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1. Die Energiewende
Die Bundesregierung hat mit dem Energiekonzept von 2010/2011 Leitlinien für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung sowie den Weg dorthin dargelegt. Der zeitliche Rahmen der Strategie erstreckt sich bis 2050 und soll dabei sowohl die notwendige Flexibilität für neue technische als auch wirtschaftliche Entwicklungen bieten. Im angestrebten Energiemix werden die Erneuerbaren Energien in 2050 den Hauptanteil, z. B. mindestens 80 Prozent beim Bruttostromverbrauch und 60 Prozent des Bruttoendenergieverbrauchs, übernehmen. Bereits in 2025 ist ein Anteil von Erneuer baren Energien am Bruttostromverbrauch von 40–45 Prozent geplant.1
Die Energiewende umfasst den Wechsel der Energiebereitstellung von fossilen Brenn und Kernbrennstoffen auf Erneuerbare Energien. Hierunter fallen verschiedene Formen wie etwa Wind und Sonnenenergie sowie Wasserkraft und Geothermie. Die Energiewende stellt somit eine umfassende und breit angelegte Systemtransformation dar, die sich über alle Bereiche der Energiegewinnung, umwandlung, verteilung und speicherung sowie über alle Nutzungspfade (Strom, Wärme, Kälte und Mobilität) erstreckt. Ein weiterer Treiber der Energiewende ist die Reduktion des Energieverbrauchs, d. h. durch Energieeffizienz und Energieeinsparung. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch steigt jedoch am schnellsten. In 2014 betrug der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen bereits 27,3 Prozent; in 2013 lag er noch bei 25,3 Prozent.2 Am
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Kirsten Neumann, Eyk Bösche, Martin Richter, Randolf Schließer, Leo Wangler, Ernst A. Hartmann
Brutto endenergieverbrauch lag der Anteil der Erneuerbaren Energien dagegen in 2013 bei 12 Prozent. Die Erneuerbaren Energien stellen in Deutschland mit 371.400 Arbeitsplätzen und einem Jahresumsatz von 22,7 Mrd. Euro im Jahr 2013 einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar.3 Dies scheint sich auch in anderen Ländern zu bestätigen: Weltweit wurden in 2013 ca. 244 Mrd. USD in Erneuerbare Energien investiert. Der globale Anteil Erneuerbarer Energien betrug 19 Prozent, wovon 9 Prozent traditionelle Biomasse darstellten. Erstmalig überwog in 2013 mit 56 Prozent der Anteil der Erneuerbaren Energien am globalen Zubau von Energieerzeugungskapazitäten.4
In der Vergangenheit konnten bei den Erneuerbaren Energien Technologien – insbesondere im Bereich der Photovoltaik – bereits gewaltige Effizienzsteigerungen erreicht werden, die sich auf die Herstellungskosten für Strom aus erneuerbaren Quellen weltweit positiv auswirken.5
Die Energiewende ist jedoch umfassender als lediglich die Erneuerbaren Energien Technologien und erfordert somit komplexere und vernetzte Innovationen, an denen eine Bandbreite an Akteuren aus unterschiedlichen Fachbereichen beteiligt sind und sein werden. Die Erreichung der durchaus ambitionierten Ziele setzt große Anstrengungen in den Bereichen Forschung und Entwicklung voraus, da die technologischen, ökonomischen und soziologischen Herausforderungen bei der Transformation des Gesamtsystems eben nur mit Forschung und Entwicklung zu bewältigen sind.
Innovationsmotor Energiewende
1 Bruttoendenergieverbrauch: 2020: 18%, 2030: 30%, 2040: 45%, 2050: 60%; Bruttostromverbrauch: 2025: 40–45%, 2035: 5560%, 2040: 65%, 2050: 80%2 Agora Energiewende (2015): Analyse: Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2014, Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf
2015. Online unter: http://www.agoraenergiewende.de/fileadmin/downloads/publikationen/Analysen/Jahresauswertung_2014/Agora_Energiewende_Jahresauswertung_2014_web.pdf
3 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2014): Erneuerbare Energien in Zahlen – Nationale und Internationale Entwicklungen im Jahr 2013, Oktober 2014 (http://www.erneuerbareenergien.de/EE/Redaktion/DE/Downloads/erneuerbareenergieninzahlen.pdf?__blob=publicationFile&v=5)
4 REN21 (2014): Renewables 2014 Global Status Report, Paris, REN21 Secretariat. Online unter: http://www.ren21.net/portals/0/documents/resources/gsr/2014/gsr2014_full%20report_low%20res.pdf
5 Siehe auch: Fraunhofer Institut für Solare Energien (2015): Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland. Online unter: http://www.ise.fraunhofer.de/de/veroeffentlichungen/veroeffentlichungenpdfdateien/studienundkonzeptpapiere/aktuellefaktenzurphotovoltaikindeutschland.pdf; Fraunhofer Institut für Solare Energien (2014): PhotovoltaicsReport. Online unter: http://www.ise.fraunhofer.de/de/downloads/pdffiles/aktuelles/photovoltaicsreportinenglischersprache.pdf
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2. Komplexe Innovationen für eine erfolgreiche Energiewende
Für die Realisierung der gesetzten Ziele sind stetige und gezielte Innovationsprozesse sowohl hinsichtlich Technologie und Kosten, der Systemintegration und der Infrastruktur als auch in Hinblick auf Markt und Geschäftsmodelle und das Nutzerverhalten notwendig. Eine nachhaltige Energiewende bedingt nicht nur Innovationen innerhalb der einzelnen Nutzungspfade, sondern auch eine Verknüpfung von Strom, Wärme und Verkehr. Somit werden die notwendigen energie und verkehrswirtschaftlichen Strukturen weit komplexer, vernetzter und flexibler sein als heute.
Der Weg zur nachhaltigen Erreichung der ambitionierten Ziele bedingt einen tiefgreifenden Wandel, der sowohl energiewirtschaftlich als auch verkehrlich erfolgen muss. Hierunter fallen u. a. folgende Aspekte:
ff Die Erhöhung der Energieeffizienz von Bereitstellungs und Nutzungstechnologien sowie systemische Optimierung (z. B. Kombination von Effizienz und Energietechnologien). So können sich z. B. Erneuerbare Energien in ihren systemischen Eigenschaften ergänzen und mit Effizienz und Energiespeichertechnologien zu einem zuverlässigen Kombi/Hybridkraftwerk kombiniert werden (siehe Beispiel „Hybridkraftwerk“).
ff Der Ausbau und die Modernisierung des Stromnetzes ist eine zentrale Voraussetzung für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren und somit für die Energiewende. Es müssen leistungsfähige, intelligente Stromnetze aufgebaut werden, deren Ausbau und Investitionsbedarf abhängig ist vom jeweiligen Anteil der regenerativen Stromerzeugung.
ff Das Vorantreiben von Smart Grids, die verschiedene Energiekonsumenten und produzenten mithilfe digitaler Informations technologie verbinden und kontinuierlich Informationen über das Energienutzerverhalten, über Energiekonsumenten und über die Energiebereitstellung auswerten, um automatisiert auf Schwankungen in der Energiebereitstellung oder bei der Energienutzung zu reagieren, ist notwendig. Eine besondere Rolle nehmen dabei große Verbraucher mit speicherfähigen Anwendungen (z. B. große Kühlhäuser) ein, da sie ihre Abnahme von Energie steuern und dadurch als signifikante Speicherkapazität bzw. Regelpotenzial fungieren können. Hier liegen neue Geschäftsfelder.
ff Eine verstärkte Verknüpfung der Systeme Strom, Wär-me und Mobilität ist auch in Hinblick auf die Regelbarkeit von dezentraler Erzeugung und Verbrauch notwendig. Hier können Smarte Systeme neue Formen der Wärmeversorgung und Mobilität bewerkstelligen, die sich für alle Beteiligten auszahlen. Dazu gehören Lösungen für die Nutzung von Abwärme sowie Systeme zur Stromspeicherung über
Abbildung 1: Die Energiewende als komplexe Aufgabe (Quelle: Eigene Darstellung)
Energiewende
EnergiesystemeSystemtechnik
Strom und WärmenetzeNetzmanagement
SpeicherStromspeicher
Wärme/KältespeicherChemische Speicher
IKT Smart Grids
EnergiesicherheitKraftwerke
Energiepreise
TransformationSystemanalyse
Akzeptanz
EnergieeffizienzRessourceneffizienz Pro
duktion / Bau
EnergiewandlungBrennstoffzellen
Biomethan
Erneuerbare Energien PhotovoltaikSolarthermieWindenergieGeothermieBioenergie
Neue Geschäftsmodelle
Regellaststeuerung
Strom Wärme
Mobilität Kälte
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„PowertoHeat“ bzw. „PowertoGas“Lösungen. Auch hier ergeben sich interessante neue Geschäftsmodelle.
ff Entwicklung von Energiespeichertechnologien: Im Stromsektor werden neue Speicher voraussichtlich erst bei einem sehr hohen Anteil von Erneuerbaren Energien gebraucht. Dennoch bedarf auch ein zunehmend erhöhter Anteil an fluktuierendem Strom aus Erneuerbaren Energien einer verstärkten Regelbarkeit der Netze und vermehrter Nutzung von Speichern, z. B. auch im Wärmesektor. Darum sollten Innovationen verstärkt vorangetrieben werden, da andere, beispielsweise der Verkehrssektor (Elektroautos, ÖPNV) oder die chemische Industrie, hiervon stark profitieren können. Davon könnte wiederum der Energiesektor profitieren, da die Speicher als Zusatznutzen dem Energiesektor kostengünstig Flexibilität bereitstellen können.
ff Neue Sicherheitslösungen sind notwendig, um den vermehrten Umgang mit Datenmengen sicher zu gestalten und die EnergieInfrastrukturen vor Angriffen zu schützen.
ff Die Entwicklung eines nachhaltigen Energiesystems ist eine Querschnittsaufgabe, die verschiedenste gesellschaftliche und soziale Bereiche betrifft. Deshalb sind neue gesell-schaftspolitische Lösungen notwendig, um die Umsetzung der Energiewende insgesamt voran zu treiben.
Um den Anforderungen der Energiewende gerecht zu werden, bedarf es komplexer Systeminnovationen. Als Systeminnovation werden technologisch basierte Innovationen bezeichnet, die sich in wirtschaftlich tragfähige und gesellschaftlich akzeptierte Produkte oder Dienstleistungen umsetzen lassen. Die Umsetzung einer Systeminnovation erfordert ein Überwinden fachlicher und organisatorischer Grenzen sowie ein Zusam
menwirken verschiedener Stakeholder entlang von Wertschöpfungsprozessen.6
Gerade aufgrund dieser notwendigen komplexen Systeminnovationen kann die Energiewende zum Innovationsmotor für Deutschland werden.
3. Innovationstheoretische Hintergründe
3.1. Komplexe Innovationen und Innovations fähigkeit
Die Energiewende weist – neben ihren spezifischen Zielen und Wirkungen – ein erhebliches Potenzial auf, die Innovationsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Diese These soll im Folgenden begründet werden.
Ausgehend von der Prämisse, dass Innovationsfähigkeit etwas mit Wissen zu tun hat – mit dem Wissen der Beschäftigten, der Unternehmen, der Kooperationsnetzwerke zwischen Unternehmen und Forschungs und Bildungseinrichtungen – kann man zunächst vier Aspekte der Innovationsfähigkeit unterscheiden: Human, Komplexitäts, Struktur und Beziehungskapital.
Humankapital ist das Wissen und Können der Menschen, die an Wertschöpfungsprozessen teilhaben. Das sind auch und besonders, aber eben nicht nur diejenigen, die in Forschung und Entwicklung arbeiten. Innovationsfähigkeit erfordert ein hohes Maß an Kompetenzen an allen Stellen und Prozessstufen der Wertschöpfung sowie der Produktentstehung.
Der bloße Bestand an Wissen in den Köpfen der Menschen reicht allerdings nicht aus. Es wird eine gewisse Vielfalt an nützlichem Wissen benötigt, um anspruchsvolle – komplexe – Produkte herstellen zu können, die andere nicht – oder nicht so gut – herstellen können. Die Verfügbarkeit dieser Vielfalt nützlichen Wissens und die Fähigkeit, diese Vielfalt in der Produktion komplexer Produkte zusammenzuführen, zeichnet die deutsche Industrie in besonderem Maße aus. Diese Fähigkeit kann auch als Komplexitätskapital bezeichnet werden.7 Dieses Komplexitätskapital stellt die prominente Stärke der deutschen Innovationsfähigkeit dar; zugleich liegt hier der zentrale Beitrag der Energiewende – dazu unten mehr.
Neben der Vielfalt nützlichen – verwertbaren – Wissens braucht Innovationsfähigkeit Strukturen in den Unternehmen, die es
6 Weitere Informationen siehe: Richter M., Seidel U., Wangler L. (2014): SystemInnovationen – Handlungsoptionen für zukunftsfähige Spitzentechnologien, iit perspektive 17, Onliner unter: http://www.iitberlin.de/de/publikationen/systeminnovationenhandlungsoptionenfuerzukunftsfaehigespitzentechnologien
7 Die Messung des Komplexitätskapitals basiert auf dem von Ricardo Hausmann und Cesar Hidalgo vorgeschlagen Index ökonomischer Komplexität: Hausmann, R., Hidalgo, C. et al. (2012): The Atlas of Economic Complexity, Cambridge, MA: Puritan Press. Online unter: http://atlas.media.mit.edu/atlas
Energiewende
Industrie/Unternehmen, Energieversorger, Netzbetreiber, Einzelne
Bürger, Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Forschungseinrichtungen, Banken, Vereine
und Bürgerinitiativen, Land und Forstwirtschaft,
Handwerker
Abbildung 2: Die Energiewende als Querschnittsaufgabe (Quelle: Eigene Darstellung)
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erlauben, miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren und auch in der Arbeit selbst zu lernen und Kreativität zu entwickeln. Solche lern, kooperations und kreativitätsförderlichen Organisationsstrukturen sind Bestandteile des Strukturkapi-tals der Unternehmen, neben spezialisierten Forschungs und Entwicklungsabteilungen.
Unternehmen sind nicht nur aus eigener Kraft innovativ, sie brauchen auch ein fruchtbares „Ökosystem“, um neue Entwicklungen erkennen und in neue Produkte, Prozesse und Dienstleistungen umsetzen zu können. Solche „industriellen Ökosys teme“ zeichnen sich aus durch intensive Kooperationen zwischen Unternehmen untereinander sowie zwischen Unternehmen und anderen Akteuren der Innovationssysteme, wie insbesondere Forschungs und Bildungseinrichtungen. Diese Wissens, Forschungs und Entwicklungsnetzwerke machen das Beziehungskapital der Unternehmen aus.
Unter den vier Elementen der Innovationsfähigkeit – Human, Komplexitäts, Struktur und Beziehungskapital – ist das Komplexitätskapital in Deutschland besonders ausgeprägt und besonders kennzeichnend für die Innovationsfähigkeit Deutschlands (Abbildung 3). Gründe dafür liegen etwa in der hohen Spezialisierung und Leistungsfähigkeit des Mittelstands – viele
dieser Unternehmen sind Weltmarktführer in ihren jeweiligen Produktsegmenten. Im Bereich des Komplexitätskapitals belegt Deutschland auch im weltweiten Vergleich – mit Japan – einen Spitzenplatz.
Vor diesem Hintergrund kann die eingangs formulierte These begründet werden: Die Energiewende erfordert systemische technologische Lösungen, die genau jene Fähigkeiten erfordern, die das Komplexitätskapital ausmachen: Die Fähigkeit, unterschiedliche, jeweils hochspezialisierte Wissensbereiche in der Entwicklung und Herstellung komplexer Produkte zusammenzubringen.
Aus dieser These folgen zwei weitere Thesen:
Abbildung 3: Indikatoren zum Human, Komplexitäts, Struktur und Beziehungskapital (Quelle: Eigene Darstellung)8
8 Der iitInnovationsfähigkeitsindikator erlaubt einen Vergleich der Innovationsfähigkeit zwischen europäischen Staaten (EU und Norwegen). Die Indikatorwerte sind normiert auf den Maximalwert, der in der jeweiligen Beschreibungsdimension von einem europäischen Land erreicht wird. Der Wert 1.00 für Deutschland beim Komplexitätskapital bedeutet, dass Deutschland unter den im Indikator betrachteten europäischen Ländern den Spitzenplatz einnimmt. Siehe hierzu: Hartmann, E. A. et.al. (2014): Der iitInnovationsfähigkeitsindikator – ein neuer Blick auf die Voraussetzungen von Innovationen, iitPerspektive Nr. 16, Berlin. Online unter: http://www.iitberlin.de/de/publikationen/deriitinnovationsfaehigkeitsindikator
ff Deutschland ist besonders gut in der Lage, die Herausforderungen der Energiewende zu meistern.
ff Die Bewältigung dieser Herausforderungen wird – als „Trainingseffekt“ – diese entscheidenden Fähigkeiten Deutschlands (das Komplexitätskapital) weiter befördern und entwickeln.
Vergleich Deutschland und EU-Durchschnitt der vier Kapitalienarten des iit-Innovationsfähigkeitsindikators
EU-Durchschnitt0,0
0,5
0,6 0,58
1,00
0,55
0,64
0,380,36
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
1,0
EU-Durchschnitt EU-Durchschnitt EU-DurchschnittDeutschland
Humankapital Komplexitätskapital Strukturkapital Beziehungskapital
Deutschland Deutschland Deutschland
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Im folgenden Abschnitt wird der Zusammenhang zwischen Innovationen im Bereich der Erneuerbaren Energien und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beleuchtet.
Danach folgen zwei Fallstudien, die die unterstellten Komplexitätsanforderungen der Energiewende am konkreten Fall illustrieren (Hybridkraftwerk Prenzlau und die sogenannten urbanen Energiespeicherkraftwerke).
3.2. Erneuerbare EnergienInnovationen und gesamtwirtschaftliche Entwicklungen
Theoretisch geht von der Energiewende und den damit verbundenen Umweltregulierungen eine künstliche politikinduzierte Verknappung konventioneller Energieträger aus. Daraus resultieren Innovationsanreize im Bereich der Erneuerbaren Energien. Die Akteure versuchen durch Produkt und Prozessinnovationen auf die Verknappung zu reagieren. In der Folge entsteht Wachstum im Bereich der Erneuerbaren Energien. Die Energiewende setzt also positive Anreize für Innovationen und Wachstum im Erneuerbare EnergienSektor.
Gleichzeitig besteht ein „Tradeoff“ zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung „traditioneller Sektoren“ und der Innovationskraft im Bereich der Erneuerbaren Energien, da „zu ambitionierte Ziele“ im Rahmen der Energiewende kurz bis mittelfristig auch negative Wachstumseffekte in anderen Branchen hervorrufen können. Die Herausforderung besteht also darin, die Energiewende voranzutreiben und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Der beschriebene „Tradeoff“ lässt sich grafisch wie folgt darstellen:
Entsprechend dieses „Tradeoffs“ sind die mittel bis langfristigen Ziele so zu setzen, dass die Energiewende die kurzfristige
Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Produzenten nicht gefährdet (die aktuell weiterhin von konventionellen Energieträgern abhängig ist) und gleichzeitig den Umbau des Energiesystems vorantreibt, da die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ganz entscheidend von einer nachhaltigen Energieversorgung abhängt.
Inwiefern dies gelingen kann, lässt sich anhand der folgenden Grafik analysieren. Die Grafik zeigt auf der XAchse einen Index (die Werte liegen zwischen 0 und 1), der das Wachstum der Arbeitsproduktivität (reales Wachstum des proKopfOutputs pro Stunde) für die Jahre 2009–2011 abbildet. Auf der YAchse wird ein Index abgebildet, der die Patentaktivitäten im Bereich der Erneuerbaren Energien für den gleichen Zeitraum darstellt.
Die Grafik zeigt, dass es Ländern durchaus gelingen kann ein positives Wachstum der proKopfProduktivität zu generieren und gleichzeitig umfassende Innovationsanreize im Bereich der Erneuerbaren Energien zu setzen (was in der Grafik durch die Patentanmeldungen abgebildet wird) bzw. die Energiewende voranzutreiben.
Damit wird deutlich, dass sich Wirtschaftswachstum und Energiewende nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil, für die dargestellten Länder besteht ein positiver Zusammenhang, zwischen beiden Größen. Eine intelligent ausgestaltete Energiewende, die die länderspezifischen Eigenschaften des Innovationssystems berücksichtigt, lässt sich als „Wachstumsmotor“ verstehen. Der nachhaltige Umbau des Energiesystems sichert bestehende Arbeitsplätze und schafft zusätzliche Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energien.
9 Barbier, E. B. und HomerDixon, T. F. (1999): Resource Scarcity and Innovation: Can Poor Countries Attain Endogenous Growth? Ambio, 28(2): 144–147.
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Verknappung der Ressourcen, Marktreaktionen und Innovationen (Quelle: Eigene Darstellung nach Barbier und HomerDixon [1999])9
Verknappung von Ressourcen
Innovationen Reaktion des Marktes
+
+
−
Abbildung 5: Optimale Verknappung im Zuge der Energiewende (Quelle: Eigene Darstellung)
Ges
amtw
irtsc
haft
liche
Ent
wic
klun
g
Inno
vatio
nskr
aft
im E
E Be
reic
h
Ambitionen im Zuge der Energiewende
Gewichtung abhängig von
gesellschaftlichen Präferenzen
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4. Komplexe, systemische Innovationen im Kontext der Energiewende
4.1. Beispiel Hybridkraftwerk Prenzlau
Ein Hybridkraftwerk dient der bedarfsgerechten Herstellung von Strom, Kraftstoff und Wärme aus verschiedenen Primärenergieträgern. Mit heutigen Anlagenansätzen wird vor allem untersucht, wie verschiedene fluktuierende Erzeugungsquellen sinnvoll miteinander kombiniert werden können.
Das Hybridkraftwerk Prenzlau umfasst mehrere Energieerzeugungsanlagen, einen Energiespeicher sowie die Verbindung zu Energieabnehmern (Wärme und Gasnetz, Tankstelle) und dem Versorgungsnetz. Die OnlineSteuerung aller Anlagen erfolgt von einer Leitwarte aus über Glasfaserkabel. Mit dieser hohen Komplexität existiert erstmals eine Anlage, in der lokal verfügbare Energiequellen bedarfsgerecht und mit einem hohen Wirkungsgrad gekoppelt werden. Dabei kommt das Konzept ganz ohne fossile Energieträger aus. Durch die Jahresproduktion von ca. 16 GWh Strom werden 9.600 Tonnen CO2 im Vergleich zum
derzeitigen deutschen Strommix vermieden. Andere Konzepte, wie z. B. die Anlage auf der Insel Pellworm (Windrad, PVAnlage), decken nur Teile der möglichen Kombinationen ab und verfügen nicht über eine netzgesteuerte Wasserstoffproduktion. Das grundlegende Funktionsprinzip und die wesentlichen Anlagen des Hybridkraftwerks Prenzlau sowie eine Detailansicht sind in den nachfolgenden Abbildungen dargestellt.10
Das Kraftwerk besteht u. a. aus drei Windkraftanlagen mit jeweils 2,3 MW Nennleistung, deren Strom entweder in das Mittelspannungsnetz eingespeist werden kann (Verbindung über das Umspannwerk Bertikow mit dem 220 kVHöchstspannungsnetz), oder – bei einem Überangebot – zur Erzeugung von Wasserstoff in einer ElektrolyseAnlage genutzt wird. Die WasserstoffErzeugungsanlage besteht aus einem Gleichrichter, dem alkalischen, drucklosen Elektrolyseur (500 kW) inklusive Prozesswasseraufbereitung und Kühl/Heizsystem, einer Gaswäsche, einem Puffertank, den Kompressoren, der Reinigungs und Trocknungsanlage sowie dem Speicher. Der Elektrolyseur, der demineralisiertes und deionisiertes Wasser benötigt, produziert bei Nennlast 120 Nm3/h Wasserstoff und 60 Nm3/h
Inde
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2011
(Wer
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0)2
Index Wachstum der Arbeitsproduktivität 20092011 (Werte liegen zwischen 1 und 0)1
Abbildung 6: Wachstum der Arbeitsproduktivität und Patentaktivitäten im Bereich der erneuerbaren Energien (Quelle: Eigene Darstellung)
0,2
0,7
0,1
0,6
0,3
0,8
0,4
0,9
0,5
1,0
0,0
0,0 0,20,1 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Norwegen
Schweiz
NiederlandeItalien
Großbritanien Frankreich
KanadaÖsterreich
Finnland AustralienSchweden
Dänemark
Spanien
Korea
Japan
USADeutschland
10 weitere Informationen zum Hybridkraftwerk Prenzlau siehe z. B. unter: www.enertrag.com
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Sauerstoff. Der Wasserstoff wird über zwei Kompressoren auf 42 bar verdichtet und in drei stationären Drucktanks mit einem Gesamtfassungsvermögen von 1.350 kg gespeichert. Der Wasserstoff kann als Kraftstoff zur Versorgung einer Tankstelle für Wasserstofffahrzeuge oder zur Einspeisung in das Erdgasnetz (nach weiterer Komprimierung) genutzt werden.
Eine weitere Option stellen zwei Blockheizkraftwerke (BHKW) dar, in denen im „Normalfall“ Biogas (Methan) zur Wärmeerzeugung genutzt wird. Das Biogas wird über die Vergärung von Mais, der direkt in der Umgebung angebaut wird, erzeugt und zwischengespeichert. Für die Rückverstromung wird dem Biogas H2 beigemischt, so wird zusätzlich noch eine Verbesserung der Verbrennungsqualität des Biogases erreicht. Aufgrund der hohen Wirkungsgradverluste kommt diese Betriebsart aber nur für Zeiten von Engpässen, also bei geringer Windstromerzeugung und gleichzeitig hoher Nachfrage, in Betracht. Jede BHKWAnlage hat eine maximale elektrische Leistung von ca. 370 kW (je nach Gasgemisch) und eine maximale thermische Leistung von 400 kW. Somit können rund 2,8 MWh elektrische und 2,2 MWh thermische Energie pro Jahr erzeugt werden. Die Wärmemenge reicht aus, um über das Fernwärmenetz der Stadt Prenzlau 80 Einfamilienhäuser zu beheizen.
Auch wenn die einzelnen Komponenten des Hybridkraftwerks prinzipiell bekannt und verfügbar sind, so besteht in deren Kombination – insbesondere der bedarfsgerechten Auslegung und der Optimierung der Wirkungsgrade der einzelnen Erzeugungs und Umwandlungsketten – eine hohe Komplexität.
Abbildung 7: Komponenten und Funktionsprinzip des Hybridkraftwerks Prenzlau (Quelle: ENERTRAG AG; bearbeitet durch VDI/VDEIT)
Abbildung 8: Detailansicht mit Komponentenhalle (H2Herstellung, Blockheizkraftwerk), Drucktanks, Biogas und Windanlage (Quelle: VDI/VDEIT)
Wärme
Strom
Strom Strom
WasserstoffVariable
Mischung
Wasserstoff
WasserstoffMischventil
Biogas-Speicher
2 Blockheiz-kraftwerke
Stromnetz 3 Windkraft-anlagen
Wasserstoff- Erzeugung
Wasserstoff- Speicher
Gasleitung
Wasserstoff
BiogasFernwärme Kraftstoffe
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Gerade im Bereich der Systemintegration und Steuerungsstrategien besteht noch ein hoher Forschungsbedarf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Prognoseunsicherheiten einen entscheidenden Einfluss auf die Stabilität des Gesamtsystems haben. Eine optimale Betriebsführung erfordert die genaue Kenntnis von Erzeugungs und Lastverläufen. Daher besteht ein hoher Anspruch darin, die Lastprognose mit Hilfe des Kraftwerks soweit zu optimieren, dass die Abweichung zwischen prognostizierter und realer Stromproduktion auf ein Minimum sinkt. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung zur Regelenergie Fähigkeit von erneuerbaren Energien. Hierzu muss weiter an der Optimierung in den Bereichen der OnlineSteuerung und bei schnellen Regelalgorithmen sowie beim Stromspitzen Management gearbeitet werden.
Weitere Herausforderungen bestehen in der Weiterentwicklung der Komponenten des Kraftwerks. Als Beispiele sind die Verbesserung der Elektrodenlebensdauer und die Erhöhung der Effi zienz des Elektrolyseurs ebenso zu nennen, wie die Verbesserung des Wirkungsgrades bei der Rückverstromung oder Untersuchungen zur Erhöhung des Einspeiseanteils von Wasserstoff in das Erdgasnetz. Eine Option hierzu wäre die Methanisierung11, bei der aus Wasserstoff unter Verwendung von Kohlenstoffdioxid (CO2) synthetisches Methan erzeugt wird. Als KohlenstoffdioxidQuellen kommen CO2 aus der Atmo sphäre, aus biogenen oder fossilen Quellen sowie aus industriellen Prozessen in Betracht. An Standorten mit Biogasanlagen – wie dem Hybridkraftwerk Prenzlau – ist vor allem die biologische Methanisierung von Interesse. Dabei werden zur Umwandlung biologische Stoffwechselprozesse genutzt.
Ein Ziel ist zum Beispiel, die biologische Methanisierung direkt im Fermenter der Biogasanlage durchzuführen. Zum einen ist im Biogas ein hoher Anteil an CO2 enthalten und zum anderen sind im Biogasreaktor auch die notwendigen Mikroorganismen für die Methanisierung bereits vorhanden. Es werden Methangehalte von bis zu 95 Prozent durch diese Prozesskombination erwartet. Viele Forschungs und Entwicklungsaktivitäten konzentrieren sich inzwischen auf Methanisierungsprozesse. Es sind jedoch noch vielfältige technische Probleme zu lösen, um Wirkungsgrade zu erhöhen, die Prozesse effektiver und damit vor allem auch wirtschaftlich attraktiver zu gestalten. Das so erzeugte Methangas kann anders als der reine Wasserstoff unproblematisch und ohne Begrenzung in das vorhandene Erdgasnetz eingespeist werden.
Zur Errichtung und zur optimierten Betriebsführung des Hybridkraftwerks Prenzlau, zu notwendigen Forschungs und Ent
wicklungsaufgaben sowie möglichen funktionalen Erweiterungen muss das Wissen aus den unterschiedlichsten Fachgebieten gebündelt werden. Hierzu gehören u. a. Energietechnik und management, der Maschinen und Anlagenbau, Verfahrenstechnik (u. a. Elektrolyse, Gasreinigung, Aufbereitung Prozesswasser, biologische Methanisierung), Automatisierungstechnik und IKT für Anlagensteuerung und Regelalgorithmen sowie Modellierung und Simulation zur Erstellung von Prognosemodellen. Die gewonnenen Erkenntnisse können zur Weiterentwicklung einzelner Anlagenkomponenten, zur Erweiterung von Hybridkraftwerken um weitere Komponenten und Funktionalitäten sowie zur Erschließung neuer Strategien zum Energie und Netzmanagement genutzt werden.
4.2. Visionäres Beispiel: Urbanes Speicherkraftwerk im Wissenschaftshafen Magdeburg
Während das Hybridkraftwerk Prenzlau hinsichtlich seiner technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit bereits länger erprobt wird, ist das zweite Beispiel für eine Systeminnovation im Bereich der Erneuerbaren Energien noch weitaus visionärer: Ziel ist hier, Energiespeicherkraftwerke mit geringem Höhenpoten tial im urbanen Raum umzusetzen, die zur Spitzenlastkompensation eingesetzt werden sollen. Diese urbanen Energiespeicherkraftwerke werden als Kombikraftwerke gestaltet, die Wind, Wasser und Wärmekraft intelligent miteinander verbinden.12
Die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien unterliegt häufig saisonalen und wetterbedingen Schwankungen, wodurch eine bedarfsgerechte Erzeugung in der Regel nicht möglich ist. Somit wird eine kurz bis mittelfristige Zwischenspeicherung des Erneuerbare EnergienStroms zukünftig immer wichtiger. Wirtschaftliche Relevanz in der Stromspeicherung haben zurzeit nur die großen Pumpspeicherkraftwerke. Zu Spitzenlastzeiten, zu denen sehr gute Strompreise zu erzielen sind, kann mit der im Talsperrenbecken gespeicherten Energie wieder Strom erzeugt werden. Nach diesem Prinzip sollen auch die urbanen Energiespeicherkraftwerke mit geringem Höhenpotenzial funktionieren. Diese Speicherkraftwerke sollen helfen, Netzschwankungen auszugleichen und können somit eine wichtige Rolle im Lastenmanagement spielen. Die Errichtung großer Pumpspeicherkraftwerke ist in der Regel sehr aufwändig und mit großen Eingriffen in die Natur verbunden – und sie liegen fernab von den eigentlichen Stromverbrauchern. In Deutschland sind die Potenziale zur Errichtung großer Pumpspeicherkraftwerke nahezu erschöpft und man greift bereits auf Speicher in Österreich oder Norwegen zurück. Der innovative Systemansatz
11 Nähere Informationen zur Methanisierung und weiteren PowertoGasSystemlösungen unter: www.powertogas.info12 nähere Informationen siehe auch unter: www.urbanesspeicherkraftwerk.de
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stellt sich dieser großen technologischen Herausforderung der Energiewende, nämlich Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu puffern bzw. auch längerfristig zu speichern; und zwar nicht auf „einer grünen Wiese“ weitab von möglichen Verbrauchern, sondern dort, wo prinzipiell ein hoher Strombedarf besteht: in urbanen Räumen. Künstlich angelegte Hafenbecken sind in vielen Städten vorhanden (ca. 200 in Deutschland). Diese Hafenbecken liegen häufig brach und werden nicht mehr wirtschaftlich genutzt. Sie verfügen jedoch über ein großes Speichervolumen und sind daher sehr gut geeignet.
Als Modellstandort für die Umsetzung eines ersten urbanen Energiespeicherkraftwerkes ist der Wissenschaftshafen Magdeburg vorgesehen. Dort sollen u.a. die folgenden Teilkomponenten demonstriert und getestet werden:
ff Nutzung des Hafenbeckens als Pumpspeicherkraft-werk: Das Hafenbecken soll hierbei durch eine Mauer bzw. Schleuse von der Elbe abgetrennt werden und durch Pumpbetrieb ein Höhenniveauunterschied zwischen Hafenbecken und Elbe erreicht werden. Durch den Niveau unterschied der Wasserspiegel soll mittels integrierter Turbinen Strom erzeugt werden.ff Urbaner Hybrid-Speicher als Windkessel- und Masse-speicher: Die Idee ist, einen Teil des Hafenbeckens als Windkesselspeicher (Druckluftspeicher) zu nutzen. Dazu wird Wasser in ein Reservoir gepumpt, das im oberen Teil mit Luft befüllt ist. Durch das Befüllen des Reservoirs wird ein Überdruck (der Luft) erzeugt. Bei Öffnen eines Schiebers versetzt
dieser Überdruck das Wasser in Bewegung. Die erzeugte Strömung soll ausgenutzt werden, um mittels einer Turbine Strom zu erzeugen. Außerdem ist angedacht, den Wasserdruck zu nutzen, um eine Masse (Betonplatte) anzuheben. Durch Öffnen eines Schiebers wird das Wasser durch das Gewicht der sich absenkenden Masse in Strömung versetzt und treibt ebenfalls eine Turbine an.ff Speichergebäude als Hybridspeicher: Vorhandene, nicht mehr genutzte Speichergebäude am Hafenbecken, die als Röhren und/oder Flachbodenspeicher ausgeführt sind, sollen durch intelligente Nutzungskonzepte und Technologien als Energiespeicher umgerüstet werden. Dabei sollen an die Gebäudestruktur angepasste Pumpspeichertechnologien, Windkessel und Massespeichersysteme zum Einsatz kommen. ff Energiespeichersysteme für das Smart Grid: Am Demonstrationsstandort in Magdeburg erfolgt die modellhafte Realisierung eines 1 MWBatteriespeichers auf Lithiumbasis. Das Fraunhofer IFF nutzt das Großspeichersystem eines koreanischen Anbieters im Rahmen seiner Forschung für die Entwicklung von Steuerungssystemen für intelligente Energienetze der Zukunft. ff Windenergienutzung im urbanen Umfeld: Ziel dieses Teilprojektes ist die Entwicklung eines neuartigen Membranwindrades im Leistungsbereich von 5–20 kW, das im urbanen Raum zu Pumpzwecken und/oder direkt zur Energiegewinnung eingesetzt werden kann. Dabei ist die Idee, flexible gitternetzartige Membranen für eine neue Art von Vertikalachswindturbinen zu verwenden.
Abbildung 9: PumpspeicherHybridkraftwerk Magdeburg Wissenschaftshafen (Quelle: Netzwerk „Urbanes Energispeicherkraftwerk“, Mario Spiewack)
Hybrid- Pumpspeicherkraftwerk: Wasserkraft/ Druckluft/ Massenspeicher
Windkraftanlage
Elbe Hafenbecken
Massenspeicher 2x 74.000 t4,09 MWh
Druckwasserleitung
Speicher West
Bodenspeicher G und HHybridspeicher 0,54 MWh
Zellenspeicher Hybridspeicher 1,45 MWh
Windkessel 45.000 m³/ 3,3 barHybridspeicher 1,68 MWh
Pumpen-/ Turbinen-gruppe 1,10 MW
Pumpen-/ Turbinengruppe 400 kW
W o r k i n g P a p e r o f t h e I n s t i t u t e f o r I n n o v a t i o n a n d T e c h n o l o g y 10
Die Systeminnovation „urbanes Energiespeicherkraftwerk“ stellt eine gute Möglichkeit dar, Strom mit einem hohen Wirkungsgrad sowie in relativ großem Umfang zu speichern. Ein weiterer Vorteil ist, dass ungenutzte urbane Flächen wirtschaftlich aufgewertet werden und ein neues, ästhetisches Stadtbild entstehen kann.
Zur Realisierung der vorstehend genannten Entwicklungen und Technologien ist jedoch ein effektives Zusammenspiel verschiedener Akteure erforderlich. Als zielführend hat sich hier die Zusammenarbeit in Netzwerken oder Clustern erwiesen. So erfolgt zum Beispiel die Umsetzung des urbanen Energiespeicherkraftwerkes im Rahmen eines durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten ZIMNetzwerkes (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand). Die Netzwerkstruktur zeigt sehr deutlich den hohen Grad an Interdisziplinarität, der für eine erfolgreiche Umsetzung der Systeminnovation erforderlich ist: So arbeiten im Netzwerk Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus den Bereichen Stahl und Ingenieurbau, Wasserbau, Maschinenbau, Wasser und Windkraftanlagen, Biotechnologie, Pumpentechnik, Gleitlagerbau, Elektrotechnik, Mess, Leit und Automatisierungstechnik, Umwelttechnik, Spezialtextilien, Gewässerökologie und Wasserwirtschaft, Industrieservice, Projektierung und Errichtung von Energieerzeugungsanlagen, Entwicklung und Simulation von Systemen zur Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Energie sowie Planung, Engineering, Prototypenfertigung und Formenbau sowie Stadtplaner, Landschaftsplaner und Architekten eng zusammen.
Außerdem sind hinsichtlich des geplanten Demonstrationsvorhabens am Wissenschaftshafen Magdeburg die Stadtverwaltung Magdeburg, die notwendigen Genehmigungsbehörden sowie die Stadtwerke Magdeburg eingebunden. Somit sind auch die politischen Entscheidungsträger frühzeitig über das Vorhaben informiert und in für sie relevante Entscheidungsprozesse einbezogen worden.
5. Fazit
Deutschlands Innovationsfähigkeit ist sehr hoch, vor allem aufgrund der Fähigkeit, vielschichtige systemische Innovationen zu realisieren und komplexe Produkte herzustellen. Der Erfolg der Energiewende wird maßgeblich auch davon abhängen, wie gut und wie intensiv es gelingt, unterschiedliche Innovationen aus einer Vielzahl an Fachbereichen nicht nur interdisziplinär mitein ander zu verknüpfen, sondern auch harmonisch aufeinander abgestimmt zu Systemlösungen zu vernetzen.
Die Mehrzahl der notwendigen Innovationen werden komplex und interdisziplinär sein, wie in den beiden Fallbeispielen exemplarisch dargestellt. Für die Generierung und Umsetzung dieser Innovationen muss eine Vielzahl an Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachbereichen und der Wirtschaft interdisziplinär zusammen arbeiten. So werden für die Umsetzung des Hybridkraftwerks wie in Prenzlau zusätzlich zu den Kompetenzen aus den verschiedenen Erneuerbare Energien und Speichertechnologien noch übergreifende Kompetenzen zur System integration und steuerung zusammen geführt. Speziell im zweiten Fallbeispiel „Urbanes Speicherkraftwerk“, für dessen Umsetzung auch zunächst eher fachfremd erscheinende Kompetenzen notwendig werden, wird die Komplexität zukünftiger Systemtechnologien verdeutlicht.
Wie gezeigt, ist Deutschland Vorreiter für komplexe Innovationen und in dieser Hinsicht systemisch gut aufgestellt. Diese, im globalen Kontext auch als Alleinstellungsmerkmal definierbare , Fähigkeit für komplexe Innovationen ist von Vorteil für die weitere Umsetzung der Energiewende in Deutschland – aber auch für die Stärkung der eigenen Posi tion auf dem Weltmarkt. Gleichzeitig wird eben diese Fähigkeit durch die Energiewende weiter geschult und quasi trainiert. Die Energiewende stärkt somit eine Kernkompetenz, entwickelt sie weiter und kann somit auch als einer der deutschen Innova tionsmotoren bezeichnet werden.
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iit perspektive Nr. 23 Januar 2015 Layout: Jennifer Büttner, Anne-Sophie Piehl