16
EINE LINKE ZWEIWOCHENZEITUNG 9 9 2004 12. Jahrgang 30. April 1 Euro Tel./Fax: 0341- 21 32 345 ! Wahlzeit – Kampfzeit Leipzig zwischen Montagsdemos, Haushalt-„Kon- solidierung“ durch Privatisierung, Gewerbesteuer- Rückzahlungen an Großunternehmen und: Studenten an der kurzen Leine Seiten 2/4 ! Irak: Es ist nicht alles Terror! Ein Volk wehrt sich gegen die räuberische USA- Dominanz Seite 7 ! 1. Mai historisch Die Leipziger Arbeiterschaft vor dem drohenden Ersten Weltkrieg und: Der Blutmai von 1929 Seiten 8/9 ! VfB und 1. FC Lok Seite 13 Jetzt reicht’s! Rede von Roger Schaumberg auf der Leipziger Montagsdemo vom 19. April Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst einer zum unnützen Ballast verkommenen politi- schen Klasse. Einer Klasse ohne Funktion, die im Alkoholnebel der eigenen neoliberalen Sonntags- reden längst dazu übergegangen ist, in nie ge- kannter Unverschämtheit auf dem sinkenden Schiff noch schnell das Tafelsilber des Steuerzahlers bei- seite zu schaffen ... Was Wunder, sind die Herrschaften doch faktisch arbeitslos! Denn in aller Heimlichkeit und zum Ex- zess entfesselter Profitgier greift die globalisierte Wirtschaft nach der direkten politischen Macht auf dem Planeten. Die Politiker, ursprünglich mit der Funktion ausgestattet, den Interessenaus- gleich zwischen der Wirtschaft und den lohnab- hängigen Massen zu organisieren, haben vor dem globalisierten neoliberalen Angriff bedingungslos kapituliert und hebeln damit unsere Gesellschaft aus ihren Grundfesten. Schon soll der Chef des Internationalen Wäh- rungsfonds – eines der aggressivsten Globalisie- rungsinstrumente durchgeknallter westlicher Frei- heit, die sich die Erde endgültig untertan macht – das höchste politische Amt in Deutschland beklei- den. Wann wird der Chef der Deutschen Bank zwi- schen seinen Gerichtsterminen oder einer der ge- nialen Wirtschaftsorganisatoren von DaimlerChrys- ler und Telekom endlich deutscher Bundeskanz- ler?! Dieser neue Bundeskanzler könnte dann ge- meinsam mit dem Faschisten Berlusconi die euro- päische Sachzwang-Diktatatur zwischen globalem Terrorismus von außen und dem Terror ungebrem- ster Geldgier von innen ausrufen. Ich sage: Ich bin dankbar! Endlich Schluss mit den Lügen, die mir die Luft nehmen – endlich klare Verhältnisse! Ich will, dass die Barbaren endlich ihre verlogene de- mokratische Maske fallen lassen! Ich habe einen Freund, den ich ganz besonders schätze, ihr werdet ihn kennen: den wunderbaren Sänger und Clown mit dem großen Herzen Her- man van Veen. Herman hat mir bei seiner musi- kalischen Lesung im „Lindenfels“ etwas gesagt, was ich hier öffentlich bekräftigen möchte: „Es reicht jetzt! Ihr hattet euren Spaß. Das Maß ist jetzt voll! Jetzt sind wir dran. Ich will eure drei- sten Lügen nicht mehr ertragen! Ich will eure un- geheuerliche Inkompetenz nicht mehr ausbaden! Ich will eure parasitäre Existenz aus den Taschen des Volkes nicht mehr hinnehmen!“ ... Wir sind das Volk, der Arbeitgeber dieser entfes- selten, pflichtvergessenen Meute. Ich greife den Vorschlag von Pfarrer Führer auf: Wenn das Sys- tem nicht mehr funktioniert und Gerechtigkeit und inneren Frieden nicht wahren kann, dann lasst uns den zweiten Teil der unvollendeten Revoluti- on von 1989 nachholen! An die politische Klasse in Deutschland: IHR SEID GEFEUERT! Der Autor arbeitet im Aktionskreis Frieden/Sozialforum Leipzig. Der Text der Rede wurde redaktionell gekürzt. I m Grunde genommen traten die aktiven Demokraten Leipzigs schon mit ihren Montagsmärschen der geplanten „Durchbruchsschlacht“ des Christian Worch entgegen. Der Neonazi will Leipzig am 1. Mai mit einer neuen Dimension „sozialer“ Volksverführung heimsuchen. Winfried Helbig vom Aktionskreis Frieden brachte es am Montag vor der Oper auf den Punkt: „Soziale Politik ist das beste Gegenmittel gegen Nazidemagogie.“ Seite 2 Foto: Märker

Jetzt reicht’s!

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

EINE LINKE ZWEIWOCHENZEITUNG

99992004

12. Jahrgang30. April1 Euro

Tel./Fax:0341-

21 32 345

!! Wahlzeit – KampfzeitLeipzig zwischen Montagsdemos, Haushalt-„Kon-solidierung“ durch Privatisierung, Gewerbesteuer-Rückzahlungen an Großunternehmenund: Studenten an der kurzen Leine Seiten 2/4!! Irak: Es ist nicht alles Terror!Ein Volk wehrt sich gegen die räuberische USA-Dominanz Seite 7!! 1. Mai historischDie Leipziger Arbeiterschaft vor dem drohendenErsten Weltkriegund: Der Blutmai von 1929 Seiten 8/9!! VfB und 1. FC Lok Seite 13

Jetzt reicht’s!Rede von Roger Schaumberg auf derLeipziger Montagsdemo vom 19. April

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespensteiner zum unnützen Ballast verkommenen politi-schen Klasse. Einer Klasse ohne Funktion, die imAlkoholnebel der eigenen neoliberalen Sonntags-reden längst dazu übergegangen ist, in nie ge-kannter Unverschämtheit auf dem sinkenden Schiffnoch schnell das Tafelsilber des Steuerzahlers bei-seite zu schaffen ...Was Wunder, sind die Herrschaften doch faktischarbeitslos! Denn in aller Heimlichkeit und zum Ex-zess entfesselter Profitgier greift die globalisierteWirtschaft nach der direkten politischen Machtauf dem Planeten. Die Politiker, ursprünglich mitder Funktion ausgestattet, den Interessenaus-gleich zwischen der Wirtschaft und den lohnab-hängigen Massen zu organisieren, haben vor demglobalisierten neoliberalen Angriff bedingungsloskapituliert und hebeln damit unsere Gesellschaftaus ihren Grundfesten.Schon soll der Chef des Internationalen Wäh-rungsfonds – eines der aggressivsten Globalisie-rungsinstrumente durchgeknallter westlicher Frei-heit, die sich die Erde endgültig untertan macht –das höchste politische Amt in Deutschland beklei-den. Wann wird der Chef der Deutschen Bank zwi-schen seinen Gerichtsterminen oder einer der ge-nialen Wirtschaftsorganisatoren von DaimlerChrys-ler und Telekom endlich deutscher Bundeskanz-ler?! Dieser neue Bundeskanzler könnte dann ge-meinsam mit dem Faschisten Berlusconi die euro-päische Sachzwang-Diktatatur zwischen globalemTerrorismus von außen und dem Terror ungebrem-ster Geldgier von innen ausrufen. Ich sage: Ich bindankbar! Endlich Schluss mit den Lügen, die mirdie Luft nehmen – endlich klare Verhältnisse! Ichwill, dass die Barbaren endlich ihre verlogene de-mokratische Maske fallen lassen!Ich habe einen Freund, den ich ganz besondersschätze, ihr werdet ihn kennen: den wunderbarenSänger und Clown mit dem großen Herzen Her-man van Veen. Herman hat mir bei seiner musi-kalischen Lesung im „Lindenfels“ etwas gesagt,was ich hier öffentlich bekräftigen möchte:„Es reicht jetzt! Ihr hattet euren Spaß. Das Maßist jetzt voll! Jetzt sind wir dran. Ich will eure drei-sten Lügen nicht mehr ertragen! Ich will eure un-geheuerliche Inkompetenz nicht mehr ausbaden!Ich will eure parasitäre Existenz aus den Taschendes Volkes nicht mehr hinnehmen!“ ...Wir sind das Volk, der Arbeitgeber dieser entfes-selten, pflichtvergessenen Meute. Ich greife denVorschlag von Pfarrer Führer auf: Wenn das Sys-tem nicht mehr funktioniert und Gerechtigkeit undinneren Frieden nicht wahren kann, dann lasstuns den zweiten Teil der unvollendeten Revoluti-on von 1989 nachholen! An die politische Klassein Deutschland: IHR SEID GEFEUERT!

Der Autor arbeitet im Aktionskreis Frieden/SozialforumLeipzig. Der Text der Rede wurde redaktionell gekürzt.

Im Grunde genommen traten dieaktiven Demokraten Leipzigsschon mit ihren Montagsmärschen

der geplanten „Durchbruchsschlacht“des Christian Worch entgegen. DerNeonazi will Leipzig am 1. Mai miteiner neuen Dimension „sozialer“

Volksverführung heimsuchen.Winfried Helbig vom AktionskreisFrieden brachte es am Montag vorder Oper auf den Punkt: „SozialePolitik ist das beste Gegenmittelgegen Nazidemagogie.“

Seite 2

Foto: Märker

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 20042 • MEINUNGEN

Stadthaushalt ist krankGanze vier Monate sind vergangen, seit sich LeipzigsParlament über den Haushaltsplan 2004 verständigte, undschon müssen sich die Stadträtinnen und Stadträte miteinem Defizit von 20 Millionen Euro herumschlagen. Allein14 Millionen sind auf finanzpolitische Entscheidungen derrot-grünen Bundesregierung zurückzuführen. Neun Millio-nen Mindereinnahmen gehen auf das Konto der Verschie-bung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und So-zialhilfe vom 1. Juli dieses Jahres auf den 1. Januar 2005.Fünf Millionen Euro müssen vorerst an Großunternehmenals zuviel gezahlte Gewerbesteuer überwiesen werden,weil Kapitalgesellschaften in den Genuss großzügiger Ab-schreibungsmodelle gekommen sind. Ohne sich auch nur der Mühe zu unterziehen, über Ände-rungsanträge und Kompromisse im Interesse der städti-schen Handlungsfähigkeit nachzudenken, lehnte die CDUdas Konsolidierungskonzept in der Ratsversammlung vom21. April mit fadenscheinigen Argumenten pauschal ab.Da halfen selbst die erregten Worte nichts, mit denenOberbürgermeister Tiefensee an den geleisteten Eid derVolksvertreter erinnerte. Auf das Verantwortungsbewusstsein der PDS konntensich die Leipziger hingegen verlassen. Ihre Änderungsan-träge verhinderten unter anderem geplante Kürzungen beider Ausstattung von Kindertagesstätten und Schulen. Dadie Stadtverwaltung diesen Anträgen entsprach, konntedie PDS-Fraktion dem Konsolidierungskonzept mehrheit-lich zustimmen.

• JAN DIETRICH

Terror über der HeideBeim Ostermarsch versicherte Brandenburgs Minister-präsident und SPD-Landesvorsitzender Platzeck, er wollebis zur Landtagswahl die Rücknahme der militärischenPlanungen für die Kyritz-Ruppiner Heide erreichen. Jetzterfuhr die Märkische Allgemeine Zeitung, dass Branden-burger SPD-Abgeordnete im Bundestag ihren Widerstandgegen den Luftwaffen-Übungsplatz aufgeben werden, weiles im Parlament „einfach keine Mehrheit gegen das Bom-bodrom“ gebe. Nicht einmal in der eigenen Fraktion.Falls nicht juristische Schritte noch eine Wende erzwingen,wird Tiefflugterror über Landstriche jagen, die zu den schön-sten deutschen Erholungsgebieten zählen. Die für das Bom-bodrom geplanten Flugschneisen beginnen und enden beiRostock und führen über die mecklenburgische Seenplat-te. In der Heide zwischen Kyritz und Neuruppin wird derLärm der simulierten Luftangriffe kilometerweit zu hörensein. Ein Horror für Anwohner, Gewerbetreibende und Gäs-te – auch dann, wenn sie nicht an die 43 abgestürztenTorna-dos der Luftwaffe denken.Noch ist nicht abzusehen, wie sich die Betroffenen künftigwehren werden. Den meisten ist bewusst, dass es nicht nurum sie geht. Sie wissen: Das Bombodrom ist Eingewöh-nungsstätte für verbrecherischen Krieg und Startplatz fürKriegsverbrechen.1999, beim 78-tägigen Angriff auf Jugoslawien, haben NATO-Geschwader 190 Schulen und 50 Krankenhäuser zerstört.Die Verantwortlichen laufen noch immer frei herum undhaben neue Taten im Kopf. „Bis eines Tages Stinger-Raketen über die Heide fliegen! Von unten nach oben!“,lautet ein zorniger Kommentar vor Ort. • G. BRAUN

Zweckentfremdet?Auch die PDS bekam ihr Fett ab bei der Kritik des Lan-desrechnungshofs am zweckentfremdeten Einsatz von städ-tischen Zuschüssen für Leipziger Stadtratsfraktionen. EineSonderausgabe unserer Zeitung sei mitfinanziert worden,ein „kommunalpolitischer Bezug“ nicht zu entdecken.Worum ging’s bei dieser Ausgabe? Um die Ausstellungüber Verbrechen der Wehrmacht, die vom 7. Juni bis 21.Juli 2002 in Leipzig stattfand! LN ergänzte die Ausstellungdurch Beiträge mit ausgesprochenem Leipzig-Bezug. Ineinem Geleitwort zitierte Leipzigs Kulturbeigeordneter Gi-rardet: „Die Vergangenheit muß reden, und wir müssen zu-hören. Vorher werden wir und sie keine Ruhe finden.“ Under fügte hinzu: „Diese Worte von Erich Kästner bringen dieNotwendigkeit dieser Ausstellung am Standort Leipzig aufeinen prägnanten Nenner.“ Es ehrt die Stadt und die PDS, dass sie das begriffen hat-ten. Im Unterschied zu Dresdner Buchprüfern.

• D. OST

LN. Am 1. Mai will der Ham-burger Neonazi Christian mitseinen „Freien Kameradschaf-ten“ in Leipzig zum „Generalan-griff“ antreten. Mit sozialer De-magogie in neuer Dimension –Faltblätter in Briefkästen gebeneinen Vorgeschmack – führt erden „nationalistischen Befrei-ungskampf um den Aufbau einerNeuen Ordnung“. In der Stadt,

„in der sich die sozialen Pro-bleme wie in einem Brennglasbündeln“, will Worch „die Of-fensivkraft und Ideenfaszinationdes deutschen Nationalismusvoll zum Einsatz bringen“.Das muss verhindert werden.Leipzigs Bürger sind aufgeru-fen, nach der Maikundgebungden Neonazis auf der Richard-Wagner-Straße entgegenzutreten.

Für Freitag, den 30. April, 18Uhr, lädt der Verein „Leipzig.Courage zeigen.“ zum traditio-nellen antifaschistischen

Open-Air amVölkerschlachtdenkmal

Hochkarätige Künstler wirkenmit, darunter Bettina Wegner,Propganja, Electra, SebastianKrumbiegel, Knorkato.

Kein Fußbreit den Demagogen!Nach der Maikundgebung 12.30 Uhr zur Richard-Wagner-Straße

Heraus zum 1. Mai!10 Uhr: Beginn der Demonstration vom Connewitzer Kreuz

(Kochstraße). 11 Uhr: Kundgebung auf dem Augustusplatz mit Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di.

Wachsende Beteiligung, Schul-terschluss mit Halle – das wa-ren die Akzente der 4. und 5.Leipziger Montagsdemo die-ses Jahres gegen Sozialabbau. „In Halle, das ja mal ein Zen-trum des mitteldeutschen Ma-schinenbaus war“, sagte GötzRubisch von Radio Corax am19. April vor der Thomaskirche,„ist von unzähligen Betriebenein einziger übrig geblieben:modern, konkurrenzfähig, fürQualität und Termintreue welt-bekannt. Waggonbau Ammen-dorf, leider heute in den falschenHänden. Aufsichtsräte und Ab-findungsgeier wollen die Ar-beitsplätze seiner über 700 Be-schäftigten auf dem Altar desshareholder value opfern. DieAmmendorfer haben schon ge-sagt, dass sie sich das nicht ge-fallen lassen werden.“Hieb- und stichfest widerlegteein Abgesandter des Sozial-bündnis Halle die Behauptung,man müsse kürzer treten, weilweniger zu verteilen sei. Heutesei dreimal mehr zu verteilen alsin den 60er Jahren und 25Prozent mehr als in den 80ern.Das Problem sei die ungerechteVerteilung: 50 Prozent des Ver-mögens gehören 10 Prozent derBevölkerung und bringen täg-lich 1,1 Milliarden Euro Zinsen!Mit dem Grundgesetz seienHandhaben gegeben, willkürli-chen Kapitalfluss einzudämmenund Investitionen dort zu si-

chern, wo die Arbeitslosigkeitam größten ist.Noch eins drauf setzte RogerSchaumberg vom AktionskreisFrieden/Sozialforum Leipzig –er kommt in unserer Kolumneauf Seite 1 zu Wort.Pfarrer Christian Führer fordertedie Demonstranten auf, mit ihmzusammen über die Frage nach-zudenken: „Was ist das Beste fürunser Land?“ Am 26. April –diesmal ging der Protestmarschzum Bahnhof und über den Ringzur Oper – knüpfte er daran an.„Die Logik der Herrschendenhat abgewirtschaftet! Sie gebensie aber nicht so leicht aus derHand ...“ Ohne die schöpferi-sche Kraft des Volkes gehe esnicht. Er habe eine ganze Mappemit Vorschlägen erhalten, diepolitikfähig sind. „Auf Teilenkommt es an, aber von oben

nach unten!“Tiefe Unzufriedenheit mit derPolitik seiner eigenen Parteiäußerte der ehemalige IngenieurPeter Völker, Sozialdemokrat, be-kennender Christ und IG-Me-taller. „London hat seinen HydePark – wir haben den Augustus-platz, und den müssen wir nüt-zen!“ Weitere Redner warntenvor dem dem Einbruch des Bin-nenmarktes bei „neuen sozialenVerwüstungen“ und wiesen dar-auf hin, was Beziehern vonArbeitslosengeld II blüht: Badmit Dusche steht ihnen nicht zu,sie sind nicht mehr rentenversi-chert. Micha vom Streikomitee der Uniforderte zur Fortsetzung der De-monstrationen auf. Winfried Hel-big erinnerte an die neue Worch-Invasion, die am Sonnabend zuvereiteln sei. • G. BRAUN

Ruf der Leipziger Montagsdemos:

„Sie sagen kürzen, wir sagen kämpfen!“

Sarah Wagenknecht unter den Montagsdemonstranten. Die PDS-Kandidatin fürs Europaparlament war zum Wahlkampfauftakt derSozialisten nach Leipzig gekommen. Foto: Märker

„Wenn Leipzig in der kom-fortablen Lage ist, dass jederseine Wohnung bekommenkann (soweit der Geldbeutelreicht), dann deshalb, weil inden Jahrzehnten zuvor dieentsprechenden Vorleistungengebracht wurden.“ Einer derKerngedanken, mit denen Stadt-rat Siegfried Schlegel (PDS)beim Bürgerforum im Quartiers-laden des WK 7 in Leipzig-Grü-nau das Thema Wohnungsleer-stand anging. Wenn der be-kämpft werden soll, dürften„Neubau- und Gründerzeitwoh-nungen nicht politisch gegenein-ander ausgespielt werden“. Zu-

mal besonders im Norden Leip-zigs Wohnungen aus DDR-Zeitrecht gut belegt seien. Wennnötig, so das Mitglied des LWB-Aufsichtsrats, könnten leer ste-hende Neubauten in Erwartungvon Industrieansiedlung vor-übergehend „eingemottet“ wer-den. Im übrigen habe die PDSdarauf gedrängt, bei Abriss undUmlenkung wie auch bei Sanie-rung nach den Wünschen derMieter zu fragen – Stichwort„Zielwohnungen“. Das habe sich

inzwischen durchgesetzt.Für Grünau habe die PDS bean-tragt, den auch aus finanziellenGründen überholten Stadtent-wicklungsplan zu erneuern.Klaus Hochtritt, LWB-Ge-schäftsstellenleiter West, kriti-serte die Landesregierung, dienur Abriss finanziell fördere undechten Umbau verhindere. Dasbewegt nicht zuletzt die Be-wohner des 9-Geschossers Ju-piterstraße 39, die Abriss be-fürchten. • gb

„Stadtumbau“ in Leipzig-Grünau:

Wohnungspolitik des Freistaats am Pranger

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 2004 THEMA • 3

Opel, Audi, Ford und wie sie alleheißen, zeigen Weltneuheiten indiesen Apriltagen in Leipzig.

Ingesamt 120 Premieren konnten dieBesucher der Automesse, der Auto MobilInternational (AMI) bestaunen. Maseratigab mit dem GranSport sein Debüt inostdeutschen Landen. Neben Ferrariwaren auch Chevrolet und Cadillac erst-mals in Leipzig vertreten. Wenn das keinAufschwung Ost ist! Funkelnde Bolidenund Superboliden, wohin das Augeschaut. Und die Leute schauen und stau-nen und träumen ihre ja meistens uner-füllbaren Träume umso entzückter, jemehr PS unter der jeweiligen Motor-haube schlummern. Formel-1-Pilot Da-vid Coulthard durfte, assistiert vom – wieman weiß – außerordentlich erfolgrei-chen Verkehrsminister Manfred Stolpesowie vom Niedriglohn-Experten Prof.Milbradt, die Schau symbolisch eröffnen.Leipzigs OBM Tiefensee heftete schnellnoch ein Olympia-Abzeichen an Coul-thards Brust, das dieser auch gönnerhaftbeim Grand Prix in Imola tragen will. Glänzende Karossen allüberall. Jeden-falls innerhalb des Messegeländes. ZehnKilometer Landstraße vom Messegeländeentfernt, in einer Dorfstraße, in der un-term Dach „der Alte“ wohnt, geht esbescheidener zu. Der Mann darf ja nichtmal mehr sein Moped fahren, weil deminzwischen einiges fehlt, um verkehrs-tüchtig zu sein. Die nötigen Ersatzteilesind teurer als die Stütze, die er im gan-zen Monat bekommt. Jeder in der Dorf-gemeinschaft nennt den nur noch manch-mal ordentlich Rasierten, der gerade erst50 Jahre alt wurde, den Alten. Arbeitslosist der einstmals selbstbewusste Kraft-fahrer, abgesehen von kurzzeitigen ABM-Zwischenspielen, seit der Wende.Vor einiger Zeit bekam er eine Auffor-derung vom Arbeitsamt, er solle unter-schreiben, dass er sich auch von Drittenvermitteln lässt. Was soll das wiedersein? Aber Vermittlung klingt ja schonmal gut. Also unterschrieb er. Jetzt bekamer einen Brief, er solle sich die Woche dar-auf in Düsseldorf einfinden. Was macht da

einer, der inzwischen von 300 Euro imMonat leben muss, der sich weder einenBesuch auf der Automesse (von einstigenBerufs wegen reizt sie ihn sehr) nochirgendeinen fahrbaren Untersatz leistenkann, der gleich gar nicht in der Lage ist,sich eine Zugfahrkarte in den goldenen

Westen zu kaufen? Und dann, selbst wenner irgendwie in Düsseldorf ankäme, wiesoll er dort leben, von welchen Geld ersteinmal wo schlafen?

So gesehen trifft der ArbeitskreisSPD-naher Manager genau insSchwarze. Denn der forderte dieser

Tage, die Arbeitslosenhilfe solle regiona-lisiert werden, das Leben auf dem Landesei schließlich billiger als in der Stadt.Zwar koste das Auto überall gleich, aberFriseur, Eigenheim, Arzt oder Dienst-leistungen seien in der Stadt doch erheb-lich teurer. Sei die eine oder andere Idi-otie dieser Gedanken dahingestellt, Tat-

sache ist, unser Alter sackte, vor allemweil er auf dem Lande lebt, noch nichtvöllig ab, er ist nie wirklich betrunken,noch nicht obdachlos und Friseurkostenspart er sich, weil er eine Glatze hat. Malkann er helfen, einen Fischteich zu ent-schlammen, mal einen Kuhbesitzer beim

Füttern vertreten. Auch zum Holzhackenist er gern gesehen. Da fällt immer malein kleiner Geldschein oder eine warmeMahlzeit ab – falls sich sein Nützlich-machen nicht eines Tages als Schwarzar-beit darstellt. Apropos warme Mahlzeit:die kann er sich höchstens auf seinemKohleofen zubereiten. Er hat nämlichkeinen Strom. Als er wenige Jahre nachder Wende als allerletzter aus einemAbrisshaus auszog, kam die große Über-raschung: eine Energierechnung von rund10 000 DM. Da hatte ihn wohl diebenachbarte Baustelle angezapft.Für den Alten – politisch mitunter eingewitzter, weil betroffener Diskutierer,

aber ansonsten doch eher ein Menschschlichter Denkungsart – ein unlösbaresProblem. So unlösbar wie die Aufforde-rung, nach Düsseldorf zu kommen. Alsoentsorgte er die Arbeitsaufforderung wiedamals die Energierechnung kurzerhandim Mülleimer. Im letzteren Fall mit derKonsequenz, dass er bis heute toteSteckdosen hat, weil ja noch eine horren-de Rechnung offen ist. Und im im jünge-ren Fall? Nachbarn warnten ihn, dieAufforderung zu ignorieren, könne dengänzlichen Entzug seiner Stütze bedeu-ten. Aber da winkte er bloß ab: „Nochweniger als die mir jetzt geben, geht so-wieso nicht mehr.“Wahrscheinlich aber doch. Denn sieheoben, SPD-nahe Manager sehen auf demLand durchaus noch Kürzungsmög-lichkeiten der Sozialhilfe, weil ja dasEigenheim hier kostengünstiger zu erhal-ten ist … usw.Zu allem Ungemach wird der Alte wahr-scheinlich am grünen Star erblinden. Umdas zu verzögern, gäbe es teure Medika-mente. Weil er aber so schon nicht weiß,wie das Geld für Essen und Rasierzeug undmal für ein paar Schuhe reichen soll, wagter sich erst gar nicht mehr zum Arzt.Gewiss gibt es selbst in dieser radikal un-sozial werdenden Gesellschaft in solcheinem Fall Hilfe und Auswege. Aber ei-ner wie der Alte, in der DDR aufgewach-sen, stolz und unabhängig und von Staatswegen versorgt mit allem Lebensnotwen-digen, beherrscht das Bittstellen nicht. Erglaubt auch gar nicht, dass es für ihnHilfe geben könnte, und hat sich seinemSchicksal ergeben. Und wenn es einmalgar nicht mehr weitergeht, dann müsse ereben dafür sorgen, sein Leben im Knastzu beschließen. So schlimm sei es dortgar nicht, tröstet er sich und den erschro-ckenen Zuhörer. Einen warmen Platz fürden Winter jedenfalls habe er sich schonein paar Mal erprügelt. „Am bestenklappt es, wenn du auf einen Bürger-meister losgehst“, grinst er und schautdann doch ziemlich hilflos und traurig indie Welt.

• MAXI WARTELSTEINER

ALS LETZTER PUNKT auf derMärz-Sitzung des LeipzigerStadtrates stand die „Überleitungdes Eigenbetriebes StädtischeAltenpflegeheime in eine gGmbH“auf der Tagesordnung. Angesichtsder gravierenden Veränderungen,die diese Ratsvorlage mittel- undlangfristig bewirken wird, verdeut-licht allein schon dieser Tages-ordnungsplatz, welchen Stellenwert dieVerwaltungsspitze der sozialen Daseins-vorsorge beimisst. Allein die PDS-Fraktion hatte schon im Vorfeld ihr prin-zipielles Nein zur Privatisierung derstädtischen Altenpflegeheime deutlichgemacht und stimmte entsprechend ab.

Nachstehend skizziert der sozial-politische Sprecher der PDS-Stadtratsfraktion, Dr. Dietmar Pellmann, die wich-tigsten Ablehnungsgründe, die erauch in der entsprechenden Stadt-ratsdebatte vortrug:

Es gibt zunächst prinzipielle politischeGründe gegen die Bildung einer solchenGmbH. Zwar will die Stadt alleinigerGesellschafter bleiben, schließt aberkünftig den Verkauf von Anteilen an pri-vate Interessenten nicht aus. NichtsNeues, denn schon in den letzten Jahrenhat sich die Stadt aus ihrer Trägerschaftfür Altenpflegeheime immer weiterzurückgezogen. Der derzeitige kommu-

nale Anteil von reichlich einem Fünftelist bereits jetzt viel zu gering.In den nächsten Jahren soll die Zahl derstädtischen Heimplätze um fast ein Drit-tel reduziert werden, obwohl der Bedarfan stationärer Pflege schon mittelfristigkräftig ansteigt. Wie will die Stadt beieinem solchen Kurs in Zukunft nochernsthaft auf die Steuerung von Angebotund Nachfrage einwirken? Auf der einenSeite fordert man auch im Sozialbereichden Wettbewerb, auf der anderen Seitevergibt man sich durch die Reduzierungdes eigenen Sektors immer mehr wirkli-che Einflussmöglichkeiten. Die entste-henden Lücken werden von Privatan-bietern geschlossen, die in erster Linieauf Gewinnmaximierung aus sind. Dassgerade das für die Stadt am Ende nochwesentlich teurer wird, dürfte feststehen.Denn immer mehr Pflegebedürftige wer-den die steigenden Kosten nicht mehrselbst aufbringen, was zwangsläufig zueinem Anstieg der städtischen Sozialaus-gaben führt.Ein Blick in die Vorlage lässt einen

erschauern. Gehtes überhaupt nochum Menschen, zu-mal um Ältere?Ebenso könnte dieUmstrukturierungeines industriellenUnternehmens gemeint sein. Wo sind wirhingekommen, wenn nur noch Kate-g-orien wie Rentabilität, Markt, Kundeoder Unternehmenszweck gelten und völ-lig außen vor bleibt, dass es die älterenLeip-zigerinnen und Leipziger nichtzuletzt durch ihre Aufbau- und Lebens-leistung verdient haben, in einem städti-schen Heim gepflegt zu werden, wenn siees selbst wünschen. Die Befürworter der Privatisierung ver-wiesen in der Debatte immer wieder aufdie großzügige Verfahrensweise im Um-gang mit dem Personal der Heime, das„erst“ zwei Jahre nach der GmbH-Bil-dung mit tariflichen Veränderungen zurechnen habe. Diese Regelung, die überdie gesetzlichen Bestimmungen hinaus-geht, wurde ohne Zweifel auf Druck des

Personalrates und der Ge-werkschaftsvertreter er-zielt. Dennoch wird es nachder „Schonfrist“ zu Gehalts-reduzierungen kommen undein Drittel der jetzt noch 700Beschäftigten wird mit Si-cherheit die Kündigung er-halten. In diesem Prozessdürfte sich auch der Anteilder Fachkräfte verringern,was freilich negative Aus-wirkungen auf die Pflege-qualität hat. Lohndumping ist besondersdurch die beabsichtigte Aus-

gründung von Dienstleistungsbereichen zuerwarten. Dass diese Methode mittlerweileunter Experten mehr als umstritten ist, zei-gen Krankenhäuser und andere Sozial-einrichtungen in den alten Bundesländern.Hier werden seit einiger Zeit solche Aus-gründungen wieder rückgängig gemacht.Alles in allem ist die Entscheidung derStadtratsmehrheit nicht nur kurzschlüs-sig, weil die mittel- und langfristigenAuswirkungen nicht bedacht wurden.Sie ist auch gegen die Interessen vonPflegebedürftigen und Pflegenden ge-richtet, weil deren Verhältnis unnötigenBelastungen ausgesetzt wird. Und obdieser weitere Schritt zur Privatisierungsozialer Daseinsvorsorge den städti-schen Haushalt entlastet, bleibt mehr alsfraglich.

Geht es noch um Menschenoder nur noch um Gewinn?Anmerkungen zur Bildung der gGmbH Altenpflegeheime

Ein freier Mensch in einer freien Gesellschaft

Absolut keine frei erfundene Geschichte

Foto: Märker

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 20044 • POLITIK

Am 14. April fand mit über 7000 Teil-neh-mern eine der größten Vollversamm-lungen der Leipziger Studierenden statt,bei der über mögliche Reaktionen auf diedesaströse Lage der sächsischen Univer-sitäten und die weiteren „Reformvor-schläge“ der Landesregierung beratenwurde. Bereits vorausgegangen warenWochen mit Streiks, Demonstrationenund Aktionswochen in ganz Sachsen miteinem Schwerpunkt in Leipzig, mit denenPolitikerInnen lautstark an ihreVerantwortung erinnert wurden.

Der Hintergrund der Proteste sind „Re-formen“, die eine bessere Lehre undzugleich Haushaltseinsparungen bewir-

ken sollen. Im Klartext heißt dies Einsparungenim Bildungssektor und eine weitere Verdrän-gung finanziell nicht so gut gestellter Stu-dierender aus den Universitäten. Langzeitstu-dierende sollen, wenn sie die Regelstudienzeitüberschreiten, für jedes folgende Semester Stu-diengebühren zahlen. Eine Richtgröße könntebei 1000 Euro liegen. Außerdem soll die Stu-dienlandschaft in Sachsen verschlankt werden.Fakultäten außerhalb der Schwerpunkte derjeweiligen Universität sollen geschlossen wer-den. Betroffen davon wäre u. a. die nach derWende installierte juristische Fakultät inDresden, die erst vor wenigen Jahren einenmillionenschweren Neubau erhalten hatte.Nicht zuletzt sollen damit Stellen von einigenhundert WissenschaftlerInnen und Mitarbei-terInnen an den sächsischen Universitäten„eingespart“ werden.Dabei ist der Zustand der Universitäten jetztschon besorgniserregend. Die Ausstattungder Universitäten lässt es vielfach nicht zu, inder Regelstudienzeit zu studieren, da dieAnzahl der Plätze in Seminaren und Praktikabegrenzt ist und die Nachfrage das Angebothäufig bei weitem übersteigt. Die Zahl derStudierenden steigt weiter, wogegen dieMittel der Hochschulen konstant bleiben odersogar sinken. Neben ein Angebotsdefizit an

Veranstaltungen tritt eine mangelhafte undsich weiter verschlechternde Betreuung derStudierenden an den Universitäten. Von einerIntegration von Forschung und Lehre, umStudierende möglichst nah an der aktuellenForschung auszubilden und zum Nach- undWeiterdenken anzuregen, hat man sich auspersonellen und finanziellen Gründen bereitsjetzt weitgehend verabschiedet. Neben demStudium müssen viele Studierende jobbengehen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzie-ren. Intensives Lernen und Forschen an den

derzeitigen Universitäten ist nicht mehr mög-lich.Bundesweit hat sich gegen den schlechtenZustand der Universitäten und die Bestre-bungen weiterer Einsparungen ein breiterWiderstand etabliert, der sich auch auf einbreites Fundament in Sachsen stützen kann.Die Leipziger Vollversammlung der Studie-renden hat sich an den Aktionsformen betei-ligt. Bei der letzten Versammlung wurde zwarmit 54 Prozent der Stimmen ein einwöchigerVollstreik mit Blockade der Uni-Gebäudeabgelehnt, aber die Aktionswochen werdenfortgesetzt. Hier wird in zusätzlichen Veranstal-tungen die Lage der Universitäten diskutiertund werden Lösungsvorschläge entwickelt.Solche Aktionswochen sind eine Chance undauch konstruktiver Bestandteil des univer-sitären Angebots. Gleichzeitig droht allerdings jetzt die Stu-dierendenbewegung wieder zu erlahmen. EinStreik hätte nicht nur die Möglichkeit zueiner anhaltenden Medienpräsenz geboten.Denn nur öffentlicher Druck scheint in derderzeitigen Situation in der Lage, die „Re-

formen“ der Landesregierung in eine denHochschulen gerecht werdende Richtung zulenken. Das bedeutet nach Auffassung derLeipziger Studierenden • ein Verbot jeglicher Studiengebühren, • eine Demokratisierung der Hochschule, • eine bedarfsgerechte Finanzierung derHochschulen anhand der tatsächlich einge-schriebenen Studierenden, • eine gesellschaftsoffene Hochschule mit demAnspruch, freien Austausch von Wissen undMeinungen zu ermöglichen und zu fördern,

• Abkehr vom Modell der Eliteuniversitäten(da sie einer breiten, qualitativ hochwertigenBildung der Bevölkerung entgegenstehen),• Stopp der neoliberalen Entwicklung vonBildungs- und Sozialpolitik und eine Ausset-zung der Agenda 2010. Wer in unserer Gesellschaft ernsthaft mehrBildung möchte, wird nicht umhin kommen,auch mehr Geld als bisher zu investieren. Dasbedarf natürlich einer Prioritätenverschie-bung in der Haushaltspolitik und eines ent-schlossenen politischen Willens. Die Leipziger Studierenden, ProfessorInnenund MitarbeiterInnen der Universität setzensich für ihre und die Interessen folgenderGenerationen ein und sind auf Unterstützungaus der ganzen Bevölkerung angewiesen.

• HEINZ VOß

Weitere Hintergründe und Informationen zu denAktionen und Forderungen der Leipziger Studie-renden finden sich unter http://streik.behaemmert.com (der offiziellenProtest- und Streikseite der Leipziger Uni) undnatürlich im Studierendenrat der UniversitätLeipzig.

Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft?

Ist der Kampf darum allein Sacheder Studierenden?

LN. Die Lage ist dramatischernst. In Leipzig wie in der über-großen Mehrzahl der deutschenStädte und Gemeinden.Wegbrechende Steuereinnahmenstehen wachsenden Belastungenim sozialen Bereich gegenüber.„Hartz IV“, die Zusammenle-gung von Arbeitslosen- und So-zialhilfe, sollte die Kommunenentlasten. Für Leipzig jedochwird sich daraus im Vergleich zu2003 eine Mehrbelastung von 42Millionen Euro ergeben. Dr. Lothar Tippach, PDS-Frak-tionschef im Leipziger Stadtrat,hat in einem offenen Brief an denBundeskanzler gewarnt: „Dasgeht so nicht weiter. Der sozialeFrieden ist in Gefahr.“ Unum-gänglich ist eine Gemeindefi-nanzreform, die die strukturellenHaushaltsdefizite beseitigt undfinanzielle Verlässlichkeit her-stellt.Aktueller Anlass seines Briefessind die in LN Nr. 8 bereits ge-meldeten Netto-Gewerbesteuer-rückzahlungen für 2000 bis 2002an Leipziger Großunternehmen(unsere Vermutung, dass esQuelle ist, bestätigte sich), die indiesem Frühjahr dank der „Steu-erreform“ der derzeitigen Re-gierungskoalition fällig werden.Diese „Bevorzugung von Groß-unternehmen“, wie Dr. Tippaches nennt, kostet Leipzig eineRückzahlung von 10 MillionenEuro. Dabei beträgt der Ansatz

für die gesamte Gewerbesteuerim Haushaltplan 2004 gerade126 Millionen Euro.Lothar Tippach fordert eindring-lich eine Umkehr der Politik ge-genüber den Kommunen, selbstdie Pflichtaufgaben seien inzwi-schen kaum noch zu erfüllen.Die Haushaltskonsolidierungen

der letzten Jahre waren bekannt-lich bereits mit massiven Ein-schnitten im sozialen Bereichverbunden. Schulen, Bibliothe-ken, Bäder und viele andere Ein-richtungen bekamen dies zuspüren. Weitere, kaum mehr zuverantwortende Schließungenund Mittelkürzungen wird auch

das erst am 21. April beschlos-sene Haushaltskonsolidierungs-konzept bringen.„Verantwortlich auch für dasjüngste Haushaltsdefizit sindBund und Land. Zu decken istein Fehlbetrag von 20 Millionen.Euro Allein 14 Millionen. Eurosind durch bundespolitische Ent-scheidungen hervorgerufen“, soTippach.Dabei ist Leipzig ohnehin geprägtdurch eine überdurchschnittlichhohe Arbeitslosenquote und dengrößten Anteil von Sozialhilfe-empfängern aller sächsischenGroßstädte.Die Leipziger PDS-Fraktion hatsich in dieser Situation an denVorstand von Quelle mit derBitte gewandt, die Stadt Leipzigbei der Erfüllung ihrer sozialenAufgaben zu unterstützen, indemein Teil der Steuerersparnis z. B.für die dringend notwendige Sa-nierung von Schulen zur Ver-fügung gestellt wird. Das kommeletztlich den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern wieder zugute.

WARUM, Herr Bundeskanzler,

diese skandalöseSteuerrückerstattung an das

Großunternehmen Quelle?

Schon wieder Geld für Versagen im Amt?

Ist das nicht hanebüchen: Wenn der OBM, wie jetzt angekün-digt, (hilfreich) einen Antrag auf Abwahl des Leipziger Stadtkäm-merers und Bürgermeisters Peter Kaminski (CDU) stellt, ist derfein raus. Denn dann fließen seine Bezüge bis 2008 weiter. Solange reicht die Wahlperiode, für die er gewählt wurde. Zudemerhält er dank einer Abwahl Pensionsansprüche.Wenn aber das Bauernopfer Kaminski – denn das ist er aufjeden Fall angesichts immer noch nicht aufgeklärter CDU-Kun-geleien – freiwillig zurücktritt (was er, weil er ganz gewiss keinDummer ist, strikt abgelehnt hat), dann ginge er leer aus. Fallsdie PDS ihre etwas überraschend gekommene Zustimmung zurAbwahl wahr macht (Entscheidung nach Redaktionsschluss),müsste der CDU-Mann ausgerechnet auch noch ihr dankbarsein. • MX

Nachdem der Stadtrat am17. März trotz öf-

fentlichem Protest auch mitPDS-Stimmen den Abrissder Fußgängerbrücke amGoerdelerring beschloss –von den Leipzigern wegenseines einstigen blauenAnstrichs liebevoll „BlauesWunder “ genannt, erhieltdas Unternehmen Indu-striemontagen Leipzig(IMO) den Zuschlag zumRückbau der Brücke. AlsBetriebsteil des VEB IMOMerseburg im Metall-Leichtbaukombinat (MLK)war es einst an der Ferti-gung und Montage derBrücke beteiligt.Offenbar gibt es auch inder Stadtverwaltung Un-verständnis über den frag-

würdigen Stadtratsbe-schluss. Denn auf Nach-frage informierte das Tief-bauamt, dass die Brücke anmehreren Wochenen-denso zurückgebaut werdensoll, dass drei geradlinigeBrückensegmente im Gan-zen geborgen und zwi-schengelagert werden kön-nen.Derzeit untersucht das Amtfür Verkehrsplanung dieWeiternutzung der Teileüber Flussläufe. Damit greiftkeineswegs ein CDU-Er-gänzungsantrag, sie alsFußgängerbrücke über dieEisenbahnstrecke bei Al-tenhain nachzunutzen.Denn für Brücken überEisenbahnlinien gelten an-dere Bauvorschriften als fürStraßenbrücken.Vielmehr kommt nun einfast vergessener PDS-An-trag aus dem Jahre 1991zur „Bergung und Wie-derverwendung von Bau-teilen“ zum Zuge. Mit ihmwar die Stadtverwaltungaufgefordert worden, vonvornherein eine Nachnut-zung von Bauteilen undKonstruktionen zu prüfen,zumindest sollte Bau-stoff-recycling gesichert werden.Damals war es nicht üblich,dass baudenkmalhistorischwertvolle Bauteile aus nichtmehr erhaltungsfähigenGebäuden nachgenutztoder recycelt wurden. DieGroßdeponie Gröbern gabes noch nicht einmal aufdem Papier. Die DeponieSeehausen drohte in kür-zester Zeit überzuquellen.Aber der Abriss Ost führtebereits zu unkontrolliertemund ungeordnetem Abkip-pen in den Tagebau Es-penhain.Man sieht – ein aktuellgebliebener Antrag.

• SIEGFRIED SCHLEGEL

„Blaues Wunder“

soll weiterleben

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 2004 REPORT • 5

Nach längerer Zeit konnte mankürzlich wieder etwas über dieSkatstadt in der überregionalenPresse lesen. Auf einer Müll-deponie waren zwei LKW-La-dungen nachgemachter Origi-nal Altenburger Spielkarten,sogenannte Raubkopien, imWerte von 500 000 Euro ver-nichtet worden; der Fälscheraus Dortmund sitzt hinterSchloss und Riegel.

Um die Stadt Altenburg –berühmt durch ihren Zie-genkäse, den schmack-

haften Senf, die Spielkartenfa-brik, das Theater und das Lin-denau-Museum – ist es in denletzten Jahren merklich stillgeworden. Mancher erinnertsich vielleicht noch an die Aus-einandersetzung zweier Käse-reien, welche Firma den Mar-kennamen „Altenburger Ziegen-käse“ tragen darf, oder an dieSchlachten um die AnerkennungAltenburgs als Skatstadt. Auchdie Diskussionen über die Ein-gliederung der Stadt in die neuenBundesländer Sachsen oder

Thüringen sind Geschichte: DerKreistag beschloss 1990 denBeitritt der Stadt zum LandThüringen und negierte damitden Willen der Bevölkerung,die sich in einer Volksabstim-mung für Sachsen entschiedenhatte. Über die Folgen derEntscheidung kann man speku-lieren, Altenburg profitiertheute jedenfalls in erster Linievon der Nähe zur RegionLeipzig.

Wenn man sich derStadt mit dem Pkwvom Norden nähert,

fällt die neugestaltete, breitereund begradigte Bundesstraße 93ins Auge, die sicherer gewordenist. Doch kurz vor dem Stadt-rand verwandelt sie sich in ein

hässliches Verkehrssystem mitmehrspurigen Fahrbahnen undasphaltierten Zu- und Abfahr-ten, die die Landschaft tief zer-schneiden und die Natur verun-stalten. Die Pisten dienen derAnlieferung von Waren in dasebenfalls am nördlichen Stadt-rand entstandene Gewerbege-biet und sind der Beginn einerUmgehungsstraße. Die Stadt Altenburg versucht,durch eine moderne Infrastruk-tur Investoren anzulocken. Im19. Jahrhundert lag der Ort anwichtigen Handelsstraßen unddie Märkte florierten. Die Na-men „Kornmarkt“ und „Topf-markt“ im Zentrum weisennoch auf diese Blütezeit hin.Heute ist die wirtschaftlicheSituation bescheiden, denn nachder Liquidierung der Braun-kohleindustrie und der Ab-wicklung großer Betriebe, wiedes Nähmaschinenwerkes VEBTextima und des VEB Elektro-wärme, gab es nur wenige Neu-ansiedlungen. Es ist noch nichtgelungen, ein großes Unter-nehmen für den Standort zu ge-

winnen. Die Stadtverwaltung und dasLandratsamt sind die größtenArbeitgeber der Stadt – das sagtalles. Die Arbeitslosenquote be-trägt seit Jahren 20 Prozent undmehr. Im März 1998 war manmit 25 Prozent sogar Schluss-licht in Deutschland. Viele jun-ge Leute verließen in den letz-ten Jahren die Stadt; die Ein-wohnerzahl sank nach derWende von 53 000 auf 39 000,die Abwanderung dauert an.In Altenburg scheut man keineAnstrengungen, die Stadt fürTouristen attraktiver zu ma-chen. Jedes Jahr wird im Maidas traditionelle Skatbrunnen-fest gefeiert, verbunden miteinem großen Skatturnier. Aber-gläubige Spieler haben dann die

Gelegenheit, ihre Karten mitdem angeblich Spielglück brin-genden Wasser zu „taufen“. DerSkat ist allerdings kein Lehr-fach in den Schulen. Früherhielt sich diese Legende hart-näckig. Wenn man sich irgend-wo im Lande beim Skat alsAltenburger zu erkennen gab,erntete man Aufmerk-samkeit:„Vorsicht! Der ist mit denKarten aufgewachsen.“Ebenfalls einmal im Jahr wirdein großes Schlossfest in mittel-alterlichem Couleur organisiert.Man vergnügt sich in einerWeise, von der man glaubt, dasssie im Mittelalter typisch war:nackte Mägde im Waschzuber,Gaukler und Bänkelsänger aufder Bühne, überall Gesottenesund Bier.Im Jahre 2005 soll der 550. Jah-restag des berühmten Prinzen-raubes von Altenburg mit spek-takulären Festwochen (!) be-gangen werden. Nachgestaltetwird dann, wie die beiden Prin-zen Ernst und Albrecht des Kur-fürsten Friedrich der Sanft-mütige anno 1455 vom RitterKunz als Geiseln genommen undentführt wurden. Wie die se ter-roristische Aktion sich abspielte,ist nicht überliefert. Mancherfavorisiert das Abseilen vomBurgfenster in die Tiefe.

Es ist kein Geheimnis,dass das tausendjährigeAltenburg in den Jahren

nach der Wende vor dem bauli-chen Verfall gerettet wurde.Wenn auf eine Stadt die Be-zeichnung „marode“ zutraf,dann auf die frühere Kreisstadtim Bezirk Leipzig. Heute sindgroße Teile der Altbausubstanzsaniert oder nach Abriss wurdeNeues geschaffen. Der Leer-stand ist allerdings hoch. Diehistorischen Gebäude, insbe-sondere das Schloss mit Kirche,Hungertum und Hausmanns-turm, wurden rekonstruiert.Auch das Landestheater mit sei-ner schönen Freitreppe – einstsang auf dieser Bühne HelgeRoswenge und Jürgen Frohriepspielte den Karl Moor inSchillers „Räubern“ – erstrahltin neuem Glanz. Der Zuspruchist trotz anspruchsvollem Pro-gramm zurückgegangen; um zuüberleben, fusionierte man mitdem Theater Gera.In der Burgstraße, die am Skat-brunnen vorbeiführt, kann manin der altehrwürdigen Kondi-torei & Café Volkstädt erstklas-sige Torten und Kuchen ge-nießen, darunter die selten ge-wordene Baiser-Torte. Der Ei-gentümer und Konditormeisterin vierter Generation, GerdMelwitz, schwört auf niedrigePreise. Die Tasse Kaffee kosteteinen Euro, Kuchen und Torte

sind auffallend preiswert. Da-durch herrscht reger Zuspruch,viele Rentner trinken nachmit-tags in dem mit alten WienerKaffeehausstühlen und -tischenausgestatteten Café ihr „Täss-chen“. Ungewollt wird der Na-me Volkstädt Programm, hierverkehren viele kleine Leute. DerBetrieb ist schuldenfrei, eineModernisierung und die Er-neue-rung des Außenputzes sind aberbald nicht mehr zu umgehen. Altenburg ist allerdings nochlange nicht „aus dem Schnei-der“, wie eine Redewendungaus dem Skatspiel sagt. Die auf-grund der wirtschaftlichen Lagegesunkene Kaufkraft schwächt

den Mittelstand und vor allemdie Gastronomie. Die Abwan-derung hält an. In einer kürzli-chen Untersuchung der Zu-kunftsfähigkeit aller Landkreiseund kreisfreien Städte durch dasBerlin-Institut für globale Ent-wicklung steht der Kreis Al-tenburger Land auf dem letztenPlatz. Von einer aufstrebendenStadt kann deshalb nach An-sicht des Pressesprechers derStadtverwaltung keine Redesein. Es geht eher behutsamvorwärts. Den tapfer verbliebe-nen Einwohnern ist das nur zuwünschen.

• MANFRED BOLS

Mit Skatbrunnen-Wasser „getaufte“ Karten bringen Glück ... Übri-gens weltweit das einzige einem Spiel gewidmete Denkmal.

AltenburgAltenburg

EEEEssss ggggeeeehhhhtttt eeeehhhheeeerrrr bbbbeeeehhhhuuuuttttssssaaaammmm vvvvoooorrrraaaannnn

Das Lindenau-Museum mit seinen weit über die Landesgren-zen hinaus bekannten Sammlungen frühitalienischer Tafelbil-der und antiker Vasen, aber auch einer bemerkenswerten Ga-lerie der Neuzeit. Fotos: Archiv

Anzeige

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 20046 • SACHSEN

VeraltetEin altgedienter ironischerSpruch in Politik und Lei-tungspraxis lautet: „Wenn dumal nicht weiter weißt, gründeeinen Arbeitskreis.“ So tut esauch Sachsens Ministerprä-sident Milbradt. Ein Experten-gremium soll den demografi-schen Wandel untersuchenund Maßnahmen vorschla-gen. Von 1989 bis 2003 ist dieEinwohnerzahl Sachsens umrund 700 000 gesunken, rund13 Prozent (ein Vielfaches ge-genüber den letzten 14 Jah-ren der DDR!), weitere rund600 000 könnten bis 2020 hin-zukommen. Dabei ist dasDurchschnittsalter auf 42,3Jahre geklettert, und es könn-te in den nächsten zwei Jahr-zehnten auf 49 steigen. Grün-de sind die Abwanderung vorallem junger Leute und weni-ger Geburten. Der Trend ist seit langem evi-dent und die letztlichen Ur-sachen auch: fortdauerndergravierender Mangel an Ar-beitsplätzen und Lehrstellenund keine überzeugendeAussicht auf eine Besserung.Für diese Erkenntnis brauchtman kein Expertenteam, unddie zu erwartenden kleinka-rierten Maßnahmen werdenso wenig bewirken wie diebisherigen. Nötig ist vielmehreine Politikwende. Wie sie zubewerkstelligen ist, dafürkann man sich beispielsweiseim Landesentwicklungskon-zept der sächsischen PDS„Aleksa“ viele interessanteAnregungen holen. • G. L.

13. AprilDresden. Die Gewerkschaft der Polizeiin Sachsen warnt vor einem Kriminali-tätsanstieg nach der ab 1. Mai wirksamenEU-Erweiterung. Insbesondere Dieb-stähle und Drogenhandel drohten anzu-steigen.Dresden. Mit dem Einsetzen des letztenSteins in die Kuppel ist die Außenhülleder Frauenkirche fertiggestellt.14. AprilLeipzig. Die Stadt liegt in einer bundes-weiten Studie der Zeitschrift „Wirt-schaftswoche“ zur Lebensqualität in den50 größten deutschen Städten vor Halleauf dem 49. Platz.Dresden. Das Landgericht entscheidet,dass die Wahl der Bürgermeister der Stadtim August 2001 ein Verstoß gegen dieSächsische Gemeindeordnung und damitunwirksam ist, weil CDU, FDP und DSUnur ihre Kandidaten durchsetzten und dieOpposition nicht berücksichtigten. Dresden. Kurz nachdem sich Minister-präsident Milbradt und InnerministerRasch hinter den skandalumwitterten

sächsischen Polizeipräsidenten Pilz ge-stellt haben, werden gegen diesen neueVorwürfe laut. Eine als Dienstfahrt de-klarierte dreitägige Reise von Pilz und In-nenstaatssekretär Antoni nach Tschechi-en erweist sich als Vergnügungstour.17./18. AprilLeipzig. Am Wochenende nach der Er-öffnung besuchen 86 000 Interessentendie Auto Mobile International, die mit440 Aussteller aus 17 Ländern eine hö-here Beteiligung als im Vorjahr aufweist.18. AprilDresden. Landesvorstand und Landesratder PDS ermitteln in geheimer Wahl ei-nen gemeinsamen Vorschlag für die Lan-desliste zur Landtagswahl. Er wird derVertreterversammlung am 8. und 9. Maials Empfehlung vorgelegt.

19. AprilHannover. Auf der Industriemesse sind155 Aussteller aus Sachsen präsent, dar-unter 77 aus der Region Dresden, 57 ausChemnitz und 21 aus Leipzig.Chemnitz. Die SPD-Mitgliedschaft desBevollmächtigte der IG Metall SieghardBender gilt nach dem Verstreichen einerBedenkzeit als erloschen. Er hatte seineUnterstützung für ein Wahlbündnis zuden Kommunalwahlen am 16. Juni be-kundet, das in Opposition zur Politik derParteiführung steht.20. AprilDresden. Wie der Wahlleiter mitteilt, tre-ten zur Europawahl in Sachsen 22 Par-teien an, zwei mehr als 1999.21. AprilDresden Ein Expertenrat wird sich mit

der zunehmenden Überalterung der Be-völkerung Sachsens beschäftigen, kün-digt Ministerpräsident Milbradt an. Ersoll Maßnahmen zu Fragen des demogra-fischen Wandels erarbeiten. (S. o.)Zwickau. Studenten der HochschuleZwickau treten in einen mehrtägigenStreik, um gegen Sparmaßnahmen in derBildungspolitik zu protestieren.22. AprilDresden. Der Landtag beschließt mitden Stimmen von CDU, SPD und einesPDS-Abgeordneten ein zweites Gesetzzur Abbaggerung von Heuersdorf, nach-dem das Verfassungsgericht die ersteFassung abgelehnt hatte. Die Gemeindewill weiter für ihren Erhalt kämpfen.24. AprilDresden. Bei einem Hearing der PDS-Landtagsfraktion zum Thema „Hartzoder Arbeit?“ fragen 80 Betroffene undExperten in einer Erklärung: „Warummuss Deutschland an den Erwerbslosen5,6 Mrd. Euro sparen, während es denSpitzenverdienern gleichzeitig das Viel-fache an Steuern schenkt?“

SSACHSENACHSEN-C-CHRONIKHRONIK13. bis 26. April

LN. Stipendiaten der Rosa-Lu-xemburg-Stiftung aus Deutsch-land und mehreren osteuropäi-schen Ländern haben sich dreiTage lang in der Oberlausitz mitder Situation der sorbischenMinderheit am Vorabend derEU-Erweiterung befasst. Sie be-suchten den sorbischen Schrift-steller Jurij Brézan und hatteneine Zusammenkunft mit derPDS-Landtagsfraktion auf demGelände der Sorabia Agrar-Ak-tiengesellschaft in Neudörfel.Gastgeber Benedikt Rehde, Vor-standsvorsitzender der SorabiaAG, stellte fest, dass auch seineFirma unter der nicht mehr kal-kulierbaren Politik der Bundes-

regierung auf dem Gebiet derWirtschaft und des Verbrau-cherschutzes leide. Ausdrück-lich würdigte er die Unterstüt-zung durch PDS-Landtagsabge-ordnete im Kampf gegen dieSchließung der Sorbischen Mit-telschule Crostwitz. Die PDS-Fraktionen Branden-burg und Sachsen hatten schonim Jahr 2000 einen Lausitz-Kon-gress in Hoyerswerda veranstal-tet und auf der Basis umfang-reicher Vorarbeiten ein gemein-sames Lausitz-Konzept verab-schiedet. Für eine abgestimmtePolitik im Sinne der Sorbensetzt sich seit Jahren der sächsi-sche PDS-Landtagsabgeordnete

Heiko Kosel ein. Dass er in derRegion sehr geschätzt wird,erfuhren die Stipendiaten in Be-gegnungen mit Vertretern desSorbischen JugendverbandesPawk, des Sorbischen Instituts,des Sprachzentrums Witaj oderbeim Besuch auf dem Hof derFamilie Wjesela in Crostwitz. Mit dem Studienaufenthalt be-reiten die Stipendiaten einenWorkshop zur EU-Regionalpo-litik im Sommer 2004 bei Kra-kow vor. Sie studierten dieChancen, die die Osterweiterungfür Grenzregionen im ländli-chen Raum bieten könnte, undgewannen Einblicke ins Lebender sorbischenMinderheit.

Am Vorabend der EU-Erweiterung

Zu Besuch bei Sorben der Oberlausitz

Das Dresdner Verwaltungsge-richt hat jetzt ein mutiges Urteilgesprochen: Demokratie ist mehrals die Durchsetzung des Wil-lens einer Mehrheit. In Dresdenbesteht diese Mehrheit aus derCDU, und die drückte 2001, ge-stützt auf ihre 36 Stadträte (voninsgesamt 70) ihren Mehrheits-willen durch und besetzte alleBeigeordnetenposten nach ih-rem Geschmack. Weder der PDSnoch der SPD wurde dabei eineChance gelassen. Das Gerichtsurteil muss jetztallerdings erst auf den Instan-zenweg. Und ob sich das Ober-verwaltungsgericht entschließt,die bisher in Sachsen üblicheRathaus-Praxis in Frage zu stel-len, ist abzuwarten. Dennochmuss die Auslegung der Säch-sischen Gemeindeordnung hin-terfragt werden. (Die einstmalsvon der baden-württembergi-schen abgeschrieben worden ist.In Westdeutschland allerdingsbrauchte sich bis dato niemandmit der „leidigen“ PDS herum-

schlagen und womöglich ge-richtsfeste Sperrklauseln für dieLinkssozialisten erfinden). Inallen sächsischen Großstädtenwurde die jetzt gültige Ge-meindeordnung anders ausge-legt, als es das Gerichtsurteil be-sagt. Wird es in der Revsion be-stätigt, dann wären nicht nur inDresden beigeordnete PDS-Bür-germeister im Anmarsch. Die PDS ist in Dresden diestärkste Oppositionspartei. Min-destens das wird sie auch nachdem 13. Juni sein. Das wissenalle, auch der sächsische Ge-setzgeber, also der Landtag. In den Dresdner Zeitungen wer-den inzwischen Vermutungendarüber angestellt, welche Bür-germeisterposten die PDS fürsich reklamiert: Wirtschaft, Kul-tur, Stadtentwicklung? Mir gefällt daran nicht, dass derEindruck erweckt wird, als wä-ren wir nur gewillt, diejenigenBürgermeisterposten zu beset-

zen, die derzeit von einer allseitsbekannten Unfähigkeit dominiertsind. Freilich liegen gerade, undnicht zufällig, dort seit Jahrenunsere Schwerpunkte und Kom-petenzen. Soziale Stadtentwick-lung, Kultur, der Mittelstand sinddie drei zentralen Politikfelderder PDS, auch im Kommunal-wahlprogramm 2004. Sollte sich das Urteil bestätigen,dann bleibt abzuwarten, ob esvor der Neuwahl von Beigeord-neten eine Neustrukturierungder Dezernatsbereiche gebenwird. Im Zusammenhang mitder notwendigen Funktionalre-form ist das nicht ganz auszu-schließen. Und dann werden dieKarten womöglich völlig neuge-mischt. Bevor sie aber aufden Tisch kommen, wird am 13.Juni gewählt. Und der neueStadtrat wird es vielleicht besserverstehen, mit demokratischenEnt-scheidungen umzugehen.

Ingrid Mattern ist Vorsitzendedes Dresdner PDS-Stadtver-bandes

VON INGRID MATTERN

NachGerichtsurteil: PDS-Bürgermeister

im Anmarsch?PDS-Gesetzesinitiative

Wann sollen Amtoder Mandat

verloren gehen?LN. Die PDS-Fraktion hat einenGesetzentwurf in den Landtageingebracht, mit dem 15 Jahrenach der Wende in der DDR„Übergangsbestimmungen“ inder Sächsischen Verfassung zustreichen sind, die sich – nachden Worten von MdL KlausBartl – „der rein repressivenBewältigung der DDR-Vergan-genheit annehmen“. Das seieine Frage des rechtsstaatlichenPrinzips der Verhältnismäßig-keit der Mittel. Selbst bei schwe-ren Straftaten seien nach so lan-ger Zeit rechtliche Konsequen-zen nicht mehr möglich. Daranmüsse sich auch die staatlicheReaktion auf tatsächliches odervermeintliches Unrecht zu DDR-Zeiten messen. Nach dem Gesetzentwurf ist diesogenannte Stasi-Überprüfungfür Mitarbeiter des öffentlichenDienstes, Gemeinde- und Kreis-räte, Bürgermeister, Landräteund Freiberufler zu beenden.Zugleich soll es keine Anklagegegen Abgeordnete oderMinister mit dem Ziel der Ab-erkennung des Mandates oderAmtes wegen DDR-Vergangen-heit mehr geben. Stattdessen sollen Abgeordneteund Minister dann ihr Mandatbzw. Amt verlieren können,wenn sie ihre politische Stel-lung nachweislich missbrauchthaben, um sich oder anderen ingewinnsüchtiger Absicht Vor-teile zu verschaffen. Ihr Amtverlieren sollen generell Po-litiker, die – gleich in welchemSystem – vor oder nach Amts-antritt gegen Grundsätze derMenschlichkeit und Rechts-staatlichkeit verstoßen haben.Die Unvereinbarkeit von Minis-teramt und Abgeordnetenman-dat soll in der Verfassung fixiertwerden, um die vom KabinettMilbradt verletzte Gewalten-teilung zwischen Landtag undRegierung wiederherzustellen.

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 2004 POLITIK • 7

Fast auf den Tag genau vor einemJahr, am 1. Mai 2003, verkündetePräsident Bush vollmundig das En-

de der Hauptkampfhandlungen im Irak.Seitdem eskaliert dort der an Gewalt undEigendynamik zunehmende bewaffneteWiderstand gegen die Besatzer. Nachoffizieller amerikanischer Deutung, diedurch ein relativ breites Spektrum von„Irak-Kennern“ hemmungslos kolportiertwird, ist dieser Widerstand kurz und bün-dig das Werk eines Sammelsuriums vonTerroristen, das sich zusammensetzt ausAnhängern des gestürzten Saddam-Regi-mes sowie aus militanten extremistischenislamischen Gruppen, die aus dem Auslandstammen und der Al-Kaida nahestehen.Diese Lüge steht in krassem Widerspruchzur Wirklichkeit des Kampfes eines Vol-kes, das infolge zweier mörderischer Krie-ge und einer von der UNO sanktionierten,mehr als zehnjährigen unmenschlichenWirtschaftsblockade geschunden, dezi-miert, gänzlich verarmt, aber dennochnicht gebrochen, sich dem derzeitigenBesatzer nicht zu beugen gewillt ist.

Solidarisch unterstützt vonder Bevölkerung

Geirrt haben sich auch all jene, die die-sem Widerstand mit der VerhaftungSaddams ein baldiges Ende prophezeiten.Im Gegenteil. Erst danach erfasste derWiderstand neben Bagdad die Mehrzahlder Regionen des Landes und erhält ausder Bevölkerung breite Unterstützung,ohne die er nicht aktionsfähig wäre.Dieser Widerstand ist in der Hauptsachemilitärisch wirksam. Er entstand unmit-telbar nach der erklärten Beendigung derHauptkampfhandlungen. Getragen wurdeer zunächst von jungen irakischen Offi-zieren sowie von anderen national ge-sinnten Kadern der irakischen Armee undihrer Gefolgschaft. Diese behielten ihreleichten und mittelschweren Waffen samtMunition und zogen sich zuerst dorthinzurück, wo sie am ehesten Unterstützungerhoffen konnten, nämlich in ihre eigenenRegionen, Städte, Dörfer und Stämme.Von hier aus wandten sie sich in Schar-mützeln oder aus Hinterhalten gegenZüge der Besatzer, gegen Konvois leichtgepanzerter Wagen, gegen Stabszentralensowie Kommandoposten, gegen Hub-schrauber oder in geringer Höhe operie-rende Flugzeuge.Diesem bewaffneten Widerstand gelanges nach der Gefangennahme SaddamHusseins durch die Besatzer, die patrio-tisch gesinnten Anhänger des entmachte-ten Präsidenten, die zur Fortführung desKampfes gegen die Besatzung bereitwaren, allmählich in seine Reihen zuintegrieren. Ihm gelang es auch, eigeneLeute in die von den Besatzern neu for-mierte Polizei einzuschleusen. Diese Ak-tivitäten waren möglich geworden dankder wachsenden Unterstützung durch dieirakische Gesellschaft. Unter nach wievor desolaten Lebensbedingungen konntesie sich immer mehr davon überzeugen,dass die alleinige Motivation des bewaff-neten Widerstandes der Patriotismus undseine hauptsächlichen Feinde die Besat-zungsmacht, die mit ihr kooperierendePolizei und die fremden Kontingente der„Allianz der Willigen“ waren.

Ausländische Aktionen spie-len Besatzern in die Hände

Da der bewaffnete Widerstand heterogenzusammengesetzt ist, haben es seine Teil-nehmer bislang gut verstanden, ihre inne-ren ethnischen, religiösen und sonstigenKonflikte dem gemeinsamen nationalenZiel unterzuordnen, nämlich der Vertrei-bung der Besatzung aus der Heimat.

Im Gegensatz dazu sind die hauptsäch-lich aus dem benachbarten Ausland stam-menden Widerstandslegionäre auf dieDurchführung spektakulärer Aktionenspezialisiert, ohne Rücksicht auf die Op-fer. Zu diesen Aktionen zählen u.a. dieAnschläge gegen die Zentrale des Inter-nationalen Roten Kreuzes sowie gegenden Sitz der UNO in Bagdad. ÄhnlicheAnschläge haben sie seinerzeit auch in

Daressalam, in Nairobi, in Bali, in Riadund andernorts verübt. Mit solchen bluti-gen Aktionen spielen ihre Urheber letzt-lich den Besatzern im Irak in die Hände,die sie dafür missbrauchen, den bewaff-neten Widerstand im Irak in Verruf zubringen und diesen mit dem internationa-len Terrorismus zu identifizieren. Durchihre ausländischen Gönner mit großenGeldsummen und Waffen versehen, kön-nen diese Gruppen weiterhin, leider auchim Irak, ähnliche Aktionen wiederholen.Obwohl sie in bestimmten irakischen is-lamistischen Kreisen auf Sympathie sto-ßen und mit ihnen zusammenarbeiten,werden sie doch vom überwältigendenTeil der irakischen Gesellschaft abge-lehnt, was sie letztlich isolieren dürfte.Gleichzeitig formieren sich nach einerlangen Periode der Lähmung und der Ille-galität unter Saddam Husseins Regime,patriotische Bewegungen im Irak, die.vorwiegend der schiitischen Gemeindezuzuordnen sind. Das sind 1. die ara-bisch-nasseristische Strömung, 2. diekommunistische Strömung, die sichgrundsätzlich gegen den im Provisori-schen Regierungsrat als Mitglied wirken-den Führungsfunktionär der KP Irakspositioniert, und 3. die Sammlung der

früheren Baathisten, die sich von SaddamHussein abgewandt haben, da dieser dieIdeale der Baath-Partei diskreditiert, dasLand in unzähligen Kriegen ruiniert so-wie die Einheit der arabischen Welt, diesoziale Revolution und den Laizismusverraten habe. Damit erlebt der Irak dieWiederkehr der früheren nationalenStrömungen, die nach der Logik derDinge zur Einigung und Stärkung des

Widerstandes gegen die Besatzer führendürfte.

Schiitischer Aufstand warfür unmöglich gehalten

In Ergänzung dazu erfährt der bewaffneteWiderstand im Irak neuerdings auch eineunaufhaltsame geographische Ausdehnungund wachsende Unterstützung durch neueSchichten der irakischen Gesellschaft. Sohat sich in den letzten Wochen die schiiti-sche Gemeinde Iraks, die über 60 Prozentder Iraker ausmacht und bekannt ist fürihre relative politische Heterogenität, öf-fentlich mit dem belwaffneten Widerstanddes jungen Schiitenführers Muktada al-Sadr solidarisiert, der für den Abzug derBesatzungsmacht aus dem Irak kämpft unddadurch dem irakischen Widerstand neuenAufschwung sowie eine so nie dagewesenenationale Dimension verleiht. Seitdem istder Irak in einen noch vor wenigenWochen unvorstellbaren Aufruhr geraten,Nach dem schiitischen Aufstand unterFührung von Al-Sadr ist die US-Armeeim Irak mit ihren Verbündeten der Koa-lition der Willigen in opferreicheKampfhandlungen verwickelt. Damit istder Widerstand im Irak neuerdings ineinen „Krieg dem Kriege“ gemündet.

Allein in den letzten Tagen sind in dermehrheitlich sunnitischen Stadt Fallud-sha mehr als 600 zivile irakische To-desopfer und Tausende Verletzte zu be-klagen. Die heilige schiitische StadtNadshaf befindet sich im Belagerungs-zustand. Im Gange sind regelrechteopferreiche Straßenschlachten zwischenden Kämpfern des Schiitenführers Al-Sadr und der US-Armee. Die Zahl derUS-amerikanischen Todesopfer über-schritt in den ersten zwei Wochen desApril 2004 die Hundertgrenze, und ihreGesamtzahl macht seit dem Einmarschim Irak mehr als 700 aus. Dazu kommennoch über 3000 Schwer- bzw. Schwerst-verletzte und über 10 000 weitere verletz-te US-Soldaten.Das US-amerikanische Vorhaben, dieoffene Konfrontation mit der traditionellkonservativen und bislang auf Verstän-digung mit der Hauptbesetzungsmachtbedachten Strömung der schiitischen Ge-meinde im Irak auf jeden Fall zu vermei-den, ist durch den Aufstand unter Füh-rung Al-Sadrs zunächst völlig fehlge-schlagen. Notgedrungen muss die US-Armee mit ihren Verbündeten nun seit ei-nigen Wochen an zwei Fronten kämpf en:gegen die Sunniten um die FestungFalludsha und nunmehr gegen die Schii-ten um die heilige Stadt Nadshaf.Diese neuerliche und unerwartete Aus-weitung der Kriegshandlungen im Irakfindet zu einer Zeit statt, wo Spanien –ehernals einer der eifrigsten Verfechterder sogenannten Koalition der Willigen –nach dem Wahlsieg der Sozialisten seineAnkündigung wahr macht und seineTruppen vor den Augen der Welt undunter dem Jubel der Spanier aus dem Iraknach Hause holt. Dem Beispiel Spaniensfolgten bislang die mittelamerikanischenStaaten Honduras, die dominikanischeRepublik und Nikaragua. Thailand würdeseine Truppen ebenfalls abziehen, solltesich die Situation verschlimmern, wä-hrend Norweqen seinen Truppenabzugzum 1. Juli schon definitiv angekündigthat. Weitere Länder werden folgen. DieUS-geführte Koalition im Irak ist damitsichtlich ins Wanken geraten.

Ein „freies“ Irak mit derweltgrößten US-Botschaft

Angesichts dieser für die USAkatastropha-len Entwicklungen sah sich Präsident Bushveranlasst, sein Land und seine Partner aufden bisherigen Kurs einzuschwören: dieUS-geführte Koalition werde sich „ausdem Irak nicht vertreiben lassen“, und imübrigen halte er an der geplanten Übergabeder Macht im Irak am 30. Juni fest. Dabeiblieb allerdings offen, an w e n er eigent-lich die r e a l e Macht im Irak übertragenwolle. Dass er keinesfalls beabsichtigt, siedem irakischen Volk anzuvertrauen, lässtsich nicht zuletzt der Tatsache entnehmen,dass ab 1. Juli 2004 als Nachfolger des„Zivilverwalters“ Paul Bremer der heutigeUNO-Botschafter der USA mit Vietnam-Erfahrung John Negroponte die mit 3000vorgesehenen Mitarbeitern größte US-amerikanische Botschaft der Welt inBagdad leiten wird...

Irak wehrt sich gegen seine Besatzer

Von Prof. Dr. Sarkis Latchinian

„Jährlich verunglücken zu viele Soldaten der Bundeswehr – besonderswährend der Freizeit – mit ihren Privat-Kfz im Straßenverkehr” – so heißt esin den „Grundsätzen zum Verkehrssicherheitsprogramm der Bundeswehr“. Traurig. Gewiss. Aber verunglücken nicht auch ebenso viele Mitarbeiter desKonsum, von Fielmann oder Müller-Milch mit ihren Privat-Kfz in ihrer Freizeitim Straßenverkehr? Also wäre es doch nur folgerichtig und zudem im Sinneder Sozialpflichtigkeit des Eigentums, dass auch sie mit Ständen auf derLeipziger Automesse für sich werben – nämlich „aus Verantwortung der Vor-gesetzten“ für die ihnen Unterstellten, so wie die Bundeswehr es tut. Da können sich andere PR-Strategen wahrlich abgucken, wie man seine„Akzeptanz bei der Bevölkerung“ hebt (auch ein schriftlich festgehaltenes Ziel,diesmal konkret anlässlich des bereits dritten Bundeswehr-Auftrittes zurLeipziger Buchmesse). • mx

Foto: Fiebelkorn

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 20048 • GESCHICHTE DES 1. MAI

In gewaltigen Aktionen bekundete dieLeipziger Arbeiterschaft in den Jahrenund Monaten vor dem ersten Weltkriegihre Antikriegshaltung. So zogen am 27.Oktober 1912 von verschiedenen Stell-plätzen aus etwa 90 000 Demonstrantendurch die Straßen Leipzigs zum Mess-platz, auf dem sie sich zu einer mächti-gen Antikriegs-Kundgebung vereinigten.In einer einmütig angenommenen Reso-lution, die auf die drohende Gefahr einesWeltkrieges hinwies, brachten sie dieEntschlossenheit der Leipziger Arbeiter-schaft zum Ausdruck, „im Verein mit denklassenbewussten Arbeitern der anderenLänder alles daranzusetzen, um einen

Weltkrieg zu verhindern“. Sollte es je-doch nicht gelingen, den Ausbruch einesWeltkrieges zu vereiteln, würde dieser„alle die gewaltigen sozialen Gegen-sätze, die die modernen bürgerlichen Ge-sellschaften zerreißen, zum Austrag brin-gen und einen revolutionären Umwäl-zungsprozess einleiten, der nur endenkann mit dem Zusammenbruch der kapi-talistischen Produktionsweise und demÜbergang zum Sozialismus“.Mit gleicher Entschiedenheit protestiertedie Leipziger Arbeiterbewegung im April1913 gegen die Forderungen der neuenMilitärvorlage im Reichstag. „Die Po-litik der gigantischen Rüstungen“, hießes in der Resolution, die in sieben sozial-demokratischen Versammlungen ange-nommen wurde, „ist das Erzeugnis desImperialismus, der neuesten Phase desKapitalismus, des Strebens der herr-schenden Klassen nach Erweiterungihres Ausbreitungsgebietes und desfeindlichen Gegensatzes, der daraus zwi-schen den herrschenden Klassen der gro-ßen Weltmächte erwächst“. Und in Er-kenntnis der sozialökonomischen Basisdes Militarismus bekundeten die Leip-ziger Sozialdemokraten: „Der Kampf

gegen den Militarismus muss daher einKampf gegen seine Wurzeln, gegen denImperialismus, gegen den Kapitalismus,für den Sozialismus sein.“ Vorbei schienauch in Leipzig die Zeit zu sein, da, wieW. I. Lenin am 29. November 1913schrieb, „der ,deutsche Michel‘ unter derObhut der preußischen Purischkewitschund bei außerordentlich günstigemVerlauf der kapitalistischen Entwicklungin Deutschland friedlich schlummerte“.Doch wie generell in der sozialdemokra-tischen Partei, waren auch in Leipzig dierechten Führer, die nach dem Tode vonAugust Bebel am 13. August 1913 anEinfluss stark gewonnen hatten, nicht

gewillt, derartige Beschlüsse zurGrundlage ihres Handelns zumachen. Das wurde besondersdeutlich am 1. Mai 1914. Stattden internationalen Kampftag desProletariats zu einer gewaltigenAktion der Leipziger Arbeiter-schaft gegen die größer geworde-ne Weltkriegsgefahr zu machen,orientierten die Leipziger SPD-und die Gewerkschaftsführungauf eine begrenzte Anzahl vonKundgebungen in geschlossenenRäumen.Als sich entsprechend dieser Ori-entierung am Vormittag des 1.Mai 1914 Teile der Leipziger Ar-beiterschaft in fünf Lokalen ver-sammelten – es handelte sich umdie Lokale „Volkshaus“, „Felsen-keller“, „Schillerschlößchen“,„Schloßkeller Reudnitz“ und„Gasthof Neu-Reudnitz“ –, warentrotz schlechten Wetters die Säleüberfüllt. Einstimmig wurde inallen Versammlungen eine einheit-liche Resolution angenommen,die den Willen zu einer revo-lutionären Klassenpolitik wider-spiegelte. Aber die Mehrzahl

wollte nicht nur in Form einer Resolutiongegen die Kriegspolitik protestieren. Siezwangen durch ihre kampfentschlosseneHaltung den von rechten Kräften be-herrschten SPD-Bezirksvorstand Leip-zig, seine Absicht, am 1. Mai 1914 inLeipzig keine Straßendemonstrationen

durchzuführen, zu korrigieren. So zogendie Teilnehmer der Versammlungen,nachdem sie sich im JohannaPark zu ei-nem gemeinsamen Demonstrationszugvereinigt hatten, zum „Brauereigarten“in Leipzig-Stötteritz, wo Richard Lipins-ki, Vorsitzender des SPD-Bezirksvor-standes Leipzig, in einer Rede das Wett-rüsten verurteilte und den proletarischenInternationalismus hervorhob.Aus Furcht vor der Resonanz dieser De-monstration, an der sich etwa 18 bis 20000 Arbeiter beteiligten, hatte das Leip-ziger Polizeiamt den Demonstranten dieMitführung von Fahnen und Standartensowie das Spielen bestimmter Lieder, wiez. B. des Sozialistenmarsches und derArbeiter-Marseillaise, verboten. Ängst-lich sorgten rechte SPD- und Gewerk-

schaftsfunktionäre dafür, dass alle Ge-bote und Verbote des Polizeiamtes be-folgt wurden. Sie wagten nicht einmalden leisesten Widerspruch, als die Po-lizei forderte, die auf dem „Volkshaus“anlässlich des internationalen Kampf-tages des Proletariats gehisste rote Fahneeinzuholen.Am 15. Juli 1914 teilte die LVZ mit, dassdas SPD-Bezirkssekretariat vom 16. Julibis 9. August geschlossen sei. Offen-sichtlich gedachte der sozialdemokrati-sche Leipziger Bezirksvorstand in Ur-laub zu gehen, obwohl sich die interna-tionale Lage in diesen Tagen nach derErmordung des österreichischen Thron-folgers in Sarajewo von Tag zu Tag ver-schärfte.Somit war festzustellen, dass auch inLeipzig, einem Zentrum der deutschenSozialdemokratie, die Arbeiterbewegungam Vorabend des Ersten Weltkriegesungenügend gerüstet war. Ihr fehlte dasVermögen, das Rosa Luxemburg in ihrerRede am 27. Mai 1913 in Leipzig-Plag-witz mit den Worten umrissen hatte:„Wir müssen jenen Mut, jene Entschlos-senheit und Rücksichtslosigkeit in derVerfolgung unserer Aufgaben zeigen, dievon den bürgerlichen Revolutionärenaufgebracht wurde, die Danton zusam-menfasste, als er sagte, in bestimmtenSituationen brauche man als Parole nurdrei Worte: Kühnheit, Kühnheit und nocheinmal Kühnheit.“

• KURT SCHNEIDER

Über die weitere Entwicklung in Leipzigvor 90 Jahren wird LN in der zweitenJuli-Ausgabe 2004 berichten.

Vor 90 Jahren

Urlaub angesagt, dieFahne eingezogen

Die Leipziger Arbeiterschaft und der drohende erste Weltkrieg

EinUnter-nehmer-erlassvom 25. April1890

Der 1. Mai 1929 in Berlin ist in derGeschichte als „Blutmai“ mar-kiert.

Schuld daran trug das Demonstrations-verbot des sozialdemokratischen Polizei-präsidenten Karl Friedrich Zörgiebel fürjegliche Kundgebungen unter freiemHimmel. Linke Sozialdemokraten, wiePaul Levi oder Kurt Rosenfeld, aufrech-te Demokraten, wie Carl von Ossietzkyoder Otto Nuschke, warnten bereits imVorfeld vor den Folgen einer solchenProvokation, den traditionellen Kampf-tag der Arbeiter wie zu Kaisers Zeiten zuverfolgen. Auch der Ausschuss zur Un-tersuchung der Berliner Maivorgängegelangte am 6. Juni 1929 im GroßenSchauspielhaus vor 4000 Anwesendenzu dem Urteil, dass „die Schuld an die-sen Unmenschlichkeiten des furchtbarenBlutmai 1929 Herr Zörgiebel trage“. Eswar mehr als makaber, dass die sozialde-mokratische Regierungsriege im Reich,Reichskanzler Hermann Müller und In-nenminister Carl Severing, und inPreußen, Ministerpräsident Otto Braunund sein Innenminister Albert Grzesinski,das Vorgehen Zörgiebels duldeten bzw.beförderten. Weder 1918/19 noch danachwar es regierenden Sozialdemokraten ge-lungen, den 1. Mai zum gesetzlichen Fei-ertag zu erheben, lediglich in Braun-schweig, Hamburg und Sachsen war ergesetzlich legitimiert worden. Dennochwaren Kundgebungen einschließlich derArbeitsbefreiung für die Werktätigenzum Gewohnheitsrecht geworden. Nochein Jahr zuvor hatten sich SPD sowieKPD gemeinsam mit den Gewerkschaf-ten zu einer imposanten Manifestation inder Hauptstadt gegen Aufrüstung undsozialen Kahlschlag zusammengefun-den. Aber nun ging man auf Konfronta-tionskurs. Es war Ausdruck für das sichverschärfende Verhältnis zwischen Sozi-aldemokraten und Kommunisten, aberebenso der sinkenden Glaubwürdigkeitdes Kabinetts Hermann Müller geschul-det, resultierend aus dem Widerspruchzwischen Wahlversprechungen, wie„Kinderspeisung gegen Panzerkreuzer“,die sich nun in der Praxis in ihr Gegenteilverkehrten. Das rief eine zunehmendeOpposition in der SPD gegen die arbei-terfeindliche Koalitionspolitik auf denPlan. Hinzu kam die schwächelndeKonjunktur, die wachsende Arbeitslosig-keit, Lohnabbau und weitere Forderun-gen der Industriebosse befürchten ließ. Das alles war begleitet von massivenVerleumdungen der kommunistischenBewegung. Die sozialdemokratische undbürgerliche Presse überschlug sich mitUnterstellungen von Umsturzversuchender KPD, um die Provokation Zörgiebelszu rechtfertigen. Am 26. April verurteiltedas Großberliner Maikomitee bei

Dominanz der Kommunisten, die Ent-scheidung des Polizeipräsidenten, warntevor einem Blutvergiessen unter denunbewaffneten Demonstranten. Am 1. Mai folgten etwa 200 000 BerlinerArbeiter dem Aufruf zur Verteidigungdes traditionellen Kampftages. DieSchutzpolizei ging mit blinder Gewaltgegen sie vor, machte Gebrauch von derSchusswaffe, steigerte ihre Ausschrei-tungen „bis zum eiskalten Mord!“ (Carlvon Ossietzky). Im roten Wedding und in

Neukölln entwickelten sich spontan Bar-rikadenkämpfe. Die Polizei antwortetemit Maschinengewehren und Panzern.Die KPD empfahl den Kämpfenden, sichzurückzuziehen, um weitere Opfer zuvermeiden und sich nicht vorzeitig inaussichtslose Gefechte verwickeln zulassen. Das entsprach der Diktion einesPapiers der KPD, das forderte, „einenfriedlichen und unbewaffneten Charakterder Demontration zu sichern“ sowieabenteuerlichen Tendenzen entgegenzu-

wirken. Dennoch wurde ein hoher Blut-zoll erbracht. Eine bleibende Schuld:Mehr als 30 Tote, 194 Verletzte, mehr als1200 Inhaftierte. Die Polizei beklagteeinen Verletzten.Es folgte der Ausnahmezustand, ein zeit-weiliges Verbot der Presse der KPD, undschließlich wurde der Rotfrontkämpfer-bund durch Innenminister Severing imReich verboten.Auf diesem Hintergrund erhielt die ver-hängnisvolle Sozialfaschismusthese neu-en Auftrieb und machte die Einheits-frontpolitik der KPD unglaubwürdig.Die Partei setzte auf einen neuen revolu-tionären Aufschwung, verbunden miteiner „Linkswende“ und ihrer Stalini-sierung.Auch die antikommunistische Ausgren-zungspraxis der SPD war kaum geeignet,die verhärteten Fronten zwischen denbeiden Flügeln der Arbeiterbewegungaufzubrechen. Beide Seiten waren auf ihrFeindbild eingeschworen und zuneh-mend unflexibel gegenüber der sichrasch verändernden Situation mit demAnwachsen der faschistischen Gefahr.Der linke Sozialdemokrat Kurt Rosen-feld zog aus den tragischen Ereignissenein bedenkenswertes Resümee:„Die Berliner Maivorgänge haben dieKluft zwischen Sozialdemokraten undParteikommunisten mit Arbeiterblut ge-füllt. Die Zerklüftung des Proletariats istnoch größer geworden ... Das Bürgertumsteht lächelnd dabei. Die Bourgeosieschickt sich an, zu ernten, während dieArbeiterschaft durch innere Kämpfe ab-gelenkt und geschwächt ist. Die sozialeReaktion stößt auf allen Gebieten vor.Die politische Reaktion wartet auf dengeeigneten Moment, nachzustoßen.“

• HELMUT ARNDT

Bild oben:Polizeiterror in derKösliner Straße in

Berlin-Wedding am 1. Mai 1929

Unten:Ernst Thälmann

spricht am 8. Mai1929 am Grabe

der Opfer in Berlin-Friedrichsfelde

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 2004 GESCHICHTE DES 1. MAI • 9

Der Blutmai in Berlinvor 75 Jahren

Der 1. Mai ist nicht nur seit 114 Jah-ren ein Tag der Bekundung sozialer

und politische Rechte und zugleich Fei-ertag der arbeitenden Menschen. Er warvielmehr auch voller realer Gescheh-nisse – unterschiedlichen Gewichts, aberauf jeden Fall bemerkenswert –, die dasFortschreiten auf dem Wege der Be-freiung von der Macht des Kapitals sinn-fällig verdeutlichen, aber auch die Härtedes Widerstandes der Reaktion spürenließen.

1. Mai 1909. Der Deutsche Reichstaglehnt den Antrag der Sozialdemokratenab, im Rahmen der Reichsfinanzreformstatt indirekter Steuern eine Vermögens-und Einkommensteuer einzuführen.1. Mai 1923. 1200 bewaffnete Anhänger

Hitlers – vor allem SA-Mitglieder – ver-suchen, die große Mai-Demonstration derLinken in München gewaltsam zu stören.1. Mai 1925. In der NSDAP) wird eineSchutzstaffel (SS), gegründet. 1. Mai 1925. Die Reichsbahn erhöht ihreTarife generell um 10 Prozent.1. Mai 1930. In der Sowjetunion wirddie Turksib-Eisenbahn eröffnet, die aufeiner Länge von 1442 km die westsibiri-schen Industriezentren mit den mittel-asiatischen Gebieten verbindet.1. Mai 1930. In New York wird derTonfilm „Im Westen nichts Neues“ nachdem Roman von Erich Maria Remarqueuraufgeführt. Er verdeutlicht die Schre-

cken des 1. Weltkrieges. 1. Mai 1944. In einem Außenlager desdeutschen KZ Flossenbürg kommt es zueiner Revolte sowjetischer Kriegsge-fangener. Einigen gelingt die Flucht.1. Mai 1945. Sowjetische Truppen stür-men die Reichskanzlei in Berlin.1. Mai 1960. Die sowjetische Luftab-wehr schießt ein Spionageflugzeug derUSA vom Typ Lockheed U-2 wird überdem Territorium der UdSSR ab.1. Mai 1960. Kubas MinisterpräsidentCastro kündigt den Aufbau des Sozia-lismus im Lande an.1. Mai 1975. Die vietnamesische Befrei-ungsarmee hat die Kapitulation der Me-

tropole Saigon erzwungen und damitdem reaktionären südvietnamesischenRegime ein tödlichen Schlag versetzt. 1. Mai 1985. USA-Präsident Reaganverhängt am ersten Tag seines Staatsbe-suchs in der BRD ein totales Handelsem-bargo und weitere Wirtschaftssanktionengegen Nicaragua.1. Mai 1999. NATO-Kampfflugzeugezerstören nahe Pristina (Kosovo) bei ei-nem Angriff auf eine Brücke einen Bus,wobei 55 Zivilisten ums Leben kommen.1. Mai 2000. Die fünf AtommächteUSA, Russland, Frankreich, Großbritan-nien und China bekennen sich angesichtszunehmender Kritik an ihren nach wievor großen Kernwaffenarsenalen zueiner rascheren nuklearen Abrüstung,jedoch ohne einen konkreten Zeitplan.

Es geschah an einem 1. Mai

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 200410 • FEUILLETON

Die Neue Szene bietet zweiFrühlingsleckerbissen an.

Der erste Gaumenkitzel ist diezwischen bitterböse und urko-misch-menschlich hin- und hergerissene Groteske Kochen mitElvis aus der Feder des 1967 inNewcastle geborenen Lee Hall,der mit seinem Drehbuch fürden erfolgreichen Kinofilm BillyElliot für den Oscar nominiertwurde. Ein ehemaliger Elvis-Imitatorsitzt seit einem Unfall quer-schnittsgelähmt im Rollstuhl.Seine alkoholabhängige Frauamüsiert sich mit einem jungenGeliebten, der wiederum derTochter den Kopf verdreht.Regisseur Matthias Huber über-

zeichnet – unterstützt von Bian-ca Zausch (Bühne und Kostü-me). Herzhaft-deftig geht es dazu. Die Figuren sind von Le-bensgier getrieben, schwankenzwischen seelischer Brutalitätund Nächstenliebe. Bettina Riebesel überzeugt mitkabarettistischem Talent als lüs-terne Ehefrau. Torben Kesslergekonnt als naiver Jüngling.Vielleicht eine Nuance zu blaß:Julia Berke als durchtriebenes,aber warmherziges Töchterchen,das liebevoll den Vater pflegt.Eine Klasse für sich: Tobias J.Lehmann, der schnell umschal-

ten kann: zwischen schweigenddepressiv im Roll-stuhl sitzendund schlierig-schmalzig denKing of Rock’n’ Roll gebend.

Die zweite angenehme Über-raschung ist das Stück En-

ten, Variationen des US-ameri-kanischen Autors David Mamet,der für seinen BühnenerfolgGlengarry Glen Ross 1984 denPulitzer-Preis erhielt. Wer be-zweifelt, ob ein Theaterstück,wo nur zwei ältere, schrulligeHerren über das Leben im allge-meinen und die Enten im Be-sonderen philosophieren, einen

Abend trägt, wird eines Bes-seren belehrt werden. Das liegtvor allem an Dieter Jaßlauk undBerndt Stübner, die mit subtilemGestus und innerer Aufrichtigkeitdie beiden älteren Herrschaftenspielen. Sie sitzen auf einer Park-bank, an einem imaginären En-tenteich, lachen, necken einander,sind froh, dass es den anderengibt. Regisseur Enrico Lübbe gehtbehutsam mit dem Text und denSchauspielern um, lässt sie einenDialog entfalten, der philoso-phisch-menschliche Tiefenschärfebesitzt und existenzielle Fra-genhervortreten läßt. – Und überallem liegt ein mandelbittererHauch von Melancholie. • D. M.

Frühlingsleckerbissen

Helmut Sakowski hat mitseinem neuen Roman –der das Zeug zum Best-

seller hat, wie einst DanielDruskat (1976) und Ein Herzogvon Wendenburg (2000) – denLesern und auch sich einGeburtstagsgeschenk gemacht,feiert er doch im Frühsommerseinen Achtzigsten. Sakowski, der den „grandiosenErzähler“ Theodor Fontane be-wundert, hat für sein neuesBuch den Leuten auf denMund und in die Keller derArchive geschaut. Die Gelieb-te des Hochmeisters sei zwarkein dokumentarischer Ro-man, sagte der Autor in einemGespräch mit Leipzigs Neue,aber die Hintergrundgeschich-te von den Naziführern, diesich in Mecklenburg Landsitzezuschanzten, sei verbürgt.Die Handlung beginnt miteinem Kapitalverbrechen inder Gegenwart. Ira Thurau,1945 mit einer Kolonne vonHäftlingsfrauen aus einem KZin Kromberg angekommen,

wird ermordert aufgefunden.Die Bewohner des kleinenStädtchens sind ratlos: Sie galtals Wohltäterin, hatte sie dochnach dem Krieg der Stadt ihrAnwesen für ein Kinderheimgeschenkt ...Geschickt zieht Helmut Sa-kowski seine Leser in die Wir-

ren der Kriegs- und unmittel-baren Nachkriegszeit hinein –nicht ohne Ironie. Von LN dar-auf angesprochen, schmunzelter: Es ist wohl die Weisheit desAlters. Das bewegende an diesemBuch ist die Mischung von Ge-fühlen, die es erzeugt: Da istunbändige Wut über die Ver-brechen der Nazis an den Frau-en in Ravensbrück (im Romanals Ravenstein verschlüsselt),da ist Freude über die großeund die kleine Liebe und da istder Krimi-Aspekt: Wer ist derMörder? Ein wichtiges Buch: Die Men-schen dürfen durch den Flußder Zeit nicht vergessen, wasin Deutschland passiert ist.

• D. M.Helmut Sakowski: Die Ge-liebte des Hochmeisters.Aufbau-Verlag, Berlin 2004.232 S., geb., 16,90 Euro

Ein packendes Zeitbild

Helmut Sakowski auf derLeipziger Buchmesse 2004.

Foto: Privat.

Hochschul-Geburtstagfeier fürden 100-jährigen

Arnold MatzWer Arnold Matz als Solobrat-

scher und Quartettspieler erleb-te, hat die unverwechselbareGestalt und Gestik dieses stetsmit höchstem Einsatz und unbe-dingter Konzentration musizie-renden Künstlers heute nochlebendig vor Augen. Diesergroßartige Musiker übertrugnicht nur die Impulse des Di-rigenten auf die ganze Brat-schengruppe, sondern beflügel-te seinerseits den Mann am Pult. Doch Arnold Matz lag auch amHerzen, seine reichen Erfah-rungen an die nächsten Gene-rationen zu vermitteln. So wirk-te er zugleich als Professor ander Musikhochschule und bilde-te zahlreiche erstklassige Brat-schisten aus.Beides wiederum erfolgte inWechselwirkung mit seinemdritten Wirkungsbereich, demKomponieren. Der Schüler Jo-hann Nepomuk Davids war baldauch als Theorie- und Kompo-sitionslehrer gefragt. Als Kom-ponist schrieb er aus genauerKenntnis der Instrumente vor allWerke für Solisten und für denUnterricht. Ein Gedenkkonzertan der Hochschule für Musikund Theater vermittelte einlebendiges Bild davon. • W. W.

Hans-JoachimRotzsch 75

Die großartige Tenorstimme,überlegene Musikalität, absolu-te Intonationssicherheit undschnelle Auffassungsgabe lie-ßen den am 25. April 1929 inLeipzig geborenen Hans-Joa-chim Rotzsch in kurzer Zeit zueinem der führenden Konzert-sänger mit einem umfangrei-chen Repertoire werden. Der Thomaskantor GüntherRamin holte ihn 1952 nochwährend der Studienzeit imletzten Moment für eine Kan-taten-Aufführung. Beim AusfallGert Lutzes als Evangelistkonnte Hans-Joachim Rotzsch –inzwischen Stimmbildner derThomaner – im Münster zuBasel sofort die Partie überneh-men. Diese Leistungen und die seit1965 als Leiter des Universitäts-chores gewonnenen Erfahrun-gen prädestinierten den Künst-ler 1972 zum Nachfolger ErhardMauersbergers als Thomaskan-tor. Zahlreiche Schallplattenzeugen von der beispielhaftenstimmlichen Verfassung desChores unter Rotzschs Leitung.Doch vom Stasi-Fieber besesse-ne Leute zwangen ihn 1991 zurAufgabe dieser Position. Daholte das Mozarteum den Künst-ler zum Auf- und Ausbau derStudienrichtung evangelischeKirchenmusik ins katholischeSalzburg. Und noch immer istHans-Joachim Rotzsch für Kurseim Ausland, vor allem in Japan,begehrt. • WERNER WOLF

Fotoausstellung im Industrie- undFilmmuseum Wolfen vom8. Juni bis 04. Juli 2004

Urbane ImpulseDie Fotografien von János Krügerund Matthias Witt – Studenten an derUniversität Leipzig – stoßen bei demVersuch, sich dem Puls der Groß-stadt zu nähern, auf urbane, fastnicht sichtbare Kunst, die in demhektischen Treiben eher unbemerktbleibt. Spotartig erforschen sie denRaum nach dem Zusammenhang vonTypografie und Architektur, Geome-trie und Farben, Schablonen-Graffitiund Posterwänden. Ihr Weg führt siequer durch europäische Metropolen,von Berlin nach London, über Leipzignach Liverpool. Erstaunliche Mo-mentaufnahmen urbaner Ästhetik.Matthias Witt und János Krüger sindTeil eines Teams, das von Leipzigund Berlin aus eine kritische Sichtauf Musik, Fotografie, Design undosteuropäische Kultur formuliert.Das Projekt findet seinen Ausdruckin der sich seit 1999 stetig wandeln-den Website www.abvmob.de • P. I.

Einen Gedenktag wie den100. Todestag AntonínDvoráks lässt kaum ein

Orchester vorüber gehen, ohnezumindest die weithin beliebteneunte Sinfonie „Aus der neuenWelt“ aufzuführen oder dasVioloncellokonzert oder Slawi-sche Tänze. Doch nur einzelneTheater widmen sich dem Büh-nenschaffen des am 8. Septem-ber 1841 im Dorf Nelahozevesin der Nähe Prags geborenentschechischen Meisters, obwohldie Opern im Gesamtwerk dengrößten Raum einnehmen. Bis auf die erste, nach einemText von Theodor Körner indeutscher Sprache vertonte his-torische Oper „Alfred“ (dieDvorák nicht in die Öffentlich-keit gelangen ließ) liegen inzwi-schen alle anderen neun auf CDsvor und verschaffen einen voll-ständigen Eindruck von diesermusikalisch großartigen Werk-gruppe. Nur hatte Dvorák nichtwie Mozart wenigstens für dreiseiner Hauptwerke einen Libret-tisten vom Range Lorenzo daPontes zur Seite. Wie die Opern russischer undanderer slawischer Komponis-ten bedürfen die Antonín Dvo-ráks nur eines speziellen Einfüh-

lungsvermögens in die Stoff-welt. Dagegen erleichtert dieOrientierung an Richard Wag-ners Gestaltungsprinzipien denZugang. Dabei ging der Kom-ponist im Unterschied zu bloßenWagner-Nachahmern absoluteigenständig vor, machte Wag-ner ganz dem Idiom seiner, dertschechischen Musik dienstbar.Eine erste Werkgruppe bildenStücke aus dem tschechischenVolksleben. Zu ihr gehören „DerKönig und der Köhler“ (in zweigänzlich verschiedenen Ver-tonungen von 1871 und 1874)oder „Der Teufel und Katja“(„Die Teufelskäthe“, 1898/99).Diese Katja, das reifste Werkdieser Art, nimmt es im Tanz mitallen Männern auf, und sei esder Teufel selber. Der holt sie –ahnungslos – in die Hölle undmuss erleben, wie sie auch damit einem vor Temperamentüberschäumenden Höllentanz

alles durcheinander wirbelt. Dasist ein Meisterstück an gemüt-vollem, durchaus auch kriti-schem Humor, nicht nur, weildie Höllenbewohner bei gutemtschechischen Bier Karten spie-len, singen und tanzen. Solche Stoffe vertonte Dvorákebenso liebevoll und ideenreichwie die historischen, die ihm alsBekenntniswerke besonders amHerzen lagen. In Ermangelung ei-ner tschechischen Vorlage wählteer für seine erste historische sla-wische Oper „Wanda“ (1875)eine polnische, in altslawischerZeit in Krakow spielende aus. Auch die Musik der nächstenhistorischen Oper „Dimitri“nach Schillers Dramenfragment„Demetrius“ und einem tsche-chischen Drama (1881/82) packtunmittelbar und bewegt nach-haltig. Die an Modest Mussorg-skis Oper „Boris Godunow“anschließende Handlung erhält

durch Schillers Version beson-dere Spannung. Die lässt Dimitriim Glauben, der Sohn Iwans,des Schrecklichen zu sein undschafft so schärfere Konflikte.Die „Dimitri“ folgende urmusi-kantsiche Oper „Der Jakobiner“(1887/88) kombiniert Situatio-nen der historischen Oper mitländlichem Volksleben.Mit „Rusalka“ (1900) nach Ver-sionen der Wassernixenmär-chen u. a. von de la Fouqué er-hielt Dvorák durch JaroslavKvapil sein dramaturgisch stim-migstes Libretto. Er erfüllte die-ses lyrische Märchen mit schierüberströmender Melodik, miteiner in allen Farben prangen-den Harmonik und Instrumen-tation. Nach „Rusalka“ zogenden Komponisten wohl die zau-berischen und sagenhaften Ele-mente des Armida-Stoffes ausder Zeit des ersten Kreuzzugesan. Auch diese „Armida“(1902/03) zeichnet sich durcheinen musikalischen Einfalls-reichtum sondergleichen aus.Diesen Reichtum DvorákscherOpernmusik gilt es hundertJahre nach dem Tod des Meis-ters noch zu erschließen, auchdurch konzertante Aufführun-gen. • WERNER WOLF

„Ein schlichter tschechischer Musikant“

Vor 100 Jahren am 1. Mai starb

Antonín Dvorák

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 2004 BÜCHER • 11

Viele Wege führennach Weimar

Jochen Klauß: Wege nachWeimar. Winkler-Verlag,Düsseldorf 2003. 287 S.,geb., 19,90 Euro

Der Name ist Programm: Wegenach Weimar. Jochen Klauß be-leuchtet die vielschichtige lite-rarische Geographie des GrünenHerzens Deutschlands undkommt dabei doch immer wiederauf das Gravitationszentrum derdeutschen Literatur zurück:Weimar. In sechs Kapiteln nimmtder promovierte Germanist undHistoriker seinen neugierigenLeser mit auf literarische Ent-deckungstour durch Thüringen:Von Eisenach nach Nordhausen,von Stolberg nach Gotha, vonGotha nach Coburg ... Er verweiltjedoch nicht nur in der WeimarerKlassik bei Goethe und Schiller,sondern wandelt auch in der jün-geren Vergangenheit bei BrunoApitz und Ernst Wiechert. Einlesenswerter Literaturreise-führer. • D. M.

Ute Kaden / Wolgang Herr-mann: DDR kontra Agenda2010. Streitschrift für Alter-nativen zur Wirtschafts-und Sozialpolitik. editionost, Berlin 2004. 128 Sei-ten, 9,90 Euro

Buchtitel bei edition ost sindzuweilen etwas irreführend

– dieser auch, denn keinesfallsgeht es hier nur um einen So-zialabbau im Osten, sondern inganz Deutschland, und auchnicht um die unbesehene Einfüh-rung von Regelungen und Prak-tiken der DDR. Die von Kanzler Schröder vorgut einem Jahr verkündeteAgenda 2010 ist inzwischenvom SPD-Vorhaben zum Ge-setz geworden. Die Autorennehmen sich das Perspektiv-programm Punkt für Punkt vor,belassen es aber durchaus nichtbei der Beschreibung der vorge-sehenen Maßnahmen und kriti-schen Randglossen zu den dabeizu erwartenden „Risiken undNebenwirkungen“, sondern for-mulieren jeweils eigene Gegen-

vorschläge und weisen die da-bei zu erwartenden Effekte aus. Erstes Thema ist die Förderungdes „Aufbaus Ost“, ausgehendvon dem, was die DDR ins ver-einigte Deutschland einbrachteund was sie verlor. Während dieVorhaben der Agenda 2010 soschwach und unverbindlich sindwie die „Chefsache Ost“, schla-gen die Autoren u. a. vor, fürArbeitsfördermaßnahmen diezusätzlichen Gewinne zu nut-zen, die Wirtschaft und Bankenaus dem Beitritt der DDR er-zielt haben und für den Aufbauim Osten ostdeutsche Baube-triebe einzusetzen.Während die Agenda nichts sagtzur Reduzierung der Kosten fürdas Militär plädieren dieVerfasser für eine Halbierung

des Verteidigungsetats sowiedie Einstellung von Rüstungs-produktion und Waffenhandel. Während zu befürchten ist, dassdie Initiative Bürokratieabbaueine neue Bürokratie zum Ab-bau der alten hervorbringt, lau-tet die Empfehlung: ohne Wennund Aber reduzieren und Aus-lichtung des Gesetzesdschungels– eine Aufgabe, die Ausschei-denden Bediensteten übertragenwerden könnte. Neubauten fürBehörden sollten durch Nut-zung vorhandener Bauten er-setzt werden. Der anvisierten Steuerreformwerden Grundsätze für einneues, durchschaubares Steuer-gesetz gegenübergestellt, dasgeringe Einkommen entlastetund hohe stärker belastet, das

25 Prozent Körperschaftssteuerund 10 Prozent Kapitalertrags-steuer vorsieht und das Sub-ventionen und Steuervergüns-tigungen streicht.Weitere Themenkomplexe sindSubventionen, Mittelstandsför-derung und Handwerkspolitik,Infrastruktur („Ausbau derSchiene vor der Straße“), Wohn-raummodernisierung und Kün-digungsschutz. Große Aufmerksamkeit gilt derFrage, wie Menschen wieder inArbeit zu bringen sind. Alsaktuelle Lösungswege werdenein öffentlich finanzierter Be-schäftigungsektor (Arbeit be-zahlen statt Arbeitslosengeld),das Beleben örtlicher Wirt-schaftsstrukturen durch finanzi-ell entsprechend geförderteKommunen und Regionen favo-risiert. Minijobs sollen fastausschließlich im Dienstleis-tungsbereich erlaubt sein.Alle großen Unternehmen undVerwaltungen sollen verpflich-tet werden, durchschnittlich je36 Beschäftigter einen Auzu-bildenden einzustellen. Das

Niveau der Schulbildung,Hochschulen (leistungsfördern-de Stipendien statt Bafög, vomElterneinkommen abhängigeStudiengebühren) und For-schung sind weitere Themen,bei denen die Autoren Alterna-tiven zur Agenda vorschlagen.Ein Katalog von Vorschlägenzum Gesundheitswesen gehtweit über die Rücknahme derunsozialen Maßnahmen der Ge-sundheitsreform hinaus: Förde-rung von Ärztehäusern (Polikli-niken), Reduzierung der Anzahlder Krankenkassen, eine RoteListe für unnütze und überflüs-sige Medikamente, unentgeltli-che Gesundheitsvorsorge u. a.Rentensystem, Kommunal- undStaatsfinanzen und ein alternati-ver Staatshaushalt sind Gegen-stand der Schlusskapitel.„Für wen ist also die Agenda2010 gut?“, fragen die Autorenganz am Schluss? Bevor sie ihreAlternativen offerierten, habensie diese Frage am konkretenGegenstand faktenreich undüberzeugend erklärt.

• GÜNTER LIPPOLD

Die Axt an der Wurzel des Sozialstaates –und die Alternativen

Willy Brandt: Die Entspan-nung unzerstörbar ma-chen. Internationale Bezie-hungen und deutsche Fra-ge 1974–1982. BerlinerAusgabe, Band 9. Bear-beitet von Frank Fischer.Verlag J. H. W. Dietz Nachf.,Bonn 2003. 500 Seiten,27,60 Euro

Der mit einer Übersicht derwichtigsten Stationen des

Lebens von Willy Brandt undeiner Einführung von Frank Fi-scher (S. 15–77) eingeleiteteBand enthält 79 Dokumente:Reden, Artikel, persönliche Ver-merke, Protokolle, Interviewsund Briefe. Sie reflektieren,dass ab der zweiten Hälfte der70er Jahre das internationaleUmfeld für die Entspannungspo-litik schwieriger geworden war,dass sich die Konfrontation derSupermächte zuspitzte.Die Frage, ob die Welt auf eineatomare Katastrophe hinsteuert,hatte in Europa verbreitete Be-fürchtungen zum Ausdruck ge-

bracht. Europa stand, wie auchWilly Brandt erkannte, vor derschwierigsten Bewährungspro-be seiner Nachkriegsgeschichte.Dazu beizutragen, der kriti-schen Lage Herr zu werden,

galten seine Bemühungen. Dementsprach auch seine Mahnung,den Satz, dass von deutschemBoden nie wieder Krieg ausge-hen darf, nicht zur Phrase ver-kommen zu lassen. Auffallend

intensiv gestaltete sich dazu derGedankenaustausch zwischenWilly Brandt und dem Gene-ralsekretär des ZK der KPdSULeonid Breshnew.Hierzu werden Briefwechselund Gesprächsnotizen im Zeit-raum 1974–1982 erstmalig ver-öffentlicht. Insgesamt wird, wienicht nur der Spiegel-Artikelvon Willy Brandt zum Tod vonLeonid Breshnew 1982 belegt,seine beachtlichte Wertschät-zung des sowjetischen Partei-und Staatschefs erkennbar.Im Zusammenhang mit demNATO-Doppelbeschluss 1979richteten sich die Erwartungengroßer Teile der SPD und derFriedensbewegung auf WillyBrandt, dem 1971 der Frie-densnobelpreis verliehen wor-den war. In schwierigen Zeitengehörte er zu denen, die Versöh-nung, Frieden und Vertrauenverkörperten und hatte seinenAnteil daran, dass das mit denOstverträgen gelegte Funda-ment erhalten blieb.

• KURT SCHNEIDER

Dokumente zur Entspannungspolitik

Alexander Demandt: KleineWeltgeschichte. Verlag C.H. Beck, München 2003.368 Seiten, 24 Euro

Alexander Demandt hat sichlängst als einer jener Alt-

historiker ausgewiesen, die ausfundierter Kenntnis der Antikedie Geschichte bis zur Gegen-wart ins Auge fassen und auchvor Zukunftsprognosen nichtzurückschrecken. Das offenbar-te schon sein Buch „Endzeit?Die Zukunft der Geschichte“(1993). Der Weg durch die Ge-schichte beginnt mit der Kos-mogonie, der Menschwerdungund „den ersten Kulturen“, wo-bei aber der Übergang von die-sen zu den frühen Staatsbil-dungen im alten Orient zu kon-tinuierlich erscheint. Auf die

„Kultur der Griechen“, das „Im-perium Romanum“ und „DieVölker Europas“, wobei er auchdie Juden einbezieht, folgt imBestreben, den Eurozentrismuszu durchbrechen: „Die Welt desIslam. Dieses Bemühen ist auchweiterhin sichtbar. So folgenauf „Kaiser und Papst im Mit-telalter“ die „Großreiche Asi-ens“. Auch in den auf Euro pakonzentrierten Kapiteln „Re-naissance und Reformation“,„Zeitalter der Entdeckungen“,„Vom Absolutismus zur Aufklä-rung“, „Nationalismus und Im-perialismus“ und „Die Weltkrie-ge“ ist es zu erkennen. In denabschließenden Kapiteln „De-mokratisierung global?“ und

„Aus der Gegenwart in die Zu-kunft“ finden sich Folgerungen,die das Ende der Menschheit,die Verwandlung der Erde ineine „Mülldeponie“ und dieAuflösung der „Zeit ... in einegeschichtslose Ewigkeit“ pro-gnostizieren. Zu bedenken istsein Vergleich des gegenwärti-gen Rücklaufs der angestamm-ten Bevölkerung in Europa,Nordamerika und Japan und deseakalierenden Bevölkerungs-wachstums in der ärmeren Weltmit der analogen Entwicklung,die im späten Imperium Roma-num begonnen und zu seinemUntergang geführt bzw. durchMigration dazu beigetragenhaben. Mit Sarkasmus charakte-

risiert er unter ökonomischenund finanzpolitischen Aspektendie „Bush-Doktrin“, die „denKrieg zur Fortsetzung der Mo-ral mit anderen Mitteln“ macht.Unerwähnt bleiben aber dieweltweiten Demonstrationen,die sich 2003 gegen die Golf-kriegspläne richteten und dieimmerhin die UNO und solcheStaaten wie die BRD und Frank-reich in ihrer ablehnenden Hal-tung gegenüber der aggressivenund verlogenen Bush-Adminis-tration unterstützten und einModell für künftige Protestbe-wegungen bilden könntenNicht nur marxistische Leserwerden die z. T. holzschnittarti-ge Behandlung des Marxismus

kritisch registrieren, zumal derAutor in „Endzeit?“ ungeachtetseiner Ironie bemerkenswerteGedanken über die den Kapita-lismus domestizierende Funk-tion des Marxismus formulierte,die an die von Hobsbawm im„Zeitalter der Extreme“ festge-stellte Wirkung der UdSSRnach 1945 erinnern.Jeder Leser des Werks kannaber sicher sein, dass ihm seinVerfasser eine kritische Sichtnicht verargt. Denn er schließtsein „Vor- und Nachwort“ mitder Bitte des jüngeren Plinius:„Wenn du in meinem Werketwas anderes liest als du eswünscht, so verzeih mir bitte.“

• WERNER BERTHOLD

Weltgeschichte als Herausforderung zur Kritik

Willy Brandt im Gespräch mit Leonid Breshnew 1981 in Moskau

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 200412 • ZEITGESCHICHTE

KALENDERBLATT 30 Jahre Ende der Diktatur in Portugal – 10 Jahre Ende der Apartheid in Südafrika

Als die Kommunistische ParteiFrankreichs (PCF) im antifa-schistischen Kampf in der er-sten Hälfte der 30er Jahre imKampfe für die Volksfront dasVermächtnis der Großen Fran-zösischen Revolution zu er-schließen begann, wandte sichauch ihr junges Mitglied, dermarxistische Historiker AlbertMarius Soboul, diesem Ereignisvon bleibender nationaler undinternationaler Bedeutung zu.Am 27. April 1914 in der Fami-lie eines französischen Klein-bauern geboren, wurde er baldzur Kriegswaise. Eine Tante,Lehrerin von Beruf, nahm sichseiner an und trug für seineschulische Ausbildung Sorge.So war es ihm möglich, das Stu-dium der Geschichte an der Pa-riser Universität aufzunehmen.Als Student trat er auch der PCFbei und übernahm ihren Auf-trag, an der Einrichtung desRevolutionsmuseums im „roten“Pariser Vorort Montrieul mitzu-wirken. 1937 erschien sein er-stes Buch über „Saint Juste“

und anlässlich des 150. Jahres-tags der Revolution 1939 folgtedas „Jahr I der Freiheit“. MitKriegsbeginn als Soldat einbe-rufen und 1940 demobilisiert,schloss er sich der Resistanceim „maquis roug“ an. Erst nacherrungenem Sieg kehrte er nachParis zurück. Georges Lefebvre, der Inhaberdes Lehrstuhls für Geschichteder Französischen Revolutionan der Sorbonne, nahm ihn inseinen Schülerkreis auf und be-treute seine aufsehenerregendeHabilitationsschrift „Die PariserSansculotten im Jahr II: Politi-sche und soziale Geschichte derSektionen von Paris..." (1958),die vorwiegend auf erst von ihmerschlossenen Quellen beruhte.Sie erschien bereits 1962 indeutscher Übersetzung in Ost-berlin. Nach einer Tätigkeit als Lehrerfür Geschichte und Geographieund als Professor an der Univer-sität Clermont-Ferrand wurde er1967 der erste kommunistischeInhaber des renommierten Lehr-

stuhls an der Sorbonne. Seine Konzeption der Französi-schen Revolution unterschiedsich auch von der des Histori-kers Albert Mathiez, der zeit-weilig der PCF angehörte. Die-ser hob zwar Robespierre beiKritik Dantons als Leitbild ei-ner demokratischen und sozia-len Republik hervor, identi-fizierte jedoch die französischemit der russischen Oktoberrevo-lution in einem solchen Maße,daß er in Lenin einen Robespi-erre sah, der Erfolg gehabt habe.Soboul betont dagegen die unter-schiedlichen Stellungen undAufgaben der beiden Revolutio-nen in einem diskontinuierli-chen universalhistorischen Fort-schrittsprozess. Wie sein Lehrerwandte er sich den sozialen undökonomischen Seiten der Fran-zösischen Revolution und –gleich seinem Freund WalterMarkov, mit dem er auch meh-rere Titel veröffentlichte – jenenlinksradikalen Volkskräften zu,die über deren Grenzen hinaus-strebten. Markov charakterisier-

te das Gesamtwerk Sobouls unddessen wissenschaftsgeschicht-liche Stellung wie folgt: „SeinVerständnis der Revolution von,unten‘..., seine Darstellung derVolkskräfte – der Sansculottender Städte und der Bauern aufdem Lande – als Träger derGeschichte, mit kritischer Sorg-falt materialreich belegt, setzteneue von allen Angriffen der,Revisionisten‘ nicht mehr weg-zuwischende Maßstäbe.“ Im Rahmen seiner weltweitenWirkung und Kooperationsbe-ziehungen nahmen die DDRund hier das von Markov ge-gründete „Interdisziplinäre Zen-trum für vergleichende Revo-lutionsforschung“ an der „Karl-Marx-Universität“ Leipzig einebesondere Stellung ein. 1974verlieh sie ihm auch – gleichder Lomonossov-Universität inMoskau – den Titel eines Eh-rendoktors. In „Gedanken zurGeschichte“, die er aus diesemAnlass vortrug, betonte er imGeiste der Französischen Revo-lution und der Menschenrechtedie „Freiheit“, die „nichts ohneGleichheit ist“, während diesenichts ohne die „Brüderlich-keit“ sei.

• WERNER BERTHOLD

Dem Vermächtnis von 1789 verpflichtetZum 90. Geburtstag von Albert Marius Soboul (1914–1982)

Vor 10 JahrenAutonomie fürPalästinenser

Am 4. Mai 1994 unterzeichne-ten Israels MinisterpräsidentYtzhak Rabin und der Chef derPalästinensischen Befreiungsor-ganisation (PLO), Jassir Arafat,in Kairo ein Abkommen überdie Autonomie der Palästinenserin den von Israel besetztenGebieten Jericho und Gazastrei-fen. Vorausgegangen war nachlangen Verhandlungen der Ab-schluss eines Grundsatzvertra-ges am 13. September 1993 inWashington. Das Abkommenvon Kairo sah vor, dass die isra-elischen Truppen binnen 21 Ta-gen aus den Autonomiegebietenabzuziehen waren und die Ver-waltung an eine 25-köpfige pa-lästinensische Behörde mit Ara-fat an der Spitze übergeht, wo-bei das Autonomiegebiet derOberhoheit der israelischen Ar-mee unterworfen blieb. BeideSeiten vereinbarten, bis fünfJahre nach dem Abschluss desGaza-Jericho-Abkommens eineendgültige Lösung für den Sta-tus der Palästinenser zu finden.Am 13. bzw. 25. Mai erfolgt derMachtwechsel. PalästinensischePolizisten treten an die Stelle is-raelischer Soldaten. Weitere Verhandlungsergebnis-se nährten die Hoffnung, dassder begonnene Prozess geradli-nig bis zur Bildung eines eige-nen palästinensischen Staatesfortgeführt werden könnte. Sowurden den Palästinensern mitdem Abkommen über die Zivil-verwaltung im Westjordanlandvom 29. August 1994 Autono-mierechte auf den Gebieten Kul-tur und Bildung, Gesundheits-und Sozialwesen, Steuern undTourismus übertragen. Und am28. September 1995 legte einAbkommen den Rückzug der is-raelischen Armee aus den gro-ßen Städten des Westjordanlan-des fest und regelte weitere Fra-gen. Die PLO verpflichtete sich,Artikel aus ihrer Charta zu strei-chen, die die Vernichtung Isra-els als Ziel propagierten. Doch bald sollte sich das Blattwenden. Ein Signal für die Ver-zögerung und den Stop des Frie-densprozesses war das tödlicheAttentat auf Rabin durch einenrechtsradikalen israelischenSiedler im Dezember 1994. Inder Regierungszeit von Netan-jahu verhärteten sich unter demDruck nationalistischer Kräftedie Fronten, die Repression ge-gen die Palästinenser nahm zuund förderte deren verzweifel-ten Widerstand. Fristen zur Fort-führung des Friedensprozesses1999 und 2000 verstrichen un-genutzt. Versuche seiner Wieder-belebung unter Barak und Sha-ron scheiterten letztlich.Neueste Entwicklungen wie dieBilligung israelischer Siedlun-gen im Westjordanland durchBush deuten eher auf Umkehrals auf Fortschreiten des Frie-densprozesses hin. • G. L.

Am 25. April 1974 strahl-te der von Linksputschi-sten besetzte katholische

Rundfunksender in Lissabon dasLied „Grandola, vila morena“aus, das verabredete Signal zumAufstand. Begeisterte Massensteckten den putschendenMilitärs rote Nelken an. Sie wur-den zum Symbol der portugiesi-schen Revolution. Ausgelöstwurde der Umsturz nicht nurdurch innere Krisen des faschi-stisch regierten Landes, sondernvornehmlich durch die zuneh-menden militärischen Konfliktemit Befreiungsbewegungen inden afrikanischen Kolonien. Nurfolgerichtig war daher, dass dieEntkolonialisierung umgehendnach der Nelkenrevolution inAngriff genommen wurde.Demokratisierung, Boden-reformen und andere sozia-le Reformen folgten ge-gen den Widerstand vonTeilen des alten Macht-apparats, der Bourge-oisie und des Klerus.Ähnlich wie inD e u t s c h l a n d1919, obsiegten1975 schließlichdie parlamentarischgemä-ßigten Kräfte über dierevolutionären: Die Bevölke-rungskommissionen gerieten ge-genüber der wieder erstarkendenBürokratie ins Hintertreffen, dieAgrarreform wurde weitgehendrückgängig gemacht und ein all-gemeiner Rechtsruck setzte ein.Ein Grund dafür war die ökono-mische Situation des Landes, die– ohnehin kritisch – durch Loh-

nerhöhungen einerseits, Kapital-flucht andererseits und schließ-lich auch die Flüchtlingsströmein Folge der Entkolonialisierungimmer bedrohlicher wurde. Da-durch wurde Portugal erpressbar:Massiver Druck von au-ßen, ausgeübt von NATO, IWF undeuropäischenLändern,

drängteauf eine

weitgehen-de, de-

mokra t i s chverbrämte, Re-

stauration derVerhältnisse.

Eine nicht zu unter-schätzende Rolle

spielte dabei die bun-desdeutsche Sozialde-

mokratie: HelmutSchmidt äußerte die

Ansicht, der Westen dürfe„einen Verlust Portugals

nicht zulassen“, während dieparteinahe Friedrich-Ebert-Stif-

tung ihrem Namensgeber alleEhre machte und den rechtenFlügel der Sozialistischen Par-tei, der sich gegen Bodenreformund Zusammenarbeit mit Kom-munisten wandte, massiv unter-stützte.

Im Café de Lisboa in Johan-nesburg treffen sie sich undträumen von der Vergangen-

heit: zahlreiche portugiesische

Kolonisten, vor allem aus Ango-la und Moçambique, die sicheine neue Heimat nicht im Mut-terland, sondern in Südafrikasuchten. In den 70er Jahrenstand das Land am Kap der

guten Hoffnung – nochhofiert von derwestlichen Welt –gerade im Zenit sei-ner Rassendiskrimi-nierungspolitik undbekämpfte die

Linksregierungen inden ehemaligen portu-

giesischen Kolonien militärisch. Steter Widerstand vor allemdurch den verbotenen ANC unddie illegale KP, seitens der Ge-werkschaften, Kirchen und an-derer Gruppen bereitete am Kapden Boden für die Zukunft. Äu-ßerer Druck und der ökonomi-sche Anachronismus der Apart-heid sorgten dafür, dass dieweiße Oligarchie schließlich –sollte ein offener Bürgerkriegvermieden werden – den Aus-gleich mit den politischen Ver-tretern der unterdrückten Bevöl-kerungsmehrheit suchen musste.Das Ergebnis war das Ende derApartheid, gefolgt von den ers-ten freien und allgemeinen Wah-len in Südafrika vor zehn Jahrenam 27. April 1994. Seitdem re-giert der ANC nahezu mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Die rechtlicheund politische Emanzipation dernicht-weißen Südafrikaner warein bedeutender Schritt, erkauftnicht zuletzt durch wirtschafts-politische Kompromisse mit derweißen Bourgeoisie. Die wiedererkämpfte Menschenwürde, Er-

folge in Bildungswesen, Sprach-politik und Infrastruktur sindohne Zweifel Meriten der fort-schrittlichen Kräfte am Kap.Dennoch dürfen die Schattensei-ten nicht übersehen werden: Zwi-schen 1995 und 2000 gingen dieEinkommen schwarzer Haushalteum 19 Prozent zurück, währendim selben Zeitraum die der wei-ßen um 15 Prozent stiegen. Die ökonomischen Ausbeu-tungsverhältnisse haben sichdurch die Globalisierung im letz-ten Jahrzehnt auch in Südafrikaverschärft, paradoxerweise Er-gebnis der Öffnung des Landesnach dem Ende der Apartheid.Auch wenn der ANC mit seinenVerbündeten am 14. April wiederein überragendes Wahlergebniseingefahren hat – es mehren sichdie Stimmen der Kritiker. So for-dern der GewerkschaftsbundCOSATU und der Rat der süd-afrikanischen Kirchen ein Grund-einkommen, das nach der erfolg-reichen Erringung menschenwür-diger Rechtsverhältnisse aucheine menschenwürdige ökonomi-sche Grundlage für alle Südafri-kaner garantieren würde.30 Jahre Ende der Diktatur inPortugal, 10 Jahre Ende derApartheid in Südafrika. Zwei imGrunde afrikanische Jubiläen.Lehrstücke über Halbherzigkei-ten, äußeren Druck und wirt-schaftliche Machtverhältnisse.

• JENS-EBERHARD JAHN

Der Autor kämpfte 1986 eini-ge Monate lang in der UnitedDemokratic Front (UDF) ge-gen die Apartheid.

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 2004 SPORT / RÄTSEL • 13

Ich bin mir sicher, dass ich Vorwürfeernten werde: „Fängt der auch nochdamit an?“ Ja, ich muss es tun, näm-

lich über den VfB Leipzig schreiben. Daich aber sicher bin, dass niemand über-lesen hat, dass der wegen Zahlungsun-fähigkeit aus dem Register gestricheneVerein unbestritten erster deutscher Fuß-ballmeister und schon 1893 gegründetworden war, reduziere ich mich auf dasfür die Gegenwart Entscheidende: DerVerein ist zahlungsunfähig. Wer die De-tails der Nachwendeereignisse liest, denwundert das nicht. Abenteurer hattensich in den Klubbüros etabliert und aufdie faule Ausrede, die seien farbenblindgewesen und hätten rote Zahlen nichtvon schwarzen unterscheiden können,wird kaum jemand hereinfallen. Wieauch immer, der VfB musste gestrichenwerden wie ein versunkenes Schiff. Ihnaber unter einem anrüchigen Namenweiterleben lassen zu wollen – das setztdem Fass die Krone auf! (Oder wieschimpft man in solchen Situationen?)Wer, zum Henker, kam auf die Idee, dieJungens unter 1. FC Lokomotive weiter-spielen lassen zu wollen? Das ist dochdie blanke Nostalgie und unentschuld-bare Rückkehr zu unseligen DDR-Zeiten. Hatte man nicht eben Lehrgeldgenug zahlen müssen, als die Olym-piabüros erst von Stasiagenten gesäubertwerden mussten? Wer in Paris, Londonoder Rom vom geplanten Lok-come-back liest, wird uns anklagen: „Die

haben noch immer nichts gelernt!“ Esgibt doch wahrlich genug unauffälligeFußballvereinsnamen: Eintracht, Wa-cker, Union, Minerva – aber Lokomoti-ve? Atmet man nicht schon beim Lesendes Namens die verpestete Luft der mitBraunkohle betriebenen Lokomotiven?Und wird man nicht auch sogleich daranerinnert, was auf der Webseite des VfBin der Rubrik „Geschichte“ steht: „...errichteten Leipziger Fußballfunktionä-re 1963 ein sportlich und politisch geför-dertes Leistungszentrum in Leipzig-Probstheida ...“ Politisches Zentrum?Früher wusste man, was gemeint war, dagab’s fast nur die SED, aber heute müs-ste zunächst darüber befunden werden,wer sich da überhaupt politisch engagie-ren darf. Zudem: Viermal wurde dieses„Leistungszentrum“ Sieger im FDBG-

Pokal, über den wir unlängst durch denPotsdamer Alleswisser Spitzer belehrtwurden, dass seine Stiftung der ersteSchritt des DDR-Fußballs weg von Tra-ditionen hin zum Kommunismus war.Hat das alles niemand bedacht? Mankann nur froh sein, dass IOC-PräsidentRogge davon bei seinem Leipzig-Besuch nichts erfuhr. Was hätten Bun-desinnenminister Schily und Minister-präsident Milbradt ihm antworten sol-len, wenn der belgische Chirurg plötz-lich gefragt hätte: „Warum ausgerechnetwieder Lokomotive?“ Schily, der ver-mutlich die Standardliteratur der DDR-Sport-Aufarbeiter nicht kennt, hätteüberhaupt nicht gewusst, wovon dieRede ist, und Milbradt hätte sich nur rat-los in die Büsche schlagen können. Derletzte Ausweg: Alle, die für Olympia inLeipzig sind, hätten zu einer Demo ge-gen den Lokomotive-Wiedergeburtsplanzusammengetrommelt werden müssen.

Und die emsigen Beauftragten für dieBekämpfung der Stasi hätten herausfin-den müssen, wer wohl auf diese Ideegekommen sein könnte. (Garantiertirgendein IM!) Damit nicht genug: DasLok-Logo hat bekanntlich ein Scharla-tan aus den alten Bundesländern aufge-kauft. Beim ersten Spiel hätte der schonabkassiert: für die Trikots, für das Pro-grammheft, für die Anzeigetafel. Wiederhätte Geld irgendwo gepumpt werdenmüssen. Die Deutsche Bahn, die jetzt inNeufünfland die Lokomotiven (zu leichterhöhten Fahrpreisen) rollen lässt, hättegarantiert keinen Penny rübergereicht.Kurzum: Das finanzielle Desaster warvorprogrammiert und das politische hät-te unweigerlich der Olympiabewerbunggeschadet. Haben wir nicht schon genugSorgen damit?

BOX-DSCHUNGEL. Dass die wa-ckeren ukrainischen Klitschko-Brüdermanchen mitten in der Nacht aus denBetten geholt haben, hat sich herumge-sprochen. Dass die von mysteriösen Um-ständen begleitete Niederlage des Wladi-mir aufgeklärt werden muss, liegt auf derHand. Blut- und Urinproben liegenschon in den Labors. Wenn die Boxfansallerdings auf exakte Auskünfte Wertlegen, sollte man mich bzw. LN fragen.Die Wetten standen vor dem KampfKlitschko–Brewster auf 11:1 für Klitsch-ko. Wer also einen Dollar auf Brewstersetzte, kassierte deren elf, wenn Klitsch-ko verlor. Und in den letzten 24 Stundenvor dem Kampf reduzierten die Wett-büros die Quote von 11:1 auf 3,5:1, wasahnen lässt, wie viel Geld auf Brewstergesetzt worden war. Also: Sucht dieWettfans, denn die müssen etwas ge-wusst haben, und vielleicht sind sie sogarbereit zu erzählen, was sie wussten ...

Sportkolumne

VfB und FC Lok

VonKLAUS HUHN

Auf dem GerichtDie wochentäglichen Sendungen RichterinBarbara Salesch und Richter Werner Holt(RTL) gehören wohl zu den beliebtestenderer, die zwischen 15 und 17 Uhr Mußezum Fernsehen haben. Drei bis vier nach-gestellte oder mehr oder weniger erfundeneStrafprozesse kann man so erleben, als säßeman mit im Gerichtssaal. Ein Geheimnisihres Zuspruchs scheint zu sein, dass siezumeist spannender und hinsichtlich derDeliktmotive, des sozialen Beziehungsge-flechts und des Tathergangs glaubwürdigersind als viele Standard-Krimis. Andererseits folgt das Geschehen im Saalzunehmend den Gesetzen der Fernsehdra-matik und gerät damit zuweilen an dieGrenzen realistischer Darstellung. So,wenn genau an toten Punkten der Verhand-lung sich bei Richter, Staatsanwalt oderVerteidiger ein neuer Zeuge per Handymeldet oder schon in der Tür steht. Oderwenn die Art der verhandelten Delikteetwas einseitig ausgewählt ist: Wirtschafts-delikte, Amtsmissbrauch, Korruption unddergleichen, die ja in der Realität einegroße Rolle spielen, fehlen fast ganz,während zunehmend und über ein normalesMaß hinaus Sexualdelikte wie auch Mordund andere Gewalttaten die Szene prägen. Für den Außenstehenden werfen die Sen-dungen eine Reihe Fragen auf: ob es reali-stisch ist, dass die Staatsanwälte im wirkli-chen Leben ebenso stupide und von sichselbst überzeugt sind wie im Film, wo sienicht selten am Ende unbegründete Ver-dächtigungen eingestehen müssen; ob dieVoruntersuchungen häufig so schlampiggeführt werden, dass die Hauptverhandlungvoller Überraschungen ist; ob denn die Ver-handlungen in der Regel wirklich nur weni-ge Monate nach der Tat stattfinden, wäh-rend man oft genug von jahrelangen Ver-schleppungen hört? Aber die pointierten Schlussbemerkungenvon Richter Holt sind Glanzstücke, undman wünschte sich, alle Juristen hätten soviel Witz.

• GÜNTER LIPPOLD

TELESKOP

Für die gesuchten 32 Begriffe diesesSilbenrätsels sind die aufgeführtenSilben zu verwenden. Bei richtigerLösung vollenden die ersten unddritten Buchstaben der Wörter –jeweils von oben nach unten gelesen– den Aphorismus von André Brieaus der Sammlung „Am Anfang wardas letzte Wort“ (Eulenspiegel Ver-lag):Das menschliche Wissen verdoppeltsich alle sieben Jahre. Doch wie

a – ab – ar – beet – ben – ber – berg– bi – ca – cha – che – cre – da – de– de – di – do – dü – e – ein – el – eu–fal – fo – frut – garn – gen – gie – gre– har – he – hei – ho – i – i – ich – in– in – kum – land – le – leib – lekt –lekt – lo – lo – mi – mo – mün – mur –na – na – ne – ni – ni – ni – nie – nie– niz – o – ob – on – ops – pi – phus– py – ra – ra – reb – rer – ri – ri – rin– ro – sart – scen – schrei – seits –sen – ser – si – sin – spes – sy – tel –ti – ti – ti – ti – to – tos – tut – ty – uh– um – um – um – un – ur – va – ven– ves – war – za – zag1.ital. Dirigent, Scala, MET (1867-1957)

2.wissenschaftl., meteorolog., geophys.Beobachtungsstelle

3.weibl. griech. Sagengestalt

4.älteste Form des sportl. Zweikampfs

5.Wissensch. von den Fischen

6.i. d. Musik: anschwellend

7.dt. Physiker (1901-1976, Nobelpr. ‘32)

8.Süßspeise aus versch. Früchten

9.Hauptstadt Kroatiens

10.dt. Dichter (1787-1862), volkstüml.Lyrik, Balladen

11.Inselstaat in d. Karibik

12.dt. Philosoph, Forscher (1646-1716)

13.ältestes geolog. Zeitalter

14.Schöpfer, Hersteller, Erfinder

15.dt. Komponist (1770-1827)

16.chem. Element, Metall

17.belg. Provinzhauptstadt

18.Tagebuch, Kladde

19.spez. Spielsituation beim Fußball

20.griech. Sagengest., König v. Korinth

21.Bergland in Franken u. Hessen

22.mehrsätziges Orchesterwerk

23.langfristige Anlage

24.Sehenswürdigkeit in Ägypten

25.Wohlklang, Ausgewogenheit

26.dt. Maler u. Grafiker (1471-1528)

27.eine Baleareninsel

28.spezielle Postsendung

29.südosteurop. Land

30.Verzierungstechnik in d. Gold-schmiedekunst

31.dt. Ostseebad

32. Verstand, DenkvermögenAuflösung des Rätsels 8‘04:

SIEBENSCHLAEFERZAUNKOENIG

ZZITIERITIERTT –– ZZIT IERIT IER TT –– ZZ IT IERIT IER TT

emka

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 200414 • POST

Konzern-Sponsoring über die Werbung?

Das funktioniert bei einem linken Blatt aus beiderseitiger Abneigung nicht.

Alljährliche Preiserhöhungen muten wir Ihnen nicht zu.

Finanzieren müssen wir uns dennoch!

SPENDEN an:Projekt Linke Zeitung e. V.,

Sparkasse Leipzig, Konto: 11 50 11 48 40 – BLZ860 555 92, Kennwort: Spende für LNÜbrigens: LN ist auch ein feines

Geschenk für Freunde, Bekannte ,Nachbarn ...

LIEFERANSCHRIFT:

.................................................................Name, Vorname

.................................................................Straße, Hausnummer.................................................................PLZ, Ort.................................................................evtl. Telefon

RECHNUNGSANSCHRIFT (nur extra auszufüllen, wenn dies ein

Geschenkabonnement ist

.................................................................Name, Vorname.................................................................Straße, Hausnummer.................................................................PLZ, Ort

Das Halbjahresabonnement kostet 13 Euro.

Die Zeitung erscheint vierzehntäglich undwird über die Post zugestellt. Das Abonne-ment verlängert sich jeweils um ein halbesJahr, wenn ich es nicht bis 1 Monat vorBezugsende in der Redaktion kündige.

Ich bitte um RechnungIch bezahle durch Bankeinzug

.................................................................Geldinstitut.................................................................BLZ.................................................................Kontonummer

.................................................................Kontoinhaber.................................................................Datum, 1. Unterschrift des AuftraggebersIch kann diese Bestellung innerhalb von 10 Tagen nach Absendung(Datum Poststempel) widerrufen.

.................................................................2. Unterschrift des Auftraggebers

Bestellschein

Ich möchte LEIPZIGS NEUE unterstützen und zahle zumHalbjahrespreis von 13 Euro zusätzlich 5 Euro.

Solidaritätspreis:

Ausgefüllten Bestellschein bitte an

LEIPZIGS NEUE, Braustraße 15, 04107 Leipzig schicken

Nach Angaben der Medien demon-strierten am 3. April 2004 über

500 000 Menschen in Deutschland gegenden Sozialabbau. Allein in der Haupt-stadt Berlin waren es mindestens 250 000 Menschen.Die derzeitige Regierung hat versagt, sie belügt dasWahlvolk – sie muss weg!Was kommt aber dann? Wer glaubt schon an eine Wendebei den „Schwarzen“? Noch schlimmere „Reformen“sind zu befürchten. Also bildet die Straße unsere Platt-form, also gehen wir wieder montags demonstrieren undbeweisen, dass es doch noch einen Gegenpol gibt – zeigenwir ihnen die Stirn!Es ist eine Lüge, dass der Staat kein Geld mehr habe.Seit den 90er Jahren hat sich unser Staat immer mehrzum Dienstleister der weltweit operierenden Konzernegemausert. Allein für das neue BMW-Werk in Leipzigfließen fünf Milliarden Euro aus Steuergeldern in dieInfrastruktur, nachdem BMW vorher über 500 Städte inmehreren europäischen Städten in den Konkurrenz-

kampf schickte. Wo das meiste für den Konzern zu holenwar, da baut er von den Politikern vielumjubelt seinWerk. Um Konzernen Geld hinterher werfen zu können,wurde die Praxisgebühr erfunden, die Benzin- undTabaksteuer erhöht, sind die Kommunen gezwungen,von den Bürgern Geld auf teilweise absurder Grundlageeinzutreiben, und und und. Eine noch höhere Mehrwert-steuer wird die nächste „Überraschung“ sein, dazu dieKrankenkassenbeiträge ... Als Lockmittel wird dem Volkdie Verringerung der Arbeitslosigkeit vorgegaukelt. Gebetsmühlenartig wird verkündet, die sogenanntenLohnnebenkosten müssten gesenkt werden, dann würdenArbeitsplätze entstehen wie im Schlaraffenland. Übrigens,in der BRD hat ein Arbeiter im Jahre 2002 durchschnittlichnur 9,9 Minuten gebraucht, um den seinem Lohn entspre-chenden Warenwert zu produzieren. Der Rest ist un-bezahlte Arbeit zugunsten des Unternehmers.

Noch allerdings haben auch die Arbei-ter ihre Interessenvertreter, die Ge-werkschaften. Gegen die aber wettert„Genosse“ Müntefering was die

Stimmbänder hergeben. Und FDP-Chef Westerwellesagte im Deutschlandradio, die Funktionäre würdennicht mehr die Arbeitnehmerinteressen vertreten. Arbeit-geberpräsident Hundt warf den Gewerkschaften vor, mitihrer Blockadepolitik dem Land zu schaden. Drei in einemBoot, vereint, in die gleiche Richtung rudernd. GENERALSTREIK war auf vielen Transparenten inBerlin zu lesen. Ja, der Generalstreik ist vielleicht daseinzige Mittel, dem Kapital klarzumachen: So geht esnicht weiter. Einige ängstliche Gesichter aus dem Nobel-hotel in der Karl-Liebknecht-Straße in Berlin – dort, wodas Palasthotel stand, gegenüber unserem Palast derRepublik – sahen schon beim Anblick der Massen ihreschönen Tage im Hotel dahinschwinden.

FRITZ DOSTMitglied von ISOR e.V. TIG Leipzig

Ein Ruck ging durch Deutschland

Sympathie und Verehrung für Bäumeist ganz unterschiedlich. Die einen

bevorzugen eher Laubbäume, anderewiederum lieber Tannenbäume. Wer zumBeispiel Ausflüge gerne ins schöne Vogt-land unternimmt, der ist immer wiederangenehm berührt von den dort befindli-chen Weihnachtstannen-Wäldern. Undwer am Haus daheim oder im Garten gareine edle Tanne stehen hat, möchte amliebsten du zu ihr sagen. Was nichtsgegen den landschaftlichen Reiz einerschönen Birke, Buche oder Ulme sagt.Doch in Bornaer Kleingartenspartenhaben Gegner der majestätischen Edel-tannen – die wohlgemerkt keine Wald-bäume sind – den Garaus geblasen. Undso hört man neuerdings besonders in derSparte „Naturfreunde 1950 e. V.“ Mo-torsägen heulen. Mit dem SächsischenKleingartengesetz im Rücken, dem zufol-ge Waldbäume in Kleingärten nicht statt-haft seien, gehen Gartenvorstände eilfer-tig daran, Tannen bzw. Koniferen bis auf2,50 Meter Höhe über dem Erdbodenabzuholzen.In den 160 Gärten der Sparte „Na-turfreunde 1950 e. V.“ stehen 29 Tannenund 46 andere Koniferen, die geschlagenwerden müssen. (Lediglich sechs habennoch Bestandsschutz bis zum Päch-terwechsel.)„Müssen!“ So sagt der Vorstand. Dennansonsten droht seitens der Stadtverwal-tung bzw. des Landratsamtes wie ein Da-

moklesschwert der Entzug der kleingärt-nerischen Gemeinnützigkeit. Wer will wohl im Falle der Wider-borstigkeit schon das Risiko auf sich neh-men, ein Mehrfaches an Pacht für eindann so genanntes Wochenendgrund-stück zahlen zu müssen. Abgesehendavon, dass Silber-, Blau- oder Weißtan-nen in Waldkulturen kaum zu finden seindürften, ist die Angelegenheit äußerstdelikat. Was sagt eigentlich der Natur-schutzbund dazu? Um jeden Baum, derim Territorium beseitigt werden mussoder gar illegal entfernt wird, gibt es Auf-regung und laut Baumschutzsatzungharte Bandagen mit Ersatzpflanzungen,Bußgeld oder sowas. Doch wenn, wiegeschildert, in die Kleingarten-Natur ein-gegriffen wird, soll das gut und richtigoder gar gemeinnützig sein? Ergo: Erst wenn ich meine stattlicheWeißtanne, übrigens vom Naturschutzku-ratorium (weil vom Aussterben bedroht)deutschlandweit als „Baum des Jahres2004“ unter Schutz gestellt, bis auf 2,50Meter absäbele, ist mein Garten weiter-hin gemeinnützig!

Vor rund 10 Jahren stand dieses Thema inder Sparte schon einmal zur Debatte –mit der Maßgabe, dass solche vor dersogenannten Wende gepflanzte TannenBestandschutz haben, zumal sie fürVögel Winterschutz darstellen. Dochjetzt das! Fluchend sah ich einen Gartennachbarnseine sieben Meter hohe Serbische Fich-te niedermetzeln. Sein Kommentar: DerGarten mache keinen Spaß mehr. Anderesagen, vielleicht werde von oben einesTages angeordnet, in welche RichtungKohlrabis anzupflanzen seien. Will manes darauf ankommen lassen, die letzteAmsel aus den Gärten zu vertreiben? Eigenartigerweise gibt es in Kleingarten-vorständen recht unterschiedliches Her-angehen an die Tannen. In Borna-Nordzum Beispiel haben alle größeren BäumeBestandschutz bis zum Pächterwechsel.Lediglich dort, wo Nachbarn durchhohen Baumwuchs beeinträchtigt wer-den, ist Absägen geboten. Was ja nach-vollziehbar ist. In Markkleeberg stehennur die Tannen an Gartengrenzen zurDisposition.Man mag jenen Passus des Klein-gartengesetzes, die diesbezüglichen Dro-hungen von Ämtern und eilfertige Maß-nahmen von Vorständen drehen und wen-den wie man will – wer ohne Not mas-senhaft edle Bäume beseitigen lässt,begeht Frevel an der Natur!

BRUNO SCHWEITZER, BORNA

Was soll an Baumfrevel gemeinnützig sein?

Axt in Bornaer Kleingärten

Auch diese Blautanne soll weg bzw. auf2,50 Meter gekürzt werden. Das mussman sich mal illustriert vorstellen!

Foto: Schweitzer

LEIPZIGS NEUE • 9 ‘04 • 30. APRIL 2004 SERVICE / ANZEIGEN • 15

Mittwoch, 5. Mai, 19 Uhr, DresdenAufbau oder Stagnation? Die Entwicklung des Arbeitsmarktes inSachsen. Mit Karl-Friedrich Zais, MdL (Sprecher für Arbeitsmarkt-politik der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag) „Wir AG“, Martin-Luther-Str. 21Donnerstag, 6. Mai, 18 Uhr, LeipzigVon schwarzen Haushalten und roten Zahlen. Alternative Finanzpo-litik für Sachsen. Mit Dr. Barbara Höll, Leipzig, ehemaliges MdB.Moderation: Dr. Volker Külow, Leipzig Harkortstr. 10 Donnerstag, 6. Mai, 19 Uhr, ChemnitzVortrag und Diskussion: Bolivien – Revolte gegen Neoliberalismus.Mit Luzie Schell, Berlin, in Zusammenarbeit mit attac Chemnitz ver.di Treffpunkt, Jägerstr. 5–7 Freitag, 7. Mai, 17 Uhr, LöbauBuchvorstellung und Diskussion: Der weite Weg nach Europa – Wirund unsere slawischen Nachbarn. Mit dem Autor Klaus Hemmo Innere Bautzener Str. 1 Sonnabend, 8. Mai, 10 Uhr, WeißwasserKlaus Hemmo: Der weite Weg nach Europa – Wir und unsere sla-wischen Nachbarn.Gaststätte „Station 13“ beim KrankenhausgeländeFreitag, 7. bis Sonntag, 9. Mai, Leipzig Sächsischer Schülerkongress 2004 – Schule sind wir. In Zusammenarbeit mit Landesschülerrat Sachsen, SächsischesStaatsministerium für Kultur, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung,SPIESSER – die Jugendzeitschrift. Anmeldung erwünscht unterwww.schuelerkongress.de Neues Rathaus Leipzig, Martin-Luther-Ring 4–6Freitag, 7. Mai, 16 Uhr, bis Sonntag, 9. Mai, 12 Uhr, Dahlen11. Kolloquium Rohrbacher Kreis Werte, Wissenschaft, Bildungunter dem Aspekt von Globalisierung und Nachhaltigkeit *** Käthe-Kollwitz-Hütte, DahlenFreitag, 7. bis Sonntag, 9. Mai, PotsdamWhat would the community think?. Wochenendseminar über Iden-tität und soziale Bewegungen. In Zusammenarbeit mit Gesellschaftfür eine lustigere Gegenwart und AK Identitäten der Rosa-Luxem-burg-StipendiatInnen, StudentInnenrat der Uni Leipzig, Fachschafts-räte Politik und Kulturwissenschaften. ***Teilnahmebeitrag: 10 € Anmeldung: [email protected],0178 / 6165290 oder 0341 / 9731200Forsthaus Nordtor, Potsdam-GolmDienstag, 11. Mai, 18 Uhr, LeipzigBuchvorstellung: Günter K. Lehmann: Logos und Mythos. Mit Dr.Eva Lehmann, Dr. Hans Ketzer und Dr. sc. Gerald Diesener. InZusammenarbeit mit dem Leipziger UniversitätsverlagHarkortstr. 10Dienstag, 11. Mai, 19 Uhr, DresdenAutorenlesung mit Irmtraud Habib, Berlin: Unter der heißen Sonnevon Bagdad – Meine Jahre im Irak (gemeinsam mit AusländerratDresden)Internationales Begegnungszentrum (IBZ), Heinrich-Zille-Str. 6Mittwoch, 12. Mai, 20.30 Uhr, LeipzigAutorenlesung: Passagen – Gedichte der Gegenwart. Mit BarbaraKöhler, Duisburg, Absolventin des Leipziger Becher-Instituts. InZusammenarbeit mit Schaubühne Lindenfels und Deutsches Litera-turinstitut Leipzig ***Schaubühne Lindenfels, Karl-Heine-Str. 50Mittwoch, 12. Mai, 19 Uhr, DresdenKant und die Aufklärung. Mit Prof. Dr. Helmut Seidel, Leipzig„WIR AG“, Martin-Luther-Str. 21Mittwoch, 12. Mai, 18 Uhr, ChemnitzVortrag und Diskussion: Wer sind die wahren Herrscher des neuenRussland? Die „Wiedergeburt“ des Kapitalismus seit Anfang der90er Jahre. Mit Prof. Dr. habil. Karl-Heinz Gräfe, Freital ***Soziopkulturelles Zentrum QUEER-BEET, Rosenplatz 4Mittwoch, 12. Mai, 18.30 Uhr, LeipzigLinke Literatur in der Diskussion. Christoph Spehr: Die Aliens sindunter uns! Herrschaft und Befreiung im demokratischen Zeitalter.Einführung in die Diskussion: Dr. Hans-Gert GräbeHarkortstr. 10Donnerstag, 13. Mai, 18 Uhr, LeipzigAutorenlesung: Bescheidenheit und andere Laster. Mit Prof. Dr.Uwe Johannsen, LeipzigHarkortstr. 10Sonnabend, 15. Mai, 10–20 Uhr, Dresden3. Dresdner Bürger- und Sozialkonferenz „Armes reiches Dresden“,gemeinsam mit Bürgerinitiative DBS, Stiftung Mitarbeit, IG Metall(Verwaltungsstelle Dresden), ver.di, Bezirk Dresden-Oberelbe,www.wir-sind-dresden.de, www.buendnis-gegen-sozialkahlschlag-dresden.deRathaus Dresden, Eingang Goldene Pforte, Dr.-Külz-Ring 1915.–16. Mai, SaydaReferate, Diskussionen, Rollenspiel perfekt angemeldet – perfektdurchgeführt. Für Jugendliche zwischen 14 und 35 Jahren, ca. 22Teilnehmer. JBW Dresden und Rosa-Luxemburg-Stiftung. Teilneh-merbeitrag 10 €. Kontakt: [email protected]. Anmel-deschluss 25. 4. 2004. Jugendherberge Sayda, Mortelgrund 8Sonnabend, 15. Mai, 9.30 Uhr, GroßschönauRisiken und Chancen der EU-Osterweiterung – insbesondere ihreWirkungen auf die Oberlausitz. Mit Heiko Kosel, MdLGaststätte „Zum Grußschinner Eck“, Gartenstr. 1

*** Die Veranstaltung wird gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stif-tung, Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e. V. durchgeführt.Die Veranstaltungen sind für jedermann offen

Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.!: 0341-9608531, Fax: 0341-2125877

VERANSTALTUNGEN

Carl-Schorlemmer-ApothekeInhaber:FSD PhR Friedrich RoßnerFachapotheker fürAllgemeinpharmazieKarlsruher Straße 5404209 Leipzig

Telefon (03 41) 4 22 45 58Arzneimittel-InformationArzneimittel-Abgabe

Telefon/Fax (03 41) 4 12 71 91Büro / Apothekenleiter

SZMStadtteilzentrum Messemagistrale

Straße des 18. Oktober 10a

10. 5., 19 Uhr: UNO – Turnierfür Jugendliche15. 5., 16 Uhr, PuppenbühneSchmidt zeigt für die Kleinen:Kasper in Afrika. Eintritt: 2,50 €15. 5., 16 Uhr: Peter Meyer amBlüthner-Flügel. Eintritt: 4,50 €

TheatriumLeipzig, Miltitzer Allee 52

4. und 6. 5., 10 Uhr, 5. 5., 10 und19 Uhr, 7. 5., 10 und 20 Uhr:Physifloß – ab 16 Jahre11. und 12. 5., 10 und 14 Uhr:Kuller räumt auf – ab 3 Jahre14. und 15. 5., 20 Uhr: DasKönigsexperiment. Jugendthea-terprojekt – ab 14 Jahre

BBUCHHANDLUNGUCHHANDLUNG R RIJAPIJAPGbR

Literatur für SIEIm Mai neu bei uns:

Hans Blix: Mission Irak. Der Chef der UN-Waffenkontrolleurezieht kritisch Bilanz. Droemer / Knaur, 19,90 €

Eberhard Panitz: Cuba, mi amor. Die letzte Insel. edition ost, 12,90 €

Elmar Theveßen: Die Bush-Bilanz. Wie der US-Präsident seinLand und die Welt betrogen hat. Droemer / Knaur, 18 €

Wir beschaffen jedes lieferbare Buch.Wir liefern in Leipzig frei Haus! In alle anderen Orte Sachsens

für geringes Porto!Bestellen Sie per Telefon, Fax oder Internet! 0341 - 9 11 01 70, Fax: 0341 - 9 11 01 71

www.buchhandlung-rijap.de

In Leipzig finden Sie uns in der Filiale Axispassage

04159 Georg-Schumann-Str. 171Filiale Eutritzscher Zentrum

04129 Wittenberger Str. 83Filiale Büchermarkt Mockau Center

04357 Mockauer Str. 123

Initiative Christliche Linke

10. 5., 18 Uhr, Gemeindesaal derNikolaikirche Leipzig, Dr. HeinzMürmel: Religionsunterricht inder Schule – eine Verletzung derweltanschaulichen Neutralität?

DeutscherFreidenker-VerbandLeipzig, Gottschedstr. 31(HH)

13. 5., 16.30 Uhr: Sorgen des All-tags. Dürfen wir hoffen? Eineaktuelle Plauderstunde

Frauenkultur e. V.Leipzig, Windscheidstr. 51

6. 5., 20.30 Uhr: Die mit demGrabstock tanzt – Vortrag über dasLeben der Aborigines-Frauen in derwestaustralischen Wüste. Nur fürFrauen7. 5., 19–22 Uhr, 8. 5., 10–18 Uhr,9. 5., 10–14 Uhr: Existenzgrün-dungsseminar für Frauen 13. 5., 20.30 Uhr: Es ist gegen allesein Kraut gewachsen – Vortragüber Heilpflanzen

NaturkundemuseumLeipzig, Lortzingstr. 3

2. 5., 10 Uhr, Haltestelle Probsthei-da (Linie 15): FrühlingsspaziergangDurch den Lößniger Park in densüdlichen Auwald2., 9. und 16. 5., 10.30 Uhr: Füh-rung durch die SonderausstellungVom Drachenkopf zum Saufisch5. 5., 17–18 Uhr, Familienveran-staltung: Arbeiten wie die Archäo-logen – kleine Ausgrabungen12. 5., 19 Uhr, Dia-Vortrag: Mit derUnterwasserkamera in heimischenGewässern13. 5., 19 Uhr, Dia-Vortrag: Insek-ten an und in Gewässern16. 5., 14.30 Uhr: Hausführungmit Blick hinter die KulissenSonderausstellungenVom Drachenkopf zum Saufisch –aus dem Naturalienkabinett Walden-burg (bis 16. 5.)Die grüne Lunge Leipzigs – Auwald-ansichten. Fotoausstellung ChristphGrandke (bis 31. 5.)

3. 5., 18 Uhr, Liebknecht-Haus Leipzig, Braustr. 15Forum:

Russland nach den Duma-Wahlenmit Prof. Dr. Ernstgert Kalbe

Marxistisches Forum Leipzig

Der Bund der Antifaschisten, Leipzigführt am Sonnabend, 26. Juni, eine Busfahrt nach Berlin,

Gedenkstätte der Wannseekonferenz und Jüdisches Museum,durch. Abfahrt 7 Uhr Hbf Ostseite, Kosten: 20 €

Telefon. Anmeldung bis 1. Juni unter 0341 / 5964313 oder e-mail: [email protected] DKP Leipzig lädt ein

Aus Anlass des Jahrestages derBefreiung des deutschen Volkes

vom Hitlerfaschismus sprichtGeneralmajor a. D. der NVA

Heinz Bilanam 10. 5., 18 Uhr, im Stadteilzen-trum Messemagistrale, Straße des

18. Oktober 10a

Wie stellen sich Schüler dieSchule der Zukunft vor? Wasmuss sich ändern? Der Landes-schülerrat Sachsen, das Sächsi-sche Kultusministerium, dieDeutsche Kinder- und Jugend-stiftung und SPIESSER – dieJugendzeitschrift laden vom 7.bis 9. Mai 350 Schüler aus ganzSachsen nach Leipzig ein. MitPolitikern, Wissenschaftlern undExperten aus der Jugendhilfekönnen sie drei Tage lang dieThemen diskutieren, die ihnenunter den Nägeln brennen. AmFreitagabend geht’s los mit derEröffnungsdiskussion im NeuenRathaus in Leipzig. Am Sonn-abend finden in der nahe gelege-nen Thomasschule die Work-shops statt. Die Themen sindbreit gefächert: Die frisch aus-gebildeten Moderatoren von„Mitwirkung mit Wirkung“

geben Basics zu wirksamerSchülermitwirkung mit auf denWeg. Anschließend geht’s inpraktischen Workshops um Rhe-torik, Streitschlichtung, Mode-ration - aber auch um Schülerzei-tungsarbeit, Schülerfirmen undden Einsatz gegen Fremden-feindlichkeit. Am Sonnabend-nachmittag geht’s ran an dieharten bildungspolitischen The-men: Ganztagsschule, Zentrala-bi, Schulschließung. Am Sonn-tag werden im Neuen Rathausdie Ergebnisse der Workshopspräsentiert, bevor mit einer gro-ßen Abschlussdiskussion derKongress zu Ende geht. Wasgibt’s noch beim Schülerkon-gress 2004? Natürlich Party,Kultur, Kontakte und die jungeStudentenstadt Leipzig!

www.schuelerkongress.de

Schule sind wirSächsischer Schülerkongress

9 ‘04 • 30. APRIL 200416 • ALLERHAND

FUNDSACHEN

64001 DP AG Postvertriebsstück Gebühr bezahltProjekt Linke Zeitung e. V., Braustraße 15, 04107 Leipzig

Herausgeber: Projekt Linke Zeitung e.V.,V. i. S. P.: Rahel Springer

Redaktion: Braustraße 15, 04107 Leipzig,Tel./Fax: 0341 / 21 32 345E-Mail: [email protected]: www.leipzigs-neue.deEinzelpreis: 1 Euro, im Abonnement halb-jährlich (für 13 Ausgaben): 13 Euro

Vertrieb, Abonnement, Abrechnung:Ralf Fiebelkorn, Büro- und Verlagsservice,Gärtnerstraße 113, 04209 Leipzig.Tel./Fax : 0341 / 21 32 345

Anzeigen, Werbung: BERG-digital, Hans-Jürgen Berg, Ziegelstraße 7c,04420 Markranstädt. Tel.: 034205/18 010,Fax: 034205/18 062 E-Mail:[email protected]

Druck: Rollenoffset-Kiel GmbH

Einzelne Beiträge müssen nicht mit der Mei-nung der Redaktion übereinstimmen. Fürunverlangt eingesandte Manuskripte undFotos wird nicht gehaftet.

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 27. AprilDie nächste Ausgabe erscheint am 14. Mai

U. S. Levin

Raucher sind diewahren Helden

Und weitermit LimericksSIEGFRIED MÜLLER ausLeipzig-Lößnig schreibt:Eure Limericks haben michebenso begeistert wie eureZeitung insgesamt. Ich bereuees nicht, Leser geworden zusein. Nur schade, dass icheuch nicht früher kennengelernt habe.

Was meckern denn die Leute bloß,

es geht doch allen ganz famos,

die Pinke Pinke haben,sich am Money labenim staatlich streng

geschützten Schoß.*

Was hat es eingebracht all hier

zu behaupten, das Volk sind wir!

Schnell aber kamen „Förderer“ von drüben,

Ein Volk, das dürfte euch doch nun genügen.

Seither zahlen kräftig wir dafür.

Das Problem mit den Rentnern istlösbar. Nein, nicht in Salzsäure, son-dern mit Sachverstand. Leider sindheutige Gesundheitspolitiker damitso reich gesegnet wie der Nordpolmit ökologischen Anbauflächen.Wenn es nach denen ginge, würdensie alle Raucher auf eine einsameInsel deportieren – sozusagen eineRaucherinsel, auf der sie sichgegenseitig beweihräuchern kön-nen.Keinem aus unserer politischen Ent-führungsriege ist bisher der Gedan-ken gekommen, dass Tabakkonsumgelebter Patriotismus an den ausge-räucherten Rentenkassen ist. JederMarlborojunkie inhaliert doch nachdem Credo: Warum alt und gesundsterben, wenn man jung und krankdahinsiechen kann?Raucher nehmen Nebenwirkungenin Kauf, denen Verbraucherschützerseit Jahren den Kampf angesagthaben. Über die quittegelben Fingereines Asphaltcowboys lachen sie –Hauptsache, der Teergehalt stimmt.Ihr orales Erscheinungsbild, rost-braune Zahnstumpen, die so lockerim Kiefer stecken, dass der Zahnarzt

beim Ziehen keine Zange, sondernnur zwei kräftige Finger braucht,nehmen sie gelassen hin. Auch dasssie aus dem Rachen stinken wieüberquellende Aschenbecher einesKonferenzzimmers, ringt ihnen nurein lebensmüdes Lächeln ab.Tapfer qualmen sich die Gurgel-pfeifen durchs Leben, getreu demMotto: Rauchen verkürzt das Lebenund die Beine, meistens aber beides.Sie sterben auf Raten, erst die Zehendann das ganze Bein. Das ist wie einPullover, der sich von unten nachoben auftrottelt. Ihre letzte Über-fahrt ist biologisch abgeschlossen,bevor sie die Auszahlstellen derRentenkasse erreichen können, unddamit liegen sie der Gesellschaftnicht wie ein eitriges Geschwür ander Halsschlagader.Und wie dankt der Staat ihren Hel-denmut? Indem er immer wiederund weiter die Tabaksteuer erhöht,als könne er damit das Problem lee-rer Kassen lösen. Langfristig gibt esnur einen Weg. Rauchen mussjedem Bürger als staatsbürgerlichePflicht an Herz und Lunge gelegtwerden. An Grundschulen, in denen

der potentielle Rauchernachwuchsrekrutiert wird, könnte man Rau-chen als Pflichtfach einführen.Schluss mit Sport! Statt Klimmzügegibt es Glimmstängel.Und was die Nichtraucher angeht, siesollten an den gesellschaftlichenPranger gestellt und mit glühendenKippen beworfen werden, denn siesind es, die den Rentenkassen mitihrer überdurchschnittlichen Lebens-erwartung auf der Tasche liegen.Es muss endlich ein Bonusmodellher! Grundsätzlich müssen alle Ta-bakwaren kostenlos und für jeder-mann frei zugänglich sein! Und werzehntausend Schachteln weggepaffthat, bekommt gratis eine Studien-reise ins Krematorium. JetzigeInvestitionen zahlen sich langfristigaus.Wir brauchen wieder Politiker mitVisionen. Das Motto muss heißen:Genuss ohne Verdruss ist kein Stuss,sondern ein Muss!Und wenn sich meine Wahn-vorstellungen erfüllen, hätten wirspätestens nach zwei Generationenkeine Rentner mehr und damit auchkein Rentenproblem.

Der Aufbau Ost ist an den Regeln West gescheitert.

Im Osten dürfte ein alter Spruch wieder Aktualitäterlangen: Der Letzte macht das Licht aus.

Beides DLF 7. 4.

Wir dürfen endlich wieder Zone zur Zone sagen –Sonderwirtschaftszone. Nun steigt die Angst, dasswieder eine Mauer gebaut wird, diesmal vomWesten aus. 3sat 7. 4.

Viele Vorschläge für den Osten zielen darauf ab, dieneuen Bundesländer zum Prüflabor für den Sozialab-bau zu machen.

Friedrich Schorlemmer, DLF 10. 4.

Wer nur auf verniedlichende Figuren und Ringel-reihen in unseren Kindergärten setzt, wie das meistder Fall ist, der verspielt die Zukunft der Kinder.

ARD 8. 4.

Die Armen, die die SPD in 20 Jahren wählen sol-len, die schaffen wir uns jetzt.

Matthias Richling, ARD Scheibenwischer 8. 4.

Der ehemalige Außenminister Genscher ist fürmehr Flexibilität bei Genehmigungsverfahrensowie im Arbeits- und Tarifrecht im Osten.

Der CDU-Ministerpräsident von Thüringen, Althaus,plädiert für eine Tariföffnung nach unten im Osten.

Beides DLF 14. 4.

• GEFUNDEN VONMANFRED ERBE

Ich kann es nicht oft genug wiederholen:Wandern bildet! Nicht nur, dass Sie schon

sehr bald eine Buche von einer Pappel unter-scheiden können und eine Taube von ‘nerMöve, nein auch die hohen Werte unsererGesellschafts-ordnung er-schließen sichdem Wanderer zügiger, weil er viel herum-kommt und Vergleiche ziehen kann. In Alten-treptow zum Beispiel erlebten wir, wie dieDemokratie Ordnung schafft. Als unlängst dieGebührensatzung für die Friedhöfe be-schlos-sen wurde, war es zu einem Streit ge-kommen,weil die Mehrheit der Abgeordneten einen ausihren Reihen für befangen erklärt hatte undnicht mitstimmen lassen wollte. Klaus-Dieter L.aus der „Fraktion der Einzelbewerber“ beriefsich jedoch auf ein Urteil des Oberverwaltungs-gerichts Münster und stimmte also ab. Dannjedoch entschied die Kommunal-aufsicht undbestätigte, dass L. befangen und seine Stimmedemzufolge nicht gültig sei. Warum befangen? Weil er Bestattungsunter-nehmer ist! Und die sollten nicht über die Be-stattungskosten abstimmen. Wir zogen beru-higt weiter. In Schildow erzählte man uns, wie die Ab-geordneten in der Gemeindevertretung Müh-lenbecker Land reaktionsschnell die Tages-ordnung erweitert und die Lage im öffentli-chen Rettungsdienst erörtert hatten. Die Mise-re war vielen Bürgern bekannt, aber dann erlitteine Abgeordnete während der Sitzung einenSchlaganfall und die Gemeindevertreterbeklagten, dass man zu lange auf den Ret-

tungswagen hatte warten müssen. Nun wirdgeprüft, ob künftig im Ernstfall nicht ein Ret-tungsteam aus Berlin alarmiert werden darfstatt jenes aus Henningsdorf. Der Vizebürger-meister forderte „flexiblere Lösungen“, denn

schließlichginge es umMenschen-

leben. Davon können auch Menschen ein Liedsingen, die keine Abgeordneten sind.Nicht so weit entfernt von dieser Gegend ka-men wir bei Bindow an einem Haus vorüber,dessen eine Hälfte eingestürzt war. „Es warwie ein Erdbeben“, klagte der Bewohner.Schuld waren aber nur Ausschachtungsar-beiten. Erdbebenfolgen zeitigte das Unglückdennoch auf dem Konto der betroffenen Fa-milie. Die hatte eben einen 100 000-Euro-Kre-dit aufgenommen, um das Haus zu sanieren.Die Schuldfrage muss vor Gericht geklärtwerden, aber da wären dann noch einmal10 000 Euro fällig. Für solche Fälle ist nochkein Ausweg gefunden worden. Auch wenn das zynisch klingen sollte: Als wirnach Thüringen ans Flüsschen Grümpengelangten, erlebten wir zwischen Theuern undNeumannsgrund, wie die diesjährige Gold-waschsaison begann. Kein Ulk: Seit zehn Jah-ren wird dort eine Tradition aus dem spätenMittelalter fortgesetzt und nach Gold gewa-schen. Dreißig Kilo sollen auf einer Streckevon sieben Kilometern liegen, versichert einGeologe. Das könnte vielleicht den „Erd-bebenopfern“ aus dem Märkischen aus derMalaise helfen. Heute ist alles möglich.

• KLAUS HUHN

Wanderungen durch Neufünfland

Die neue Binzer Strandordnungverbietet ... das Aufschlagen vonStrandmuscheln, Windschutz-tüchern und sogar Badelaken zwischen den Strand-körben.Vor allem Kinder, deren Eltern dietäglich 6 Euro Strandkorbmiete

nicht aufbringen könnten ...seien die Leidtragenden ...Den anspruchsvollen, Strandkorbzahlenden Gästen müsse mangrößtmögliche Ruhe gewähren ...

Immerhin sollen schon die erstenHotelinvestoren Privatstrände fürihre Hausgäste gefordert haben.

Beilage„Neues Deutschland“:Reise-Kasse vom 30. 3.

ZITIERT