassische Musik mit ihrer Dramatik, ihrem Schmerz, ihrer Kraft und ihrer Leichtigkeit. Es gab damals keine Musikstile, die ich nicht ge-mocht hätte. In meinem Auto läuft heute noch regelmässig ein mexikanischer Radiosender mit traditioneller Mariachi-Musik. Sie faszi-niert mich, obwohl ich selber nie ein Stück in diesem Stil gesungen habe.

JNM: Wie kamst du zu Jazz, Blues, Soul und

Rock?

BH: Meine Mutter spielte oft Platten mit al-tem Jazz und Swing. Als Kind hörte ich oft Big

Joe Turner und seinen Boogie, Blues und Rock’n’Roll. Mein Bruder brachte mich dann auf Rock, Reggae und Punk. Meine Mitschü-ler standen auf die Musik der 80er-Jahre, während ich mehr auf den dunkleren Under-ground-Stuff von The Cure oder The Smiths oder auch Ska abfuhr. Bis ich über einen Freund bei Otis Redding, Donny Hathaway, Aretha Franklin und Etta James landete.

JNM: Waren sie es, die dich schliesslich am

meisten beeinflussten?

BH: Im Prinzip schon, nur habe ich in den frü-heren Jahren meiner Karriere nie Musik in ih-rem Stil geschrieben. Ich fühlte mich einfach nicht sicher und gut genug, um diese Art von Musik zu machen. Aber ich war damals ”angry and edgy enough”, um harte Rockmusik zu singen. Auch meine softeren Nummern ”L.A. Song” und ”Leave the Light on”.

JNM: Dein erstes gemeinsames Album mit

dem Gitarristen Joe Bonamassa beinhaltet

Covers von Billie Holiday, Etta James und

Ray Charles. Hast du auf ”Don’t Explain”

2011 deinen Respekt vor den grossen Na-

men etwas ablegen können?

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C o v e r s t o r yBH: Was war ich da ”fucking nervous”, als wir deren Songs aufnahmen – ”I was terrified”! Ich dachte, ich würde mich zur grössten Idio-tin machen, die Songs dieser Musiklegenden zu singen. Erst als ich mir vorzustellen ver-suchte, von wem etwa Songs wie ”I’d Rather Go Blind” von Etta James inhaltlich handeln würden, hätte ich – Beth Hart – sie selber ge-schrieben, da fühlte ich plötzlich, dass ich sie auf meine mir eigene Art singen konnte. Viel-leicht nicht so grossartig wie das Original, aber auf jeden Fall ehrlich, nicht als ”Fake”.

JNM: Im Broadway-Musical ”Love, Janis”

hast du 1999 die schwierige Rolle der Janis

Joplin gespielt und gesungen. Welche Be-

deutung hat die Sängerin für dich?

BH: Natürlich liebe ich ihre grossartigen Songs wie ”Try” und ”Cry Baby”. Janis hatte aber sängerisch keinen Einfluss auf mich. Ich habe mir mehr Bette Midler angehört, ihre Broadway-Shows besucht und mir den Film ”The Rose” angesehen, der ja an Janis erin-nert. Als ich mit 27 die Gelegenheit erhielt, im Janis-Musical mitzuwirken, packte ich die Chance trotzdem. Für einige Zeit war das so-gar grossartig.

JNM: Nur für eine bestimmte Zeit?

BH: Ja, wegen meiner Drogen- und Alkohol-sucht, um ehrlich zu sein! Ich war nahe dran, zu sterben. Als ich zur Show zurückkam, reali-

Schleusen zu und ich schreibe vielleicht ein bis zwei Jahre überhaupt nichts. Bei der Pro-duktion von ”Better Than Home” blieb aller-dings alles im Fluss. Ich fühlte mich äusserst unsicher, einer der beiden Produzenten ver-starb an Krebs und ich landete zweimal in der Psychiatrie. Ich war so schlecht drauf, dass ich wieder zu trinken begann. Dennoch bin ich dankbar für die Erfahrungen, die ich mit ”Bet-ter Than Home” gemacht habe: Sie führten direkt zu den Aufnahmen von ”Fire on the Floor”.

JNM: Du bist umgehend wieder ins Studio

gegangen?

BH: Ich rief meinen Manager David Wolff an und bat ihn, mit dem Plattenlabel ein neues Album zu vereinbaren. Ich war so ”freaked out”, dass ich befürchtete, ohne eine gute Re-cording-Erfahrung kaum jemals wieder in ein Studio gehen zu können. Produzent Oliver Lei-ber leistete schliesslich einen grossartigen Job. Er kommt zwar aus der Pop-Richtung, was man aber auf dem Album nicht hört. Zusammen mit grossartigen Musikern haben wir ”Fire on the Floor” in nur drei Tagen aufge-nommen, geplant waren fünf. Plötzlich war alles wieder so leicht und ”a lot of fun”.

JNM: Die Basis für ein künftiges Album

wäre also gegeben?

BH: Mit Joe Bonamassa ist etwas in Vorbe-reitung, aber da gibt es noch einiges zu tun, bis das steht. Für ein eigenes Album brauche ich noch mehr Songs. Erst wenn ich genü-gend Songs abliefern kann, fühle ich mich wirklich sicher genug.

JNM: Du äusserst dich sehr offen und per-

sönlich, obschon wir uns bei diesem Inter-

view erstmals begegnet sind.

BH: Ich bin in einem Therapie-Umfeld aufge-wachsen. Deshalb bin ich es gewohnt, offen über mich zu sprechen. Musik selbst kann ei-nen öffnen und verändern. Ich hatte mit mei-ner Schwester Susan einst einen derart hefti-gen Streit, dass ich jahrelang nicht mehr mit ihr sprach. Daran änderte auch der Drogentod meiner anderen Schwester nichts. Ich wartete stur auf eine Entschuldigung. Bis ich eines Tages am Piano in einem neuen Song die Ein-gebung hatte, sie zu bitten, mir zu vergeben. Statt dem ”kiss my ass” ihr gegenüber, hat mir das Songwriting die Wahrheit gezeigt, für die ich zu blind war, um sie zu sehen. Vielleicht ist auch etwas Göttliches in solchen Eingebun-gen, wer weiss?! ■

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die Stones? Ja, stimmt, ihren Hit hat er bloss gecovert!

JNM: Als du am Tribute für die Blues-Legen-

de Buddy Guy 2012 vor dem US-Präsiden-

tenpaar Obama und illustren Gästen mit ”I’ d

Rather Go Blind” von Etta James brilliert

hast, war der ebenfalls legendäre Jeff Beck

an der Gitarre.

BH: Jeff Beck ist mit niemandem zu verglei-chen. Er hat das Gitarrespielen komplett neu erfunden. Ich würde sogar sagen, dass er gar kein Gitarrenspieler ist – ”Jeff Beck plays Jeff Beck”.

JNM: Ebenfalls herausragend auf seinen

sechs Saiten ist Joe Bonamassa. Mit ihm

bist du – neben der bereits erwähnten Stu-

dioarbeit – schon öfters aufgetreten. Was

verbindet dich mit ihm?

BH: Joe Bonamassa ist extrem talentiert. Sein musikalisches Vokabular ist immens, er arbei-tet sehr professionell. Er ist auch immer sehr generös, respektvoll und sensibel mir gegen-über. Und er hat meine Karriere, mich persön-lich als Songwriter verändert. Wir schrieben bisher keine Songs zusammen, aber bei den Covers grosser Künstler, die wir auf ”Don’t Explain” einspielten, merkte ich plötzlich, dass ich neue Wege gehen konnte mit meinem Songwriting. Meine frühere Angst legte sich und ich fand den Mut, zu neuen Ufern aufzu-brechen.

JNM: Wie schreibst du denn deine Songs?

Wie kommen Musik und Lyrics zusammen?

BH: In der Regel kommt die Musik zuerst. Sel-ten vertone ich mal einen Text. Meist übe ich auf Akkordwechseln herum. Manchmal inspi-riert mich auch ein falscher Akkord. Meine Melodien entstehen aus Akkorden. Zuweilen ist es auch umgekehrt. Die Musik definiert also, wie die Lyrics ausfallen werden. Die Tex-te zu schreiben, gelingt mir nur selten rasch, es ist der schwierigste Teil meines Songwri-tings.

JNM: Hast du nach deinem vorletzten Al-

bum ”Better Than Home” mit den sehr per-

sönlichen Balladen bewusst etwas rocki-

gere und auch jazzige Songs für das neue

”Fire on the Floor” geschrieben?

BH: Ich verrate dir ganz offen und ehrlich: Ich habe noch nie konkret geplant, ein Album mit diesen oder jenen Songs einzuspielen. Ich schreibe all meine Musik und gebe sie den Produzenten. Sie entscheiden dann, mit wel-chen Songs sie ein tolles Album machen kön-nen. Ich diskutiere mit ihnen nicht darüber. Und sollte mir das Ganze einmal nicht passen, suche ich mir einfach einen anderen Produ-zenten. Als ich ”Better Than Home” aufnahm, hatte ich mehr als 50 Songs. Einige davon sind nun auf ”Fire on the Floor”. So auch der Titelsong: Er hat es nicht aufs vorherige Al-bum geschafft.

JNM: Über 50 Songs, das ist eine Menge.

Schreibst du denn permanent?

BH: Wenn ich im Schreibmodus bin, dann ist es wie eine Sucht. Anschliessend gehen die

ausgewählte DiskOgraphie➤ F i re On the F loor, 2016 (p rovogue)➤ Be t ter than home, 2015 (p rovogue)➤ l i ve in amsterdam (mi t Joe Bonamassa), 2014 (J&r)➤ Don’t e xpla in (mi t Joe Bonamassa), 2011 (J&r)

kOnzerte28.10.2017: B lues Fes t i va l , kaisers lau tern, D08.11.2917: s t ad thal le , wien, a15.11.2017: Volkshaus, zür ich, Ch, by a l lB lues<w w w.be thhar t .com

Beth hartsänger in , p ianis t in , g i t ar r is t in und komponis t in . am 24. Januar 1972 in los angeles geboren, s tudier te Ce l lo und gesang an der hochschule . wurde 1999 mi t dem ”l .a . song” und 2003 mi t ”leave the l igh t on” in den usa bre i ter bekannt . in 20 Jahren s ind e l f s tu -d io - und zwei l i vealben erschienen. arbei te t u . a . mi t den bekannten gi t ar r is ten Je f f Beck und Joe Bona-massa zusammen. is t der ze i t au f wel t tournee.

sierte ich, wie nahe mir Janis als Person mit meinen Suchtproblemen gekommen war. Da auch eine meiner Schwestern an Drogen ver-storben war, wurde das Ganze sehr real. Also machte ich Schluss mit der Show. Ich aner-kenne bis heute aber, was für ein ”Power-house” Janis Joplin war. Sie war sehr mutig mit dem, was sie in den 60er-Jahren verkör-perte. Den wenigsten ist bewusst, wie auf sie regelrecht gespuckt wurde. Da war kein Res-pekt! Nur jene Menschen, die ihr zuhörten, begriffen damals, dass sie weissen Frauen in der Musik einen neuen Weg bereitete. Und wurde von der Musikindustrie gleichzeitig so übel behandelt. Deshalb starb sie so jung – ”she couldn’t take it”.

JNM: Auch die Soul-Legende Otis Redding

ist sehr jung tödlich verunfallt. Hast du dir

seine Musik angehört?

BH: Ich hatte alle Aufnahmen. Natürlich auch ”I’ve Been Loving You Too Long”. Ist dir aufge-fallen, dass er rund 40 weitere Stücke schrieb und aufnahm, die sehr ähnlich klingen? Viel-leicht musst du immer wieder dieselbe Art Songs schreiben, um am Schluss irgend-wann den ”fucking killer” zu haben! Erstaun-lich, wie viele Klassiker wie etwa ”Respect” er schrieb. Und ”Satisfaction”. Oder waren das

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