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Hartmann, Timo Matr.-Nr.: 2726340 Bachelor of Education Fächer: Mathematik, kath. Religionslehre, Philosophie/Ethik (Erweiterung) Johannes Gutenberg-Universität Mainz Katholisch-Theologische Fakultät Lehrstuhl für Dogmatik und ökumenische Theologie Sommersemester 2017 Jesus Christus und die Kirche [Modul 3] Modulnummer: M.01.086.003 Veranstaltungsnummer: 01.086.111 Seminar: Christologie Seminarleitung: Dr. Frank Ewerszumrode OP
Ist Gott mit dem Menschen versöhnt oder der Mensch mit Gott? Dialektische Überlegungen in Anlehnung an Christof Gestrich
Timo Hartmann Goethestraße 7 63150 Heusenstamm 01776737367 [email protected] Mainz, den 09.09.2017
1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ............................................................................................... Seite 2
Gott ist mit dem Menschen versöhnt ..................................................... Seite 3
Der Mensch ist mit Gott versöhnt …………………………………………. Seite 5
Fazit ………………………………………………………………………...... Seite 9
Literaturverzeichnis …………………………………………………………. Seite 11
Eigenständigkeitserklärung ………………………………………………… Seite 12
2
Einleitung
Wenn Christologie betrieben wird, also der Versuch unternommen wird, die
Bedeutung der Person Jesu Christi zu verstehen, muss immer auch über das
Verständnis von Versöhnung gesprochen werden. Denn die Frage nach der
Versöhnung ist die Frage nach dem, was Jesus für die Menschen „erlangt“ hat.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird oft geantwortet: „Jesus ist für unsere
Sünden gestorben.“ Was genau damit gemeint wird, ist dabei aber zutiefst unklar.
Diese Unklarheit führte in der Vergangenheit und führt noch bis heute zu einer
Vielzahl von Erklärungsansätzen zum Verständnis von Versöhnung. Innerhalb
dieser Vielzahl stellte der Theologe Christof Gestrich 2009 fest:
Das Verständnis der Versöhnung (im Sinne des Neuen Testaments) bleibt immer dann
theologisch unterbestimmt, wenn sie allein auf die Vergebung und Sühnung menschlicher
Schuld, auf Jesu Christi stellvertretendes Kreuzesleiden hin, bezogen wird – und nicht auch auf
den ,Generalsieg’ über den Tod ,und alle Übel’ durch Jesu Christi Auferweckung.1
Gestrich bewertet hier eine bestimmte Gruppe von Erklärungsansätzen für die
Versöhnung als „unterbestimmt“. Diese Gruppe sehe Versöhnung als „Sühnung“
an und den Tod Christi als „stellvertretendes Leiden“ und vernachlässige dabei
die „Auferweckung“. Die von Gestrich kritisierte Theorie versteht Versöhnung
offensichtlich als Versöhnung Gottes mit dem Menschen durch eine
Sühneleistung. Es liegt nahe, die zugehörige Gegenthese als Versöhnung des
Menschen mit Gott zu formulieren.
In der vorliegenden Arbeit sollen nun These und Gegenthese mithilfe
dogmatischer Theorien zu Christologie und Versöhnungslehre mit Inhalt gefüllt
und diskutiert werden. Dazu wird zunächst der Begriff der Versöhnung innerhalb
verschiedener Zusammenhänge geklärt. Anschließend wird die von Gestrich
kritisierte Gruppe von Versöhnungstheorien, allen voran die Satisfaktionslehre
Anselms von Canterbury, dargelegt. Dem werden danach mögliche
Gegenpositionen (Abaelard, Kasper,…) entgegengesetzt, um schließlich zu einer
Synthese zu gelangen und die Kritik Gestrichs auf ihre Berechtigung zu
überprüfen und zu bewerten. Wer ist nun also mit wem versöhnt?
1 Gestrich, Christof: Warum sollen wir versöhnt werden? Ist Jesus Christus Gottes Sühnopfer? Hermeneutische Überlegungen zu einer ausgeuferten Diskussion, in: Acklin Zimmermann, Béatrice & Annen, Franz (Hg.): Versöhnt durch den Opfertod Jesu Christi? - Die christliche Sühnopfertheologie auf der Anklagebank, Zürich 2009, 77.
3
Gott ist mit dem Menschen versöhnt
Im ursprünglichen Verständnis des Alten Testaments wird Versöhnung stets als
der Wille Gottes erfahren, eine „Störung des von Gott geordneten Miteinanders“2
zu beheben. Die Notwendigkeit dessen ergibt sich aus dem exegetisch
prominenten „Tun-Ergehen-Zusammenhang“3 in Bezug auf die Sünde und ihre
Folgen. So ist es typisch für das Alte Testament, dass Sünde und Schuld in
irgendeiner Form „wiedergutgemacht“ werden müssen, um den Tun-Ergehen-
Zusammenhang der Sünde zu durchbrechen und so das Verhältnis zu Gott
wieder ins Reine zu bringen. Die „einfachste“ Möglichkeit der Wiedergutmachung
ist im AT die Strafe, so beispielsweise in der Interpretation des Unterganges des
Nordreiches und Juda als Folge des Zorns Gottes im deuteronomistischen
Geschichtswerk (2Kön 17,18; 24,20). Häufiger jedoch gibt Gott in den
Erzählungen des Alten Testaments die Möglichkeit zur Versöhnung durch die Tat
des Menschen. Für die Menschen bedeutete dies zumeist Sühnehandlungen
durch kultische Opfer (vgl. Ritualtexte Lev 1-7). Zugrunde liegt hierbei eine
konkrete Lösegeld- bzw. Kompensationsvorstellung der Autoren. Durch die Riten
erhofften sich die Menschen „Sühne (כ פ לסנ) kippær) sowie Vergebung ר ח
nislach) für die Opfergeber“4. Versöhnung Gottes mit den Menschen wird also als
Folge notwendiger Kompensationsleistungen betrachtet und der Begriff der
Versöhnung bezieht sich hierbei direkt auf die „Wurzel כ פ kippær `sühnen´“.5 ר
Wird der Blick nun auf die Texte des Neuen Testaments gerichtet, so liegt es
nicht sehr fern, eine Übertragung dieser unmittelbaren Lösegeldvorstellung (vgl.
Mk 10,45; Mt 20,28) eines Sühneopfers auf das Leiden und Sterben Jesu
vorzunehmen. Dies wurde von einigen Autoren auch getan. Prominentestes
Beispiel hierfür ist Anselm von Canterbury, der in seiner Satisfaktionstheorie
ebendiese Vorstellung, allerdings im Sinne der Scholastik „sola ratione“ und
„quasi nihil sciatur de Christo“6, abgeleitet hat. Grundlage hierfür bildet bei
Anselm die bereits erwähnte Vorstellung, wonach Gott stets bestrebt sei, seine
2 Deselaers, Paul: Art. Versöhnung – Biblisch-theologisch, in: LThK3 10 (2001), 720f. 3 Fehling, Ruth: Jesus ist für unsere Sünden gestorben – Eine praktisch-theologische Hermeneutik, Stuttgart 2010, 52. 4 Eberhart, Christian: Art. Sühne (AT), in: WiBiLex (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31922, Zugriff am 29.08.2017). 5 Eberhart, Christian: Art Versöhnung (AT), in: WiBiLex (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/34155, Zugriff am 29.08.2017). 6 Meinhart, Helmut: Art. Anselm v. Canterbury, in: LThK³ 1 (1993), 711f.
4
angedachte Ordnung der Dinge aufrechtzuerhalten.7 In dieser Ordnung sei auch
die Sünde als Verletzung der Ehre Gottes eingeordnet. Aus diesem Grund
müsse auf jede Sünde zum Ausgleich entweder Strafe oder „Abzahlung der […]
genommenen Ehre“8 folgen, während ein Nachlass der Sünde ohne eine solche
Gegenleistung ausgeschlossen sei, da die Sünde andernfalls ungeordnet
belassen würde. Diese Abzahlung der genommenen Ehre nennt Anselm
satisfactio und aufgrund der Barmherzigkeit Gottes würde diese der Strafe stets
vorgezogen. Gott gegenüber satisfactio zu erbringen, erfordere allerdings, dass
es „jemanden gibt, der Gott für die Sünde des Menschen etwas Größeres gibt,
als alles, was außerhalb Gottes existiert.“9 Da nun Gott aber gerade das Größte
sei, was existiert, folge daraus, dass der Mensch und niemand anderes zwar die
satisfactio zu erbringen habe, lediglich Gott selbst aber imstande sei, diese zu
erbringen, da die nötige Gegenleistung gezwungenermaßen eine göttliche sein
müsse, um ausreichend zu sein. Hieraus folgert Anselm die Notwendigkeit eines
Gott-Menschen, der die satisfactio als wahrer Mensch leisten müsse und als
wahrer Gott zu leisten imstande sei.10 Andernfalls sei eine Wiederherstellung der
göttlichen Ordnung bzw. eine Durchbrechung des Tun-Ergehen-
Zusammenhangs (s.o.) nicht möglich. Dieser Gott-Mensch wird letztlich mit dem
sündenlosen Christus assoziiert, der durch seinen Tod die nötige satisfactio für
die Sünden der Menschen leiste und so Gott mit dem Mensch versöhne.
Die Parallelen zwischen dieser Deutung des Sterbens Jesu als Gegenleistung
und einem alttestamentlichen, kultischen Sühneopfer, wie es eingangs
beschrieben wurde, sind offensichtlich, wenngleich Anselm im Sinne der
scholastischen Methodik sehr viel Wert auf eine bibelfreie Herleitung seiner
Theorie gelegt hat. Die Betrachtung weiterer Autoren verstärkt diesen Eindruck.
So findet sich bei Augustinus weitergehend das sehr konkrete Bild vom
„Teufelsbetrug“. Demnach werde dem Teufel der Gottmensch Jesus „gegen die
sündige Menschheit angeboten“.11 Dieser gehe darauf ein, könne den göttlichen
und sündlosen Christus jedoch nicht festhalten. Auch hier liegt eine klare
Lösegeld-Vorstellung vor.
7 Vgl. Canterbury, Anselm von: Cur Deus homo – übers. v. Franciscus Salesius Schmitt, Darmstadt 41986, 43. 8 Ebd., 41. 9 Ebd., 97. 10 Ebd., 99. 11 Wenz, Gunther zit. nach Augustinus: De Trin XIII, 13/MPL 42, 1026f.
5
Etwas neutraler formuliert es Karl Barth, wenn er den Gottmensch als den
Einzigen ansieht, der sowohl für Gott, als auch für den Menschen „zur neuen
Einigung beider“12 zu handeln imstande sei. Barth geht also ebenfalls von der
Notwendigkeit einer Wiederherstellung der göttlichen Ordnung durch die
Zufriedenstellung Gottes aus.
Bei allen genannten Autoren kommt die souveräne Vergebung Gottes ohne
Sühne, Strafe oder einen sonstigen Ausgleich13 nicht in Frage. Es wird stringent
von der Notwendigkeit der „Wiedergutmachung“ ausgegangen. Ob diese
Notwendigkeit jedoch wirklich so selbstverständlich besteht, wird nicht
hinterfragt. Die Argumentation einer Sühnevorstellung im Fall Jesu Christi ist
durchaus sehr schlüssig. Jedoch wird sie bei allen Autoren von der Notwendigkeit
des Ausgleiches zur Herstellung der göttlichen Ordnung abgeleitet. Dieser
Ausgangspunkt ist es also offenbar, der eine Angriffsfläche der
Sühneopfertheologie darstellt und Möglichkeiten für alternative Christologien
bietet. Im Folgenden werden solche Alternativen diskutiert, um in der Frage nach
der Versöhnung weitere Denkoptionen einzubeziehen.
Der Mensch ist mit Gott versöhnt
Es ist sicherlich leicht, zu behaupten, Gott könne als Antwort auf die menschliche
Sünde seine Ordnung nur durch ein angemessenes Opfer widerherstellen.
Dieses angemessene Opfer sei nun Christus, da er wahrer Mensch und wahrer
Gott ist. Hier muss aber ein Erstes hervorgehoben werden. Seit Nizäa ist klar:
Vater und Sohn sind „ὁμοούσιος“ (DH 125). Somit ist auch klar, dass Gott sich in
dieser Theorie selbst „opfert“. Es stellt sich die bereits angedeutete Frage, ob
dies so gedacht werden kann, ob es Gottes würdig ist und uns wirklich versöhnt.14
Die im vorausgegangenen Kapitel besprochenen Theorien haben sich stark auf
die Bedeutung des Todes Jesu Christi beschränkt. Diese kann jedoch ohne die
Botschaft der Auferstehung gewiss nicht verstanden werden. In diesem
Zusammenhang meint Christof Gestrich:
Das Verständnis der Versöhnung (im Sinne des Neuen Testaments) bleibt immer dann
theologisch unterbestimmt, wenn sie allein auf die Vergebung und Sühnung menschlicher
12 Barth, Karl: Die Lehre von der Versöhnung. Bd. 3 (Unterricht in der christlichen Religion), 1925 (Nachdruck Zürich 2003), 89. 13 Vgl. Fehling: Jesus, 52. 14 Vgl. Gestrich: Warum, 75.
6
Schuld, auf Jesu Christi stellvertretendes Kreuzesleiden hin, bezogen wird – und nicht auch auf
den ,Generalsieg’ über den Tod ,und alle Übel’ durch Jesu Christi Auferweckung.15
Dieses Zitat kann als Zusammenfassung der Kritik an der Sühneopfertheologie
gelesen werden. So kritisiert Gestrich zum einen die Engführung der Versöhnung
auf den Tod Jesu als stellvertretende Sühne und zum anderen die Engführung
auf den Tod Jesu an sich, denn ohne einen Erklärungsansatz für die Bedeutung
der Auferstehung, kann auch kein Verständnis vom Tod Jesu und somit von der
Versöhnung gewonnen werden. Wie können diese Lücken also geschlossen
werden? Wie ist Versöhnung zu verstehen?
Friedrich Nietzsche bezeichnet das Verständnis vom Schuldopfer etwas
reißerisch als „schauderhaftes Heidentum“16 und begründet diese Wertung mit
Christus selbst, der die Schuld schon zu Lebzeiten in seinen Worten abgeschafft
und „jede Kluft zwischen Gott und Menschen geleugnet“17 habe. Die
Notwendigkeit einer Rolle als Sühneopfer sei demnach schlicht nicht
nachvollziehbar.
Der Fokus muss wohl viel stärker auf dem Werk und der Botschaft Jesu liegen.
Auch dies findet sich bei den besprochenen Sühneopfertheologen nur sehr
unzureichend. Eine Annäherung an den Begriff der Versöhnung kann nicht nur
vertikal geschehen, indem gefragt wird, wie Gott „besänftigt“ wurde und wird,
sondern vielmehr auch horizontal, indem gefragt wird, was Jesus zu seinen
Mitmenschen gesagt hat und warum. So ergibt sich tatsächlich ein
Spannungsfeld zwischen der Verkündigung Jesu vom nahegekommenen Reich
Gottes und der bedingungslosen Liebe Gottes auf der einen Seite und der bloßen
Opferfunktion auf der anderen Seite. Als reines Sühneopfer ohne weitere
Funktion, müsste Jesus nicht verkündigen.
Er tut es aber. Er tut es im Selbstverständnis einer Vollmachtstellung, das Reich
Gottes zu verkündigen, das allen Menschen zuteilwird (vgl. Lk 15). Er tut es und
schart so eine wachsende Anhängerschaft um sich, schließt einen neuen Bund
(Vgl. Mk 14,22-24; Mt 26,26-28; Lk 22,19-20).
Mithilfe solcher inhaltlichen Argumente entstand bereits zu Lebzeiten Anselms
von Canterbury ein scholastisches Alternativkonzept zur Satisfaktionstheorie,
15 Ebd., 77. 16 Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist, in: Schlechta, Karl (Hg.): Friedrich Nietzsche Bd. 4, München 1966 (Nachdruck Wien 1980), 1203. 17 Ebd.
7
formuliert von Peter Abaelard. Dieses richtet sich vor allem gegen die Vorstellung
der Besänftigung Gottes durch das Blut eines Unschuldigen. Das Leben und der
Tod Christi seien vielmehr die „höchste uns von Gott erwiesene Gnade“18. Der
Tod Jesu sei die vollendete Offenbarung der Liebe Gottes mit dem Ziel der
Gegenliebe. Die Selbstverschlossenheit vor Gott sei nämlich die wahre Sünde,
aus der Jesus die Menschen durch seine Botschaft herausführe.19 Jesus
proklamierte die Nähe des Reiches Gottes und den Aufruf zur bedingungslosen
Gottes- und Nächstenliebe. Seine Botschaft sei es, die nicht nur aus der Sünde,
verstanden als Gottesferne, herausführe, sondern vielmehr die „wahre Freiheit
der Kinder Gottes“20 hervorbringe.
Bei der Theorie Abaelards kann also durchaus von einer Richtungsänderung
gesprochen werden. Es ist nicht Gott, der besänftigt werden muss. Es ist der
Mensch, der zur Liebe Gottes und dem Nächsten hin ausgerichtet wird. Nicht
Gott wird mit dem Menschen versöhnt sondern vielmehr der Mensch mit Gott,
indem ihm seine Nähe in Jesus Christus offenbar wird. Auch im Sinne der Kritik
Gestrichs kann bei Abaelard eine Abwendung von der Engführung der Passion
auf einen Sühnetod festgestellt werden.
Wo sich bei der Satisfaktionstheorie allerdings die Frage gestellt hat, warum
Jesus als reines Sühneopfer verkündigen musste, stellt sich in der Gegenthese
Abaelards nun die Frage, warum Jesus sterben musste, wenn es doch vor allem
um Jesu Botschaft geht. Abaelard spricht in diesem Zusammenhang zwar von
der vollendeten Offenbarung, zeigt sich diese allerdings nicht vielmehr im Reden
und Handeln Jesu? Welche Bedeutung hat der Tod Jesu für die Versöhnung?
Auch Walter Kasper hält zunächst fest: „Gott braucht sich nicht seiner Allmacht
zu entäußern, um seine Liebe zu offenbaren.“21 Gott müsste sich nicht im
Menschen Jesus Christus selbst offenbaren und Gott müsste erst recht nicht als
Mensch Jesus Christus sterben. Dennoch tut er es. Ähnlich wie Abaelard sieht
Kasper darin die, wenn auch nicht notwendige, „beste Anschauung der Liebe
Gottes.“22 Diese sei eine „allmächtige Liebe, [die sich] ganz dem anderen
18 Abaelard, Peter: Expositio in epistolam ad Romanos – Römerbriefkommentar – übers. u. eingel. v. Rolf Peppermüller, Freiburg 2000, 277. 19 Vgl. Wenz, Gunther: Versöhnung – Soteriologische Fallstudien, in: Studium Systematische Theologie Bd. 9, Göttingen 2015, 138. 20 Abaelard: Expositio, 291. 21 Kasper, Walter: Der Gott Jesu Christi, Freiburg 2008, 312. 22 Ebd., 309.
8
ausliefer[e] [und dennoch keine] ohnmächtige Liebe“23 sei. Dies sei
charakteristisch für Gottes Liebe und Allmacht. Gott gestehe dem Menschen
seine uneingeschränkte Freiheit zu, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.
Gerade dieser Aspekt richtet sich klar gegen die Vorstellung einer bloßen
Satisfaktion hin zu der Vorstellung einer freiwilligen Hingabe. Denn Gott „opfert“
sich in dieser Theorie selbst zur ultimativen Offenbarung seiner Liebe und nicht
zur ausgleichenden Sühne.
Dies bringt Georg Essen auf den Punkt, wenn er Christus nicht als bloßen
Übermittler der Liebe Gottes, sondern vielmehr als „Gottes Selbstoffenbarung als
Liebe“24 versteht. Subjekt und Inhalt sind hier identisch. Jesus verkündige in
seinem Selbstverständnis das nahe Reich Gottes. Zur Bestätigung dieses
Anspruches sei das Zeichen der Auferweckung notwendig. Im
Auferweckungshandeln identifiziere sich Gott mit dem Gekreuzigten und dem
von Jesus verkündigten Gott. Gleichzeitig werde so der Anspruch Jesu und seine
Verkündigung bestätigt.25 Den Menschen werde dadurch endgültig klar, dass
Gottes Liebe tatsächlich gegenwärtig ist. Also kann auch hier von einer
Versöhnung des Menschen mit Gott durch die Offenbarung der unbedingten
Liebe gesprochen werden. Essen hebt damit genau den „Generalsieg über […]
alle Übel“ (s.o.) hervor, wie Gestrich es fordert. Hieraus ergibt sich bei Essen
auch der Grund für Jesu Sterben, denn zur Auferweckung braucht es zuvor
logischerweise den Tod.
Entscheidender ist zum Verständnis des Todes Jesu jedoch die bereits
angedeutete Nähe der Liebe Gottes. Wenn es bei Johannes heißt: „Größere
Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh
15,13), dann liefert das wohl die Grundlage für die Deutung des Kreuzestodes
Jesu durch Walter Kasper als „das Äußerste, das Gott in seiner sich selbst
wegschenkenden Liebe möglich ist.“26 Am Kreuz zeige sich die Liebe Gottes in
seiner radikalsten Form. Nur durch diese Radikalität ist eine ansatzweise
Vorstellung von der Größe der göttlichen Liebe überhaupt möglich.
Der Aspekt des Wegschenkens kann in heutigen Worten schlicht mit Sympathie,
also Mitleiden, gleichgesetzt werden. Der Exeget Jürgen Moltmann versteht
23 Ebd., 212. 24 Essen, Georg: Die Freiheit Jesu – Der neuchalkedonische Enhypostasiebegriff im Horizont neuzeitlicher Subjekt- und Personphilosophie, Regensburg 2001, 260. 25 Vgl. ebd., 264. 26 Kasper: Der Gott, 312.
9
genau das unter Solidaritätschristologie. Gott lasse die Leidenden nicht im Stich,
sondern leide mit ihnen am Kreuz.27 Dies liefert den vielleicht stärksten Grund für
das Leiden und Sterben Jesu und auch das vielleicht stärkste Argument,
Versöhnung als Versöhnung des Menschen mit Gott durch Selbstoffenbarung als
Liebe bis zum letzten Schritt der radikalen Hingabe am Kreuz zum „Sieg über
den Tod und alle Übel“ zu verstehen.
Fazit
Wenn Christof Gestrich die Unterbestimmung des Verständnisses von
Versöhnung kritisiert, dann zielt er damit direkt auf die Lehre der Satisfaktion des
Anselm von Canterbury und weiterer Autoren ab. Diese versucht zu erklären,
warum Gott Mensch geworden ist. Dies tut sie, indem sie von einer durch die
Sünde gestörten göttlichen Ordnung ausgeht und daraus die Notwendigkeit eines
Gottmenschen ableitet, der Gott durch sein Opfer die notwendige Gegenleistung
verschafft, das notwendige Lösegeld zahlt, die notwendige Sühne erbringt. In
Bezug auf die Versöhnung kann diese Lehre vertikal als Versöhnung Gottes mit
dem Menschen verstanden werden.
Die Argumentation hin zu dieser Erkenntnis ist durchaus schlüssig. Sie ist aber
vor allem deshalb schlüssig, weil sie einiges ausklammert. Sie klammert erstens
die Bedeutung der Botschaft Jesu aus. Sie klammert zweitens aus, dass es Gott
in seiner Allmacht auch möglich sein muss, Schuld ohne Gegenleistung zu
vergeben. Sie klammert drittens das Ereignis der Auferstehung aus. Verständlich
ist dies aufgrund der Tatsache, dass in der Scholastik versucht wurde, ohne die
Bibel zu Erkenntnissen zu gelangen. Eine Rechtfertigung für die Auslassung des
Genannten liefert dies jedoch nicht. Genau das ist es, was auch Christof Gestrich
aufgefallen ist, wenn er von Unterbestimmung der Versöhnung spricht. Und
genau das ist es auch, was die Möglichkeit für Gegenpositionen bietet.
Bei der Betrachtung der Botschaft Jesu und der Analyse der Bedeutung der
Auferstehung gelangten Peter Abaelard, Walter Kasper, Georg Essen und
Weitere zum zentralen Argument ihrer Gegenthese: Gott liebt den Menschen und
offenbart sich deshalb als Liebe in Jesus Christus, um Gegenliebe hervorzurufen
und den Menschen aus seiner Gottesferne herauszuholen. Dazu schenkt er sich
27 Vgl. Moltmann, Jürgen: Die Rechtfertigung Gottes, in: Weth, Rudolf (Hg.): Das Kreuz Jesu – Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001, 132.
10
dem Menschen in seiner Allmacht bis zum letzten Schritt des Todes hin und wird
durch die Auferstehung in seiner Botschaft legitimiert. Dadurch wird die Liebe
Gottes in ihrer radikalsten Form offenbar.
So ist es letztlich das Gottesbild Jesu vom barmherzigen, liebenden Gott, das
zwar auch von Anselm zur Rechtfertigung der Notwendigkeit der satisfactio
anstelle der Strafe verwendet wurde, in letzter Konsequenz allerdings viel mehr
bedeuten muss, nämlich die Legitimierung der Botschaft Jesu vom nahen Reich
Gottes in Tod und Auferstehung durch die Liebe des Vaters. Nur wenn dies so
zu Ende gedacht wird, ist das Verständnis von Versöhnung nicht
„unterbestimmt“. Dann wird Versöhnung verstanden als Versöhnung des
Menschen mit Gott und der Satz „Jesus ist für unsere Sünden gestorben“ wird
nicht gleichgesetzt mit einem Stellvertretertod zur Sühne, sondern mit dem
Herausführen des Menschen aus der Gottesferne durch die in Christus offenbare
Liebe Gottes, die sich am Kreuz in ihrer radikalsten Form zeigt.
Zu diesem Verständnis kann nur gelangt werden, wenn Leben, Wirken,
Botschaft, Tod und Auferstehung Jesu Christi in die Überlegungen einbezogen
werden. Somit ist die Warnung Gestrichs vor einer Unterbestimmung des
Versöhnungsverständnisses auch im Sinne vollständiger, wissenschaftlicher
Aufarbeitung absolut gerechtfertigt.
11
Literaturverzeichnis
Abaelard, Peter: Expositio in epistolam ad Romanos – Römerbriefkommentar –
übers. u. eingel. v. Rolf Peppermüller, Freiburg 2000.
Barth, Karl: Die Lehre von der Versöhnung. Bd. 3 (Unterricht in der christlichen
Religion), 1925 (Nachdruck Zürich 2003).
Canterbury, Anselm von: Cur Deus homo – übers. v. Franciscus Salesius
Schmitt, Darmstadt 41986.
Deselaers, Paul: Art. Versöhnung – Biblisch-theologisch, in: LThK3 10 (2001),
720-721.
Eberhart, Christian: Art. Sühne (AT), in: WiBiLex
(http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31922, Zugriff am 09.09.2017).
Eberhart, Christian: Art Versöhnung (AT), in: WiBiLex
(http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/34155, Zugriff am 09.09.2017).
Essen, Georg: Die Freiheit Jesu – Der neuchalkedonische Enhypostasiebegriff
im Horizont neuzeitlicher Subjekt- und Personphilosophie, Regensburg 2001.
Fehling, Ruth: Jesus ist für unsere Sünden gestorben – Eine praktisch-
theologische Hermeneutik, Stuttgart 2010.
Gestrich, Christof: Warum sollen wir versöhnt werden? Ist Jesus Christus
Gottes Sühnopfer? Hermeneutische Überlegungen zu einer ausgeuferten
Diskussion, in: Acklin Zimmermann, Béatrice & Annen, Franz (Hg.): Versöhnt
durch den Opfertod Jesu Christi? - Die christliche Sühnopfertheologie auf der
Anklagebank, Zürich 2009, 75-100.
Kasper, Walter: Der Gott Jesu Christi, Freiburg 2008.
Meinhart, Helmut: Art. Anselm v. Canterbury, in: LThK³ 1 (1993), 711-712.
Moltmann, Jürgen: Die Rechtfertigung Gottes, in: Weth, Rudolf (Hg.): Das
Kreuz Jesu – Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001.
Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist, in: Schlechta, Karl (Hg.): Friedrich
Nietzsche Bd. 4, München 1966 (Nachdruck Wien 1980).
Wenz, Gunther: Versöhnung – Soteriologische Fallstudien, in: Studium
Systematische Theologie Bd. 9, Göttingen 2015.
12
Eigenständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, Timo Hartmann (Matr.-Nr.: 2726340), dass ich die
vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die
angegebenen Quellen oder Hilfsmittel (einschließlich elektronischer Medien
und Online-Quellen) benutzt habe. Mir ist bewusst, dass ein
Täuschungsversuch oder ein Ordnungsverstoß vorliegt, wenn sich diese
Erklärung als unwahr erweist.
Mainz, den 09.09.17 Timo Hartmann